FallSchirm von Swanlady (fallen & aufgefangen werden | Wichtelgeschichte) ================================================================================ WasserFall ---------- „Kaminari dürfte einen Vorteil haben“, gab Todoroki zu bedenken, als sie in eine Seitenstraße abbogen und ihr Tempo drosselten. „Nur für kurze Zeit und nur wenn er sich geschickt anstellt“, erwiderte Iida, der auch schon längst daran gedacht hatte – spätestens, als er die ersten Regenwolken am Himmel erspäht hatte. „Er hat Midoriya an seiner Seite“, merkte Todoroki an und Iida glaubte, ein schmales Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen. Es veranlasste auch seine Mundwinkel dazu, sich ein Stück weit zu heben. „Wohl wahr. Es ist alles so, wie es sein soll.“ Todoroki sagte nichts mehr, aber Iida spürte die stumme Bereitschaft, Unterstützung und Aufmerksamkeit in seinen Bewegungen und Gesten. Er blieb in seiner Nähe, den Blick wachsam umherwandern lassend, die Hände – trotz des fürchterlichen Wetters – nicht einmal ansatzweise in der Nähe der Hosentaschen. Er war angriffs- und verteidigungsbereit. Während sein Heldenkostüm ihn vor dem Regen schützte, war Todoroki ihm komplett ausgesetzt. Dies tat Iida ein wenig leid, aber Todoroki hatte bisher kein Wort darüber verloren, weshalb auch Iida sein Mitleid im Keim erstickte. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich mit solchen Nichtigkeiten zu beschäftigen. Sie hatten eine Aufgabe zu erfüllen. Todoroki war niemand, der sich wegen eines Sturms beschweren würde. Er sah ihn viel eher als einen Vorteil, den Midoriyas Gruppe haben würde – etwas, das Iida ihm hoch anrechnete. Abermals musste er lächeln und dieses Mal nahm er die Freude darüber, dass er seinen Helm aufhatte und Todoroki es nicht sah, bewusst wahr. „Eine Idee, wo er sich aufhalten könnte?“ Iidas Grübeleien wurden jäh unterbrochen, als sich seine Gedanken wieder auf ihre Mission fokussierten. „Wir wissen nicht viel über ihn.“ Er ging im Kopf durch, was er über den Schurken gelesen hatte, mit dem sie es zu tun hatten. „Abgesehen vom Offensichtlichen“, sagte er und deutete mit einer steifen Handgeste in den Himmel. „Er kann es regnen und stürmen lassen.“ Kaum hatte Iida diese Worte ausgesprochen, blies ihnen ein starker Windstoß entgegen. Sie taumelten beide. Während Todoroki schützend die Arme vor das Gesicht hob, hielt sich Iida an einer Straßenlaterne fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. „Der Sturm wird stärker“, rief Todoroki gegen das Heulen des Windes und kniff die Augen zusammen. Dennoch fing Iida seinen kurzen, bedeutungsschweren Blick problemlos auf. Todoroki hatte Recht – dies war kein Zufall. Iida nickte, als Zeichen, dass er verstanden hatte. Wenn sie sich nicht irrten, dann hatten sie etwas sehr Wichtiges über den Bösewicht erfahren. Wenn sie sich ihm tatsächlich näherten, dann bedeutete dies, dass seine Fähigkeiten in seinem unmittelbaren Umkreis am stärksten waren. „Todoroki-kun“, sprach Iida seinen Kameraden an, während er zu ihm hinüberging. Er stellte sich direkt vor Todoroki, um ihn vor Wind und Regen abzuschirmen. „Selbst, wenn du dafür verantwortlich wärst – wo würdest du dich bei so einem Unwetter verstecken?“ Überrascht, dass Iida für ihn Windschutz spielte, ließ Todoroki die Arme sinken und sah durch die nassen Haarsträhnen zu ihm hinauf. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nur minimal, als er verstand, worauf Iida hinauswollte – er presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. „Im Trockenen“, antwortete er murmelnd und Iida nickte. „Ich vermute, dass er in einem der Gebäude ist.“ Todoroki linste unauffällig nach links und rechts. „In dem kleineren, rechts von dir. Dort sind große Fenster, von denen aus man selbst bei diesem Wetter bestens die Situation beobachten kann.“ „Er wird wissen, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind, wenn er uns in diesem Moment im Visier hat“, sagte Iida. „Aber wir müssen es riskieren. Sonst verlieren wir zu viel Zeit.“ Todoroki war seiner Meinung. „Lass uns in die nächste Seitenstraße abbiegen. So verliert er uns hoffentlich aus den Augen und wir können nach einem anderen Eingang suchen.“ Iida war in diesem Moment verdammt froh, dass er mit Todoroki unterwegs war. Gewisse andere Schüler, die er höflichkeitshalber auch in Gedanken nicht beim Namen nennen wollte, hätten nicht gezögert und währen direkt durch den Haupteingang des verlassen aussehenden Gebäudes gestürmt. Seinem heutigen Partner folgend, verschwand er zusammen mit ihm in der Seitenstraße, die sich als Gasse entpuppte. Beiden war bewusst, dass sie nun schnell handeln mussten, weshalb sie sich daran machten, die Fenster im Erdgeschoss abzutasten. Keins davon war jedoch geöffnet – das wäre auch zu schön gewesen. „Wir haben keine Wahl“, meinte Iida zähneknirschend. „Wir müssen eins aufbrechen.“ Die ganze Zeit über hoffte er inständig, dass sie sich nicht irrten und der gesuchte Bösewicht tatsächlich hier war. Er wollte aber nicht daran denken, dass ihre Instinkte sich irrten. Insbesondere Todorokis, auf dessen Meinung man in solchen Situationen stets Verlass haben konnte. Als Iida zu diesem hinübersah, stellte er fest, dass Todoroki sich daran gemacht hatte, eine der Fensterscheiben zu vereisen. Als er damit fertig war, holte er mit der Faust aus, um es zu zerschlagen. Innerhalb eines Sekundenbruchteils war Iida an seiner Seite und – einem Impuls folgend – ergriff sein Handgelenk, um ihn davon abzuhalten. Fragend sah Todoroki zu ihm auf. „Ich weiß. Er könnte es hören“, sagte er sachlich, „aber hast du nicht eben selbst gesagt, dass wir keine andere Wahl haben?“ Iida spürte, wie sich etwas in seinem Magen zusammenzog. In dem Moment, in dem er gehandelt hatte, hatte er sich nicht von solchen Bedenken leiten lassen. Er räusperte sich. „Das ist es nicht, Todoroki-kun“, nuschelte er. „Ich wollte nur nicht, dass du dich unnötig verletzt.“ „Verstehe“, erwiderte Todoroki so selbstverständlich, als wäre diese Situation nicht schon unbehaglich genug. Trotzdem glaubte Iida eine gewisse Unsicherheit in seiner Stimme zu erkennen, oder zumindest einen Tick Verwirrung. „Lass mich“, beschloss Iida nachdrücklich und wartete, bis Todoroki zur Seite trat. Anschließend hob er den Arm und ließ seine Hand in einer ruckartigen Geste vorschnellen. Mit einem Schlag, der einem Karateschlag nicht unähnlich war, ließ er die vereiste Scheibe in unzählige Eissplitter zerschellen. Todoroki schickte den Hauch einer Flamme hinterher, um den Aufprall von Glas und Eis akustisch zu dämpfen, aber ein dumpfes Scheppern erklang dennoch in dem leeren, dunkeln Raum. Hastig kletterten die Helden in Ausbildung hinein. Sie stellten jedwede verbale Kommunikation ein und verständigten sich lediglich mit simplen Handgesten, die signalisierten, in welche Richtung sie gehen mussten. Iida erspähte die Treppen zuerst, weshalb er die Führung übernahm. Er konnte deutlich fühlen, wie Anspannung sich in ihm breitmachte, aber auch wilde Entschlossenheit, dies so schnell wie möglich zu beenden. Er hatte wirklich nichts gegen ein wenig Regen, aber wenn das so weiterging, würde die Stadt bald vor einer Hochwasserkatastrophe stehen. Als sie in dem Stockwerk ankamen, in dem sie den Wetterschurken vermuteten, blieben sie reglos stehen. Stille drückte auf Iidas Ohren und er konnte seinen eigenen, unregelmäßigen Herzschlag hören. Es war hier noch dunkler als im Erdgeschoss. Hinter sich hörte er Todoroki – bewundernswert ruhig – atmen. Vorsichtig bewegte sich Iida vorwärts. Wachsam sah er sich in dem Raum um, der früher wohl eine Art Archiv gewesen war, denn es standen noch immer viele – wenn auch leere – Regale herum. Hinter jedem einzelnen konnte der Feind lauern. Plötzlich spürte Iida, wie etwas gegen seinen Bauch drückte. Verwirrt sah er an sich hinab und bemerkte Todorokis Arm, der ihm den Weg zu versperren versuchte. Huh? Angestrengt lauschte er, doch er konnte nichts hören. Wieso versuchte sein Partner ihn aufzuhalten? Fieberhaft überlegte er, doch Iida war sich keiner greifbaren Gefahr bewusst. Es musste jedoch einen Grund haben und auch wenn es ihm nicht schmeckte, nicht zu verstehen, konnte er nicht anders, als Todoroki zu vertrauen. Dies fiel ihm sogar überaus leicht. Iida erstarrte zur Salzsäule. Todoroki schlich beinahe lautlos weiter. Iida hatte Schwierigkeiten, die Richtung einzuschätzen, in die er ging, aber er gab sein Bestes, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Glücklicherweise begannen sich diese an die Dunkelheit zu gewöhnen. Es gefiel ihm nicht, hier zu warten, während Todoroki hinter den Regalen verschwand, aber Iida begann zu verstehen, weshalb er ihn aufgehalten hatte. Draußen hatte ihm sein Kostüm einen Vorteil eingebracht – hier drinnen, Finsternis hin oder her, fiel er zu sehr auf. Während Todoroki wie eine Katze durch die Reihen huschen konnte, erinnerte er an einen plumpen Klotz. Es war Iida peinlich, doch noch bevor er sich vornehmen konnte, über sein Kostümdesgin nachzudenken, vernahm er ein Geräusch. Augenblick spannten sich seine Schultern an. Iida schaffte es nicht, zu reagieren, da rauschte bereits etwas an ihm vorbei und stieß gegen das Regal, hinter dem Todoroki verschwunden war. „Todoroki-kun!“, rief Iida alarmiert und gab damit ihre Schleichaktion komplett auf. Da er sich und seine Position verraten hatte, musste er auch nicht mehr an Ort und Stelle verweilen. Instinktiv pirschte er los, doch selbst er war zu langsam, um den an ihm vorbeihuschenden Schatten zu erwischen. Er hörte einen dumpfen Zusammenstoß, dann begann ein Regal zu kippen – und auch ohne hundertprozentige Sicherheit zu haben, dass Todoroki sich dahinter befand, zögerte Iida nicht. Seine Fähigkeiten auf so eingeschränkter Fläche einzusetzen, war nicht ungefährlich, aber er startete den Motor in seinen Waden nur für den Bruchteil einer Sekunde – dies reichte aus, um die Distanz zwischen ihm und dem fallenden Regal innerhalb eines Wimpernschlags zu überwinden. Iida hob die Arme, um das hölzerne Möbelstück abzufangen. Erst, als er sich sicher war, dass es keine Gefahr mehr darstellte, sah er sich nach Todoroki um. Er entdeckte ihn direkt vor sich – noch zehn Zentimeter und er hätte ihn über den Haufen gerannt. Eine dünne Eisschicht schimmerte bereits auf seiner ausgestreckten Hand und verdutzt schielte er zu Iida hinauf, der das Regal wieder ordentlich hinstellte. „Das war nicht nötig, Iida“, sprach Todoroki das Offensichtliche aus, was die Situation für Iida noch unangenehmer machte. Er unterschätzte seinen Schulfreund auf keinen Fall, aber sein Körper hatte von allein reagiert. „Ich musste auf Nummer sicher gehen“, erklärte er, was Todoroki hinnahm, obwohl er sich definitiv nicht von einem umkippenden Regal hätte besiegen lassen. „Er ist hier“, sagte Iida, alle nichtigen Themen auf später verschiebend. „Ich habe ihn ge –“ Just in diesem Moment zersprang die Fensterscheibe am anderen Ende des Raumes. Unwillkürlich zuckte Iida zusammen, als Regen und Wind ihnen erneut entgegenschlugen. Mit einem Satz sprang er hinter dem staubigen Holz hervor, dicht gefolgt von Todoroki. „Bleib stehen, Schurke!“, rief Iida und streckte anklagend den Zeigefinger aus, um auf den Bösewicht zu deuten, der sich nun nicht mehr vor ihnen versteckte. Dass er einen weiteren Hinterhalt plante, war nicht auszuschließen, aber selbst er musste eingesehen haben, dass Bücherregale keine effektiven Waffen waren. Der Regenschurke, den ihr gesamtes Heldenteam schon vor dieser Mission als Stormmaker identifiziert hatte, war ein schlaksiger Mann, dessen schwarzes Haar ihm konstant am Gesicht klebte – ein Nebeneffekt der Luftfeuchtigkeit, die seine Haut erzeugte. Durch die nassen Strähnen hindurch funkelte sie jedoch ein wachsames Augenpaar an. „Ihr habt mich also gefunden, buhu“, lamentierte er. „Ich weine gleich. Wollt ihr vielleicht noch ein paar mehr Tränen?“ Mit einem Lachen, das sich selbst in Iidas Ohren übertrieben anhörte, wehte ihnen eine ganze Ladung Wasser entgegen. Schützend stellte Iida sich vor Todoroki, sich gleichzeitig darauf verlassend, dass sein Partner schon längst einen Plan hatte. Er wurde nicht enttäuscht. Das Wasser, das Stormmaker ihnen entgegen spritzte, vereiste noch bevor es sie erreichte. Auf ihre Köpfe hagelten unwillkürlich ein paar kugelrunde Eisstücke, die auch ihren Gegner trafen. Iida sah, wie er sich instinktiv vor dem fallenden Hagel duckte. „Todoroki-kun!“, rief er und deutete auf den Regen, der durch das Fenster fiel – und somit direkt auf Stormmaker, dessen Kleidung völlig durchnässt war. Er schien den Regen kaum zu spüren, aber das Eis hatte ihn eindeutig gestört. „Verstanden“, erwiderte Todoroki knapp und machte einen Satz zur Seite, auch wenn er sich damit wieder gegen den beißenden Wind stemmen musste. Einen Sekundenbruchteil lang wehte Iida Hitze entgegen, weshalb er überrascht in Todorokis Richtung schielte. Er sah, wie sich Flammen um seine Handfläche rankten, seinen Arm hinaufkriechen wollten, doch die Wetterbedingungen waren zu extrem. Das Feuer flackerte, bis es komplett erlosch und Todorokis Arm nur noch dampfte. Es war ein offenes Geheimnis, dass er seine Feuerseite auch weiterhin nur in besonderen Fällen benutzte. Was sich Todoroki dabei gedacht hatte, sie unter diesen Umständen auszuprobieren, konnte sich Iida nicht erklären, aber was ihn mehr wunderte, war der bittere Gesichtsausdruck auf dem Gesicht seines Freundes. „Todoroki-kun, was –?“, setzte Iida an, doch er hörte ihm nicht zu, sondern ging, als wäre nichts gewesen, sofort dazu über, die in den Raum fallenden Regentropfen in Eis zu verwandeln. Winzige Eiskugeln regneten unbarmherzig auf Stormmaker hinab, der erschrocken versuchte aus der Schusslinie zu entkommen. „Oh nein, vergiss es“, murmelte Iida, der nicht länger in der Gegend herumstehen wollte. Er musste sich nützlich machen. Er wartete nicht darauf, um sich mit Todoroki abzustimmen, sondern handelte selbstständig, als er den Eisblock erklomm, mit dem Todoroki sie beide eben noch vor der Wasserwelle beschützt hatte. Als er an der Spitze ankam, blickte er hinab und nickte sich selbst zu, denn wie erhofft, konnte er das noch nicht geschmolzene Eis als Rampe verwenden. Seine Waden begannen zu kribbeln und Iida konzentrierte sich. „Iida!“ Eine stumme Warnung lag in Todorokis Ausruf. „Keine Sorge, Todoroki-kun, ich werde genug Schwung haben“, beruhigte Iida ihn und visierte in der Ferne den Punkt an, auf den er abzielte: die Feuerleiter am gegenüberliegenden Gebäude. Abermals rief Todoroki seinen Namen, doch er hatte keine Zeit, um an seinem Plan zu zweifeln. Iida ballte die Hände zu Fäusten und stieß sich vom Eis ab. Es begann unter seinen Füßen zu brechen, doch die Kraft, die in seinen Beinen steckte, machte den holprigen Start wieder wett. „Du entkommst uns nicht!“, rief er Stormmaker entgegen, der den Kopf hob und – abgelenkt vom intensiven Hagel – ein paar Sekunden brauchte, um die Quelle dieser Worte auszumachen. Seine Augen weiteten sich, als er Iida erspähte, der in diesem Moment losstürmte. Er sauste hinab, einem übergroßen Schlitten nicht unähnlich und nahm kontinuierlich an Geschwindigkeit zu. In seinem Kopf war er allerlei Szenarien durchgegangen und da Todoroki und er Stormmaker praktisch in die Enge gedrängt hatten, war das Fenster sein einziger, potentieller Fluchtweg. Bevor er diesen also aus eigenen Stücken nutzen konnte, würde Iida es tun. Es war waghalsig, aber die einzige Option, die ihm eingefallen war. Brüllend entlud Iida jedwede Unsicherheit, die in ihm steckte und bereitete seinen Körper voll und ganz auf den Sprung vor. Er raste unaufhaltsam auf Stormmaker zu, der wie erstarrt stehenblieb und einen Moment zu lang zögerte. Er schaffte es nicht mehr, Iidas Fängen zu entkommen. Dieser hatte seinen Arm fest um Stormmakers Taille geschlungen und drückte ihn unsanft gegen sein hartes und raues Heldenkostüm, das sich aus nächster Nähe alles andere als angenehm anfühlen musste. Stormmaker jauchzte und würgte, während er gegen Iida gepresst wurde, doch dieser war vollends auf das offene Fenster konzentriert, von dem ihn nur ein halber Meter trennte. Im letzten Moment stieß er sich mit einem Fuß vom Boden ab, während er mit dem anderen auf dem Fensterbrett landete – allerdings für nicht mehr als einen Sekundenbruchteil. Sofort stieß er sich erneut ab und dann… flog Iida Tenya durch die Luft, als wäre er ein Vogel, den man endlich aus seinem Käfig gelassen hatte. Es kam ihm vor, als würde er Todoroki aus weiter Ferne etwas rufen hören, doch der tosende Wind schluckte alle Geräusche um ihn herum. Stormmaker, der ihn aus einem Impuls heraus versucht hatte zu treten, klammerte sich nun an Iida und war nicht mehr so erpicht darauf, dass man ihn losließ – unter ihnen befand sich nämlich nichts anderes als harter Beton. Die Feuerleiter, die Iida anvisierte und den Blick nicht von ihr nahm, kam immer näher. Zähneknirschend streckte er die freie Hand aus. Gleich würde er sie greifen können… gleich würde er den Aufprall mit seinen Beinen dämpfen müssen, wenn er nicht Bekanntschaft mit der Hauswand machen wollte… Meter wurden zu Zentimetern, Zentimeter zu Millimetern. Iida griff nach der rostigen Sprosse der alten Feuerleiter, aber… Er griff ins Leere. Schockiert weiteten sich seine Augen, als er sein Ziel um Haaresbreite verfehlte. In der Luft hatte er kaum wahrgenommen, wie er immer langsamer geworden war. Das Herz rutschte ihm in die Kniekehlen, als er begann zu stürzen, zusammen mit dem Bösewicht in seinen Fängen, der den Schrei ausstieß, der Iida in der Brust steckenblieb. Alle Gedanken wurden aus seinem Kopf gewischt, der Schock lähmte seinen gesamten Körper. Sie fielen, fielen, unnachgiebig dem Boden entgegen, gegen den weder Held noch Bösewicht gewinnen konnte. Aus einem reinen Reflex heraus, kniff Iida die Augen zusammen. Dann landete er. Nicht weich, aber auch nicht so hart wie erwartet, denn der Zusammenstoß brach ihm weder sämtliche Knochen, noch drückte er ihm die Luft aus den Lungen. Er war lediglich etwas unangenehm, als der Aufprall dumpf durch seine Glieder vibrierte. Verblüfft riss Iida die Augen auf, als ihm gewahr wurde, dass die Fläche unter ihm eisig war. Er riss den Kopf in die Höhe und erblickte Todoroki, der schwer atmend auf dem Fensterbrett stand, von dem sich Iida soeben noch abgestoßen hatte und teils erschüttert, teils erleichtert seinen Blick erwiderte. Das Gefühl, das in Iidas Bauchgegend explodierte, erinnerte ihn an Schmetterlingsflügel und schwappende Meereswellen. Todoroki hatte ihm den Hals gerettet, indem er rechtzeitig reagiert hatte. Die Ladung Eis, die sich unter Iida manifestiert hatte und auf der er nun holpernd, den strampelnden Stormmaker wieder eisern an sich drückend, hinunterrutschte, war weitflächig und alles andere als perfekt geformt. Allein daran erkannte man, dass Todoroki nicht viel Zeit gehabt hatte. Iida beschwerte sich nicht, auch wenn er sich bei der Rutschpartie einige blaue Flecken einholte und ein abstehender Eiszapfen, gegen den er unkontrolliert stieß, seinen Helm vom Kopf riss. Kälte wehte Iida ins verschwitzte Gesicht, doch wenige Augenblicke später endete Todorokis Eis bereits und er kullerte ächzend über den Asphalt. Iida spürte seine Beine zittern, ob vor Angst, die immer noch in seinen Gliedern steckte, oder vor Anstrengung, wollte er in diesem Moment gar nicht wissen. Stattdessen warf er sich sofort auf Stormmaker, der die Gelegenheit hatte nutzen und sich unbemerkt aufrappeln wollen, und drückte ihn mit seinem gesamten Körpergewicht zurück auf den Boden. „Lass los!“, heulte der hochgewachsene Mann, doch Iida ignorierte ihn. Er war außerdem noch zu sehr außer Puste, um etwas zu sagen. Hinter sich hörte er etwas übers Eis schleifen, das sich fast wie Schlittschuhe anhörte. In Wahrheit war es jedoch Todoroki, der sehr viel eleganter und geschickter aus dem zweiten Stock gerutscht kam. Leichtfüßig sprang er an Iidas Seite. „Die Handschellen, Todoroki-kun“, wies dieser sofort an, obwohl er sich dabei unwohl fühlte. Iida schluckte seine Zweifel, ob er in seiner aktuellen Lage überhaupt das Recht hatte, seinen Freund zu etwas aufzufordern, wenn er gerade eine riesengroße Dummheit begangen hatte, hinunter. Wie hatte er sich nur so verrechnen können? Eine Frage lag auf Todorokis Lippen, doch aus den Augenwinkeln sah Iida, dass er diese wieder schloss und die gewünschten Handschellen von Iidas Kostüm löste. Dieser nahm sie entgegen und legte sie Stormmaker an, der röchelnd versuchte Iidas Gewicht abzuschütteln. Er hatte keine Chance. Erst, als Iida sich sicher war, dass er mit keiner Gegenwehr mehr zu rechnen hatte und Stormmaker die Beine anwinkelte, sich zu einem jämmerlichen Bündel zusammenfaltete, leise vor sich hin wimmernd, stand er auf. „Bist du verletzt?“, fragte Todoroki, auf dessen Gesicht nichts von dem üblichen kühlen, matten Blick zu sehen war. Er starrte Iida mit einer Ernsthaftigkeit und Sorge an, die alle Schuldgefühle nur noch verstärkte. „Nein, alles in Ordnung“, erwiderte Iida, als er seine Stimme endlich wiederfand. „Und das habe ich dir zu verdanken.“ Ob Todoroki seinen Dank annahm oder ihn ignorierte, konnte Iida an seiner Reaktion nicht erkennen. Es gab nämlich keine. „Das war gefährlich“, sagte er stattdessen, als wüsste Iida das nicht schon längst. Bitter presste er die Lippen aufeinander und richtete sich die Brille, die leicht von seiner Nase rutschte. Sein Gesicht war noch immer völlig verschwitzt. „Es war leichtsinnig“, gab er Todoroki Recht. „Ich habe den Gegenwind nicht mit einberechnet, das war unklug. Ich hätte mich noch fester abstoßen müssen. Zugegeben, der Plan war improvisiert, aber mir ist nichts anderes eingefallen und –“ „Iida“, unterbrach Todoroki seine verbale Selbstgeißelung. „Dafür hast du mich.“ Perplex weiteten sich Iidas Augen und alle weiteren Worte blieben ihm im Hals stecken. Voller Unverständnis starrte er Todoroki an, der sich nicht die Mühe machte, um seine Aussage zu erläutern. Endlose Sekunden lang verharrte Iida bewegungslos, Todoroki ebenfalls. Der Plan war riskant gewesen, aber zu dem Zeitpunkt, an dem er sich für sein Handeln entschieden hatte, war er davon überzeugt gewesen. Genauso schnell hatte Todoroki akzeptiert, dass er die unterstützende Rolle einnahm. Vielleicht war es das, was er meinte. Partner und Freunde waren dafür da, einander den Rücken freizuhalten. Mit diesen eigenen Schlussfolgerungen konnte Iida, wenn auch leicht beschämt, leben. Peinlich berührt senkte er den Kopf und verbeugte sich steif vor Todoroki. Die Geste passte nicht, war unbeholfen und zu distanziert, um das zum Ausdruck zu bringen, was in seinem Inneren vorging, aber Iida hatte keine Erfahrung darin, wie man dies tat. Todoroki genauso wenig, weshalb auch er nichts weiter unternahm. „Der Regen hört auf“, sagte Todoroki. „Der Wind wird auch schwächer“, sagte Iida. Er sah zu Stormmaker hinüber, der seine Niederlage anscheinend langsam zu akzeptieren schien. Iidas Herzschlag beruhigte sich allmählich wieder. Es war brenzlig gewesen, aber sie hatten es geschafft – gemeinsam. Genau so, wie man es ihnen drei Jahre lang beigebracht hatte. „Wir sollten uns nun um ihn kümmern“, schlug Todoroki vor und Iida nickte, bereits nach Stormmakers Arm greifend, um ihn auf die Beine zu hieven. In diesem Moment begann der Schurke leise zu kichern. Mitten in der Bewegung erstarrte Iida und ein unangenehmer Schauer schlängelte sich seinen Rücken hinab. „Was –?“, hörte er Todoroki japsen, doch er sah es auch. Die quirkeinschränkenden Handschellen waren nicht defekt, das war völlig unmöglich. Wer mit ihnen in Berührung kam, konnte kaum ein Zehntel seiner Fähigkeiten einsetzen. Es war ausgeschlossen, dass Stormmaker dazu in der Lage war. Und doch hatte es in im westlichen Viertel der Stadt angefangen zu schneien. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)