FallSchirm von Swanlady (fallen & aufgefangen werden | Wichtelgeschichte) ================================================================================ NotFall ------- Zwanzig Paar Schuhe, neunzehn davon sichtbar, reihten sich in einer Linie auf. Eine angespannte Stille legte sich über die Versammelten, die nur vom Regen, der unablässig gegen den Asphalt prasselte, durchbrochen wurde. Endlose Sekunden lang regte sich niemand, dann machte eine der Personen einen entschlossenen Schritt nach vorne. Iida Tenya, Klassensprecher der 3-A, drehte sich zu seinen Mitschülern um. Mit ernster Miene visierte er jeden einzelnen seiner Freunde an und keiner wich seinem Blick aus. „Als Klassensprecher sehe ich es als meine Aufgabe an, etwas zu sagen“, ergriff er das Wort und stemmte die freie Hand in die Seite. Mit der anderen hielt er den Helm seines Heldenkostüms fest. „Aber ich werde mir meine Worte für später aufheben.“ Dezente Erheiterung flackerte in seinen Augen auf, als ihm verblüffte Gesichter entgegen starrten. „Ihr kennt den Plan. Seid ihr breit, diesem Bösewicht den Garaus zu machen?“ Enthusiastische Rufe bestätigten ihm, dass alle hochmotiviert waren. „Dann los!“ Ehe sich Iida versah, rauschte Bakugou an ihm vorbei. „Na endlich! Ich kann es kaum erwarten, diesem Mistkerl den Arsch aufzureißen!“, grölte er und bleckte die Zähne. „B-Bakugou-kun! Warte!“, japste Uraraka, die Probleme hatte, mit ihm schrittzuhalten. „Kacchan, Uraraka-san, seid vorsichtig!“, rief Midoriya ihnen hinterher, ehe er sich an Kaminari und Ojiro wandte. Ohne weitere Worte, zog auch diese Dreiergruppe von dannen. Hinter Iida ertönte ein Ächzen. Als er sich umdrehte, kratzte sich Kirishima verloren am Hinterkopf. „Kommt es mir nur so vor, oder ergeben manche Kombinationen wirklich keinen Sinn?“, grübelte er zweifelnd, doch Iidas Lippen verzogen sich zu einem wissenden Lächeln. „Nur auf den ersten Blick“, sagte er bestimmt. Kirishima wirkte nicht überzeugt, aber er zuckte mit den Schultern und schloss zu Ashido und Aoyama auf. Iida sah sich um. Tokoyami war wie ein Schatten verschwunden, zusammen mit Asui. Der Rest der Klasse machte sich ebenfalls auf den Weg. Er sah gerade noch, wie Yaoyorozu einen Regenschirm erschuf und Jiro sich bei ihr einhakte, ehe sie gemeinsam losrannten. Leise trat jemand an seine Seite. Stumm tauschten sie Blicke aus. Weder auf dem einen, noch dem anderen Gesicht zeichnete sich Nervosität ab, aber Iida spürte sie trotzdem in seinem Bauch brodeln. Sie hatten es hier nicht mit irgendeinem willkürlichen Bösewicht zu tun. Es war einer, der mit Sicherheit ein Ass im Ärmel hatte, wenn nicht sogar zwei oder drei. Sie durften auf keinen Fall unvorsichtig vorgehen. „Lass uns gehen“, sagte Todoroki neben ihm und Iida nickte. „Ich verlass mich auf dich, Todoroki-kun.“ Eine dünne Eisfläche bildete sich auf der Hauptstraße, die vor ihnen lag. Eine schmale Spur wurde jedoch von Todorokis Fähigkeiten verschont. „So kommen wir schneller voran“, erklärte Todoroki und Iida musterte den Weg vor ihnen zufrieden. Nun, da alle Klassenkameraden bereits unterwegs waren, würde auch niemand mehr auf dem Eis ausrutschen. „Inklusive Fahrbahn für mich. Danke, Todoroki-kun.“ „Laufbahn“, murmelte Todoroki, woraufhin Iida ihn verwirrt ansah. „Meine Karriere?“ „Nein, Laufbah...“ Er brach ab und schüttelte den Kopf. „Vergiss es. Wir sollten uns auf den Weg machen.“ Iida blinzelte, protestierte aber nicht. Er rückte sich die Brille zurecht, setzte den Helm auf und nahm eine Position ein, die jeden Profiläufer stolz gemacht hätte. Er stieß sich vom Boden ab. Der Motor in seinen Waden erwachte, trieb ihn an, bis ihm der Regen regelrecht entgegen peitschte. Neben ihm rutschte Todoroki über seine selbstgemachte Eisbahn. Eisbahn. Laufbahn. Oh. Iida lachte. WasserFall ---------- „Kaminari dürfte einen Vorteil haben“, gab Todoroki zu bedenken, als sie in eine Seitenstraße abbogen und ihr Tempo drosselten. „Nur für kurze Zeit und nur wenn er sich geschickt anstellt“, erwiderte Iida, der auch schon längst daran gedacht hatte – spätestens, als er die ersten Regenwolken am Himmel erspäht hatte. „Er hat Midoriya an seiner Seite“, merkte Todoroki an und Iida glaubte, ein schmales Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen. Es veranlasste auch seine Mundwinkel dazu, sich ein Stück weit zu heben. „Wohl wahr. Es ist alles so, wie es sein soll.“ Todoroki sagte nichts mehr, aber Iida spürte die stumme Bereitschaft, Unterstützung und Aufmerksamkeit in seinen Bewegungen und Gesten. Er blieb in seiner Nähe, den Blick wachsam umherwandern lassend, die Hände – trotz des fürchterlichen Wetters – nicht einmal ansatzweise in der Nähe der Hosentaschen. Er war angriffs- und verteidigungsbereit. Während sein Heldenkostüm ihn vor dem Regen schützte, war Todoroki ihm komplett ausgesetzt. Dies tat Iida ein wenig leid, aber Todoroki hatte bisher kein Wort darüber verloren, weshalb auch Iida sein Mitleid im Keim erstickte. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich mit solchen Nichtigkeiten zu beschäftigen. Sie hatten eine Aufgabe zu erfüllen. Todoroki war niemand, der sich wegen eines Sturms beschweren würde. Er sah ihn viel eher als einen Vorteil, den Midoriyas Gruppe haben würde – etwas, das Iida ihm hoch anrechnete. Abermals musste er lächeln und dieses Mal nahm er die Freude darüber, dass er seinen Helm aufhatte und Todoroki es nicht sah, bewusst wahr. „Eine Idee, wo er sich aufhalten könnte?“ Iidas Grübeleien wurden jäh unterbrochen, als sich seine Gedanken wieder auf ihre Mission fokussierten. „Wir wissen nicht viel über ihn.“ Er ging im Kopf durch, was er über den Schurken gelesen hatte, mit dem sie es zu tun hatten. „Abgesehen vom Offensichtlichen“, sagte er und deutete mit einer steifen Handgeste in den Himmel. „Er kann es regnen und stürmen lassen.“ Kaum hatte Iida diese Worte ausgesprochen, blies ihnen ein starker Windstoß entgegen. Sie taumelten beide. Während Todoroki schützend die Arme vor das Gesicht hob, hielt sich Iida an einer Straßenlaterne fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. „Der Sturm wird stärker“, rief Todoroki gegen das Heulen des Windes und kniff die Augen zusammen. Dennoch fing Iida seinen kurzen, bedeutungsschweren Blick problemlos auf. Todoroki hatte Recht – dies war kein Zufall. Iida nickte, als Zeichen, dass er verstanden hatte. Wenn sie sich nicht irrten, dann hatten sie etwas sehr Wichtiges über den Bösewicht erfahren. Wenn sie sich ihm tatsächlich näherten, dann bedeutete dies, dass seine Fähigkeiten in seinem unmittelbaren Umkreis am stärksten waren. „Todoroki-kun“, sprach Iida seinen Kameraden an, während er zu ihm hinüberging. Er stellte sich direkt vor Todoroki, um ihn vor Wind und Regen abzuschirmen. „Selbst, wenn du dafür verantwortlich wärst – wo würdest du dich bei so einem Unwetter verstecken?“ Überrascht, dass Iida für ihn Windschutz spielte, ließ Todoroki die Arme sinken und sah durch die nassen Haarsträhnen zu ihm hinauf. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nur minimal, als er verstand, worauf Iida hinauswollte – er presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. „Im Trockenen“, antwortete er murmelnd und Iida nickte. „Ich vermute, dass er in einem der Gebäude ist.“ Todoroki linste unauffällig nach links und rechts. „In dem kleineren, rechts von dir. Dort sind große Fenster, von denen aus man selbst bei diesem Wetter bestens die Situation beobachten kann.“ „Er wird wissen, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind, wenn er uns in diesem Moment im Visier hat“, sagte Iida. „Aber wir müssen es riskieren. Sonst verlieren wir zu viel Zeit.“ Todoroki war seiner Meinung. „Lass uns in die nächste Seitenstraße abbiegen. So verliert er uns hoffentlich aus den Augen und wir können nach einem anderen Eingang suchen.“ Iida war in diesem Moment verdammt froh, dass er mit Todoroki unterwegs war. Gewisse andere Schüler, die er höflichkeitshalber auch in Gedanken nicht beim Namen nennen wollte, hätten nicht gezögert und währen direkt durch den Haupteingang des verlassen aussehenden Gebäudes gestürmt. Seinem heutigen Partner folgend, verschwand er zusammen mit ihm in der Seitenstraße, die sich als Gasse entpuppte. Beiden war bewusst, dass sie nun schnell handeln mussten, weshalb sie sich daran machten, die Fenster im Erdgeschoss abzutasten. Keins davon war jedoch geöffnet – das wäre auch zu schön gewesen. „Wir haben keine Wahl“, meinte Iida zähneknirschend. „Wir müssen eins aufbrechen.“ Die ganze Zeit über hoffte er inständig, dass sie sich nicht irrten und der gesuchte Bösewicht tatsächlich hier war. Er wollte aber nicht daran denken, dass ihre Instinkte sich irrten. Insbesondere Todorokis, auf dessen Meinung man in solchen Situationen stets Verlass haben konnte. Als Iida zu diesem hinübersah, stellte er fest, dass Todoroki sich daran gemacht hatte, eine der Fensterscheiben zu vereisen. Als er damit fertig war, holte er mit der Faust aus, um es zu zerschlagen. Innerhalb eines Sekundenbruchteils war Iida an seiner Seite und – einem Impuls folgend – ergriff sein Handgelenk, um ihn davon abzuhalten. Fragend sah Todoroki zu ihm auf. „Ich weiß. Er könnte es hören“, sagte er sachlich, „aber hast du nicht eben selbst gesagt, dass wir keine andere Wahl haben?“ Iida spürte, wie sich etwas in seinem Magen zusammenzog. In dem Moment, in dem er gehandelt hatte, hatte er sich nicht von solchen Bedenken leiten lassen. Er räusperte sich. „Das ist es nicht, Todoroki-kun“, nuschelte er. „Ich wollte nur nicht, dass du dich unnötig verletzt.“ „Verstehe“, erwiderte Todoroki so selbstverständlich, als wäre diese Situation nicht schon unbehaglich genug. Trotzdem glaubte Iida eine gewisse Unsicherheit in seiner Stimme zu erkennen, oder zumindest einen Tick Verwirrung. „Lass mich“, beschloss Iida nachdrücklich und wartete, bis Todoroki zur Seite trat. Anschließend hob er den Arm und ließ seine Hand in einer ruckartigen Geste vorschnellen. Mit einem Schlag, der einem Karateschlag nicht unähnlich war, ließ er die vereiste Scheibe in unzählige Eissplitter zerschellen. Todoroki schickte den Hauch einer Flamme hinterher, um den Aufprall von Glas und Eis akustisch zu dämpfen, aber ein dumpfes Scheppern erklang dennoch in dem leeren, dunkeln Raum. Hastig kletterten die Helden in Ausbildung hinein. Sie stellten jedwede verbale Kommunikation ein und verständigten sich lediglich mit simplen Handgesten, die signalisierten, in welche Richtung sie gehen mussten. Iida erspähte die Treppen zuerst, weshalb er die Führung übernahm. Er konnte deutlich fühlen, wie Anspannung sich in ihm breitmachte, aber auch wilde Entschlossenheit, dies so schnell wie möglich zu beenden. Er hatte wirklich nichts gegen ein wenig Regen, aber wenn das so weiterging, würde die Stadt bald vor einer Hochwasserkatastrophe stehen. Als sie in dem Stockwerk ankamen, in dem sie den Wetterschurken vermuteten, blieben sie reglos stehen. Stille drückte auf Iidas Ohren und er konnte seinen eigenen, unregelmäßigen Herzschlag hören. Es war hier noch dunkler als im Erdgeschoss. Hinter sich hörte er Todoroki – bewundernswert ruhig – atmen. Vorsichtig bewegte sich Iida vorwärts. Wachsam sah er sich in dem Raum um, der früher wohl eine Art Archiv gewesen war, denn es standen noch immer viele – wenn auch leere – Regale herum. Hinter jedem einzelnen konnte der Feind lauern. Plötzlich spürte Iida, wie etwas gegen seinen Bauch drückte. Verwirrt sah er an sich hinab und bemerkte Todorokis Arm, der ihm den Weg zu versperren versuchte. Huh? Angestrengt lauschte er, doch er konnte nichts hören. Wieso versuchte sein Partner ihn aufzuhalten? Fieberhaft überlegte er, doch Iida war sich keiner greifbaren Gefahr bewusst. Es musste jedoch einen Grund haben und auch wenn es ihm nicht schmeckte, nicht zu verstehen, konnte er nicht anders, als Todoroki zu vertrauen. Dies fiel ihm sogar überaus leicht. Iida erstarrte zur Salzsäule. Todoroki schlich beinahe lautlos weiter. Iida hatte Schwierigkeiten, die Richtung einzuschätzen, in die er ging, aber er gab sein Bestes, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Glücklicherweise begannen sich diese an die Dunkelheit zu gewöhnen. Es gefiel ihm nicht, hier zu warten, während Todoroki hinter den Regalen verschwand, aber Iida begann zu verstehen, weshalb er ihn aufgehalten hatte. Draußen hatte ihm sein Kostüm einen Vorteil eingebracht – hier drinnen, Finsternis hin oder her, fiel er zu sehr auf. Während Todoroki wie eine Katze durch die Reihen huschen konnte, erinnerte er an einen plumpen Klotz. Es war Iida peinlich, doch noch bevor er sich vornehmen konnte, über sein Kostümdesgin nachzudenken, vernahm er ein Geräusch. Augenblick spannten sich seine Schultern an. Iida schaffte es nicht, zu reagieren, da rauschte bereits etwas an ihm vorbei und stieß gegen das Regal, hinter dem Todoroki verschwunden war. „Todoroki-kun!“, rief Iida alarmiert und gab damit ihre Schleichaktion komplett auf. Da er sich und seine Position verraten hatte, musste er auch nicht mehr an Ort und Stelle verweilen. Instinktiv pirschte er los, doch selbst er war zu langsam, um den an ihm vorbeihuschenden Schatten zu erwischen. Er hörte einen dumpfen Zusammenstoß, dann begann ein Regal zu kippen – und auch ohne hundertprozentige Sicherheit zu haben, dass Todoroki sich dahinter befand, zögerte Iida nicht. Seine Fähigkeiten auf so eingeschränkter Fläche einzusetzen, war nicht ungefährlich, aber er startete den Motor in seinen Waden nur für den Bruchteil einer Sekunde – dies reichte aus, um die Distanz zwischen ihm und dem fallenden Regal innerhalb eines Wimpernschlags zu überwinden. Iida hob die Arme, um das hölzerne Möbelstück abzufangen. Erst, als er sich sicher war, dass es keine Gefahr mehr darstellte, sah er sich nach Todoroki um. Er entdeckte ihn direkt vor sich – noch zehn Zentimeter und er hätte ihn über den Haufen gerannt. Eine dünne Eisschicht schimmerte bereits auf seiner ausgestreckten Hand und verdutzt schielte er zu Iida hinauf, der das Regal wieder ordentlich hinstellte. „Das war nicht nötig, Iida“, sprach Todoroki das Offensichtliche aus, was die Situation für Iida noch unangenehmer machte. Er unterschätzte seinen Schulfreund auf keinen Fall, aber sein Körper hatte von allein reagiert. „Ich musste auf Nummer sicher gehen“, erklärte er, was Todoroki hinnahm, obwohl er sich definitiv nicht von einem umkippenden Regal hätte besiegen lassen. „Er ist hier“, sagte Iida, alle nichtigen Themen auf später verschiebend. „Ich habe ihn ge –“ Just in diesem Moment zersprang die Fensterscheibe am anderen Ende des Raumes. Unwillkürlich zuckte Iida zusammen, als Regen und Wind ihnen erneut entgegenschlugen. Mit einem Satz sprang er hinter dem staubigen Holz hervor, dicht gefolgt von Todoroki. „Bleib stehen, Schurke!“, rief Iida und streckte anklagend den Zeigefinger aus, um auf den Bösewicht zu deuten, der sich nun nicht mehr vor ihnen versteckte. Dass er einen weiteren Hinterhalt plante, war nicht auszuschließen, aber selbst er musste eingesehen haben, dass Bücherregale keine effektiven Waffen waren. Der Regenschurke, den ihr gesamtes Heldenteam schon vor dieser Mission als Stormmaker identifiziert hatte, war ein schlaksiger Mann, dessen schwarzes Haar ihm konstant am Gesicht klebte – ein Nebeneffekt der Luftfeuchtigkeit, die seine Haut erzeugte. Durch die nassen Strähnen hindurch funkelte sie jedoch ein wachsames Augenpaar an. „Ihr habt mich also gefunden, buhu“, lamentierte er. „Ich weine gleich. Wollt ihr vielleicht noch ein paar mehr Tränen?“ Mit einem Lachen, das sich selbst in Iidas Ohren übertrieben anhörte, wehte ihnen eine ganze Ladung Wasser entgegen. Schützend stellte Iida sich vor Todoroki, sich gleichzeitig darauf verlassend, dass sein Partner schon längst einen Plan hatte. Er wurde nicht enttäuscht. Das Wasser, das Stormmaker ihnen entgegen spritzte, vereiste noch bevor es sie erreichte. Auf ihre Köpfe hagelten unwillkürlich ein paar kugelrunde Eisstücke, die auch ihren Gegner trafen. Iida sah, wie er sich instinktiv vor dem fallenden Hagel duckte. „Todoroki-kun!“, rief er und deutete auf den Regen, der durch das Fenster fiel – und somit direkt auf Stormmaker, dessen Kleidung völlig durchnässt war. Er schien den Regen kaum zu spüren, aber das Eis hatte ihn eindeutig gestört. „Verstanden“, erwiderte Todoroki knapp und machte einen Satz zur Seite, auch wenn er sich damit wieder gegen den beißenden Wind stemmen musste. Einen Sekundenbruchteil lang wehte Iida Hitze entgegen, weshalb er überrascht in Todorokis Richtung schielte. Er sah, wie sich Flammen um seine Handfläche rankten, seinen Arm hinaufkriechen wollten, doch die Wetterbedingungen waren zu extrem. Das Feuer flackerte, bis es komplett erlosch und Todorokis Arm nur noch dampfte. Es war ein offenes Geheimnis, dass er seine Feuerseite auch weiterhin nur in besonderen Fällen benutzte. Was sich Todoroki dabei gedacht hatte, sie unter diesen Umständen auszuprobieren, konnte sich Iida nicht erklären, aber was ihn mehr wunderte, war der bittere Gesichtsausdruck auf dem Gesicht seines Freundes. „Todoroki-kun, was –?“, setzte Iida an, doch er hörte ihm nicht zu, sondern ging, als wäre nichts gewesen, sofort dazu über, die in den Raum fallenden Regentropfen in Eis zu verwandeln. Winzige Eiskugeln regneten unbarmherzig auf Stormmaker hinab, der erschrocken versuchte aus der Schusslinie zu entkommen. „Oh nein, vergiss es“, murmelte Iida, der nicht länger in der Gegend herumstehen wollte. Er musste sich nützlich machen. Er wartete nicht darauf, um sich mit Todoroki abzustimmen, sondern handelte selbstständig, als er den Eisblock erklomm, mit dem Todoroki sie beide eben noch vor der Wasserwelle beschützt hatte. Als er an der Spitze ankam, blickte er hinab und nickte sich selbst zu, denn wie erhofft, konnte er das noch nicht geschmolzene Eis als Rampe verwenden. Seine Waden begannen zu kribbeln und Iida konzentrierte sich. „Iida!“ Eine stumme Warnung lag in Todorokis Ausruf. „Keine Sorge, Todoroki-kun, ich werde genug Schwung haben“, beruhigte Iida ihn und visierte in der Ferne den Punkt an, auf den er abzielte: die Feuerleiter am gegenüberliegenden Gebäude. Abermals rief Todoroki seinen Namen, doch er hatte keine Zeit, um an seinem Plan zu zweifeln. Iida ballte die Hände zu Fäusten und stieß sich vom Eis ab. Es begann unter seinen Füßen zu brechen, doch die Kraft, die in seinen Beinen steckte, machte den holprigen Start wieder wett. „Du entkommst uns nicht!“, rief er Stormmaker entgegen, der den Kopf hob und – abgelenkt vom intensiven Hagel – ein paar Sekunden brauchte, um die Quelle dieser Worte auszumachen. Seine Augen weiteten sich, als er Iida erspähte, der in diesem Moment losstürmte. Er sauste hinab, einem übergroßen Schlitten nicht unähnlich und nahm kontinuierlich an Geschwindigkeit zu. In seinem Kopf war er allerlei Szenarien durchgegangen und da Todoroki und er Stormmaker praktisch in die Enge gedrängt hatten, war das Fenster sein einziger, potentieller Fluchtweg. Bevor er diesen also aus eigenen Stücken nutzen konnte, würde Iida es tun. Es war waghalsig, aber die einzige Option, die ihm eingefallen war. Brüllend entlud Iida jedwede Unsicherheit, die in ihm steckte und bereitete seinen Körper voll und ganz auf den Sprung vor. Er raste unaufhaltsam auf Stormmaker zu, der wie erstarrt stehenblieb und einen Moment zu lang zögerte. Er schaffte es nicht mehr, Iidas Fängen zu entkommen. Dieser hatte seinen Arm fest um Stormmakers Taille geschlungen und drückte ihn unsanft gegen sein hartes und raues Heldenkostüm, das sich aus nächster Nähe alles andere als angenehm anfühlen musste. Stormmaker jauchzte und würgte, während er gegen Iida gepresst wurde, doch dieser war vollends auf das offene Fenster konzentriert, von dem ihn nur ein halber Meter trennte. Im letzten Moment stieß er sich mit einem Fuß vom Boden ab, während er mit dem anderen auf dem Fensterbrett landete – allerdings für nicht mehr als einen Sekundenbruchteil. Sofort stieß er sich erneut ab und dann… flog Iida Tenya durch die Luft, als wäre er ein Vogel, den man endlich aus seinem Käfig gelassen hatte. Es kam ihm vor, als würde er Todoroki aus weiter Ferne etwas rufen hören, doch der tosende Wind schluckte alle Geräusche um ihn herum. Stormmaker, der ihn aus einem Impuls heraus versucht hatte zu treten, klammerte sich nun an Iida und war nicht mehr so erpicht darauf, dass man ihn losließ – unter ihnen befand sich nämlich nichts anderes als harter Beton. Die Feuerleiter, die Iida anvisierte und den Blick nicht von ihr nahm, kam immer näher. Zähneknirschend streckte er die freie Hand aus. Gleich würde er sie greifen können… gleich würde er den Aufprall mit seinen Beinen dämpfen müssen, wenn er nicht Bekanntschaft mit der Hauswand machen wollte… Meter wurden zu Zentimetern, Zentimeter zu Millimetern. Iida griff nach der rostigen Sprosse der alten Feuerleiter, aber… Er griff ins Leere. Schockiert weiteten sich seine Augen, als er sein Ziel um Haaresbreite verfehlte. In der Luft hatte er kaum wahrgenommen, wie er immer langsamer geworden war. Das Herz rutschte ihm in die Kniekehlen, als er begann zu stürzen, zusammen mit dem Bösewicht in seinen Fängen, der den Schrei ausstieß, der Iida in der Brust steckenblieb. Alle Gedanken wurden aus seinem Kopf gewischt, der Schock lähmte seinen gesamten Körper. Sie fielen, fielen, unnachgiebig dem Boden entgegen, gegen den weder Held noch Bösewicht gewinnen konnte. Aus einem reinen Reflex heraus, kniff Iida die Augen zusammen. Dann landete er. Nicht weich, aber auch nicht so hart wie erwartet, denn der Zusammenstoß brach ihm weder sämtliche Knochen, noch drückte er ihm die Luft aus den Lungen. Er war lediglich etwas unangenehm, als der Aufprall dumpf durch seine Glieder vibrierte. Verblüfft riss Iida die Augen auf, als ihm gewahr wurde, dass die Fläche unter ihm eisig war. Er riss den Kopf in die Höhe und erblickte Todoroki, der schwer atmend auf dem Fensterbrett stand, von dem sich Iida soeben noch abgestoßen hatte und teils erschüttert, teils erleichtert seinen Blick erwiderte. Das Gefühl, das in Iidas Bauchgegend explodierte, erinnerte ihn an Schmetterlingsflügel und schwappende Meereswellen. Todoroki hatte ihm den Hals gerettet, indem er rechtzeitig reagiert hatte. Die Ladung Eis, die sich unter Iida manifestiert hatte und auf der er nun holpernd, den strampelnden Stormmaker wieder eisern an sich drückend, hinunterrutschte, war weitflächig und alles andere als perfekt geformt. Allein daran erkannte man, dass Todoroki nicht viel Zeit gehabt hatte. Iida beschwerte sich nicht, auch wenn er sich bei der Rutschpartie einige blaue Flecken einholte und ein abstehender Eiszapfen, gegen den er unkontrolliert stieß, seinen Helm vom Kopf riss. Kälte wehte Iida ins verschwitzte Gesicht, doch wenige Augenblicke später endete Todorokis Eis bereits und er kullerte ächzend über den Asphalt. Iida spürte seine Beine zittern, ob vor Angst, die immer noch in seinen Gliedern steckte, oder vor Anstrengung, wollte er in diesem Moment gar nicht wissen. Stattdessen warf er sich sofort auf Stormmaker, der die Gelegenheit hatte nutzen und sich unbemerkt aufrappeln wollen, und drückte ihn mit seinem gesamten Körpergewicht zurück auf den Boden. „Lass los!“, heulte der hochgewachsene Mann, doch Iida ignorierte ihn. Er war außerdem noch zu sehr außer Puste, um etwas zu sagen. Hinter sich hörte er etwas übers Eis schleifen, das sich fast wie Schlittschuhe anhörte. In Wahrheit war es jedoch Todoroki, der sehr viel eleganter und geschickter aus dem zweiten Stock gerutscht kam. Leichtfüßig sprang er an Iidas Seite. „Die Handschellen, Todoroki-kun“, wies dieser sofort an, obwohl er sich dabei unwohl fühlte. Iida schluckte seine Zweifel, ob er in seiner aktuellen Lage überhaupt das Recht hatte, seinen Freund zu etwas aufzufordern, wenn er gerade eine riesengroße Dummheit begangen hatte, hinunter. Wie hatte er sich nur so verrechnen können? Eine Frage lag auf Todorokis Lippen, doch aus den Augenwinkeln sah Iida, dass er diese wieder schloss und die gewünschten Handschellen von Iidas Kostüm löste. Dieser nahm sie entgegen und legte sie Stormmaker an, der röchelnd versuchte Iidas Gewicht abzuschütteln. Er hatte keine Chance. Erst, als Iida sich sicher war, dass er mit keiner Gegenwehr mehr zu rechnen hatte und Stormmaker die Beine anwinkelte, sich zu einem jämmerlichen Bündel zusammenfaltete, leise vor sich hin wimmernd, stand er auf. „Bist du verletzt?“, fragte Todoroki, auf dessen Gesicht nichts von dem üblichen kühlen, matten Blick zu sehen war. Er starrte Iida mit einer Ernsthaftigkeit und Sorge an, die alle Schuldgefühle nur noch verstärkte. „Nein, alles in Ordnung“, erwiderte Iida, als er seine Stimme endlich wiederfand. „Und das habe ich dir zu verdanken.“ Ob Todoroki seinen Dank annahm oder ihn ignorierte, konnte Iida an seiner Reaktion nicht erkennen. Es gab nämlich keine. „Das war gefährlich“, sagte er stattdessen, als wüsste Iida das nicht schon längst. Bitter presste er die Lippen aufeinander und richtete sich die Brille, die leicht von seiner Nase rutschte. Sein Gesicht war noch immer völlig verschwitzt. „Es war leichtsinnig“, gab er Todoroki Recht. „Ich habe den Gegenwind nicht mit einberechnet, das war unklug. Ich hätte mich noch fester abstoßen müssen. Zugegeben, der Plan war improvisiert, aber mir ist nichts anderes eingefallen und –“ „Iida“, unterbrach Todoroki seine verbale Selbstgeißelung. „Dafür hast du mich.“ Perplex weiteten sich Iidas Augen und alle weiteren Worte blieben ihm im Hals stecken. Voller Unverständnis starrte er Todoroki an, der sich nicht die Mühe machte, um seine Aussage zu erläutern. Endlose Sekunden lang verharrte Iida bewegungslos, Todoroki ebenfalls. Der Plan war riskant gewesen, aber zu dem Zeitpunkt, an dem er sich für sein Handeln entschieden hatte, war er davon überzeugt gewesen. Genauso schnell hatte Todoroki akzeptiert, dass er die unterstützende Rolle einnahm. Vielleicht war es das, was er meinte. Partner und Freunde waren dafür da, einander den Rücken freizuhalten. Mit diesen eigenen Schlussfolgerungen konnte Iida, wenn auch leicht beschämt, leben. Peinlich berührt senkte er den Kopf und verbeugte sich steif vor Todoroki. Die Geste passte nicht, war unbeholfen und zu distanziert, um das zum Ausdruck zu bringen, was in seinem Inneren vorging, aber Iida hatte keine Erfahrung darin, wie man dies tat. Todoroki genauso wenig, weshalb auch er nichts weiter unternahm. „Der Regen hört auf“, sagte Todoroki. „Der Wind wird auch schwächer“, sagte Iida. Er sah zu Stormmaker hinüber, der seine Niederlage anscheinend langsam zu akzeptieren schien. Iidas Herzschlag beruhigte sich allmählich wieder. Es war brenzlig gewesen, aber sie hatten es geschafft – gemeinsam. Genau so, wie man es ihnen drei Jahre lang beigebracht hatte. „Wir sollten uns nun um ihn kümmern“, schlug Todoroki vor und Iida nickte, bereits nach Stormmakers Arm greifend, um ihn auf die Beine zu hieven. In diesem Moment begann der Schurke leise zu kichern. Mitten in der Bewegung erstarrte Iida und ein unangenehmer Schauer schlängelte sich seinen Rücken hinab. „Was –?“, hörte er Todoroki japsen, doch er sah es auch. Die quirkeinschränkenden Handschellen waren nicht defekt, das war völlig unmöglich. Wer mit ihnen in Berührung kam, konnte kaum ein Zehntel seiner Fähigkeiten einsetzen. Es war ausgeschlossen, dass Stormmaker dazu in der Lage war. Und doch hatte es in im westlichen Viertel der Stadt angefangen zu schneien. SchneeFall ---------- Mit großen Augen las Uraraka die Nachricht, die Midoriya ihr geschickt hatte. Dabei stolperte sie beinahe über ihre eignen Füße, denn gleichzeitig versuchte sie immer noch mit Bakugou schrittzuhalten. „Bakugou-kun! Warte!“, rief sie schwer atmend. „Deku-kun hat mir eine wichtige Nachricht geschrieben, die dich –“ Weiter kam sie nicht, da Bakugou sie mit einem abwertenden „Huh?!“ unterbrach. Er fletschte die Zähne und warf einen genervten Blick über die Schulter, sein Tempo jedoch kein bisschen drosselnd. „Was interessiert mich eine beschissene Nachricht von dem Loser?!“ Uraraka plusterte die Wangen auf, bereute es jedoch zutiefst, nicht mehr auf ihre Formulierung geachtet zu haben. Es war kein Geheimnis, wie empfindlich Bakugou allein auf die Erwähnung von Midoriyas Namen reagierte. Es war also nicht die klügste Entscheidung gewesen, sich seine Aufmerksamkeit auf diese Weise verschaffen zu wollen. Uraraka hatte keine andere Wahl, als mit der Tür ins Haus zu fallen. „Es ist nicht ein Schurke. Es sind mehrere“, rief sie. Erleichterung durchströmte sie, als ihre Worte den gewünschten Effekt mit sich brachten: Bakugou bremste ab. „Huh?!“, wiederholte er, dieses Mal jedoch verwirrt und drehte sich zu ihr um. „Was hast du gesagt?“ Völlig außer Puste blieb Uraraka vor ihm stehen und deutete in den Himmel. „Es hat aufgehört zu regnen. Hat dich das nicht nachdenklich gemacht?“ Flüchtig folgte Bakugous Blick ihrer Handgeste, doch der harte Zug, der sich um seinen Mund legte, sagte Uraraka alles, was sie wissen musste: Es war ihm in seinem Tatendrang kaum oder gar nicht aufgefallen. „Es sind also mehrere, fein. Egal, wie viele es sind, ich werde sie so oder so in Stücke reißen.“ Ein manisch anmutendes Grinsen zog sich über Bakugous Gesicht, das Uraraka nach drei gemeinsamen Schuljahren jedoch kein bisschen mehr überraschte. Sie würde es zwar nie laut aussprechen, aber ein Großteil seiner Verhaltensweisen war mühelos vorherzusehen. „Wir müssen vorsichtig sein, Bakugou-kun“, sagte sie und nutzte die Gelegenheit, um zu ihm aufzuschließen. Sie machte sich keine Illusionen – gleich würde er sie wieder abhängen, aber solang sie sich Gehör verschafft hatte, musste sie ihre Chance ergreifen. „Wir haben keine Ahnung, was die anderen Bösewichte für Fähigkeiten haben.“ Bakugou warf ihr einen fast schon provozierenden Blick zu. „Streck die Hand aus“, forderte er, was Uraraka verblüfft zusammenzucken ließ. „Was?“ „Bist du taub?! Streck die Hand aus, habe ich gesagt.“ Zögerlich tat Uraraka wie ihr geheißen. Sie hob den Arm und streckte die Hand vor dem Körper aus. Im ersten Moment fragte sie sich, ob Bakugou endgültig die Schnauze voll hatte und sie ergreifen wollte, um sie ans andere Ende der Straße zu schleudern, doch als er keine Anstalten machte, seine eigene zu heben, runzelte Uraraka irritiert die Stirn. Sie sah ihre Hand an. Und dann bemerkte sie etwas: Feine Schneeflocken fielen vom Himmel und schmolzen auf ihrer Haut. Bakugou schnaufte. „Glaubst du immer noch, dass wir nicht wissen, welche Fähigkeiten der Rest dieser Arschlöcher hat, Mondgesicht?“ „Regen und Schnee“, fasste Uraraka zusammen, womit sie das Offensichtliche aussprach und Bakugou nur wieder nervte, denn er verzog missbilligend das Gesicht. Er ließ sie dieses Mal zwar Schritt halten, allerdings schien er nur langsamer zu werden, weil die bisher vereinzelten Schneeflocken dichter und größer wurden. „Der Gedanke liegt nicht fern, dass die anderen – egal wie viele es sind – ebenfalls auf irgendeine Weise das Wetter verändern können“, murmelte Uraraka und spürte, wie die Luft um sie herum langsam kälter wurde. Beim Sprechen stieß sie kleine Wolken aus. „Sag mal, musst du eigentlich immer laut denken? Dein Gelaber geht mir dermaßen auf den Keks, das glaubst du gar nicht“, knurrte Bakugou und warf ihr einen anklagenden Blick zu, der Uraraka durch Mark und Bein ging. „Wir sind ein Team“, erwiderte sie. Es sollte überzeugt und nachdrücklich klingen, aber sie war sich nicht sicher, ob ihr dies gelang, denn er zeigte sich unbeeindruckt. „Du wolltest, dass wir eins bilden“, setzte Uraraka noch einen drauf und als Bakugou urplötzlich erstarrte, wusste sie, dass sie es zu weit getrieben hatte. Fest presste sie die Lippen aufeinander, nahm ihre Worte aber nicht zurück, denn sie entsprachen der Wahrheit. Es hatte sie selbst überrascht, als Bakugou gefragt… nun, nein, eher verkündet hatte, dass sie mit ihm kommen würde, wenn sie auf Stormmaker Jagd machten – der, wie sich nun herausstellte, Komplizen hatte. Wieso Bakugou darauf bestanden hatte, hatte sie bisher nicht in Erfahrung gebracht. Gleichzeitig war es Uraraka aber auch immer noch ein Rätsel, weshalb sie protestlos zugestimmt hatte. Er jagte ihr bei Weitem nicht mehr so viel Angst ein, dass sie es damit erklären könnte. „Hast du ein Problem damit?!“, riss seine barsche Stimme sie aus ihren Gedanken. „N-nein.“ Bakugous Kieferknochen verschob sich und sah so aus, als könne er damit Steine zerschlagen. Seine Augen verengten sich, schimmerten durch die schwarze Umrandung nur noch intensiver. „Bilde dir bloß nichts darauf ein, hörst du? Du warst das kleinste Übel. Die einzige Alternative, die es gab. Im Gegensatz zum Rest der Versager bist du nämlich kein vollkommen hoffnungsloser Fall.“ Mit diesen Worten, die er Uraraka wie ein Maschinengewehr entgegen spuckte, wandte sich Bakugou von ihr ab und stapfe davon. Verdutzt starrte sie ihm hinterher. Es dauerte endlose Sekunden lang, bis ihr Gehirn verarbeitet hatte, dass Bakugou ihr so etwas wie ein Kompliment gemacht hatte – ein äußerst verqueres, aber nichtsdestotrotz ein Kompliment. Uraraka spürte, wie ihr Wärme in die Wangen stieg, obwohl es um sie herum immer eisiger wurde. Selbst Bakugou kam nicht mehr so schnell voran wie vor wenigen Minuten noch und so war es ihr ein Leichtes, ihn dieses Mal problemlos einzuholen. „Hör auf mit den Zähnen zu klappern“, wies Bakugou sie gereizt an. „Sonst hört man uns.“ Uraraka war sich bisher nicht bewusst gewesen, wie sehr sie angefangen hatte zu frieren. Die Temperaturen waren innerhalb weniger Sekunden wieder um ein paar Grad gesunken, was nur eins heißen konnte: Dass sie dem Verantwortlichen immer näher kamen. Dies schien Bakugou instinktiv zu wissen, denn er sah sich wachsam um. Uraraka hatte dieses Wissen der Nachricht von Midoriya entnommen. Dieser hatte ihr mitgeteilt, dass er und sein Team gegen einen Schurken gekämpft hatten, der Hitze kontrollieren konnte. Als Uraraka von einem besonders heftigen Zittern ergriffen wurde, keimte tatsächlich so etwas wie Neid in ihr auf. Wieso mussten ausgerechnet sie der immer dichter werdenden Schneelandschaft entgegen? Kurz überlegte sie, ob es sinnvoll war, Bakugou über Midoriyas Kampf zu informieren, doch sie entschied sich dagegen. Sie wollte ihn nicht noch weiter provozieren – er würde es sicher noch früh genug erfahren. Wichtig war nun erst einmal, dass sie mit der unerwarteten Wendung klarkamen. Im Grunde änderte sich ihre Aufgabe jedoch nicht: Sie mussten dem Schurken das Handwerk legen. Ihr einziger Nachteil bestand nun darin, dass sie sich auf völlig andere Fähigkeiten eingestellt hatten. Dies war schon längst nichts mehr, das Uraraka aus der Bahn warf. Fest presste sie die Zähne aufeinander, um keine unnötigen Geräusche mehr von sich zu geben und ballte die bebenden Hände zu Fäusten. Bakugou schien die Kälte besser wegzustecken als sie – oder er ließ sich nicht anmerken, wie sehr sie ihn störte. Er mochte ein impulsives Großmaul sein, aber er ging heute vorsichtiger vor als sonst. Er schien keinen Fehler begehen zu wollen. Plötzlich wurde sie grob am Arm gepackt und gegen eine Gebäudemauer gedrückt. Sie verkniff sich jedweden Schmerzenslaut, als sie sah, dass es Bakugous Hand war, die sich unangenehm in ihre Schulter bohrte, um sie an Ort und Stelle zu halten, aber ein empörter Protest lag ihr dennoch auf den Lippen. Auch diesen unterdrückte sie nur, weil sie früh genug Bakugous Profil ins Visier nahm. Sein konzentrierter Blick lag nicht auf ihr, sondern auf einem Punk in der Ferne. Er sah nach oben und verharrte endlose Sekunden lang – lang genug, dass Uraraka spüren konnte, wie es ihrer beider Körperwärme wegen wärmer um sie herum wurde. Ihre Schulter tat weh, aber statt mit Bakugou zu schimpfen, beugte sie sich dezent vor, um in dieselbe Richtung schielen zu können. „Du kannst mich loslassen, Bakugou-kun“, flüsterte Uraraka. Es überraschte sie, dass Bakugou bei diesen Worten erschrocken zusammenzuckte. Wie von der Tarantel gestochen, zog er die Hand zurück, als wäre ihm erst jetzt aufgefallen, dass er sie noch immer festhielt. „Auf dem Dach“, sagte er kurz angebunden. Uraraka folgte seinem Deut und entdeckte nun auch die Gestalt, die auf einem der höheren Gebäude stand. Es war ein Einkaufszentrum, in dem es nur von Menschen wimmelte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus. Wollte der Schneeschurke sie in die Falle locken? Es war auffällig, dass er sich nicht besser versteckte. „Er weiß, dass wir nur eingeschränkt handeln können, wenn wir von so vielen Zivilisten umgeben sind“, sagte Uraraka atemlos. Bakugou gab ein grunzendes Geräusch von sich, das nach einer Zustimmung klang. Diese Tatsache war vermutlich auch die einzige, die ihn davon abgehalten hatte, einfach loszustürmen. Unwillkürlich hoben sich bei diesem Gedanken Urarakas Mundwinkel, denn egal wie man es drehte und wendete – selbst der größte Hitzkopf unter ihnen war in den letzten drei Jahren gereift. „Wir greifen an.“ Oder auch nicht. „Wir können nicht einfach so –“, protestierte Uraraka aufgebracht. „Habe ich gesagt, dass wir einfach so angreifen?“, unterbrach Bakugou sie und seine Stimme überschlug sich. „Sperr zuerst die Lauscher auf, Mondgesicht, bevor du das Maul aufreißt.“ Sprachlos starrte Uraraka ihn an. Nun keimte auch in ihr die Wut auf. „Das würde ich vielleicht tun, wenn du aufhören würdest so mit mir zu sprechen!“, spuckte sie ihm entgegen und obwohl sie immer noch flüsterte, schienen ihre Worte dennoch zu Bakugou durchzudringen. Er blinzelte sie nämlich verdutzt an. Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, dann huschte sofort wieder ein unheilverkündender Schatten über sein Gesicht. Doch Uraraka hatte genug. Sie hatte keine Lust, sich weitere Beleidigungen anzuhören. Sie hatten wichtigere Dinge zu erledigen. Ohne darauf zu warten, dass Bakugou ihr seinen Plan erklärte, setzte sie sich in Bewegung. „Mondgesicht!“, rief er ihr perplex hinterher, doch sie beachtete ihn nicht, sondern kämpfte sich zielstrebig durch den anhaltenden Schneesturm. Sie hielt beide Arme vor den Kopf, um sich vor dem Schneegestöber abzuschirmen. „Oi! Verdammt nochmal, komm zurück!“ Sie erreichte die gegenüberliegende Straßenseite und somit den Eingang zum Einkaufszentrum. „Uraraka!“ Nur für einen kurzen Augenblick blieb sie stehen, doch sie widerstand dem Drang, sich umzudrehen. Stattdessen verschwand sie im Inneren des Gebäudes. Die plötzliche Wärme, die sie umhüllte, war eine Wohltat. Uraraka seufzte leise und schüttelte sich, als ein Schauer, verursacht durch den Temperaturunterschied, ihren Rücken hinaufkroch. Sie war stolz auf sich, Bakugou dort draußen stehen gelassen zu haben, aber zeitgleich meldeten sich auch die Zweifel in ihrem Kopf. Sollten sie nicht als Team zusammenarbeiten? Dass sie es sein würde, die sich querstellte, wäre Uraraka nie im Traum eingefallen, aber es geschah nicht zum ersten Mal, dass Bakugous Worte sie mehr trafen, als es früher der Fall gewesen war. Die Schuljahre hatten sie zusammengeschweißt – sie alle. Und von einem Klassenkameraden so behandelt zu werden, stimmte sie traurig, insbesondere, da sich ihre Wege bald trennen würden. Um die unangenehmen Gedanken zu verjagen, klopfte Uraraka zweimal gegen ihre Wangen. „Konzentration!“, murmelte sie sich selbst zu und sah sich anschließend aufmerksam um. Ihr Problem mit Bakugou würde sie lösen, sobald sie sich einen Überblick verschafft hatte. Als Uraraka die vielen Menschen erblickte, die sich in der Eingangshalle des Einkaufszentrums befanden, um vor dem schlechten Wetter Schutz zu suchen, riss sie die Augen auf. Erschrocken japsend, hielt sie die Hand vor den Mund, denn plötzlich machte es Sinn. Die angenehme Atmosphäre war augenblicklich vergessen, diese würde sich – wenn ihre Intuition sie nicht im Stich ließ – jeden Augenblick verändern. Uraraka drehte sich auf dem Absatz um und stürmte hinaus. Die angespannte Situation mit Bakugou war unwichtig, spielte in Anbetracht der Umstände überhaupt keine Rolle mehr. Obwohl sie sich dagegen wehrte, ergriff Panik die Kontrolle über ihr Handeln. Schwer atmend bremste Uraraka auf der Straße ab. „Bakugou-kun?!“, rief sie, sich verzweifelt nach ihm umsehend. Allein konnte sie nichts ausrichten. Sie war sich nicht einmal sicher, ob zwei Personen genug waren, aber sie fürchtete, dass sie keine Zeit hatte, um zusätzliche Hilfe zu rufen. Ein Knistern ließ Uraraka zusammenzucken. Sie wirbelte herum und entdeckte Bakugou, keine vier Meter von ihr entfernt, die Vorderwand des Hochhauses hinauf starrend. In ihrer Unruhe hatte sie ihn nicht bemerkt. Erleichterung durchströmte Uraraka und sie machte bereits einen Schritt auf ihn zu, als ihr auffiel, dass… etwas nicht stimmte. Mitten in der Bewegung blieb sie stehen. Das Gefühl der Erleichterung verpuffte mit einem Schlag. „Bakugou-kun…?“, murmelte sie besorgt, als sie beobachten durfte, wie seine Hände Funken sprühten, aber sofort wieder erloschen, als würde jemand die Explosion im Keim ersticken. Bakugous erzürnter Gesichtsausdruck sprach Bände – er war es nicht, der sich zurückhielt. Angestrengt versuchte er seine Fähigkeiten einzusetzen, die offenen Handflächen gen Boden richtend, doch mehr als ein einen winzigen Knall brachte er nicht zustande. „Was ist passiert?“, japste Uraraka. Mit dem vielen Schnee in den aschblonden Haaren und den vor Wut bebenden Schultern, wirkte Bakugou beinahe verzweifelt. Der Anblick ließ Uraraka die Luft anhalten. Etwas in ihrer Brust zog sich unangenehm zusammen. Fuchsteufelswild funkelten die roten Augen, die sie anvisierten. „Das geht dich nichts an!“, blaffe Bakugou sie an. „Wolltest du Hasenhirn das nicht eh im Alleingang durchziehen, huh?“ Peinlich berührt senkte Uraraka den Blick, doch selbst ihr Schuldbewusstsein lenkte sie nicht lange genug von dem offensichtlichen Problem ab, das Bakugou hatte. Als sie vorsichtig noch einen Schritt auf ihn zumachte, sah sie, dass er zitterte. Uraraka hatte in der Vergangenheit oft genug mit angesehen, wie er aus der Haut fuhr, um zu wissen, auf welche Anzeichen zu achten war. Bakugou schlotterte nicht. Und wenn er es doch tat – so wie jetzt – dann hatte es einen anderen Grund. Plötzlich fiel der Groschen. Er zitterte vor Kälte und schwitzte nicht genügend, um seine Explosionen einsetzen zu können. „Was hast du vor?“, fragte Uraraka und versuchte in der Zwischenzeit ihr neues Wissen zu verarbeiten. Der Schneesturm und die niedrigen Temperaturen waren das Schlimmste, das jemandem wie Bakugou passieren konnte. Im Augenblick waren seine Fähigkeiten nutzlos und Uraraka wollte sich kaum ausmalen, wie er sich damit fühlte. „Ich wähle den kürzesten Weg nach oben zu diesem Feigling, was denn sonst?“, fauchte er sie an und rieb seine Hände aneinander, um einen neuen Versuch zu starten, sich mit der Antriebskraft seiner Explosionen vom Boden abzustoßen. Bakugous Worte erinnerten Uraraka daran, weshalb sie aus dem Einkaufszentrum gestürmt war. „Ah!“, japste sie. „Bakugou-kun! Ich glaube, es gibt einen Grund, weshalb der Schurke sich auf dem Dach aufhält. Er wartet, bis sich so viele Menschen wie möglich vor dem Schnee in Sicherheit bringen, um dann anzugreifen. Ich glaube, er hat es auf die Unschuldigen abgesehen!“ Mit jedem weiteren Wort gestikulierte Uraraka immer heftiger mit den Händen. Bakugou runzelte die Stirn, ehe er pikiert eine Augenbraue hob. Anscheinend versuchte er ihrem Gedankengang zu folgen. Er schwieg endlose Sekunden lang, dann schnaufte er abfällig. „Dann weißt du ja, was du zu tun hast“, sagte er. Seinen Worten fehlte die übliche Schärfe. Verständnislos sah Uraraka ihn an, was ihn dazu veranlasste, mit den Augen zu rollen. „Du wirst den Menschen helfen. Ist es nicht das, was du tun willst?“ Uraraka machte ein Gesicht, als hätte er sie geohrfeigt, obwohl es die freundlichsten Worte waren, die Bakugou jemals an sie gerichtet hatte. Entgeistert starrte sie ihn an. „Woher weißt du das?“, quietschte sie ertappt. „Ich meine… Ich habe nie mit jemandem darüber gesprochen, dass ich…“ Nuschelnd ließ Uraraka den Rest des Satzes untergehen und presste die Lippen aufeinander. Der Wunsch, der in ihrem ersten Schuljahr in ihr aufgekeimt war, wuchs auch heute noch und war präsenter denn je. „Glaubst du, ich habe keine Augen im Kopf?!“, erwiderte Bakugou barsch. „Man sieht, wie du dir den Arsch aufreißt, Worte sind da nicht nötig.“ Fassungslos öffnete Uraraka den Mund, doch sie konnte keinen vernünftigen Satz formulieren. Die Tatsache, dass Bakugou ihr tiefster Wunsch nicht nur aufgefallen war, sondern auch ihre Bemühen, ihn zu erfüllen, erschütterte sie zutiefst. Ihr Herzschlag beschleunigte hörbar und sie spürte, wie die Verlegenheit ihr Gesicht wärmte – besser, als es in dieser kalten Schneelandschaft jeder Heizkörper gekonnt hätte. Bakugous Bemerkung verriet ihr nämlich noch etwas anderes: Er hatte sie beobachtet. In welcher Form und wie oft, vermochte Uraraka nicht einzuschätzen, aber jedwede Maske der Gleichgültigkeit und Ablehnung, die er aufsetzte, war letzten Endes nichts weiter als das – eine Maske. „Geh“, wies er sie ungeduldig an. „Geh und rette die Menschen. Ich kümmere mich um diesen Bastard da oben.“ Uraraka vernahm seine Worte, doch sie rührte sich nicht vom Fleck. Er hatte irgendetwas in ihr berührt, das sich in diesem Moment zu bewegen begann. Es war, als hätte er einen Hebel umgelegt, der alle Unsicherheit ausgeschaltet hatte. „Nein“, erwiderte sie ruhig und trat an seine Seite. „Ich werde ihn in dieser Kälte schneller erreichen als du.“ Aufgebracht zogen sich Bakugous Augenbrauen zusammen. Bevor er jedoch den Fluch ausstoßen konnte, der ihm eindeutig auf den Lippen lag, hatte Uraraka bereits die Fingerkuppen ihrer Hände aneinandergelegt. Schon im nächsten Augenblick erhob sie sich in die Lüfte. „Es tut mir leid, Bakugou-kun“, sagte Uraraka, als er mit einem empörten Ausruf versuchte nach ihr zu fassen, um sie zurück auf den Boden zu ziehen. Er verfehlte sie um wenige Zentimeter. „Kümmer du dich bitte um die Evakuierung“, bat sie und schwebte immer höher, bis Bakugou nur noch ein kleiner Punkt auf der Straße war. Entschlossen richtete Uraraka ihren Blick nach oben, während sie versuchte ihr Gleichgewicht zu halten. Der Wind, der an ihrem Körper zerrte, ließ sie immer wieder gegen die Hauswand stoßen. Es kostete sie all ihre Konzentration, den Schwindel und die Übelkeit, die sich mit jedem Meter intensivierten, in Schach zu halten. Uraraka fühlte ihre Hände nicht mehr und war sich sicher, dass sie mittlerweile zu Eisbrocken geworden waren, doch die Dachkante kam immer näher, weshalb sie es ignorierte – genauso wie die eisige Luft, die sie einatmete oder die Tränen, die ihr über die Wangen flossen, weil der beißende Wind seinen Tribut forderte. Zu atmen fiel ihr mit jeder Sekunde immer schwieriger, doch als Uraraka endlich den Arm ausstreckte und die Kante zu fassen bekam, durchströmte sie ein euphorisches Gefühl, das völlig ausblendete, dass nun ein Treffen mit dem Schneeschurken auf sie wartete. Ächzend hievte sich Uraraka auf das Dach und schnappte nach Luft. Ihr Magen rumorte aufgebracht und sie würgte ein paar Mal, doch da sie heute Morgen vor Aufregung kaum etwas Essbares zu sich genommen hatte, hatte ihr Magen keine Möglichkeit, auf andere Weise zu rebellieren. Mit dem Ärmel wischte sie sich über die Augen, um den Tränenschleier hinfort zu wischen und hob den Kopf. „Du hast es also bis hierher geschafft“, erklang eine weiche Stimme. Als Uraraka das zarte Gesicht und die perfekt geschminkten Lippen erblickte, staunte sie nicht schlecht. Die Frau mittleren Alters trug einen perfekt geschneiderten Anzug, hatte einen Kurzhaarschnitt und lange Fingernägel, mit denen sie schmunzelnd gegen ihre blasse Wange tippte. So hatte sie sich den schneesturmschaffenden Bösewicht nicht vorgestellt. Als wäre der Boden unter ihren Füßen nicht von einer Schneeschicht bedeckt, stolzierte sie auf hohen Stöckelschuhen auf Uraraka zu. Diese rappelte sich taumelnd auf. Sie hatte sich nicht überlegt, wie sie gegen ihren Gegner antreten sollte – ihr Plan endete mit dem Erreichen des Dachs. Instinktiv machte Uraraka ein paar Schritte zur Seite und eilte dann in Richtung Dachmitte, die ihr am sichersten vorkam. Sie war sich nämlich bewusst, dass sie eine Pause brauchte, bevor sie ihre Fähigkeiten erneut anwenden konnte. „Oh? Hast du süßes Ding Angst vor mir?“, kicherte die Frau und breitete ihre Arme in einer gespielt unschuldigen Geste aus. „Ich will dir doch nichts tun, meine Liebe.“ „Wer bist du?“, forderte Uraraka zu wissen. „Man nennt mich Snowflake. Nicht besonders seriös, aber niedlich. Die Fehler der Jugend verfolgen einen bis ins Erwachsenenleben.“ Snowflake seufzte theatralisch, ehe sie mit den Schultern zuckte. „Aber ich werde es schon überleben. Die Frage ist – wirst du?“ Snowflakes Augen blitzten auf und im nächsten Moment wehte Uraraka eine Ladung Schnee entgegen. Erschrocken sprang sie zur Seite, konnte das Gleichgewicht jedoch nicht halten und rutschte auf dem nassen Schnee aus. „Stormmaker hat ganze Arbeit geleistet, findest du nicht auch?“, zwitscherte Snowflake und zwirbelte eine dunkle Haarsträhne zwischen den Fingern. „Kombiniert mit meinem Schnee… Nun, ich denke, du hast gemerkt, wie rutschig es hier oben ist.“ Hastig kam Uraraka wieder auf die Beine. „Wieso hast du so viele Menschen im Einkaufszentrum versammelt?“, fragte sie und funkelte Snowflake an. „Oh? Es ist dir also aufgefallen, sehr schön“, lobte diese amüsiert. „Aber was wäre ich für ein Schurke, wenn ich dir meinen Plan verraten würde? Ich sage nur so viel: Hast du dich schon mal gefragt, wie viel Schnee in so ein großes Gebäude passt?“ Schockiert riss Uraraka die Augen auf. Der Hinweis war mehr als genug, um ihr eine etwaige Vorstellung davon zu geben, was Snowflake geplant hatte. „Das lasse ich nicht zu!“, rief sie und begab sich in Kampfstellung. Der Anblick brachte Snowflake zum Lachen, aber Uraraka ließ sich davon nicht beirren. Sie nahm sich fest vor, Gunhead und seinem Heldenbüro alle Ehre zu machen, bis ihr das Lachen im Hals stecken blieb. Sie wollte um jeden Preis einen Nahkampf provozieren, doch die nächste Attacke, die folgte, war eine erneute Schneewindhose. Uraraka wurde zurückgeworfen. Nur mit Mühe konnte sie sich gegen den Druck stemmen, wurde aber erneut in die Defensive gezwungen. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, stieß sie sich vom Boden ab und warf sich zur Seite. Sie rollte ab, entkam somit der Druckwelle und rappelte sich sofort wieder auf. Sie durfte nicht zögern. Bevor Snowflake abermals einen Angriff starten konnte, stürzte Uraraka auf sie zu. Sie konnte den Schnee kontrollieren, aber auch sie war nicht immun gegen das Glatteis, das sich unter der weißen Schicht gebildet hatte. Mit der Faust holte Uraraka aus, ließ sie auf Snowflake zu schnellen, als sie nur noch ein halber Meter trennte und – „Argh!“ Ein harter Schneeball traf sie direkt an der Wange. Der Schmerz vibrierte bis tief in die Kieferknochen hinein. Uraraka, die instinktiv die Augen geschlossen hatte, verlor die Orientierung und wurde von einer weiteren Lawine ergriffen. Schwerer Schnee drückte sie zu Boden, legte sich wie eine Decke über ihren Körper. Eiskristalle spuckend, die in ihren Mund gelangt waren, strampelte sie verzweifelt und versuchte wieder aufzustehen, doch es gelang ihr nicht. Sie durfte nicht verlieren! Nicht, wenn so viele Menschenleben auf dem Spiel standen. Sie musste noch mehr Zeit schinden, noch mehr – Die ohrenbetäubende Explosion, die aus dem Nichts kam, ließ sie zusammenzucken. Die Tür, die ins Treppenhaus führte, flog im hohen Bogen aus den Angeln und inmitten des Rauchs, der sich auf dem Dach ausbreitete, manifestierte sich eine Gestalt. Wie ein feuerspuckender Drache schnaufte Bakugou, ein wahnsinniges Funkeln in den blutunterlaufenen Augen. In gebückter Haltung, die Arme zu den Seiten ausgestreckt und mit knisternden Explosionen, die seine Handflächen umspielten, stapfte er auf Snowflake zu, die in ihrer liegenden Position erstarrten Uraraka kein Stück beachtend. „Zehn – verfluchte – Stockwerke! Wer – auch – immer – diese – scheiß – Treppen – erfunden – hat – gehört – gesteinigt!“, röchelte er abgebrochen, doch dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. „Aber heute – hat er mir – damit einen Gefallen getan.“ „Bakugou-kun“, wisperte Uraraka und ihr Gesicht hellte sich auf. Schweiß glänzte auf Bakugous Schläfen. Indem er den ganzen Weg bis nach oben gelaufen war, hatte er seinen Körper dazu gebracht, wieder vollends einsatzbereit zu sein. „Was liegst du da mit Schnee rum, Mondgesicht, huh?!“, meckerte er. „Wir sind hier noch nicht fertig.“ So schnell es ihr möglich war, richtete sich Uraraka wieder auf und klopfte den Schnee von ihren Beinen. „Was ist mit den Menschen?“, erkundigte sie sich besorgt. „Was soll mit ihnen sein?“, konterte er genervt. „Die sind draußen und frieren sich wieder den Arsch ab.“ Erleichterung durchströmte Uraraka. Sie war sich nicht sicher gewesen, ob Bakugou ihrer Bitte Folge leisten würde, aber er schien es geschafft zu haben, alle zu evakuieren. Sie würde später fragen, wie er das zustande gebracht hatte. „Oh, klug von euch“, mischte sich Snowflake ein. „Vielleicht sollte ich also… das Gebäude zum Einsturz bringen?“ Gespielt nachdenklich legte sie den Kopf schief. Noch ehe Uraraka irgendetwas sagen oder tun konnte, pirschte Bakugou bereits auf sie zu. „Halt den Mund, alte Gans!“, begehrte er auf. „Ich habe genug von diesem Mistwetter!“ Zwei mittelgroße Explosionen formten sich in seinen Händen. Verärgert drückte er sie Snowflake entgegen. Diese rührte sich nicht von der Stelle und streckte lediglich den Arm zur Seite aus. Und lächelte. Es war eine simple, wischende Armbewegung, die Uraraka in die Lüfte erhob. Im ersten Moment fragte sie sich perplex, ob sie versehentlich ihre Fähigkeiten aktiviert hatte, doch der um sie herum wirbelnde Schnee löste das Rätsel ihres plötzlichen Schwebens sofort. Sie wurde zurückgedrückt, unaufhaltsam und konnte für einen Augenblick die Szene auf dem Dach wie in Zeitlupe beobachten. Bakugou bremste im letzten Moment vor Snowflake ab, die der fliegenden Uraraka überheblich hinterher sah. Er riss den Kopf in ihre Richtung und es waren rote Augen, in denen ein Sturm wütete, dem aktuellen Wetter nicht unähnlich, denen Uraraka begegnete, ehe sie meterweit über die Dachkante geschleudert wurde. Von Panik ergriffen versuchte sie die Fingerspitzen beider Hände einander anzunähern, doch ein Ruck und dann ein Ziehen beeinträchtigten ihre Zielgenauigkeit. Sie fiel. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit verlor ausgerechnet Uravity den Kampf gegen die Erdanziehungskraft. Der Wind rauschte in ihren Ohren, als sie mehrmals um ihre eigene Achse gedreht wurde und schneller als die Schneeflocken gen Boden raste. Uraraka wollte schreien, rufen, aber kein Ton schaffte es aus ihrer Kehle. Noch immer versuchte sie die Kontrolle über ihre Gliedmaßen zurückzugewinnen, um ihre Fallgeschwindigkeit zu drosseln, aber es blieb ihr kaum Zeit. Sie war da, direkt vor ihr – die schneebedeckte Straße, auf der sich Menschen tummelten. Diese stießen die Schreie aus, zu denen Uraraka nicht in der Lage war und sie hoffte, betete, dass sie auf niemandem landen würde, dass sie – Ihre Fingerspitzen berührten sich. Es war mehr Zufall als gezieltes Handeln, aber augenblicklich spielte alle Erdanziehungskraft keine Rolle mehr. Uraraka bremste ab, doch bevor sie sich darüber freuen konnte, sauste glühende Hitze an ihr vorbei, dann riss sie etwas unsanft zur Seite. „BIST DU KOMPLETT BESCHEUERT GEWORDEN?!“, donnerte Bakugous Stimme an ihrem Ohr, so laut, dass Uraraka sich innerlich von ihrem Trommelfell verabschiedete. „Wieso benutzt du deine verdammten Fähigkeiten nicht?!“ Bakugous fester Griff um ihren Körper tat weh, aber Uraraka konnte spüren, wie sie augenblicklich wieder höher stiegen. Er hatte seine freie Hand nach unten ausgestreckt, um sie mithilfe einer Explosionsladung wieder einige Meter nach oben zu katapultieren. Die Menschentraube zerstreute sich kreischend. „Ich war doch gerade dabei!“, rief sie gegen den Wind, der ihr ins Gesicht peitschte. „Huh?!“ Bakugous Körper verkrampfte sich, entgeistert schielte er in ihre Richtung. Mit den Füßen stieß er sich bei der nächstbesten Gelegenheit vom Gebäude ab. Im hohen Bogen sprang er, Uraraka aus reinem Instinkt immer noch festhaltend, auf die Straße, wo sich keine Menschen befanden. Diese brachen in Jubelschreie aus, kaum dass seine massiven Stiefel den Boden berührten. Uraraka nahm sie jedoch kaum wahr, da sie unsanft von Bakugou abgestellt wurde, ehe er hastig Abstand zwischen sie beide brachte. Er bleckte die Zähne, als er anklagend mit dem Zeigefinger auf sie deutete. „Wieso hast du sie nicht früher benutzt?!“ „Es ging nicht, weil –“ „Es ist deine Schuld, dass dieses Weibsbild uns entkommt!“ „Ich habe –“ „Ich hätte sie fast gehabt, aber du musstest ja vom Dach segeln!“ „Bakugou-kun!“ Lauter als beabsichtigt hallte Urarakas Stimme auf der Straße wider und ließ ihn verblüfft verstummen. Sie holte tief Luft, um sich zu erklären, aber in diesem Moment wurde Uraraka klar, was Bakugou getan hatte. Nun selbst überrumpelt, stieß sie die angestaute Luft wieder aus und blinzelte ihn an. Er hatte… sie retten wollen. Im letzten Moment war es ihr zwar gelungen, ihre Fähigkeiten einzusetzen, aber ihr Sturz hätte selbst für sie schlimm ausgehen können. „Sie hat dich vor die Wahl gestellt“, nuschelte Uraraka kaum hörbar. „Und du hast dich entschieden –“ Nur aus Rücksicht auf Bakugous riesengroßen Stolz, beendete Uraraka ihren Satz nicht. Sie konnte getrost auf einen weiteren Wutanfall verzichten. Die Konsequenzen seiner Handlung würden jedoch nicht lange auf sich warten lassen, weshalb ihre nächsten Worte regelrecht aus ihr heraussprudelten, bevor sie für ihn an Bedeutung verloren. „Danke, Bakugou-kun. Dass du m-meine Sicherheit dem Kampf vorgezogen hast.“ Verlegen wich Uraraka seinem stets stechenden Blick aus. „Bilde dir bloß nichts darauf ein, hast du verstanden?!“, fauchte er und Uraraka nickte. Ihr Lächeln verriet sie jedoch – sie konnte diese Geste der Selbstlosigkeit nicht einfach wieder vergessen. Als ein erschrockenes Raunen durch die versammelte Menschenmasse ging, sprang Bakugou, dem die aktuelle Situation unangenehm zu sein schien, sofort darauf an. Alarmiert sah er zum Ausgang des Einkaufszentrums, aus dem Snowflake stolziert kam. Schwer schluckend, trat Uraraka an seine Seite. „Ich glaube, es ist vorbei, Bakugou-kun“, murmelte sie leise. Er reagierte nicht, aber allein die Tatsache, dass er sich nicht auf die Frau stürzte, sprach Bände. Snowflake blieb vor ihnen stehen, die Augenbrauen streng zusammengezogen. „Ist euch etwas passiert?“, fragte sie, ihre Stimme einen Tick tiefer und sanfter als die, mit der sie auf dem Dach gesprochen hatte. Uraraka schüttelte den Kopf. „Das ist gut. Ihr könnt es euch sicher denken, aber ich beende an dieser Stelle eure Abschlussprüfung. Wenn ihr nicht verletzt seid, dann begebt ihr euch nun am besten zu Eraserhead.“ Geknickt wandte sich Uraraka ab. Dieses Mal war sie es, die vor Bakugou ging. Er unternahm keinen Versuch, mit ihr Schritt zu halten. Es hatte aufgehört zu schneien. LichteinFall ------------ Müde Augen legten sich auf die zwanzig Gesichter, neunzehn davon sichtbar, auf denen sich die unterschiedlichsten Regungen abzeichneten. Manche wirkten zufrieden und selbstsicher, andere waren besorgt und nachdenklich. „Bevor ich die Ergebnisse verkünde, möchte ich mich bei den Profihelden bedanken, die uns heute assistiert haben“, leierte Aizawa monoton herunter. Neben ihm hatten sich die Helden aufgereiht, gegen die seine Klasse an diesem Tag gekämpft hatte. Jeder von ihnen besaß eine Fähigkeit, die mit Wettermanipulation zusammenhing und es somit einfacher gemacht hatte, die Schüler ein wenig hinters Licht zu führen. Ihnen war mit voller Absicht nur die – zum Teil falsche – Identität von Stormmaker preisgegeben worden, dessen wahrer Heldenname Drop war. „Ihr habt eure Aufgabe gut gemacht. Fast alle haben es geschafft, den Schurken die Handschellen anzulegen“, fuhr Aizawa fort. „Alle, die dies fertiggebracht haben, haben die Prüfung bestanden.“ Ein erleichtertes Raunen ging durch die Reihe und ein paar der Schüler jubelten ausgelassen. Aus den Augenwinkeln sah Aizawa genau, dass zwei seiner Schützlinge beklemmt zu Boden sahen und einer von ihnen vor Wut vibrierte, sodass er einem menschlichen Presslufthammer glich. Er kannte seine Rasselbande gut genug, um sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „Herzlichen Glückwunsch. Uraraka, Bakugou, Iida – zu mir.“ Er winkte die drei Schüler, die ihm während dieser Prüfung die meisten Kopfschmerzen bereitet hatten, zu sich. Als sich alle in Bewegung setzten, tat es auch Todoroki. Dieser blieb jedoch auf halbem Weg wieder stehen und folgte seinem heutigen Partner lediglich mit dem Blick. Todoroki war nicht dumm, er musste verstanden haben, dass er nichts für Iida tun konnte. Aizawa senkte die Stimme, als sich die drei gerufenen Schüler zu ihm gesellt hatten. Das, was er ihnen zu sagen hatte, ging nur die Betroffenen etwas an. „Du hast ebenfalls bestanden, Iida“, fing er mit der guten Nachricht an. „Aber ich muss dich darauf aufmerksam machen, dass dein Verhalten äußerst unverantwortlich war.“ Iida knirschte mit den Zähnen, nahm die Kritik jedoch kommentarlos entgegen. „Wenn du in Zukunft ähnliche Kunststücke vollführen willst, dann…“ Die dramatische Pause, die Aizawa einlegte, war keine Absicht, er nahm sich lediglich die Zeit, Iida eindringlich zu mustern. „… solltest du dafür sorgen, dass Todoroki immer in deiner Nähe ist. Ihr seid ein gutes Team. Das ist alles.“ Ungeduldig verscheuchte Aizawa Iida mit einer Handgeste, als dieser ihn zu lange mit großen Augen anstarrte. „J-jawohl! Verstanden, Aizawa-sensei! Vielen Dank!“, japste Iida und wandte sich ab. Er kehrte zu seinen Freunden zurück, weitaus enthusiastischer als noch vor wenigen Minuten. Er hatte Mut geschöpft. „Nun zu euch“, wandte sich Aizawa an Bakugou und Uraraka. „Eure Aufgabe war eindeutig: Legt dem Schurken die Handschellen an. Stattdessen habt ihr euch auf etwas völlig anderes konzentriert.“ Ein müdes Seufzen entwich dem Lehrer der 3-A. „Uraraka, du hast Bakugou eine Chance gegeben, die Menschen aus dem Gebäude zu evakuieren, während du den Bösewicht abgelenkt hast“, fasste er zusammen. „Und du, Bakugou, hast die Sicherheit deiner Teamkameradin über die Mission gestellt.“ Während Aizawa den beiden die Gelegenheit gab, seine Worte zu verdauen, suchte er Blickkontakt zu seiner Kollegin vom Fach. Mit einem Nicken gab er ihr ein Zeichen. Uraraka und Bakugou sahen auf, als Snowflake sich zu ihnen gesellte. Ihre geschminkten Lippen waren zu einem verschmitzten Lächeln verzogen, als sie den beiden ihre Handgelenke entgegenstreckte. „Na, macht schon“, forderte sie schmunzelnd. Uraraka verstand schneller als Bakugou, dessen Stirn in Falten gelegt war, während ihre Augen bereits zu leuchten begangen hatten. Hastig griff sie nach den Handschellen an ihrer Hüfte und legte sie Snowflake an. „Ihr habt es geschafft, dem Schurken die Handschellen anzulegen“, sagte Aizawa matt. „Herzlichen Glückwunsch, ihr habt auch bestanden.“ Zufrieden und durchaus gerührt, wischte sich Uraraka mit dem Handrücken über die Augen. „Heul nicht rum!“, knurrte Bakugou. „Sag bloß, du gibst dich mit diesem Ergebnis zufrieden?!“ Im ersten Moment wusste Uraraka nicht, was er meinte, doch schnell wurde klar, dass Bakugou sich mit der Art und Weise, wie sie die Prüfung bestanden hatten, nicht zufriedengab. „Das tue ich“, antwortete sie mit fester Stimme. „Natürlich weiß ich, dass vieles schief gelaufen ist, aber… aber –“ Sie rang nach Worten. „Bakugou-kun! Wir haben es geschafft. Wir haben es geschafft, trotz unserer Schwächen! Weil wir uns ergänzt haben.“ Empört baute sich Bakugou vor ihr auf. Doch das Strahlen auf Urarakas Gesicht traf ihn unvorbereitet, sodass er lediglich stutzte und nicht erneut in Rage verfiel. „Ich hab dir doch gesagt, dass du nicht vollkommen nutzlos bist“, brummte er endlose Sekunden später. „Also hör auf wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen.“ Uraraka gluckste, was ihn nur noch mehr aus der Bahn warf. „Wie hast du es eigentlich geschafft, die Menschen aus dem Einkaufszentrum zu bekommen?“, erinnerte sie sich an die Frage, die sie ihm hatte stellen wollen. Es war eine belanglose Information, doch sie interessierte Uraraka trotzdem. „Das spielt doch jetzt keine Rolle!“ Bakugou war nicht gewillt, sie mit ihr zu teilen. Er drehte sich um und ließ Uraraka und die zwei Profihelden stehen. Verwirrt sah Uraraka zu ihrem Lehrer hinauf. „Ich würde es dir ja verraten“, sagte er seufzend, „aber dann könnte ich weder deine, noch meine Sicherheit garantieren.“ „He, Eraserhead“, mischte sich Snowflake ein. „Wer hat die Schlüssel?“ Demonstrativ hielt sie ihm ihre Handgelenke vor die Nase, doch Aizawa ignorierte sie und wandte sich ab. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie sich die Profilhelden an die frischgebackenen Helden wandten. „Auch wir möchten euch gratulieren!“, rief Drop und seine Kollegen applaudierten. Drei von ihnen traten vor. Endlose Sekunden lang konzentrierten sie sich, dann deutete Drop in den Himmel, der sich veränderte. „Oooh!“, staunten Yaoyorozu und Uraraka. Ein rot-grünes Licht zog sich wie eine schwappende Welle über den nun wolkenlosen Himmel. Fasziniert beobachteten alle Anwesenden das atemberaubende Farbenspiel, das ihnen geschenkt wurde. Das plötzliche Stechen in seiner Brust kam überraschend. Aizawa war kein Mann der Sentimentalitäten, weshalb er vermutete, dass er einfach nur müde war. Er sollte sich in seinen Schlafsack zurückziehen. Es gab nichts mehr, das er dieser Klasse beibringen konnte. Seine Aufgabe war zu Ende. Den Rest konnte er getrost dem Klassensprecher überlassen. Dieser beobachtete das Lichterspiel am Himmel mit derselben Wehmut, die auch viele seiner Freunde gepackt hatte. An den Gesichtsausdrücken von Midoriya, Yaoyorozu und Kirishima erkannte er problemlos, dass das Gewicht dieses Tages zu ihnen durchgedrungen war. „Todoroki-kun“, begann er leise, denn nun, da er sich sicher sein konnte, dass alle bestanden hatten, konnte er auch seine Neugier stillen. „Du hast versucht im Regen deine Feuerseite zu benutzen. Wieso?“ Zuerst erhielt Iida auf seine Frage hin nur eisernes Schweigen, doch dann regte Todoroki sich. „Es war das letzte Mal, dass ich sie während meiner Ausbildung einsetzten konnte“, gestand er schließlich. „Dass die Umstände mich davon abgehalten haben, halte ich für Ironie.“ „Ich verstehe ein wenig, was du meinst“, erwiderte Iida. „Aber es endet heute nicht. Wir fangen gerade erst an.“ In Todorokis Augen funkelte die bunte Spiegelung des polarlichtähnlichen Schauspiels, als er nickte. Mit einem sanften Gesichtsausdruck blickte er in die Ferne, als wäre die Hauptstraße eine endlose Laufbahn, die sie nur betreten mussten. Einen Wimpernschlag lang spürte Iida Todorokis rechte Hand auf seinem Rücken. Überraschenderweise war sie warm. „Iida-kun“, sprach Uraraka ihn diskret an und lächelte. „Wolltest du nicht etwas sagen?“ Köpfe drehten sich nach ihm um. Natürlich. Er hatte es ihnen versprochen. Iida nickte, doch er nahm sich die Zeit, jedem einzelnen seiner Freunde einen dankbaren Blick zu schenken. „Es war mir eine Ehre“, sagte er steif, was gewiss nicht die Rede war, die alle erwartet hatten, aber mehr Worte waren nicht nötig. Drei Jahre lang waren sie durch dick und dünn gegangen – dies würde ihnen niemand mehr nehmen können. Als Iidas Blick schließlich an Todoroki hängenblieb, verzogen sich seine Lippen zu einem schmalen Lächeln. „Mehr als das.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)