Soulmate von Livera ================================================================================ Kapitel 14: Zerreißprobe ------------------------ Kapitel 14: Zerreißprobe Valerie „Wollt ihr mitkommen?“ Erwartung lag in seiner Stimme und eine Herausforderung glitzerte in seinen Augen. Traust du dich? Als würde ich vor dir einknicken! Hastig schnappte ich mir Pullover und Taschenlampe und stürzte nach draußen. Adrian sah kurz so aus, als wollte er dagegen protestieren, doch dann griff auch er nach seinen Stiefeln und stieg aus dem Zelt. Offenbar hatte er gelernt, dass seine Einwände bei mir kein Gehör fanden. Oder zumindest nur selten. „Das ist viel zu gefährlich“, zischte dagegen Tsubaki und damit hatte sie Recht: Auf Hexenjagd durften nur Lehrer und Schüler mit ausreichender Qualifikation und einer Erlaubnis des Shinigamis gehen. Die bekam man aber nur, wenn es einen triftigen Grund gab. Aber das war schließlich keine Jagd. Jacqueline stimmte nickend zu und schaute zu Kim wohl in der Hoffnung, das Gleiche auch von ihr zu hören. Doch die meinte nur schulterzuckend: „Lasst sie doch, wir sollen ja nur beobachten. Und sie können sich ja verteidigen.“ „Können wir das?“, flüsterte Adrian unsicher. „Also ich schon“, erwiderte ich. Black*Star war bereits vorausgeeilt. „Und du, Straßenjunge?“ Frech blitzte ich ihn von oben herab an. Es schien, als müsste er ein Seufzen unterdrücken. Jacqueline und Tsubaki verwandelten sich unauffällig und ihre Meister liefen voran. Möglichst leise huschten wir über den Zeltplatz auf einen abgetretenen Waldweg Richtung Süden. „Sollten sie uns entdecken, bleibt bei Black*Star. Lauft auf gar keinen Fall zurück zum Camp, wenn sie euch verfolgen“, wies Kim uns an und erst jetzt wurde mir die Tragweite unseres Handelns bewusst. Meines Handelns. Wenn die Hexen uns entdeckten, mussten wir kämpfen oder abhauen. Wir kannten uns in der Gegend nicht aus. Adrian war nicht kampfbereit, zumindest nicht mit mir, und ich hatte keine Waffe oder etwas ähnliches mitgenommen. Selbst wenn wir eingespielt oder bewaffnet wären, gegen eine bösartige Hexe mit Zauberkräften kamen wir nicht an. Und da waren gleich mehrere im Wald. Wenn wir entdeckt und von den anderen getrennt wurden, wären wir verloren. Ein Hauch von Panik stieg in mir auf. Aber auf der anderen Seite hatten die EAT-Meister uns ohne große Diskussion mitgenommen, also konnte es gar nicht so gefährlich sein. Na ja, obwohl … Kim und Black*Star waren nicht gerade dafür bekannt, wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen. „Hey, Waffenjunge“, zischte Jacqueline. „Ich heiße Adrian.“ „Du läufst zu laut.“ Rauch stieg leise zischelnd aus den runden Öffnungen ihres Metalls hervor. „Verwandle dich.“ Adrians Schritte gerieten in ein unregelmäßiges Stocken. Unter den abwartenden Blicken der anderen zögerte er einen langen Moment. Dann verschwand sein Körper in einem milchigen Licht und ein grobes Messer erschien. Stumpf. Anstatt in meiner Hand zu landen, schwebte er einen kurzen Augenblick in der Luft, bevor er der Schwerkraft erlag. Schnell hielt ich meine Handfläche darunter und fing ihn auf, bevor er auf dem feuchten Waldboden landen konnte. Hoffentlich hatte das keiner mitbekommen. Kim und Black*Star liefen voraus und gaben ein zügiges Tempo vor. Ich hielt mit und behielt mit einem Auge die Lichter am Himmel im Blick. Lautlos waberten sie vor den Sternen hin und her und wirkten dabei tatsächlich wie Nordlichter, sodass ahnungslose Außenstehende sie wohl leicht mit einem ungewöhnlichen Naturphänomen verwechseln konnten. Aber wir waren schlauer. Das redete ich mir zumindest ein. Mit einer erhobenen Hand bedeutete Black*Star uns anzuhalten. Zwischen den Bäumen vor uns glitten einige Lichtstrahlen hindurch und verrieten die Anwesenheit der Hexen. Das Summen wurde lauter, aber Wörter verstand ich nicht. Gebückt und mit langsamen, leisen Schritten tasteten wir uns zu der belebten Lichtung vor, bis wir Einzelheiten erkennen konnten. Ein großes Lagerfeuer dominierte den Platz, über kleineren Feuerstellen auf dem Gelände verteilt brutzelte aufgespießtes Wild. Und auf glatt geschleiften Baumständen drum herum saßen – „Kinder?“, flüsterte Adrian meinen Gedanken. „Hexenkinder“, bestätigte Kim. „Das ist wohl eine Art Schulcamp. Sie trainieren das Jagen mit magischen Fähigkeiten an Waldtieren.“ „Woher kommen die Gesänge?“, fragte ich sie. „Von den Flöten.“ Kim deutete auf eine Gruppe junger Frauen in farbigen Gewändern, die in ein langes Holzinstrument bliesen. „Die Musik und die Lichter sollen die Kinder beruhigen, damit sie die Angst vor ihren Kräften verlieren und das Jagen mit etwas Positivem verbinden.“ Eine ganze Weile blieben wir in unserer bedeckten Position und beobachteten schweigend das Treiben. Dann fragte Jacqueline leise: „Warst du auch in so einem Camp?“ „Ja“, bestätigte ihre Meisterin. „aber da war ich ein ganzes Stück älter. Die hier sind so … jung.“ Ich zählte 29 Hexenkinder – alles Mädchen – und fünf erwachsene Frauen. „Warum sind da eigentlich keine Jungen?“, fragte ich flüsternd. „Warum sind die eigentlich noch nicht im Bett? Wissen sie, dass wir auch hier im Wald campieren?“ „Wenn Black*Star weiterhin da oben rumturnt, finden die das sicher heraus“, antwortete Jacqueline mit säuerlichem Unterton. „Ich will mir nur einen besseren Überblick verschaffen“, erklärte der Meister, der gerade die ausladenden Äste einer hohen Eiche erklomm und, trotz seiner sonst sehr lauten Art, kaum ein Geräusch macht. Dabei beobachteten seine Augen aufmerksam den Himmel über uns. Ich folgte seinem Blick. Und erschrak als vor den gewundenen Lichtern zwei dunkle Gestalten auf langen Besen auftauchten. „Sie entdecken uns“, zischte Adrian panisch, doch er hatte Unrecht: Die beiden Frauen suchten zwar mit wachsamen Blicken den Waldboden ab, aber etwas Anderes erregte ihre Aufmerksamkeit. Eine von ihnen deutete mit dem Finger nach unten einige Meter rechts von unserem Platz und als ich sah, was – oder besser wen – sie da entdeckt hatten, liefen Kim und ich gleichzeitig los. „Da sind noch mehr!“, rief eine der Hexen über uns. Ihre Stimme ließ meinen Puls in die Höhe schießen. Shitshitshit! Was zur Hölle machen die hier? Was zur Hölle machen wir hier? Erschrocken sah Raphael uns an, als wir bei ihm ankamen. Obwohl er immer so gefasst und ruhig war, zitterte Cordelia in seiner rechten Hand. Energisch zog Kim am Ärmel seines Shirts. „Komm!“, wollte sie rufen, doch eine Explosion hinter uns übertönte ihr Wort. Gewaltsam wurde ich von der Druckwelle von den Füßen gerissen, nur um im nächsten Moment wieder nach oben gezogen und davongeschleppt zu werden. „Weg hier!“, rief Raphael, der mich am Ellenbogen gepackt hatte und zügig hinter sich her schleifte. Fest umklammerten meine Finger Adrians Holzgriff. „Wir sollen bei den anderen bleiben. Sonst finden wir nicht mehr zurück.“ Schwer atmend hielt der Meister inne und sah sich um. Von Black*Star und Kim fehlte jede Spur. Stattdessen blitzte uns ein schmales, giftgrünes Augenpaar in der Dunkelheit an. Eine hypnotische Stimme säuselte: „Hier geblieben, Lämmchen.“ Die Augen verschwanden in einem Augenblick und tauchten im nächsten wieder direkt über mir auch. Ein Schrei schnürte mir die Kehle zu, als der kräftige Körper der Hexe zu Boden fiel und mich unter sich begrub. „Ooh, du bist ja ganz ansehnlich. Ich mag deine roten Haare.“ Sie grinste diabolisch und präsentierte dabei eine glänzende Reihe spitzer Reißzähne. „Aber die meiner Liebhaberin sind schöner.“ Direkt über meiner Brust baumelte ein silberner Anhänger von einer dezenten Kette, die sie um ihren Hals trug: ein Puzzleteil, von dem ich wusste, dass es auf der Rückseite eine Gravur hatte, weil ich es schon dutzende Male woanders aus der Nähe gesehen hatte. Ich umschloss den Anhänger mit meiner Faust und zog daran, bis die Kette nachgab. Gleichzeitig rammte ich der Hexe mein Knie in den Magen und schlug ihr Adrians Griff hart gegen die Schläfe. Von der Seite kam Raphael. Mit seinem gesamten Gewicht warf er sich gegen ihren Körper und stieß sie so von mir herunter. Ich sah noch, wie sie leicht benommen hin und her taumelte, dann sprang ich auf und lief so schnell ich konnte. Meine Füße wichen zersplitterten Ästen, Sträuchern und Unebenheiten aus und ich sprang durchs Dickicht wie ein Kaninchen über ein Feld, Raphaels Rücken immer im Blick. „Hinter dir!“, schallte Adrians Stimme in meinem Kopf, kurz bevor ich hart an der Schulter getroffen wurde. Diesmal wurde ich nicht niedergerissen, doch die Waffe glitt mir aus der Hand und an ihre Stelle traten Adrians zitternde Finger, die meinen Unterarm fest umklammert hielten. Seine andere Hand war mit fünf scharfen Klingen besetzt, mit denen er nach der Hexe schlug, als wären es Krallen. Er traf sie nicht, aber sie musste zumindest soweit zurückweichen, dass wir uns umdrehen und weglaufen konnten. Adrian verwandelte sich wieder in die unbrauchbare Waffe. Der Griff pulsierte leicht im Takt seines rasenden Herzens, während seine aufgeregten Seelenwellen mich durchfluteten und meinen Puls beschleunigten. Seine Panik machte es mir kaum möglich, mich zu konzentrieren. „Reiß dich zusammen“, zischte ich und wich einem Busch aus. „Ich versuch’s ja!“ Probeweise schickte ich meine Seelenwellen durch meinen Partner hindurch. Nichts tat weh, nichts blutete. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, wie seine Klinge dunkel aufflackerte und da fiel mir ein, was ich vor einigen Wochen in einem Lehrbuch gelesen hatte: wie Meister dazu in der Lage waren, die Form ihrer Waffe zu bestimmen. Cordelia konnte die Bewegungen ihres Partners lenken. Das sollte umgekehrt also genauso funktionieren. Schnelle Schritte hinter uns verrieten, dass die Hexe uns dicht auf den Fersen war. „Weglaufen bringt nichts“, meinte Cordelia. „Sonst verirren wir uns nur noch mehr. Und ins Camp können wir die Hexe nicht führen.“ Mit Schrecken erkannte ich, dass sie recht hatte. Als hätte das Schicksal uns gehört, liefen wir direkt auf eine hohe, glatte Felswand zu. Gefasst sprach ich: „Adrian, du musst scharf werden. Jetzt.“ „Ich versuch’s ja“, wiederholte Adrian mit einem unüberhörbaren Zittern in der Stimme. Wieder leitete ich meine Seelenwelle zu ihm, wieder bekam ich nur ein Flackern der Klinge. Zu wenig. Das hohe Kichern der Hexe übertönte die Geräusche des Waldes, als sie bei uns ankam und erkannte, dass wir mit dem Rücken zur Wand standen. Raphael und ich nickten uns kurz zu, dann gingen wir in Kampfposition und preschten zeitgleich nach vorne. Mit jedem schnellen Schritt, den ich tat, bekam Adrian meine Seelenwellen, auf dass er sie gefälligst verstärkte, wie es eine Waffe nun mal tat. Fast geriet ich ins Stolpern, als ich einen Blick nach unten riskierte: Die Waffe war scharf, spitz und schwarz wie die Nacht auf einem Friedhof. Auf der glänzenden Oberfläche der Klinge spiegelte sich Adrians verzerrtes Gesicht. Da muss er jetzt durch, dachte ich und holte zum ersten Hieb aus. Gleichzeitig kam Raphael von der anderen Seite und zielte auf die Beine der Hexe. Sein Messer traf ins Leere, meines streifte ihren Oberarm und hinterließ eine blutende Wunde. Die Klinge flackerte wieder auf. Ein Zischen kam von Adrian, während ein unangenehmer Schmerz meinen rechten Arm durchzuckte und an meinen Gelenken zerrte. „Mach nicht schlapp, Straßenjunge“, fauchte ich ihn an und bereitete meinen nächsten Schlag vor. „Valerie!“ Adrians ruf drang bis tief in meine Knochen. „Hör auf!“ Der Schmerz aus meinem Arm, der vorher nicht mehr als ein Ziehen war, fuhr in meine Wirbelsäule und lähmte meinen gesamten Körper. Als mich nur die bloße Kraft in den Beinen davon abhielt zusammenzusacken, hielt die Hexe in ihrer Bewegung inne und richtete ihren Blick auf den Himmel. Die grünen Schleier hatten nun ein leuchtendes Orange angenommen. Ein Signal. Sie kommunizierten darüber. „Glück für euch, Lämmchen“, zischelte sie breit grinsend, behielt uns noch einige Augenblicke im Auge und verschwand schließlich mit langsamen Schritten rückwärts in die Dunkelheit hinter ihr. Einen stillen Moment lang sahen Raphael und ich uns an. Dann brach die nächste Welle über mich herein. Das Ziehen in meinem Rücken zwang mich stöhnend in die Knie. „Mach sowas nie wieder!“, schrie Adrian mich an, nachdem er sich kurzerhand verwandelt hatte. Dabei nutzte er unseren Größenunterschied zu seinem Vorteil aus und blitzte mich wütend von oben herab an. „Hör auf, mich ständig zu so einem Scheiß zu zwingen! Ich kann schlichtweg noch nicht so gut kämpfen wie andere und das hab ich dir auch gesagt. Sicherlich hast du hohe Erwartungen an mich oder an dich oder an wen auch immer, aber ich kann es schlichtweg nicht. Akzeptier das.“ Der Schmerz war in dem Moment verflogen, in dem Adrian wieder die menschliche Gestalt angenommen hatten. Doch an seine Stelle trat nun ein furchtbar flaues Gefühl in meinem Magen. „Wessen Idee war es denn zu kämpfen?“, presste ich hervor, stand wieder auf und schob mich an der Waffe vorbei. Cordelia hatte nur die Arme vor der Brust verschränkt und schien sich keiner Schuld bewusst zu sein. „Wer sagt, dass ich euch gemeinte habe? Dass ihr das vermasselt, war doch von vorneherein klar. Mal ganz abgesehen davon, dass dein Partner uns alle mit dieser Hör-auf-mich-als-Waffe-zu-benutzen-Aktion umgebracht hätte, wäre die Hexe nicht abgezogen.“ Sie hatte Recht. Trotzdem überkam mich das Bedürfnis, ihr mit der blanken Faust ins Gesicht zu schlagen. Ich tat sogar schon die ersten Schritte auf dem Weg der Befriedigung, doch Adrian hielt mich am Kragen meines Pullovers fest. „Und wie finden wir jetzt zurück?“, fragte er gefasst, doch ich spürte durch seinen Griff immer noch das Zittern. „Hat jemand eine Taschenlampe.“ „Ich hab mein Handy dabei.“ Raphael kramte in seiner Hosentasche, drückte kurz die Knöpfe auf seinem Handy und seufzte dann: „Akku leer. Weil ein bestimmter Jemand die ganze Busfahrt über darauf Musikhören musste.“ „Hey, aua!“, kam es von seiner Partnerin, als er ihren Oberarm boxte. Laute Rufe schallten durch die Baumkronen: „Hey! Valerie!“ Es war Black*Star, der wohl ganz in der Nähe sein musste. „Wir sind hier!“, antwortete ich. „Wo denn?“ „Im Wald!“ „Tolle Ortsbeschreibung“, kommentierte Cordelia. Ein Rascheln gefolgt vom Lichtkegel einer Taschenlampe nahm unsere Aufmerksamkeit ein. Kurz darauf kamen Jacqueline, Kim und Tsubaki aus dem Gebüsch. „Alles okay bei euch?“, fragte Letztere besorgt und beäugte uns im weißen Licht. Bei Raphael blieb sie hängen. „Was hattet ihr hier draußen eigentlich zu suchen?“ „Da waren diese Geräusche, eine Art Summen. Und dann diese Lichter am Himmel. Ich wollte wissen, was das ist. Die da“, er deutete mit dem Finger auf Cordelia neben sich, „ist mitgekommen, weil sie an mir klebt wie eine Klette.“ „Bitte?!“, empörte sich die Waffe laut. „Irgendeiner muss doch auf deinen leichtsinnigen Hintern aufpassen, schließlich ist das mein Job!“ Wütend wandte sie sich zu mir. „Wieso wart ihr überhaupt draußen?“ Ich wollte gerade entgegnen, dass wir im Gegensatz zu ihnen Erlaubnis hatten, als Black*Star krachend mit einem blauen Knicklicht in der Hand aus einem Gebüsch stolperte. „Dieses Ding bringt überhaupt gar nichts“, beschwerte er sich. Schwungvoll zeigte er mit dem blass leuchtenden Stab auf Raphael. „Was hattet ihr bei den Hexen zu suchen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, deutete er auf mich. „Warum bist du nicht bei mir geblieben? Das war verdammt gefährlich. Aber ihr jungen Dinger habt Glück, dass ich, der großartige Black*Star, die Situation voll im Griff hatte!“ Black*Star brach in tobendes Gelächter aus. Kim verdrehte unmissverständlich die blauen Augen. „Wir müssen morgen früh das Camp räumen“, verkündete die Meisterin. „Was?“, rief Adrian aus. „Warum das denn?“ „Das ist doch logisch“, keifte ich ihn an. „Wenn wir deren Aufenthaltsort wissen, müssen wir davon ausgehen, dass sie unseren auch kennen, was die ganzen Neulinge in Gefahr bringen würde. Vor allem, weil wir nur die aus der EAT dabei haben und keinen Lehrer.“ „Was heißt hier nur?!“, kam es von Black*Star aus dem Hintergrund. Doch er wurde ignoriert. Wieder baute Adrian sich vor mir auf und knurrte böse: „Dann entschuldige bitte meine Unwissenheit und Unerfahrenheit, Meister. Das ist im Übrigen nicht die einzige Entschuldigung, die dir mal gut tun würde.“ Ein herausfordernder Ärger funkelte in seinen dunklen Augen. Ich reckte das Kinn nach oben und hielt seinem Blick stand. „Wenn du mir irgendwas zu sagen hast, Waffe, dann sag es mir ins Gesicht.“ Dieser Idiot von einem Partner sah so aus, als wolle er mich jeden Augenblick anspringen und durch den Wald schleudern. Sollte der Schwächling es doch versuchen! So wie der auf den Stufen der Shibusen geschnaubt hatten, kriegte er mich wahrscheinlich nicht mal vom Boden hoch. „Jetzt beruhigt euch mal wieder“, ging Kim dazwischen. „Wir haben mit der Leiterin des Hexencamps verhandelt. Sie ziehen sich zurück, wenn wir uns zurückziehen. Also ist alles in Ordnung.“ Der Ausdruck ließ mich schnauben. Das konnte man wohl kaum als in Ordnung bezeichnen. „Falls ihr euch allerdings so dringend mit einer Hexe messen wollt“, fuhr sie fort und ließ ihr Fingerknöchel bedrohlich knacken. „Lass den Blödsinn, Kim“, unterbrach ihre Waffe sie. „Komm, gehen wir zurück.“ Mit einer Taschenlampe ging Jacqueline voran durchs Dickicht und wir folgten ihr. Black*Star und Tsubaki bildeten das Schlusslicht. Die Sterne über uns verblassten langsam, das allererste Vogelgezwitscher begrüßte den Samstagmorgen und frühmorgendlicher Nebel zog seine Bahnen über den Waldboden. Adrian behielt auf dem gesamten Rückweg eine ordentliche Distanz zu mir, während ich immer wieder versuchte, seinen Blick einzufangen und mich dabei fragte, was heute so schrecklich schiefgegangen war. Kurz nach Sonnenaufgang wurden die Schüler planmäßig geweckt und über die Lage informiert. Als man als Grund für den Abbruch allerdings einen Bärenangriff nannte, war die anfängliche Enttäuschung Schrecken und Erleichterung gewichen, denn niemand wollte der Gefahr eines wilden Tieres ausgesetzt sein. Wie sie wohl auf die Hexen reagiert hätten? Adrian beschloss, unser Zelt alleine abzubauen. Genauer gesagt hatte er mich abkommandiert. Also verbrachte ich den Morgen nach dem Frühstück größtenteils auf einer lackierten Holzbank, wo ich mit einer Wasserflasche gegen eine immer wieder aufkommende Übelkeit ankämpfte. Als wir gegen Mittag wieder in den Bus stiegen und die Heimreise antraten, war sie fast verschwunden. Ich ließ Adrian am Fenster sitzen, auch wenn das wohl kaum eine Wiedergutmachung war. Kurz vor Fahrtantritt bat er mich allerdings darum, ihn wieder rauszulassen. „Wo willst du hin?“, fragte ich ihn und klang dabei wie ein weinerliches Kind, das nicht verlassen werden wollte. „Mich woanders hinsetzen“, antwortete er und verschwand im Gang. Für einen kurzen Augenblick war ich sprachlos. Dann entglitt mir jegliche Luft zum Atmen. Woandershin woandershin woandershin. Seine Worte kratzten wie scharfe Klingen in meiner Brust und schnürten mir die Lunge zu. Mein Herz schien gleichzeitig zu rasen und stehen zu bleiben, während ich mit aller Macht gegen das Schluchzen in meiner Kehle ankämpfte, damit es nicht nach draußen gelang. Er wird gehen, schallte es in meinem Kopf, doch es war nicht meine Stimme, sondern die meiner Schwester. Du hast es wieder vermasselt und er wird gehen. Versager. Ich schob mich auf den freien Sitz am Fenster, legte den Kopf zwischen die Knie und konzentrierte mich auf den Boden. Gerade als die erste Träne über meine Wange lief, spürte ich die Wärme eines Anderen, der sich neben mich setzte. Hoffnungsvoll sah ich auf. Es war nur Black*Star. „Na na“, machte er und strich mir herzlich über den Rücken. „Dass ihr Mädchen immer gleich weinen müsst.“ „Ich wein gar nicht“; beteuerte ich schniefend, während ich die Beine wieder anwinkelte und das Gesicht in die Oberschenkel vergrub. „Natürlich nicht.“ Er kramte irgendwas Knisterndes hervor und hielt mir kurz darauf eine frisch geöffnete Tüte Gummibärchen entgegen. Ich sah nur kurz auf, um mir ein grünes herauszufischen, dann gab ich mich wieder meiner Misere hin. „Weißt du“, sprach Black*Star nach wenigen Augenblicken. „Als Meister trägst du die Verantwortung.“ „Mhh“, brummte ich zurück. „Das klingt nicht sehr einsichtig.“ „Doch. Ich sehe ein, dass ich einen Fehler gemacht habe und zu ungeduldig gewesen bin. Deshalb ist es allein meine Schuld, dass Adrian sich jemand anderen suchen wird.“ Die Realität laut auszusprechen machte sie noch endgültiger. Vielleicht tat sie auch nur so weh, weil ich es diesmal gewagt hatte, mir Hoffnungen zu machen. „Meinst du?“ Black*Star kaute nachdenklich auf ein paar Gummibärchen herum. „Ich hatte den Eindruck, dass er einen Narren an dir gefressen hat.“ Ich wollte erwidern, dass das doch Quatsch sei und dass es schlichtweg keine Waffe für mich gab. Doch der Kloß in meinem Hals ließ mich nur langsam den Kopf schütteln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)