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Bonds of power

The world gone mad
von
Koautor:  Kyraliah

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On the road

Marius

"Grey!"

Eine weitere Seite in seinem Buch umblätternd, folgten seine Augen Zeile um Zeile der sich ihm dort bietenden Geschichte, verfolgten wie sich dessen fantastische Welt vor seinem inneren Auge aufbaute, sich vergrößerte, erweiterte und schließlich…

"Himmel… Grey!"

Das Buch langsam senkend bis er über den Rand hinwegsehen konnte, heftete sich der Blick seiner graublauen Augen auch alsbald auf den Mann, der da versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Auf ihn und auf das blaue metallische Fass in seiner Nähe, dessen Spuren davon verkündeten, dass es bis hierher gerollt worden war. Oder geschleift. Harry selbst war gerade dabei, sich den Schweiß mit dem schwarz-blau kariertem Hemd von der Stirn zu wischen und zu verschnaufen. Scheinbar damit zufrieden seiend nun seine Aufmerksamkeit zu besitzen. Marius hob das Buch wieder an.

"Du bist so ein Gott verdammtes Arschloch!" Es klang mehr resigniert als wirklich verärgert. "Komm jetzt von dieser verdammten Veranda herunter und hilf mir mit dem verdammten Fass."

Da musste man wirklich nicht mal besonders lange nachdenken. Ein Fass an diesem warmen Frühlingstag gemeinsam mit Harry zu dessen Bar schleppen oder hier im Schatten der Veranda im Schaukelstuhl sitzen bleiben? Einer seiner Mundwinkel zuckte unter dem Amüsement, das er mit der Situation verspürte. "Ich sitze aber recht gut auf dieser verdammten Veranda, in meinem verdammten Schaukelstuhl, im verdammten Schatten", gab er schließlich zurück und blätterte - diesmal wirklich demonstrativ - eine weitere Seite um. Auf die Beleidigung ging er gar nicht erst ein. Jeder hier wusste, was aus Harrys Mund kam, sobald er ihn öffnete. Man müsste im Umkehrschluss eher aufmerksam sein, wenn jener einen nicht beleidigte.

Jener begann auch sofort sehr fantasievoll und vor allen Dingen ausführlich zu fluchen. Es gab eine interessante Kulisse zu den Geschehnissen in Marius‘ Buch.

"Du bekommst ‚nen Teller von dem Eintopf heute Abend umsonst." Und man hörte es dem Wirt an, dass ihn dieses Angebot Überwindung kostete. Marius gab einen hummenden Laut von sich. "Kochst du oder ist Silvia an der Reihe?" Den Frass den Harry selbst kochte aßen im Normalfall nur die Besucher ihrer kleinen Stadt. Die Durchreisenden. Die armen Seelen, die keine Ahnung davon hatten, dass sie ungewollter Weise so kurz vor dem nächsten harten Abschnitt noch eben vergiftet wurden.

"Silvia. Und jetzt beweg deinen Arsch endlich hier runter!"
 

Das Buch zuklappend und es auf den Schaukelstuhl legend, nachdem er aufgestanden war, streckte er sich kurz, bevor er schließlich die paar modrigen Holztreppen runtermarschierte und auf Harry zuhielt, der mit seinem dummen Fass inmitten der mit ein paar Schlaglöchern versehenen Straße stand. Beim Näherkommen runzelte er seine Stirn, als er die Aufschrift des Fasses bemerkte. "Ich dachte das Zeug wird dir wöchentlich geliefert? Mit Betonung auf geliefert." Nach ein wenig Rangieren schnappte sich jeder von ihnen ein Ende des Fasses und wuchteten es zwischen ihnen nach oben. Allerdings war es Harry, der nun rückwärts zu gehen hatte. "Wird es normalerweise auch", presste der Angesprochene hervor, dem nach ein paar Schritten wieder der Schweiß auf der Stirn stand. Es ließ seine immer röter werdende Haut seltsam schimmern, was im Zusammenhang mit den natürlich roten Haaren wirklich unschön aussah. "Das hier ist eine meiner Reserven. Die letzten Tage hatten wir mehr Durchgang als sonst. Die nächste richtige Lieferung kommt erst übermorgen."

"Verstehe."
 

Es war ihm auch schon aufgefallen, dass sie in letzter Zeit mehr Leute auf der Durchreise hier hatten und etwas daran stieß ihm irgendwie unschön auf. Ob es langsam wieder an der Zeit wäre, sich etwas Neues zu suchen? Aber zum ersten Mal seit Jahren spürte er tatsächlich so etwas wie leisen Unwillen darüber in sich selbst. Die kleine Stadt war wie auf ihn zugeschneidert. Die Menschen ratschten und lästerten zwar genauso viel wie alle anderen auch, aber sie waren ein eingeschworener Kern. Sie mochten sich ja auch ganz gern selbst die Köpfe einschlagen, aber wenn es auch nur den Hauch eines Drucks von außen gab, schlossen sich die Reihen und dann gab es kein Durchkommen mehr. Sie ließen ihn zum Großteil in Ruhe und er erledigte kleinere Arbeiten dafür. Manchmal.
 

Schließlich nach einigem Bugsieren an der Bar ankommend, hievten sie das Fass noch die Treppen dort zum Eingang hoch und ließen es dann krachend auf den Boden nieder. Leise seufzend hob Marius die Hand, um sich über die rechte Schulter zu massieren und jene ein wenig hin und her zu rollen. Abgesehen davon wirkte es nicht so, als hätte er gerade eine schweißtreibende Tätigkeit hinter sich. Ganz im Gegensatz zu Harry, dessen langen Haare ihm im Nacken klebten.

"Du stellst mir den Teller beiseite?", wollte er schließlich wissen und der Wirt nickte abwinkend. "Jaja, keine Sorge, du musst nicht früher hier sein als sonst." Und das war gut, da er es vorzog, später am Abend hier für sein Abendessen aufzuschlagen, wenn ihm danach gelüstete. Dann waren die meisten der Gäste hier schon in ihren Zimmern oben. Den ganzen Vieren die es hier gab. "Ausgezeichnet." Die Hand zum Abschied kurz hebend, machte er sich gleich darauf wieder auf den Weg zurück zu seiner Veranda. Marius wollte unbedingt wissen, wie es mit dem Helden weiterging.
 

Crash

Wenn man krampfhaft versuchte, sich nicht zu bewegen, war das verdammt anstrengend. Crash wollte sich aber nicht bewegen. Crash wollte genau so liegenbleiben, genau so wie er gerade lag. Warum? Weil jede Bewegung bedeuten würde, dass es kalt werden würde. Er lag in seinem Kokon eingerollt, so dass es ihm gerade so warm war, dass er nicht das Gefühl hatte, doch noch erfrieren zu müssen. Sobald er sich bewegte, würden die Füße in Gebiete kommen, in denen es kalt war, oder die Arme oder die Nasenspitze, die im Moment noch eingezogen im Schlafsack war, bevor der Sauerstoff zu knapp werden würde und er sie doch wieder hinausstrecken musste. Crash blinzelte durch die schmale Öffnung seines Schlafsacks. Im Inneren des Autos war es noch ziemlich dunkel, aber wenn er durchs Fenster blickte, schien es, als würde die Sonne bald über den Horizont wandern. Die Sonne, so hatte seine Mutter immer gesagt, war das einzige, worauf man sich verlassen konnte. Die Sonne und die Sterne.

Das Aufstehen war unangenehm gewesen, kalt und ohne Kaffee. Er war froh, wenn er die Appalachen heute verlassen würde und Richtung Küste weiterfuhr. Alles würde wieder freundlicher werden, weniger feucht und kalt. Er hasste diese feuchte Kälte, die überall hindurchkroch. Aber er hatte in Richmond gelernt, dass es besser war, die Küste mit Vorsicht zu genießen. Allerdings gingen seine Vorräte aus und er musste unters Volk. Vor zwei Tagen war er an einer kleinen Siedlung vorbeigekommen. Freundliche aber misstrauische Menschen, die im Kleinen versuchten zu überleben, die unbemerkt bleiben wollten, ihm aber geraten hatten Richtung Charleston zu fahren, dort gäbe es einen Ort, der einen guten Markt habe und Fremden gegenüber aufgeschlossener sei. Ein sogenannter „Point Zero“, ein neutrales Gebiet, an dem ein scheinbarer Frieden herrschte und man sich in Ruhe ließ, egal mit welcher Absicht man unterwegs war.

Crash bremste und lauschte, schloss die Augen. Den alten Straßenatlas, den er aus einem Autofrack hatte entwenden können, lag neben ihm am Beifahrersitz. Eine Siedlung war in der Nähe. Er lauschte, hörte seinen Atem, den Ruf eines Vogels, etwas Knacken, Stille, das leise Surren des Motors…

Er wendete den Wagen und fuhr in Richtung der Siedlung. Sie war verlassen, die Natur hatte schon ganze Arbeit geleistet, sich ihrer zu bemächtigen. Crash parkte, stieg aus und schulterte die Schrotflinte, machte sich daran, die Häuser zu durchstreifen. Er hatte gelernt, wie man durch sie hindurch gehen musste, um versteckte Lebensmittel zu finden; Konserven, Eingelegtes, Päckchen Kaffee, Zucker, manchmal sogar Mehl ohne Maden. Doch diesmal hatte er kein Glück und fuhr alsbald weiter.
 

Crash liebte es, einfach unterwegs zu sein, obwohl so manche Situation ihn auch an seine Grenzen geführt hatte und er jeden Tag froh sein konnte, nicht schon das Zeitliche gesegnet zu haben. Und doch spürte er gerade eine vage Vorfreude darauf, wieder ein wenig unter Menschen zu kommen.

Er fuhr am späten Nachmittag in den Ort, parkte seinen Wagen zentral bei anderen Autos, so dass er nicht weiter auffiel. Dann organisierte er sich Lebensmittel und Wasser, das er allerdings erst morgen aus dem gesicherten Laden abholen würde. Es dauerte, bis er fertig war. Er genoss die Zeit in dem Geschäft einfach die Waren anzusehen und zu lauschen, was andere erzählten.

Er ließ sich eine Unterkunft empfehlen und machte sich mit einer Tasche auf den Weg zu eben jener. Er freute sich auf eine Dusche, warmes Essen, ein Bier und vor allem aber freute er sich letztlich auf ein weiches Bett.
 

Als er den Gastraum betrat, frisch geduscht und sogar rasiert, sondierte er die Männer, die anwesend waren. Mit ihm waren an diesem Tag noch zwei weitere Männer gekommen, die er etwas Abseits sitzen sah. Die Stimmung war gelöst, manche Männer waren aber bereits im Aufbruch. Crash setzte sich an den Tresen, da kein Tisch mehr frei war. Es ärgerte ihn ein wenig. Am Tresen war das Risiko, angesprochen zu werden, größer. Und er hatte alles, nur absolut keine Lust, mit irgendwem zu kommunizieren.

„Etwas von dem Eintopf“, sagte er und fügte in Gedanken hinzu: ‚Der scheint das einzig Essbare hier zu sein.‘ „Und ein Bier.“ Er legte sogleich etwas Geld auf den Tresen. Er war schon oft genug an Orten gewesen, an denen er schnell losmusste, und er hasste es, Schulden zu hinterlassen. Dafür war er zu aufrichtig.

Das Bier kam zügig. Crash zog sein Notizbuch heraus und schrieb das Wort „Nazzie“ auf. Er hatte zwei Männer darüber reden hören. „Ein Nazzie hat Camden heimgesucht.“ Er skizzierte aus dem Gedächtnis die Karte von South Carolina, ergänzte, was er noch gehörte hatte, grübelte darüber, wie er weiterfahren sollte. Irgendwann wurde ihm der Eintopf serviert.
 

Marius

Er war noch eine ganze Weile auf der Veranda gesessen und hatte gelesen. Es war nicht seine Veranda. Oder die von irgendwem, wenn man es genau nahm. Das Haus, das dazu gehörte, war so baufällig, dass sich da nicht mal Leute reintrauten, um nicht im Regen schlafen zu müssen. Änderte nichts daran, dass das Holz davor den Schaukelstuhl noch aushielt und es damit zu einem seiner Lieblingsplätzen hier geworden war. Zudem man von dort auch so einiges mitbekam, was sich hier so tat, und man so zumindest ein halbes Auge und Ohr darauf haben konnte.

Sich aber schließlich doch von dem Buch losreißend, war er doch zu seiner eigenen Bleibe spaziert und hatte sich eine Dusche gegönnt. Nicht dass das hier etwas Besonders war. Nen Zimmer, das als Zimmer für alles diente, und das Badezimmer. Wenn er wirklich etwas Kochen wollte, konnte er das bei Harry und Silvia tun. Er vermutete sein Bett war bequem genug und am Bad hatte er lange genug rumgeschraubt, dass es als ein eben solches durchging. Musste ja auch seine Vorteile haben, schon fast ein Jahr an einem Fleck zu sein. Sich die schwarze Lederjacke vom Bett schnappend und sie sich über das ebenfalls schwarze Shirt ziehend, beschloss er sich auf den Weg zu seinem Eintopf zu machen. Mit ein paar kurzen, fast schon abwesend gestalteten Bewegungen kontrollierte er, ob die Messer noch in den Ärmeln der Jacke befestigt waren, dann trat er vor die Tür.
 

Ungeniert gähnend hielt er auf die Bar zu. Von dem vielen Nichtstun der letzten Tage war er inzwischen schon fast in einer Art Lethargie versunken. Vielleicht sollte er morgen mal schauen, dass er wieder ein paar Bäume fällte und Holz besorgte? Es war nachts doch noch reichlich kalt, auch wenn der Frühling auf dem Vormarsch war, und wenn er den Ofen unter dem Wassertank damit anwarf, wurde nicht nur sein Wasser warm.

Die paar Treppenstufen hochgehend, betrat er die Bar, warf einen kurzen Rundumblick durch den Raum und trat dann an den Tresen. Höchstens ein wenig irritiert darüber seiend, dass sein Tisch belegt war. Passierte ja wahrlich nicht zum ersten Mal. Harry warf ihm eine Grimasse zwischen Lächeln und Irritation zu. Vermutlich war jener immer noch genervt darüber, dass er Marius Hilfe hatte erkaufen müssen. So strahlte er einfach mal zurück, was sich gleich darauf zu einem deutlich ehrlicherem kleineren Lächeln wandelte, als er sah, wie ihm der Wirt mit der Faust drohte.

"Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, ich muss deine Portion selbst essen. Setz dich und steh da nicht so saudumm rum."

Marius folgte der freundlichen Anweisung, ließ allerdings einen Platz zwischen sich und nem Fremden frei, der da ebenfalls saß und scheinbar irgendwas in nem Buch herumschrieb. "Da du eh schon zu fett bist, wäre das eine wahre Ohrfeige für die anderen hier herumlungernden Hungerhaken gewesen." Harry klappte sprachlos der Mund auf. "Bring noch nen Bier mit, wenn du eh schon dabei bist."

"Wenn man dir Arschloch auf die Stirn tätowieren würde, wäre das immer noch zu wenig Warnung für uns schwer arbeitende Normalbürger", maulte es ihm entgegen, bevor der Wirt sich umdrehte und in die Küche ging, um das bestellte Zeug zu bringen. Heutzutage gab es selbst in ihrem relativ ruhigen Örtchen nichts direkt von unter der Theke.
 

Sich ein wenig zurücklehnend, warf er abermals einen Blick durch die Runde. Die meisten hier kannte er, wenn auch nur flüchtig. Marius besaß zu den wenigsten hier einen ähnlichen Kontakt wie zu Harry und Silvia. Was wohl gerade ersterer bedauerte, denn so kam fast ausschließlich ihm Marius spitze Zunge zugute. Naja egal, der Kerl da neben ihm sah auch auf den zweiten Blick nicht so aus, als könnte Marius sich nicht wenigstens etwas entspannen. Was er auch tatsächlich erst nach der zweiten Prüfung des Raumes tat. Und auch wenn es vorher nicht auffällig gewesen war, so wurde seine ganze Haltung ein wenig weicher auf seinem Stuhl. Ein wenig nachlässiger. Auch wenn wohl kein vernünftiger Mensch diese Stühle als bequem bezeichnen würde.

Und schon stapfte Harry mit seinem Eintopf und der Flasche Bier aus der Küche und klatschte es ihm vor die Nase. "Das Bier bezahlst du."

"Nimmst du auch Naturalien?", hinterfragte er, während er nach dem Löffel griff und damit ein wenig in der noch heißen Suppe herumrührte. Der Wirt mit wohl irischen Vorfahren verdrehte die Augen, lehnte sich jedoch ihm Gegenüber an den Tresen, nachdem er mit einem Blick festgestellt hatte, dass gerade keiner was von ihm wollte. "Hast du das von Lenz gehört?"

Von dem Eintopf probierend, gab er einen zufriedenen Laut von sich und hob den Kopf dann leicht an, den Augenkontakt suchend. Fragend. Der Wirt verzog die Lippen, offensichtlich unwillig. "Weiter oben, Richtung RedBeak solls nen Überfall gegeben haben."

"Und daran ist genau was neu?", wollte Marius wissen und merkte, wie er direkt jetzt schon das Interesse an der Unterhaltung verlor und deshalb den Blick wieder auf sein Essen senkte. Es wurde ständig irgendwer von irgendwem überfallen. Wenn es nicht genau hier in ihrer Siedlung passierte, war es ihnen allen im Grunde egal. Da konnte ihm keiner etwas anderes erzählen. Harry druckste ein wenig herum, was ihn doch wieder aufblicken ließ. "Es war kein solcher Überfall." Marius hielt kurz inne, seufzte dann jedoch. "Du willst mir jetzt nicht wieder irgendwas von kleinen, grünen Männchen erzählen? Ich versuche gerade zu essen, ohne dass es mir wieder hochkommt."

Sein Gegenüber schnaubte ungnädig und nahm eines der herumliegenden Tücher, um damit den Tresen zu putzen. "Fuck you, Grey. Ich rede nicht von kleinen, grünen Männchen. Es heißt, es wären wandelnde Schatten gewesen." Jener stockte kurz. Scheinbar fiel ihm selbst auf, wie dumm das klang. "Ich meine.. ich erzähle ja nur, was ich erzählt bekommen habe. Einer der‘s überlebt hat, soll inzwischen fast verrückt sein." Marius Blick schärfte sich für die Zeit eines Lidschlages, doch dann war sein Ausdruck wieder desinteressiert. Mit dem Löffel in der Hand deutete er auf den Fremden, ein wenig neben ihm am Tresen: "Komm, erzähl deine Horrorgeschichten Leuten, die dich nicht so gut kennen."
 

Crash

Der warme Eintopf war wirklich gut und leider viel zu schnell aufgegessen. Crash wischte mit etwas Brot die letzten Reste raus und schluckte schließlich seufzend den letzten Bissen herunter. Fast wäre ihm dieser im Hals stecken geblieben, als ein weiterer Mann die Bar betrat. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es ein Mann war. Die Aura von Frauen war anders, nicht unbedingt nicht auch bedrohlich oder groß, aber eben anders. Hier, in diesem Moment stellten sich ihm die Nackenhaare auf, er spürte, wie sich die Atmosphäre im Raum direkt veränderte. Nicht das Gemurmel der Stimmen, das Hinstellen der Gläser oder das Surren des Generators, der Licht und Kühlschrank betrieb, sondern eine Atmosphäre, die nicht jeder wahrnehmen konnte. Er konnte das, seit einiger Zeit ließ er es bewusst zu, nutzte es.

Ob sich die Stimmung zum Guten oder zum Schlechten geändert hatte, vermochte er nicht direkt zu sagen, aber die Aura, die diesen Mann umgab, war stark, mächtig - ihm unbekannt. Er hatte etwas in der Art noch nicht wahrgenommen. Und sie war eines: warm und hell und seltsamer Weise genauso vertraut wie fremd.

Der Wirt hob die Faust. Drohte er? War der Typ da, um Ärger zu machen? Crash spürte, wie sich sein Körper anspannte und er in Gedanken den Raum nach Fluchtwegen durchdachte. Doch offenbar war der Wirt nicht in Alarmbereitschaft.

Crash blieb ungerührt sitzen. Einzig sein Finger, den er hatte heben wollen, um sich noch eine Portion zu bestellen, senkte sich ungesehen wieder. Er hätte heute gerne das angenehme Gefühl gehabt, satt zu sein, satt einschlafen zu können. Doch mit vollem Magen wurde man unbeweglich und solange er nicht wusste, wie sich das hier entwickelte, musste er beweglich bleiben.

Dass sich der Typ ausgerechnet zu ihm setzte war der Situation geschuldet. Deswegen war es aber nicht angenehmer. Was die Situation für ihn entspannte war die Tatsache, dass der Wirt diesen Mann kannte, sie sich offenbar so gut kannten, dass sie miteinander frotzeln konnten, ohne sauer aufeinander zu sein. Dass der Typ ein ‚Arschloch‘ auf der Stirn zurecht tragen würde, ließ ihn die Stirn runzeln. War das nur freundschaftliches Geplänkel oder wahr? Wie auch immer, es bestätigte ihm gleichzeitig, vorsichtig zu sein. Zumal sich jener nicht nur einmal vergewisserte, wer alles hier im Raum saß. Auch ein vorsichtiger... was er wohl fürchtete?
 

Crash trank einen Schluck Bier und blätterte wieder in seinem Notizbuch, was er während des Essens zugeklappt hatte.

Wenn er die Muster richtig deutete, dann war das, was ihn vor einigen Tagen von der Küste weg in die Appallachen getrieben hatte, auf dem Weg in den Süden. Er war einem dieser Wesen begegnet. Sie schienen sich in die Gedanken der Menschen einzuklinken, um sie zu manipulieren. Es schien, als ernährten sie sich davon. Sie benutzten die kontrollierten Menschen nicht selten, um die anderen Einwohner zu töten. Es hieß, sie hätten selbst keine Körper. (Crash wusste es besser) Was ihr Ziel war, konnte er nicht sagen. Der manipulierte Mensch überlebte, doch er war gefangen in einem ewigen Alptraum. Die normalen Menschen glaubten, dass die Opfer aufgrund der gesamten Situation den Verstand verloren hatten. Es war immer angenehmer, sich alles Unerklärliche schön zu reden.
 

"Hast du das von Lenz gehört?"

Crash blätterte auf die Seite mit der Skizze der Karte. RedBeak - ein weiterer Punkt mit der Signatur für ‚shadow‘. Sie rückten tatsächlich weiter nach Süden vor. Vermutlich könnten sie in zwei drei Tagen hier sein. Ein Grund mehr, morgen früh von hier zu verschwinden.

Selbst wenn er es nicht gewollt hätte, hätte er keine andere Wahl gehabt, als das Gespräch weiter zu belauschen. Er spürte, wie sich etwas im Raum veränderte, sich zu konzentrieren schien. Zudem fiel ihm auf, dass es im Schankraum stiller geworden war, dass die zwei, die mit ihm hier angekommen sind, nervös wurden.

"Komm, erzähl deine Horrorgeschichten Leuten, die dich nicht so gut kennen."

Crash huschte ein Schmunzeln über die Lippen. Die Worte des scheinbar so Desinteressierten widersprachen dem, was sich eben für einen kurzen Moment bei diesem verändert hatte.

„Und das sagt ausgerechnet jemand, mit dieser Aura um sich...“, entfuhr es ihm sehr leise, ohne zu den zwei Männern zu sehen, so als habe er nichts gehört. Er schloss sein Buch, um zu verhindern, dass dieser Typ hineinsehen konnte, falls er überhaupt zu ihm sehen würde, falls er die Worte doch gehört hätte.

Erst jetzt blickte er den Wirt an. „Kann ich noch ein Bier haben?“, sagte er zuvorkommend lächelnd, während seine Finger bereits Münzen aus der Hosentasche herauszogen, abzählten und auf den Tresen legten.
 

Marius

Marius sah zu, wie der Wirt sich tatsächlich dem Fremden zuwandte, und tauchte seinen Löffel wieder in den Eintopf, als jener sich ein Bier bestellte. Alles in allem wirkte es nicht so, als würde er sich das Wort Aura durch den Kopf gehen lassen. Das war es doch, was der Typ da gemurmelt hatte, nicht? Nicht so, als ob jener sich am Gespräch tatsächlich beteiligen wollte. Ein wenig sarkastisch amüsiert? Hm... Marius spürte selbst, wie sich die Aufmerksamkeit der Kneipe auf ihr Gespräch gelenkt hatte. Sie alle gaben auf die ein oder andere Weise vor, von solchen Berichten nicht beeindruckt zu sein. Aber ein jeder hörte zu. Das war gut.

Seine eigene Aufmerksamkeit war jedoch seit dem Kommentar unabdinglich von seinem Essen weggezogen worden. Ganz als ob auf einem Radar auf einmal etwas aufblinkte, mit dem man nicht gerechnet hatte, und man mit dem Finger dagegen tippen wollte, um sich zu vergewissern, dass mit dem Gerät alles in Ordnung war. So änderte er seine Körperhaltung, um den Fremden und Harry gleichzeitig im Blickfeld haben zu können, als dieser ihm das gewünschte Bier hinstelle.

"Ich will nichts von kleinen, grünen Männchen wissen. Aber wenn du auf deiner Reise hierher was gehört hast, was ungewöhnlich ist, dann würd ich‘s tatsächlich gern hören. Dann geht das Bier hier auch aufs Haus", bot der Wirt diesem an.
 

Marius‘ Blick ruhte auf diesem, als er den nächsten Löffel zu sich nahm. Drahtig, wäre das Wort, das ihm als erstes einfallen würde. Gespannt wie eine Bogensehne, leise sirrend darauf wartend, los zu schießen. Oder geschossen zu werden. Kurze schwarze, etwas lockige Haare, wache dunkle Augen. Immer noch keine direkte Gefahr für ihn. Bei der Einschätzung blieb er. Aber nach diesem Kommentar? Vielleicht indirekt. Und vielleicht würde er auch nicht das Wort Gefahr in den Mund nehmen.

"Erzähl ihm einfach irgend ne Horrorstory, damit ist er schon zufrieden", richtete er schließlich das Wort an diesen, den Blick nicht abwendend. Es war nicht so, als würde er wie so nen Irrer starren, immerhin hatte er beide Männer im Blickfeld. Aber dennoch… Marius Herzschlag und Puls blieben völlig normal, doch wie vorher eben trat ein anderer Ausdruck in seine Augen. Klärte sie auf unbeschreibliche Art, ohne dass sich sonst etwas an ihnen änderte. Länger diesmal. Prüfend. Abschätzend. Sondierend.

Bis er sich den nächsten Löffel des Eintopf gönnte zumindest.
 

"Ich will nicht irgend ne Story, ich will die Wahrheit“, gab der Wirt zu bedenken und Marius schnaubte. Die Wahrheit. Sie alle wollten immer die Wahrheit, nur um dann Nachts wach zu liegen und sich vor all den Schrecken fürchten zu können. Er zuckte mit den Schultern, um zu zeigen, wie egal es ihm war. Langsam am Boden des Tellers ankommend, griff er sich die Scheibe Brot und führte sich diese zu Gute, bevor er schließlich nach seinem Bier griff und einen Schluck davon nahm.

Er gab sich immer desinteressiert, sobald es um solche Themen ging. Naja, im Grunde war er es die meiste Zeit auch tatsächlich. Die Geschichten, die manche der Reisenden erzählten hatten wenig mit den Dingen zu tun, die es dort draußen wirklich gab. Sie schürten Aberglauben, ließen die Zuhörenden jedoch auch aufmerksamer durch die Welt gehen. Darum mischte er sich eher selten ein. Höchstens, um klar zu machen, wie wenig er im Allgemeinen davon hielt. Marius hielt den Ruf als unantastbarer Nichtgläubiger, wenn es um Monster ging.

Sein Bier nachlässig in der Hand hin und her schwenkend zeichnete er sich innerlich eine Karte zum RedBeak. Zwei bis Drei Tage bis hierher über Land. Über den Fluss könnte es schon soweit sein. Aber natürlich rechnete niemand den Fluss mit ein, mit seinen tückischen Schnellen, Untiefen und vereinzelten Wasserfällen. Für Menschen nicht möglich. Daher auch nicht für anders, richtig? Gänzlich falsch. Aber sie waren eine Art kleine Siedlung und sollten damit uninteressant sein. Und da er ja nun noch hier war.. Man sollte einfach sagen, er würde heute Nacht trotz sämtlicher Geschichten über Schattenwesen sehr gut schlafen. Aber vielleicht sollte er trotzdem mal ne Runde drehen, bevor er ins Bett ging. Konnte ja nicht schaden so ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft.
 

Crash

Etwas Ungewöhnliches? War es denn nach so langer Zeit wirklich ungewöhnlich? Müsste man nicht eher sagen, „es ist ungewöhnlich“, wenn nichts passierte, wenn alles normal war, wenn alles danach stank, dass es ‚normal‘ war? Was war eigentlich ‚normal, was war ‚gewöhnlich‘? Crash lächelte matt, schob dem Wirt demonstrativ das Geld hinüber und nahm das Bier. Er strich mit dem Daumen über das feuchte Etikett. Der Generator tat hier gute Dienste.

Der Kommentar seines Nachbarn, er solle ihm ‚irgendeine Horrorstory‘ erzählen, ließ ihn auf- und diesen anblicken. Hm, offenbar hatte jener doch gehört, was er gesagt hat und hatte nun doch Interesse an ihm. Warum sonst sollte er sich ihm zugewandt haben, obwohl er vorhin so bemüht war, an niemand anderem Interesse zu haben, als an dem Eintopf? Hieß das nun, dass er sich nicht irrte und diesen etwas Besonderes umgab? Schließlich fragte er nicht nach oder war gar erbost über seinen Kommentar. Solche ‚Vorwürfe‘ konnten in falschen Ohren normalerweise auch Schwierigkeiten für den Beschuldigten bedeuten und Crash ärgerte sich über sich selbst, dass sie ihm herausgerutscht waren. Einen Moment blickten sie sich an, die strahlend blauen Augen des anderen waren ausdrucksstark, schier durchdringend. Ja, dieser Mann war stark. Er war niemand, bei dem er sich freiwillig für einen Käfigkampf melden würde.

Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf den Wirt, der erneut nachhakte, er wolle die ‚Wahrheit‘ hören. Crash schnaubte. „The truth is a beautiful thing“, murmelte er halblaut und fügte in Gedanken weitere Textzeilen aus dem Lied hinzu. ‚ Could you take my place and stand here? I do not think you'd take this pain. You'll be on your knees and struggle under the weight

„Nichts Ungewöhnliches“, sagte er und zuckte mit den Schultern. Damit sagte er die Wahrheit. Nein, er war allem aus dem Weg gegangen – zumindest gestern und heute. Zudem: Nein, es war nichts mehr Ungewöhnliches, all diesen Wesen zu begegnen, all den Menschen zu begegnen, die Kräfte hatten, die man früher in ‚irgendwelchen Horrorstorys‘ verpackt hatte. Es sollte zum Alltag werden, es sollte genauer untersucht werden, gelehrt werden, gelernt werden. Es gab Möglichkeiten, all diesen Dingen zu begegnen – zumindest ahnte das Crash. In New York gab es Bewegungen, deren Absichten er noch nicht durchschaute, aber sie propagierten ein gemeinsames Miteinander – solange beide Seiten friedlich waren. Er selbst hatte bisher immer nur gelehrt bekommen, Ärger aus dem Weg zu gehen und dass alle Wesen abartig waren. Doch er zweifelte, hatte immer gezweifelt.

Die Menschen, die mit dem vermehrten Auftreten von allerlei Wesen und lichtscheuem Gesindel umgehen konnten, wurden selbst für Wesen gehalten, die der Menschheit übel wollten. Jeder, der offenbarte, diese Wesen bekämpfen zu können, war selbst verdächtig, übernatürliche Eigenschaften zu haben. Und alles, was als übernatürlich angesehen wurde, wurde verteufelt. Dabei war das… Nun ja, er verrannte sich in seinen Gedanken.

„Nichts, was es nicht schon gab“, fügte er an. „Nichts, was man nicht schon gesehen hat. Nichts, vor dem man sich nicht ohnehin schützt.“ Zumindest würde ein solcher Kommentar vielleicht so viel Unruhe schüren, dass sie die Wachen aufrütteln würden. Bevor er heute Nachmittag in die Stadt gefahren war, hatte er sie beobachtet. So, wie dieser Point Zero momentan aufgestellt war, würde jeder die Sperren durchbrechen können – ob Mensch oder Monster.

„Frag die zwei dahinten in der Ecke. Die wissen etwas.“ Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter in Richtung der zwei Männer, die gerade das Geld auf den Tisch legten, um dann ins Zimmer gehen zu können. Dann wandte Crash sich wieder seinem Bier zu, drehte den Oberkörper etwas mehr als nötig. Nein, er hatte keine Lust über solche Dinge zu reden. Und er sah sich auch nicht in der Pflicht jemanden vor Dingen zu warnen, die jedem bewusst sein sollten. Gewiss merkten die Menschen hier, dass viele Reisende von Norden, vor allem aus der Region der Appalachen durchzogen, die verschreckt waren. Sie hörten gewiss mehr Geschichten wie die von ‚Lenz‘ - wer auch immer das war. Wenn man von zwölf auf Mittag denken konnte, dann war das einfach zu interpretieren.
 

Marius

Uuuuuund weg war es, sein Interesse.

Der Blickkontakt hatte auch nicht mehr verraten als es sein Gehör getan hatte und die abspeisenden Worte waren eben genau das. Die Typen, die sich hinter ihnen daran machten aufzubrechen, hätten mit Sicherheit nichts beizutragen, sonst wären sie schon lange auf die Aussicht auf ein kostenloses Bier aufgesprungen. Keiner von ihnen lehnte gute, kostenlose Dinge ab. Nun bis auf den Typ da scheinbar.
 

Sich ebenfalls erhebend, setzte er sein Bier an und trank es in einigen Zügen leer, bevor er es wieder auf den Tresen stellte. "Da hörst du es, Harry. Absolut nichts Ungewöhnliches. Du kannst deinen Prinzessinnenschlaf also ruhig beibehalten." Sich dann einen Schein aus der Gesäßtasche seiner Jeans ziehend, warf er diesen ebenfalls auf das dunkle Holz und sah dann am Wirt vorbei zu den kleinen, unscheinbaren Glöckchen an der Wand hinter diesem. Er nickte in deren Richtung: "Das dritte da, ist das der Brunnen?"

Harry griff sich den Schein von Marius ebenso wie das Geld von Crash und grunzte. "Richtig. Nichts vor dem man sich nicht ohnehin schützt." Es klang nicht sehr überzeugt. Sich dann zu den Glöckchen umwendend, nickte er. "Ja, wieso?"

Die Lederjacke zurechtrückend, ließ er seinen Kopf einmal in den Nacken rollen bis es leise knackste. "Hab vorher gedacht, die hätte sich bewegt. Muss ich mir eingebildet haben." Oder es war wieder irgendwelches Laub durchgeflogen. Die Fäden, die zu den Glocken führten, bimmelten schon mal falschen Alarm. Aber nach dem Gehörten heute Abend…

"Die dummen Dinger sind in letzter Zeit in einer Tour am Bimmeln und jedes Mal, wenn wir rausgehen, war‘s irgendwelches Wild, das zu neugierig auf die paar Felder ist, die wir haben."

Marius nickte, klopfte mit der Hand auf den Tresen und hob sie dann zum Abschied. "Lass dich nicht von Marsmännchen entführen."

"Verpiss dich endlich."
 

Aus der doch recht angenehm warmen Kneipe hinaus in die kühlere Nacht tretend, atmete Marius erst einmal tief durch und warf einen Blick zum Himmel. Zwar einige Wolken, aber man konnte die Sterne klar erkennen. Ebenso wie den fast vollen Mond. Perfekt für den kleinen Spaziergang also. Seine Hände tief in die Jackentaschen versenkend, marschierte er eine Weile die Straße entlang, bis er zwischen zwei Häusern durch eine Gasse lief. Jene führte zum 'hinteren' Teil ihrer Siedlung. Also zu jenem Teil, in dem immer mal wieder versucht wurde, etwas zum wachsen zu bekommen. Und ungefähr 100 Meter weiter in einem der Felder war ihr Brunnen. Eines jener alten Relikte, das überhaupt kein Anrecht darauf hatte, überhaupt noch zu existieren. Aber er tat es. Trotzte mit seinen dicken Steinen nicht nur Wind und Wetter sondern auch Krieg und allem, was sonst noch so in der Welt freigesetzt worden war. Über dem Runden Schacht war eine schwere Steinplatte aufgelegt worden. Es bräuchte 3 Männer, um jene weit genug zu bewegen. Und auf eben genau jene begab er sich mit wenigen Bewegungen und ließ sich darauf in breitbeiniger Hocke nieder. Die Arme locker auf seine Oberschenkel legend, in die Nacht hinaus horchend.
 

"Na kommt, jetzt hab ich soviel gehört, jetzt wäre ich fast enttäuscht…", murmelte er und schloss schließlich seine Augen. Einatmen, halten, ausatmen. Einatmen, halten - pling -, ausatmen. Die Augen wieder öffnend, runzelte er die Stirn. Marius mochte zwar gesagt haben, dass es enttäuschen wäre, aber ... In einer geschmeidigen Bewegung vom Brunnen springend und sich dann aufrichtend, hielt er abermals kurz inne. Sich orientierend. Nur um dann weiter von der Siedlung durch das Feld, hinaus in die Nacht zu marschieren. Da war keine Angst oder Vorfreude oder sowas. Jede Bewegung war gemächlich, fast etwas nachlässig, bis er abermals stehen blieb. Und wartete.
 

Crash

Mit einem Mal herrschte generelle Aufbruchstimmung. Die beiden Männer wirkten wie auf der Flucht. Wieso wollten sie ihre Geschichte nicht loswerden? Weil sie Dinge gesehen hatten, die sie nicht erklären konnten? Crash wusste, wie sehr der Mensch sich scheute, Problemen als solche anzusehen und etwas dagegen zu tun. Genau dieses Verhalten hatte ihnen diese gesamte Scheiße hier letztlich ja eingebrockt. Dass niemand aus der Geschichte lernte, war auch nichts Neues. Irgend so ein Typ, Darwin meinte sich Crash zu erinnern, hatte vor Urzeiten mal die Theorie aufgestellt, dass die Menschen, die es nicht verdienten, dass ihr Erbgut weiter auf der Welt existierte, sich ohnehin gerne selbst umbrachten – oder so ähnlich. Nun, irgendwie schien fast die gesamte Menschheit nicht berechtigt, fortbestehen zu dürfen.
 

Crash trank noch einen Schluck, bekam das Gespräch mit den Glöckchen mit, spürte, wie diese starke, so warme Aura sich entfernte. Etwas wie Wehmut ließ ihn erstaunt den Kopf schütteln. Irgendwas hatte dieser Typ an sich.

Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die anderen Gäste. Er lauschte den Stimmen der beiden Männer, die offenbar miteinander diskutierten. ‚…ein Recht darauf, gewarnt zu werden… wir auch… mehr überlebt…‘ Ob die Shadows doch näher waren, als gedacht?

Er trank noch einen schluck Bier, blickte dann zum Wirt, deutete ihm, zu ihm zu kommen. „Harry.., richtig?“ Das Nicken bestätigte ihm das. „Der Mann hier neben mir eben. Ist er ein Ortsansässiger?“ Der Wirt schüttelte lachend den Kopf. „Wenn er von hier wäre, wäre er nicht so ein verdammter Scheißkerl. Meine Frau nennt ihn nur ‚Prinzlein‘. Wo er herkommt, hatte er Menschen um sich, die ihn von früh bis spät bedient haben.“ Er schnaubte und Crash sah ihm an, dass er jenen dennoch mochte. Vermutlich war also an all dem Gerede nichts dran. Vielleicht redete er so, gerade weil er ihn so mochte? Crash schob den Gedanken zur Seite. Er spielte keine Rolle.

„Wie lange?“, fragte er dann. Harry hob die Schultern, runzelte die Stirn, verzog nachdenklich den Mund. „‘n Jahr vielleicht, nicht ganz…“ Dann ließ er die Schultern wieder fallen. „War irgendwann da und blieb. Hilft hier und da…“ Crash nickte nachdenklich. Irgendwas irritierte ihn, störte ihn. „Ich muss dann mal…“, entschuldigte sich Harry und kassierte die beiden Männer doch noch ab, auch andere wollten nun zahlen.

Ein Mann mit einer großen Aura; jemand, der den Raum erfasste; jemand, der die kleinsten Veränderungen wahrnahm. Jemand, der nicht hierherkam, um Gesellschaft zu finden, sondern Informationen zu sammeln? Ob er auf der Flucht war? Sich hier versuchte zu verstecken, an einem Point Zero? Ging so jemand nach seiner zweideutigen Antwort wirklich ins Bett? Nachdem er das Glöckchen bimmeln gesehen hatte?

Crash stand nachdenklich auf, ließ das halbe Bier stehen. „Wo ist dieser Brunnen?“, fragte er den Wirt, der ihm etwas stutzend antwortete und ihm die Richtung erklärte. Crash dankte und fügte hinzu: „Schließ die Tür gut." Dann ging er in sein Zimmer, packte seine Sachen, verließ das Zimmer durch das Fenster über das Schuppendach und eine Leiter, die er vorsichtshalber danach auf den Boden legte. Dann ging er zu seinem Wagen. Er schmiss seine Tasche hinein, sah, dass im Laden noch Licht brannte und ging hinüber, um seine Einkäufe zu holen.
 

Als er den Laden verließ, spürte er es. Es fühlte sich an, wie die Stille vor einem Gewitter, wie die Ruhe im Auge eines Tornados, wie das Zappeln der Fische auf dem plötzlich aufgedeckten Meeresbogen, bevor ein Tsunami hereinbrach. Crash biss sich auf die Lippen. Er war zu früh aus den Appalachen an die Küste gefahren. Er hätte in den Bergen bleiben sollen.

Er wollte einsteigen, aber etwas hielt ihn. Schon die ganze Zeit schien in ihm etwas zu hadern. War es Neugierde? War es die Hoffnung, dass da noch jemand war, der mehr wusste, als die anderen wissen wollten?
 

„Fuck!“, knurrte er und schlug die Autotür zu, ohne eingestiegen zu sein. Dafür holte er eine kleine Schachtel aus dem Kofferraum.

Dann lief er los zu eben jenem Brunnen, erst zügigen Schrittes, dann rannte er jedoch.

Er sah die Silhouette des anderen schon von weitem. Es war fast ein wenig gespenstisch, wie jener auf der Wiese stand, reglos, scheinbar den Brunnen anstarrte. Der Mond verschwand immer nur kurze Momente hinter Wolkenfetzen und bot ansonsten ausreichend Licht.

Crash trat näher. „Kommen sie wegen dir?“, sprach er den Gedanken aus, den er schon in der Bar gehabt hatte.

Schattenhyänen

Marius

Er ließ seinen Blick durch die Nacht schweifen, schon längst gefunden habend, was er suchte. Kein Grund zur Ungeduld. Ruhig verharrend strich er nicht einmal seine Haare aus der Stirn, die ihm inzwischen lose in diese fielen. Leichter Wind trieb sämtliche Gerüche der Siedlung in die Nacht hinaus. Demnach auch seinen. Es sollte also im Grunde vollkommen reichen.
 

Doch ein paar Minuten später war es nicht nur Wind, der aus Richtung der Siedlung kam. Leichte, jedoch schnelle Schritte näherten sich ihm. Panisch? Eher nicht. Aber er erkannte sie auch nicht als einen der Leute hier. Zu leichtfüßig für die meisten hier. Und wer wollte von ihnen auch hier raus kommen? Da gab es nicht mehr so viele andere Optionen. Und da er immer noch keine Gefahr von dieser Person für sich fühlte, hielt er den Blick weiter in die Nacht gerichtet.

Erst als jener recht nahe zu ihm trat und ihn ansprach, warf er ihm einen kurzen Seitenblick zu. Schon alleine, um zu zeigen, dass er ihn vernommen hatte. Sah so aus, als wäre der Kerl wirklich gerannt. Und ahnte wohl, um was es ging, wenn man seine Frage berücksichtigte. "Dein Herzschlag und Puls beschleunigen sich beim Rennen. Du solltest das in solchen Situationen vermeiden", beschied er ihm schließlich und wandte den Kopf wieder ab. Es waren vier, wenn er sich nicht verzählt hatte. Und noch strichen sie um den Parameter herum den, er ihnen und anderen gesetzt hatte. Waren sich scheinbar noch nicht sicher, ob sie es riskieren wollten. "Es zieht sie an. Beute läuft immer davon." Seine Stimme beinhaltete keine Wertung. Mehr als ob er etwas zitieren würde.
 

Da, am Rande des Feldes war jenes Wesen, das wohl der Anführer der kleinen Gruppe war. Kaum erkenntlich für jemanden, der nicht wusste, auf was er zu achten hatte. Fast perfekt verschmolzen mit der Nacht, obwohl jene hell genug durch den Mond mit den wenigen Wolken war.

"Und im Grunde ist es genau umgedreht." Er wandte sich dem jüngeren wieder zu. Noch nicht sehr besorgt, dass seinem Gebiet wirklich ein Angriff bevorstand. "Sie sind noch nicht vorgedrungen, weil ich hier bin." Marius ging wahrlich nicht mit seinen Eigenschaften hausieren, doch der Kerl hatte sich ein paar Antworten verdient. Jener hatte ihn in der Bar erkannt. Bestimmt wusste er nicht als was, aber etwas war da gewesen. Auch wenn Marius sich etwas mehr Verschwiegenheit von Leuten wie diesem gewünscht hätte. Aber womöglich war jener noch am lernen. Sogar recht wahrscheinlich. Gerade wenn man bedachte, dass er mit dieser Frage hier aufgetaucht war. Er hätte auch einfach aus der Siedlung abhauen können. Doch nun stand er hier, neben Marius. Jemandem, den er nicht kannte. Mitten in der Nacht. Sich nicht sicher sein könnend, ob er im Grunde Freund oder Feind war und ob dort draußen wirklich etwas war, das auf ihn lauerte.
 

Leise seufzend hob Marius die Hand und zeigte auf eine Stelle. "Beobachte den Schatten, den das offene Tor wirft. Er wird immer wieder länger und größer. Da sind sie sich gerade noch nicht sicher, was sie machen sollen. Vier Stück, wenn ich richtig gezählt habe. Rah'ivs - Schattenhyänen. Die ersten, die ich soweit südlich erlebe. Ist wohl doch an der Zeit weiterzuziehen." Letzteres murmelte er mehr zu sich selbst. Aber anders als sein Gesprächspartner nun vielleicht denken könnte, war Marius nicht wirklich auf der Flucht. Er folgte seinen Instinkten. Und bisher war er damit gut gefahren.
 

Crash

Mit jedem Schritt, den er dem anderen näher gekommen war, hatte er deutlicher diese Aura gespürt, die jenen umgab. Er spürte sie, empfand sie aber nicht als gefährlich. Eher im Gegenteil. Es fühlte sich eher an wie ein warmer Sommerregen - Crash verzog die Stirn zu einem irritierten Runzeln bei diesem Gedanken.

Der Typ aus der Bar jedenfalls regte sich nicht. Erst als er ihn angesprochen hatte, sah er ihn kurz an, so als sei sein Kommen eher lästig, weil er gerade schwer beschäftigt war. Seine Frage wurde ihm nicht beantwortet. Dafür bekam er den überaus freundlichen Hinweis, dass er seinen Pulsschlag besser unter Kontrolle haben sollte?! Crash hob erstaunt die Augenbrauen und sah den Größeren zweifelnd an. „Mir ist mein Puls egal“, knurrte er leise, „wenn ich das Gefühl habe, dass jemand entweder Scheiße baut oder Hilfe braucht.“ Wobei Letzteres ihm normalerweise egal war. Der Gedanke, dass - was auch immer da draußen war - wegen diesem Mann gekommen war, hatte zwei Seiten: kamen sie in der Absicht, ihn anzugreifen, oder kamen sie, weil er sie kontrollierte. Er war schon Symbionten begegnet, die eine Vereinigung mit Tieren eingegangen waren. Ob das bei den Shadows auch möglich war, wäre ihm neu, sie würden vom Schatten gelenkt. Aber da er letztlich das Gefühl hatte, ohnehin über gar kein Wissen zu verfügen – und doch irgendwie sehr viel wusste, würde ihn auch das nicht wundern.

"Es zieht sie an. Beute läuft immer davon."

Crash trat noch einen Schritt nach vorne, nicht unbedingt näher an den anderen heran - von dem hielt er einen Sicherheitsabstand - sondern zur Seite, um in die selbe Richtung blicken zu können.

Bezog jener die Worte auf ihn? Seinen Puls? Oder auf die Menschen, die auf der Flucht aus dem Norden hier durchkamen?

Seine Augen verengten sich, als er einer Bewegung gewahr wurde. Ein Schatten, ähnlich dem, den er Virginia gesehen oder eher erahnt hatte. Genau konnte er es nicht erkennen. Auch damals hatte er das nicht gekonnt, nur gemerkt, dass da etwas war. Er hatte gewartet, aber was auch immer es gewesen war, hatte kein Interesse an ihm gehabt.

‘Vor den Schatten darf man nicht davonlaufen. Sorge dafür, dass sie dir nicht begegnen. Aber wenn sie dich sehen, laufe nicht davon. Dein Schatten wird dir folgen! Und geh möglichst nicht durch die Schatten. Sie gehören dem Schatten!‘

Er war nie schlau aus seiner Mutter geworden, hatte auch nicht aus ihr schlau werden wollen. Erst langsam begriff er, dass sie auf ihre ganz abstruse Weise versucht hatte, ihn auf etwas vorzubereiten. Sie hatte mit allem, was sie gesagt hatte, ihn nach ihren Vorstellungen vorbereitet und erzogen – aber auf was? Wofür? Im Guten oder Bösen? Er wusste es nicht. Im Moment wusste er gar nichts mehr. Er war auf der Suche nach der Wahrheit, die bitter auf der Zunge schmeckte, ohne dass er wusste, ob er sie schlucken oder ausspucken wollte.

Nun sprach der andere weiter und Crash begriff nicht, worauf er es bezog: auf seine Frage oder auf das zuvor Gesagten. Doch die Klärung folgte sogleich. Weil er hier war? - Crash sah ihn ungläubig an. War der Kerl größenwahnsinnig? Glaubte er, die Macht über solche Schattenwesen zu haben?

Crashs Blick folgte dem Fingerzeig und er sah den Schatten am Tor. Es wirkte tatsächlich wie ein Lauern, ein Abwarten, ein Zögern.

Rah'ivs - etwas regte sich in Crash, als er den Namen hörte, eine Erinnerung, so deutlich, wie wenige. Er sah sich an seine Mutter gepresst, von ihren Armen gehalten. Sie kauerten in einem verlassenen, ziemlich verfallenen Haus. Es war dunkel, still, bedrohlich. Sie hielt ihm ein Ohr zu, doch durch das andere auf ihrem Brustkorb konnte er dennoch gut die Worte hören, die sie vor sich hin sang. „Rah‘vis rahkin da dalif krakan fasih. Mupta deleshi“, murmelte er leise den Singsang seiner Mutter. Der Schatten schien kleiner zu werden, Crash meinte ein Jaulen zu vernehmen, wie das eines geprügelten Hundes.

Irritiert sah er zu dem Größeren, erinnerte sich erst jetzt an die Worte, die jener auch an ihn gewandt hatte. „Was treibt sie nach Süden?“, fragte er. „Ist es die ‚weglaufende Beute‘? Oder werden sie wirklich getrieben?“ Dass der andere weiterziehen wollte, konnte er verstehen. Er blieb ja momentan auch nicht gern an einem Fleck. Aber bedeutete das nicht, wenn er alles zusammen betrachtete, dass er die Leute hier, ihrem Schicksal überlassen würde? Leute, bei denen er ein Jahr gelebt hatte, die befreundet mit ihm waren?

Aber das spielte jetzt gerade keine Rolle. Es zeichnete sich dadurch nur ein klareres Bild von diesem Arschloch - wie Harry ihn vielleicht zurecht tätowiert hatte.
 

Marius

Das fast schon bellende Lachen, das ihm entkam, war gänzlich ungewollt, als er die pikierte Stimme des anderen hörte. Im Grunde war an der Situation auch gar nichts lustig, aber etwas an dem Satz stichelte seine Lachmuskeln. Das Geräusch jedoch schnell wieder verstummen lassend, blieb nur eine Ahnung von einem Lächeln auf seinen Lippen zurück. "Dir mag dein Puls scheißegal sein, denen da ist er es nicht." Der Rest des Satzes war jedoch fast schon interessanter. "Und von beiden genannten Optionen unter welcher Voraussetzung bist du dann hier? Weil ich Scheiße baue, oder weil ich Hilfe brauche?" Marius Augen funkelten interessiert auf.
 

Es war nicht so, als ob er den Hyänen keine Aufmerksamkeit mehr schenken würde. Aber das waren niedere Schattenwesen. Selbst Kugeln könnten sie töten, wenn sie in dem Moment trafen in welchem der Körper ganz in dieser Welt war. Sein Parameter - wenn man so wollte auch gestecktes Revier - sollte sicher sein. Vor ein paar Jahren war er schon einmal auf mehr von denen getroffen. Es gab andere und jene wollte er nicht einmal einzeln treffen, ohne Vorbereitung. Nein, im Grunde wollte er auf überhaupt keine von den Viechern treffen. Weder auf die eine, noch auf die andere Art und Weise.
 

Als er schließlich seine kleine Erklärung losgelassen hatte, war da eher wenig Überraschung im Gesicht des anderen zu sehen. Soweit man das in dem blassen Mondlicht überhaupt abschätzen konnte. Aber inzwischen hatten sich seine Augen doch recht gut an das kaum vorhandene Licht hier draußen gewöhnt. Stattdessen nuschelte jener etwas und... Marius Kopf ruckte herum in Richtung des Tores als das leise, ein wenig gequälte Jaulen erklang. Ein paar Mal langsam blinzelnd, ignorierte er die gestellte Frage erst einmal. Konnte es sein? Hatte er da gerade wirklich jemanden mit der Macht über Worten neben sich stehen? Mit der Macht, Worten Leben und damit Bedrohung einzuhauchen?
 

Sich diesem abermals zuwendend trat er ein paar Schritte in dessen Richtung: "Sag sie nochmal. Die Worte, die du gerade genuschelt hast. Laut, als ob du etwas befehlen würdest. Leg soviel 'wehe wenn nicht' in deine Stimme, wie du kannst. Sprich sie tief aus dem Brustkorb, mit der größten Überzeugung, dass sie funktionieren werden, die du aufbringen kannst." Er machte eine wegwerfende Bewegung in Richtung des Tores. Und als der Kerl ihn ansah, als ob er nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte, hob Marius nur eine Augenbraue, ganz als ob er fragen würde, ob das heute noch was werden würde? Und schließlich tat es der jüngere Mann sogar. Zuerst noch ein wenig zögerlich. Zu zögerlich, wenn es nach Marius ging. Doch schließlich gewannen die Worte an Lautstärke und ja.. ja da war etwas, das er lange nicht mehr gespürt hatte. Da war die Kraft, die immer einher ging, wenn sich Mächte trafen und maßen. Und obwohl die fremde Sprache noch lange nicht so ausgesprochen worden war, wie Marius sich das gewünscht hätte, so besaß sie doch genug Schlagkraft. Diesmal war es nicht nur ein leises Jaulen das ertönte. Jaulen. Panisches Gekeife und wenn ihn nicht alles täuschte, sogar das schmatzige Entstehen einer Wunde. Huh…
 

Seinen Körper entspannend, steckte er seine Hände wieder in seine Jackentaschen und hielt den Mann da vor sich im Blick. Die Hyänen waren schon auf dem Rückzug. Es gab keinen Grund mehr, sich auf jene zu konzentrieren. "Nicht schlecht, fürs erste Mal, wie ich vermute? Bisschen zu zaghaft, aber daran kannst du ja arbeiten." Sein Gewicht von einem Bein aufs nächste verlagernd, überlegte er kurz. "Keine Ahnung, was die Viecher soweit in den Süden treibt. Vielleicht Ausläufer vom Winter. Sie bevorzugen kühlere Gegenden. Das sind instinktgetriebene Wesen. Sie denken nicht so weit wie du ihnen das unterstellst mit der Frage nach der weglaufenden Beute. Du und ich wären jetzt gerade Beute gewesen. Nicht die nen Tag entfernte, nächste Siedlung." Er hielt inne, den Kopf ein wenig schräg legend. Nachdenkend. "Aber ja, vielleicht werden sie von etwas getrieben. Who knows?"
 

Crash

Mit dem Wissen um die Hyänen begriff Crash, weshalb den anderen sein erhöhter Pulsschlag vorhin gestört hatte. Dass jenen sein Unwissen amüsiert hatte, war ihm egal. Zeichnete das negative Bild nur deutlicher. Auch seine provokante Frage, wofür er da war, trugen dazu bei. Er hatte ein „Um das herauszufinden, bin ich hier.“ geknurrt, damit das Thema für seinen Teil zumindest beendet.

Nun trat dieser Kerl zu ihm und befahl ihm, erneut die Worte seiner Mutter zu benutzen, sie zu rezitieren, als seien sie Befehle. Was bildete der Kerl sich eigentlich ein?! Und dazu dieser Blick. Als sei er ein doofer Schuljunge, oder Harry, der nach seiner Nase tanzen musste, wie er das wollte. Seine Augen verengten sich etwas, er hob abwehrend das Kinn und blickte den anderen unverwandt, fast ein wenig trotzig an.
 

Allerdings spürte er, wie sich das Dunkel jenseits der Schatten zu formieren schien, im Begriff war, einen Gegenangriff zu starten. Nun, schaden konnte es sicher nichts...

„Rah‘vis rahkin da dalif“, begann er etwas zögerlich, räusperte sich und fuhr etwas nachdrücklicher fort, „krakan fasih. Mupta deleshi“ er spürte diesmal mehr Widerstand und Abwehr als beim ersten Mal, als er die Viecher vermutlich überrascht hatte. „Rah‘vis rahkin da dalif krakan fasih. Mupta deleshi“, wiederholte er nun lauter, bestimmter immer wieder und wieder. Er spürte Widerstand, hörte und fühlte, was die Worte bewirkten. Sein Körper schien zu schwanken, es kostete Kraft und er spürte, dass er schwitzte, obwohl er sich kaum bewegte. Es war ein seltsamer Kampf, doch der Widerstand ließ schließlich nach. Dann verschwand er sogar. Crash atmete schwer, war mit einem Mal furchtbar müde. Er lauschte in sich hinein, um sich herum, kurz die Augen schließend. Die Aura, die er nun an diesem Ort spürte, war nur noch von dem Kerl, der glaubte er, Crash, sei ein naives kleines Kind, wie seine folgenden Worte ihm deutlich machten.

Er war nicht schlecht gewesen?! Fürs erste Mal?! Aber zu zaghaft?! Klang wie: ‚Du Mädchen!‘

Crash schnaubte genervt, verzog unwillig den Mund. Wäre die Tatsache, dass sie sich hier gerade über die Schattenwesen unterhielten wie andere über das Wetter nicht verblüffender gewesen, wäre er dem Kerl gern verbal ins Gesicht gesprungen.

So aber schluckte er seinen Ärger runter und hörte den Überlegungen des anderen zu. Offenbar kannte jener sich mit diesen mystischen oder was auch immer Wesen aus - was ihn aber nicht unbedingt sympathischer machte.

Crash richtete sich wieder mehr auf. Ihm lag die Frage auf der Zunge, ob die Schattenhyänen wiederkommen würden, doch er schluckte sie runter. Ein weiterer Vortrag über sein Nichtwissen war nicht nötig. Er nickte die Feststellung ab, dass sie die Beute gewesen wären und ihm war klar, dass diese Schattenhyänen vielleicht nur Vorboten für etwas Größeres gewesen sein könnten. Wie auch immer. Eines stand fest: Zeit zu verschwinden!

Schlafen würde er dann halt morgen wieder. Innerhalb der Ortschaft fühlte er sich gerade wenig wohl.

Er drehte sich um, hob die Hand zum Abschied und lief los.
 

Marius

...sprachs und ging weg.
 

Marius konnte sich ganz ehrlich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte mal so tiefgehendes Amüsement mit einer Situation verspürt hatte. Auf welche Knöpfe hatte er gerade gedrückt, um solche Blicke abzubekommen? Hatte der Kerl vielleicht doch schon mehr Erfahrung und fühlte sich jetzt auf den Schlips getreten? Sah aber halt so gar nicht danach aus. Also, nach der Erfahrung. Es wirkte kurzzeitig eher so, als würde der Typ mit dem nächsten Windhauch in sich zusammenklappen. Naja, der würde schon merken, dass so etwas Übung brauchte.

Nicht, dass er da viel mitreden könnte. Das waren alte Erfahrungswerte und betrafen ihn persönlich nicht. Marius selbst war anders. Anders als alle anderen. War das ein Satz? Die Stirn leicht runzelnd, hob er schließlich doch endlich eine Hand, um sich die in die Stirn gefallenen Haarsträhnen wieder nach hinten zu streichen. Die Hyänen dürften heute erst einmal genug haben.
 

Sich auf den Heimweg machend, dachte er über die Geschehnisse des Abends nach. Er hatte sich hier zum Bleiben entschieden, weil die Leute hier das meiste mystische Zeug als Aberglauben abtaten. Sie lebten noch in ihrer heilen Welt. Die Kreaturen und Menschen, die anders waren, waren ihnen bisher erspart geblieben oder hatten sich nicht zu erkennen gegeben. Sozusagen das Paradies für Marius. Alles auf das er hier aufpassen musste, waren die paar Idioten, die meinten, dass ihre Siedlung ein leichtes Ziel war. Sah ja auch auf den ersten Blick so aus, aber er wäre niemals ein Jahr irgendwo geblieben, wenn er sich nicht halbwegs sicher fühlen könnte. Also war er an die Arbeit gegangen. Hatte unauffällig geschult, Frühwarnsysteme wie die Glocken eingebracht, die Generatoren im Keller der Bar mit anderen Kellern verbunden. Die versteckten Scheinwerfer auf den Dächern und so weiter und so fort.
 

Schließlich seine kleine Wohnung betretend, hielt er mitten im Raum inne. Wenn er wirklich weiterziehen wollte, dann sollte er das wohl baldmöglichst tun. Also wäre es Zeit für eine Bestandsaufnahme. Nicht, dass er viel besaß, auf das er Wert legte, aber wenn er wieder auf Reisen ginge, dann bräuchte es ein wenig mehr als seine Klamotten und Waffen. Er fühlte sich noch ausgeruht, durch die letzten Tage. Könnte er also sogar noch diese Nacht aufbrechen? Sollte er? Es würde ihm ein wenig um Harry und Silvia leid tun, aber er war sowieso nicht der Typ für großes Abschiednehmen. Zudem er sich recht sicher war, dass zumindest Silvia heulen würde.

Marius verzog das Gesicht. Er konnte weinende Frauen nicht leiden. Eigentlich konnte er es überhaupt nicht leiden, wenn geheult wurde. Das brachte einen in den wenigsten Fällen weiter.

Sein Bett ein Stück auf die Seite schiebend und eines der nun losen Bretter anhebend, zog er seinen großen Hikingrucksack aus dem frei gewordenen Platz hervor. Und dann ging er methodisch daran, alles einzupacken wie er es benötigen würde. Wie wichtig die Dinge priorisiert waren und wie schnell er rankommen musste. Sich den schwarzen Polyestergurt um den Oberkörper schnallend, heftete er seine Waffe schließlich über seine Schulter, bis das kleine Klicken davon verkündete, dass sie nun sicher zwischen seinen Schulterblättern befestigt war.
 

Da er methodisch vorging, dauerte es vielleicht eine Stunde, bis er schließlich in der Scheune nebenan das Tor aufschob. Dahinter kam das einzige zutage, mit dem er schon immer eine Hass-Liebe geteilt hatte. Sein schweres Motorrad. Keine Ahnung was das mal für ne Marke gewesen war. In den letzten Jahren hatte er soviel daran rumgeschraubt, dass davon sowieso nicht mehr viel übrig sein dürfte. Das mit den Autos hatte er in seinen jüngeren Jahren mal versucht, doch die waren ihm nicht anpassungsfähig genug. Zu schwerfällig. Zu abhängig von Straßen. Mit den Reifen, die das Baby hier nun dran hatte, war auch ne Feldüberfahrt nicht das schlimmste, das einem passieren konnte.

Die Maschine rausschiebend, seufzte er. Irgendwie tat er sich tatsächlich schwer hier zu verschwinden. Es dürfte mit eines der angenehmsten Jahre seines Lebens hier gewesen sein und sobald er die Maschine anwarf, würde er unweigerlich wieder im Survivalgeschäft mit einsteigen. Marius war gut darin, das war es nicht. Aber die Abende auf der Veranda oder die Spaziergänge auf den Feldern würden ihm tatsächlich fehlen. Damn it.
 

Den Schlüssel einsteckend und das Motorrad schließlich anwerfend, nickte er zufrieden, als die Maschine ruhig dahin schnurrte. Na gut, dann ging die Reise wohl wieder los. Er ließ das Licht aus, bis er ein ganzes Stück aus der Siedlung draußen war. Mal sehen, wo er bis zum Morgengrauen ankam. Die Nächte über zu reisen war für ihn sicherer als sie schlafend zu verbringen. Nächte waren gefährlicher als Tage. Blieb nur noch abzuwarten wie schnell sich sein Biorhythmus wieder umstellen würde.

Doll

Crash

Warum war das verdammt noch mal so schwer? Er wollte doch nur diese beschissene Stadt erreichen!!!! Crash fluchte laut, trat gegen ein Blech, das auf dem Boden liegen geblieben war – vermutlich nach der Massenkarambolage, die sich vor ihm eröffnete. Crash wusste ja, dass die Straßen nicht mehr alle befahrbar waren, dass es nur wenige Routen gab, die durchgängig waren. Und die, die es waren, waren gefährlich. Er fuhr ja schon die schwerer zu befahrenden Straßen, was mit seinem PickUp im Grunde auch meist ging. Aber heute war es wie verhext! Egal, welche Route er nahm – irgendwas schien etwas dagegen zu haben, dass er wieder näher Richtung Küste wollte. Hier ein umgestürzter Baum, dort ein Erdrutsch, der die Straße begraben hatte. Oder ähnliche Hinternisse…

Nach den Vorkommnissen vor Kurzem war er wieder weiter in Richtung Berge gefahren, hatte aber die Richtung wieder geändert, als er feststellen musste, dass dort ein Rudel Fenrirs ihr Unwesen trieben.

Missmutig wendete er den Wagen und fuhr in die Entgegengesetzte Richtung. War da nicht vorhin noch eine Abzweigung gewesen?
 

Es war schon später Nachmittag, als sich die Straße, die man früher vermutlich nur als Feldweg bezeichnet hätte, aus dem Wald schälte und den Blick auf ein Tal frei gab. Unweit sah er einen alten Bauernhof, aus dessen Schornstein Rauch stieg. Crash hielt den Wagen und beobachtete diese grotesk wirkende Idylle. Er lauschte in sich, spürte seine Müdigkeit, sein Schlafdefizit und seinen Wunsch nach einer warmen Mahlzeit. Gefahr konnte er nicht spüren.

Der Hof bestand aus drei Gebäuden, U-förmig angeordnet. Autowracks standen außerhalb des eigentlichen Hofes, vermutlich abgeschleppte und ausgeschlachtete Reste der Autos vom Highway. Crash nahm sich auch gerne Ersatzteile mit. Erst vorhin hatte er einen Keilriemen entwendet, weil seiner begann zu quietschen. Jeder unnötige Laut konnte tödlich sein. Vielleicht war dieser Hof die Rettung. Er war gesichert, wie er erkennen konnte, Eine Mauer umgab das Areal. Vielleicht war er in einer so gottverlassenen Einöde gelandet, dass es hier keine Übergriffe gab? Es waren nur noch zwei Tage bis Jacksonville. Er sollte sich noch einmal ausruhen. Er konnte nicht abschätzen, was ihn dort erwartete. Vielleicht sollte er noch ein paar Tage da bleiben, wenn das hier die Möglichkeit war, Kraft zu tanken. Vielleicht hatte er mal Glück. Er entschied sich, auf den Hof zu fahren. Hätte er geahnt, was auf ihn zukam, wäre er umgekehrt.
 

Die Bewohner dieses beschaulichen Bauernhauses, waren ein älteres Ehepaar, die zusammen mit ihrem Sohn den Hof bewirteten. Crash war vorsichtig, doch die Herzlichkeit, mit der er empfangen wurde, ließ ihn schnell Vertrauen fassen. Es hätte ihn gleich wundern sollen. Der Sohn war offenbar nicht wirklich auf der Höhe, wirkte zerstreut und in einer eigenen Welt gefangen. Dafür half ihm der Mann, der sich als Steven vorstellte, den Keilriemen zu wechseln, während seine Frau ein warmes Abendessen vorbereitete, genauso wie das Zimmer – wie sie sagte. Im Nachhinein betrachtet war er wirklich naiv gewesen, wirklich zu glauben, dass es einen solchen Ort noch auf dieser gottverlassenen Welt gab. Aber er hatte wirklich nichts wahrgenommen, keine Anwesenheit eines Dämons, oder eines anderen übernatürlichen Wesens. Hinterher war man immer schlauer.
 

Sie aßen zusammen, ein Feuer knisterte im Kamin. Draußen war es bereits dunkel. Crash merkte mit jeder Meile, die er weiter nach Süden kam, dass es wärmer wurde. Er freute sich schon darauf, in wärmeren Gegenden zu sein. Dann war auch das Schlafen im Auto nicht mehr so unangenehm. Crash spürte, wie er müde wurde, massiv, von jetzt auf gleich. Er spürte, wie seine Augen schwammen, wie sich der Raum bewegte, die Konturen der Gesichter seiner Gastgeber sich verzerrten. Er versuchte aufzustehen, das Ehepaar tat es ihm gleich. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass jene ihn gerade so erwartungsvoll angesehen hatte. „Was, verdammt…“, stockte er, versuchte sich am Tisch festzuhalten, als seine Knie nachgaben. War er so nah am Ziel und würde es doch nicht erreichen?

Er versuchte sich irgendwie wieder aufzurichten, doch er spürte seine Arme und Beine nicht mehr. Einzig die Stimme der Frau hörte er noch, die zu ihm sprach. „Es tut mir leid“, sagte sie und klang aufrichtig. „Aber sonst tötet er uns…“ Dann verlor er das Bewusstsein.
 

Marius

Das Motorrad anhaltend und den Motor ausstellend, lauschte Marius in die Nacht hinein. Bis auf den leicht heulenden Wind und immer mal wieder auffliegende Blätter konnte er nichts Außergewöhnliches vernehmen. Normale Nachtgeräusche. Weder waren sie auffällig leise, noch.. anderes. Marius runzelte die Stirn und setzte sich aufrecht, die Maschine locker zwischen seinen Beinen balancierend. Er hätte schwören können, dass er gerade eben etwas durch den Fahrtwind gehört hatte.

Seine Schultern rollend, entspannte er seine Nackenmuskulatur und seufzte etwas unwillig. Während er reiste, drängte er seine Aura immer so weit zurück wie er nur konnte. Irgendwie mochte er das Wort, seitdem er es gehört hatte. Vorher hatte er es schlicht einen Teil seiner Fähigkeit genannt, aber das schien ihm tatsächlich mehr der richtige Begriff dafür zu sein. Aber wie dem auch sei, er unterdrückte sie, weil sie nicht nur ihn auf andere aufmerksam werden ließ, sondern eben auch andere auf ihn. Oder zumindest jene Wesen, die dafür genauso empfänglich waren wie er selbst. Das hatte in seinen jüngeren Jahren schon die ein oder andere ungewollte Begegnung mit sich gezogen.
 

Jetzt aber saß er hier, mitten in der Nacht, mitten auf einem Hügel, der zu einem Wald hin nach unten führte, und überlegte, sie wieder frei zu lassen. Pro: Er würde wissen, ob er wirklich etwas gehört hatte und ob es ihm gefährlich werden könnte, wenn er weiterfuhr. Contra: Wenn da wirklich etwas war, würde es ihn auch erkennen. In den meisten Fällen hatte er damit zwar eh schon gewonnen. Zumindest hier im Süden. Mh..

Noch während er haderte, hörte er vom Wald unten ein Geräusch, das nicht passte. Eine Art Singsang? Oder mehr ein irres Kreischen?

Also nur ein paar verrückte Menschen und keine Monster? Sich wieder vorlehnend, wollte er gerade den Zündschlüssel umdrehen, als etwas Bekanntes an seine Wahrnehmung klopfte. Nicht altbekannt. Nichts, mit dem er viel verbinden würde. Nichts, das ihn von seinem Weg abbringen sollte.

Marius schloss ergeben seine Augen. Da war wieder das Gefühl als ob sein innerer Radar nicht funktionieren wollte. Es war ihm inzwischen klar, zu wem dieses Gefühl gehörte, und irgendwie wäre er es dem anderen nun fast schuldig, nach diesem zu sehen, oder? Der Kerl hatte sich völlig ohne Ahnung zu ihm gestellt. Und er hatte Marius amüsiert. Alleine das war schon einiges wert.

Und was genau würde der Kerl mit Irren treiben?
 

Leise grollend schob er sich von seiner Maschine und stellte jene ab, bevor er seinen Rucksack von den Schultern nahm und jenen im nächstbesten Busch platzierte. Sehr unwahrscheinlich, dass jemand ausgerechnet jetzt diesen ausgewaschen Weg nehmen würde, aber sicher war sicher. Der Weg nach unten war auch nicht wirklich schwer, wenn man zu Fuß unterwegs war. Mit dem Motorrad vielleicht möglich, aber Marius wollte es zum einen nicht testen und zum anderen wollte er jetzt niemanden mehr mit den Geräuschen aufschrecken.

Sich so gut es ging lautlos durch den Wald bewegend, konnte er alsbald eine Lichtquelle ausmachen. Von ihr kam auch dieses immer mal wieder auftauchende Gekreische. Stopfe dem Schreihals doch mal bitte irgendwer das Maul!?

Da es jedoch nicht seinen Fähigkeiten entsprach, aus Wünschen Wirklichkeit werden zu lassen, wurden seine Ohren auch weiterhin noch das ein oder andere Mal gestraft, während er näher schlich. Und als er schließlich einen Blick auf die von einer Fackel schlecht beleuchtete Lichtung werfen konnte, war er nicht einmal mehr sonderlich überrascht. Irritiert traf es irgendwie eher. Als ob Menschen noch nicht genügend mit übersinnlicher Scheiße zu tun hatten, nein da mussten sie sich auch noch gegenseitig versuchen umzubringen. Oder opfern. Was auch immer das werden sollte. Vielleicht doch eine Anbetung an irgend einen mystischen Gott oder so nen Quatsch?
 

Mutter, Vater, Kind und an den Händen gefesselter junger Mann. Jener lag vor der Familie auf dem Boden, scheinbar aus den Latschen gekippt. Drogen? Gift? Erstmal unwichtig. Die Familie sah jedenfalls alles andere als gefährlich aus.

So trat er schließlich, äußerlich völlig gelassen aus dem Schatten des Waldes, in das flackernde Licht der Fackel und räusperte sich, als es ihm zu lange dauerte, um gesehen zu werden. Sofort ruhten die drei Augenpaare auf ihm und ein sarkastisches Lächeln schlich sich auf seine Lippen: "Sorry, ich wollte eure kleine Party nicht sprengen“ - mit einem Handgriff hatte er seine Waffe vom Rücken gezogen und hielt sie locker in Richtung der Idioten -, "aber der Kerl da ist nicht eurer."

Die Frau begann ganz erbärmlich zu heulen. So mit Rotz und Wasser, während deren Junge schon wieder zu kreisch-singen anfing. Nur der Vater war blaß geworden, schien jedoch halbwegs gefestigt, während jener... hinter ihn starrte? Fuck!

Marius spürte die Berührung noch an der Wange, als er sich nach links hechtend in eine Rolle fallen ließ und in wenigen Bewegungen wieder auf den Beinen war. Noch im Fallen gab er seine Aura wieder frei und wollte fast ein wenig würgen, von der Rückkoppelung, die er sofort spürte. Das Wesen, das gerade versucht hatte, ihm seinen Kopf von den Schultern zu reißen, mochte äußerlich ein Mensch sein. Oder mal gewesen sein. Aber das war auch schon alles, was davon noch übrig geblieben war. Eine Hülle. Das einzig halbwegs erfreuliche an der Situation war, dass es das Wesen auch ein paar Schritte nach hinten stolpern hatte lassen, als Marius seine Aura freigab. Marius zeigte ein Lächeln voller Zähne, mehr ein Zähnefletschen wirklich, als er seine Waffe wieder am Rücken festmachte und dafür zwei seiner Messer zog.
 

Das Mann-Wesen und er beäugten sich kurz, schienen dann aber zu den gleichen Schlüssen zu kommen. Hier führte kein Weg mehr an einem Kampf vorbei und als sie schließlich, mehr oder minder in der Luft zusammenkrachten war da auch nicht sehr viel Finesse zu sehen in ihrem Kampf. Zumindest nicht, bis Marius das Wesen schließlich am Hals zu packen bekam und jenen mit einem einzigen Kraftakt auf den Rücken auf den Boden krachen ließ. Kaum einen Lidschlag später hockte er über dem Wesen, die Hand am Hals weiter zudrückend, sehend wie die Haut des Wesens dort zu ätzen begann, wo sein Ring auf dessen Haut traf. "Alpha!" Das Wesen versucht Marius seinen Hals zu zeigen - als ob es das nicht eh schon tat - und er schüttelte den Kopf, bemerkend wie ihm seine Haare wiedermal in die Stirn, bis fast in die Augen fielen. "Nope. Die Chance hast du verspielt." Er lächelte kühl. "Das hier ist deine Party? Nette kleine Lieferantenfamilie. Nur der Junge ist nen wenig zu laut."

Das Ding versuchte mit den Händen an seine Schultern zu kommen. Versuchte ihn irgendwie davon abzuhalten, ihn zu erwürgen. Nun ja, den Wirt zu erwürgen. Marius lockerte den Griff minimalst. "Was macht ihr kleinen Pissnelken in letzter Zeit so weit im Nordosten? Ich warte schon geraume Zeit auf einen von euch, der endlich mal sprechen kann."
 

Chupacabra

Er hatte diesen Menschen gerochen, hatte ihn schon den ganzen Abend in der Nase gehabt. Er hatte sich gefreut, diesen verfaulenden Körper endlich los zu werden, diese verwesende, vermodernde Hülle, die ihn hier beherbergte, um sich diesen Menschen zeigen zu können, um so weit weg aus der Heimat überhaupt überleben zu können. Er hatte sich noch mehr darauf gefreut, frisches Blut zu bekommen, Lebenselixier, Kraft, pure Kraft. Menschliches Blut war so viel besser als das Blut der Tiere, denen er im Wald nachjagen musste. Es war die beste Idee gewesen, diese Menschen zu benutzen. Bis heute freute er sich, diesen Gedanken gehabt zu haben, als er den Jungen gepackt hatte und seine Mutter ihn angefleht hatte, alles dafür zu tun, ihren Sohn zu schützen. Er hatte dadurch viel mehr bekommen, als er von diesen drei allein bekommen hätte.

Doch als er an diesem Abend ihren heiligen Ort beobachtete, war etwas anders, etwas, was ihn störte, was ihn irritierte. Der Mensch, der angeschleppt wurde, roch anders, das hatte er schon gemerkt gehabt. Aber da war noch etwas, was er nicht richtig benennen konnte. Und in diesem Moment trat dieser andere Mann hervor. Er hatte ihn nicht gespürt, vielleicht auch, weil er zu hungrig auf den anderen war. Es irritierte ihn ungemein. Doch offenbar hatte jener ihn noch nicht bemerkt, was wohl sein Vorteil war. Er musste nur schnell handeln und er hätte heute sogar zwei Menschen, an denen er sich laben konnte, mächtige Menschen mit mächtigem Blut….
 

Als die Aura ihn traf, fiel es ihm scher, die Hülle an sich zu halten. Er stolperte nach hinten und ihm wurde eines bewusst: er hatte seine Chance vertan. Und nun würde es um Leben und Tod gehen. Weglaufen würde er nicht können. Die Aura begann bereits jetzt seine Hülle aufzulösen, was ihm Schmerzen bereitete. Ein tiefes Grollen löste sich aus seiner Kehle, währen sie sich anstarrten. Er musste dieses Mensch-Wesen besiegen. Dafür brauchte er Kraft. Vielleicht konnte er den anderen ein wenig…

Er sprang, versuchte schneller zu sein, mehr Wucht zu haben. Doch dieser Mensch war einfach versierter, geübter. Ein Jäger?. Sein Hals wurde eng, der Ring brannte auf seiner Haut, die sich nicht wehrte, die den Mann durch die Hülle ließ. Der Schmerz betäubte ihn einen Moment. Es fühlte sich an, als würde ihn weißes Licht durchfluten, in schwarzer Nacht. „Alpha!“, krächzte er, versuchte diese Stimmbänder zu nutzen, die ihm der Körper ermöglichte. Er versuchte sich zu strecken, den Mann auf ihm an der Schulter packen zu können, doch vergeblich.

"Was macht ihr kleinen Pissnelken in letzter Zeit so weit im Nordosten? Ich warte schon geraume Zeit auf einen von euch, der endlich mal sprechen kann."

Sein Gesicht verzog sich zu einem hämischen Grinsen. Ein seltsames Grollen wanderte durch seinen Hals, einem Lachen und einem gurgeln gleich. „Was willst du wissen, Alpha?! Ich teile mit dir, wenn du möchstest…“ Er drehte mühsam den Blick hinüber zu seinem Opfer, das sich etwas zu regen begann. Die Frau hatte die Arme um ihren Sohn geschlungen, der Mann hatte sich schützend vor sie beide gestellt. Armer Irrer… „Sein Blut ist kraftvoll. Ich rieche es bis hierher…

Er spürte mehr, als dass er es sah, dass der Mann seinem Blick folgte. Seine Chance. Seine Hand hatte einen Stein zu fassen bekommen. Er schlug zu, erwischte etwas, bäumte sich auf, wuchtete den Mann von sich herunter und sprang auf. In diesem Moment traf ihn etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Er spürte, wie sein Körper erstarrte, wie die Hülle von ihm abfiel und er in seiner Gestalt zum Stehen kam. Das Atmen fiel ihm schwer. Aber es ging. Es war noch nicht zu kalt. Er wandte den Kopf, blickte zu seinem eigentlichen Opfer, dessen Lippen sich bewegten. Es schmerzte, jedes Wort. Er musste das unterbinden. Der Typ war geschwächt. Er stockte. Das war der Moment, in dem er auf ihn zusprang. Es fühlte sich gut an, sich wieder normal zu bewegen – in seinem hundeähnlichen Körper. Wenn er sich beeilte, dann hatte er eine wahre Chance.
 

Crash

Es fühlte sich an, als würde er aus einem tiefen Meer auftauchen, aus schwarzen Tiefen, wohligen Tiefen, umarmenden Tiefen. Und je näher er der Oberfläche kam, desto kälter wurde es, desto unbehaglicher, desto schmerzhafter. Er tauchte aus einer Tiefe in eine Kälte, in die er gar nicht zurückkehren wollte. Gleichzeitig wusste er aber auch, dass er es musste. Er musste auftauchen. Und dann – dann traf ihn diese Welle, diese Kraft, die er erst vor kurzem gespürt hatte. Eine Kraft, die in diesem Moment die Kälte in Wärme zu verwandeln schien, obwohl er wusste, dass der Besitzer dieser Kraft alles war, nur nicht warm. Er öffnete die Augen, versuchte sich zu bewegen.

Er sah nur schemenhaft, Umrisse, eine Fackel, deren flackerndes Licht gespenstische Schatten warf. Crash schloss die Augen, um sich zu sammeln, seine Kräfte zu sammeln, versuchte sich auf den Unterarm zu stützen. Dann öffnete er wieder die Augen, sah, wie der Kerl aus der Bar mit jemandem kämpfte.

Das Geschrei des Jungen lenkte ihn ab. Das Wimmern der Frau, die mit weit aufgerissenen Augen dem Geschehen folgte, seinen Sohn im Arm haltend, ihn beschützend. Seltsamerweise verspürte er keinen Groll gegen sie. Der Vater stand schützend vor seiner Familie. „Der Chupacabra wird uns alle töten“, wimmerte die Frau. „Er wird uns töten.“

Crash wandte den Blick zu den Kämpfenden, begann zu wispern. „Perro de la noche, Perro de la sangre. Te voy a prohibir!“ Crash schluckte, spürte, wie er schwindelte. „Scheiße“, fluchte er, versuchte sich zu sammeln. Er war stark, er musste stark sein. Er spürte es mehr, als dass er es sah. Er spürte, wie der Hunde-Dämon auf ihn zusprang. Wind kam auf, erfrischte ihn. Ihm war so bewusst, dass es gerade um alles ging. Er spannte sich an, öffnete die Augen und schlug zu, so fest er konnte. Seine Faust traf den Kiefer des Hund- Dämons, der jaulend zur Seite taumelte.
 

Marius

Teilen?

Hatte das dumme Vieh ihn nicht verstanden? Fast ohne es zu wollen, wurde der Griff um den Hals des Hundeviehs wieder ein wenig fester. Dann sollte der junge Machtsprecher hier also tatsächlich geopfert werden? Wie kam der Kerl innerhalb von ein paar Tagen in solche Situationen?

Oh, kraftvolles Blut? Nun, das würde die magische Anziehungskraft erklären. Ein wenig. Und obwohl Marius es wahrlich nicht wollte, kam er nicht umhin, als dem Blick des anderen zu folgen. Sah den noch bedröppelt wirkenden jungen Mann, wie jener wohl versuchte seinen Schädel wieder gerade zu bekommen. Doch noch während sein Gehirn ihm wiedergab was er sah, schrie ein in letzter Zeit nicht so häufig benutzter Teil in ihm auf. Fucking Regel Nummer 3! Man sah niemals vom Gegner weg.
 

Und als ob er neuerdings Prophezeiungen denken konnte, spannte das Vieh sich unter ihm an und gleich darauf explodierte Marius fast der Schädel. Sich das schmerzhafte Stöhnen nur halbwegs unterdrücken könnend, war der Chupacabra ihm auch schon aus dem Griff entwichen. Hatte das verdammte Arschloch gerade ernsthaft versucht ihm den Kopf einzuschlagen? Selbigen schüttelnd, spürte er fast nur in einem Nebengedanken wie ihm etwas am Ohr entlang herablief. Er blutete. Fantastisch.

Den Kopf schüttelnd, wankte er auf den Beinen und knirschte mit den Zähnen als sein vom Schmerz noch etwas verschwommener Blick sich abermals auf seinen Gegner richtete. Der stand kurz still. Gemurmel. Scheiß egal, das Vieh musste jetzt dran glauben.

Er spannte seine Muskeln an und war in wenigen Sätzen an dem widerwärtigen, kaum noch in der menschlichen Hülle seienden Wesen angekommen. Vielleicht merkte er irgendwo am Rande, dass jener gerade von dem Sprecher eine aufs Maul bekam, doch gerade senkte sich eine Art roter Schleier vor seine Augen. Er konnte Wesen in all ihren Arten schon an guten Tagen nicht leiden, aber das hier war das erste seit Ewigkeiten, das ihn tatsächlich verletzt hatte. Das ihn bluten ließ.
 

Sich ein Stück weit um seine eigene Achse drehend, als er mit einem Bein aufkam, gab er dem Chupacabra mit dem anderen einen Tritt, der es bis an den Rand der kleinen Lichtung schleuderte. Wo es mit einem Knacken gegen einen Baum knallte. Schmerzhaft. Sehr gut. Aber kaum tödlich.

In seinen Augen loderte kaltes Feuer, als Marius nachsetzte. Im normalen Alltag musste und hatte er sich stets unter Kontrolle, was seine pure Kraft anging. Tatsächlich war sie mehr Ärgernis als sonst etwas. Aber jetzt... Bei dem wimmernden Hund ankommend, griff er in eine der Taschen an seiner Mehrzweckhose und holte ein weiteres Messer raus. Sein Sichtfeld war wieder klarer, doch das Blut lief immer noch in Strömen. Nicht, dass es eine große Wunde wäre. So fühlte es sich nicht an. Vielleicht hatte der Stein sein Ohr getroffen. Wunden da bluteten immer wie dumm.

"Teilen?" Er knurrte es mehr, als dass er es sprach und gab dem Ding den nächsten Tritt, als es sich benommen den Kopf schüttelnd aufrappeln wollte. Abermals knackste es. Abermals jaulte es. Sich bückend, griff er nach dem winselnden Wesen und schleuderte ihn dann, diesmal mit dem Bauch voraus wieder auf die Erde. "Teilen.." Er murmelte es fast abwesend, als er sich mit dem Knie auf dessen Schultern niederließ und mit einem Ruck die Reste dessen Hemdes vom Körper riß. "Ich werde mit dir teilen." Das Messer hebend, ließ er es in die kaum noch vorhandene Haut des Hundes gleiten und begann Zeichen hinein zu schneiden. Langsam. Genüßlich. "Ich mach das nicht oft. Ihr Biester widert mich an."
 

Inzwischen waren die schmerzerfüllten Geräusche des Wesens voller Panik. Wusste er, was ihm drohte? Umso besser. Sein Messer beiseite werfend, hob er die Hand zu seiner Wunde und verrieb sich sein Blut auf der Haut. "Aber da du mich eh schon zum Bluten gebracht hast, mach ich mal ne Ausnahme." Selbige Hand auf den Rücken des Hundes legend, verzog er das Gesicht. Seine Aura würde sich inzwischen nicht mehr nach warmem Regen anfühlen, sondern mehr nach heißem Wind. Nicht dass er das selbst bestimmen könnte... Für ihn gab es nur 'weniger stark' und 'stark' in dem Zusammenhang.

"Also, das hier ist die Stelle, an der ich teile. Unichtozhit!"

Die Zeichen, mehr Runen vielleicht, begannen nacheinander rot aufzuleuchten und dann begann der Hund von Innen heraus zu brennen. Gleißend hell, jedoch ohne dass wirklich Hitze abgegeben wurde. Marius erhob sich und trat einen Schritt davon zurück, das Messer an seiner Hose abwischend, das Ganze mit kühlem Blick beobachtend, bis nur noch leicht brennende Asche zurückgeblieben war. Seine Schultern rollend, bis es knackste, atmete er die Augen schließend tief durch, und als er sie wieder öffnete, waren seine Augen wirklich klar. Ebenso war seine Aura wieder unterdrückt. Komplett. So wie beim Reisen eben.

Tzz, da hatte er sich also ein wenig gehen lassen. Unwillig schnaubend, drehte er sich zu den anderen um. Die Familie, die ihn ansah, als würde er jetzt gleich auf sie losspringen und mal testen, ob er zum Kannibalen taugte, und der Sprecher, der jetzt tatsächlich so aussah als würde er gleich aus den Latschen kippen. Oder es wieder tun. Wie auch immer.
 

Sein Messer verstauend, warf er einen Blick umher, die anderen beiden lokalisierend, bevor er auf diese zutrat. Und die von ihm weg. Whatever.

Marius Blick richtete sich auf den Mann, wegen dem er überhaupt in der Lage hier war. Er legte den Kopf ein wenig seitlich: "Sieht so aus als wäre mir mein Puls auch egal, wenn jemand Scheiße baut oder Hilfe braucht. Hat es dich erwischt?" Dass er mit jemand nur den Machtsprecher meinte, musste man ja nun wirklich nicht ausschmücken.
 

Crash

Der Schlag hatte ihn erschöpft zusammensacken lassen. Zumindest war er kurz außer Gefahr, doch lange konnte er nicht durchatmen. Damit sollte er nicht rechnen. Der Hund würde sich gleich wieder sammeln und dann wusste er nicht, ob er noch einmal so einen Glückstreffer landen konnte.

Crash hatte noch immer die Augen geschlossen, dennoch spürte er, wie sich alle um ihn herum bewegten. Er sah sie, ohne sie wirklich zu sehen. Es war faszinierend, fühlte sich erstaunlich an. Crash versuchte sich darauf zu konzentrieren, spürte dann aber etwas, was ihn seine Augen wieder öffnen ließ. Die Aura, eben noch warm und hell, wurde gleißend, heiß und zerstörerisch. Die Energie, die er spürte, hatte er in dieser Form noch nie wahrgenommen. Crash beobachtete, wie der Besitzer dieser Aura sich über den Chupacabra beugte. Das Jaulen des Hundedämons klang markerschütternd. Bis ein Leuchten von dem Hund ausging und ein Feuer entfachte. Crash spürte, wie das Leben aus dem diesem wich und mit einem Mal war alles still. Auch der Junge hatte aufgehört zu schreien und zu wimmern.

„Mommy? Daddy?“, hörte er mit einem Mal hinter sich und Crash richtete sich auf, um zu der Familie zu sehen. „Was?... Wie?...“, stammelte der Junge und sah sich verwirrt um. Seine Mutter und sein Vater erwiderten den Blick mindestens genauso überrascht, bevor sich die Familie in die Arme fiel. Zumindest bis sie Schritte hörten. Schritte, denen sich nun auch Crash zuwandte. Er saß noch immer auf dem Boden und blickte nun zu dem anderen auf, stand schließlich auf. All die Hitze, all die Wärme waren wieder verschwunden. Ihn fröstelte und er legte automatisch seine Arme leicht um seinen eigenen Oberkörper. Sie hatten ihm seine Lederjacke ausgezogen, wie ihm erst jetzt auffiel.

Doch er blickte nicht an sich herab, er sah den anderen Mann an, hörte dessen Worte und konnte nicht anders, als leicht zu grinsen. Dass jener seine Worte von neulich aufgriff und ihm damit einräumte, dass man in gewissen Situationen nun mal seinen Puls außer Acht lassen konnte, freute ihn in gewisser Weise.

„Hat es dich erwischt?"

Crash schüttelte den Kopf. „Nein, mit ist nur ein wenig schwindlig“, sagte er automatisch. Doch im selben Moment stellte er fest, dass dem eigentlich gar nicht mehr so war. Er fühlte sich wieder fit, so als sei all das Betäubungsmittel wie aus seinem Körper rausgezogen worden. Seine Stirn legte sich etwas irritiert in Falten. Ob es an dem Tod des Dämons lag? Genau wie die Genesung des Jungen, der vermutlich von dem Chupacabra beeinflusst worden war? Vielleicht. Crash nahm sich vor, darüber in den Aufzeichnungen seiner Mutter nachzulesen, sobald er es vermochte.

Nun hatte er erst einmal etwas anderes zu tun. „Danke“, sagte er aufrichtig zu ihm. Er wollte gerade noch etwas hinzufügen, als hinter ihm die Stimme des Vaters erklang. „Bitte tun Sie uns nichts. Wir waren gezwungen, so zu handeln. Er hat uns gedroht, uns zu töten. Wir haben nur…“ Crash drehte sich erneut um. „Ich will nur mein Auto und meine Jacke wieder“, knurrte er. Ein Urteil wollte er nicht über diese Familie fällen. Er konnte nicht wissen, wozu er in der Lage wäre, um seine Liebsten zu schützen. Allerdings wollte er gewiss auch nicht mehr bei diesen bleiben. Sicher war es zu verurteilen, dass jener ihm fremde Menschen für das Leben seiner Familie opferte, aber Crash fühlte sich nicht wie ein Richter. Er sah zu dem Jungen, der in den Armen seiner Mutter lag und sich an sie klammerte, als habe er sie verloren und erst jetzt wiedergefunden. Wieder keine Nacht in einem weichen Bett. Dabei stellte sich gerade eine Müdigkeit ein, die ihn den ganz dringenden Wunsch nach ruhigem, tiefem Schlaf verspüren ließ.

Doch zunächst wollte er noch etwas wis…. Crash hatte sich zu ihrem Retter gedreht, doch der stand mit einem Mal nicht mehr neben ihm. Dafür sah er ihn gerade wieder in den Wald eintauchen. „Hey!“, rief er ihm hinterher. „Warte!“ Als jener keine Anstalten machte, zögerte er einen Moment. Wollte er dem Kerl nachlaufen? Eigentlich gar nicht. Aber die Frage, die er vorhin schon hatte stellen wollen, drängte sich ihm weiter auf.

Er warf der Familie nur noch einen kurzen Blick zu. „Ich komme nachher kurz, um meine Sachen zu holen“, erklärte er, bevor er sich umdrehte und dem anderen hinterherrannte. „Jetzt warte doch mal!“, beschwerte er sich, kurz bevor er ihn eingeholt hatte. „Ich… Ich habe noch gar nicht….“, begann er und wusste nicht so recht wie er beginnen sollte. „Sag mir wenigstens, was du bist!“
 

Marius

Marius nickte, um zu zeigen, dass er verstanden hatte. Schwindel dürfte wohl gerade nichts Ungewöhnliches sein. Bestätigte ihm auch seine Vermutung, dass dem Kerl was untergeschoben worden war. Vielleicht doch Drogen. Wobei die in dieser Einöde nur schwer zu bekommen sein dürften. Möglicherweise auch irgendwelches pflanzliches, gepanschtes Zeug.

Auf das Danke hin, winkte er nur ab, sich umwendend, um seine Messer vom Boden aufzusammeln. "Kein Problem." Im wahrsten Sinne des Wortes. Bis auf die kleine Sache mit dem Stein und der Unaufmerksamkeit. Seine Messer wieder verstauend, nachdem er sie abgewischt hatte, griff er schlussendlich abermals zu seiner Wunde. Der Schmerz war kaum noch der Rede wert und er hatte recht behalten. Es hatte sein Ohr erwischt, doch inzwischen schien es zumindest aufgehört zu haben zu bluten. Mit dem Finger folgte er der Blutspur seiner Haut entlang. Fantastisch, vermutlich gab das selbst auf dem schwarzen Shirt einen riesigen Blutflecken und mit purem Wasser war dem auch nicht beizukommen. Also schied das Shirt erstmal aus für die nächsten Tage. Besser er versuchte den Blutgeruch später irgendwie zu bekämpfen.
 

Er hörte noch, wie die Familie sich versuchte zu rechtfertigen und beschloss, dass es das erst einmal für ihn gewesen war. Sie beide waren quitt und die Sache wäre erledigt. Kein unnötiges Auftauchen auf seinem Radar mehr, der ihn zu Handlungen hinreißen ließ.

Sich ein Stück herabbeugend, klopfte er seine Hosen ab, um etwaige Rückreste des Waldbodens von ihnen zu entfernen, und machte sich dann daran, die Lichtung zu verlassen. Sich im Wald kurz orientierend, hatte er die Richtung, in der sein Motorrad stehen sollte, ausgemacht und war gerade am Losmarschieren, als er den Ruf hinter sich hörte. Was nun wieder? Abermals tief seufzend, fragte Marius sich, wieso seit ein paar Tagen eigentlich alles anders lief, als er das am Anfang der Woche noch gedacht hatte? Und dieser Zwiespalt ließ ihn zwar nicht anhalten, aber immerhin so langsam dahinspazieren, dass der andere ihn einfach einholen könnte. Was er auch tat. Wie überraschend.
 

Dem anderen einen Blick über die Schulter hinweg zuwerfend, hielt er die Geschwindigkeit bei. Gut, scheinbar wollte der reden. Und sich nochmal bedanken, wenn man das Gestammel da mal entziffern wollte.

„Sag mir wenigstens, was zur Hölle du bist!“

Innehaltend, atmete er tief durch und wandte sich dem anderen dann doch zu, die Arme locker vor der Brust verschränkend. "Keine Ahnung. Die Viecher, wenn sie denn mal sprechen können, quatschen mich immer mit Alpha an." Kurz funkelte so etwas wie Humor in seinen Augen auf. "Oder zumindest tun sie das immer dann, wenn sie anfangen, um ihr Leben zu betteln."

Seine Arme wieder lockernd, hob er eine Hand, um sich damit die Haare zurückzustreichen: "Was du bist, im Gegenzug, kann ich mir recht gut vorstellen. Auch wenn ich bisher persönlich auf keinen getroffen bin. Machtsprecher. Jemand der Worten Wahrheit und damit Kraft verleiht. Und wenn ich mal raten sollte, dann würde ich behaupten, du machst das noch nicht so lange. Damit bist du nicht nur eine untrainierte Waffe, Doll, sondern auch potentielles Futter für viele dieser Arschlöcher. Der dumme Hund hat vorher gewinselt, dass dein Blut kraftvoll wäre."

Und nicht nur das. Es gab genügend Menschen, Wesen, Halbwesen, Dämonen oder was auch immer, die über Fähigkeiten verfügten, sich dieses Blutes gewahr zu werden. Sei es um Wesen zu rufen und zu unterwerfen oder sich selbst zu stärken. Diese Welt war so erbärmlich. Wenn Marius irgendwo ne einsame Insel für sich selbst hätte und den Rest aussperren könnte, er würde es ohne zu zögern tun.
 

Einen Blick an den nun Doll Getauften - irgendwie erinnerte der Kerl ihn wirklich an ne Art Puppe, hübsch, im Anfangsstadium von was auch immer, nur darauf wartend, dass man ihm die richtigen Klamotten anziehen würde und immer noch ein wenig amüsant - vorbei werfend bevor er jenen wieder ansah, hob er eine Augenbraue: "Meine Maschine ist nicht weit von hier, ich kann dich zu deren Haus fahren, wenn du willst." Wieso auch immer er das anbot. Vielleicht Neugierde. Und wieso auch immer der andere das Angebot annahm.

So stapften sie also gemeinsam bis zum Waldrand, den kleinen Hügel hinauf bis zu seinem Motorrad. Und Wunder, oh Wunder, es war alles noch so, wie er es verlassen hatte. Sich nach seinem Rucksack beugend, warf er Doll einen prüfenden Blick zu. "Das, was du kannst, das ist ne mächtige Fähigkeit. Du musst in Zukunft besser auf dich aufpassen. Der Chupacabra wäre ein schneller Tod gewesen. Es gibt anderes." Doll seinen Rucksack hinhaltend, da jener ihm beim Fahren tragen müsste, beschloss er, dass es wohl an der Zeit wäre. "Mein Name ist Marius Grey. Auch wenn die meisten meinen Nachnamen zu bevorzugen scheinen."
 

Crash

Offenbar hatte sein Ausbruch, dass er wissen wolle, womit er es zu tun hatte, woher diese Kraft kam, zumindest bewirkt, dass der andere Mann innehielt und stehenblieb. Zuvor hatte jener sich nämlich nicht wirklich bequemt, auf ihn zu warten, war stur (sein zum Glück nicht besonders hohes Tempo beibehaltend) weitermarschiert. Nun aber hielt er an, so dass Crash fast in ihn hineinlief, und drehte sich sogar zu ihm um. So nah vor dem anderen zu stehen, gab Crash das erste Mal die Möglichkeit, diesen sich wirklich anzusehen. Sein Gegenüber war ein deutliches Stück größer als er, wirkte damit automatisch wirkungsvoll. Er war zwar nicht besonders breit, aber an sich gut gebaut. Die dunklen Haare fielen ihm erneut in die Stirn. Das war Crash bei ihrer ersten Begegnung bereits aufgefallen, dass jener diese oft zurückstrich. Offenbar mochte er es nicht, wenn sie ins Gesicht hingen.

Einen Moment blieb er in den im Moment dunkelgrau wirkenden Augen des anderen hängen, rutschten aber dann erneut zu dem Ohr, das verletzt war. Ihm war das nicht aufgefallen bei dem Kampf, aber offenbar hatte der Hundedämon ihn irgendwie erwischt.

Erstaunt, dass er wirklich eine Antwort bekam, blickte er wieder in die Augen des Größeren. Ein Alpha?

Das sagte ihm etwas. Etwas, was seine Mutter ihm versucht hatte, einzutrichtern. Wenn er jemals in den Himmel käme und seine Mutter wiedersehen würde, dann musste er sich bei ihr entschuldigen, dass er sie zu Unrecht als nicht zurechnungsfähig eingestuft hatte. Er hatte so viele Dinge abgetan, hatte so viel nicht wahrhaben wollen. Er hatte doch einfach nur ein ‚normales‘ Leben haben wollen, sofern das in diesen Zeiten möglich war… Aber diese Gedanken gehörten jetzt nicht hierher.

“Wende dich an den Alpha. Wenn er dich mag und dir vertraut, hast du nichts mehr zu befürchten. Ist er dir feindlich gesonnen, dann musst du ihn umbringen. Nur dann hast du Ruhe vor seinem Rudel.“

Ob er ein „Rudel“ besaß? Ob man sich mit diesem hochnäsigen Griesgram überhaupt gut stellen konnte? Ob jener überhaupt jemanden bei sich duldete, der ihn nicht bediente? Crash hob zweifelnd die Augenbrauen. Zumindest erklärte es die Stärke, vielleicht auch diese unfassbare Aura.

Doch die Worte verrieten ihm noch so viel mehr über den anderen. Er war es offenbar gewohnt, gegen all diese Wesen zu kämpfen. Er hatte Erfahrung, Routine, kannte die Geschöpfe der Nacht und die Schatten des Tages.

Da war sie wieder, die Handbewegung, die die Haare zurückstrich. Crash musste einen Moment schmunzeln, horchte dann aber auf und seine Miene verhärtete sich. Was er war? Machtsprecher – das Wort hallte in ihm wieder. Er hatte diesen Begriff noch nie gehört. Machtsprecher Er konnte Worte Wahrheit verleihen und damit Kraft? Crash verzog keine Miene. Dadurch, dass er selbst keine Ahnung hatte, was er war, konnte er auch nicht widersprechen. Einzig ein Wort ließ ihn unwillig den Mund verziehen. Was fiel diesem Typen ein, ihn doll zu nennen?! Seine Zungenspitze fuhr ihm streitlustig über die Schneidezähne, er verlagerte das Gewicht auf das linke Bein, wippte etwas ungeduldig. Ja, mag sein, dass er in diesem Bereich untrainiert war, dass er sich dadurch selbst in Gefahr brachte. Vielleicht zog er durch das Benutzen seiner Aura auch wirklich die Wesen an. Aber er war gewiss kein SPIELZEUG schon gar keine PUPPE!? Crashs Augen hatten sich verengt, sein Kiefer knirschte, während er ihn zusammenpresste, um nicht die Geduld zu verlieren. Er hasste genau diese Art von Behandlung, genau das. Diese arrogante und selbstgefällige Art, ihn abzustempeln.

Er wollte gerade eine spitze Bemerkung darüber zurückgeben, dass ein ach so tolles Alphatier wie er sich doch dann gewiss nicht von einem drittklassigen Dämon eine hätte verpassen lassen, als dieser das Thema wechselte und ihn fragte, ob er ihn zum Bauernhof mitnehmen solle. Er nickte leicht. Dadurch, dass er nicht bei Bewusstsein gewesen war, als diese Scheiß-Familie ihn hierher geschleppt hatte, wusste er nicht, wie er sonst zu seinem Auto kommen sollte.

Und so erwiderte er nichts, ließ sich zu dessen Motorrad führen. Ein Alpha. Ein Alpha, dessen Aura gigantisch werden konnte, wenn er nur wütend genug war… Jemand, der viel wusste. Aber: jemand, der ihn tierisch mit seiner Art nervte. Manchmal war das Leben schon ziemlich scheiße.

Wortlos ging er dem anderen hinterher, wog ab, ob er seine Gedanken aussprechen sollte oder nicht. So langsam wurde ihm immer bewusster, dass er wirklich jemanden brauchte, der ihm half. Sicher, er hoffte auf seinen Vater, seinen Großvater – wer auch immer sie waren. Aber genau darin lag ja auch das Problem: es waren Menschen, die er nicht kannte. Menschen, vor denen seine Mutter geflohen war. Menschen, die vielleicht schon tot sein konnten.

Crash schob die Gedanken zur Seite, als sie bei der Maschine ankamen. Ein schmuckes Ding, geländegängig. Mit der war es definitiv einfacher, voranzukommen, als mit seinem Pickup. Doch noch bevor er einen genaueren Blick darauf werfen konnte, fing der Klugscheißer schon wieder mit seinen Vorträgen an. Oh man! Crash knurrte innerlich. Besonders, wie sich der andere im gleichen Tonfall vorstellte, wie er ihm gerade einen Vortrag gehalten hatte. Aber half ja nichts. Im Moment musste er es ertragen, vielleicht auch ein wenig länger.

Crash griff zu dem Rucksack und warf ihn sich über.

„Ich heiße Crash“, entgegnete er. „Und mir ist durchaus bewusst, dass mein …. was auch immer es ist, andere Wesen auf den Plan ruft.“ Seine Stimme klang ein wenig wie ein unwilliges Knurren. „Eigentlich hatte ich die Lage ganz gut im Griff. Alles schien friedlich…“

Er konnte sich noch gut erinnern, wie er von einer ähnlichen Stelle hier oben das Tal eingesehen hatte und es abgesucht hatte, nach Kräften. Den Hund hatte er offenbar nicht sehen und spüren können – weshalb auch immer. Noch während er den Gedanken hatte, kam Wind auf und tastete Crash unbewusst die Gegend ab. Er blickte sich um. „Lass uns zum Bauernhof fahren“, sagte er leise und lauschte in den Wald. Es schien, als würden auch andere gerade merken, dass derjenige, der den Wald bisher beherrscht hatte, nicht mehr unter den Lebenden weilte. „Wir sollten los.“

Crash stieg hinter dem ‚Alpha‘ auf, setzte sich aufrecht hin. Er hatte keine große Lust, Grey zu berühren, doch als dieser anfuhr, glitt sein einer Arm an der Seite nach vorne an die Hüfte, so dass er sich festhalten konnte. Ein seltsames Gefühl durchströmte seinen Körper ausgehen von der Hand, die Greys Körper berührte. Ein Alpha… Vielleicht sollte er ihn wirklich fragen.
 

Marius hatte vor dem Hof gehalten. Crash, der auf dem kurzen Weg hierhin einen Entschluss gefasst hatte, stieg vom Motorrad ab, zog sich langsam den Rucksack aus, gab ihn dem anderen aber nicht gleich. Er wusste, wenn er den anderen jetzt einfach ziehen ließ, würde er keine Chance mehr haben, diesen zu fragen.

„Ich… Du hast recht, wenn du sagst, dass ich noch nicht viel kann. Ich habe das lange nicht begriffen, was ich sein könnte. Aber meine Situation hat sich geändert. Ich muss lernen… Ich brauche… Kannst du mir nicht ein wenig beibringen?“
 

Marius

Crash... das war ja wie ein schlechtes Omen mit so einem Namen durch die Gegend zu rennen. Fast so, als wollte der Kerl, dass es bei ihm drunter und drüber ging. Ja... nope. Da würde er wohl erstmal bei Doll bleiben. Auch wenn der Name dem anderen scheinbar aufgestoßen war. War ja auch kaum zu übersehen gewesen. Selbstbeherrschung schien da nicht so wahnsinnig groß geschrieben zu werden. Und auch sonst... mal ehrlich? Er hatte die Lage ganz gut im Griff?

"Natürlich hattest du das." Nicht.
 

Die Augen ungesehen verdrehend, als er sich auf seine Maschine setzte, fragte er sich, wieso Doll es auf einmal so eilig hatte. Waren jetzt andere Wesen unterwegs? Aber eigentlich sollten die sich nicht näher herantrauen. Zumindest nicht diese Nacht. Es sollte mehr als deutlich zu spüren gewesen sein, wer diese Nacht hier das Sagen hatte. Selbst wenn er seine Aura wieder sehr nah bei sich behielt. So dumm waren nicht mal die Viecher. Oder zumindest war ihm noch keines erschienen, das dumm genug dafür war. Besonders wenn man bedachte, dass er sich ein wenig hatte gehen lassen. Noch so ein Punkt, der ihm ein wenig aufstieß.
 

Das Motorrad startend, folgte er dem kaum noch sichtbaren Weg, bis sie von oben den Hof einsehen konnten und sich schließlich auch auf diesen zubewegten. Wie idyllisch. Aber eigentlich war er ein wenig abgelenkt. Wie lange war es her, dass er einen anderen Menschen so nahe an sich heran gelassen hatte, ohne dass es ein Händedruck oder sowas in der Art in Harrys Bar gewesen war? Ziemlich lange. Sowas um nen halbes Jahr rum? Das könnte hinkommen.

Marius war eben nicht die vertrauensvollste Kreatur auf Gottes Erden. Wahrlich nicht. Er hatte Doll auch schon mehr erzählt, als er das unter ähnlichen Umständen normalerweise tat. Da aber keine seiner inneren Alarmglocken schellten, wäre es wohl schon so in Ordnung. Schätzte er zumindest.
 

Am Hof ankommend, warf er einen Blick zu den herumstehenden Autos. Davon mussten dann wohl einige zu anderen Opfern gehört haben? Schien als hätte sich der Hund tatsächlich ein nettes Leben da im Wald gemacht. Aber war das Wesen nicht eigentlich zu niedrig, um so weit vorauszuplanen? Konnte es sein, dass die Viecher im Allgemeinen mehr Intelligenz bewiesen? War das einer der Gründe, wieso immer häufiger solche Übergriffe stattfanden? So viele Fragen und niemand würde sie einem beantworten. Eigentlich war es sehr frustrierend in ihrer Zeit zu leben, wenn man bedachte, wie gut es den Menschen vor nur siebzig oder hundert Jahren noch gegangen war. Zumindest den Büchern nach.
 

Seine Maschine vor dem Hof abstellend, richtete er sich auf selbiger auf und wartete darauf dass seine Begleitung absprang und ihm den Rucksack zurückgab. Hoffentlich ließ der sich nicht gleich wieder von denen da drinnen überfallen. Es wäre wirklich fast ein bisschen schade um diese so schnell vor Empörung funkelnden dunklen Augen. Temperament konnte ne schöne Sache sein und an Doll sah das ganze sogar recht nett aus.

Sich diesem zuwendend und die Hand schon halb nach dem Rucksack ausstreckend, ließ er den Arm wieder sinken und blinzelte ein paar Mal ehrlich überrascht. Das war jetzt so ziemlich das letzte, das er gerade erwartet hatte. "Du willst, dass ich dir ein wenig beibringe?", echote er ungläubig und starrte den anderen an, als ob er der erste Mensch auf dem Mond wäre. "Doll, nix gegen dich, aber du kannst mich nicht mal soweit leiden, wie du mich werfen könntest." Seine graublauen Augen hefteten sich an die dunklen des anderen. "Wenn ich wirklich Zeit und offensichtlich auch Nerven in jemanden investieren würde, dann hätte ich eher wenig Lust darauf, beim erstbesten Streit nur noch eine Staubwolke am Himmel von diesem jemand zu sehen. Du bist gefühlsgeladen wie nen straff gespannter Bogen." Er hielt kurz inne. Wieso versuchte er das hier überhaupt zu rechtfertigen? Wieso sagte er nicht einfach 'Nein, verpiss dich!‘? Wieso zog er das hier ernsthaft auch nur annähernd in Betrachtung? Hatte ihn der Stein härter getroffen, als er dachte?

Luft ausstoßend, strich er sich seine nervigen Haare zurück und verzog die Lippen. "Gib mir einen guten Grund. Einen einzigen."
 

Crash

Den skeptischen Blick, den ihm ein jeder schenkte, der seinen Namen hörte, war er gewohnt. Zum Glück kam keiner der Millionen super lustigen Scherze, die er alle kannte. Immerhin ein Pluspunkt, den der andere sammelte. Zusammen mit dem erstaunlich beruhigenden Gefühl, das sich in ihm ausbreitete, während er hinter ihm saß, und ihm neue Kraft zu verleihen schien. So fühlte er sich unerwartet erholt, während er versuchte, aus dem erstaunten Blick des anderen eine Tendenz abzulesen. Dass er überrascht war, machte er ihm deutlich. Crash konnte ihm nicht widersprechen, als er ihm erklärte, dass er genau wusste, wie wenig er ihn leiden konnte. Wirklich sympathisch war er ihm tatsächlich nicht. Allerdings ging ihm das mit den meisten Menschen so.

Dennoch schien Grey auch nicht direkt zu widersprechen. Immerhin etwas. Sonst hätte er doch direkt Nein gesagt, oder? Daher erwiderte er einfach nur den Blick, während der Alpha ihm erklärte, dass er weder Nerven noch Lust darauf hatte, weil er ihm zu „gefühlsgeladen“ war? Nun konnte Crash nicht anders, als seine Augenbrauen zu heben. So schlimm war er doch gar nicht. Früher war das viel schlimmer! Dass er selten zur Ruhe kam und viel in Bewegung blieb, wusste er ja, aber Grey hatte noch immer kein „Niemals!“ ausgesprochen.

"Gib mir einen guten Grund. Einen einzigen."

Er biss sich auf die Unterlippe, schluckte. Ein Grund dafür, dass er das tun sollte? Auch noch einen guten?!

Sicher, er könnte ihm irgendwas weismachen. Irgendwas, wovon der andere profitierte. Er könnte ihm vielleicht auch glaubhaft machen, dass er eine besondere Gabe hätte, die all diese Wesen unter Kontrolle bringen könnte, oder irgend so etwas. Vielleicht könnte er ihm auch verkaufen, dass er wusste, wer ihn als Alpha weiterhelfen konnte. Aber eine Zusammenarbeit auf einer Lüge aufbauen? Nicht mit ihm. So war er nicht.

„Es gibt keinen“, sagte er daher und zuckte etwas hilflos mit den Schultern. „Ich meine… Vielleicht die Faszination in deiner Stimme, als du mich Machtsprecher genannt hast...“, er brach ab. Was sollte er schon sagen? Einen Grund… Dann drückte er Marius seinen Rucksack in die Arme. Im Grunde brauchte er ihn doch auch gar nicht, oder? Wenn er in Jax ankam, dann waren da sein Vater und sein Großvater, die ihm weiterhelfen würden. Gewiss würde sich dann alles fügen. Es war ja nicht mehr weit. „Ich müsste lügen, um dir einen guten Grund zu sagen. Ich werde es schon nach Jacksonville schaffen.“ Crash blickte erneut auf die Verletzung des anderen. „Darf ich mich zumindest für deine Hilfe revanchieren und deine Verletzung verarzten?“

Atlanta

Crash

Die Landschaft veränderte sich, je weiter sie in Richtung Küste kamen. Es wurde deutlich wärmer, fast etwas schwül. Die Äcker wichen erst nicht mehr bewirtschafteten Weiden, dann sogar sumpfartiger Landschaft. Schließlich kamen erste Vororte, verlassen, weitestgehend zerstört und geplündert.

Der Schutzring dieser Stadt schließlich bestand aus Schuttbergen, die eine Barriere bedeuteten, aber kein unüberwindbares Hindernis. Das Tor, das in die Stadt führte, war bewacht. Wachen mit Sturmgewehren hielten Reisende an. Offenbar hatte man keine Angst, dass Wesen von außerhalb eindringen konnten. Oder war das alles so, damit man auch wieder raus kann?

Scharfschützen wachten auf Türmen, auf die man nur mit einer Strickleiter klettern konnte. Es war üblich, um zu verhindern, dass sie zu leicht von oben runtergeholt wurden. Irgendwie hatte Crash jedoch das Gefühl, als sei die Gefahr von unten hier die größere als die von oben.

Misstrauisch beäugten die Wachen sie. Sie stellten viele Fragen. Woher sie kämen, wohin sie wollen. Crash antwortete ,wahrheitsgemäß‘, dass sie aus den Bergen kämen, um hier zu versuchen, Medikamente zu bekommen. Der Wächter sah ihn zweifelnd an. „Dafür kommt ihr hierher?“ Crash spürte, dass der Mann Angst hatte, aber alles versuchte, das geheim zu halten. Seine Wangen waren eingesunken, die Augen verrieten Schlaflosigkeit und Sorgen. Der Braunhaarige ließ sich seine Beobachtung nicht anmerken, blickte zu den anderen, denen es nicht besser zu gehen schien. „Meine Mutter schickt mich. Sie gab mir eine Adresse. Jefferson Street. Könnten Sie mir bitte sagen, in welcher Richtung das liegt?“ Der Mann musterte ihn eingehend. Ein Gefühl von ungreifbarer Unruhe, war deutlich wahrnehmbar.

Crash hatte extra eine andere Straße angegeben, die in der Nähe der eigentlichen Adresse lag. „Das alte Krankenhaus. Ich weiß nicht, ob es da noch was zu holen gibt. Haltet euch auf der 95 Richtung Norden. Dann verfehlt ihr es nicht. Aber...“ Der Mann blickte auf die Uhr, dann zum Himmel, bevor er wieder in ihren Wagen blickte. Der Pulsschlag des Mannes erhöhte sich, die Unruhe, die Angst, die Sorge, die Crash spürte, war deutlicher denn je. Seine Aura flackerte panisch. „Sucht euch lieber zügig eine Unterkunft. In 2,5 Stunden beginnt die Sperrstunde, in 3 geht die Sonne unter.“ Er klopfte aufs Dach als Zeichen, dass sie fahren durften.
 

Langsam schlängelten sie sich durch die kaputten Straßen der einst wohlhabenden Stadt. Häuserruinen säumten die Straßen. Dazwischen aber auch Mehrfamilien- und Einfamilienhäuser. Die Luft roch nach Brackwasser. Crash spürte eine dunkle Bedrohung latent in der Luft. Die wenigen Menschen schienen es eilig zu haben, wirkten verängstigt und liefen vor allem erstaunlicherweise mitten auf der Straße. Die Gullys waren versiegelt, Häuser waren mit Brettern verbaut, auf denen „Danger“ stand, andere wiederum hatten alles verschlossen, was möglich war, Fenster mit Rollladen und Gittern davor, schwere Eisentüren. Teilweise schienen Kratzspuren an Wänden, Türen, Fenstern zu sein.

Crash fuhr rechts ran, hielt an. Sein Blick suchte den des anderen. Doch bevor er etwas sagen konnte, blickte er an Marius vorbei in den Schatten des Hauses neben ihnen. Hörte er ein Knurren, ein Zischen? Bildete er sich das nur ein, oder bewegte sich da etwas, lauernd? Erst jetzt sah er die Warnung, im gleichen Moment, in dem ein Schattenwesen etwas näher trat. Eine gafernfe, groteske Maske, gierig, blutrünstig. Das Gesicht begann einen Moment zu qualmen, so dass sich das Wesen jaulend zurückzog. Der Lichtstreifen der Sonne schien die Barriere zu sein, die das Vieh abhielt, zu ihnen ins Auto zu springen, um sich auf sie zu stürzen. Irgendwo schrie jemand auf, was Crash aus seiner Starre brachte. Er fuhr an, suchte die Mitte der Straße, das Licht. Er begriff nun, warum die Menschen Abstand hielten. „Na das ist ja ein Spaß“, murmelte er schnaubend, knetete seine Unterlippe mit zwei Fingern, während er nachdachte. Er versuchte sich zu erinnern, ob er ein solches Wesen in den Büchern schon gesehen hatte. Fakt war, dass es viele davon gab, und dass diese abgrundtief bösartig waren. Denn nur in diesem einen Haus, schien es nicht zu sein. Ob sie auch in der Kanalisation waren? In all den anderen Häusern, die mit einer Warnung versehen waren?

2,5Stunden. Wenn er wüsste, was ihn bei der Adresse erwartete, könnte er leichter entscheiden, was er tun sollte. An sich würde er es riskieren dorthin zu fahren, aber da saß noch jemand neben ihm. „Wir sollten zusehen, dass wir eine Unterkunft bekommen und morgen alles weitere angehen, was meinst du?“
 

Marius

Schutt. Abfall. Dreck. Müll.

Wie auch immer man die ganze Scheiße hier nennen mochte, es war widerwärtig und Marius hasste es jetzt schon. Stadt nannten die das hier? Ekelerregendes Drecksloch wäre deutlich passender. Der Blick aus seinen gräulichen Augen huschte über das To, das vor ihnen aufragte. Die Strickleitern. Die Waffen. Die fast schon zu schmeckende Angst und er dachte mit etwas Wehmut an seinen Checkpoint zurück. Nicht mal zwei ganze Tagesreisen entfernt, wirkte das inzwischen nur noch wie eine warme Erinnerung. Ein farbiger Klecks in dem tristen Grau, in dem sie nun waren. Vielleicht hätte er sich das mit seiner Weiterreise doch nochmal besser überlegen sollen.

Er ließ Doll auf die meisten Fragen antworten, gab seine 2 Cent mit einem: "Ich begleite ihn im Grunde nur." zum Besten mit der gelangweiltesten Stimme, die er zustande brachte. Ego, hm? Überragender Schauspieler würde es viel besser treffen. Und wie so häufig sahen auch die Kerle in ihm nur das, was er ihnen zu sehen gab. Jemanden, den das alles kaum interessierte, der tagtäglich in solche verpesteten Löcher reinwollte. Jemand, den hier nichts mehr überraschen würde. Insofern würde es auch keinen Sinn machen, sich näher mit ihm zu beschäftigen. Er würde keine Angst bekommen und war offensichtlich viel zu desinteressiert an ihnen, um Neuigkeiten von draußen zu berichten. Eine Taktik, die in 95% aller Fälle ausgezeichnet funktionierte. Zudem er ja gerade auch noch jemanden dabei hatte, der den Typen schon eher gab, was sie wollten. Auch wenn Marius nie verstehen würde, für was genau solche Tore überhaupt dienen sollten. Zwielichtige Gestalten würden ihren Weg in so ne Stadt sehr leicht auch anders bekommen. Naja, vielleicht war es, um Langeweile zu vertreiben. Alles in allem zeigte es ihm jedoch, dass sein Ersteindruck nicht getäuscht hatte. Es stank geradezu nach Wesen hier. Kroch ihm aus jeder kleinen Ritze in die Nase und kratzte an seiner Selbstbeherrschung. Fantastisch. Vielleicht war das hier kein Loch, sondern ein Nest.

Marius warf nicht mal einen Seitenblick zu Doll hinüber, als jener anmerkte, dass ihn dessen Mutter hier irgendwohin schickte. Wenigstens stotterte er bei seiner Lüge diesmal nicht so saublöd rum. Vielleicht war es auch die Wahrheit. So ne Art letzter Wunsch auf dem Sterbebett oder so. Schon alleine deshalb würde er nichts zu dem anderen sagen. Wespennester sollte man in Ruhe lassen, sofern möglich.

"Was ein Drecksloch", merkte er schließlich an, als sie in die Stadt hineinfuhren und sich über die mehr als baufälligen Straßen schlängelten. Sein Blick fiel auf ein Haus, das wohl früher mal reicheren Menschen gehört hatte. Inzwischen sah es eher so aus, als hätte eine Belagerung darauf stattgefunden. Dunkle Flecken an den Wänden, die alles sein konnten aber vermutlich wusste ein jeder, der vorbei fuhr, was sie wirklich waren. Er verzog seine Lippen. Warum genau rotteten sich Menschen an so einem Ort zusammen? Schlechte Verteidigungsmöglichkeiten. Viel zu viele Versteckmöglichkeiten für Wesen wie Menschen. Keine Übersicht war gegeben. Alles nur im Namen einer Stadt? Vielleicht hatte Doll doch recht, wenn jener behauptete, dass der Mensch verlernt hatte zu denken.
 

Als Doll anhielt und ihn ansah, wollte er gerade nachfragen, als er hinter sich etwas hörte und auch der Blick des anderen an ihm vorbei ging. Sich umwendend, die Hand schon an der Waffe habend, sah er das Wesen auch gleich darauf. "Oh toll, das erklärt dann wohl auch die Sperrstunde." Wieso genau mussten diese Wesen auch immer so abartig sein? Gab es keine niedlichen kleinen Hasen in anderen Dimensionen? Immerhin begann es zu jaulen, als es in die Sonne trat. Marius‘ Blick schärfte sich. "Starke Beine, gute Muskeln. Gemacht für Geschwindigkeit. Ich würde vermuten schlechte Augen, dafür umso bessere andere Sinne. Nicht übermäßig intelligent. Klauen und scharfe Zähne. Keiner dieser reinen Blut oder Essenzsauger." Doll fuhr an und nahm ihm damit die Sicht und Marius blinzelte ein paar Mal, sich dem anderen wieder zuwendend und seine Waffe wieder loslassend.

"Du hast uns in ein Nest gebracht." Eine reine Feststellung und keine Anklage. Diesmal achtete er sogar darauf. Er gab sich selbst innerlich ein Fleißsternchen. "Unterkunft? Wir sollten schauen, dass wir deine Erledigungen so schnell wie möglich hinter uns bringen und uns hier wieder verpissen. Weder du noch ich werden hier eine ruhige Nacht haben, also können wir es genauso gut auch gleich ganz sein lassen. Aber das ist nur meine Meinung." Er zuckte mit den Schultern. "Ich richte mich nach dir. Aber um meiner eigenen Idee gleich ein paar Minuspunkte zu verpacken: Meine.. Aura…" Er tat sich immer noch schwer seine Fähigkeit so anzusprechen, obwohl es so passend war."…wird uns hier kaum was nützen. Ich habe die Befürchtung, die ganzen Monster dieser verfluchten Stadt würden zu uns kommen und uns überrennen, wenn ich sie hier loslasse. Also Muskelkraft, Waffen und deine Fähigkeit. That‘s it."
 

Crash

Der Gesichtsausdruck des anderen sprach Bände. Crash spürte das körperliche Unwohlsein und er vermutete, dass jener lieber nochmal ne Runde mit dem Chupacabra geschmust hätte, als jetzt hier zu sein.

Mochte jener keine Städte? Der Checkpoint war ländlich gewesen, ruhig, überschaubar, weniger risikobehaftet. Offenbar mochte jener das Chaos, die Unruhe, die Gefahr der Stadt nicht. Es passte ins Bild. Crash war in der Stadt groß geworden. Vielleicht kam seine ewige Unruhe auch gewissermaßen daher. Von Marius wusste er nur, dass er weiter aus dem Norden kam. Und sich hier offenbar unwohl fühlte. Aber: Warum war er dann hier? Warum begleitete er ihn dann?Musste er jetzt ein schlechtes Gewissen haben? Hätte er geahnt, wie wenig begeistert jener davon war, hier zu sein, hätte Crash ihm ja anbieten können, außerhalb zu bleiben. Ob er dann eingewilligt hätte? Oder war das Ganze diese Alpha-Denke?

Wie hatte Marius vorhin gesagt? Sein Rudel bestand aus zwei Personen. War er deshalb dabei? Um sein Rudel zu beschützen? War er nun wirklich Teil seines „Rudels“? Irgendwie kaum vorstellbar. Grey war gewiss froh, wenn er ihn wieder los war. Oder redete Crash sich das gerade nur ein? Immerhin...
 

Der Vorfall mit diesem Wesen unterbrach seine Gedanken. In seinem Kopf ratterten jetzt andere Dinge, Seiten über Seiten auf der Suche nach dem Wesen - ergebnislos. Am ehesten glichen sie einem Nachtwanderer, aber die waren eigentlich relativ harmlos, ernährten sich nur von der Angst der Menschen. Die Beine, Klauen und das Gebiss sahen eher nach einem Fenrir aus, sehr unangenehme, wolfsähnliche und fleischfressende Waldwesen - was auch keinen Sinn machte.

"Starke Beine, gute Muskeln. Gemacht für Geschwindigkeit. Ich würde vermuten schlechte Augen, dafür umso bessere andere Sinne. Nicht übermäßig Intelligent. Klauen und scharfe Zähne. Keiner dieser reinen Blut oder Essenzsauger." Crash sah zu Marius, nickte nachdenklich. „Sie können offenbar nicht klettern. Die Wachtürme wären sonst anders konzipiert. Daher dieser Ausdruck des Grauens im Blick der Soldaten...“, murmelte er. Ihm fiel auf, dass manche der Türen der intakten Häuser eine Sonne als Symbol trugen, oder als Mahnung?

Er sah auf, als Marius feststellte, dass sie nun in einem Nest waren, dass er sie dorthin gebracht hatte. Eine Anklage? Hätte er nur den leisesten Verdacht gehabt, wäre er nicht zu dieser Uhrzeit in die Stadt. Doch Grey schien nicht sauer zu sein, es eher festzustellen und analysierte ihre Situation. Crashs Zeigefinger trommelte auf dem Lenkrad. Er nickte verstehend und rechtgebend.

Ja, seine Aura wäre hier ein hohes Risiko. Niemals würde er zulassen, dass jener wegen seiner beschissenen Angelegenheit in solche Schwierigkeiten käme. „Lass uns nachsehen, ob bei der Adresse überhaupt etwas ist. Vielleicht können wir dann direkt wieder raus. Ansonsten suchen wir uns eine Unterkunft. Wenn da etwas ist, dann brauche ich etwas Zeit, morgen.“
 

Und so fädelte er sich schließlich auf die alte Autobahn und fuhr beim Krankenhaus wieder ab. Von jenem war tatsächlich wenig übrig geblieben. Offenbar war dieses bewusst bombardiert worden.

Crash bog eine Straße vorher ab, blieb schließlich vor einem alten, gediegenen Mehrfamilienhaus stehen. Das Jugendstilgebäude war definitiv eines der ältesten hier in der Stadt, reihte sich an andere. Der Vorgarten war mit einer hohen Mauer und einem schweren Eisentor versehen. Oben stand ein Fenster offen, ansonsten wirkte es eher verlassen. Crash stieg aus dem Wagen, blickte sich um. Niemand war zu sehen. Auch die anderen Häuser schienen verlassen. Kleine Birken, die aus dem Dach wuchsen, bestätigten ihm den Eindruck.

Er spürte nichts, keine Anwesenheit von Menschen, noch weniger von Kreaturen. Und doch war da eine seltsame Dunkelheit, etwas Schweres, Unangenehmes, Unheimliches.

Crash trat ans Tor. Es war verschlossen. Eine Klingel, die angebracht war, schien nicht mehr zu funktionieren. Crash rief - nichts regte sich.

Einen Moment maß er die Mauer, trat ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf und überwand die guten 2,5m mit Hilfe eines Hydranten, der dort stand.

Im Innenhof trat er ans Tor und öffnete Marius dieses. „Ich würde mich nur gern ganz kurz umsehen. Danach suchen wir uns eine Unterkunft“, sagte er und fuhr den Wagen in den Innenhof, damit er die Straße nicht blockierte.

Dann stieg er die wenigen Stufen zur Haustür hinauf. Auf dem Schild stand „Michael und Wilhelm Adler - Veterinär Mediziner“ Die Namen sagten ihm nichts.

Crash prüfte, ob die Tür offen war, aber auch sie war verschlossen, sah zudem massiv aus, sicherheitsverstärkt. Er blickte zu dem offenen Fenster im ersten Stock, zur Mauer zum Nachbargrundstück und es dauerte keine Minute, bis er durch eben jenes Fenster nach innen geklettert war, keine weitere Minute, bis er Marius den Weg freimachte, nachdem er die vielen Sicherheitsriegel geöffnet hatte.
 

Im Inneren des Hauses roch es nach abgestandener Luft, Staub lag dick auf dem Boden. In dem Zimmer, durch das er gekommen war, hatten sich Vögel einquartiert. Das Erdgeschoss glich einer Tierarztpraxis. Ein Untersuchungsraum, ein OP-Raum, eine Rezeption, ein Wartebereich, ein Labor.

„Ich habe oben was gesehen, das ich mir noch gerne ansehen würde“, sagte Crash und ging wieder die Treppe hinauf.

Neben der Abstellkammer, durch die er gekommen war, war ein Büro gewesen. Vielleicht könnte er hier mehr über die beiden Tierärzte herausfinden, eventuell einen Hinweis darauf, warum seine Mutter ihn hierhergeschickt hatte.

Hätte er geahnt, was er fand, wäre er vermutlich nie nach Jacksonville gefahren.
 

Das Büro sah aus wie geordnetes Chaos. Auf der einen Seite war die Wand zugestellt mit Aktenschränken, ein großer Schreibtisch stand vor dem Fenster, über und über voll mit Papier, Akten, Büchern. Bücherregale zierten die andere Wand. Crash ließ den Raum auf sich wirken. Aus einem Gefühl heraus blickte er ins Bücherregal, suchte die Buchrücken entlang nach etwas Besonderem, bis seine Augen an unbeschriebenen Notizbüchern hängen blieben. Er zog eines heraus, schlug es auf. Er erkannte die Zeichnungen sofort. Sie gehörten seiner Mutter. Ihre Zeichnungen, ihre Notizen, eine andere Handschrift ergänzte ausführlich. Eine männliche, gedrungene, strenge Handschrift. Crash überflog ein paar Seiten, zog weitere Bücher heraus. Auf der Vorderseite waren sie nummeriert. Erstere Bücher waren von seiner Mutter, letztere nicht mehr. Im ersten Buch blieb Crash an einer Notiz hängen. „Nummer 4AD zeigt sich hilfsbereit und stellt Zeichnungen her. Ihr Wissen ist umfassend.

Crash blickte hinüber zum Aktenschrank, öffnete oben links den ersten Schub. 4AD war schnell gefunden. Eine Akte über seine Mutter. Er zog noch weitere heraus, Menschen, Tiere, Dämonen, Wesen aller Art. Der Verdacht, der ihm mit einem Mal kam, ließ seinen Puls beschleunigen. Er drehte sich dem Bücherregal zu, glitt noch einmal suchend über die Buchrücken. Dann zog er zwei Werke heraus. „Wilhelm Adler - Anomalien im Tierreich“ und „Wilhelm und Michael Adler - Mutationen und ihr Nutzen für die Menschen“

Crash schluckte, als er das zweite Buch umdrehte und auf der Rückseite das Foto der Autoren zu sehen war. Der jüngere Mann sah ihm verdammt ähnlich.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hey, treue Leserschaft und Neuzugänge!
Ich hoffe, ihr findet euch zurecht und habt Spaß daran, die ersten beiden Charaktere etwas kennenzulernen.
Wenn ihr Fragen habt, schreibt einen Kommentar!
Liebe Grüße
Amber Komplett anzeigen

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