A Message from my Past-Self von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 2: Chapter 1 - 2 ------------------------ Er brauchte etwas, bis er so weit war, dass er über den Rand seines Gefängnisses hinwegblicken konnte. Das erste, was er sah, war eine große, schwer aussehende Platte aus dunklem Stein – also war seine Vermutung richtig gewesen; es war eine Steinplatte gewesen die ihm zuvor den Ausweg versperrt hatte, und jetzt, wo er sie sah, wunderte es ihn kein Stück mehr, dass er es nicht geschafft hatte, sie zu bewegen. Aber wer hatte sie dann… Er schob den Gedanken beiseite, vorerst zumindest, konzentrierte sich darauf bei dem Versuch, aus dem Loch in dem er sich befand, hinauszuklettern nicht abzurutschen. Es fiel ihm erstaunlich schwer, und als er es schließlich geschafft hatte, auf allen Vieren auf einer mondbeschienenen Grasfläche kauerte, fühlte er sich, als sei er grade hunderte Meter weit gesprintet. Kurz schloss er die Augen, atmete einige Male tief ein. Wirre Gedanken rasten durch seinen Kopf, Fragen, auf die er keine Antworten hatte – wo bin ich, warum bin ich hier, wie bin ich hier hergekommen - ; Versuche, diese zumindest ein wenig zu ordnen, blieben vergeblich. Die Finsternis, die durch seine geschlossenen Lider entstand, schien dieses Chaos in seinem Kopf bloß schlimmer zu machen, sodass Victor die Augen wieder öffnete, sekundenlang einfach bloß nach unten auf seine Hände und das Gras starrte. Nun erst fiel ihm auf, dass er seine Handschuhe nicht trug. Das war ungewöhnlich, denn er trug eigentlich immer Handschuhe, unabhängig davon wie warm oder kalt es auch sein mochte; es gab zu viele Dinge deren Berührung ihm unangenehm war als dass er darauf hätte verzichten können, sobald er aus dem Haus ging. Wieso war ihm das nicht bereits dort unten aufgefallen, als er die Erde berührt hatte? Zwar gehörte Erde nicht zu den Objekten, deren Gefühl auf der Haut ihn anwiderte, aber trotzdem…er hätte es bemerken müssen. „Na ja, ich hatte auch andere Probleme“, murmelte er, setzte sich dabei auf und betrachtete erneut seine Umgebung. Seine Hoffnung, dass die Frage, wo er sich befand, so beantwortet werden könnte, schwand sofort. Vor ihm lagen einige Meter Grasfläche, die weiter hinten begrenzt wurde von dornigem Gestrüpp und hoch in den Nachthimmel aufragenden Bäumen. Die Pflanzen trugen keine Blätter, waren vollkommen kahl, abgesehen von einigen dunklen runden Gebilden hoch oben im Geäst, bei denen es sich vermutlich um Misteln handelte. Unwillkürlich musste Victor frösteln. Dieser Anblick legte die Vermutung nahe, dass es Winter oder zumindest später Herbst sein mochte. Konnte das sein? …Wie war es überhaupt möglich, dass er sich nicht einmal daran erinnerte, welche Jahreszeit aktuell herrschte? Was, zur Hölle, war mit ihm passiert, dass er derart wenig wusste. Erneut war Panik im Begriff, sich in ihm auszubreiten, schnell umfasste Victor sein Handgelenk und umklammerte es mit festem Griff. Das Gefühl half ihm ein wenig dabei, nicht abzudriften, sich in einem wirren Anfall von Angst zu verlieren in dem er keinen klaren Gedanken mehr würde fassen können, und als er schließlich anfing, zu sprechen, klang seine Stimme fester als er erwartet hätte: „Ok, ruhig. Nicht alles auf einmal. Was weiß ich denn?“ Eine hervorragende Frage, für deren Beantwortung er in der Tat ein wenig Zeit brauchte. Alles in seinem Kopf schien einfach so verdammt wirr zu sein, verdreht und durcheinander, teils so surreal und undeutlich dass er keine Ahnung hatte, ob er dem, was er zu wissen glaubte, wirklich Glauben schenken konnte. Als er weitersprach hatten seine Worte einiges von ihrer Sicherheit verloren, seine Antworten klangen eher, als handele es sich dabei um weitere Fragen. „Ich heiße Victor Cormins… bin… sechzehn Jahre alt… wohne in Seborga…“ Das war ein Anfang, besser als nichts. Wenn es denn stimmte. Aber irgendwie war das auch alles, bei dem er sich zumindest einigermaßen sicher war, alles andere könnte ebenso gut Einbildung sein, wirkte kaum realer als der Traum aus dem er zuvor erwacht war… Der Traum. Irgendetwas war mit diesem Traum. Etwas…Wichtiges… Wie er auf diese Idee kam, wusste er nicht. Er wusste überhaupt nichts, und je stärker er versuchte sich zu erinnern, an irgendetwas, was ihm dabei helfen könnte seine Verwirrung zu verringern, desto weiter schienen mögliche Erinnerungen und Antworten zurückzuweichen, zu verschwimmen, zu verblassen. Als würde Licht auf einen unentwickelten Film fallen und die Bilder darauf zerstören. Ein wenig genervt verdrehte Victor die Augen, ein weiterer Ausdruck seiner unterschwelligen Nervosität. „Wird ja immer schlimmer mit diesen poetischen Vergleichen! Aber vielleicht sollte ich mich besser erst mal drauf konzentrieren, rauszukriegen, wo…“ Er schaffte es nicht, seinen Satz zu beenden. Im Reden hatte er sich ein Stück aufgerichtet, nach links und rechts geblickt und sich schließlich langsam umgedreht, in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis darauf zu finden, was für ein Ort das hier war, an dem er unerklärlicherweise aufgewacht war. Doch was er erblickt hatte, an dem Punkt der zuvor direkt hinter ihm gelegen hatte, hatte seine Stimme abbrechen und seinen Atem stocken lassen. Hinter der schmalen Grube, aus der er zuvor herausgekrochen war und die von hier oben kaum weniger unheimlich anmutete als es dort drin der Fall gewesen war, ragte ein glatter, beinah menschengroßer Stein zur Silhouette des Mondes hinauf. Seine Form war ungewöhnlich kantig, es bestand kein Zweifel daran dass er nicht von Natur aus zu geformt gewesen war, sondern dass dies wahrscheinlich durch Menschenhand geschehen war. Doch diese Dinge allein, die gemeinsam bereits ein beunruhigend horrorfilmartiges Bild ergaben, waren es nicht gewesen, die Victor derart erschreckt hatten. Nein, was ihn verstummen lassen und ihm den Atem geraubt hatte, war die Schrift, die in großen, geschwungenen Lettern in den Stein gemeißelt worden waren. Dabei konnte er im ersten Augenblick lediglich die obersten drei Buchstaben ausmachen, die ungefähr doppelt so groß geschrieben worden waren wie der Rest: „R. I. P.“ Es war seltsam, skurril. Aber seine erste Reaktion, nachdem er den ersten Schock überwunden und zumindest ansatzweise seine Stimme wiedergefunden hatte, war es, ein unnatürlich schrilles Lachen auszustoßen. Der Klang hallte durch die Stille der Nacht, wurde von irgendwo zurückgeworfen und dabei seltsam verzerrt. Es klang unheimlich, nahezu grauenerregend, jedoch hatte Victor keine Zeit, sich darauf zu konzentrieren, war er doch bereits dabei, die Zeilen unter den obersten Buchstaben zu entziffern. Und was er dort las, sorgte nicht grade dafür, dass er sich wohler fühlte. „Покойся с миром“, stand dort, und Victor brauchte in der Tat einen Augenblick, bis er begriff dass es sich dabei um kyrillische Buchstaben handelte. „Pokoysya s mirom“. „Ruhe in Frieden“. Am liebsten hätte er wieder gelacht, einfach, um seiner absoluten Überforderung Ausdruck zu verleihen, aber wahrscheinlich hätte der Klang seiner Stimme, mit Sicherheit schrill und verängstigt klingend, bloß noch weiter in die Panik getrieben. Außerdem galt seine Aufmerksamkeit weiterhin dem, was ganz offensichtlich ein Grabstein war; ein Grabstein auf einem offenen Grab, in dem er vor wenigen Minuten noch gefangen gewesen war. Die Inschrift ging noch weiter, bedeckte beinahe den ganzen Stein. Und mit jeder Zeile schien sie immer und immer kryptischer zu werden. „Hier liegt Victor Cormins. Ruhe in Frieden ist eine Lüge. Die Chance ist vertan. Die Entscheidung wurde getroffen, und alles hat Konsequenzen. Auch wenn die eigene Unkenntnis Wissen unterdrückt. Was geschehen ist, ist hier. Es muss bloß gefunden werden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)