Max Payne von Klaus_McGurk (The end of a dark night) ================================================================================ Kapitel 1: The end of a dark night ---------------------------------- Max Payne The end of a dark night Ich wache auf. Der Schleier vor meinen Augen öffnet sich. Wo bin ich? Ein nach Alkohol und Zigarettenstummel stinkender Dampf zieht durch einen schlecht beleuchteten Raum. Ich muss noch im The Hole sein, die schäbigste Bar New Yorks, gut versteckt im dunkelsten Hinterhof dieser Stadt. Nur der Wind hat die fahl leuchtende Neonreklame über dem Eingang entdeckt und bombardiert die trübe Scheibe mit seinem Regen. Er will den Menschen den Anblick des Abschaums ersparen und schwemmt ihn von den Straßen, zurück in sein schwarzes Loch, wo er ungesehen seinem Treiben nachgehen kann. Ich versuche meinen Kopf zu heben. Keine Chance. Schwer wie ein Stein drückt er sich ins Holz der Tresen. Nicht einmal meine Augenlider finden die Kraft sich zu öffnen. Die schmerzlindernde Flüssigkeit hat mich außer Gefecht gesetzt. Fest umklammere ich das kalte Glas zwischen meinen Händen. Ich muss zurück zu Mario. Ihm sagen das ich den Job erledigt habe. Aber es wird noch eine weile dauern bis ich wieder aufrecht stehen kann. Im Hintergrund einer traurig, melancholischen Musik hört man wie sich eine Türe öffnet. Der Wind schreit seine Warnung in den Raum, dann Schritte, Stimmen. „Scheiß Regen!“ „Bleib cool Boris. Wir sind nicht hier um uns über das Wetter zu beschweren. Komm ich geb dir was aus.“ Die Stimme des Ersten klingt tief und mies gelaunt, muss ein Riese sein, Osteuropäer, sein Begleiter ist jünger. „Hey Stephan ist der Typ da nicht dieser Cop? Ich rede mit dir nicht übers Geschäft, wenn uns ein Cop zuhört.“ „Bleib cool Boris. Der ist kein Cop mehr. Sieh ihn dir doch mal an. Der alte Sack kann kaum noch seinen Kopf heben, geschweige denn seine Kanone.“ „Ob Cop oder Ex-Cop, ich hasse diese Schweine.“ „Kümmere dich einfach nicht um ihn.“ „Ja gut. Jetzt erzähl endlich! Was ist mit Anton passiert.“ „Ich hab keine Ahnung. Hab nur gehört das ihn jemand in seinem Apartment getötet hat." „Kann ich mir nicht vorstellen. Wie siehts nun mit unserer Lieferung aus?" Ich komme zu mir. Die ausgestorbenen Sinne einer alten Zeit rehabilitieren sich. Der Zweite flüstert Worte, die nicht gehört werden sollen. "Hör zu, der Container ist heute morgen angekommen. Ich kann dir nicht zu viel sagen, nur das Burt voll einsteigen will. Scheiße, als die den Container geöffnet haben wäre ich fast umgekippt. Mit solchen Geschäften will ich eigentlich nichts zu tun haben. Keine Ahnung warum der Boss sich auf so was einlässt.“ „Was war in dem Container?“ „Kann ich nicht sagen Mann. Nicht hier. Wir haben es in die Bibliothek gebracht. Wirst es noch früh genug sehen.“ Die Bibliothek, ein kaputter Ort an dem die Bücher einsam zu Staub zerfallen. Sie wurde nach einem Brand geschlossen, halbfertig wieder aufgebaut, und dann nutzlos zurückgelassen. Nun dient sie als Unterschlupf für den Abschaum. „Scheiße. Kriegen wir endlich mal was zu trinken?" „Bleib cool Boris. Die junge Dame ist so von deinem Antlitz bezaubert, dass sie erstmal einen Moment braucht." „Sehr schmeichelhaft, aber ich bin nicht eure Mutter. Wenn ihr was braucht, dann sagt es gefälligst oder geht in eine Bar, in der man euch nach dem Saufen noch den Mund abwischt." Tara ist ein schmächtiges Mädchen, das sich neben dem Studium Geld als Barkeeper verdient. Weshalb sie dafür an diesem heruntergekommenem Ort arbeitet habe ich nie verstanden. Jeder der sie kennt weiß mit ihren groben Worten umzugehen. Ihre Schicht, ihre Regeln. Doch ein Fremder könnte sie falsch verstehen. „Was! Machst du mich hier blöd an Hure!" Sie sind fremd. Ihre Stimmen glühen vor Zorn über die Beleidigung. Fäuste hämmern auf die Tresen. Drohungen spucken durch die Luft. Ich kenne die Situation. Ein Damoklesschwert. Der Faden ist jederzeit bereit zu zerreißen. Die gierige Masse fordert ein Opfer, dann ein Schlag, ein Hilfeschrei. Verdammt steh auf Max! Steh auf! „Alles okay Max? Setz dich wieder hin. Du siehst nicht gut aus, ich bringe dir ein Glas Wasser. Die beiden machen keinen Ärger und wenn doch rufe ich die Cops.“ „Ja Bullenschwein setzt dich wieder auf deinen Platz.“ „Was starrst du uns so an? Hast du irgendein Problem?“ Sie stoßen noch mehr Drohungen aus. Ein Berg Schmerzmittel füllt meine Hand. Für das was kommt werde ich es brauchen. Sie nutzen ihre aggressiven Worte als Schild doch es sind nur Finger, die verzweifelt aus einem Felsen ihre uneinnehmbare Festung kratzen wollen. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Ich bin der Fels. „Ich hab gesagt du sollst dich setzen Arschloch.“ „Boris, ich glaube der will uns Ärger machen.“ „Komm schon Max lass die beiden in Ruhe.“ „Verdammte Scheiße ich verliere langsam die Geduld.“ „Bleib cool Boris. Der Typ ist zu alt. Er wird sich einfach wieder brav auf seinen Hintern hocken und sein Wasser austrinken. Haben wir uns verstanden Bulle?" Boris bleibt nicht cool. Er zieht eine Colt 1911 aus seiner Jacke hervor. Mein Glas ist schneller. Es zerbricht in seinem Gesicht und reißt blutige Fetzen in die Haut. Der Zweite erkennt den Ernst der Lage. Seine Waffe steckt hinten im Gürtel. Er weiß das er mir zu nahe steht um sie einzusetzen. Ich muss ihn dazu bringen sie zu ziehen, doch er ist jünger, schneller und clever. Er hält mich auf Abstand indem er mir ins Gesicht schlägt. Knack! Meine Nase bricht. Warm strömt das Blut über meine Lippen in den Bart, ein Geschmack den ich sofort erkenne, wie ein guter Freund den man nach Jahren wieder trifft. Die Wucht des Schlages stößt mich ein paar Schritte zurück, doch nicht weit genug. Stephan greift hinter sich. Jetzt! Er braucht zu lange um sein Waffe zu ziehen. Bevor er sie auf mich richtet habe ich sie ihm abgenommen. Mein Finger fühlt den kalten Abzug. Blam! Aus Stephans Hinterkopf wächst eine Rose. Blut spritzt ans Fenster. "Ah. Herr im Himmel. Du hast ihn...Sind den nur noch Wahnsinnige unterwegs? Ich ruf die Cops!" Vielleicht hätte sie meine Hilfe nicht gebraucht. Tara scheint nicht gerade erleichtert, doch ich kann nicht dasitzen und zusehen. Um mich herum mussten schon zu viele geliebte Personen leiden. Oder wollte ich mir nur selbst beweisen das ich mehr bin, als ein dahinscheidender Trinker? Ich stecke Stephans Pistole, eine Glock 17, in meinen Mantel. Ich kann nicht hier bleiben. Ich muss verschwinden. Die Polizei wird mir unangenehme Fragen stellen und mich mit aufs Revier nehmen. Wenn ich ihnen erzähle was ich von der Bibliothek weiß, lande ich im Knast. Man weiß nie wer von ihnen korrupt ist und einem Säufer glaubt sowieso niemand. Ich hatte genug mit Alkoholikern zu tun, um zu wissen das man ihrem wirren Gerede nicht trauen kann. Ich trete hinaus in die Dunkelheit. „Hey warte Payne du kannst doch nicht einfach abhauen. Was soll ich denn den Cops erzählen?“ Die Türe schließt sich und die Schreie des Mannes, welcher verzweifelt das Glas aus den Fetzen seiner Wange zieht, verstummen. Regen peitscht mir ins Gesicht und kühlt meine pochende Nase. Ich muss zu Mario. Er kennt sich gut mit den Untergrundgeschäften aus. Vielleicht weiß er was in der Bibliothek vor sich geht. Mit gebeugtem Schritt schreite ich durch die nassen Straßen. Ich hoffe Tara hat wegen mir nicht zu große Schwierigkeiten. Sie ist ein guter Mensch und hat meine Probleme nicht verdient, dennoch erträgt sie sie. Ich könnte mir nicht verzeihen, wenn sie meinetwegen leidet, außerdem bin ich auf ihre Dienste angewiesen. Ohne sie kann ich diese Welt nicht ertragen. Sie erlöst mich von dem Spiegel der Wirklichkeit und zerschlägt ihn vor meinem Gesicht. Das Bild des gebrochenen Mannes zerfällt und stirbt für einen Moment ab. Sein Anblick beschämt mich. Meine Gedanken tragen mich weiter durch die verlassenen Straßen und die gebieterischen Häuserschluchten, in ihren breiten Schatten schützen sie mich vor den Blicken der Neugierigen. Der Wind und die Dunkelheit der Nacht tragen mich Block für Block weiter. Sie nehmen mich in ihre schwarze, einsame Welt auf und singen Lieder der Trostlosigkeit zwischen den müllinfizierten Gassen. Ich will gerade die Türe zu Marios Wohngebäude öffnen, da schreckt mich ein schmerzverzerrtes Wimmern aus meinen Gedanken. Mein Körper erstarrt. Einbildung! Der Wind spricht mit mir. Plötzlich wieder ein leises, kaum hörbares Schluchzen. Das Geräusch kommt aus der Gasse, welche das anliegende Haus mit dem vor mir bildet. Ich ziehe schützend meinen Kragen nach oben. Mein nun wacher Verstand zwingt mich dem Geräusch nachzugehen. Hört sich an wie ein Kind. Schreit es um Hilfe? Ich zögere. Eine Angst, die ich lange nicht mehr gespürt habe, steigt aus dem Grab in meinem Inneren empor, wie ein schwarzer Klos der von der Furcht genährt immer weiter anwächst. Dann trete ich ein und vor mir zieht sich die düstere Gasse ins ewige, dunkle Nichts. Ein Teppich aus Flaschen, Plastik und Unrat breitet sich vor mir aus. Gut versteckt präsentieren sich mir die tuschierten Makel der Stadt. Der Regen sammelt sich am Dach, fällt in dicken Tropfen hinunter und bildet Ringe in den ölbeschichteten Pfützen. Eine Mülltonne gibt ein rhythmisch metallisches Klingen von sich. Das Wimmern hallt an den Wänden entlang und erzeugt ein Echo, das vor mir flieht und zu einem verzweifelten Schluchzen korrumpiert. Ich gehe tiefer in die schwarze Leere. Regenrinnen durchziehen wie Adern die Backsteinwände. In ihnen vernimmt man das blecherne Rauschen des Wassers auf seinem Weg in die Tiefe. Und neben einer Mülltonne, welche maßlos vollgestopft ihre Innereien preis gibt, sehe ich etwas wovor sich mein Körper seit Jahren fürchtet. Eine alte, niedergerungene Erinnerung füllt meinen Kopf. Sie sticht auf mich ein. Egal wie viel du gibst, am Ende stirbt dennoch alles um dich herum. Ich will mich abwenden, weglaufen, doch das Schicksal verdammt mich zum Zusehen. Das dürre Mädchen welches neben der Mülltonne kauert weint. Es trägt einen weißen, dünnen Rock dessen Stoff mit Blut und Schlamm übersät ist. Barfuß hat es die Hände um die Beine geschlungen. Schrammen übersähen ihren Körper. Schuldig knie ich nieder und nehme sie in die Arme. Was ist mit ihr geschehen? Ein Gefühl der Hilflosigkeit macht mich zum machtlosen Zuschauer. Wie damals bin ich zu spät, nun bin ich alt, erschöpft und kann nichts mehr vollbringen um den Menschen zu helfen. Eine warme Träne läuft meine Wange entlang, gefolgt von Millionen weiteren die vom Himmel fallen und das Gesicht der Welt in ihre wahre Farbe hüllen. Jede Einzelne verkörpert eine andere Gräueltat. Die Menschen ignorieren sie, verstecken sie in ihren Tonnen, unter der Erde oder lassen sie ungeachtet am Boden zurück. Die Schuld liegt auch auf meinen Schultern. Ich bin es der tatenlos dasteht und dieser Stadt beim sterben zusieht. Meine Unfähigkeit macht sie zu dem was sie ist. "Es tut mir Leid." Mein Blick sinkt schuldbewusst zu Boden. Das Mädchen ist verschwunden, ihre geschwächten, eilig davonziehenden Schritte hallen in der Gasse nach. Ich knie mit zusammengesunkenen Schultern in einem Bach aus Tränen, unfähig ihr ein Leben in einer friedlichen Welt zu schenken. Du warst zu spät und konntest nicht mehr helfen. Es gibt zu viel Leid in dieser Stadt und zu wenige die es beenden. Die Stimme meiner toten Frau spricht leise in meinem Kopf. „Wir vermissen dich Max. Es ist nun schon so lange her und du kämpfst immer noch gegen einen Feind der längst gewonnen hat. Bitte hör auf damit. Du kannst und musst nicht jedem helfen. Es schmerzt uns deinem Leiden zuzusehen. Das ist nicht dein Kampf. Du hast genug getan, lass andere diese Arbeit machen.“ Sie hat Recht. Es ist nicht mein Kampf. Es ist ein Krieg den jeder für sich ausfechtet und auf seine Weise, doch viele kämpfen auf der falschen Seite, Männern die bewaffnet in eine Bar kommen um ihre Macht zu demonstrieren, Verbrecher die frei auf den Straßen schreiten und mit Drogen handeln, sie sind es die mich nicht wegsehen lassen. Ich ertrage all das nicht mehr und möchte einfach nur im Grab bei meiner Frau und Tochter ruhen, doch ich kann noch nicht gehen. Nicht so. Plötzlich bemerke ich etwas. Das Mädchen muss es fallen gelassen haben. Ein Stück Papier welches sich kaum merklich vom Rest des Mülls abhebt, dennoch springt es mir ins Auge, als wäre es der einzige Lichtschimmer in dieser dunklen Gasse. Bei dem Fetzen handelt es sich um einen Leihschein der Bibliothek. Ein langer Zahlencode steht auf der Vorderseite. Die Adresse auf der Rückseite weist es als Besitz jener Bibliothek aus in der sich der Abschaum versammelt. Wut steigt in mir auf. Handeln sie dort mit Kindern? Vielleicht nutzen sie die Leihscheine als eine Art der Verständigung. Ich werde herausfinden was dort vor sich geht. Ich werde nicht wieder tatenlos zusehen wie alles um mich herum zerfällt. Das Papier findet einen trockenen Platz in meiner Manteltasche und ich trete benommen auf die Straße hinaus. Mein Körper fühlt sich schwerfällig an, als wäre ich aus einem Albtraum erwacht der mich nicht mehr zurück in die Wirklichkeit lässt. Die Türe zum Wohngebäude ist in eine schlecht erhaltenen Archivolte eingefasst und gleicht einer Höllenpforte, die mir den Weg in meine tiefsten und schrecklichsten Albträume prophezeit. Mario wohnt im dritten Stock. Nummer 132. Das Gebäude ist eine provisorisch zusammengenähte Leiche, die man kurz vor ihrer Beerdigung noch einmal saniert, doch im Inneren ist der Verfall bereits abgeschlossen. Wasser tropft von der Decke. Die Wände sind aufgedunsen und Schimmel quillt unter den Tapeten hervor. Der Geruch von Moder und Baufälligkeit steigt mir in die Nase. Ein kaputtes Haus in einer kaputten Welt. Ich stehe vor einer Türe, wie eine Schlange die sich häutet blättert ihre blaue Farbe ab, beim öffnen schreit sie nach Öl. „Max Payne. Was für eine Ehre. Tritt ein! Ich glaube ich brauch dir nicht sagen das du wie immer ziemlich beschissen aussiehst.“ Die Wohnung sieht nicht besser aus wie der Rest des Gebäudes. Der Raum ist durchzogen mit rostigen Metallregalen. Alte Kartons und Fotoalben füllen die Fächer. „Bin in Ärger geraten.“ „Nichts neues. Du gerätst immer in Ärger. Aber deine Kopfverletzung sieht besser aus.“ „Ja sie verheilt langsam. Tut mir leid das ich dich schon wieder frage aber ich brauche Informationen von dir.“ „Du hilfst mir, ich helfe dir. Was brauchst du denn?“ „Weißt du was in der alten Bibliothek vor sich geht?“ „Nur ein paar Gerüchte. Burt und Brega arbeiten zusammen. Wollen wohl irgend einen neuen Markt erschließen und Handel treiben.“ „Handeln sie mit kleinen Mädchen?“ „Genaues weiß ich nicht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie so etwas tun würden. Wieso fragst du? Hast du was mitbekommen?“ „Ja und ich muss wissen was an der Sache dran ist.“ „Bitte Payne. Halt dich da raus. Du steigerst dich nur wieder in so einen Schwachsinn hinein. Ich meine in deinem Alter setzt man sich eigentlich zur Ruhe. Du bist kein Cop mehr. Hör auf die Arbeit anderer zu erledigen.“ „Kann ich nicht.“ „Ja ich weiß. Pass einfach auf dich auf. Der Scheiß bringt dich eines Tages ins Grab Mann.“ „Ich wollte dir außerdem noch sagen, dass ich getan habe worum du mich gebeten hast. Ich haben den Typen erledigt.“ „Wovon redest du? Anton Brega? Was meinst du mit erledigt?“ „Die Adresse die du mir gegeben hast, in diesem Apartment. Ich hab den Mann dort getötet.“ Mario reißt erschrocken seine Augen auf. Ich gebe ihm nicht die Antwort die er erhofft hat. Hab ich etwas Falsches gesagt? „Das ist jetzt ein Scherz oder?“ „Ähm nein.“ Wieder nicht die Antwort die er hören will. Irgend etwas stimmt an der Sache nicht. „Verdammt! Bist du wahnsinnig? Ich hab dir gesagt du sollst ihm den Umschlag mit den Bildern geben. Bitte sag mir das das nicht wahr ist.“ „Umschlag? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Du hast doch gesagt...“ „Fuck! Ich bin im Arsch. Die legen mich um. Weißt du was du angerichtet hast? Brega macht überall Geschäfte. Seine Partner werden den zur Verantwortung ziehen der ihn getötet hat. Ich bin im Arsch. “ Die Vergangenheit ist ein weit entfernter Traum. Was ist in dem Apartment vorgefallen? Versuch dich zu erinnern Max...Nichts. Eine schwarze Wand. Meine Erinnerung ist wie ein toter Familienhund, ausgetauscht mit einem neuen, längst vergessen. Verflucht Max. Du hast Mist gebaut. Dein verwirrter Verstand hat dich reingelegt und du Idiot bist darauf reingefallen. „Ich verstehe nicht? Hast du nicht gesagt ich soll ihn umbringen?“ „Nein verdammt noch mal. Wieso sollte ich das wollen? Ich hab dir doch den Umschlag gegeben. Wo ist der überhaupt?“ „Ich weiß nicht, muss ihn verloren haben. Tut mir Leid.“ „Scheiße! Verdammte Kacke! Was stimmt mit dir nicht Payne?“ „Ich krieg das wieder hin Mario.“ Du belügst dich selbst. Sieh dich an Max. Du bist alt, nutzlos. Du kriegst nichts mehr hin. „Vergiss es Payne. Ich brauche deine Hilfe nicht. Du reitest mich nur noch tiefer in die Scheiße.“ Mario will gerade seine wertvollste Habe zusammenpacken, da durchbricht ein Schuss die Stille. Mein Instinkt holt automatisch die Glock unter dem Mantel hervor. Metallisch hallt die Explosion der Patrone zwischen den Häusern. Der Schuss kommt vom Hinterhof. Mein Gehirn und Körper kennen den Ablauf. Ich suche an der Wand Deckung. Schussbereit spähe ich vorsichtig durch das Fenster. Hinter dem trüben, gesprungenem Glas erkenne ich mehrere Gestalten. Suchend blicken sie von Fenster zu Fenster. "Ich weiß das du hier bist Max Payne. Zeig dich Arschloch!" "Fuck! Das sind bestimmt Antons Leute. Ich hab mit der Sache nichts zu tun. Das ist alles Paynes Schuld." Mario versucht sich mit Worten aus der Lage zu retten. Sein Schrei verrät uns. Er tut gut daran die Schuld auf mich zu legen. Ich kann es ihm nicht verübeln, doch es ist zu spät. Er weiß nicht das sein Ende bereits geschrieben ist, genau wie das Meine. Es ist ein schwarzes Buch das mit diesen Zeilen gefüllt wird, schwarze Seiten, schwarze Buchstaben. Das hier ist das letzte Kapitel und es wird nicht in friedlichen Worten enden. Wieder meldet sich die Stimme vom Hinterhof. In ihr liegt die verachtende Wut des Verlustes. „Egal wer da spricht, wenn du mit Max unter einer Decke steckst, bist du genau wie er ein toter Mann. Er wird für den Mord an meinem Bruder bezahlen. Du Bastard hättest Stephan nicht erschießen sollen!“ „Was? Payne wovon spricht er? Wer ist Stephan?“ Die Bar. Meine Erinnerung hat es zu den Akten der unbedeutende Ereignisse sortiert. Ich habe es schon fast vergessen. „Dein Bruder und sein Freund waren außer Kontrolle. Jemand musste sie aufhalten, bevor sie Unschuldige verletzen.“ Ich weiß das eine Ausrede nicht helfen wird, doch es verschafft mir Zeit, Zeit um mir etwas einfallen zu lassen. Mein Kopf ist alt, langsam. Er gleicht einem rostigen Auto, erst nach ein paar Zündungen springt er an. „Nur Wahnsinnige verlieren die Kontrolle und töten Unschuldige, so wie du Payne. Stephan hätte niemals jemanden grundlos ermordet, jetzt ist er tot.“ „Jeder Mensch ist irgendwo in seinem Inneren wahnsinnig.“ „Du sagst jeder Mensch ist wahnsinnig, dann sieh her Payne! Sieh was passiert wenn Wahnsinnige die Kontrolle verlieren.“ Was hat er vor? Und wie ein Blitz trifft mich das Ausmaß meines Handelns. Es durchfährt meinen Körper und mein Herz beginnt angespannt zu pulsieren, immer stärker, bis es wieder zu zerreißen droht. Tara! Der Typ hält ihr eine Waffe an den Kopf. Wieso hast du nicht die Polizei gerufen? Verflucht Max! Denk nach! Vermutlich stecken die Cops mit dem Typen unter einer Decke. Der Alkohol hat dir deinen Verstand geraubt, er ist zu nichts mehr nutze. Du bist zu nichts mehr nutze. „Sie ist unschuldig und hat nichts damit zu tun. Bitte lass sie gehen.“ Lenke ihn ab und lass dir etwas einfallen. Denk nach Max. Du musst ihr helfen. „Unschuldig? Sie ist ein Opfer der Umstände und du Payne bist genau genommen ihr Mörder.“ Der nächste Schuss schneidet mein Fleisch in Fetzen. Die tiefen Wunden in meinem Inneren reißen wieder auf. Tara sinkt in sich zusammen, unter ihr bildet sich eine Blutlache. Ein roter Fluss läuft ihren Hals entlang. Wo ihr rechtes Auge war ist nun ein offenes, bluttriefendes Loch. „Neeeein!“ Mein Schrei hat keine Wirkung. Die Seiten sind geschrieben. Eine unendlich tiefe Leere füllt mein Inneres aus. Wieso tust du das was du tust, wenn es nichts ändert. Deine Taten haben keine Wirkung. Du wolltest helfen, vielleicht wäre dein Tod hilfreicher. Kleine bittere Pillen füllen meinen Mund. Auf dem Küchentisch steht eine Whiskeyflasche. Sie spült das Schmerzmittel hinunter. Es hilft gegen die Enttäuschung. „Was machen wir jetzt Payne? Verdammt noch mal. Wir müssen die Polizei rufen.“ Denk nach Max. Denk nach! Die Wut blockiert mich, steigt in mir auf, sie explodiert und entgleitet mir. Ich schlage gegen die Backsteinwand, wieder und wieder. Meine Knöchel platzen auf, schwellen an. Ich schlage weiter. Der Schmerz hilft mir, hat er schon immer. Obwohl ich ihn so sehr hasse lebe ich mit ihm. Er ist mein ständiger Begleiter. Ich fühle wie sich die Haut um meine Finger spannt und konzentriere mich auf das stechende Pochen. Lass es zu und verbünde dich mit deinem Begleiter. Das Schmerzmittel wirkt und Ruhe umgibt mich. Meine Sinne kommen wieder zu mir. Sie nehmen alles war. Dort im Treppenhaus, Schritte, drei Männer. Sie werden bald an der Türe sein. „Mario. Hast du ein Waffe?“ „Ja hier.“ Er kramt in einem seiner fauligen Kartons herum und wirft mir einen Revolver zu, sechs Schuss, nicht viel aber ein Vorteil mehr. Mit den drei Leuten werde ich fertig, mit denen im Hinterhof nicht. Eine Flucht über die Straße ist unmöglich, unsere einzige Möglichkeit ist das Dach. Am Ende des Ganges gibt es eine Feuerleiter. Wir springen auf das nächste Gebäude und dann wieder nach unten. Wenn wir Glück haben lässt sich das Ende um ein paar Seiten hinauszögern und sie verlieren unsere Spur. Die Schritte sind nun an der Türe. Ich zerre Mario hinter eines der Regale und suche selbst Schutz. Ich schließe die Augen und atme ein. Mein Herz beruhigt sich. Es wird eines mit der Zeit, verbindet sich zu einem Organismus und erzeugt einen Kreislauf, angetrieben vom Blut welches durch meine Adern fließt. In meiner rechten Hand rastet der Hahn des Revolvers mit einem metallischen Klacken ein. Ich spüre den Abzug an meinem Finger. In der Linken halte ich die Glock. Ich bin vorbereitet. Holz splittert! Ein großes Loch bricht durch die Türe. Einer der Männer ist mit einer Schrotflinte bewaffnet. Er stürmt ins Zimmer und das Monster in seinen Händen spuckt Blei. Das Papier der Kartons und Fotos zerstäubt, wirbelt Staub auf und hinterlässt feine Nebelschwaden. Drei Angreifer stehen nun im Raum. Sie legen die Einrichtung in Schutt und Asche. Ihre Munition leert sich wie die Flasche eines Alkoholkranken. Sie sind zu eifrig, im Chaos entdecken sie mich nicht. Der Mann mit der Schrotflinte lädt nach. Jetzt! Ich habe hinter dem Schrank neben der Eingangstür Deckung gesucht. Er trennt den hinteren Teil des Raumes ab und schützt mich vor Blicken, nicht vor Kugeln. Ohne zu wissen wohin ich ziele, feuere ich durch die Holzverkleidung. Ein schmerzverzerrter Aufschrei. Mein Zeichen. Ich sprinte los während hinter mir der Schrank durch die feindlichen Kugeln in feine Holzschnitzel zerfällt. Mein Ziel ist das Badezimmer. Während ich laufe verschwende ich die letzten Schüsse des Revolvers. Der Deckungswechsel hat mir einen Überblick verschafft, er stimmt mich zufrieden. Der Mann mit der Schrotflinte liegt schreiend am Boden und hält sich den Bauch. Maximal eine Stunde. Die beiden anderen haben sich hinter den Regalen verschanzt. Der Revolver ist leer, nutzlos werfe ich ihn beiseite. Sieben Schüsse in der Glock. „Behalte Payne im Auge! Ich kümmere mich um den anderen.“ Sie teilen sich auf. Ein Fehler. Ich höre polternde Schritte und sehe wie einer der beiden hinter einem Regal verschwindet, hoffentlich hat Mario ein gutes Versteck gefunden. Der andere hat sich hinter der Couch in Deckung gebracht . Der Winkel in dem er auf mich zielt lässt sich als Vorteil nutzen. Vorsichtig stoße ich die Badezimmertüre weiter auf. Der Spiegel, welcher außen angebracht ist, gibt mein Bild preis. Beim ersten Einschuss zerfällt das Glas in tausend Teile, doch der Mann ist nervös. Erschrocken feuert er sein gesamtes Magazin auf meine Projektion in der Türverkleidung. Ich halte mir die Hand vor Augen um mich vor den Glas- und Holzsplittern zu schützen. Er braucht zu lange um nachzuladen. Sein Leben ist verwirkt. Ich gehe auf ihn zu und der Tod in meinem Arm reißt ein Loch in seinen Kopf. Sechs Schuss. Ich muss mich beeilen bevor der Letzte Mario findet. „Stirb Payne!“ Der Angreifer hat mich zuerst entdeckt. Neben mir schlägt eine Kugel in die Wand ein. Gesteinssplitter prasseln auf mein Gesicht. Er tänzelt in einem Halbkreis um mich herum. Nur eines der Metallregale trennt uns. Panisch analysiert er jede meiner Bewegungen und feuert seine Salven durch das Regal hindurch auf mich ab. Ich muss in Bewegung bleiben, nur so kann ich die Chance verringern getroffen zu werden. Während ich laufe singt die Glock in meinen Händen. Fünf Schuss. Kreischend schrammen die Kugeln an dem Metallregal entlang und sprühen Funken. Vier Schuss. Die Kartonwände zerreißen und erbrechen ihren Inhalt. Drei Schuss. Löcher explodieren aus den Bachsteinwänden heraus und füllen das Zimmer mit einem rotbraunem Staub. Die Wohnung verwandelt sich in ein Bauschuttdepot. Zwei Schuss. Meine schnellen Bewegungen erschweren das Treffen. Der Angreifer lässt keine Pause zu. Keine Zeit zum Zielen. Ein Schuss. Ich muss es riskieren und bleibe stehen. Der Überraschungsmoment ist auf meiner Seite. Er hat meine Laufbahn verfolgt und schießt daneben. Etwas beißt sich in meine Schulter. Egal, ich muss diesen Moment nutzen. Blam! Der Mann sinkt auf die Knie. Verzweifelt drückt er mit beiden Händen die Hälften seines Halses zusammen. Er will etwas sagen, keucht aber nur Blut hervor, dann sackt er in sich zusammen. Ich nehme den Finger vom Abzug, beruhige das Adrenalin gefüllte Blut in mir und lasse erschöpft die Pistole fallen. Der Mann mit der Schrotflinte windet sich noch immer am Boden, vielleicht können ihm seine Kollegen helfen. Ich höre schon ihre Schritte im Treppenhaus. Wir müssen weg. „Oh Mann Payne. Was hast du mit meiner Bude gemacht. Ich verfluche den Tag an dem ich dich kennengelernt habe.“ „Kannst du später. Wir müssen gehen.“ „Willst du dich nicht erst verarzten? Dein Gesicht...und deine Schulter bluten echt übel Mann.“ „Keine Zeit.“ Erst jetzt fühle ich den Schmerz. Brennend setzt sich der Staub an meinen offenen Wunden ab. Der Mantel ist an meiner Schulter aufgerissen. Blut sickert hervor. Ich hatte Glück. Streifschuss. Ein Alkohol getränktes Tuch stoppt die Blutung fürs erste und das Schmerzmittel macht den Moment erträglicher. Ich darf keine Zeit verlieren. Prüfend blicke ich aus der durchlöcherten Wohnungstür. Alles ruhig. Der modrige, rote Teppichboden dämpft unsere Schritte und leitet uns den Weg. Im Flur flackern die Lampen unheilvoll und drohen vor der sich anbahnenden Gefahr. Ich beschleunige den Gang. Eilig ziehen die nummerierten Türen an uns vorbei, wie ein Zug der unachtsam über die Schienen rast. Meine Augen sind starr auf das schwarze, mit Regentropfen übersäte Fenster gerichtet. Unser Ausweg. „Was sollen wir jetzt machen Payne. Die werden uns überall suchen. Fuck wieso folge ich dir überhaupt?“ Ich drücke die untere Hälfte des Fensters nach oben. Stur gibt die Führung nach und in der Dunkelheit zeichnet sich die Feuerleiter ab. „Hallo! Antworte mir gefälligst!“ „Du steigst zuerst nach oben.“ „Du willst da raus? Die warten doch schon auf uns. Du willst nur das ich als erster abgeknallt werde.“ „Fünf bewaffnete Männer kommen gleich die Treppe nach oben. Ich hab keine Kanone. Du kannst gerne hier bleiben, vielleicht verschonen sie dich.“ Mein alter Körper spürt die Erschöpfung. Ich bin zu müde um zu diskutieren und steige die Leiter nach oben. Mario wird mir folgen. „Fuck. Warte Payne.“ Er hat keine Wahl. Unser Weg führt immer weiter hinauf. Ab der Hälfte springen wir auf die gegenüberliegende Feuerleiter des Nachbargebäudes. Die flachen Dächer der alten, heruntergekommenen Backsteingebäude reihen sich aneinander. Sie erheben sich über den Straßen und bilden eine eigene Ebene, eine Welt für die Flucht- und Schutzsuchenden. Rastlos rennen wir weiter, springen über Abgründe und blicken nie mehr zurück. Wir sind in Sicherheit, haben die Verfolger abgehängt, doch ich werde dieses niederdrückende Gefühl nicht los. Du kennst es Max. Es ist das Gefühl der Schuld. Die Nacht ist warm, einzig der Regen kühlt sie ab. Ich hoffe er wäscht den Schmerz von mir, doch der schwere, blutverschmierte Mantel über meinen Schultern schirmt ihn ab. Die tiefen, inneren Wunden bleiben trocken. Der Verlust, das Versagen und die Schuld sind für immer mit mir verbunden und so bilden sich nur rot schimmernde Pfützen unter meinen Füßen. Ich hatte gehofft mit der Qual in meinem Inneren würde es sich verhalten wie bei einem gebrochenem Fuß, es verheilt mit der Zeit, doch die Narben graben sich immer tiefer und der Schmerz bleibt. Ich habe den Mut mich dem Tod und den physischen Wunden zu stellen, doch es ist dieser innere Schmerz den ich nicht ertrage und der die Angst in mir ausbreitet. So tue ich das was ich immer tue. Ich laufe von ihm davon, springe von Dach zu Dach und lasse alles hinter mir in der Hoffnung nicht verfolgt zu werden, doch die Schatten meiner Vergangenheit jagen mich und egal wohin ich gehe, ich laufe tiefer und tiefer in das mich verschlingende Grab. Ich kann es schon spüren, das Gefühl der Leere wenn sich die Schatten in mich fressen. Ich bleibe kraftlos stehen. Wir sind weit genug gerannt und haben sie abgehängt, nehmen die nächste Leiter nach unten und gehen über die Straße weiter. Es ist riskant, doch wir kommen schneller voran. Mario trottet hinter mir her. Seine Kapuzenjacke saugt das Wasser auf und hängt schwer an ihm hinunter. In seinem Gesicht entsteht ein Ausdruck der Wut und Frustration. Ich habe meine Familie, Tara und ihn enttäuscht. Er hat meinetwegen seine Wohnung verloren und muss nun um sein Leben bangen. Sein Hass auf mich bedarf keiner Worte. „Was faselst du da eigentlich Payne. Hör endlich auf mit dir selbst zu reden und teile deine Pläne mit mir.“ „Es tut mir leid Mario. Ich wollte das alles nicht. Schon gar nicht das du in meinen Wahnsinn mit hineingezogen wirst.“ „Lass es sein Payne. Schaff mich einfach aus dieser Scheiße hier raus.“ „Ja versprochen.“ Die Häuser führen uns weiter. Sie tragen uns auf ihren Gleisen durch die Gassen und Schlupfwinkel und hüllen uns in den Schleier der Anonymität. Es ist ein armer Teil der Stadt in den die Ungewollten gezwängt werden, um dem normalem Bürger eine reine Welt vorzugaukeln. Die Gebäude sind uralt und wunderschön. Ihre kalten Wände tragen Hieroglyphen, deren Tränen einer vergangenen Zeit nachtrauern. Säulen vernachlässigen ihren Zweck und die Balkone müssen mit Hilfe von Bauträgern gestützt werden. Die ungepflegten Ornamente bröckeln ab und das Gesamtbild dieser zerfallenen Häuser gibt allem eine morbide Schönheit des Zerfalls. Die Bauweise ist sehr eng. Labyrinthartig führen schmale Gassen zwischen den Häusern hindurch. Ideal um ungesehen von einem Ort zum nächsten zu gelangen. Verglaste Fassaden kleiner Läden füllen die Hauswände, klein wachsende Bäume eifern den hohen Wohngebäuden nach und die parkenden Autos stehen schlafend am Straßenrand. Es ist ruhig. Mein Verstand wartet auf irgendein menschliches Geräusch, doch es bleibt still. Die ganze Stadt scheint zu schlafen. Nur vereinzelt erkennen wir in der Ferne rauchige Bars, vor denen die Menschen sich wie Motten angezogen versammeln, Zigaretten qualmen und im warmen Inneren ihren Beschäftigungen nachgehen. Ich will nicht gesehen werden und so umgehen wir sie weitläufig. Wir biegen rechts in eine kleine Gasse ein. Sie führt zu einem Vorhof, von dort aus dann noch ein kleines Stück weiter und wir sind bei der Bahn, dann kann ich Mario absetzen. Die dunkle Gasse hüllt uns ein. Wir sind kurz davor den Hof zu betreten, da vernehme ich die Geräusche welche mein angespannter Verstand schon hinter jeder Ecke vermutet. Ruckartig ziehe ich Mario hinter eine der Mülltonnen. Es sind die Stimmen mehrerer Männer. Ich krieche gebückt weiter nach vorne. Ein rostiger Maschendrahtzaun versperrt meinen Weg, vor ihm türmen sich meterhoch aufgeweichte Zeitungen. Seit Jahren zersetzen sie sich hier und machen den Durchgang zu einer einseitigen Sackgasse. Im Schutz der Schatten zwischen dem Müll können die Männer nicht mich, aber ich sie erkennen. Das blasse, weiße Licht des Mondes lässt den Vorhof in einer angespannten Ruhe erstrahlen. Ein kleiner Basketballplatz wird von dem Zaun vor meiner Nase abgegrenzt. Eigenwillig hängt einer der Körbe an einer Schraube nach unten. Vom Wind angetrieben gibt er einen ächzenden Ton von sich. Sieben Männer stehen eng in einem Kreis zusammen und warten auf etwas. Ihr Akzent ähnelt den Typen aus der Bar. Vielleicht gehören sie auch zu Brega. „Hey Burt, wo bleibt er endlich? Können wir nicht irgendwo im Trockenen warten?“ „Wie hast du mich gerade genannt?“ „Boss! Ich habe Boss gesagt.“ „Nein hast du nicht! Du hast mich Burt genannt.“ „Ich bin mir ziemlich sicher das ich Boss gesagt habe.“ „Verkauf mich nicht für blöd. Ich bin nicht dein Freund. Verstanden! Du nennst mich gefälligst Boss, Chef oder Herr, von mir aus auch Meister, aber wenn ich noch einmal etwas anderes von dir höre, verpasse ich dir ne Kugel.“ „Ja Boss, hab verstanden.“ „Und was soll das herumgemecker? Sind wir jetzt im verdammten Kindergarten? Jeder normale Mensch zieht sich ne vernünftige Jacke an, wenn es regnet oder nimmt sich, wie ich, einen Regenschirm.“ „Hab verstanden, Boss.“ Ich erkenne Burt. Er trägt einen dunkelblauen, bescheidenen Kaschmirmantel. Man sieht ihm sein Vermögen kaum an. Es ist das erste mal das ich ihn vor mir sehe. Sein Name war mir schon länger bekannt, wie ein Geheimnis wurde er in den dunklen Ecken von Ohr zu Ohr gereicht, doch die kleine Statur wird seinen Legenden nicht gerecht. Er war die zweite Hand von Anton Brega, jetzt will er auf eigene Faust zu Reichtum kommen. Ich muss wissen was er vor hat. Was versteckt er in der Bibliothek? Ich hoffe meine Vermutung bestätigt sich nicht. Eine neugierig aufgeschreckte Bewegung geht unter den Männer um. Haben sie uns bemerkt? Nein. Schritte aus dem Eingang zum Vorhof kündigen jemanden an. Im Torbogen erscheint eine Gestalt und der Unglaube friert meinen Atem ein, als hätte man mir die Hälfte meiner Sinne geraubt. Das Gehirn welches sich in meinem Kopf befinden sollte kann die Puzzleteile nicht zusammensetzen. Ein Teil scheint zu fehlen, verbrannt. Liegt es an meinen alten Augen? Es liegt vielmehr an meinem kaputten Kopf. Anton Brega, er kann es unmöglich sein. Ich habe ihn getötet. „Hey Anton, da bist du ja. Du siehst nicht gut aus. Was ist passiert ?“ „Burt bitte verschone mich damit.“ „Wir warten hier schon seit Stunden im Regen. Du bist uns eine Antwort schuldig.“ „Schon gut. Das war dieser durchgeknallte Cop. Er kam gestern Abend in mein Apartment und hat wie ein Irrer um sich geballert.“ „Alle haben behauptet du seist tot.“ „Scheiße. Ich sollte auch tot sein. Der Typ hat 10 von meinen Männern kalt gemacht. Ich war gerade unter der Dusche, hab laut Musik gehört, als ich raus komme ist meine Bude komplett verwüstet, überall Blut. Ich wusste nicht was ich machen soll. Da höre ich auf einmal Schritte hinter mir und dieser Bastard hält mir ne Kanone gegen den Kopf. Ich hab schon den Himmel gesehen. Und dann Klick! Der Typ hatte keine Munition mehr.“ „Hast du ihn getötet?“ „Nein verdammt noch mal, ich hab doch gesagt ich war unter der Dusche oder duscht du mit deiner Kanone?“ „Natürlich nicht und was ist dann mit dem Cop passiert?“ „Also der Bastard will mir den Schädel wegpusten, hat aber keine Munition mehr. Weißt du was er dann getan hat?“ „Keine Ahnung.“ „Der Irre geht an mir vorbei und verlässt mein Apartment. Einfach so als wäre nichts passiert.“ „Und jetzt suchst du diesen Cop.“ „Was soll ich den machen? Ich kann den Irren doch nicht so davon kommen lassen, außerdem muss ich wissen wer ihn geschickt hat. “ „Wie ist dein Plan?“ „Ihr sucht die Dächer ab. Er sollte hier in der Nähe sein. Der hat erst vor kurzem in der Carlson Street schon wieder ne Schießerei angefangen.“ Es ergibt keinen Sinn. Das Bild fehlt aber die Bestätigung war in meinem Kopf. Habe ich mir alles nur eingebildet? Es spielt keine Rolle. Wir müssen weg bevor sie ausschwärmen. Du kannst dich später über deinen verfaulenden Verstand beschweren. Plötzlich breitet sich ein elektrischer Schlag an meinem Hinterkopf aus. Ein kurzer, übermächtig starker Schmerz durchzuckt mich. Meine Sicht wird schwach und flimmert. Langsam verliere ich das Bewusstsein. „Tut mir Leid Payne. Aber dein Wahnsinn bringt mich heute nicht ins Grab.“ Ich höre ein Eisenrohr welches dumpf auf dem Boden aufschlägt, dann das Rasseln vom Zaun als Mario hinüberklettert. Mein Gehör verstummt, nur noch schwach dringen die Stimmen zu mir. „Stehen bleiben.“ „Nicht schießen.“ „Wer ist der Typ? Knall ihn ab Burt.“ „Warte mal Anton das ist doch Mario. Was machst du hier?“ „Ja. Bitte nicht schießen. Was für ein Zufall das ich euch hier finde. Ich weiß ihr sucht Max Payne. Der Irre war bei mir und hat ein paar von euren Leuten gekillt. Ich musste einfach abhauen, sonst wäre ich jetzt auch tot. Ich hab damit nichts zu tun. Anton ich schwörs dir. Er sollte dir nur die Fotos bringen.“ „Weißt du wo er ist.“ „Äh... Er hat gesagt er will aus der Stadt raus, in den Norden. Das war so in etwa vor zwei Stunden.“ „Toll, dann kann ich ja meine Fotos vergessen.“ Blam!!! „Herrgott Anton. Der Junge hätte uns noch mehr sagen können.“ „Hat er aber nicht. Ich bin stinksauer und Irgendjemand musste jetzt dafür bezahlen. Ok zwei Männer folgen mir. Wir checken alle Bahnhöfe im Norden. Burt, du siehst dich mit den anderen in der Wohnung des Fotografen um. Vielleicht finden wir..........“ Mein Gehör versagt genau wie meine Augen. Ich falle in eine ewige Dunkelheit umgeben vom Nichts. Bodenlos stürze ich hinab, immer tiefe, endlos. Es ist Max Paynes Seele, durch die mein regungsloser Körper treibt. Er spricht mit mir. "Lass dich treiben Max. Kämpfe nicht dagegen an. Bald bist du bei deiner Frau und Tochter. Sie vermissen dich. Du hast schon viel zu lange versucht dagegen anzukämpfen. Lass es zu." "Nein! Das hättest du gerne Max Payne, aber nicht so, nicht jetzt. Du wirst umgeben von den Leichen deiner Feinde sterben. Die Liste ist lang und du stehst ganz oben. Du trägst die Schuld für all den Hass. Die Menschen würden ihn vergessen Max! Du bist es, der sie an all die Gewalt in den Straßen erinnert und sie krank in ihre eigenen Anstalten treibt, wo sie künstliche Mittel für ihre künstlichen Gefühle brauchen um den Hass zu unterdrücken. Deinetwegen schließt sich der Kreis, denn nur mit Gewalt kann der Mensch seine Sucht nach schmerzlindernden Gefühlen stillen. Jetzt kannst du nur noch das zu Ende bringen was du angefangen hast und hoffen das die Leute dich und deine nutzlosen Taten vergessen. Sieh dich doch um! Nenn mir einen dem du geholfen hast!" Ich wache auf. Das wirre Gerede eines alten, gebrochenen Mannes hallt in meinem Kopf nach. Es dauert eine Weile bis alles wieder klarer wird. Enttäuscht stelle ich fest das ich noch lebe. Einzig mein Kopf fühlt sich an, als wäre er in tausend Teile zersprungen. Hat mich niemand bemerkt? Still und zurückgelassen liege ich immer noch in der Gasse. Die Wunde an meinem Hinterkopf hat die Regenpfütze unter mir in eine rötliche Farbe gehüllt. Der Regen wird schwächer, er wäscht das Blut aus meinen Haaren und ich fühle einen Bach der meinen Rücken hinab fließt. Langsam tauchen auch meine Augen wieder aus der Dunkelheit auf. Ein nervöser Blick um mich herum und ich erkenne das niemand anwesend ist. Einsam strahlt der Hof vor mir im schwachen, weißen Licht einer Lampe. Wie eine Bühne sticht er von Schwärze umgeben heraus. Man wartet gespannt bis der Künstler sie betritt, doch er liegt regungslos am Boden und wird nie mehr aufstehen. Ich klettere über den Zaun, gehe zu Mario und blicke auf seinen durchnässten Körper hinab. Sein Gesicht ist dem Boden zugewandt. Der Schädel ist offen. Haare umzingeln die Austrittswunde wie ein Feuerkreis und kleben blutdurchtränkt aneinander. "Es tut mir Leid." Mehr Worte fallen mir nicht ein. Ich weiß nicht was ich sagen soll. Wie oft ich mich auch entschuldige, am Ende ändert es nichts an dem was ich getan habe. Es hätte nicht passieren müssen. Alles meine Schuld. Alles meine Schuld. Wieder ergreift die Leere Besitz von mir. Heute Abend sind deinetwegen zwei Freunde gestorben, Menschen die nichts böses wollten. Der Mann vor Marios Wohnung hatte recht. Du Payne bist genau genommen ihr Mörder. Ich habe den Abzug gedrückt, aber ich verspreche das ich beim nächsten mal keinen von meinen Feinden zurücklassen werde. Nur so kann ich verhindern das den Unschuldigen weiteres Leid zugefügt wird. Schmerzmittel kriecht trocken in meinen Magen hinab. Du weißt was du tun musst. Die Bibliothek. Der Abschaum hat sich dort versammelt. Ich sehe die ängstlichen, verstörten Gesichter der Mädchen. Eingesperrt in einem Container müssen sie darauf warten verkauft zu werden. Du musst ihnen helfen. Töte jeden der dir dabei im Weg steht. Bringe das zu Ende was du angefangen hast und mit etwas Glück findest du dabei selbst den Tod. Widerstrebend muss ich die Leiche meines Freundes in den verdreckten Straßen dieser kaputten Stadt zurücklassen und mache mich humpelnd auf den Weg, begleitet vom schwächer werdenden Regen. Die Nase schmerzt, sie ist angeschwollen und scheint bald zu platzen und der Streifschuss an meinem Arm lässt meine Finger taub werden. Der Schmerz hilft mir. Er pumpt Adrenalin durch meinen Körper und schärft die Sinne. Ich balle die Fäuste. Eine Wut füllt mich aus. Jeder meiner Feinde soll bezahlen, besonders du Max Payne. Ich suche Schutz im dunklen Türbogen eines Wohngebäudes gegenüber der Bibliothek. Die Gegend hier ist nur noch ein Schatten von dem was sie einst war. Die alten Gebäude werden nicht mehr gepflegt. Sie müssen Firmen und Fabriken weichen und man hofft darauf das sie von alleine auseinanderfallen um sich die Abrisskosten zu sparen. Der verblassende Charme einer vergessenen Zeit wird nur noch durch die einsamen, baufälligen Häuser getragen welche umstellt von den Baustellen eingeschüchtert zu Staub zerfallen. Diese Gegend liegt im Umbruch. In ein paar Jahren wird die Schönheit des letzten Jahrhunderts vom Kapitalismus der Moderne verschlugen sein. Seit zwei Stunden stehe ich mit hochgezogenem Kragen in der kalten Dunkelheit und beobachte prüfend die alte Bibliothek. Die meisten Laternen in der Straße werden ihrem Sinn nicht gerecht. Die Fassade wird nur kläglich vom fahlen Licht einer einzigen Lampe erhellt. „Stadtbibliothek erbaut 1902.“ Der Schriftzug über dem Eingang ist kaum noch zu entziffern, eingerahmt von geometrischen Mustern, die sich bis zum Dach hinauf ziehen und dort in einem eingefassten, aus Stein gemeißelten Engel müden. Das gelbe Licht gibt seinen Gesichtszügen eine traurige Verlassenheit. Er weiß es. Dieses Gebäude stirbt und alles was es trägt. Wie ein Toter strahlt auch dieses Bauwerk eine leblose Ruhe aus. Es macht nicht den Anschein als wäre es mit Verbrechern gefüllt, doch ein Van parkt vor dem Eingang und einmal kommt ein stämmiger Mann heraus, sieht sich kurz um und zündet eine Zigarette an. Nichts überstürzen Max Payne. Du bist unbewaffnet. Ich warte bis der Mann wieder verschwindet und suche einen Hintereingang. An der zur Straße abgewandten Seite finde ich ein offenes Fenster im dritten Stock. Über die Regenrinne klettere ich nach oben und steige ein. Ich befinde mich im südlichen Teil des Gebäudes. Ein Lagerraum gefüllt mit Werken vergessener Autoren. Seit Jahren ruhen diese Bücher unangetastet an ihrer damals zugewiesenen Stelle. Eine dicke Staubschicht wuchert auf dem unberührten Nährboden und alles scheint miteinander verbunden. Die Bücher, Regale und der Boden sind zu einem Organismus verwachsen und werden von den Spinnweben, gleich den tragenden Stahlseilen einer Brücke, an Ort und Stelle gehalten. Der Raum ist dunkel. Nur der Mond projiziert weiß leuchtende Quadrate durch die Fenster. Hinter der Türe zum Flur höre ich gedämpfte Stimmen. „Allways look on the bright side of life. Dü Dü. Dü Dü. Dü Dü. Dü Dü.“ Der fröhlich schräge Gesang kommt rechts vor der Türe. Keine Musik. Er muss Kopfhörer tragen und wird mich nicht hören. Da sind noch zwei weitere Stimmen etwas weiter entfernt. „...nicht wahr Peter. So etwas würde ich nie machen. Ich meine viele meiner Freunde haben es schon einmal ausprobiert, aber ich habe meine Prinzipien und dazu stehe ich.“ „Jetzt sei doch nicht so. Das kam ja nicht von mir. Hab ich nur letztens mal irgendwo aufgeschnappt.“ „Von wem hast du das?“ „Ich will hier niemanden anprangern. Hey die geilen sich doch nur auf weil sie selbst mal...“ Drei Männer, einer taub, das sollte kein Problem sein. Ich nehme ein schweres Buch und werfe es gegen ein Regal. Das plötzliche Geräusch erfüllt seinen Zweck. „Scheiße hast du das gehört?“ „Ja. Geh vor wir müssen nachsehen.“ „Und wenns ne Ratte ist?“ „Es ist mit Sicherheit ne Ratte.“ „Du weißt doch das ich Angst vor den Viechern habe.“ „Herrgott! Bleib einfach hinter mir.“ Langsam öffnet sich die Türe. Ich verstecke meine Gestalt hinter dem sich ausbreitenden Flügel. Das einfallende Licht flutet hinein, muss sich aber den Schatten geschlagen geben. Zwei breitschultrige Männer stehen mit gezogenen Pistolen im Raum, ihre Rücken sind mir zugewandt. Eine Ablenkung, älter als dieses Gebäude und immer noch hilfreich. „Hier ist nichts. Gehen wir wieder.“ Der mir am nächsten stehende Mann greift mit seiner Linken hinter sich, zieht seinen Gürtel nach oben und verstaut in einer einstudierten Bewegung seine Waffe. Im selben Moment springt meine Hand wie ein Klappmesser aus dem Schatten hervor und bedient sich, Beretta 92X, teure Waffe für einen einfachen Handlanger. Im Bruchteil einer Sekunde ist die Waffe entsichert und abgefeuert. Zwei Kopfschüssen hindern sie am Schreien. Warmes Blut spritzt mir ins Gesicht. Die leblosen Körper fallen polternd zu Boden, keine Stimmen, keine Geräusche. Der dritte Mann hat nichts gehört. Er stützt sich mit dem Rücken an der Flurwand ab und summt mit geschlossenen Augen zu einer Melodie, die schwach versucht durch seine Kopfhörer auszubrechen. Als er die Augen öffnet, verraten seine Zügen den Fehler den er damit begangen hat. Sein Gesicht ist ein schockierter, auswegloser Ausdruck der nahenden Wirklichkeit. Er möchte etwas sagen, sein Leben retten, doch im kalten Lauf vor seinen Augen findet er nur den Tod. Eine MP5 hängt an einem Gurt über seinen Schultern. Ich nehme sie ihm ab. Die leblose Bibliothek erwacht zu neuem Leben. Schritte donnern im Stockwerk unter mir. Sie wissen das etwas faul ist. Gut so. Ich kämpfe ungern heimlich. Die Zeit hätte dafür eh nicht ausgereicht. Der Container ist schwer. Sie können ihn unmöglich ins Gebäude geschafft haben. Vermutlich lagern sie ihn auf der Nordseite in der Tiefgarage. Ich nehme die steinerne Treppe nach unten und finde mich auf dem Balkon der großen Haupthalle wieder. Bücherregale engen den Saal ein und hüllen ihn in eine Lagerstätte des Wissens. Die nördliche Seite zeugt noch von dem verheerenden Feuer. Zu Staub zerfallene Schriften rieseln von den schwarz verkohlten Holzregalen und der Balkon mir gegenüber zeigt nur noch im Ansatz seine stämmigen Balken, die dann in porös, fasriges Schwarz auslaufen. Leichenblass scheint der Mond durch die kaputten Dachfenster und erhellt die Regenpfützen unter ihm. Vereinzelt wurden Baustrahler aufgestellt, um die wichtigsten Sichtbereiche in weißes Licht zu tauchen. Man hört die hektischen Schritte der Männer, die sich in der Halle verteilen, mindestens Fünfzehn. Die Bücherregale sind senkrecht zu den Balustraden angereiht und geben eine gute Deckung. Vom Balkon aus bekomme ich einen Überblick der Halle. Sie haben mich noch nicht entdeckt. Zwei Männer nehmen die massive Treppe am hinteren Ende der Halle. Ich suche hinter den Büchern nach Schutz und ziehe mich in die Dunkelheit zurück, schließe die Augen und atme ein, ruhig Max Payne. Man zählt auf dich, du darfst es nicht wieder vermasseln. Die beiden Angreifer haben die obere Stufe erreicht und ich eröffne das Feuer. Schreiend fällt einer der beiden rückwärts die Treppe nach unten. „Es ist Payne!“ Der Zweite bearbeitet die Bücherregale mit einer Schrotflinte. Staub und Papier mischen sich in der Luft zu einem weiß, grauen Inferno. Auch die Männer im Erdgeschoss feuern nun zielsuchend auf die Balustraden. Das Holz splittert und fliegt durch die Gegend. Der Kugelhagel treibt mich weiter in den Bücherurwald. Schrotkugeln prasseln auf die Regale vor mir ein. Der Boden bedeckt sich mit einem gefleckten Papierteppich. Ich gehe in die Knie und schleiche mich Ausweg suchend hinter den Regalen entlang. Vor mir erblicke ich den Mann mit der Schrotflinte auf der obersten Treppenstufe. Er meint meine Position zu kennen, doch ich habe meine Deckung gewechselt und er läuft direkt in mein Schussfeld. Drei Salven schlagen in seinen Körper ein. Aus Oberschenkel, Brust und Schulter sprengt zäh das Blut hervor. Seine Schatten tanzen wild auf dem Boden, bis er zusammensackt und eines mit ihnen wird. Schwach vernehme ich gehetzte Schritte. Sie teilen sich auf. Die Luft wird schwer und es bildet sich ein dicker Dunst, der einen bleiernen Geschmack im Mund hinterlässt. Langsam spüre ich wie meine Sinne nachlassen. Das Orchester der Mordinstrumente knallt durch die Halle. Meine Ohren geben nur noch einen hohen, schreienden Ton von sich. Zu spät bemerke ich die beiden Männer die auf den Balkon gekommen sind. Der links von mir hat mich entdeckt und eröffnet das Feuer. Ich sprinte nach vorne. Kleine metallische Bienen jagen an mir vorbei. Ihr Surren kommt immer näher. Mit aller Kraft ramme ich dem Mann vor mir die Schulter in den Bauch. Zusammen stürzen wir über die Balustraden in die Tiefe. Der Weg nach unten zieht sich entlang wie ein flexibles Gummiband und fühlt sich an wie die Ewigkeit selbst, so als wollte die Zeit ihrer Bestimmung entgegenwirken. Während des Eintauchens in diese ewige, verlangsamte Wahrnehmung handelt mein Körper schnell und instinktiv. Automatisch wendet er sich in eine horizontale Position, nebenbei gleitet meine Hand unter den Mantel, zieht die Beretta hervor und feuert auf den Mann den ich am Balkon zurückgelassen habe. Um mich herum wird die Umgebung zu einer luftleeren Atmosphäre die mich sanft in die Tiefen des Meeres hinabtaucht, Projektile gleiten zielstrebig an mir vorbei, finden ihr Ende in Holz, Beton und Büchern und jede Bewegung, jeder Atemzug ist plötzlich vorhersehbar. Der Schlitten meiner Waffe wirft Hülsen aus und wirbelt sie akrobatisch durch die Luft, bis eine Kugel ihr Ziel erreicht und langsam in den Körper des Mannes eindringt welcher von der Wucht rückwärts gegen die Regale geschleudert wird. Das stille Wasser in dem ich mich befinde wird unruhig, es beginnt zu fließen, wird zu einem Bach, einem Strom und schließlich zu einem reißenden Wasserfall, der mich wieder in die hektische Realität wirft. Ich lande hart auf dem Boden und mein Rücken schreit nach Schmerzmittel. Gegen den gesammelten Feind in der Halle bin ich machtlos. Meine einzige Fluchtmöglichkeit ist die Tür zu einem Raum der parallel zur Haupthalle liegt. Ich laufe unter dem verbrannten Balkon hindurch und hechte mich durch den Durchgang. Große Fenster füllen die Wand und geben den Ausblick zu einer Baustelle, die einst der Hinterhof der Bibliothek war. Ich muss mich ausruhen, brauche einen Moment Pause. Meine linke Rippenhälfte schmerzt, als ich sie mit den Händen abtaste färben sie sich rot. Streifschuss. Nichts worüber ich mir Sorgen machen müsste. Ich atme tief ein und nehme die anhaltende Ruhe in mir auf, doch so schnell sie gekommen ist, so schnell verfliegt sie wieder. „Stellt das Feuer ein Jungs. Der Cop ist umstellt. Er ist so gut wie erledigt. Hörst du das Payne! Aus diesem Raum kommst du nicht mehr lebend heraus. Jetzt bezahlst du für den Mord an meinem Bruder.“ Es ist der Typ von Marios Wohnung. Die Wut in seinen Worten stärkt seine Stimme zu einem Hurrican. „Ich meine wie bescheuert bist du denn eigentlich. Die ganze Stadt sucht nach dir und du kommst ausgerechnet hier her. Du hättest wissen müssen das du stirbst wenn du Stephan tötest und du hättest wissen müssen das Unschuldige dabei umkommen. Siehs ein Payne du bist kein Cop mehr. Du bist nun einer von uns und hier gibt es kein Gut und Böse. Es gibt nur Meinungen und Vorurteile und auch diese sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Schmeiß deine Waffen weg! Gib auf! Es ist vorbei Payne.“ Die hallenden Schreie eines rachsüchtigen Mannes. Er sagt es ist vorbei. Es wird nie vorbei sein. Meine Taten sind das Produkt dieser kriminellen Welt. Nur mein Tod kann es beenden. Der Mann will mein Ende um seinen Schmerz zu ersticken, doch ich weiß das der Schmerz niemals endet. Er würde es nicht glauben. Ich nehme eine handvoll Schmerzmittel, lade die Mp5 und das Uhrwerk der Zeit beginnt einzurosten. Es wird zu einem Rad welches ausrollt, immer langsamer, bis es umzufallen scheint. Doch es fällt nicht, nicht bis ich falle. Nur mein Tod kann es beenden. Bewaffnete Männer stürmen den Raum und die Waffe in meiner Hand singt ihr Lied. Der Schlagbolzen hämmert im Rhythmus auf die Schwarzpulverplättchen der Patronen ein. Der Auswerfer wirft die leeren Hülsen aus dem Schlitz. Glocken erklingen beim Aufprall des Messings auf dem Boden. Der Lauf speit Feuer. Blei surrt durch die Luft, schlägt in den Wänden ein und zersprengt den Putz. Glas explodiert, die Scherben spiegeln das schwache Licht der warmen Glühbirnen. Ich atme ein und schmecke die dicke, rauchige Luft. Einer der Männer sucht hinter einem Tisch nach Deckung. Bevor er das Ziel erreicht reist das Werkzeug in meinen Händen Löcher in seinen Körper. Das Blut vermischt sich mit dem Nebel in der Luft zu einem Feuerwerk. Der Mann schleudert die Waffe von sich und fliegt von den Füßen. Sein Partner erreicht den Schutz doch als er zielend den Kopf hebt durchdringt eines meiner Projektile seinen Hals. In einer Fontäne entspringt sein Leben der offenen Wunde. Die Mp5 leert sich und wird zu einem nutzlosen Stück Metall. Ich werfe sie von mir und sprinte um eines der Bücherregale herum. Einer der Angreifer zielt mit einer Remingtonflinte auf mich. Ich greife den Lauf, nutze den Schwung und trete den Mann von mir. Er fällt entwaffnet zu Boden und ich schieße ihm in die Brust. Zwei weitere stürmen zur Tür hinein. Dem ersten reist meine Schrotflinte den Kopf vom Hals. Er sinkt nieder und ein rot, öliger Brei gurgelt aus dem Stumpf zwischen seinen Schultern. Der Zweite zwingt mich zur Flucht. Ich laufe auf die Notausgangstüre im hinteren Teil des Raumes zu. Kurz bevor ich sie erreiche öffnet sich der Durchgang schlagartig. Ein weiterer Angreifer steht zwischen dem Rahmen. Unerwartet über meinen Anblick reißt er seine Uzi nach oben. Ich hechte mich auf die Seite, wodurch seine Projektile haarscharf über mich hinweg fliegen. Der Angreifer hat seine Waffe verrissen und zielt auf die Decke. Ich spüre die Kälte des Marmorbodens, sie zieht durch meine Glieder und kühlt meinen aufgeheizten Körper. Die Remington findet ihr Ziel. So schnell wie der Mann den Raum betreten wollte, so schnell wirft ihn die Wucht wieder hinaus, begleitet von einem blutigen Schweif. Der Feind in meinem Rücken bearbeitet mich unaufhörlich mit seiner Pistole. Ich robbe mich aus seinem Zielbereich, bis ein Stich durch meinen Unterschenkel jagt. Schmerzverzerrt beiße ich die Zähne zusammen. Durchschuss. Zu meinem Glück ist der Knochen unverletzt. Ich lehne mich gegen eines der Bücherregale und untersuche meinen alten Körper auf weitere Wunden, kann aber nichts schlimmeres erkennen. Einen Teil der Schmerzen lindere ich mit den leuchtenden Pillen, die einen festen Platz in meiner Manteltasche besitzen. Während ich einen provisorischen Verband anbringe, breitet sich eine deplatzierte Stille aus. Wo sind die aggressiven Schreie? Wo sind die gehetzten, lauernden Schritte? Und wo sind die Hilferufe die mich hierher geführt haben? Ich höre nur den Wind der durch die zersplitterten, schwarzen Augenhöhlen der Fenster bläst und das ferne Quietschen von Autoreifen. Vielleicht sind ein paar von ihnen geflohen und holen Verstärkung. Beeil dich Max Payne. Halte durch. Es ist fast geschafft. Der angespannten Ruhe nach zu urteilen sind wir nur noch zu zweit. Mit langsam bedachten Schritten nähert sich der letzte Angreifer. Das knacken der Glasscherben unter seinen Stiefeln verrät ihn. Rechts von mir, entlang der Fensterseite kommt er immer näher, doch der leise piepende Ton in meinen Ohren täuscht mich. Plötzlich steht der Mann zu meiner Linken. Er hat mich überrascht und ist in der überlegeneren Position. Mir bleibt nur eine Rolle nach vorne. Hinter meinem Kopf explodiert eines der Bücher. Ich kann nicht aufstehen, muss mich aber weiter nach vorne kämpfen um seinen Kugeln auszuweichen und so springe ich, rutsche auf dem glatten Boden entlang und richte die Remington aus. Es entsteht eine kurze Pause in der jeder von uns nervös erkennt was als nächstes geschehen wird. Wir beide starren uns an. Ein entscheidender Moment, der nur den Tod als Möglichkeit bietet. Wer als erster feuert lebt. Genau in der selben Sekunde drücken wir den Abzug. Klick! Unsere aufgerissenen Augen können den Zufall nicht fassen. Keine Munition. Zügig leert der Mann seinen Magazinschacht und hantiert an seiner Jacke herum. Ich bin vorbereitet, greife am Boden liegend in das Innere meines Mantels und hole die Beretta hervor. Perfekt gleitet eine neue mit Patronen gefüllte Stange in die Waffe des Mannes. In meiner Hand löst sich bereits der Schuss. Der Angreifer hat den Ausdruck der Angst und Verzweiflung in seinem Gesicht. Er war so kurz davor mit dem Leben davon zu kommen. Jetzt liegt er vor mir und eine flache, rot spiegelnde Scheibe bildet sich unter seinem Bauch. Ich bleibe noch eine Weile liegen in der Erwartung auf weitere Feinde, doch niemand kommt. Die angespannte Ruhe ist wie eine schneidende Atmosphäre, die mir keinen Frieden weissagt. In mir entwickelt sich ein Gefühl der Einsamkeit. Verlassen von meiner Familie, meinen Freunden und nun sogar von meinen Feinden. Selbst der Mann dessen Bruder ich getötet habe ist in seinem Wut und Hass vergangen. Ein Unwohlsein befällt mich, als würde mein Körper einen nahenden Schmerz spüren. Mit knarzenden Gliedern komme ich langsam wieder auf die Beine und humple nach draußen. Blut klebt dunkel an den verbrannten Wänden und färbt das Haus in ein dämonisches Bildnis. Mein Körper sehnt sich nach Frieden und Wärme, doch im Freien empfängt mich nur Kälte. Der Regen hat nachgelassen und ist nur noch ein feiner Nebel, der sanft über mein Gesicht streicht. Blutige Stiefelabdrücke folgen mir und sickern mit dem Wasser im Boden ein. Schleichend schlurfe ich weiter. Die Kraft hat mich verlassen. Nicht einmal die Pistole hält sich zwischen meinen dürren Fingern. Langsam entgleitet sie mir und die Macht der Gewalt entzieht sich ihrem Träger. Ich stürze, raffe mich hustend wieder auf. Ein Teil von mir will liegenbleiben und sich vom Regen mit in die Tiefen der Erde tragen lassen. Einzig der Gedanke an die eingesperrten Mädchen gibt mir einen Hauch Energie, welcher mich um das Gebäude trägt. Sie brauchen dich Max. Gib noch nicht auf. Am hinteren Teil der Bibliothek finde ich den Eingang zur Tiefgarage. Eine abfallende Einfahrt, die in eine von zwei Baustrahlern fahl beleuchtete Dunkelheit führt. Wie vermutet finde ich den Container. Einem Monolithen gleich steht er hell erleuchtet inmitten der unterirdischen Parkplätze und prophezeit mir die ersehnte Erlösung. Sein Lack ist abgeplatzt und gibt die rostige Fratze darunter zum Vorschein. Ich öffne ihn in dem Glauben etwas Gutes zu vollbringen, in der Hoffnung auf Dankbarkeit, in der Sehnsucht nach einer geheilten Welt und in der Furcht vor dem Anblick, doch was ich darin finde lässt mich an dem Wert meines Lebens zweifeln. Ich bekomme nicht die Erlösung die ich erhofft hatte, sondern nur das Gefühl der Angst und Abscheu. Die gütige Vorstellung hat sich zum Wahn entwickelt und eine Lüge erzeugt welche einen Abgrund des Mordens und der Gewalt aufgerissen hat. Nichts ist so offensichtlich wie es scheint. Alles ist nur noch eine wage Vermutung im Gehirn, auf die sich ein sterbender, alter Mann nicht verlassen kann. Der Container ist ein leerer, schwarzer Schlund. Ich betrete ihn, werde von ihm verschlungen und verachte den Mann der sich so sehr an den Sinn seiner Taten klammert, denn er akzeptiert nicht was aus ihm geworden ist. Die Dunkelheit in dem stählernen Behältnis lässt sein Inneres zu einem unendlich tiefen, friedlosen Nichts werden. Nur ein auffallend strahlendes Weiß hebt sich vom Boden ab. Wie der Ausweg, der Lichtschimmer in einer schwarzen frostigen Nacht. Ein kleines, unangetastetes in Pappe gefaltetes Quadrat. Mein Finger streicht über die Hügel der Blindenschrift. Eine ungeöffnete Packung Schmerzmittel. Ich falle auf die Knie. Das Gewicht welches die Enttäuschung auf meine Schultern schnallt ist unbezwingbar. Alle meine Glieder hängen kraftlos nach unten. Was hast du nur getan Payne? Gib dir selbst einen Wert und er würde nicht einmal eine Pille füllen. Du solltest dir eine Kanone gegen den Kopf halten und den Abzug drücken. Es ist das einzige was dich vor deiner Schande und die anderen vor deinem Wahnsinn retten kann. Ich bin zu erschöpft um mir eine Waffe zu suchen und halte mir den Lauf meines Fingers gegen den Kopf. In meinem Rücken spüre ich die ersten Sonnenstrahlen des Morgens. Der Regen hört auf. Ich schließe die Augen und betätige den Abzug. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)