Demonheart von CaroZ ================================================================================ Kapitel 4: Ouvertüre: 2-1 ------------------------- 2-1: JIN Jin wollte wütend sein. Er wollte so viel Zorn verspüren, dass Devil Jin, sein teuflisches Alter Ego, diesem Idioten in seinem Devil May Cry die Tür eintrat. Doch er fühlte keine Wut; jedenfalls nicht genug davon. Dieser Dante hatte selbst ein Problem, das war deutlich. Jin hatte seine grimmige Mimik und sein abweisendes Verhalten lesen können wie ein offenes Buch. Das waren Dinge, die ihn das Leben gelehrt hatte. Trotzdem wollte er wütend sein. Schuld daran war nicht der Umstand, dass er diesen Weg umsonst gemacht hatte, wie er Dante gegenüber behauptet hatte. Nein, was ihn ärgerte, war diese ganze Begegnung und dass sie nicht so verlaufen war, wie er sie geplant hatte. Nina hatte ihm alles mitgeteilt, was sie über Dante herausgefunden hatte – dass er unbestechlich war, dass er mit Dämonen kein Erbarmen kannte, dass er gern seine Feinde verhöhnte und dass er – so wurde gemunkelt – übermenschliche Kräfte besaß. Dass niemand wusste, wozu er wirklich fähig war. Jin, der schon oft erlebt hatte, dass der Ruf einer Person rein gar nichts über sie verriet, hatte erwartet, kaum eines dieser Clichés bestätigt zu finden. Vor allem hatte er sich gesagt, dass der Mann sicher nicht wie der abgebrühte Held eines Actionfilms aussehen würde. Irrtum, denn genauso sah Dante aus: hochgewachsen, muskulös und schlecht rasiert, dabei aber unerwartet stilsicher gekleidet und mit den kalten, eisblauen Augen eines Killers gesegnet. Als sein und Jins Blick sich getroffen hatten, hatte Jin das unangenehme Gefühl gehabt, diese Augen könnten ihm das Fleisch von den Knochen brennen, wenn sie wollten. Damit hatte er nicht gerechnet. Dante war genau das, was er sich als Kind unter einem Dämonenjäger vorgestellt hatte: unverschämt, einschüchternd und voller Vertrauen auf die eigene Überlegenheit. Nur seine Stimme hatte nicht gepasst. Jin hatte eine tiefe, schnarrende Stimme erwartet, ohne jede Emotion darin. Aber tatsächlich war sie überraschend hell und reich an Intonation. Dante klang mehr wie ein Showmaster als wie der Auftragsmörder, nach dem er aussah. Bist du sicher, dass du Englisch kannst? Weil du anscheinend immer Ja verstehst, wenn ich Nein sage. In einer Sitcom hätte das Publikum sicher gelacht. Eine weitere Auffälligkeit war die Haarfarbe. Silbrigweißes Haar ohne jedweden anderen Farbeinschlag war schon schwer zu färben, und in der Natur kam es nicht mal bei uralten Menschen in dieser Qualität vor. Doch es war Natur bei Dante. Ein genaues Hinsehen machte das sofort klar. Wie alt mochte er sein? Älter als dreißig, aber vielleicht jünger als vierzig. Es war schwer zu sagen. Warum nur hatte er mit voller Absicht bedrohlich auf Jin wirken wollen? Wieso wollte er ihn so dringend loswerden, wie jemand, der versucht, eine Spinne mit dem Fuß aus der Tür zu schieben, weil er sie nicht erschlagen will? Nachdenklich folgte Jin der wenig belebten, halb von verrottendem Laub bedeckten Straße auf dem Fußweg, den hier und da große Furchen durchzogen. Abfall lag hier und dort an den Rändern verstreut, leere Plastikbecher oder Hüllen von Schokoriegeln. Amerikanische Straßen wurden offensichtlich nur dann gepflegt, wenn sie einigermaßen frequentiert waren. Die ärmlich aussehenden Häuser ließen eher auf ein Slum schließen. Nicht in allen Fenstern brannte Licht. Er hatte keine Ahnung, was er nun tun sollte. Dante hatte ihn so grob abgewiesen, dass Jin schon allein aus Stolz kein zweites Mal versuchen würde, ihn wie eine Memme um Hilfe anzuflehen. Nein, er hatte noch so etwas wie Würde, die ihm das klar verbot. Dante glaubte ihm nicht … Er hatte ihn sogar verspottet. Warum hatte sich bei dieser Kränkung nicht Devil gezeigt, um die Arroganz dieses Mannes in Entsetzen zu verwandeln? Der Dämon in Jin hatte tatsächlich kein bisschen aufgemuckt. Eher schien es, als wäre er unter Dantes frostigem Blick ganz still geworden. Und genau deshalb wusste Jin, dass er nicht wütend sein konnte. Er war bestimmt eine gute Stunde gegangen, hatte den ghettoartigen Bereich der äußeren Kernstadt hinter sich gelassen und war durch Alleen in eine Art flaches Tal hinabgestiegen. Hier waren die Häuser größer und wirkten freundlicher. Mit der vorherrschenden Architektur konnte er nicht viel anfangen, denn er konnte, wie er glaubte, nicht einmal Viktorianisch von Gotisch unterscheiden. Die Straßen waren enger, ihr Pflaster gröber, das Licht spärlicher. Er musste in einem der Vororte sein. Neben ihm tauchte vor dem lichtverschmutzten Himmel ein etwas höheres, völlig lichtloses Gebäude auf. Halb zerfallen, wie im Licht der Straßenlaternen gerade noch zu erkennen war, aber dennoch eine antike Imposanz ausstrahlend. Es war ein kleinerer Sakralbau, eine Kapelle oder kleine Kirche. Jin hatte noch nie eine verlassene Kirche gesehen, aber diese war es: Ihre Schalllöcher (sofern es solche waren; nichts deutete auf das Vorhandensein einer Glocke hin) zeigten Spuren von altem Ruß wie nach einem inneren Brand, außen verwitterten die erdgrauen Backsteine der Mauer unter schwärzlichen Flechten vor sich hin, und ein korrodiertes Schild mit der Zahl 1809 nannte das Baujahr – ein sehr frühes Jahr für diese Gegend. Erstaunlich, dass sie überhaupt noch stand. Jin schob die Hände tiefer in die gefütterten Manteltaschen, als ihn beim Anblick des stillen Bauwerks fröstelte. Trotz des äußeren Verfalls standen auf dem kleinen Kirchhof Kübel mit grau erscheinenden Astern, deren wirkliche Farben im gelben Licht nur zu erahnen waren. In einer Halterung neben der Tür steckte eine offenbar frische, wenn auch nicht brennende weiße Kerze. Vielleicht war in der Kirche doch noch jemand. Jin entschied sich, hineinzugehen, sich hinzusetzen und nachzudenken. Mit Kirchen hatte er eigentlich nie wirklich etwas zu tun gehabt. Weder seine Mutter noch sein Großvater hatten irgendeinen Bezug zum Christentum – zumindest seine Mutter hatte ihn eher dem Buddhismus etwas näher gebracht, wenn auch ihn nicht wirklich danach erzogen – und Jin hatte sich Religion ohnehin nie zugetan gefühlt. Sie konnte ihm nicht helfen gegen das dunkle Vermächtnis, das seinen Geist plagte. Drinnen war der Eindruck von Desolation noch größer. Zwar befand sich alles, was hierher gehörte, an Ort und Stelle, genau dort, wo man es erwartete; doch die Staubschicht, die alles einhüllte, wirkte Äonen alt und hatte der äußerst schlichten, fast an falschen Geiz erinnernden Ausstattung einheitlich dieselbe graue, leblose Farbe verliehen. Ein paar Krähen flatterten unter der gänzlich nackten, undekorierten Kuppel im Kreis und wirkten dabei so rastlos, als würden sie etwas suchen, das es nicht zu finden gab. Tatsächlich wurde das erstorbene Innere der steinernen Kapelle von einigen blakenden Kerzen erhellt. Sie waren das Einzige, das nicht in Staub gehüllt war. Alles, was ihr schwaches Licht nicht erreichte, lag im Dunkeln; der Altar war nur ein finsterer Block auf der rechten Seite. Wärmer als draußen war es nicht. Jin wusste nicht, warum er hier so fror. In Japan war es wesentlich kälter, und er war bestens gegen Frost gerüstet. Irgendetwas stimmte mit diesem Ort nicht. Ebenso mit der Straße, mit dem ganzen Ort schien etwas nicht zu stimmen. Und mit Dante stimmte ebenfalls etwas nicht. Ärgerlich darüber, schon wieder über ihn nachdenken zu müssen, ließ Jin sich in die vorderste Bankreihe fallen und überschlug die Beine, als er merkte, dass sogar das blanke Holz, auf dem er saß, ungepolstert wie es war, nur Kälte an sein Hinterteil abgab. Er verstand außerdem nicht, was der Teufelsjäger an seinem Englisch auszusetzen gehabt hatte. Natürlich war Jins Aussprache nicht fehlerlos, aber weit besser als die der meisten seiner Landsleute, unter anderem auch deshalb, weil er mit der Mishima Polytechnical High School eine internationale Schule besucht hatte. Die Zeiten, in denen er im Englischunterricht an Wörtern wie skyscraper fast erstickt wäre, waren lange vorbei. Und sein Exiljahr in Brisbane, Australien, hatte ihm noch mehr Sicherheit in der täglichen Anwendung der Sprache verliehen. Wahrscheinlich hatte Dante ihn nur auf jede erdenkliche Art verscheuchen wollen. »Unterschätze ihn nicht«, sagte Jin in die Stille hinein. Seine tiefe Stimme klang gespenstisch, ein leises, fast bedrohliches Echo folgte ihr. Doch wenn er mit dieser Stimme die Mishima Zaibatsu regieren wollte, dann würden die hohen, verkleideten Wände des Thronsaales dieses eindrucksvolle Echo schlucken und darunter nur Jins verstörten, unsicheren Tonfall zurücklassen. Das Kind, das sich immer noch so sehr nach seiner Mutter sehnte. Leiser sagte Jin, auf den flüsternden Nachhall lauschend: »Devil ist kein netter Spielkamerad.« Um ihn herum war es still. Still und kalt. Dante hatte gut reden. Was auch immer ihn plagte, er teilte seinen Körper zumindest nicht mit einem Teufel. »Und du«, sagte urplötzlich eine weiche, gleichfalls männliche Stimme in die wieder eingekehrte Ruhe, »du bist wohl auch kein netter Spielkamerad?« Beunruhigt sah Jin um sich. Er war sicher gewesen, dass außer ihm niemand hier war. Es konnte auch niemand hier sein, es sei denn, jemand war ihm hinein gefolgt. Nach einigen ziellosen Blicken quer durch das Innere der Kirche blieben seine Augen schließlich auf dem Umriss eines Mannes, der aus dem im Dunkeln liegenden hinteren Gebäudeteil gemächlich auf ihn zukam. Er trug eine kurze, rehbraune Jacke – Wildleder, oder ein Imitat – und eine beigefarbene Cordhose mit breitem Gürtel, an dem seitlich etwas Dunkles befestigt war. Sein Haar war blond, etwas schütter und an den Seiten bereits grau. Die Augen, die unter schweren Lidern tief in dem kantigen Gesicht lagen, waren umrahmt von Fältchen und betrachteten Jin aufmerksam durch das flackernde Kerzenlicht. »Dieser Devil ist wohl ein Problem, hm?« Friedlich trat der Fremde an Jin heran und ließ sich neben ihm auf der Bank nieder. »Du musst wissen …« Er zögerte, befeuchtete sich die Lippen, schien seine Worte mit Bedacht zu wählen »… dass so etwas wesentlich häufiger vorkommt, als berichtet wird. Solche Dinge kommen nur sehr selten ans Licht. Aber Dämonen … nun, sind hier sehr häufig. Und wenn du einen gesehen hast … oder schlimmer, dich von einem bedroht fühlst … dann kann ich dir möglicherweise helfen.« Jin blickte in die freundlichen Augen und war auf einmal seltsam berührt. »Sie … glauben mir?« »Das fühlt sich gleich besser an, habe ich Recht?« Der Fremde schmunzelte. »Möchtest du mir von deinem Dämon erzählen?« Jin sah ihn unverwandt an, die Miene steinern. Er wusste nicht, ob er diesem wildfremden Mann trauen sollte. Er war hier in Amerika. Wo alle Irren wohnen, hatte Nina gesagt. Er versuchte einen Rückzieher: »Das mit dem Teufel war natürlich metaphorisch gemeint.« »Ich denke nicht, dass das metaphorisch gemeint war«, erwiderte der andere Mann ruhig, doch sein Blick war eindringlich. »Und ich denke, du bist Dante begegnet. Habe ich Recht?« Jin spürte sein Misstrauen anwachsen. »Dante?« »Ich glaube, wir wissen beide, dass ich nicht von dem italienischen Dichter spreche.« »Sie kennen ihn also.« Jin war wachsam. Wenn er mehr über Dante erfahren konnte, würde ihm das vielleicht dabei helfen, ihn von der Notwendigkeit seiner Mitarbeit zu überzeugen. Der Fremde winkte ab. »Ja, er ist ein gewisser Name hier in der Gegend. Er versucht sich bedeckt zu halten, hat aber keinen Schimmer, wie man das macht. Jedenfalls nicht, indem man als Untergrund-Söldner gegen Bezahlung halblegale Erledigungen übernimmt.« »Sie meinen, er tötet Teufel«, sagte Jin. »Richtig, aber das wissen nur sehr wenige. Und wer es weiß, der meidet Dante lieber.« »Warum?« »Das ist kompliziert«, antwortete der Mann. »Vor allem kann er offenbar nicht das tun, was er glaubt tun zu können. Ich habe ihn einmal um Hilfe gebeten. Ich weiß, dass ich es nie wieder tun werde.« Er wandte den Blick ab. »Was hat er getan?« Oder nicht getan? Jins Abneigung gegen den Dämonenjäger wurde stärker. Er würde sehr vorsichtig sein müssen. Der Andere lachte leise. Es klang traurig. »Nur so viel: Er hat ein Geheimnis. Ein ziemlich unschönes. Wenn du es kennst, bist du nicht mehr sicher vor ihm. Er hat vor nichts Angst. Nicht vor Macht, nicht vor Geld … vor nichts.« Jin brütete über diesen Worten. »Warum ist er so?« Er erinnerte sich nur zu gut an Dantes durchdringenden Blick. Hinter der Leichtigkeit, mit der er auftrat, lag etwas Finsteres. »Es heißt, Teufel haben seine Familie ausgelöscht. Seitdem lebt er in seiner eigenen Realität, einer Realität, in der es nur ihn und seinen Rachefeldzug gibt. Er liebt es, Dämonen zu töten. Er ist fanatisch auf sie fixiert.« Unbehaglich knetete der Ältere seine Hände; auch ihm war das Frösteln nun anzumerken. »Es heißt, wenn er keine Teufel mehr findet, wird er … vielleicht nicht aufhören mit dem Töten.« Im Gebälk über ihren Köpfen knackte es. Jin wunderte sich, warum es hier keine Vögel gab; keine Tauben, keine Krähen. »Dämonen zu töten und Menschen zu töten sind zwei sehr verschiedene Dinge«, sagte er. »Ich weiß«, erklärte der Fremde ernst. »Du möchtest einen Dämon töten. Ich kann dir dabei helfen.« Jin sah ihn wortlos an. Sein Misstrauen war nicht kleiner geworden, im Gegenteil: Wenn er Dante nicht trauen sollte, warum dann diesem namenlosen Fremden? Der Mann rückte näher an ihn heran – fast unangenehm nahe –, und sagte dann in ruhigem Ton dicht an Jins Ohr: »Zeig ihn mir.« Eilig stellte Jin die alte Distanz zwischen ihnen wieder her. Seine Hand ließ er zwischen ihnen auf der Bank liegen. »Was soll ich zeigen?« Doch er wusste es. »Deinen Teufel. Ich will ihn sehen.« »Das geht nicht.« »Tut mir leid, aber es ist wichtig. Ich muss ihn sehen.« »Nein.« Jin rückte weiter von dem Fremden ab. Dessen Blick hatte sich verändert; seine Augen glänzten nun, sahen beinahe fiebrig aus. »Sie wissen nicht, was Sie verlangen.« »Das kann ich besser beurteilen, meinst du nicht? Mach dir keine Sorgen.« Etwas war nicht richtig. Der blonde Mann fixierte Jin. Sein Lächeln war verschwunden, der freundliche Ton einer unerwarteten Kühle gewichen. Einen Moment lang starrte Jin zurück – dann wurde das Gefühl der Gefahr übermächtig. Blitzschnell spannte er seine Muskeln und sprang von der Bank auf. Die Bewegung seines Nachbarn sah er nur noch aus den Augenwinkeln, denn dieser hatte im selben Augenblick reagiert: Ein kurzer Griff an seinen Gürtel, dann sauste mit lautem Sirren etwas quer durch die kalte Luft und schlug mit siebenfachem Scheppern auf dem Steinboden auf. Jin versuchte hektisch seine Gedanken zu ordnen. Alle seine Synapsen feuerten. Er hatte sich gerade noch rechtzeitig geduckt: In der Hand des anderen Mannes lag das Ding, das Jin im Dunkeln nicht hatte erkennen können, nun voll entfaltet – eine mächtige, siebenschwänzige Geißel. Ihre dornbewehrten Enden blinkten im Kerzenschein rot auf. »Zeig ihn mir!«, befahl der Fremde. Er zitterte nun. Erneut schlug er mit der Peitsche zu – wieder ins Leere. Jin rollte geschmeidig beiseite und floh hinter die erste Bankreihe. So schnell er konnte, entledigte er sich des schwarzen Mantels und warf ihn zusammen mit dem gleichfarbigen Lederrucksack, der sein weniges Reisegepäck enthielt, irgendwo in die hinteren Reihen. Er musste sich frei bewegen können. Sein Angreifer hatte sich zwischen ihm und der Tür positioniert. Er sah aus, als wäre er selbst entsetzt über das, was er tat. »Es muss sein!«, rief er heiser, beinahe jämmerlich. Das Echo durchquerte den Raum wie der Peitschenknall, dem Jin gerade noch entgangen war. »Dein Teufel! Na los, zeig ihn mir!« Jin lauerte angespannt einen Moment lang in Kauerstellung, dann wagte er einen Ausbruch in Richtung Flügeltür. Der Mann fuhr herum, die Geißel krachte unmittelbar neben Jin auf den Stein. Einer der Dornen streifte seinen Arm mit ihrem roten Biss, und er zuckte zurück. »Hör auf!«, fuhr er den Fremden an. »Du weißt nicht, was du aufweckst, du Narr!« Der Andere lachte. Ein wildes, trauriges Lachen. »Ich glaube, das weiß ich sogar besser als du.« Erneut warf Jin sich zur Seite, um der Peitsche auszuweichen. Sie war eine furchteinflößende Waffe, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Dieser Mann in der kurzen Lederjacke, der nicht jünger als fünfzig sein konnte, schwang sie mit einer Anmut, die die schwere, rohe Kraft der langen Knuten in tödliche Präzision verwandelte. Jin wusste, dass er aufgrund der Reichweite einer solchen Waffe nur dann eine Möglichkeit hatte, diesen Kampf für sich zu entscheiden, wenn er diesen Wahnsinnigen an sich herankommen ließ und ihm die Peitsche abnahm. Anders ging es nicht. Devil würde sich einen sinnlosen Kampf nicht ewig ansehen. Jin sprang auf die Füße, um in seine Abwehrhaltung zu wechseln. Mit kurzen Sätzen entging er den nächsten groben Schlägen in seine Richtung, ohne den ganzen Körper zur Seite werfen zu müssen. Dadurch blieb er in Bewegung. Seine Fäuste hielt er zur Sicherheit erhoben, doch abwehren würde er dieses Monstrum von Waffe mit ihnen nicht können; er musste ausweichen, durfte sich nicht von den Dornen berühren lassen. Jeder noch so kurze Schmerz riss an Devils unruhigem Schlaf. Mit dem nächsten Vorstoß gelang es Jin, unter dem gut gezielten Hieb abzutauchen und seinem Kontrahenten näher zu kommen. Ohne zu zögern platzierte er die Fußspitze in dessen Kniekehle, um einen Schmerzreiz auszulösen, der jeden unerfahrenen Gegner aus dem Konzept und vielleicht sogar zu Fall gebracht hätte. Der Mann schrie leise auf, doch nur das getroffene Knie knickte ein; mit dem anderen machte er einen Ausfall, bewahrte sich vor dem Sturz. Jin sprang vor dem nächsten Schlag der sieben pfeifenden, wirbelnden Spitzen beiseite und hob erneut den Fuß, diesmal um dem Anderen mitten in das ihn noch stützende Beine zu treten. Der Treffer saß präzise. Der Fremde stürzte hin, sofort, die Miene schmerzverzerrt. »Sie sollten mich in Ruhe lassen«, sagte Jin, so ruhig er konnte, doch sein Adrenalinpegel kletterte immer noch weiter. »Sie wissen nicht, was Sie da tun.« »Das weiß ich sehr genau«, ächzte der Mann. Mit einer zittrigen Hand wischte er sich das schweißfeuchte Haar aus dem Gesicht. Jin hatte eine Gänsehaut. Das aufgeregte, fast irrsinnige Funkeln in den Augen dieses Mannes sagte ihm, dass er es vielleicht wirklich wusste. Devil knurrte in ihm. Jin raffte alle geistige Kontrolle zusammen, alle Konzentration. Nicht jetzt. Sein Kontrahent nutzte den Moment, er zwang sich auf die Füße, drückte die malträtierten Knie durch. »Ich zeige es dir«, keuchte er. »dann verstehst du schon!« Jin schwankte plötzlich. Er fand nicht die mentale Kraft, den nächsten Hieb abzuwehren. Jäh spürte er die ganze Wucht der siebenschwänzigen Peitsche quer über seine Seite pflügen und das Fleisch aufreißen. Ein Schmerz wie reines Feuer, der alles in ihm versengte – sogar Devils Zorn. Es war, als ob dieser fast überirdische Schmerz sogar einen Moment lang stärker war als Devil – als würde in den sieben Dornen eine Macht wohnen, die den Dämon betäubte. Aber sie betäubte auch Jin. Seitwärts taumelnd drehte er sich nach dem Fremden um, ging ihn an, fast blind, ohne Hoffnung, ihn überhaupt zu treffen. Sein Angreifer sah die Bewegung kommen, doch er ließ die Peitsche fallen, warf sie geradezu von sich. Stattdessen schnellte die fleckige Hand zur Jackentasche und von dort wieder zurück. Jin spürte den kräftigen Fausthieb in seine eigene ungeschützte Seite. Der Schmerz war wie eine Explosion und riss ihm die Luft aus dem Körper. Jins Hände jagten hoch zu der getroffenen Stelle, die sich warm und nass anfühlte. Keuchend fiel er auf die Knie. Er hatte den Treffer für einen Faustschlag gehalten, doch nun sah er zwischen seinen Fingern dunkles, warmes Blut hervorquellen. Ein Messerstich. Eiseskälte befiel ihn und zugleich die schwarze Wut. »Das war ein Fehler!«, spie er seinem Gegner entgegen und fletschte die Zähne. Sein Herzschlag beschleunigte sich auf die Frequenz eines Presslufthammers. Hitze floss aus seinem Innersten bis in alle Zeh- und Fingerspitzen. Devil öffnete alle drei Augen weit. Vor ihm lag der andere Mann in seiner braunen Jacke auf dem Bauch, einen zugleich verschreckten und freudig erregten Blick in den leuchtenden Augen. Die tropfende Messerklinge zog eine Spur aus roten Flecken, als er die Hand zitternd wieder an den Körper zog. »Weigere dich nicht länger«, keuchte er. »Gib ihm nach!« Jin ging neben ihm zu Boden. Um Beherrschung und Bewusstsein ringend wand er sich auf dem kalten, von hundert Jahre altem Staub bedeckten Stein. Umsonst. Sein Blickfeld verengte sich, versank immer mehr in dunklem Violett. Seine Sehnen und Muskeln pulsierten von Feuer. Dann brachen die Dämme. Jin schrie heiser auf, als er endgültig die Kontrolle verlor und mit jeder Faser spürte, wie sein Bewusstsein in rotem Zorn ertrank. Dann wurde alles finster. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)