Demonheart von CaroZ ================================================================================ Kapitel 10: Akt II - Das Leben danach: 4-1 ------------------------------------------ 4-1: JIN Jin wurde wach, als die Spätwintersonne durch die gelben Fensterscheiben fiel und den ganzen Raum golden ausleuchtete. Noch im Liegen drehte er den Kopf und betrachtete das aufgeraute Glas; das außerordentliche Farbspiel war dem Winkel der einfallenden Lichtstrahlen zu verdanken und würde in wenigen Minuten vorüber sein. Jin schaute wieder geradeaus und sah Yuri, blass und zerzaust auf dem Rücken liegend und nur noch halb zugedeckt. Allem Anschein nach schlief er noch tief und fest. Der rote Stein, sein Talisman, glühte gegen das gelbe Licht an. Jin schlug seine Decke zurück und stand auf. Seine Stichwunde zwickte unter ihrem Verband, als er sich streckte, doch seine Gliedmaßen waren warm und geschmeidig. Dantes Couch war bequem genug, um erholsam darauf zu schlafen. Immerhin etwas. Zwischen den wenigen Dingen, die er mit auf die Reise genommen hatte, fischte er frische Wäsche hervor und ließ dabei den schlafenden Yuri nicht aus den Augen. Jin fragte sich, was er durchgemacht hatte. Verhört von der Polizei? Hoffentlich war er nur ein Kleingangster und kein Mörder oder Ähnliches. Vielleicht würde Dante mehr Informationen aus ihm herausbekommen und ihn dann ausliefern, sodass sie beide – Jin und Dante – sich endlich wieder auf das konzentrieren konnten, was Priorität hatte. Und Jin hoffte, dass das Devil war. Das Geräusch der Tür ließ ihn aufmerken. Dante kam hereingetrottet. Er war angezogen, aber sein Haar war nass und hing in dunkelgrauen, tropfenden Strähnen herab. »Morgen«, grüßte er lahm. »Duschen? Hab dir ein Handtuch hingelegt.« Er machte eine knappe Kopfbewegung hinter sich. Jin nickte zustimmend. Waschen war nach den gestrigen Erlebnissen ganz in seinem Sinne. »Du bist früh auf«, kommentierte er, während er mit seinen Sachen an Dante vorbei auf den Durchgang zum Rest der Wohnung zuhielt. Dante zuckte die Schultern. »Ich schlafe im Moment nicht besonders gut.« »Wegen deiner Partnerin.« Dante ignorierte den Kommentar und drückte ihm stattdessen im Vorbeigehen etwas in die Hand. »Hier, die haben mir einen frischen Verband für dich mitgegeben.« »Danke.« Jin durchschritt die kleine Küche, von der er bereits wusste, dass sich an sie das noch kleinere Badezimmer anschloss. In diesem angekommen verschloss er die Tür hinter sich und schaute durch das angekippte Fenster auf einen leeren, lichtbeschienenen Hinterhof. Die Luft in dem Raum war noch warm und feucht. Wie versprochen lag ein großes Handtuch auf dem Toilettendeckel neben dem Waschbecken, das an mehreren Stellen gesprungen war und aussah, als würde es jeden Moment auseinanderfallen; sein Rand trug eine dünne Staubschicht. Auf der anderen Seite der Toilette stand ein abgenutzter Wäschekorb, auf dessen geschlossenem Deckel zwei Zeitschriften lagen: oben eine Guns & Ammo vom Dezember 2007, darunter versteckt eine fünf Monate alte Ausgabe der Penthouse mit einer lüstern dreinschauenden Brünetten auf dem Cover. Insgesamt könnte es schlimmer sein. Als Jin den Verband vorsichtig abnahm, sah die Wunde, die darunter zum Vorschein kam, alles andere als ästhetisch aus. Die Wundauflage war vollgesogen mit Blut und Sekreten. Dass sie nicht längst verheilt war, blieb unerklärlich für ihn. Während Jin sich vorsichtig wusch, dachte er an den Mann in der Kapelle zurück, der ihn erst so freundlich angesprochen hatte und kurz darauf mit Geißel und Klappmesser auf ihn losgegangen war. Es war also derselbe, der Dantes Partnerin entführt hatte. Wieso hatte er Jin sofort geglaubt, dass er besessen war, und gleich im nächsten Moment versucht, Devil aus ihm herauszupeitschen? Was für ein Mensch war das? Was wollte er? Dante musste sich dazu äußern. Wenn er Jins Kooperation wollte, dann musste er alle Karten auf den Tisch legen. Nach ausgiebigem Kontakt mit warmem Wasser fühlte Jin sich endlich besser. Mit der Sauberkeit kehrte auch so etwas wie Optimismus in seinen leidensmüden Geist zurück. Wieder im Wohnzimmer mühte er sich mit dem frischen Verband ab, nur um festzustellen, dass er sich unmöglich genug verrenken konnte, um ihn fest und sicher anzulegen. Nach mehreren frustrierten Versuchen trat schließlich Dante neben ihn, nahm ihm wortlos die aufgerollte Mullbinde aus der Hand und bedeutete Jin, die Wundauflage festzuhalten, während er sie abwickelte. Jin erduldete die unwillkommene Berührung einen Moment lang schweigend, dann sagte er: »Die Wunde … hätte heilen müssen, als Devil mich kontrolliert hat.« Sein Tonfall hatte beiläufig klingen sollen, doch er gab seine Verunsicherung preis. »Hm, so kenn ich es von Dämonen«, erwiderte Dante. »Aber in dem Fall war die Waffe präpariert. So was gibt’s – gewöhn dich dran.« Jin unterdrückte den Wunsch weiter zu fragen. Präpariert – womit? Bannzeichen? Vielleicht. Was verriet das über seinen Angreifer? Warum beschäftigte er sich mit solchen Dingen? Und woher hatte er gewusst … – »Wie sieht der Plan aus?«, fragte Jin. Dante wirkte abgelenkt. »Welcher Plan?« Offenbar beanspruchte das Anlegen eines Verbandes seine ganze Aufmerksamkeit. »Der Plan!«, erwiderte Jin ärgerlich. »Ich bin Ihr – dein Gefangener, und du willst mich wohl kaum für immer hier festhalten.« »Oh, der Plan, klar.« Dante sicherte den Verband, indem er das Ende der Mullbinde einfach unter eine der engeren Schlingen stopfte. »Um ehrlich zu sein: Ich hab noch keinen.« Jin wich einen großen Schritt vor ihm zurück und bückte sich mit zusammengepressten Lippen nach dem Hemd. So hatte er es sich nicht vorgestellt. »Mein Problem und dein Problem«, brummte er, »lassen sich vielleicht beide lösen.« »Wieso denkst du, dass ich ein Problem habe?«, erwiderte Dante ungerührt. »Wegen Trish? Die befreit sich schon.« »Das glaubst du nicht wirklich. Abgesehen von deiner schlechten Laune geht von dir negative Energie aus.« »Was?« Dante sah ihn, als hätte er einen schlechten Witz gehört. »Negative Energie? Oh nein. Komm mir jetzt nicht mit so was.« Doch dann entschied er offensichtlich, dass es nicht schaden würde, Jin einzuweihen, und erklärte nach einem langen Atemzug: »Ich hab schon länger Stress mit dem Typen, der dich abgestochen hat.« »Er hat offenbar mit Dämonen zu tun.« »Haha, kann man sagen. Er ist nur ein Mensch, aber er sucht einen Teufel, einen verdammt mächtigen. Aber damit er den erwecken kann, muss er Chaos stiften. Viel davon. Außerdem will er mich für irgendwas, und ich hab keine Ahnung, wofür. Normalerweise ist Trish unschlagbar darin, sich an solche Leute dranzuhängen und alles über sie rauszufinden. Sie hat eine Menge … Reize, wenn du verstehst. Aber diesmal … muss irgendwas schief gegangen sein.« Seine Miene war so bitter, dass sie seine aufgesetzte Gleichgültigkeit Lügen strafte. »Ich versteh’s nicht«, fuhr er leiser fort. »Die kann sich wehren. Und das meine ich so.« »Du glaubst zu wissen, wo sie ist«, mutmaßte Jin. »Pah, nicht wirklich. In gewisser Weise hat der Kerl mir mitgeteilt, wo sein Versteck ist, aber ich … hab nicht aufgepasst.« Das ergab Sinn. Dante war also nicht nur wütend auf Jin oder diesen Yuri oder sonst jemanden, sondern vordergründig auf sich selbst, weil er darin versagt hatte, jemanden zu beschützen. Mit diesem Gefühl war Jin bestens vertraut. Er empfand ein kurzes Aufflackern von Sympathie für Dante. »Was könnte er ihr tun?«, fragte er behutsam. »Nichts.« Dante schnaubte. »Denke ich. Er weiß genau, dass ich dann meine Contenance verliere und ihn kalt mache.« Als Dante ›kalt machen‹ sagte, konnte Jin den Groll, der von diesem rein äußerlich völlig entspannten Mann ausging, deutlich spüren. »Nun, wenn du mir mit Devil hilfst«, eröffnete er ihm und sah ihn fest an, »dann helfe ich dir, sie zu befreien. Egal wie. Was auch immer du brauchst, ich kann es beschaffen, auch wenn es sich nur um Informationen handelt. Sag mir einfach, was du brauchst.« »Soso.« Dantes Blick war kritisch. Er stützte das stoppelige Kinn auf die Faust. »Ich nehme an, für einen reichen Schnösel wie dich sind keine Türen verschlossen.« »So sieht es aus«, bestätigte Jin. »Na dann. Klingt nach ’nem Deal.« Dante schlenderte zurück zur Couch, ohne sich daran zu stören, dass auf der anderen immer noch Yuri lag und friedlich schlummerte. »Also gut. Reden wir über Devil. Du hast gesagt, dass du früher so was wie einen … guten Draht zu ihm hattest.« Jin seufzte und ließ sich neben Dante nieder, seine Bettdecke beiseite schiebend. »Ich denke, dass es sich dabei eher um eine unvollständige Verwandlung handelte.« Jin versuchte, diese Erfahrung in angemessene Worte zu kleiden, doch schon in seiner Muttersprache wäre ihm dies schwer gefallen. »Ich hatte seine Kraft und seine Flügel, ich konnte davon Gebrauch machen. Ich konnte seinen Hass spüren, aber ich hatte ihn unter Kontrolle, konnte ihn steuern. Meistens.« Er dachte schaudernd an jenen Moment, in dem nur der Gedanke an seine Mutter ihn davor bewahrt hatte, seinem Großvater das Genick zu brechen. »Seit er vollends erwacht ist, ist alles anders. Er hat sich weiterentwickelt. Die … Hörner, und das … Auge …« Nur aus Berichten Vertrauter wusste er, wie Devil Jin wirklich aussah. Er malte es sich abscheulich aus. »Was genau hat die erste Verwandlung ausgelöst?«, bohrte Dante weiter. »Dein Opa wollte dich töten. Wie?« »Er hat auf mich geschossen, und seine Leute auch. Er hat mich genau zwischen die Augen getroffen.« Dante hob die Brauen. »Oh, ein Kopfschuss. Nicht angenehm.« »Nein.« »Also, ich gebe zu, ich kenne keinen Teufel, der aussieht wie deiner, oder der macht, was deiner macht. Das könnte aber daran liegen, dass hier in den USA ganz andere Exemplare unterwegs sind als bei euch in Asien. Ist bei deinem Vater alles ganz genauso?« »Bei meinem Vater? Nein.« Jin knirschte mit den Zähnen beim Gedanken an Kazuya Mishima. »Er kann ihn kontrollieren. Und bei ihm sieht Devil ganz anders aus.« Dante zog, wie schon am Vortag, aus dem Papierstapel eine saubere Seite hervor. »Hier, mach mir eine Skizze.« »Ich kann nicht gut zeichnen.« Widerstrebend nahm Jin Stift und Zettel entgegen. »Ist mir egal. Kritzel irgendwas hin.« Etwas ungeschickt begann Jin seine Arbeit. Seine Finger zitterten leicht, und er hasste es. Dante betrachtete das Figürchen mit den fledermausartigen Flügeln und dem peitschenden Schwanz und kratzte sich dabei das Kinn. »Hmmm … komisch«, kommentierte er schließlich. »Bei deinem Vater sieht Devil verdammt europäisch aus. In mittelalterlichen Aufzeichnungen taucht genau die Sorte in krasser Überzahl auf.« »Ich weiß«, erwiderte Jin, »aber trotzdem habe ich Devil, was auch immer es ist, Vater geerbt. Mein Teufel und seiner sind Teile etwas Ganzem. Sie … ziehen sich an, spüren die Nähe des anderen und reagieren darauf.« »Teile vom gleichen.« Dante starrte grübelnd ins Leere und nickte langsam. »Ja, vielleicht sind sie irgendwie eins. Splitter von was Größerem. Das, was ihr Devil nennt, ist was Anderes als die jähzornigen Dinger, mit denen ihr euch die Körper teilt. Scheint ein eigenes Bewusstsein zu sein, eine Art Kollektiv. Und ihr seid damit infiziert, wie mit einem Virus.« »Ein Parasit«, murmelte Jin. Er rieb sich die Stirn und dachte darüber nach. »Gibt es das oft … dass Teufel ihre Gestalt von … Faktoren abhängig machen?« »Ja, kommt vor. Devils Anpassungsfähigkeit scheint Mimikry zu sein. Wenn er eine wahre Gestalt hat, dann kennt die offenbar keiner.« Die Erkenntnis, dass Devil besonders gut darin war, sich in seinem Wirtskörper festzuklammern, brachte Jin kein Stück weiter. »Ich will nichts mehr, als dieses widerwärtige Monster loszuwerden«, hörte er sich leise knurren. »Ich würde alles dafür tun. Alles.« »Was ist, wenn wir ihn nicht von dir trennen können?« Dantes Stimme klang nun beinahe sanft. »Wenn er ein Teil von dir ist … und du ohne ihn nicht überleben kannst?« »Dann werde ich sterben, wenn es nötig ist«, sagte Jin ruhig. All die Gedanken über das verhasste Monster in seinem Inneren ließen seinen Zorn hochkochen, doch nichts davon drang nach außen – nicht jetzt. Dante bedachte ihn mit einem merkwürdigen Blick, einer Mischung aus Sorge und Skepsis. »Du würdest dich wirklich umbringen, wenn es nicht anders ginge?« »Ich sagte doch, ich will es töten!« »Okay, das sehe ich«, sagte Dante ruhig. »Was würdest du tun?«, hörte Jin sich plötzlich bissig fragen. »Du bist Teufelsjäger. Was würdest du machen, wenn du eines Tages feststellst, dass du zur Hälfte ein Teufel bist?« Mühsam beherrscht stierte er in das viel zu gelassene Gesicht seines Gegenübers. Nein, der Kerl hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Dante schien ernsthaft darüber nachzudenken. Schließlich sagte er: »Wahrscheinlich wäre ich pissig.« Er rieb sich den Nacken, eine etwas ratlose Geste. »Tja, bevor dein Tod als Ultima ratio die Lösung wird, finden wir vielleicht was Angenehmeres. Ich mag’s nämlich nicht, Menschen umzuballern.« »Umballern«, wiederholte Jin grimmig. »Das bringt auch nichts. Mich als Devil Jin zu töten ist fast unmöglich. Wie gesagt habe ich durch die Verwandlung schon etliche Schüsse überlebt.« Dante lachte freudlos. »Wenn du behauptest, dass man Teufel nicht erschießen kann, wären Ebony und Ivory jetzt ziemlich beleidigt. Alles eine Frage der richtigen Waffe.« Jin bezweifelte, dass es so einfach war. Er hatte vieles unternommen, um Devil loszuwerfen, ihn wenigstens zu unterdrücken und kontrollierbar zu machen, doch das Monster hatte sich als äußerst widerstandsfähig erwiesen. Devil war einfach zu mächtig für Jin. Wenn es also damit enden sollte, dass er sein eigenes Leben opfern musste – und er hatte diese Möglichkeit durchaus schon in Erwägung gezogen und fürchtete sich nicht davor –, so hielt er Dante inzwischen immerhin für fähig, sicher zu stellen, dass Devil sein Ableben auch wirklich nicht überlebte. Nur die richtige Waffe … Jin fragte sich, wie viele solcher richtigen Waffen Dante allein in diesem Raum aufbewahrte. »Damit eins klar ist: Ich werde mich erst deines gehörnten Kumpels annehmen, wenn Trish wieder hier ist.« »Einverstanden.« Er war bereit, diese Verzögerung hinzunehmen. »Dann bist du jetzt dran mit Reden. Erzähl mir von dem Verrückten, der Trish … gefangen hat.« Er stolperte über den Namen; Konsonantencluster waren auch nach vielen Jahren Englisch noch herausfordernd. Dante gluckste amüsiert. »Sprich noch einmal ihren Namen falsch aus und ich nenne dich Jane.« In diesem Moment regte sich etwas auf dem Sofa, dessen Lehne ihnen und dem Schreibtisch zugekehrt war. Beide wandten sich danach um. Zuerst erschienen auf der Lehne zwei bleiche Hände, dann Yuris zerzauster Kopf. Er sah sie schief an. »Da bei eurem Gekabbel sowieso niemand pennen kann … Wollt ihr mir mal kurz erklären, worum’s hier eigentlich geht?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)