Demonheart von CaroZ ================================================================================ Kapitel 11: Akt II - Das Leben danach: 4-2 ------------------------------------------ 4-2: YURI Das Schlaflager auf der weichen Couch war zu Yuris vollster Zufriedenheit gewesen. Erholt, munter und ohne den erwarteten Hangover war er aus den Tiefen eines bleischwarzen Schlafs zurückgekehrt, wo Alice’ Gesicht ihn nicht hatte verfolgen können. Statt des Kummers, der ihn an den allermeisten Tagen zurück ins Bewusstsein riss, waren es die Stimmen der beiden Männer gewesen, die den Raum mit ihrer Präsenz füllten: die sonore, unerwartet tiefe Stimme von Jin Kazama, geprägt von einer angenehm heimeligen Melodie, und das hingekaute, breite Amerikanisch des Schwertschwingers, dessen Ton meistens gleichmütig und selten teilnahmsvoll klang. Jetzt war es an der Zeit, die Beiden auf sich aufmerksam zu machen. Herausfordernd sah Yuri über die Sofalehne hinweg in die wenig begeisterten Gesichter. »So, und wer magst du wohl sein, Möchtegern-Dämon?«, erkundigte sich der grobschlächtige Kerl (wie hieß er gleich? Dante?) und musterte Yuri prüfend. Der Blick gefiel Yuri nicht. Er war irgendwie unangenehm. »Hast mich ja doch nicht umgelegt«, gab er statt einer Antwort zurück. »Weich geworden?« Seit Alice’ Tod hatte seine Neigung zu patzigen Antworten deutlich nachgelassen, doch dieser herablassende Blick provozierte seinen Trotz. Er hatte absolut keine Lust, zu dem Typen nett zu sein, der ihn ohnmächtig gewürgt hatte. »Du sabberst gar nicht mehr«, stellte Dante lächelnd fest. Diese Antwort machte es nicht besser. »Warum bin ich nicht eingesperrt?« »Du bist eingesperrt. Jin hier und ich haben dir dein versifftes Shirt ausgezogen, also sei ein bisschen dankbar.« Dante zeigte auf Yuris nackte Brust. »Ach? Und wo ist es jetzt?« »Dürfte noch nass sein, so ausgiebig, wie du das vollgerotzt hast.« Der Versuch, bei ihm so etwas wie Verlegenheit hervorzurufen, beeindruckte Yuri nicht. »Du hast ja keine Ahnung, vor was für Leuten ich schon ganz nackt war«, sagte er lapidar. »Übrigens bleibe ich nur zum Frühstück, wenn’s genehm ist. Jin hat mir schon erzählt, dass ihr sowieso genug Probleme habt.« »Kann man so sagen.« Mit einer Lässigkeit, die vermutlich cool wirken sollte, schwang Dante sich von seinem Schreibtischstuhl und pflückte ein Stück festgenageltes Papier von der Wand. »Hier, schreib deinen Namen dazu. Danach reden wir darüber, wie lange du bleibst.« Yuri nahm den Zettel und parodierte genüsslich die übertrieben nonchalante Haltung des anderen, inklusive des selbstbewussten Lächelns, als er das Blatt zurückgab. Warum sah Jin eigentlich so unglücklich aus? »Du schreibst wie ein Mädchen«, kommentierte Dante die Handschrift. »Und ihr schreibt wohl alle nur in Blockschrift. Yuri?« Er schaute argwöhnisch drein. »Russe? Du hast gar keinen russischen Akzent.« »Nur Halbrusse. Kann kein Russisch.« »Und die andere Hälfte?« »Japaner.« »Ah, dann habt ihr ja was gemeinsam. Hat Jin dir auch gesagt, dass er der Typ ist, der die Kirche verwüstet hat?« In Jins teilnahmsloser Miene flackerte jäh Schuldbewusstsein auf. Yuri wurde klar, dass Dante keinen Witz gemacht hatte: Der so beherrscht aussehende, aber innerlich verbitterte junge Mann war offenbar wirklich so gefährlich, wie er in der vergangenen Nacht behauptet hatte. »Hat er nicht, aber ich nehm’s ihm ab. Dämonenkiller, du kannst übel zudrücken. Und ich dachte, die Polizei hier wäre brutal.« Yuri rieb sich demonstrativ den Hals. »Mit hier meinst du was genau – das Land oder die Zeit?«, hakte Dante spitzfindig nach. Yuri seufzte. Auch das noch. »Das mit der Zeitreisesache glaubt ihr mir bestimmt genauso wenig wie die Polizei.« »Wir müssen darüber reden«, ließ sich unerwartet Jin vernehmen. »Du meinst darüber, dass er aussieht wie ein Psychofreak?« Dante machte eine lahme Geste zu Yuri.»Nicht dass mich das stören würde.« Yuri ächzte im Geiste. »So wie ich jetzt aussehe, war ich ein Psychofreak.« Warum musste er immer an Klugscheißer geraten? Müde bot er an: »Ich erzähle euch, was ihr wissen wollt, okay? Aber … Könnten wir dabei irgendwas futtern?« Er fand die Frage absolut berechtigt. Nach einem extremen Energieverlust wieder Hunger zu bekommen fühlte sich beinahe an wie ein Fausthieb in den Magen – vor allem nach der zermürbenden Übelkeit vom Vorabend, bedingt durch den Hangover. »Dann will ich mal kein schlechter Gastgeber sein«, stimmte Dante zu und warf einen Seitenblick zu Jin, der ganz sicher an diesem Morgen noch keinen einzigen Gedanken an Essen verschwendet hatte. Dann schlenderte er lustlos Richtung Küche. »Auswahl wird nicht so üppig sein.« Was es zu essen gab, war Yuri ziemlich egal. Wer während eines Krieges durch Asien und Europa reiste, durfte keinen empfindlichen Magen haben. Seine Laune besserte sich, als Dante Butter und ein angeschnittenes Brot mit Kräutern zum Tisch brachte. Es sah nicht mehr ganz frisch aus, offenbar ein bisschen hart, aber einerlei. »Prima Idee, die Scheiben zu rösten«, fand er. »Erzähl das mal den Franzosen.« Er strich die Butter auf das Toast und beobachtete fasziniert, wie sie darauf vor sich hin schmolz. Es erinnerte ihn an sein erstes und letztes Frühstück in Florenz: Büffelmozzarella, ein Haufen knallroter Tomaten und dieses exzellente Gewürzbrot aus Ligurien. »Dann pack mal aus«, forderte ihn Dante auf, während sie aßen. »Wo kommst du her? Wo warst du, bevor du hier gelandet bist?« Yuri unterbrach das Kauen, um seine Erinnerungen zu sortieren. Seine Reise, mit und ohne Alice, hatte ihn bereits in die verschiedensten Winkel der Welt geführt. »Ich war in Anatolien, China, Japan, Frankreich, Deutschland, Italien, Wales, England, in der Schweiz, in Böhmen, Russland, Rumänien … und vielleicht hab ich noch was vergessen.« Er zuckte die Schultern und griff nach der nächsten Brotscheibe. »Bevor ich hier war, war ich in Japan. Glaub ich.« »Und aus welcher Zeit kommst du?«, fragte Jin behutsam. Anders als Dante stellte er seine Skepsis nicht offen zur Schau. Darauf eine Antwort zu geben war nicht ganz einfach; Yuri versuchte es trotzdem: »Ich war zuletzt im Jahr 1915 unterwegs«, antwortete er wahrheitsgemäß, auch auf die Gefahr hin, Dante niemals überzeugen zu können. »Mein Körper …« Er sah an sich hinab, seine blasshäutige, sehnige Gestalt, die schwarze Hose, die nackten Füße. »… äh, der … ist von 1913. Ich kann’s echt nicht erklären, aber ich war fast sechsundzwanzig Jahre alt, als ich … verschwunden bin. Jetzt bin ich wieder vierundzwanzig.« »Und das erkennst du an deinen Klamotten?«, vergewisserte sich Dante. »Ja.« Yuri dachte gar nicht daran, Dante zu sagen, dass er den hellbraunen Mantel, der da hinter ihm über der Sofalehne lag, zusammen mit seiner Freundin in Zürich begraben hatte. »Und wie bist du ohne Zeitmaschine hergekommen?« »Nennen wir’s einen üblen Hirnfick.« Eine freundlichere Umschreibung dafür hatte nicht parat. Er sah, wie Jin angesichts der obszönen Ausdrucksweise missbilligend wegschaute. »Soso. Und plötzlich warst du einfach hier in der Stadt, umringt von Cops …« »Nein, ich habe versucht, Hilfe zu finden«, korrigierte Yuri und erinnerte sich an das unangenehme Verhör auf der Polizeistation. Der kalte, verglaste Raum ihm Abscheu eingeflößt, fast im gleichen Maße wie die Nervenheilanstalt in London. »Ich war nett zu denen, bis sie angefangen haben, mir Spritzen zu geben.« »Sehe ich ein«, nickte Dante. »Aber die große Frage ist: Wie bist du aus dem Department entkommen? Ich weiß, wie’s da drinnen aussieht. Einfach zur Tür rausmarschieren ist nicht.« »Ich bin …« Yuri stockte. Die Wahrheit war gefährlich. Er konnte diesen beiden seltsamen Fremden gegenüber nicht enthüllen, wer er wirklich war und was er tun konnte. Nicht jetzt. Nicht heute. »… aus dem Fenster gesprungen«, endete er und erwiderte die scharfen Blicke unverwandt. »Ich weiß, klingt abgedreht, aber ich kann ziemlich gut klettern. Du hast ja gesehen, dass ich auch ohne Hilfe aufs Dach gekommen bin.« Yuri starrte Dante an, so überzeugend wie möglich. Was Jin dachte, war egal, aber Dante musste die Story kaufen, sonst würde Yuri noch heute wieder auf diesem ätzenden Stuhl landen, die Handgelenke in neuzeitlichen, unauslotbaren Metallfesseln. Nach einer gefühlten Ewigkeit befand Dante: »Hört sich für mich wie die traurige Wahrheit an.« Seelenruhig tupfte er den Rest seines Brotstücks in die Butter. »Trotzdem wär ich dankbar für irgendeine Art von … Beweis, wenn du verstehst.« »Beweis?« Yuri witterte eine Chance. »Klar. Geh zu deinen Polizeifreunden. Die haben nämlich noch meinen Pass. Und meine Waffen.« Durch Dantes stahlblaue Augen huschte ein Funkeln. Das interessierte ihn offenbar. Da schaltete sich Jin ein – es kam wie gerufen – und fragte den Jäger skeptisch: »Würden die dir seine Sachen einfach geben, wenn du es verlangst?« Dante schnaubte. »Na sicher. Ich hab einen Deal mit denen. Um Dämonen kümmere ich mich, und sie haben dich mir aufgedrückt.« Dann änderte sich seine Miene, und er fügte listig hinzu: »Heißt nicht, dass ich sofort losrenne. Gut gepokert, Hyuga, aber nein, ich lasse euch nicht hier alleine.« Yuri unterdrückte mühsam einen Laut der Enttäuschung. Leider war Dante wirklich nicht blöd, auch wenn seine Überheblichkeit frustrierend war. Auf Jin, das wusste er, brauchte er auch nicht zu setzen, denn der war ein Gefangener wie er. Dante begann damit, das, was von ihrem Frühstück übrig war, wieder auf das hölzerne Teetablett zu stapeln, und räumte dabei wohlwollend ein: »Ein bisschen wie ein Zeitreisender siehst du schon aus. Deine Klamotten sind … originell.« »Das sagt ja der Richtige. Halt, warte!«, fügte Yuri hinzu, denn in diesem Moment kam ihm ein Gedanke. Hastig griff nach seinem Mantel, der hinter ihm über der Lehne hing. Irgendwo war doch sicherlich noch … Er stopfte die Hand in die rechte, dann in die linke Tasche. Aber hätten die Polizisten nicht bemerkt, wenn da noch …? Nein, da auch nicht … Dann entsann er sich, warf den Mantel beiseite und langte stattdessen in die linke Tasche seiner Hose. Und da war es, das runde, metallene Gewicht, angewärmt durch die Körperwärme. »Da! Bitte!« Triumphierend hielt er die Taschenuhr hoch wie einen wiedergefundenen Schatz. Ehe er reagieren konnte, hatte Dante seine Hand gepackt und ihm die Uhr abgenommen. Skeptisch betrachtete er sie, drehte sie in den Fingern, sodass das Licht über die feinen Ziselierungen des Messings floss. »Okay, die ist … wirklich … alt.« Yuri grinste selbstzufrieden. »Sie gehörte einem britischen Magier, der mit Zeit experimentiert hat. Ich hab sie durch Zufall in die Hände bekommen.« »Schöne Antiquität«, gab Dante zu. »Sie muss älter als hundert Jahre sein, es ist kein Logo der Manufaktur eingraviert. Schade, dass sie nicht läuft.« »Wie, sie läuft nicht?« Yuri beugte sich vor. Tatsächlich: Die beiden schlanken Zeiger standen still. Und zwar auf genau halb sechs. »Komisch, bisher lief sie immer. Und zwar perfekt. Hat sie die Zeitverwirrungen, in die ich geraten bin, wohl nicht überstanden.« »Soll ich sie aufziehen?«, bot Dante an. »Aber vorsichtig, die Aufzugskrone ist locker.« Am liebsten hätte Yuri ihm die Uhr wieder weggenommen. Das fehlte ihm noch, dass dieser Idiot sie kaputt machte. Lauernd sah er zu, wie Dante vorsichtig die Krone zwischen den Fingerspitzen drehte, um die Feder zu spannen. Doch keine drei Umdrehungen später sprangen plötzlich die Zeiger an und rasten los. »Nanu …« Dante legte die Uhr auf den Tisch, und sie beugten sich über sie. Sobald die Zeiger genau zwölf Uhr anzeigten, begann die Taschenuhr munter zu ticken, völlig normal, als sei nichts gewesen. Yuri ließ den angehaltenen Atem entweichen. »Ich geb zu, manchmal ist mir das Ding unheimlich.« »Jedenfalls ist es nicht zwölf.« Dante griff erneut nach der Uhr und drehte an der Stellkrone. Erfolglos. Die Zeiger reagierten nicht. Unbehelligt tickte die Taschenuhr weiter; dabei sah es aus, als bewegte sich alles auf dem Ziffernblatt viel zu langsam. Die Sekunden waren eindeutig länger, als sie sein sollten … »Du hast sie doch kaputt gekriegt«, murrte Yuri. »Hätte ich ja ahnen können. Du kannst alles nur grob anpacken, wie? Leute und ihre Sachen!« Unsanft entriss er Dante seine Uhr und schob sie wieder in die Hosentasche. »Und was jetzt? Ich sag die Wahrheit. Kann ich jetzt gehen?« Dante kreuzte die Arme vor der breiten Brust. »Und wie, wenn ich fragen darf, kommst du zurück in deine Zeit? Ein Raumschiff? Eine Wand zum Durchgehen?« »Lass das mal meine Sorge sein!«, gab Yuri bissig zurück. Er hatte jetzt wirklich die Nase voll. »Ich kann dich nicht draußen rumhopsen lassen. Genauso wenig wie den.« Dante nickte zu Jin. Der konnte einem richtig leid tun, so einsam und verbittert, wie er aussah. Yuri wollte etwas zu Jin sagen, doch auf einmal klingelte das Telefon auf dem Schreibtisch, und das scheppernde Geräusch ließ alle Drei erstarren. Das Klingeln war genauso schrecklich wie in seiner eigenen Zeit, fand Yuri. In Sachen Kommunikationstechnik hatte sich anscheinend nicht viel verändert. »Wieso gehst du nicht ran?«, fragte er Dante. »Weil die beiden letzten Male die Polizei dran war. Ich will nicht noch jemanden einsammeln müssen.« Doch als das Telefon zum vierten Mal klingelte, biss Dante die Zähne so fest zusammen, dass seine Kiefermuskeln hervortraten, und war in zwei großen Sätzen bei seinem Schreibtisch, um den Hörer abzunehmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)