Demonheart von CaroZ ================================================================================ Kapitel 14: Akt III - Der Schacht: 5-2 -------------------------------------- 5-2: DANTE Über der Stadt stieg zäher Nebel auf, der die waldbedeckten Spitzen der Hügel, die im Osten hinter den Hochhäusern aufragten, in Watte hüllte. Der Himmel darüber war deckweiß, undurchbrochen von Lichtstrahlen wie eine Glocke aus Milchglas. Gegen die unerwartet beißende Kälte – im Februar kam einem der Winter immer besonders zäh vor – schlug Dante das Revers seines Mantels höher und betrachtete halbherzig seinen Atem, der in Wolken wie der Hauch eines Drachen aus seinen Lungen zurückkehrte. Er erinnerte sich jetzt sehr genau, woher er die unheimliche, monotone Geräuschkulisse auf dem Tonband kannte. Damals hatte ihn einer seiner Einsätze in den Schacht geführt, hinunter in die Eingeweide einer riesigen Förder- und Verarbeitungsanlage, die um ihn herum zu atmen schien und nicht nur von stetigem Klicken, Summen und Wispern, sondern auch von Schatten erfüllt gewesen war, die in den Ecken starrten und einem listig nachglotzten. Zwischen blinkenden Lichtern, ratternden Fließbändern und feinen Gaswölkchen waren Arbeiter herumgerannt, mit geweiteten Augen und schweißglänzender Haut; ihre Hände hatten gezittert, während sie ihr ödes Handwerk verrichteten, ständig hatten sie sich umgesehen, jeden Winkel scharf beobachtet, hastige Schritte von einer Seite ihres Arbeitsraumes zur anderen. Wir können so nicht arbeiten!, hatte einer von ihnen sich beklagt, als Chief Fordham mit einigen seiner Männer angerückt war. Es spukt! Ich kann’s nicht erklären. Hier zu arbeiten ist die Hölle, glauben Sie mir. Die Leute sind kurz vorm Durchdrehen! Dante, noch ziemlich jung damals, hatte sich fast geschämt für seine freudige Erregung, aber nur fast. Hier, im Inneren dieses riesigen, zitternden Ungetüms aus Metall und Kunststoff, witterte er so viel dämonische Präsenz, dass seine Fingerspitzen kribbelten und seine Zunge trocken war, und es erfüllte ihn mit fast sadistischer Vorfreude auf das Gemetzel, das er hier anrichten würde, sobald die gesamte Förderungsanlage geräumt und er auf die lauernden Teufel losgelassen worden war. Als dieser Moment dann irgendwann kam, spazierte er allein durch die verlassenen Gänge, die Pistolen erhoben, bereit, auf alles zu feuern, was ihm in den Weg sprang. Die Berichte der verängstigten Arbeiter waren noch lebendig in seinem Gedächtnis; hier am Zerteiler hatte irgendein Typ vier seiner Finger verloren, als die Trennmesser über einem eigentlich vom Strom entkoppelten Förderband auf seiner Hand niedergegangen waren; hinten war so eine alte Dame – Mrs. Pickley? – von einem Schlagbolzen, der sich nicht hätte bewegen sollen, an der Schläfe getroffen worden, was ihr glatt den Schädel gespalten hatte. Hier unten verdiente jemand eine Tracht Prügel. Neben Rückständen von Öl, Reinigungsmitteln und ihm unbekannten Chemikalien klebte auf den Arbeitsflächen immer wieder Blut, schwarz und verkrustet. Verspritzt bei einem Unfall, der nicht hätte möglich sein dürfen. Was auch immer das formlose Böse war, das in den Schatten Geräte und Hebel bewegte und Menschen zu Tode brachte, es war weder zu sehen noch zu hören, zu fühlen, und auch Dante fühlte es, als er durch die tickenden Tunnel streifte, die Ohren erfüllt vom Hall seiner Schritte, dem Rauschen seines Blutes und dem Zischen seines beschleunigten Atems. Etwas war hier. Sein innerer Sensor spielte verrückt, wann immer es eine unsichtbare Klaue nach ihm ausstreckte, und veranlasste ihn sogar, ziellose Schüsse abzugeben, die Wände durchlöcherten, Ketten zersprengten und Funken aufspringen ließen, ohne dem namenlosen Ungeheuer etwas anzuhaben. Nach mehreren Stunden aussichtsloser Jagd war Dante mit seinen Möglichkeiten am Ende. Was hier spukte – welcher Herkunft auch immer es war –, konnte er nicht verletzen. Hinter seinem Rücken gerieten Dinge in Bewegung, begannen Geräte zu summen und Räder sich zu drehen, doch sobald er sich umwandte, hörte alles wieder auf und lag in dumpfer Stille an seinem Platz wie zuvor. Schließlich hatte er aufgeben müssen. Mental erschöpft und ernstlich frustriert war er aus dem Labyrinth aus Widernatürlichkeit zurückgekehrt, weg von einem Ort, der das Echo seiner Tritte sowieso bald vergaß. Jetzt musste er herausfinden, was aus der Anlage geworden war. Fordham hatte ihm mitgeteilt, sie wäre irgendwo am Stadtrand, weit abseits menschlicher Behausungen, in der lehmigen, schwarzen Erde, auf der spießdünne Koniferen wuchsen, versenkt worden. Begraben in einer Tiefe, die kein Sarg auf dem Friedhof je gesehen hatte. Geschah dem -Ding nur recht. Und doch … Genau dort musste er jetzt hin. Auf der Polizeistation warf man Dante lediglich desinteressierte Blicke zu; die meisten hatten ihn hier schon gesehen, seit der Kooperationsvertrag bestand, und wussten, dass sein Weg direkt zur verschlossenen Bürotür des Chiefs führte. Lustlos hieb Dante seine Fingerknöchel gegen das hell lackierte Eichenholz und wartete auf eine Antwort. Vermutlich lag Fordham in seinem Sessel und hielt ein Nickerchen, nachdem er die frischen Fälle begutachtet hatte. Dafür konnte Dante reichlich Verständnis aufbringen, doch zu warten hatte er jetzt keine Lust, schließlich war es riskant genug, seine eigenen beiden Problemfälle allein in der Wohnung zu lassen. »Kann gerade nicht«, drang Fordhams Brummen aus dem Inneren. »Doch doch, du kannst.« »Dante? Ach, verflucht.« Es war zu hören, wie der Chief in seinem Bürostuhl zur Tür rollte, um den Schlüssel zu drehen. »Ist offen.« Dante trat ein und schloss die Tür hinter sich. Von Fordhams Vorliebe für kubanische Zigarren rührte ein penetranter Tabakgeruch her, der sich mit dem moschusartigen Aroma von Polizistenschweiß vermischte. Das weiß gestrichene Büro war eng und mit Aktenordnern vollgestopft. Die Unordnung auf dem Schreibtisch ließ Dante völlig kalt; seine Abneigung gegen das Aufräumen war einer der wenigen Wesenszüge, die er mit dem Chief teilte. Fordham, tief in seinen Stuhl gesunken, bot seinem Besucher mit einer Geste an, Platz zu nehmen, aber Dante lehnte mit einem Kopfschütteln ab. »Na, dann nicht. Was kann ich für dich tun?« Fordham war brummig wie immer, umso mehr, da er in seiner Pause gestört worden war. »Ich brauche Informationen.« »Na so was.« Der Chief musterte ihn in einer Mischung aus Verstimmung und Langeweile, dann beugte er sich vor, schnupperte und schaute finster. »Du fängst also jetzt schon morgens mit dem Saufen an, was? Riecht ja wie Benzin.« »Ein guter Tropfen, den du dir bei deiner Bezahlung niemals gönnen würdest. Du weißt, dass ich mich nicht betrinke, egal ob morgens oder abends. Als ob’s dich interessiert.« Fordham schnaubte. »Ich hab keine Lust, mich mit dir zu streiten. Was willst du?« »Ich brauche einen Plan vom Schacht. Oh, und die genauen Koordinaten, wo ich das Teil finde.« Fordham hob eine Braue. »Von welchem Schacht?« »Von dem Schacht«, erklärte Dante ungeduldig. »Du weißt, was ich meine. Keiner kann sich merken, wie das Ding richtig heißt.« Fordhams Brauen zogen sich finster zusammen. »Das Ding heißt GRITT-D674, die meisten wissen das noch sehr genau.« Er machte ein Gesicht, als hätte man ihm etwas Stacheliges in den Hintern gesteckt. »Muss dich enttäuschen. Ich weiß nicht, wo das verbuddelt ist. Wieso fragst du danach, Mann? Wollten wir diese Scheiße nicht alle vergessen?« »Schon«, gab Dante bereitwillig zu, »aber ich hab Grund zur Annahme, dass dort … er hockt.« »Er? Du meinst Sarris? Jagst du den etwa immer noch? Dante …« Der Chief beugte sich vor wie ein Großvater, der seinem Enkel einen weisen Rat mit auf den Weg gibt. »… hör mal zu. Ich weiß, die Nummer mit dem toten Mädchen hat sogar dich als harten Kerl, naja, umgeholzt. Du kannst trotzdem nicht einfach mit Selbstjustiz anfangen. Könnte dich nämlich wirklich hinter Gitter bringen.« Dante fragte sich etwas angewidert, was das sollte. Fordham hatte sich von Anfang an geweigert, ihn zu unterstützen. Er riss sich zusammen und fragte ruhig: »Dass du einen Plan vom Schacht hast, weiß ich genau. Rückst du den wenigstens raus?« »Wenn’s sein muss. Der wird dir aber nichts nützen. Die Stelle, wo das Ding beerdigt liegt, ist geheim. Nicht mal ich hab Zugang zu der Info. Nachher kommen noch irgendwelche blödärschigen Abenteurer und verschwinden für immer da drinnen.« Schwerfällig erhob er sich aus dem Bürostuhl. »Ich hol ihn dir aus dem Polizeiarchiv, und dann ziehst du Leine, alles klar?« Obwohl er das Gebäude gar nicht verlassen würde, patschte er den albernen Rangerhut auf seinen halbkahlen Schädel. »Wenn du schon dabei bist«, gab Dante ihm mit auf den Weg, »ich will das Zeug, das ihr dem komischen Typen gestern abgenommen habt. Seine Papiere und die Waffen.« »Pah! Vergiss es. Die Papiere kannst du haben, aber die Waffen bleiben hier. Mann, hast du diese Dinger gesehen? Das sind Schlagringe mit scharfen Messern dran, damit kann man jemandem den Kopf abschneiden!« »Du weißt, auf so was kann ich aufpassen.« »Auf keinen Fall. Das sind gefährliche Dinger, die sind beschlagnahmt.« »Er hat nichts angestellt damit. Rück sie raus.« »Sonst was?«, fragte der Chief ungehalten. Dante zuckte die Schultern und tat so, als würde er scharf nachdenken. »Hmm. Könnte sein, dass sonst die Typen vom NYPD erfahren, dass deine Leute einen Verdächtigen im Verhör mit Thiopenthal gequält haben. Hast dich wohl nicht gefragt, wieso der gesabbert hat wie ein Bernhardiner?« Fordham drehte sich zu ihm um, und seine Augen quollen fast aus ihren Höhlen. »Verdammte Scheiße.« »Bestimmt steht ›Verdacht auf Drogen‹ sogar im Fallbericht deiner Sanis, also …« »Ist ja gut!«, schnaufte der Chief. »Du kriegst das Zeug! Bah, dass ich mich echt immer wieder von einem unter Druck setzen lassen muss, der sich schon morgens Whisky reinkippt! Dreck, verdammter!« Er stolperte durch die Bürotür und schlug sie hinter sich zu, seinen Gast zurücklassend. Dante horchte noch einen Moment lang zufrieden in den leeren Raum; dann, als die Schritte verklungen waren, schlenderte er gemächlich zu Fordhams Schreibtisch, ließ sich in den Bürostuhl sinken und legte entspannt beide Füße auf die Arbeitsfläche. Nun brauchte er nur noch zu warten, dass man ihm das brachte, was er haben wollte. Der Gebäudeplan von GRITT-D674 war derselbe, den Dante vor fast zehn Jahren schon in Händen gehalten hatte. Der linke Rand war ausgefranst, wo einer von Fordhams Leuten mit einer hektischen Bewegung einem der dreckstarrenden Messer in der Zerlegungshalle zu nahe gekommen war; in der Mitte, wo alle Knickfalten zusammenliefen, prangte ein Loch und machte den Namen einer eingezeichneten Sektion unleserlich; in der linken oberen Ecke verdunkelte ein Fleck von Getriebeöl einen kreisrunden Bereich, nach der langen Zeit immer noch schmierig glänzend. Damals hatte Dante genau darauf geachtet, bei seiner Inspektion keinen der Gänge auszulassen, und hatte dennoch nichts gefunden, das die unheimlichen Vorfälle erklären konnte. Er hasste es, einen Fall nicht lösen zu können. Einer Herausforderung nicht gewachsen zu sein. Dieses Stück Papier in seinen behandschuhten Fingern war für ihn das Symbol einer Niederlage, die er wirklich nur allzu gerne vergessen hätte. Möglich, dass Sarris das wusste. Er wusste ohnehin viel zu viel. »Hier, Pappnase, das andere Zeug, das du wolltest. Und jetzt runter von meinem Stuhl!« Dante erhob sich wie ein Zeitlupe, noch immer auf den speckigen Plan starrend, und ließ stoisch zu, dass Fordham ihn beiseite schob. Wo in diesem Labyrinth mochte Sarris mit Trish hocken? »He!« Dante sah hoch. Fordham schob ihm über die zerkratzte Schreibtischfläche diverse Dinge zu, und zwar einen kleinen, fadenscheinigen Baumwollbeutel, ein paar ausländisch aussehende Münzen, ein Ledermäppchen, das genauso mitgenommen aussah wie Yuris Mantel, und außerdem, gehüllt in einen durchsichtigen Plastikbeutel wie kontaminierte Gefahrensubstanz, ein Paar klingenbewehrter Schlagringe. Letztere erregten blitzartig Dantes Aufmerksamkeit. Seine Sinne reagierten auf das stahlblaue, bösartige Schimmern des Metalls und das unheimliche Lied, das es ihm vorsang. Er wusste augenblicklich, worum es sich bei dieser Waffe handelte, und kämpfte den wilden Drang nieder, sie breit anzugrinsen. »Nett von dir«, sagte er knapp, legte seine Hand auf die furchtbaren Waffen – vielleicht eine Spur zu schnell, als dass es nicht auffällig gewesen wäre –, und zog sie zusammen mit dem ganzen kleinen Haufen an Gegenständen zu sich heran. Fordham murrte etwas, dem er keine Beachtung schenkte. »Ich bin dann weg«, ließ er den Chief wissen und kehrte dessen Büro erleichtert den Rücken. Den Plastikbeutel hielt er fester mit der Faust umfasst, als es nötig gewesen wäre. Sich entfernend hörte er noch, wie Fordham von innen wieder den Riegel vorschob, um sich vermutlich einem weiteren Nickerchen hinzugeben. Sobald Dante das Police Department verlassen hatte und wieder auf dem mit gelblich-welkem Laub bedeckten Asphalt des Fußweges stand, griff er in den Plastikbeutel und zog einen der Schlagringe heraus. Die blanken Oberflächen der Zwillingsklingen, die zwischen den Einbuchtungen für die Finger herausragten, spiegelten das neblige Licht gespenstisch wider. Dante lächelte, von einem Gefühl der Befriedigung erfüllt, als seine Fingerspitzen über das Metall glitten. Diese Waffe sang zu ihm, wie Rebellion zu ihm sang, und seine sensiblen Sinne empfingen die betörende Weise weit besser, als Yuris es jemals könnten. Gut möglich, dass der Kerl völlig ahnungslos war, was er da besaß und benutzte wie eine gewöhnliche Waffe. Aber irgendwie glaubte Dante nicht daran. Geschmeidig ließ er die Finger seiner rechten Hand in die Löcher gleiten. Sofort wurde das Lied lauter, schwoll ein Choral aus Stimmen in seinem Kopf an, erfüllte ihn von der Sohle bis zum Scheitel mit seinem mächtigen Gesang. Dante schauderte freudig unter der Gewalt und Macht, die seine Hand in der Waffe zum Leben erweckt hatte, doch sollte er sich der Euphorie hier draußen besser nicht allzu sehr hingeben. Unauffällig ging er ein paar Schritte weiter, ehe er die Faust ballte und einmal kräftig in die kalte, leere Luft schlug. Der blaue Schweif, den die blitzenden Klingen ausspien, leuchtete so kraftvoll, dass Dante hastig die bewaffnete Hand unter den Mantel schlug und sich nach allen Seiten umsah. Niemand da, der das Spektakel beobachten konnte. Gut so. Er war grimmig erfreut, wie brutal und schön diese Waffe auf ihn reagierte, wie sie einen Impuls ihrer entsetzlichen Energie durch seinen Arm feuerte, als er ein zweites Mal ins Nichts hieb. Er stieß einen leisen, bewundernden Pfiff aus. Es war unmöglich, dass ein gewöhnlicher Mensch dieses Ungeheuer beherrschte. Yuri konnte sie nicht wirklich als Waffe verwendet haben, das war ausgeschlossen. Es sei denn … Nein. Sicher nicht. Nicht wirklich. Ich hätte was gemerkt. Es wär mir nicht durch die Lappen gegangen, wenn er … Dante hob die Brauen und rieb sich mit der freien Hand die Stirn, wo vom Wind umher gezauste Haarsträhnen ihn kitzelten. Zumindest eins war sicher: Nicht nur Jin war seltsam. Auch mit Yuri stimmte etwas nicht. Dante würde dieser Sache auf den Grund gehen müssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)