Demonheart von CaroZ ================================================================================ Kapitel 18: Intermezzo I: 6-3 ----------------------------- 6-3: DANTE »Warum starrst du mich eigentlich so blöd von der Seite an, seit wir auf dem Rückweg sind?«, fragte Yuri. Dante zuckte die Schultern und betrachtete den anderen Mann, der lässig neben ihm her schlenderte und wie eine Wühlmaus aussah. »Ich komm nicht drauf raus«, gab er zu, während sie gemächlich die Straße zum Devil May Cry hinunter trotteten, »dass du mit Teufelswaffen umgehen kannst. Ehrlich, du solltest das nicht können.« Wie erwartet setzte Yuri sein übliches Grinsen auf, das eine Mischung aus Arroganz, Verschlagenheit und gewöhnlichem Irrsinn spiegelte. »Lässt dir keine Ruhe, huh? Theorien?« »Du könntest ein gut getarnter Zauberer sein. Ziemlich gut getarnt.« »Falsch. Bin total unbegabt.« »Oder ein Dämon.« »Ach komm, das hatten wir doch schon.« Dante zuckte wieder die Schultern. »Mehr hab ich nicht.« »Und du willst ein Experte sein?«, frotzelte Yuri. »Muss irgendwas ganz Seltenes sein, das mir noch nie begegnet ist.« Dante mochte es nicht, wenn man seine Professionalität anzweifelte. »Selten, ja, das stimmt sogar.« »Ich krieg’s schon noch raus.« »Viel Spaß beim Suchen.« Sie erreichten das Büro. Dicht beim Eingang stand im Nieselregen Dantes Motorrad, das Yuri bei ihrem Aufbruch mit neugieriger Scheu beäugt hatte. Sicher hatte er noch nie ein motorisiertes Zweirad gesehen. Geistesabwesend hielt Dante dem Anderen die Tür auf. Sollte Yuri doch zuerst in Jins Klauen rennen. Ob der Kerl immer noch sauer war? Nett war es nicht gerade gewesen, ihn hierzulassen. Ursprünglich hatte Dante vorgehabt, Jin alle Freiheiten einzuräumen, wie es der Deal gebot, doch Yuri dabei zu haben war wichtiger gewesen. Erstens wollte Dante ihn noch weniger aus den Augen lassen als Jin, weil der Typ einerseits nicht ganz dicht war und sich andererseits nicht zurecht fand, zweitens kannte Yuri sich mit der Bekämpfung von Teufeln aus, woher auch immer, war bewaffnet und konnte sich verteidigen und barg auch nicht das Risiko, sich plötzlich Hörner und Schwingen wachsen zu lassen und das nächste Gebäude dem Erdboden gleichzumachen. Yuri war im Türrahmen stehen geblieben und sah sich ratlos im Büro um. »Jin?«, rief er versuchsweise. Dante schob ihn nach drinnen. »Mach dir nicht ins Hemd.« »Ich glaub, der ist weg.« »Wie, weg?« Automatisch hob Dante auf der Türschwelle den Kopf und sah über die Neonschrift hinweg zum Dach hinauf. Im Vordergrund des bewölkten Himmels hätte Jins Gestalt sich sichtbar abzeichnen müssen. Wenn sie da gewesen wäre. »Abgehauen, wie?« »Deine Tür hält eben nichts aus.« Es war müßig, das Devil May Cry auf den Kopf zu stellen. Nicht nur Jin war weg, sondern auch alles, was er bei sich gehabt hatte. »So eine Kacke. Hab gerade angefangen, ihn zu mögen«, ließ Yuri mürrisch verlauten und warf eins der Sofakissen gegen die Wand. Dante musste sich eingestehen, dass er etwas perplex war. Natürlich war ihm klar gewesen, dass eine abgeschlossene Tür Jin, wenn er wirklich gehen wollte, genauso wenig davon abhalten konnte wie ihn selbst oder Yuri; gleichwohl hatte er fest an Jins Vernunft geglaubt und nicht wirklich damit gerechnet, die Wohnung leer vorzufinden. Schließlich hatte er sich um Jin gekümmert, ihm seine Hilfe zugesichert. Nun war er ratlos. »Hey, Dante.« Yuri stach ihm einen Finger in die Seite. »Was?« »Der Kasten an deinem Telefon. Das rote Licht blinkt.« Natürlich, er hatte das Aufzeichnungsgerät ständig in Betrieb, um sämtliche Drohanrufe aufzubewahren – gegebenenfalls für die Cops, sollten sie doch noch jemals ihre Ärsche hochkriegen. »Dann hören wir uns doch mal an, was Herr Kronprinz zuletzt für Gespräche geführt hat.« Yuri sah ihm fasziniert zu, wie er die Kiste zu sich heranzog. »Das ist also auch auf dem Band?« »Eigentlich sollen Leute, die mich anrufen, wenn ich nicht da bin, einfach sagen, was sie wollen. Aber seit Trish weg ist, zeichne ich alle Anrufe auf, weil – … du weißt schon, falls später irgendwas davon nützlich wird.« Dante drückte die REWARDS-Taste und sah zu, wie das Band auf den Spulen zurücklief. »Wenn du nicht rangehst, wissen die Leute also trotzdem, dass sie was sagen sollen?« »Man kann selber eine Nachricht aufnehmen, die den Leuten das sagt. Ich hab aber keine. Nur einen Signalton.« Er hatte keine Lust gehabt, eine Bandansage aufzunehmen. Trish mit ihrer sexy Stimme wäre eindeutig besser dafür geeignet. Hier Devil May Cry, wir sind gerade nicht zu Hause, weil wir ein paar Dämonen in den Arsch treten. Sie können uns aber eine Nachricht hinterlassen, dann rufen wir Sie zurück. Oder auch nicht. Nun, vielleicht ließ Trish sich noch dazu herab, wenn das hier vorbei war. Das spulende Band stoppte und sprang auf START. ›Ernüchternd‹ wäre ein Euphemismus gewesen für das, was sie von dem Band zu hören bekamen. Es war schlicht unbeschreiblich. Auch Yuri sah beeindruckt aus. Er hockte auf dem Sofa, einen Arm um die angezogenen Knie geschlungen und die Augen voll düsterer Erkenntnis. Keinen einzigen Kommentar hatte er abgegeben, während sie mitangehört hatten, wie Aidan Sarris Jin zu der größten Dummheit anstiftete, die ihm überhaupt zuzutrauen war. »Dieser Vollidiot«, murmelte Dante. »Wie kann man bloß so naiv sein?« Doch am meisten ärgerte er sich über sich selbst. Das hier war seine eigene Schuld; Jin war wie ein gefährliches Stück Warengut, auf das er hatte aufpassen sollen. Es zu verlieren geschah ihm recht. »Armer Trottel. Der ist einfach zu behütet aufgewachsen.« »Im Wald eben.« Yuris Ton war ätzend. »So oft ausgenutzt und weiß es immer noch nicht besser!« »Wieso vertraut er dem –« Dante wies anklagend auf das Telefon. »– und mir nicht? Womit hab ich sein Misstrauen verdient?« »Du bist gemein zu ihm?«, schlug Yuri vor. »Hab ich ihm ein Messer in die Seite gerammt?« Dante schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Jin kennt Schurken besser, als ihm lieb ist, aber er kann nicht denken wie einer.« »Jedenfalls war das ziemlich daneben von ihm«, befand Yuri mit funkelndem Blick. »Los, holen wir ihn uns. Und Trish. Komm, Alter, keine Aufschübe mehr. Jetzt wird der Laden aufgemischt!« »Tja, aber wo?« Dante kreuzte die Arme vor der Brust und versuchte sich an die Route zu erinnern, die das Display von Jins Handy ihnen gezeigt hatte. Er hatte eine vage Ahnung, wo es war, mehr nicht. Der lange Highway, der nach Norden aus dem Ort herausführte … Jedenfalls wohnte dort mit Sicherheit niemand. Ein guter Platz für einen geheimen Schrottfriedhof wäre es also schon … »Also schön«, seufzte er. »Auf zum nächsten Rettungsmanöver.« Wo auch immer Jin war, Trish würde dort auch sein. »Zieh dich warm an, Rotznase. Wir nehmen das Motorrad.« Wie um die düstere Stimmung zu unterstreichen, sanken vereinzelte, unförmige Eisflocken aus dem grauen Himmel und starben auf dem Straßenpflaster langsam dahin. Der scharfe, nach Frost riechende Wind, der zusammen mit der Dämmerung aufgekommen war, gefiel Dante nicht besonders. Gut, dass er sich und Yuri mit einer zusätzlichen Schicht wärmender Kleidung ausgestattet hatte. Neben der schützenden Weste, die er ohnehin bei Außeneinsätzen unter dem Mantel zu tragen pflegte, trug er zum zweiten oder dritten Mal in seinem Leben seinen ledernen Nierengurt. Yuri, der missmutig die Nase hinter der schwarzen Wolle irgendeiner schottischen Schafrasse verschwinden ließ, war bereits mit dem Anblick des Motorrads überfordert. »Muss ich da wirklich mit rauf?« »Bessere Idee?« »Kann ich nicht nebenher laufen?« »Keine Ahnung, wie schnell Motorräder in deiner Zeit sind, aber um die zweihundert Sachen müsstest du schaffen, wenn ich den Highway nehme.« Yuri seufzte und hob mit wenig Eleganz das rechte Bein über den Sattel, um sich hinter Dante zu setzen. Unschlüssig nahm er die Füße vom Boden hoch. »Halt dich fest.« »Wo denn?« »An mir.« Dante setzte den Fuß auf den Kickstarter, bereit, ihn kräftig zu treten. So antik wie seine Einrichtung war auch sein motorisierter Untersatz, wenngleich Teile davon, besonders die Außenverkleidung, inzwischen durch modernere ersetzt worden waren. Er wartete, bis Yuri vorsichtig wie ein Koala beide Arme um ihn gelegt hatte, dann brachte er durch zwei starke Tritte den Motor auf die richtige Drehzahl und ließ ihn an. Bim ersten Aufheulen und Erzittern des Gefährts wurde Yuris Griff augenblicklich fester. Als sie auf dem Highway Gas gaben, war er fest wie der einer Würgeschlange. Das alte Motorrad machte einen Höllenlärm. Lady hatte Dante mehrmals dazu ermuntert (was ein Euphemismus für die Art und Weise war, wie Lady Leute zu etwas ermunterte), sich ein fitteres Gefährt zuzulegen, doch Dante wehrte sich dickfellig, nicht nur des Aufwands und der Kosten wegen. Irgendwie mochte er dieses alte Biest, das eine halbe Tonne wog und röhrte wie ein wunder Hirsch. Dante verließ den Highway in Richtung Eastport City auf eine weniger befestigte Überlandstraße, um schließlich irgendwo im Nirgendwo in den Wald einzubiegen. Der Schneeflockentanz hatte aufgehört, doch der Himmel verdunkelte sich stetig weiter wie ein frischer Bluterguss. Zu beiden Seiten reihten sich dicht bewaldete Hügelketten aneinander, schwarz und trist vor der grauen Kulisse. Vereinzelt zeigten sich am Waldrand im felsigen Untergrund treppenartige Ausformungen, halb unter verwesendem braunem Laub erstickend. Er musste vom Gas gehen; die Reifen des Motorrads griffen tief in den schlammigen Boden, dem erst der Asphalt und schließlich auch der Kies gewichen waren. Weit würden sie mit der Maschine nicht mehr kommen: Der lehmige Boden konnte sich bei dieser Witterung allzu schnell in schwarzen Morast verwandeln. Dante hielt den Blick auf sein imaginäres Ziel gerichtet. Kurz über dem Horizont brach noch einmal die blasse, sinkende Sonne durch und spiegelte sich für wenige Minuten auf dem dichten Blattteppich. Dann sank der Vorhang. Sie waren etwa eine Stunde lang unterwegs, als der letzte helle Streifen am Himmel verblich. Mit der Dunkelheit kam der Bodennebel; geisterhaft erhob er sich aus dem Unterholz und kroch zäh über den Waldgrund. Mittlerweile waren sie eng umringt von Bäumen, deren dicht stehende Silhouetten nur noch der starke Scheinwerfer des Motorrads durchbrach. »Und du weißt echt, wohin wir fahren?«, nuschelte Yuri, die Wange an seinem Rücken. Seine Stimme klang angestrengt. »Ungefähr«, antwortete Dante optimistisch. Er war sich inzwischen ziemlich sicher, dass es keinen anderen Weg gab. »Wie soll Jin das gefunden haben?« »Der ist auf direktem Wege seinem Handy nachgewandert, garantiert durch irgendwelche Gässchen und Schächte gekrochen. Wir sind um die Stadt rumgefahren. Aber ich kenne keinen anderen Weg zu der Stelle, von der ich denke, dass sie’s ist.« »Der Irre schon, sonst hätte er nicht problemlos die U-Bahn-Tunnel mit Monstern geflutet, oder?«, stöhnte Yuri, gab aber sofort Ruhe, als der Motor heiser aufröhrte und noch einmal beschleunigte. Nur wenige Meter später geschah das, was Dante die ganze Zeit befürchtet hatte: Die Maschine wurde langsamer, obwohl er nicht bremste, schlingerte und schleuderte hoch den Schlamm auf, ehe sie rutschend zum Stehen kam. Beide Räder hatten sich bis fast zur Nabe in den zähen Lehm gegraben. Dante seufzte. »Okay, Hyuga, runter mit dir. Wir müssen die Kiste stehen lassen.« »Ah. Gut.« »Du kannst mich jetzt loslassen.« »Oh … Okay.« Yuri klebte an ihm wie ein Seestern. Er schaffte es kaum, die eiserne Umklammerung seiner Arme zu lösen, doch schließlich krabbelte er vorsichtig von dem Motorrad herunter und stand schlotternd im Dunkeln. Dante stellte fest, wie angenehm es doch war, wieder frei atmen zu können. »Die Art zu reisen nicht so meins, glaub ich.« »Was du nicht sagst.« Unschlüssig sah Dante sich in der raschelnden Finsternis um, die dort herrschte, wo das grelle Licht nicht hinreichte. Ja, sie waren goldrichtig hier. Die Spuren des Bösen waren nicht zu übersehen. Dämonische Aktivität hatte den Waldboden mit ihren Absonderungen durchtränkt: Abnorm aussehende, rotschleimige Pilzhüte duckten sich in langen Bahnen durch das blasse Gras, das wie das aufgeriebene Fell eines räudigen Tiers aussah; die schwarze Erde, die unter ihnen Tritten leise blubbernd nachgab, verströmte einen süßlich-fauligen Gestank; Nester von weißem Schimmel überwucherten das modernde Laub. Yuri wirkte nicht im Mindesten überrascht. Er kannte diese Anzeichen. »Was ist das da?«, fragte er und deutete auf eine konturlose schwarze Fläche zwischen den dicht stehenden Bäumen. »Ist das ein See?« Dante packte den Lenker, um den Scheinwerfer zu drehen. »Du wirst in einem Wald mit Sandgrund niemals einen S–… oh.« Eine spiegelnde Oberfläche warf das Licht zurück. Einzelne Blätter schwammen darauf, und kahle Äste ragten daraus hervor wie die Körperteile Ertrunkener. »… Seltsam.« Vorsichtig machten sie ein paar Schritte auf das stumme Gewässer zu. Regenwasser hatte sich in einer mit Laub gefüllten Mulde gesammelt, ein fast ovales Becken, etwa fünf Schritt im Durchmesser. Ein kleiner, unförmiger Kadaver trieb in der Brühe; vielleicht ein Eichhörnchen. »Scheint, als wäre da was Festes drunter.« »Du bist so klug, Alter«, spöttelte Yuri. Dante ließ sich auf ein Knie sinken. Schwarz lag der unnatürliche Weiher vor ihm, Beweis genug, dass unter der Erde etwas Großes und Schlafendes lag. War das vielleicht … Konnte das sein …? Yuri zog eine Fingerspitze aus dem Wasser und betrachtete sie. »Es ist schwarz.« »Rußpartikel. Wir sind da.« Wir haben dich, alter Freund. Gleich klopfen wir bei dir an. Dante sprang auf die Füße. »Los, wir müssen den Eingang finden.« Ein schwacher Wind kam auf und zauste ihnen Haare und Mäntel. In den Baumkronen begann das kalte, tote Restlaub zu rascheln und zu flüstern. Nebelwolken rollten über den nahen Pfad wie der aufgewirbelte Staub einer Armee, die sich unsichtbar und geräuschlos näherte. Während Dante noch mit all seinen Sinnen auf das Gefühl drohender Gefahr konzentriert war, erklang Yuris Stimme dumpf aus einer unerwarteten Richtung. »He, hier drüben! Komm schnell, ich hab den Eingang!« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)