Demonheart von CaroZ ================================================================================ Kapitel 19: Intermezzo II: 7-1 ------------------------------ 7-1: YURI Sein rechter Fuß war schon bis über den Knöchel im Laub versunken, ehe er das Gleichgewicht wiederfand. Vor seinen Knien ragte ein loses Scharnier aus dem Untergrund, das er nun umklammerte, um sich umständlich hochzustemmen und sein Bein aus der schleimigen Erde zu ziehen. »Sieht nicht aus, als müssten wir da viel freischaufeln«, kommentierte Dante, der nicht auf die Idee kam, Yuri eine Hand zu reichen. »Vielleicht reicht’s, wenn wir einfach nach unten durchschieben.« Auch auf die Gefahr hin, den unterirdischen Hohlraum zu verschütten, schoben sie mit den Fäusten Blätter, Reisig und Sand geradewegs in die gut versteckte Luke, bis deren Begrenzung in der Dunkelheit sichtbar wurde. Zu erkennen war lediglich, dass sie aus schwerem Metall bestand, frei von Rost, jedoch mit abblätternden Farbresten verunziert, die einst orange oder rot gewesen sein mochten. Schließlich stieß Yuri seine Faust durch den Wall aus Dreck und fühlte dahinter leere Luft. Dante kniete sich neben ihn und stieß seinen schweren Stiefel durch die Luke; prompt vergrößerte sich das Loch um das Dreifache. »Ich gehe vor.« »Mach doch.« Yuri sah zu, wie Dante aus dem Halbdunkel in absolute Finsternis verschwand, zuletzt sein heller Haarschopf, der blass das Mondlicht zurückwarf. Von unten ertönte dumpf das Aufsetzen seiner Füße, und es folgten mehrere stille, ereignislose Minuten, in denen Yuri angestrengt die Luke hinunterstarrte. Bis jäh Dantes Faust aus dem Loch nach ihm griff, seinen Kragen packte und ihn mit einem »Komm schon, Kleiner« zu sich hinunter zog. Unten war die Luft klamm und feucht. Yuri fror augenblicklich. Hier roch es noch unerwartet sauber, nur nach Erde und Metall, nicht nach Moder, Pilzen oder den Kadavern verirrter Wildtiere, die in der Finsternis verrotteten. Dies hatte er eigentlich erwartet. Sie standen inmitten eines Laubhaufens, und der Rest davon folgte ihnen von oben durch das Loch; einige modrige Blätter schwebten auf sie herab. Es gab keine tastbaren Wände in der Nähe. »Hast du diesmal an eine Lampe gedacht?«, fragte Yuri hoffnungsvoll. »Du hattest doch dieses kleine Licht, als wir im U-Bahn-Schacht waren.« »Ich hab’s in der Hand. Funktioniert hier nicht, warum auch immer.« »Aha. Und wo bitte ist eure Zeit meiner irgendwie voraus?« »Meinst du nicht, du solltest die Klappe halten, wenn du nichts Hilfreiches beitragen kannst?« Wo Dante stand, raschelte das Laub. »Wir suchen uns erst mal eine Wand. Und dann – … ooh!« Yuri kniff die Augen zusammen, als schlagartig eine gleißende Helligkeit ausbrach. Alles erstrahlte in flirrendem Weiß, so grell, dass er sekundenlang die Lider nicht öffnen konnte. Blinzelnd versuchte er, seine Sehnerven mit dem unerwarteten Licht vertraut zu machen, und sah plötzlich verschwommen das Innere des niedrigen Raumes, in dem sie standen. Es war eher ein Korridor, mit Wänden aus rohem Beton und zahlreichen einzelnen Lampen an der mit Stockflecken übersäten Decke. Der Boden war mit schmutzigen Matten ausgelegt, Blätter und Flechten bedeckten ihn vor allem dort, wo er und Dante standen. »Scheint, als wüsste er jetzt, dass wir da sind«, kommentierte der Dämonenjäger. Über ihren Köpfen ertönte ein blechernes Räuspern. »Ja, das weiß er, und er freut sich nicht über euren späten Besuch.« »Wo ist Jin?«, fragte Yuri die Decke und reckte das Kinn. Er hatte keine Ahnung, wohin er sehen sollte; Stimmen aus dem Nichts gehörten nicht in seine Zeit, und er fragte sich, ob Sarris sie beobachten konnte. »Und Trish?«, fügte Dante angriffslustig hinzu. Auch er schien nicht mit diesem Empfang gerechnet zu haben. »Trish ist unversehrt und darf gehen«, antwortete Sarris ernsthaft. »Das habe ich mit dem jungen Kazama ausgehandelt. Er dagegen ist freiwillig hier. Es gibt keinen Grund, uns Schwierigkeiten zu machen.« Dante warf Yuri einen Blick zu und machte eine Kopfbewegung in die eine Richtung des Korridors. Wohl eine willkürliche Wahl. Yuri schloss zu ihm auf, und während er Dantes großen Schritten folgte, beobachtete er die grauen Wände und sah dünne Kabel an ihnen entlang laufen. »Warum hier lang?«, raunte er. »In die Richtung wird’s wärmer«, gab Dante leise zurück, »und ich ahne, dass das irgendwie nicht gut für uns ist. Übrigens …« Seine rechte Hand glitt an seine Seite, eine der Pistolen aus ihrem Holster ziehend. »… hörst du das Kratzen hinter den Wänden?« »Kakerlaken?« Auch Yuri tastete nach seinen Waffen. »Etwas größer vielleicht.« »Bin bereit.« »Gut. Denk dran, dass wir wieder auf engem Raum sind. Was auch immer du machst …« Dante entsicherte auch die zweite Pistole mit einem Klicken. »… Lass dich nicht in eine Ecke drängen.« Gemäß ihren Erwartungen wurden sie im Halbdunkel des Korridors aus dem Hinterhalt attackiert. Es waren die gleichen brettbeinigen Viecher wie im Metrotunnel, doch es folgten noch zahlreiche andere, und der Kampf wurde sehr schnell sehr dreckig. Yuri hatte jetzt schon keine Lust mehr. »Wollte der Sack nicht die ganze Zeit, dass du kommst?« »Sicher«, murrte Dante und warf sein leeres Magazin über die Schulter, um blitzschnell ein neues einzulegen; im nächsten Augenblick feuerte er schon wieder mit beiden Pistolen mitten ins Dunkel, das bei jedem Schuss von Feuerschein durchschnitten wurde. »Aber jetzt hat er Jin. Und Jin hat das, was Sarris von mir wollte. Weißt du, wie mir das vorkommt?« »Nö.« Yuri wusste, dass Dante trotz aller Ablenkung vor allem ihn beobachtete – ihn und die Nachtvogelklaue, die feinen Klingen zwischen seinen Fingerknöcheln, die mit wildem, bläulichem Feuer durch Fleisch, Holz, Kabel und Metall schlitzten, während Yuri sie um sich schwang wie ein Berserker. Bestimmt fragte Dante sich noch immer, was die Polizisten in der Kirche an seiner Statt gesehen hatten. Yuri wollte es ihm nicht zeigen; noch nicht. Schon nach kurzer Zeit im Gefecht bemühten sie sich um eine Art Aufgabenverteilung. Sie hatten keine Routine darin, Seite an Seite kämpfen, deshalb funktionierte es auch nicht besonders gut. Einige wenige Manöver gelangen: Entweder versetzte Yuri den Angreifern so harte Schläge, dass sie benommen zu Boden gingen und Dantes Schwert mit einem glatten Streich den Rest erledigte, oder Dante hielt die Monster aus der Distanz unter Schuss, sodass Yuri Gelegenheit für den vernichtenden Hieb bekam. Abgesehen davon jedoch waren sie einander im Weg. Ständig. Doch da keiner von ihnen ohne den Anderen ernsthaft in Gefahr war, hakte Yuri die Sache gedanklich ab. Er hatte schließlich nicht vor, dauerhaft Dantes Teampartner zu werden. Zuletzt fand er sich Rücken an Rücken mit dem Teufelsjäger wieder, der ohne jede Ermüdung innerhalb der engen Wände eine Kreatur durchsiebte, die aussah, als bestünde sie aus gefrorenem Blut. Unter dem Bleihagel erstarrte ihr Körper mit einem hohen Kreischen zu schwarzem Stein, der, als Dante blitzschnell die Pistolen mit dem Schwertgriff austauschte, beim Hieb der Klinge klirrend zersprang wie Obsidian. Yuris Blick zuckte routiniert von einer Ecke zur anderen. Die Flut an Dämonen schien verebbt; kein neuerliches Glühen in der Ferne und kein undefinierbares Geräusch, das auf irgendeine Bewegung außer ihren eigenen hindeutete. Seine hart gespannten Muskeln lockerten sich automatisch, sodass die klamme Luft leichter seine Lungen fluten konnte. Hinter sich hörte er auch Dante tief durchatmen und dann seine Waffen sichern. Ein Zeichen dafür, dass die Bedrohung für den Moment vorbei war. Yuri verstaute seine Schlagringe, bereit, sie jederzeit wieder in Gebrauch zu nehmen. »Der weitere Plan?«, fragte er. »Ich hab kein gutes Gefühl.« Dante schnaubte. »Es hat zu plötzlich aufgehört. Sarris hofft wohl, er hätte uns lange genug aufgehalten.« »Du meinst, in der Zwischenzeit hat er sich von Jin geholt, was er will?« »Ich fürchte ja. Los, weiter. Links.« »Wieso da?« »Das ist die Tür, die sie wie verrückt bewacht haben.« Yuri hatte auf andere Dinge geachtet als darauf, doch er vertraute Dantes Expertise und schlug bereitwillig den Weg in einen besonders schleimig aussehenden Tunnel ein. In diesem Gang war es so still, dass Yuri nicht länger an Dantes Urteil zweifelte. Der Irre schien es nicht mehr für nötig zu befinden, sie aufzuhalten. Kein organisches oder mechanisches Geräusch war mehr zu hören, ausgenommen ein stetiges Tropfen, dessen Ursache sie bald entdeckten: ein Leck über ihren Köpfen, durch das scharf riechende Flüssigkeit eindrang und auf dem Boden ein Rinnsal bildete, das bereits eine tiefe Furche in den Metallboden gefressen hatte. »Batteriesäure«, erklärte Dante. »Pass auf, das Zeug gräbt sich durch Leder.« Yuri duckte sich unter dem Leck hindurch. Sie passierten mehrere Verarbeitungsräume, durchlaufen von ruhenden, pilzüberwucherten Fließbändern, und schmale Tunnel, in denen über ihren Köpfen schwere Greifhaken in der Dunkelheit hingen, schwach pendelnd in einem Luftzug, der nicht fühlbar war. Yuri wusste nicht, ob er es sich einbildete, aber hin und wieder glaubte er … es musste einfach so sein … dass sich hinter ihren Rücken Geräteteile kurzzeitig wie von selbst bewegten. Immer wieder blieb er wie angewurzelt stehen, eine Gänsehaut auf den Armen. Dante nahm keine Notiz davon, und wann immer Yuri herumfuhr, war tatsächlich nichts zu sehen. Nichts. Machte er sich schon selbst verrückt? Schließlich konnte er Spuk auf den Tod nicht ausstehen. Endlich. Der schmale Gang, den sie in ganzer Länge durchschritten und in dessen Seiten etliche Luftschlitze angebracht waren, in denen schwarze Schimmelnester saßen, endete. Yuri konnte hinten bereits eine schwere und große Eisentür erkennen, einen hermetischen Durchgang wie zu einem Luftschutzbunker. »Frag mich, was dahinter ist.« »Ein Kontrollraum vielleicht«, mutmaßte Dante. Plötzlich war der Boden nass. Abstoßende Geräusche begleiteten jeden Schritt. »Es wird immer besser«, murrte Yuri. Was er meinte, war: Ich will nach Hause ins Bett. »Ich bin gespannt, ob wir ihn überraschen. Dass er uns nichts mehr in den Weg wirft, ist entweder ein verdammt gutes oder ein verdammt schlechtes Zeichen.« Vor der schweren Tür hielten sie an. Yuri legte den Kopf in den Nacken; die Tür war doppelt so hoch wie er selbst. »Kriegen wir die kaputt?«, fragte er ohne große Hoffnung. »Nie«, war Dantes ernüchternde Antwort. »Aber …« Seine Hand griff nach etwas, das Yuri nur aus dem Augenwinkel gesehen hatte. Metall knirschte. »… vielleicht macht ja dieser Hebel hier noch seinen Job …« Augenblicklich wurde, ohne großen Widerstand, der vertikale Spalt vor ihnen breiter. So? Versperrt oder gesichert war hier offenbar gar nichts. Ein wenig Gewalt genügte, um die beiden Teile der Tür weit genug auseinander zu drücken. Von drinnen drang jäh Lärm auf sie ein. Maschinen stampften, Ventile zischten. Und jemand schrie Worte heraus. Es war die Stimme des Bekloppten, doch was sie da brüllte, war unverständlich und verzerrt vom hundertfachen Nachhall. Die Luft war dick und nass wie ein alter Schwamm und roch auch so. Nie zuvor hätte das ausgereicht, Yuri Übelkeit zu bereiten, doch schon beim ersten Atemzug von dieser geballten Mischung verkrampfte sich abrupt alles in ihm zu einem sinnlosen Würgen. Schaudernd taumelte er einen Schritt von der Öffnung weg. Was für eine Scheiße war das denn bitte? Was passierte da unten? Während er nach seinen Waffen griff, spürte er Dante an sich vorbei treten. »Ich gehe vor. Du gestattest?« Yuri erhob keine Einwände. Er sah das rote Flackern an den Wänden, fühlte das rhythmische Beben wie den Puls eines Lebewesens, in das sie eingedrungen waren. Ein Teil von ihm wollte Jin sehen, sich vergewissern, dass er noch lebte; ein anderer fürchtete sich vor dem, was er sehen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)