Demonheart von CaroZ ================================================================================ Kapitel 20: Intermezzo II: 7-2 ------------------------------ 7-2: DANTE Dante erkannte sofort, dass das, was Sarris vorhatte, nicht funktionierte. Vermutlich hatte der Kerl gedacht, er bräuchte ihn und Yuri nicht so lange zu beschäftigen, weil er mit dem, was er da tat, längst fertig sein wollte. Fertig mit Jin. Und Devil. Und Azazel. Dante hielt den Blick mehrere Sekunden lang unverwandt auf Jin gerichtet – auf diesen mit Schweiß und Blut überströmten, von Devil vereinnahmten Körper, die Hörner, die Klauen, die wild und sinnlos peitschenden Flügel, den glühenden, Fleisch versengenden Blick. Das Ding war frei und wütend, wie erwartet. »Dante!« Trish! Schlagartig löste sich sein Blick von Devil Jin und blieb an ihr hängen, an Trish, die unweit von Jin ebenfalls angekettet war. Ihr ganzer Körper war gespannt wie der eines sich duckenden Panthers, obgleich sie nirgendwo hin springen konnte, und sie ließ das Monster neben ihr nicht aus den Augen, weil sie instinktiv wusste, wie verflucht mächtig diese Bestie war. Immerhin schien auch Sarris das zu wissen. Er kniete am Boden vor einem gehörnten Schädel und flackernden Kerzen, die Finger mit dunklem Blut beschmiert und das Gesicht eine Maske erstarrter Angst. Seine mit dünnen weißen Handschuhen bezogenen Hände lagen unruhig auf dem Buch, das er gestohlen hatte und dessen Seiten vor ihm auf dem Kopf standen. Etwas war nicht so verlaufen, wie er geplant hatte. Wie auch immer er Azazel zu beschwören versuchte, es war schief gegangen. Die beiden Eindringlinge hatte er noch gar nicht bemerkt, zu sehr bannte das misslingende Ritual seine Aufmerksamkeit. Dante sah rechts an der Wand eine Werkbank mit allerlei Gerätschaften, einige davon in Betrieb. Der Raum musste tatsächlich eine Art Kontrollzentrum sein. Er wagte es, über die Schulter zu schauen, und sah, dass auch Yuri an ihm vorbei auf die hässliche Szenerie starrte. Als er Dantes Blick bemerkte, öffnete er doch noch den Mund. »Ach du Scheiße, Mann! Was ist das denn?« Vielleicht meinte er das tobende Ungetüm, oder die ganze blutige Szene, oder beides. Dante stieß ein freudloses Lachen aus. »Darf ich vorstellen? Devil Jin.« »Der sieht wirklich nicht gerade zum Liebhaben aus!« »Ist er auch nicht. Sarris hat keine Ahnung, was er da in seinen Warenkorb gelegt hat.« »Genauso wenig wie alle anderen, die glauben, Dämonen beschwören zu müssen. Er hat das Dschaizan-Buch, siehst du? Das da, das ist es doch.« Yuri zeigte geradeaus in Sarris’ Richtung, wo sich zwischen dem Mann und dem Schädel im zuckenden Schatten ein großformatiges, weit aufgeklapptes Buch abzeichnete. Dante nickte stumm. Das war zweifellos die gefährliche Abschrift des noch gefährlicheren Tafeltextes; er wusste das, ohne die Zeichen je aus der Nähe gesehen zu haben. »Und das ist dann wohl Trish?«, hakte Yuri nach, obwohl die Frage sich eigentlich erübrigte. »Die da in den Ketten?« »Wer soll das sonst sein? Seine Tante?« »Hui, was für ein Weib!« »Bist du startklar? Worauf auch immer Sarris da wartet, wir sollten nicht drauf warten.« Dante hatte beide Hände um die Pistolengriffe gelegt, obwohl er noch nicht wusste, was er hier mit ihnen anfangen sollte. Yuri, der sich von seinem anfänglichen Schrecken offenbar voll erholt hatte, trat mit einem fast gierigen Ausdruck neben ihn. »Okay, treten wir ihm in den Arsch. Let’s rock!« Doch in dem Moment, als er vorpreschen wollte, hatte Dante ihn hart am Kragen gepackt. »Das«, sagte er scharf, »ist mein Spruch.« Ohne Mühe machte Yuri sich von ihm los. »Wohl gar nicht. Ich hab vor dir gelebt.« »Du bist ein wandelnder Anachronismus, du Nervensäge.« »Ich frag dich später, was das ist.« Gemeinsam sprangen sie mitten zwischen die Versammelten. Sarris fuhr herum, noch bevor irgendjemand bei ihm war. Mit einer Hand packte er das Manuskript, auf das Dante sich hatte stürzen wollen, und warf sich beiseite, das Buch fest an die Brust drückend. Sein Gesicht flammte. Mitten durch diese sekundenlang verwirrte Grimasse brach plötzlich ein helles, hysterisches Auflachen heraus. »Dante! Du zweifelst nicht mehr an der Echtheit der Kopie, wie ich sehe!« Trish, die in ihren Ketten über Sarris Kopf thronte wie ein Todesengel, schmähte mit ihrer durchdringenden Stimme auf ihn herunter: »Es wird nie funktionieren, solange du nicht alle Seiten hast! Sieh doch nach, schlag sie auf, Seite sechs bis neun, du Schwachkopf!« Dante furchte die Stirn; jetzt war er es, der sich wie im falschen Film fühlte. Seiten? Was für Seiten? Er versuchte, nicht wie ein Idiot auszusehen. Hatte er wirklich etwas so Elementares nicht beachtet? Dante nicht aus den Augen lassend, ließ Sarris das Buch in seine rechte Hand gleiten, wo es sich raschelnd öffnete. Endlich zwang er sich, nach unten zu sehen. Dante nutzte diesen Moment nicht aus, sondern blieb abwartend stehen. Wenn Trish Recht hatte, dann hatte sich der arme Irre ohnehin in eine Sackgasse gespielt. »Und, was siehst du? Richtig, nichts!«, höhnte sie von oben. Dieser triumphale Ton war etwas ganz und gar Ungewohntes in ihrer sonst so kontrollierten Stimme; sogar Dante spürte bei diesem dämonischen Unterton ein Frösteln. Trotzdem hatten sie gewonnen: Aus den Augenwinkeln verfolgte er, wie Yuri in zügelloser – oder vielleicht auch wohlkoordinierter, wer wusste das schon – Wut den Ziegenschädel gegen die Wand schmetterte, was diesen in hell scheppernde Einzelteile zerbrechen ließ. Yuri und Devil Jin sahen einander in die Augen, beide bebend und schwer atmend, doch keiner von beiden wusste, was er mit seiner Kraft anfangen sollte. Langsam wandte sich Dante wieder dem geduckt vor ihm stehenden Sarris zu und betrachtete ihn ruhig. Schließlich ließ sein früherer Bekannter den Blick sinken. »Na gut, Dante. Ihr habt hierher gefunden. Es ist nicht so, dass ich nicht mit dir gerechnet habe …« Kurz warf er einen Seitenblick auf Yuri, der ihn aber nicht beachtete, sondern weiter Jin anstarrte. »… denn anders als du war der junge Kazama vernünftig und kooperativ. Ich hätte Trish ohne Frage gehen lassen, es gab keinen Grund für dich, hier rein zu platzen.« »Tut mir Leid, alter Freund. Was du mit deinem Leben machst, geht mich nichts an, aber was du mit dem Rest der Welt machst, das schon. Gib mir das Buch.« Er streckte Sarris die Hand hin. Dieser schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Das Thema haben wir doch schon durch.« »Hast du Trish nicht zugehört? Dir fehlen die wichtigsten Seiten für die Beschwörung!« Er wusste, dass das keiner ihrer Bluffs war. »Die finde ich schon«, beharrte Sarris. »Du kannst alles andere haben. Bitteschön.« Dantes Geduld endete. Er hob die Hand und strich mit den Fingerspitzen über Rebellions schimmernden Griff, der über seiner Schulter aufragte. »Du denkst wohl, du bist in allem, was du tust, rechtschaffen und fair, was? Das denken leider alle.« Sarris’ Hand bewegte sich ebenfalls, wanderte an seinen Gürtel und löste von dort etwas, das sich aus einem festen Knäuel in die sieben Strippen der über sechs Fuß lange Lederpeitsche entrollte, deren Dornfortsätze im Kerzenlicht blinkten. Dante musterte die bereits vertraute Waffe. »Was soll die gegen mich ausrichten?« »Finde es raus.« Lächerlich. Dante spannte sich; er musste sich das Buch holen, ohne Sarris etwas anzutun. Vorsichtig … Sarris tat ihm den Gefallen und griff zuerst an. Als seine Hand mit der Peitsche hoch über seinen Kopf fuhr, reagierte auch Dante, riss die Klinge über seine Schulter und entfesselte zugleich ihre Macht in seinem Blut, ließ den heißen, scharfen Schmerz dämonischer Energie in seine Muskeln strömen. Seine Herzfrequenz erhöhte sich schlagartig auf das Doppelte. Innerhalb eines Sekundenbruchteils überbrückte er den Abstand zu seinem Gegner, der sich für seine beschleunigten Sinne kaum schneller als in Zeitlupe bewegte. Es war nicht nötig, ihn wirklich zu verletzen – Dante war bis in die Haarspitzen von dämonischer Energie erfüllt, und er streckte die linke Hand aus, um die endlos langsam vorüberschwebende Knute zu packen und diese Energie durch ihre ganze Länge in Sarris’ Körper zu jagen. Ein kleiner Schock, weiter nichts. Er würde jeden seiner Muskeln verkrampfen und ihn umfallen lassen wie einen morschen Pfosten. Die Lederschnur prallte auf den harten Muskel in Dantes ausgestrecktem Unterarm. Selbst das Krachen des Aufschlags klang gezerrt und verlangsamt, und die Peitsche wickelte sich wie eine Schlange um den Arm, während Dante seine Energie sammelte und dosierte, um Sarris kräftig zu lähmen, aber nicht zu töten. Game over für heute. Er schickte den Schlag voraus. Und war überrascht, als die Attacke im Nichts verpuffte. Dante keuchte überrascht auf, sah das schwarze Licht aus seiner Hand, die die Peitsche berührte, einfach zerstauben und fühlte gleichzeitig den Einbruch von Schwäche, als seine Teufelskräfte ihn blitzartig verließen. Aus Reflex ließ er los, befreite sich von der Umschlingung, das Schwert in automatisierter Abwehr vor die Brust haltend. Sarris, unter der Wucht seines eigenen Hiebes in die Knie gegangen, das blonde Haar wild zerzaust, lächelte schwach. »Da staunst du, alter Haudegen. Du weißt doch, wie ich den alten Kräften dieser Welt verbunden bin. Man kann sie auf vielen Wegen nutzen.« Ohne schlagfertige Erwiderung hielt Dante seine Position. Ausknocken konnte er Sarris also nicht, dumm gelaufen. Die Peitsche hatte seine Kräfte einfach neutralisiert. Er hätte es ahnen können; es war nicht das erste Mal, dass Dante mit dieser Art von okkulter Dämonenabwehr in Berührung kam. Yuri hatte es auch gesehen, doch er konnte nicht kapiert haben, was sich da eben abgespielt hatte, schließlich kannte er Dantes Kräfte nicht und auch nicht die von Teufelswaffen. Außerdem galt seine Aufmerksamkeit immer noch Devil Jin, der ihn mit gefletschten, spitzen Zähnen anbrüllte, dass die Wände zitterten, und nicht vorzuhaben schien, sich in naher Zukunft zurückzuverwandeln. Nichts mehr Menschliches war an diesem Ding, das da an seinen Ketten riss, es war nur noch eine Bestie, und Yuri konnte ihn so nicht freilassen, was ihn dazu verdammte, bei dieser Auseinandersetzung dumm rumzustehen – jedenfalls so lange, wie Sarris ihn nicht für einen würdigen Mitspieler hielt. Letzterer stabilisierte seinen Stand allmählich. Die Peitsche umklammerte er wie den heiligen Gral, während er angestrengt sagte: »Meine kleine Privatarmee hat euch wohl nicht deutlich genug erklärt, dass ihr hier nicht willkommen seid.« »Soll das ein Witz sein? Du hast an die hundert Versuche gemacht, mich zu einem Besuch zu überreden. So beharrlich hat mich noch nie jemand eingeladen.« Dante hielt ihn mit dem Schwert auf Distanz. Er erkannte Sarris’ Bemühen, ihn durch das Schwenken der Peitsche in eine Kreisbewegung zu dirigieren, um wieder in Reichweite von Trish zu gelangen. Vergiss es, dachte er. Ihn beunruhigte, dass seine Partnerin noch immer so artig den Mund hielt. »Abgesehen davon, dass ich Trish –« Er machte eine Kopfbewegung nach oben. »– gerne zurück hätte, hast du auch noch Jin Kazama, und verantwortungsvoller Weise bin ich gekommen, um die Zwei wieder einzusammeln.« »Du weißt«, erwiderte Sarris in beinahe vernünftigem Ton, »dass Jin aus freiem Willen hergekommen ist.« »Ja, weiß ich. Ist mir völlig egal. Er ist aktuell mein Schützling.« »Wenn er das ist, dann ohne sein Einverständnis. Dante, wie gehst du eigentlich mit Menschen um? Er hat dich um deine Hilfe gebeten, nicht um deine Vormundschaft. Wieso sperrst du ihn ein wie einen Hund?« Dante zögerte und merkte dann, dass Sarris wieder einen Ausfall versuchte. Energisch schlug er Rebellions Spitze zwischen sie beide auf den Steinboden, was einen gelben Funkenschauer hochschießen ließ. »Trish kannst du mitnehmen«, erklärte Sarris. »Jin Kazama bleibt hier, solange er will.« Dante schüttelte den Kopf. »Noch mal zum Mitschreiben: Jin Kazama steht unter meinem Schutz. Und er kommt mit. Ob mit Hörnern oder ohne.« »So? Na, dann los. Hol ihn dir.« Einladend wies Sarris auf den kehlig knurrenden Devil Jin. »Ihr werdet ihn nicht losketten, weil ihr genau wisst, dass du seinen Zorn nicht bändigen kannst, ohne ihn zu verletzen.« Das stimmte. Die Lage war mies. Dante konnte Sarris nicht aus den Augen lassen, um Trish zu befreien, also konnte er sich nicht von der Stelle bewegen. Mit seiner absorbierenden Geißel würde der Kerl jede Lücke in Dantes aufmerksamer Verteidigung sofort ausnutzen. Dante dachte über einen Ausweg nach. Sarris zu töten würde ihn keine Mühe kosten, doch dazu war er noch immer nicht bereit; einen Menschen zu töten war die Ultima Ratio, von der er nur Gebrauch machte, wenn alle anderen Türen zugefallen waren. Nein, sein letztes Ass war Yuri. Sarris wusste nicht, wie kampfstark der Rotzlöffel war, er würde ihn für einen Handlanger halten, vielleicht jemanden, der Dante den Weg in den Schacht gezeigt hatte und der sonst zu nichts nutze war. Schließlich sah Yuri nur aus wie irgendein drogenabhängiger Köter. Das konnte ein alles entscheidender Punkt sein – allerdings stand Yuri einen Steinwurf weit entfernt, und zwischen ihm und Trish waren Dante und Sarris in ihr verzwicktes Lauerspiel vertieft. Sie brauchten eine Ablenkung. Etwas Unerwartetes. Das dachte offenbar auch Trish, denn nun, endlich, steuerte sie ihren Teil bei: Sie schloss die Fäuste um die seltsame Kette, mit der sie gefesselt war – woraus bestand die eigentlich, Kork? – und zog sich mit einem Sprung so weit daran hoch, bis ihr Scheitel einen der gusseisernen Ringe erreichte, die die Kette straff hielten. Ganz offenbar leitete das Material der Fesseln keinen Strom, Eisen jedoch … Sarris fuhr zusammen, als es über ihnen krachte, ein Funkenregen von den Ringen niederging und gleichzeitig das Licht an der hohen Decke zu flackern begann. »Nicht, Trish!«, rief er aus. »Du wirst uns alle umbringen!« Das hatte Trish wohl kaum im Sinn. Dante mochte das Manöver: Ein paar Aussetzer der Stromversorgung genügten, um Sarris in helle Aufregung zu versetzen, und mehr konnte er sich nicht wünschen. Und Yuri hatte nicht gepennt. Sofort war er da. Kein Wimpernschlag verging, bis er Sarris erreicht hatte. Er sprang dem armen Spinner einfach von hinten gegen die Schulter und warf ihn bäuchlings vor sich zu Boden; dann, auf ihm stehend, entwand er dessen vom Schreck erschlafften Fingern den Peitschengriff ohne Mühe. In der Sekunde, in der Sarris sich entwaffnet sah, kam wieder Leben in ihn. Er zuckte hoch, ein Messer in der Hand – sicherlich dasselbe, das auch Jin zwischen den Rippen gesteckt hatte – und stach damit wild nach dem anderen Mann, der ihn am Boden hielt. Yuri reagierte ebenso lässig, wie Dante es von sich selbst erwartet hätte: Er hob den Fuß, erwischte damit die fuchtelnde Messerhand und stieß sie mit der Ferse grob zu Boden, sie mit seinem Gewicht festnagelnd. »Du weißt echt nicht, wann Schluss ist, wie, du alter Fusselkopf?« Sarris stöhnte. Seine Finger zuckten. »Wer … wer bist du?« Mühsam drehte er den Kopf nach hinten, um in Yuris dunkel umschattete Augen zu sehen. »Du … du bist der Kerl aus der Kirche. Der vom Dach …« »Und du bist der komische Typ, der in Ruinen rumhängt. Dachte mir gleich, dass mit dir was nicht stimmt.« Sarris erschlaffte. Jetzt, da er geschlagen war, erstickte seinen Größenwahn in der Wurzel und machte nüchterner Furcht Platz. Seine Augen, nach hinten zurückgerollt, um Yuri nicht aus dem Fokus zu verlieren, zeigten leuchtend ihr rotgeädertes Weiß. Ergeben und mit einem deutlichen Beben in der Stimme fragte er: »Was wollt ihr?« »Habe ich das nicht schon gesagt?« Dante kam näher und ließ sich neben Sarris’ Kopf auf ein Knie nieder, ungeachtet des jahrzehntealten Schmutzes auf dem Boden. Vorsichtig zog er das Buch aus den Armen des Mannes. »Du weißt auch, was ich nicht will. Also zwing mich nicht, es zu tun.« »Was hältst du von … Verhandeln?« »Ich fürchte, dazu bist du nicht in der richtigen Position.« Wieder seufzte Sarris. »Gut. Ich sehe es ein. Siehst du das Schaltpult an der Wand? Der linke Hebel löst Trishs Fesseln.« »Das stimmt«, bestätigte Trish die Information. Dante nickte und hob den Blick. »Hyuga?« »Hab den Schwätzer.« Yuri stieg von Sarris Rücken und ergriff noch währenddessen seinen Arm, um ihn unsanft auf die Füße zu reißen. Postwendend ging Dante zu der klapprigen Werkbank an der Wand, auf dem Sarris seine Konstruktion aus Schaltknüppeln und Druckknöpfen aufgehäuft hatte, um jeden Winkel der groß angelegten Förderanlage von dort aus kontrollieren zu können. Dort stand auch der Sprachaufnehmer, ein Gerät aus den Neunzigern, der seine Stimme in die Tunnel geschickt hatte. Als die Eisenringe um Trishs Handgelenke aufschnappten und sie leichtfüßig zu Boden sprang, durchflutete Dante eine beinahe körperliche Erleichterung. Er widerstand dem starken Drang, zu ihr zu laufen und sie an sich zu drücken. Unangemessen Für Gefühlsausbrüche war es wahrhaftig nicht der richtige Augenblick. Stattdessen überging er die Situation mit der gewohnt frivolen Lässigkeit. »Sehr gut, da haben wir Nummer eins. Wenn du jetzt noch so freundlich wärst, mir mein Buch zurückzugeben. Du weißt ja, welches.« Jäh brach Sarris in Yuris Griff in kurzen, sinnlosen Widerstand aus, und seine Brauen zogen sich zusammen. »Lass mir wenigstens das Inferno! Es vervollständigt meine Sammlung mittelalterlicher Höllenvorstellungen, und außerdem –« »Außerdem was?« Der andere schwieg, presste nur wütend die Lippen zu einer fadendünnen Linie zusammen. »Du kannst gar kein Italienisch«, erinnerte Dante ihn, »was also willst du damit?« »Es ist eine sehr alte Ausgabe mit besonders kunstvollen Illustrationen von Dalí, falls es dir Kunstbanause nicht aufgefallen ist!« Sarris stöhnte auf, als Yuri ihm den linken Arm stärker auf den Rücken bog. Dante verspürte kein Mitleid. »Dann bestell dir deine eigene bei Barnes & Noble. Das Erbstück meiner Mutter rückst du auf der Stelle raus, oder der Typ hinter dir macht ungemütliche Sachen.« Wie erwartet verstärkte Yuri erbarmungslos seinen Druck auf den Unterarm des Gefangenen. Die Frage war nur, welcher Knochen zuerst brechen würde, Elle oder Speiche. Sarris schrie auf: »Unten! Unter dem – aaargh! Zieh die Schublade auf!« Dante griff unter die Werkbank und zog die oberste und einzige Lade auf, in der er zu oberst einen Lageplan der Anlage – welch lohnender Griff! – und darunter tatsächlich den vertrauten ledernen Einband von La Divina Commedia entdeckte. Mit einiger Genugtuung nahm er beides heraus. So, wie sich die Dinge gerade entwickelten, war er höchst zufrieden mit der Lage. Nur ein Problem hatten sie noch zu lösen … Er sah zu Devil Jin, der immer noch vor Energie und Überlegenheit strotzte, auch wenn er sich im Augenblick ruhig verhielt. »Jemand anders nimmt die Dschaizan-Abschrift, ich hab nur Platz für ein Buch.« Dante warf den uralten, halb zerfledderten Kodex in Yuris Richtung auf den Boden, inmitten von Blutflecken, flackernd sterbenden Kerzen und Knochensplittern des Ziegenschädels. Während Trish die Seiten auflas und zwischen die beiden losen Deckel stopften, überlegte er, wie sie alle heil aus GRITT-D674 herauskommen könnten, Jin inklusive. Dem Jungen eins überzubraten reichte vielleicht diesmal nicht, um Devil zu vertreiben; aber ihn so schwer zu verwunden, wie Sarris es mit seinem Klappmesser getan hatte, war ebenfalls keine Option. Indes schien Sarris trotz Yuris unnachgiebigem Griff zu seinem alten, ungesunden Mut zurückzufinden. »Dante«, sagte er mit fast feierlicher Stimme, »wie lange willst du deinen beiden neuen Mitstreitern eigentlich noch verheimlichen, wer du wirklich bist?« Dante drehte langsam den Kopf, um zu überspielen, dass er innerlich zusammengezuckt war. »Hm?«, machte er lahm. »Meinst du nicht«, fuhr Sarris vor und befeuchtete sich die Lippen, »dass der Zeitpunkt perfekt wäre, diese Karte umzudrehen? Oder willst du nicht nur den armen Jin Kazama dumm und gutgläubig halten, wie du es die ganze Zeit schon tust, sondern auch deinen anderen Gefährten hier?« Dante vermied es, Yuri anzusehen, dessen Blick er fragend auf sich ruhen fühlte, und blickte stattdessen zu Trish. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Schließlich erwiderte Dante offen und mit Ruhe: »Bisher hat sich keine gute Gelegenheit geboten. Wird nachgeholt.« »Ah.« Mit leisem Lächeln wandte Sarris sich nach Yuri um, der zwar etwas verunsichert aussah, aber keinerlei Anstalten machte, seinen Griff zu lockern. »Und was ist mit dir?« »Was?«, kam es von diesem genauso schlecht verstellt wie von Dante zuvor. »Mit mir? Wieso mit mir?« »Ihr spielt beide mit verdeckten Karten, nicht wahr? Dabei habt ihr so gut zusammengearbeitet, um hierher zu kommen.« »Keine Ahnung, wovon du redest«, gab Yuri unbehaglich zurück. »Vielleicht solltest du einfach die Fresse halten.« »Nein, er sollte uns etwas ganz Anderes sagen«, mischte sich Trish ein, wie um ihrem Feind keinen Raum zum Aussäen weiterer Zweifel zu lassen, »nämlich wie wir Jin von dem Dämon befreien können. Er scheint wirklich zu wissen, wie es geht, aber wir dürfen nicht zulassen, dass er es tut.« Das klang gut und vernünftig, und Dante wies Yuri mit einem Blick, seine Macht weiter auszuspielen. Nur zu bereitwillig packte der andere wieder fester zu. »Du hast die Dame gehört. Irgendwelche Tipps?« Sarris wand sich ächzend; seine Knie drohten immer weiter nachzugeben. Doch dann lachte er mit schmerzverzerrter Miene: »Glaubt ihr wirklich, ihr könntet das? Ich bitte euch! Azazel in diese Sphäre zu holen mag mir noch nicht gelungen sein, aber den Ruf hat er sehr wohl gehört! Aber ihr wisst es gar nicht, oder? Ihr hattet keine Ahnung, dass Azazel und Jins Peiniger ein und dasselbe sind. So eine Ironie! Jetzt habt ihr mich in eurer Gewalt, und es nützt euch gar nichts. Devil und Azazel haben einander gespürt – und der eine wird den anderen rufen! Es gibt nichts, das ihr dagegen tun könnt! Es ist sinnlos! Au –!« Yuri hatte den lachenden Blonden mit einem Rippenstoß zu Boden befördert. »Halt endlich das Maul, verdammt!« Sarris, auf allen Vieren hockend und sein Gelächter mühsam unter Kontrolle bringend, drehte sich schließlich nach Yuri um, während er seinen gepeinigten Arm massierte. »Du«, sagte er beherrscht, und dabei wich seine Belustigung rasch einer Ehrfurcht, die Dante bisher nur einmal an ihm gesehen hatte. »Du … du glaubst genauso, du könntest vor mir verbergen, dass du anders bist. Aber das kannst du nicht. Dante konnte es nicht und Jin konnte es nicht. Und zwar … deswegen.« Mit der Linken ergriff er den weichen weißen Handschuh, der seine rechte Hand mehr zierte als schützte, und zog ihn herunter. Dante kniff die Brauen zusammen, als er im schummrigen Licht feine, komplexe Muster aus schwarzen Linien auf der Haut der Finger zu sehen meinte, kleine Gebilde, in langwieriger Mühsal hineintätowiert. Symbole. Schriftzeichen. Er hatte sie schon einmal gesehen. Und Yuri offensichtlich auch. »Ach was. Hab schon gedacht, in dieser Zeit gäb’s keine Schwarzmagie mehr.« »Unsinn. Sie ist so alt wie die Menschheit selbst. Sie gerät in Vergessenheit, doch irgendwo überlebt sie immer. Es wird sie geben, solange die Welt der Menschen und die der Dämonen aufeinander prallen«, erklärte Sarris. Noch immer hockte er im Dreck, seine tätowierte Hand mit gespreizten Fingern empor haltend. Die Geste hatte etwas Verzweifeltes und Abstoßendes, vor allem gepaart mit dem säuselnden, nur scheinbar vernünftigen Tonfall. »Als du mich festgehalten hast, konnte ich deine Andersartigkeit spüren. Du bewegst dich auch auf der Grenze zwischen diesen Welten, genau wie Dante. Genau wie Jin. Dein Blut … ist auch verflucht.« Yuri stand ihm gegenüber, wie zur Abwehr positioniert, obwohl kein Angriff kommen konnte. »Kann man sagen, ja«, knirschte er unwillig. »Und? Was ist es? Ein Dämon?« Sarris zog die Beine an und erhob sich taumelnd in den Stand. »Was würde passieren, wenn ich dich mit meiner Waffe kitzelte?« Yuri antwortete nicht. Er fuhr fort, sein Gegenüber kalt und verächtlich anzustarren, und Dante glaubte in diesem Moment wieder ein Aufflackern jenes Grauens zu erkennen, das er selbst erblickt hatte, als er und Yuri sich auf dem Dach der Kirche gegenüber gestanden hatten. Sarris schauderte. »Nein, es ist kein Dämon. Es ist … etwas Schlimmeres. Etwas … Qualvolles.« Er beugte sich vor. In seinen Augen leuchtete das Weiß wie helle Flecken durch das Dunkel. »Was ist es?« Yuri erwiderte seinen eindringlichen Blick noch einen Moment lang, dann ließ er die gespannten Fäuste sinken und sagte ruhig: »Na schön. Ich bin Harmonixer.« Daraufhin schwieg ihr Gegner. Ein paar lange Minuten starrte er einfach nur, als suche er in Yuris Gesicht die Spuren dessen, was dieser soeben zugegeben hatte, zu ergründen. Harmonixer. Dante hatte dieses Wort noch nie gehört. Was ist ein Harmonixer? Er suchte in Trishs Gesicht nach der gleichen Verwirrung, fand dort aber nur gut beherrschtes Entsetzen. Schließlich nickte Sarris beinahe feierlich. »Ich muss dir meinen tiefen Respekt bekunden. Wenn man den Quellen glauben kann, dann ist Leben wie eine ewige Nacht, die keinen Morgen kennt. Sicher hast du deine Gabe oft verflucht.« »Ähm.« Yuri schlug die Augen nieder. Er sah unangenehm berührt aus. »Wir sind nicht hier, um über mich zu reden.« »Ich werde euch gehen lassen.« Das kam unvermittelt. Dantes Blick zuckte von Yuri zurück zu ihrem gemeinsamen Widersacher, forschte in dessen nun unbewegten Zügen nach Hinweisen auf eine List. »Du wirst uns gehen lassen? Das klingt ja, als könnten wir nicht jederzeit gehen.« Dante hatte noch immer die Werkbank mit dem Schaltpult im Rücken, das Sarris’ Hauptkontrollzentrum darstellte, und würde alles tun, den Irren nicht in dessen Nähe zu lassen. Auch wenn Sarris gerade ein zeitweiliges Stadium der Zurechnungsfähigkeit erreicht hatte, konnte man nie wissen, was er als nächstes tat. »Ich mag unlautere Wege gehen, um das Richtige zu tun«, gab Sarris stolz zurück, »aber ich bin weder unreell noch ein schlechter Verlierer. Die Invocatio ist gescheitert, was hätte ich davon, unser aller Zeit weiter zu verschwenden? Ich habe euch gesagt, was ihr wissen müsst: Azazel und Jin reagieren aufeinander. Und ihr könnt mitnichten jederzeit gehen, wie du behauptest, denn ich weiß, dass du ihn nicht zurücklassen würdest.« Er nickte sacht in Jins Richtung. »Du bist starrsinnig und unhöflich, aber ein anständiger Kerl, Dante.« Dante hatte die Phase, in der er sich von Sarris’ unerwarteten Komplimenten verwirren ließ, längst hinter sich. »Wenn du uns gehen lassen willst«, knurrte er, »dann mach, dass er sich zurückverwandelt. Damit sollte es doch gehen, hm?« Er wies auf die Peitsche, die einsam nahe der Wand lag, wo Yuri sie außer Reichweite geworfen hatte, um ihren Besitzer mit beiden Händen festhalten zu können. »Der Bannspruch hemmt Teufelskräfte, wie du gesehen hast. Versuch es nur«, ermutigte Sarris ihn. Dante hob die Peitsche auf. Er hatte einen Plan – einen ziemlich konkreten für jemanden, der gewöhnlich nie einen Plan hatte. Er würde Jin zurück transformieren und dann würden sie von hier verschwinden und Sarris mitnehmen, damit sie von ihm erfahren konnten, wie er Jin von Devil zu befreien gedachte. Womöglich war seine Methode wirksam, vielleicht war es sogar der einzige existente Weg. Oder es war ein riesiger Bluff. So oder so, sie mussten es wissen. Die sieben beschwerten Lederstreifen schleiften durch den Staub, als Dante mit der Geißel an Devil Jin herantrat. Die Berührung mit dem Material, egal welcher Art sie war, würde hoffentlich die Wirkung auslösen, die auch Dantes eigenem Wesen Gewalt angetan hatte. Er holte kaum merklich aus und ließ die Enden sanft gegen Jins bloße Haut schwingen. Gerade fest genug, um den Kontakt herzustellen. Unerwarteterweise folgte dieser Geste kein Effekt. Kein Aufheulen des Teufels, kein sich Winden, Brüllen und Verschwinden, nicht mal ein winziges Zusammenzucken. Stattdessen senkte Devil Jin langsam seinen gehörnten Kopf, fixierte Dante mit wie Kohlen glimmenden Augen und rollte drohend die Lippen zurück, um seine ekelhaft spitzen Zähne zu entblößen. »Glaubst du wirklich, ich wäre so schwach, Mensch? Diese kleinen gemalten Zeichen sollen mir meine Macht nehmen?« »Nicht, wie?« Dante zuckte die Schultern und warf die Peitsche beiseite. Wäre ja auch zu schön gewesen. »Du lässt dich also wieder herab, mit uns zu sprechen. Dachte schon, dein Hirn hätte gelitten, als ich dir eins draufgegeben hab, und du wärst jetzt schlicht zu dämlich zum Reden.« Devil Jin lachte kehlig. »Ihr habt keine Macht mehr über mich. In diesem Raum ist so viel Abscheu versammelt, dass es mich ein Jahrzehnt lang nähren wird. Dies hier war erst der Anfang.« Und dann wandte er endlich seinen glühenden Blick ab und richtete ihn stattdessen nach links auf den starken Eisenring, der sein Handgelenk umschlossen hielt. Zuerst fragte sich Dante, was das sollte. Dann, nach ein paar gedehnten Augenblicken, wurde es ihm klar. Unter Devil Jins zähnefletschendem Starren begann das Metall zu knirschen – erst ein kleines bisschen, dann ruckelte es, als würde sich jemand mit Gewalt daran zu schaffen machen, und schließlich – »Nein!«, rief Trish, und Yuri rief »Scheiße!«, und der Eisenring machte Krrrrzwing! Und schnappte zurück. Entsetzt griff Dante über die Schulter nach Rebellion, obgleich er wusste, dass auch ein Schwerthieb Devil nicht verjagen würde, doch er musste etwas tun, ehe – Doch für den zweiten Ring brauchte der Teufel nur Sekunden, und der Rest ging noch viel schneller. Geradezu abartig schnell. Die schwere Kette, die ihn kurz zuvor noch gebändigt hatte, fest in den Pranken sprang Devil Jin zu Boden und entfaltete mit einem mächtigen Luftstoß seine riesigen Flügel. Sofort spürte Dante die Nähe von Trish und Yuri, die Hals über Kopf zu ihm gerannt waren und ihn nun zu beiden Seiten kampfbereit flankierten. Doch ein dumpfes Geräusch von hinten ließ sie alle herumfahren: Sarris war geflohen – soeben war eine schwere kreisrunde Luke in der Wand hinter ihm zugefallen. Im Geiste zuckte Dante die Achseln; dass Sarris nach dieser verlorenen Partie sein Heil in der Flucht suchte, war alles andere als überraschend, und gerade auch viel weniger wichtig als diese verfluchte Bestie, die sich vor ihnen zum Durchstarten anschickte. Yuri war drauf und dran, Devil Jin anzuspringen, das verriet seine angespannte Haltung, aber ehe einer von beiden den ersten Zug machen konnte, rief Trish plötzlich scharf: »Warte!« Ganz egal, wen sie damit meinte, plötzlich hatte sie etwas Faustgroßes, Glänzendes in der Hand und holte damit aus, auf den Dämon zielend. Devil Jin sah es, ließ eine Millisekunde der Unschlüssigkeit verstreichen und drückte dann blitzartig die Knie durch. Die Bewegung katapultierte ihn aus dem Stand hoch in die Luft. Yuri sprang ebenfalls. Er bekam nur noch das rechte Bein zu fassen und wurde gleichfalls mit nach oben gerissen. Doch Trish hatte getroffen. Das hauchdünne Glas zerbarst an Devil Jins gespanntem Bauch, nur etwas niedriger als ursprünglich anvisiert. Das präparierte Wasser spritzte in alle Richtungen und perlte Yuri ins wühlmausbraune Haar, sodass er erschrocken losließ, nicht wissend, was ihn da durchnässt hatte. Das alles geschah nahezu gleichzeitig – sie fielen beide wieder zu Boden, Devil Jin kreischend und spuckend, Yuri landete auf Händen und Füßen und hechtete in Sicherheit. Das heiße Zischen, das ertönte, als die in der Flüssigkeit gelöste Chemikalie in die Gasphase überging, verebbte unter dem gequälten Stöhnen des Monsters, das jetzt zuckend am Boden lag. Langsam bildeten sich die scharf begrenzten schwarzen Male auf Jins Körper zurück, Hörner und Flügel wurden immer kleiner. Nach wenigen Herzschlägen war nur noch der schweißbedeckte halbnackte Körper des erbarmungswürdigen jungen Mannes zurückgeblieben, der Jin Kazama war. Schwer atmend blieb er hingestreckt auf dem kalten Boden liegen, bleich und zitternd vor Erschöpfung. Dante ließ das Schwert sinken und sah neben sich. Sein Blick traf den von Trish. »Weihwasser?« »Das eine war noch da. Ich hätte früher daran denken sollen.« Sich von seiner Bauchlandung berappelnd sprang Yuri wieder auf die Füße, schüttelte sich wie ein Hund und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Mann! Eine Warnung wär schön gewesen! Was war das?« Er schien zu erwarten, dass die klare Flüssigkeit, von der ihm noch immer Tropfen über das Gesicht liefen, seine Haut in Flammen aufgehen ließ. »Ein Stoff, der dämonische Körpersubstanz zersetzt«, erklärte Dante. »Also nicht deine, entspann dich. Man löst das leicht flüchtige Zeug in Wasser, füllt es in Kugeln und wir zerschmeißen die, wenn wir alles Teuflische im Umkreis leiden sehen wollen. Oh, und wir nennen es Weihwasser.« »Ach.« Yuri sah immer noch angepisst aus, und seine offensichtliche Angepisstheit wandte sich nun Jin zu, der elend auf dem Boden lag. »Und was jetzt? Der Irre ist weg.« »Egal. Wir haben, was wir wollten.« In diesem Moment richtete Jin mühsam seinen Oberkörper auf, das Gewicht auf seine zitternden Arme verlagert, und sagte schwach: »Ihr … hättet etwas früher kommen können.« Das gab Yuri offenbar den Rest. Dante fühlte geradezu, wie den Anderen eine Welle des Zorns überrollte. Ehe er den Arm ausstrecken und zupacken konnte, hatte Yuri die Distanz zu Jin überbrückt, holte noch im Rennen aus und schlug ihm ins Gesicht. Die Wucht des Schlags ließ Jin, in dem ohnehin keine Kraft mehr war, rückwärts überkippen, wo er liegen blieb, zu schwach für jede Art der Gegenwehr. Dante reagierte zu lahm, aber glücklicherweise setzte Yuri seine Attacke nicht fort; bebend und mit wildem Blick blieb er stehen, die Faust immer noch erhoben. Jin rieb sich mühsam die Schläfe. »Bist du verrückt geworden?«, brachte er undeutlich hervor. »Das hat meine Faust dich auch gerade gefragt!«, fauchte Yuri zurück. »Was sollte das bitte werden? Wir versuchen, dir zu helfen, und du hast nichts Besseres zu tun, als hinter unseren Rücken dem Feind in die Arme zu rennen!« Seine Stimme überschlug sich fast vor ohnmächtiger Wut. Jin holte angestrengt Atem, das Kinn störrisch hochgereckt. »Ich bin ihm nicht in die Arme gerannt.« »Ach nein? Wie bitte würdest du das sonst nennen?« Dante sah die Zeit gekommen, schlichtend einzuschreiten. Für so einen Kindergarten-Mist hatten sie jetzt keine Zeit. Kompromisslos packte er Yuri am Kragen und zerrte ihn grob beiseite. »Heb dir das auf, bis er wieder bei Kräften ist, klar? Dann könnt ihr euch gerne prügeln.« Yuri knurrte etwas Unartikuliertes und gehorchte. Mit Dante würde er sich nicht anlegen, das wusste dieser genau; er brauchte niemals laut zu werden, um sich Respekt zu verschaffen. Dieser Freak würde jetzt brav sein, oder er würde sich diesmal mehr einfangen als nur einen K.O.-Würger. Dante war gut darin, es zu verbergen, doch seine Nerven waren nicht minder strapaziert als die der Anderen. Er bückte sich nach Jin, um ihn an der Schulter hochzuziehen, doch halb aufrecht entwand Jin sich seinem Griff und wich mit einem matten Stöhnen vor ihm zurück. Er verkrampfte sich und spuckte eine dunkle Flüssigkeit aus – erst einen Mundvoll, sodass Dante sie für Blut hielt, aber dann kam noch mehr davon hoch, schaumig und dünn und dunkelrot schimmernd, bis Jin schließlich Luft holte und mit einem jämmerlichen Keuchen noch weiter nach rückwärts kroch, um dort ohnmächtig zusammenzubrechen. Dante musterte das Erbrochene skeptisch. »Rotwein?« »War wohl nicht der beste Jahrgang«, kommentierte Yuri bissig. Sie verloren keine Zeit. Trish fand sofort jenen Platz in der benachbarten Lagerhalle, an dem Sarris ihre und Jins Sachen aufbewahrte, und als Dante ihr den Lageplan gab, orientierte sie sich in aller Schnelligkeit, als könnte all der Stress ihr nichts anhaben, sondern hätte ihre Konzentration nur noch geschärft. Gute alte Trish. »Das hier ist der Weg. Vielleicht ist es nicht der kürzeste, aber es dürfte der sicherste sein.« Sie warf sich ihren taillierten hellgrauen Mantel über, dessen Kragen und Ärmelumschläge mit schwarzem Besatz versehen waren, und bewaffnete sich zügig mit ihren beiden großkalibrigen Pistolen. »Wir müssen uns beeilen. Er hat die Luftaufbereiter abgestellt.« Dante war verwirrt und zeigte es ihr, indem er die Augenbrauen hob. Sie erklärte: »Ich hab gehört, wie er es zu Jin gesagt hat: Würde ich sie abstellen, wären wir innerhalb einer Stunde tot. Hörst du noch irgendwas? Ich nicht.« Geschäftig machte sie sich daran, Jins Mantel über dessen reglosem Besitzer auszubreiten. Dante horchte in die Stille hinein. Ihm war bei all der Action gar nicht aufgefallen, dass das gleichmäßige Dröhnen der Maschinen verstummt war. Dieses riesige Tier, in dessen Eingeweiden sie hier festsaßen, schlummerte nun. »Okay, dann ist jetzt besser Schluss mit Trödeleien.« Er sah sich nach Yuri um. Der Idiot stand immer noch untätig in der Gegend und stierte die Wand an. »Hyuga? Bist du fertig mit Glotzen?« Griesgrämig löste Yuri den Blick von der Wand und richtete ihn stattdessen auf Jins schlaffe Gestalt, die Dante sich gerade über die Schulter warf. Dante kümmerte sich nicht um das feindselige – oder war es eher nachdenklich? – Starren des Anderen. Er hielt Jin mit einer Hand und vergewisserte sich, dass er mit der anderen jederzeit nach Ebony greifen konnte – falls sie wieder Besuch bekamen. »Trish geht vor, ich und Jin kommen nach, du deckst uns den Rücken«, erklärte er. »Abmarsch.« Er wusste, warum er Trish vorne haben wollte. In der Zusammenarbeit mit ihr hatte er nicht lange gebraucht, um zu erkennen, dass ihre Sinne seinen überlegen waren. Dante rechnete fest damit, dass Sarris weitere Zeit und Mühe darauf verwendet hatte, aus den Höllenschlünden die eine oder andere Überraschung für eventuelle Eindringlinge heraufzubeschwören. Trish bahnte sich ihren Weg durch die sterbende Maschine, der nun allmählich der Saft ausging: Das Licht wurde immer spärlicher, flackerte letztlich nur noch. Schwitzwasser rann an den rostigen Wänden der dunklen, hohl hallenden Tunnel herab. Dante war sich sicher, dass dies nicht der Weg war, den er und Yuri hinein genommen hatten, doch er mutmaßte, dass Sarris Trish auf dieser Route verschleppt hatte. Wie, das wusste er noch immer nicht, und bei diesem Gedanken kochte wieder die schwer zu verdauende Mischung aus Zorn und Unverständnis in ihm hoch. Wie Sarris sie überwältigt hatte, war ein klaffendes Loch in seinem Wissen, das er unbedingt füllen musste. In einer Fertigungshalle, die mit Reihen von riesigen metallenen Gefäßen bestückt war, die an Sudpfannen erinnerten und zu deren Zweck Dante nicht die leiseste Idee hatte, wurde Trish langsamer und hielt an. Die Beleuchtung lief auf Notstrom; flackerndes Dämmerlicht sickerte aus der Decke auf die Spalier stehenden rostigen Kessel, zwischen denen schwarze Schlagschatten kauerten. »Sag bitte nicht, dass du den Weg vergessen hast«, raunte Dante seiner Partnerin zu. Das Echo gefiel ihm nicht. Trish sah sich langsam um, dann sagte sie: »Du kennst das hier, oder? Du warst hier schon mal.« »Ja«, antwortete er vage. »Warum?« »Was lebt hier?« Er zögerte. Verschob ein wenig Jins Gewicht über seiner Schulter. »Keine Ahnung. Ich konnte es damals nicht finden. Hier sind Leute gestorben.« Yuri hinter ihm stöhnte: »Keine Geister, bitte keine Geister! Ich hasse Geister.« Trish starrte weiter die von Grünspan gescheckten Wände an. »Du hast also nach etwas gesucht, das hier Menschen umgebracht hat?«, folgerte sie. »Sagen wir, es ist recht unwahrscheinlich, dass sich so gut ausgebildetes Personal wie das von Shardworks durch reine Dummheit die Hände abgehackt und die Köpfe zermörsert hat.« »Verstehe.« Er sah zu, wie sie zu einem der ausladenden Kessel ging, mit den Fingerknöcheln über die dicke Kupferwand strich – und dann, nach kurzem Ausholen, ihre stahlbeschlagene Ferse dagegen rammte. Donggggggggg. Das Echo war dumpf und dröhnend und irgendwie bedrohlich. Dante spitzte die Ohren. Einen Moment lang war die wiedergekehrte Stille perfekt. Dann – ohne jede Vorankündigung – fiel etwas von der Decke. Es stürzte schnell und landete hart, dann verteilte es klappernd seine Einzelteile in alle Richtungen. Es war ein menschliches Skelett, dem ein Bleigewicht am Knöchel hing. Trish blieb stehen, als wären es nicht abgenagte Knochen, die ihr gegen die Waden purzelten, sondern angenehm kühle Meeresgischt. Aufmerksam sah Dante zu, wie die bleichen Bruchstücke zum Liegen kamen. Yuri hinter ihm hatte aufgekeucht und war zurückgewichen. Wirklich ein bisschen schreckhaft, der Kerl, aber jetzt hatte er sich wieder im Griff. Trish verschränkte die Arme vor der Brust. Sie hatte lediglich einen Schritt beiseite gemacht, damit das Bleigewicht ihr nicht den Schädel einschlug. »Ist das die Art, auf die man hier früher zu Tode gekommen ist?« »Kann ich dir nicht sagen. Vielleicht?« Sie legte den Kopf in den Nacken und suchte mit scharfen Augen die Decke ab. »Ah. Hab ihn.« »Wen?«, fragte Yuri. Auch Dante folgte ihrem Blick. Im spärlichen Licht sah er die üblichen Rohrleitungen und Verstrebungen, sonst nichts. Trish hob beide Hände und ballte die Fäuste. Gelbe Funken begannen ihre Fingerknöchel zu umschwirren. »Geht beiseite, Jungs.« Jin festhaltend, gehorchte Dante und vergrößerte den Abstand zu Trish. Yuri schob er dabei ebenfalls nach rückwärts, dessen schwachen Protest ignorierend. Was auch immer das für ein Dämon war, Trish sah ihn, und wenn sie angriff, sollte man ihr besser nicht im Weg sein. Trish sammelte sich noch zwei, drei weitere Sekunden lang, bis feine Blitze an ihren Knöcheln hinaufzuklettern begannen und die Geröllsplitter auf dem Boden sich auf sie zu bewegten, als wäre sie ein Magnet. Dann, mit einem wenig damenhaften Knurren, warf sie beide Arme nach oben, Handflächen zur Decke. Ein mächtiger, grellgelber Blitz sprang mit ohrenbetäubendem Krachen aus ihr hervor und entlud sich nach oben, strömte hinein in etwas, das dort unsichtbar klebte wie ein … Dante verengte die Augen. Der plötzliche Lichtschwall hatte ihn geblendet, doch er sah, wie die Elektrizität rasendschnell einen Umriss auszufüllen begann. Erst war es ein unförmiges, weich aussehendes Knäuel, wie ein matschiger Kaugummi, doch das gelbe Licht kroch weiter, verjüngte sich zu allen Seiten in eine Art Geflecht, das sich fein zwischen den tropfenden Röhren verästelte. Das Ding hatte sich über die ganze Decke und einen Teil der Wand ausgebreitet, wie ein … Schleimpilz, dachte Dante. Er wusste nicht viel über diese Wesen, nur dass es lichtscheue, wabernde Riesenzellen waren. Terrestrische Amöben. Was Trish dort oben mit ihrer Energie durchflutet hatte, schien das dämonische Gegenstück zu sein – ein unterweltlicher Riesenschleimpilz, der unsichtbar den ganzen Schacht durchwanderte. Das Licht durchraste die letzten Ausläufer des Knäuels und verschwand. Doch ehe das zähe Halbdunkel zurückkehren konnte, schickte Trish einen weiteren zerstörerischen Stromschlag hinterdrein. Jetzt hörte Dante auch, dass das Ding schrie. Es war eine so hohe Frequenz, dass sie nur am Rand seiner Wahrnehmung kratzte. Die tentakelartigen Verzweigungen zuckten vor; das Wesen waberte an der Wand herab, auf den ersten Kessel zu. Der Hebel, der den runden Deckel anhob, schlug um, und graue Flüssigkeit, die einen stechenden chemischen Geruch verbreitete, schäumte über den Rand der Pfanne. Dante begriff, dass hier ehemals eine Art Säure gekocht hatte, die aus dem Gestein bestimmte Bestandteile herauslösen sollte. Nun, gesundheitsförderlich waren das Zeug und seine Dämpfe sicherlich nicht. Die Riesenzelle kroch zielstrebig weiter zum nächsten Kessel. »Dante, ich brauche mehr Power!«, rief Trish über die Schulter. Ein weiterer Hebel schlug um. Über ihnen in den Röhren rasselte etwas, dann begann aus mehreren kleinen Löchern weißer Dampf zu strömen. Oh ja, Schleimi war sauer. Die Frage, wer oder was damals all die brutalen, teils tödlichen Unfälle innerhalb des Betriebs verursacht hatte, war nach über einem Jahrzehnt endlich gelöst. Dante zog Ebony und gab zwei Schüsse ab. Gerade schwappte die letzte Welle von Trishs Energiestoß durch die Kreatur, und schon verblasste sie, drohte wieder unsichtbar zu werden. Die Kugeln schlugen ein, und Dante sah, wie sich etwas in dem Schleimkloß aufbäumte – kurz schälte sich so etwas wie ein verzerrtes Gesicht mit zum Schrei geöffnetem Mund aus dem zerfließenden Körper. Dann war das Licht fort. Trish knurrte zwischen den Zähnen und raffte ihre Energie für einen weiteren Blitz zusammen. Dante, der mit einer Hand noch immer Jins schlaffe Gestalt an sich drückte, schob sich Ebony zwischen die Zähne, um nach Ivory zu greifen und die Pistole hinter sich zu halten. Nichts passierte. »Mach dich nützlich!«, wollte er Yuri zurufen, ihm die Waffe hinstreckend (war das wirklich eine gute Idee?), doch heraus kam nur ein befehlendes »Hng!«, da sich jemand, der auf einen Pistolenlauf beißt, schlecht artikulieren kann. Yuri wich mit finsterem Blick zurück. Er sah tatsächlich aus, als würde er gerne irgendetwas tun – sein Körper war gespannt, der Blick wild –, doch er hielt seine Fäuste sinnlos vor der Brust erhoben. Er konnte dieses Ding nicht anfassen. Dante schnaubte ärgerlich. Kapierte Yuri denn nicht, wie verdammt selten und einzigartig es war, dass Dante jemand anderem seine Waffe anbot? Konnte er sich bitte geehrt fühlen und zupacken? Einen Abzug zu drücken war schließlich keine hohe Mathematik! Mit schwerem Klonk schlug der nächste Pfannendeckel auf. Ganz in der Nähe. Dante kehrte das Gesicht ab, die Absonderungen reizten seine Augen und Atemwege. Das Wesen blieb unsichtbar. Über ihnen erlosch flackernd eine Lampe nach der anderen. Trish hatte keinen weiteren Blitz gesandt, sondern stand nur da, ihre Kräfte sammelnd. Dante feuerte mit Ebony auf die Stelle, an der das Pilzding eben noch entlang gewabert war, doch er sah nicht, ob es etwas bewirkte. Langsam wurde es in der Halle wirklich ungemütlich. Zwischen den umherwirbelnden Dampfschwaden konnte er die Tür am anderen Ende des langen Raumes noch sehen, doch der Amöbendämon befand sich irgendwo zwischen ihnen und hatte sicher nicht vor, sie vorbeizulassen. Er versuchte zu erkennen, wohin Trish blickte; immerhin konnte sie den unsichtbaren Kollegen wahrnehmen. Ehe er sie genauer beobachten konnte, fuhr sie herum. »Ich gebe euch eine Vorlage!«, zischte sie. »Sobald ihr den Kern seht, hämmert alles drauf, was ihr habt!« Kern? Kern. Dante nickte und verzichtete darauf, über die Schulter zu sehen und Yuris OK abzuwarten. »Leg los.« Trish hatte ihre Energie zu einem bestimmten Zweck zusammengezogen. Jetzt sah er, wofür: Sie flitzte davon. Schnell wie der Blitz. Oh, diese Fähigkeit liebte er an ihr, einfach herrlich anzusehen. Als gelber Schemen umrundete sie einen weiten Bereich im Gang zwischen den Reihen – dort hockte der Schleimpilz also, aha – und stieß von allen Seiten kleine Blitze wie Nadeln in den formlosen Körper. Dante sah, wie die zuckenden Ausläufer aufleuchteten, während sie der Angreiferin zu folgen versuchten. Sie krochen zielstrebig hierhin, dann dorthin – und erwischten Trish nicht einmal annähernd. Immer verzweifelter streckten sich die gelben Fühler nach ihr aus, doch Trish war jedes Mal rechtzeitig verschwunden, um der unangenehmen Berührung zu entgehen. Kleinigkeit für sie. Dante zog mit der freien Hand Rebellion und wartete auf seinen Einsatz. Allmählich erkannte er, was Trishs Anweisung bedeutete: Das Wesen rotierte zunehmend um seine eigene Achse in seinem Bestreben, sie zu erhaschen. Immer weiter schwappten die suchenden Arme von der festklebenden Mitte weg und ließen sie ungeschützt. Dort blitzte immer wieder etwas auf, eine Art Herzstück, das nicht unsichtbar war: eine pulsierende rote Blase, glänzend wie unter einem Film aus Öl. Mit jedem von Trishs Angriffen lag dieser Kern einen Sekundenbruchteil länger frei. Dante griff an. Keinen Wimpernschlag zu früh: Timing war etwas, das er perfektioniert hatte. Zu seiner Überraschung war Yuri neben ihm wie ein Spiegelbild – er hatte ganz genauso den richtigen Moment zum Zuschlagen erkannt. Zusammen stießen sie vor wie zwei Kobras, rammten ihre Klingen – Dante die Längsseite von Rebellion, Yuri die handlangen Messer, die zwischen seinen Knöcheln herausragten – in das widerwärtige blutgefüllte Hohlorgan, das unter der zähflüssigen Substanz hervorschimmerte. Es explodierte unter den gleichzeitigen Treffern und bespritzte die Männer mit der nach Verwesung und Fäulnis stinkenden Flüssigkeit. Der Geruch nach Leichensekret setzte Dante kurzzeitig schwer zu, und er hörte Yuri trocken würgen, ehe der Saft, der in breiter Pfütze über den Beton floss, sich endlich aufzulösen begann und inmitten der weißen Nebel, die den Raum immer mehr ausfüllten, zerstob. »Schnell!«, rief Trish mit hörbar angegriffener Stimme. »Nichts wie raus hier!« Dante stürzte zurück zu der Stelle, wo er Jin liegen gelassen hatte, und wieder war Yuri wie ein Schatten bei ihm. Simultan ergriffen sie den bewusstlosen jungen Mann und folgten Trish durch die sich zuziehenden beißenden Schwaden zu der mit Eisen verkleideten Tür am anderen Ende. Sie war nicht abgeschlossen. Gott, was für ein Tag, dachte Dante, während er dankbar die zwar nicht gerade frische, aber immerhin ihn nicht töten wollende Luft einatmete. Scherereien ohne Ende … Aber Trish war wieder da, sie alle waren da, und sie würden hier rauskommen, weil der Irre eben doch nicht gewonnen hatte. Wahrscheinlich hatte er geglaubt, sie würden nach seinem Abgang auf der verzweifelten Jagd nach Devil Jin allmählich krepieren, während der geflügelte Dämon durch irgendeine Luftschleuse nach oben entkam oder sonst was. Schlechter Plan. Gar nicht cool. Du hast einen Bock geschossen, du Komiker. Nach einem zügigen und gefährlich langen Lauf standen sie plötzlich doch in einer Sackgasse; über ihnen befand sich eine verschlossene Eisenluke. Trish zögerte nicht, sondern sprang und warf sich mit der Schulter dagegen – der Riegel brach und das ganze Ding flog nach draußen in den Dreck und die Dunkelheit. Dreck! Dunkelheit! Hell yeah, sie waren raus aus dem Schacht! Es fühlte sich an wie das Erwachen aus einem Albtraum. Fast wie eine Wiedergeburt. Sie stürzten hinaus in die schwarze Wildheit der Nacht. Kräftige Sturmböen fuhren durch die nahezu kahlen Baumkronen, Herbstblätter schlugen Dante ins Gesicht, als er endlich die klare, kalte Luft auf den Wangen spürte. Es war das Ende der schwitzigen Wärme und der geisterhaften Stille, und nun dröhnten die Winde und peitschten auf die Vier ein. Dante spürte, wie sein Schweiß gefror, und unterdrückte ein fiebriges Zittern. Automatisch drückte er den in seinen Mantel gehüllten Jin fester an sich. »Trish.« Sie drehte sich nach ihm um. »Das Motorrad liegt hier in der Nähe. Hat sich festgefahren, zieh es wieder auf halbwegs festen Boden und die Reise kann losgehen.« Sie nickte. Sicher ahnte sie, warum er ihr das sagte. »Ich, hm, nehme den kurzen Dienstweg.« Ein Nicken zeigte ihre Zustimmung an. »Ich passe derweil auf den Kleinen auf.« Damit ging sie zu Yuri und packte ihn am Ärmel. »Wir sehen uns zu Hause.« Damit glitten die beiden ins Dunkel. Dante hörte Yuri noch schwach protestieren: »Muss ich wirklich wieder auf dieses Höllending?« Erst, als jedes ihrer Geräusche vom Heulen der Winde völlig verschluckt war, hob Dante den Kopf und sah zum Himmel. Nur Schwärze war dort zu sehen, kein Mond, keine Sterne, alles erstickte unter dem Leichentuch aus nassgrauen Wolken, das zu dieser Jahreszeit alltäglich das Tal bedeckte. Dante würde Jin auf dem gefährlichsten, aber schnellsten Weg zum Devil May Cry bringen. Yuri würde sich fragen, wie er vor ihm und Trish dort angekommen sein konnte, und eine befriedigende Antwort würde Dante ihm schuldig bleiben. Vorerst. Niemand war glücklich mit der Situation, so viel stand fest. Aber das war jetzt egal – Trish war wieder da. Lebendig und heil. Das verfluchte Sorgenmachen hatte ein Ende. Weder Yuri noch Jin würden es schaffen, Dante die Laune zu verderben, egal was sie anstellten. Sarris war weg, seine Peitsche mit ihm – egal. Das würde er auch noch hinbiegen. Trish war wieder da. Das war jetzt alles, was zählte. Dante sammelte seine Kräfte, bündelte sie und ließ sie frei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)