Demonheart von CaroZ ================================================================================ Kapitel 27: Akt V - Aufbruch ins Gelobte Land: 9-3 -------------------------------------------------- 9-3: YURI Yuri schüttelte die Taschenuhr. Sie zeigte jetzt genau vier Uhr an – fast ein Drittel des Ziffernblatts war umrundet. Eine verdammt lange Stunde war das. Immer noch hatte Yuri keinen blassen Schimmer, was dieses Verhalten von McNabs magischer Uhr bedeuten sollte. Sie hatte vorher nie etwas Ungewöhnliches gemacht. War einfach nur eine Uhr gewesen. Und nun … Es zog unangenehm in seiner Magengegend, wenn er daran dachte, dass die Zeiger irgendwann wieder bei zwölf Uhr ankommen würden. Wenn diese Stunde vorüber war – was passierte dann? Als er sah, dass Jin ihm von gegenüber zusah, zuckte er innerlich zusammen. »Hey, du bist ja auch wach«, sagte er unnötigerweise. »Ich hab nicht geschlafen.« »So siehst du auch aus.« Yuri hatte bis eben geschlafen wie ein Stein. Alkohol war da ein wahres Wundermittel – eins, gegen das Jin offenbar immun war. »Wann müssen wir raus?« Er schob die Arme wieder unter den Nacken und starrte zur Decke. Jin sah auf die Uhr. »Du kannst noch fast zwei Stunden schlafen.« »Oh, gut.« Das würde er tun. Oder zumindest versuchen. Als sie tatsächlich aufstanden, hatte Yuri das Gefühl, es seien nur fünf Minuten vergangen. Er war müder als vorher. Matt blinzelte er ins gelbe Licht der Deckenlampe, da vor den Fenstern noch Finsternis herrschte, während um ihn herum die Abreisehektik einsetzte. Wie gut er das kannte – und doch war es jedes Mal anders und neu. Erst zum Frühstück bequemte er sich, die Couch zu verlassen, und dieses fiel spärlich aus, da die Zeit drängte. Jins Leibwächterin erschien oberpünktlich bei Dantes Büro, um ihren Chaffeurdienst anzutreten. »Ähm«, unterbrach Yuri das Zusammenräumen des wenigen Geschirrs, das sie benutzt hatten, während Jin schon die Taschen nahm, »hat einer ’ne Beschreibung für mich, wie sich Fliegen anfühlt? In so einem …« »Flugzeug«, half Jin. »Ja … Ich kenne nur Luftschiffe. Letztere … sind nicht so mein Fall.« Dante blieb im Türrahmen stehen und sah ihn über die Schulter an: »Hast du Angst vor Schiffen?« »Äh … nö, aber mir … wird … schlecht auf Schiffen.« Der Satz war zum Ende hin immer leiser geworden. »Schön, dass du jetzt damit rausrückst.« Dante schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Ich hätte es mir auch bis zum Reinklettern aufheben können«, murrte Yuri. »Ach, mach dich nicht verrückt. Wahrscheinlich werden wir sowieso schlafen – mehr kann man in einem Flugzeug nicht machen.« Dante nahm diese Mission ernst, wie es aussah. Er reiste offenbar nicht oft, denn er widmete seiner Ausstattung tatsächlich einige Aufmerksamkeit. Yuri spekulierte darauf, noch etwas zum Schutz gegen die Kälte abzugreifen, und tatsächlich brauchte er nicht danach zu fragen: Nach einem letzten Gang in sein Schlafzimmer warf Dante ihm ein warmes Sweatshirt und vier Paar Wollsocken zu. Yuri befühlte sie entzückt: Prima, das waren die guten Wollsocken, aus der Wolle von Schafen, die sich in Grönland die Haxen abfroren und trotzdem fett wurden. Wenig später waren alle Drei gegen den Winter gerüstet. Es gab keine sibirische Kälte in Wales, wie Yuri wusste, doch er erinnerte sich mit Schrecken an die frostigen Winde, die dort um die Klippen brausten. »Bitte lass uns nicht unnötig auffallen«, hatte Jin Dante gebeten, und der Teufelsjäger hatte dem mehr oder minder entsprochen: Er trug ausnahmsweise nur unauffällige Kleidung, ein schwarzes Shirt und darüber eine schlichte warme Unterjacke ganz ohne Schnickschnack, nicht zweitausend Gürtel und nicht dreitausend gruselige Schnallen. Er hatte nicht mal seine Biker Boots an, sondern so etwas wie harmlose Allwetterschuhe, über denen er soeben die verwaschene dunkelgraue Jeans glattstrich. Dann allerdings nahm er seinen roten Mantel von der Stuhllehne (Yuri hörte Jin leise aufseufzen), den wohl unverkennbarsten Mantel Amerikas. »Ohne den geht’s nicht«, sagte er gleichmütig. Allerdings rollte er die Ärmel ordentlich herunter und schloss die Knopfleiste. Immerhin etwas. Der Morgen graute, als sie einluden; Gehwegplatten und Gras waren ganz mit bläulichem Raureif bedeckt, außer den Stellen, die von der Sonne direkt beschienen wurden. Die Luft war eiskalt und klar wie Kristall. »Ich hoffe, ihr freut euch auf den langen und öden Flug«, bemerkte Nina, als sie hinter dem Lenkrad des lackschwarzen Mietwagens Platz nahm. »Ein Land Rover Evoque? ’nen auffälligeren Wagen hatten sie nicht, oder?«, stichelte Dante. »Ich setze mich nicht in jedes Auto«, gab sie unberührt zurück. »Du kannst gern zu Fuß gehen.« Trish, die wie eine stolze Wächterin in der Tür des Devil May Cry stand, tauschte einen letzten vielsagenden Blick mit Nina, und jene nickte kaum merklich. Yuri war klar, dass die beiden Ladies einander verstanden. Frauen kommunizierten zusätzlich auf einer Meta-Ebene, wo Männer niemals hingelangten. Die Sache mit dem Sonnenschein hatte sich bald erledigt: Dicker Nebel wälzte sich träge über den Rand des Talkessels und stieg von dort in langen Fäden wieder nach oben. Noch immer war Yuri ganz vereinnahmt von jeder Art motorisiertem Fahrzeug, und dieses gefiel ihm besonders gut, weil es fast lautlos fuhr und sehr sauber roch – nicht wie der Polizeiwagen, in dem er kurz nach seiner Ankunft im Jahr 2008 gesessen hatte und in dem schon zwei Dutzend Besoffene, Kinder und Hunde auf das Polster gekotzt hatten. Vollkommen wortlos kutschierte Nina ihre drei Fahrgäste die dreiundzwanzig Meilen bis Eastport, und der leere Highway, dem sie leise schnurrend folgten, wirkte wie ein endloses dunkles Band. Etwa in der Mitte der Strecke war die Sonne gänzlich hinter Wolken verschwunden, und an ihrer Statt setzte ein ungestümer Schneeregen ein. Das gleichmütige Auf und Nieder der Scheibenwischer hatte eine fast hypnotische Wirkung auf Yuri, und er starrte darauf wie in Trance, bis das Auto auf dem Parkplatz des Flughafens Eastport City zum Stehen kam. Von dem Ort Eastport sahen sie fast nichts, und dieses Wenige war auch nicht gerade spektakulär – ebenso wenig wie der Flughafen. Yuri war nicht sonderlich beeindruckt. Da hatte er in seiner eigenen Zeit größere Häfen und Bahnhöfe gesehen, Der Anblick der Flugzeuge indes erschreckte ihn etwas. Sie waren einfach zu groß. Aus der Ferne wirkten sie klein, aber wenn man näherkam … Wie kriegte man diese Ungetüme überhaupt in die Luft? Was für ein Motor schaffte das? Er erinnerte sich mit Grauen an das kleine Doppeldecker-Jagdflugzeug, das er mit Alice und Margarete von einem Truppenflugplatz der japanischen Armee entführt hatte und das ihnen in zweihundert Metern Höhe klappernd und rauchend buchstäblich unter den Ärschen auseinandergefallen war. Schon jener bescheuerte kleine Motor hatte getuckert wie ein Trecker und einen Höllenlärm gemacht – aber immerhin hatte man ihm abgekauft, dass er fliegen konnte. Diese Eisenriesen dagegen … Sogar Rogers Bacon-Jet war Kinderkram dagegen. Sein Blick klebte weiterhin an den glänzenden Flugzeugkörpern auf dem asphaltierten Platz, während seine beiden Begleiter ihn anstellig hinter sich herzogen. Er hatte nicht einmal mitbekommen, wie Nina sich von ihnen verabschiedet hatte. Jin ließ sich aus einem der vielen aufgestellten Automaten Karten ausdrucken, auf denen erstaunlicherweise ihre Namen standen. Woher auch immer das Gerät sie kannte. »Hier, deine Bordkarte.« Yuri begutachtete das Papier. »Was bedeutet der Buchstabe mit der Nummer?« »Dein Platz. Wir sitzen nebeneinander. Fenster, Gang, Mitte.« »Du kommst in die Mitte, Kazama, wir gehen kein Risiko ein«, bestimmte Dante. »Von mir aus«, erwiderte Jin leidenschaftslos. Nach einem Blick auf die übergroße Uhr über den Terminals nahmen sie noch einmal in der Lounge Platz. Es war noch Zeit bis zum Boarding. Yuri merkte, wie er ungeduldig wurde. Er hatte erwartet, dass sie ankamen, ins Flugzeug spazierten und losflogen. Also machte er sich quer über drei der unbequemen Stühle lang und starrte zur meterhohen Hallendecke mit ihren weiß glänzenden Streben. Er hatte Dante nicht erzählt, wie es gelaufen war, als er seinen Job für ihn übernommen hatte, damit Dante mit Jin abhängen konnte. Aber hey, Dante und Jin hatten auch nicht erzählt, was sie getrieben hatten – und da sie voller Blut, mit einer Scheißlaune und mit Jins Babysitterin im Gepäck zurückgekommen waren, konnte von einem Winterspaziergang wohl nicht die Rede sein. Nun ja, dafür hatte er mehr über Trish und Dante und ihre verkorkste Beziehung erfahren. Mehr, als ihm lieb war. »Wo fahren wir eigentlich hin?«, fragte Yuri verkrampft, während er sich auf dem Motorrad an Trish klammerte und der Versuchung widerstand, ihren Brüsten zu nahe zu kommen. Oh Mann, wie kamen Frauen nur mit solchen Monstern klar, die waren doch bestimmt bei allem im Weg – und Trish war in dieser Hinsicht wirklich nicht von der Natur vernachlässigt. »Zum Parkway Drive. Aber das sagt dir sowieso nichts.« »Was ist die Mission?« »Wir suchen einen Teenager und seinen Onkel, die ins Drogengeschäft verwickelt sind. Beide werden vermisst, aber mit Verdacht. Eine Kontaktperson gibt uns die Details. Dante wollte den Job nicht, aber ich. Es wird schmutzig.« Sie duckten sich, als Trish unter einer breiten Brücke hindurch steuerte. »Ich bin an Schmutziges gewöhnt«, antwortete Yuri, hundert Jahre zu spät. Seine Schlagfertigkeit erlebte selten Höhenflüge. Kurz darauf fragte er: »Rufen eure … Kunden euch immer an, oder kriegt ihr die auch mal zu sehen, bevor ihr den Auftrag annehmt?« »Manche kommen auch direkt ins Devil May Cry, um uns anzuheuern«, antwortete Trish, und ihre Stimme hallte unter der Brücke, bis sie durch waren. »Einmal kam einer in einem teuren Anzug, dem schon ›Arschloch‹ auf der Stirn stand. Dante war nicht da, also musste er mit mir Vorlieb nehmen, aber offenbar konnte er sich nicht dazu herablassen, sich in dieser Angelegenheit mit einer Frau abzugeben. Ich war wirklich noch nett zu ihm«, fügte sie nachdrücklich hinzu. »Er hat deutlich gemacht, dass er mit mir keine Geschäfte abschließt. Im nächsten Moment kam Dante, und der Typ hat sich fast in den Staub geschmissen und gejammert, dass die Sekretärin anmaßend zu ihm war.« »… Sekretärin?« »Dante hat ihn freundlich rausbefördert, und dann hat er sehr laut und sehr lange gelacht. Du hast keine Ahnung, wie oft ich mir seitdem anhören muss, wie nett ich in den Klamotten einer Sekretärin anzusehen wäre.« Trish bog in einen Hinterhof ab und hielt auf eine Gruppe von Männern zu, die ihnen abwartend entgegensahen, mit düsteren Mienen und Schlagstöcken in den Hosengürteln. Gut gelaunt sahen die alle nicht aus. Yuri kannte diese Art von verkniffenen Gangstergesichtern. Trish bremste das Motorrad scharf vor ihnen, sodass das Hinterrad herumschleuderte und eine Spur heißen Reifengummis hinterließ, und gab sich zu erkennen: »Purgatorio.« »Ihr seid also die Typen vom Devil May Cry«, stellte der Vorderste der nicht sehr vertrauenerweckend aussehenden Bande fest. Er trug eine graue Wollmütze und eine flickenreiche Jacke, und einer seiner Schneidezähne fehlte. »Zumindest ich«, sagte Trish. »Ich bin nur der Praktikant«, erklärte Yuri mürrisch. »Wie auch immer, ihr seid knapp zu spät. Der Boss hat euch vor ’ner halben Stunde erwartet. Jetzt haben wir den Laden schon aufgemischt.« »Jaah, zum Glück isses gut gegangen«, brummte der Typ links des Anführers, ein Bärtiger, der älter wirkte. »Dumm, dass ihr nicht da wart. Hätte uns das Leben leichter gemacht, uns ’ne Menge Ärger erspart. Ihr wärt da rein und wieder raus spaziert.« »Dann hätte euer Boss sich früher melden sollen«, sagte Trish unbeeindruckt. »Dem war doch sicher klar, dass wir das Viertel umrunden mussten, schließlich ist die Salvadore Street schon seit zwei Wochen dicht.« Die Männer schauten einander an. Offenbar fragten sie sich, ob der Scharfsinn ihres Bosses soeben angezweifelt worden war oder nicht. Schließlich zuckte der Vordere etwas ratlos die Schultern. »Wie auch immer, jedenfalls gibt’s leider nichts mehr für euch zu tun.« »Verdrückt euch wieder«, fügte Nummer zwei hinzu. »Moment.« Trish dachte gar nicht daran, sich wieder zu verdrücken. »Wir sind kein Lieferservice, bei dem die Bezahlung ausfällt, wenn die Pizza kalt ist.« »Wir hätten euch bezahlt, wenn ihr pünktlich gewesen wärt.« »Es war keine Zeit ausgemacht, und wir waren trotz der Sperrung viel schneller hier als jeder andere aus unserer Branche.« »Hör mal, Miss, wenn ich sage, ich bezahle euch nicht ...« Er verstummte, als Trish das Motorrad feststellte und das Bein elegant über den Sattel schwang. Wortlos ging sie auf die Gruppe zu, mit derselben einschüchternden Lässigkeit, die Yuri von Dante kannte – aber bei ihr wirkte es noch bedrohlicher. Die Männer wichen instinktiv zurück. »Miss, die Sache ist glasklar …« »Ist das so?« Trish kam näher, die Hände auf den Hüften wie ein Model auf dem Catwalk. Sie war größer als der Mann mit der Mütze. »Also … ich denke, wir können uns einigen …« »Fünfzig Prozent«, schlug Trish vor. Der Bärtige sah aus, als ob er protestieren wollte, und sein Mund öffnete sich zu einem beherzten Vorstoß, doch als Trish vor ihm stehen blieb, senkte er den Blick. »Geht klar.« Yuri grinste. Gute Show. Lässig stützte er die Ellenbogen auf den Motorradsattel und sah zu, wie Trish die Kohle einstrich. Klar, irgendjemand musste sich ums Geschäft kümmern, und Dante sah nicht aus wie jemand, der sich viel um Geld scherte. Für ihn zählte wahrscheinlich nur der Spaßfaktor, wenn es um die Auswahl seiner Missionen ging. Trish war pragmatischer. Nach der Übergabe wendete Trish das Motorrad und sie brausten ohne jeden Gruß davon. Na gut, einen neuen Stammkunden hatte sie hier nicht klargemacht. »Dante könnte jeden Job erledigen, den man ihm anbietet«, murrte Trish im Fahren über die Schulter. »Er kann fast alles. Aber nein. Er hat seine Standards, seinen Stolz.« »Ist das so schlimm?« »Nein.« Doch ihr Ton sprach eine andere Sprache. Yuri hielt ihre Taille umfasst und beobachtete den vorbeihuschenden Straßenrand, als das Zweirad plötzlich in einer leeren Straße langsamer wurde. Trish bremste weiter, würgte dann radikal den Motor ab, stieg wortlos ab und trat gegen das Vorderrad, während Yuri noch auf dem Ding saß. »Holla, was ist los?« »Ich bin wütend.« »Auf die Typen?« »Nein.« Statt sich zu erklären, sog sie tief die Luft ein und stieß sie mit einem Schnauben wieder aus. Gott, die war wirklich angepisst. Yuri spürte eine gewisse Beunruhigung und blieb angespannt sitzen. Stumm beobachtete er, wie sie am Straßenrand ein paar Mal steif auf und ab ging, dann schien sie wieder ein bisschen runterzukommen. Sie kehrte zurück und stieg wieder auf die Maschine, doch noch ließ sie den Motor nicht an. Irgendwas machte sie offenbar komplett fertig, und jetzt war so ein Moment, in dem sie es nicht mehr runterschlucken konnte. Er hörte sie mürrisch seufzen. Er musste irgendetwas sagen. Irgendwas. Um sie von dem, was auch immer sie gerade ausbremste, abzulenken. »Und? Äh, wie habt ihr zwei euch kennen gelernt, du und Dante?«, fragte er und gab sich höflich interessiert. Es war genau das falsche Thema. Oder das richtige, ganz wie man es sah. »Ziemlich klassisch«, antwortete Trish mit leisem Zähneknirschen. Ihre Fingernägel trommelten über die Griffe des Lenkers. »Er würde behaupten, ich hätte mich über seinen Schreibtisch gebeugt und etwas gesagt wie: ›Ich habe gehört, Sie sollen der Beste sein‹ … was nicht ganz der Wortlaut war.« »Äh … Und dann?« »Dann habe ich ihm sein Schwert in den Bauch gerammt, mitten in die Leber. Es war richtig romantisch.« Sie sagte das so abgebrüht, dass es nur die Wahrheit sein konnte. Die Leute in dieser Zeit machten wirklich schräge Sachen. »Ah … und dann … seid ihr wahrscheinlich übereinander hergefallen … direkt auf –« »– den ungepflegten Dielen, inmitten von Türtrümmern, Billardkugeln und Motoröl«, endete Trish und schenkte ihm über die Schulter hinweg ein sardonisches Lächeln. »So hätte es laufen sollen.« Dann verschwand das Lächeln, und sie wandte den Blick ab. Noch immer standen sie mit dem Motorrad mitten auf der Straße. Yuri hatte das Gefühl, dass er fragen sollte, was zwischen den Beiden nicht stimmte. Eigentlich hatte er keine Lust darauf, weil die Beziehungen anderer Leute ihn nicht interessierten; sie konnten ihn nicht interessieren, weil niemand von ihnen wusste, was Liebe war. Aber vielleicht war genau das der Grund, warum er nach einem Moment des Zögerns trotzdem fragte. »Was«, begann er, ohne zu wissen warum, »ist das netteste … ich meine, das bedeutendste Kompliment, das er dir je gemacht hat?« Diese Frage hatte Trish wohl nicht kommen sehen. Sie dachte darüber nach. »Das Übliche«, sagte sie dann. »›Was würde ich ohne dich machen‹, irgend so was.« »Und was würdest du lieber von ihm hören?« »Wie wär’s mit ›Nicht anziehen‹?« Yuri brauchte mehrere Sekunden, bis er verstand. Oder glaubte zu verstehen. »… Er mag es nicht, wenn du nackt durch die Wohnung springst?« »Es ist ihm völlig egal. Er guckt nicht mal hin.« Yuri schloss den Mund. Obwohl Trish nach außen wieder ganz cool und gefasst war, spürte er ihre Frustration noch stärker als in dem Moment, als sie gegen das Fahrzeug getreten hatte. »Ich komm nicht mit«, gestand er. »Obwohl du seine Frau bist, seid ihr –« Als Trish sich auf dem Sitz zu ihm umdrehte, brachte ihn das schlagartig zum Verstummen. »Du glaubst, ich wäre seine Frau?«, fragte sie. Es klang nicht wütend, nur … verblüfft. Sie sah aus, als ob sie nicht wüsste, ob sie lachen oder weinen sollte. Yuri fühlte sich plötzlich irgendwie hilflos, wich unter ihrem Blick so weit zurück, wie er konnte, ohne vom Sitz zu fallen. »Ja, klar … Das liegt nahe, musst du zugeben. Immerhin hat er ein Foto von dir auf seinem Schreibtisch.« »Das auf dem Foto bin nicht ich.« Wieder ein Seufzen. »Sondern seine Mutter.« Zum zweiten Mal klappte Yuri den Mund wieder zu wie ein Koi-Karpfen. »Ein perfider Plan von Mundus, dem Erzfeind seines Vaters. Ich wurde nach dem Vorbild seiner Mutter erschaffen, damit er mich an sich heran lässt. Ich sollte in ihm blindes Vertrauen wecken – das Urvertrauen, das man nur in die Mutter hat. Ich habe Dantes Vertrauen gegen ihn ausgespielt.« »Ausgespielt?« »Er ist mir ohne zu zögern in die Unterwelt gefolgt, und ich habe ihn direkt zu Mundus geführt. Und dort hab ich ihn in eine Falle gelockt.« Yuri sagte nichts. Ein Teil von ihm wünschte, er hätte die Klappe gehalten; der andere rollte den geistigen Faden auf, auf den alles aufgezogen war, was er über Dante und Trish wusste, und überarbeitete die Reihenfolge. »Dante hat mich besiegt und zurückgelassen«, fuhr Trish ruhig fort. »Und da ich für Mundus nichts mehr wert war, sollte ich vernichtet werden. Dante hat es nicht zugelassen.« »Das Vertrauen.« »Wir alle haben unterschätzt, wie stark es ist. Ich glaube, er hätte alles für mich getan, nur weil ich eben aussehe wie … die Personifikation seines Bedürfnisses nach Geborgenheit.« Selbst erstaunt über ihre Worte rümpfte sie die Nase. »Altes Geschwätz. Ich habe die Seiten gewechselt, den Rest kannst du dir denken.« »Ich glaub, ich kapiere das Dilemma langsam. Du wärst gerne seine Gefährtin, aber er ... will nicht.« Mit bitterer Miene schüttelte sie den Kopf. »Ich bin das Abbild seiner Mutter, ich bin unberührbar für ihn. Gleichzeitig alles und nichts. Vielleicht war das auch Teil von Mundus’ Plan, auf lange Sicht.« Yuri betrachtete sie ratlos. »Oh, Mann. Das ist echt voll für den Arsch.« »Das trifft es«, antwortete Trish emotionslos. »Es ist nicht leicht, so eng mit jemandem zusammen zu leben und zu arbeiten, wenn man –« »– ständig scharf auf ihn ist.« Immerhin schien seine vulgäre Art Trish zu amüsieren. Sie schüttelte mit einem unglücklichen Lachen den Kopf. »Denkst du wirklich, das wäre alles?« »Du bist ein Teufel, schöne Dame. Was soll ich denken?« »Ich bin nicht mehr, was ich war. Zumindest nicht mehr, seit Dante mich von Mundus befreit hat. Ich weiß zwar nicht, warum ich dir das erzähle, aber … als wir zusammen den Herrscher der Unterwelt besiegten, waren wir nicht nur ein Team, wir waren … irgendwie verbunden. Und ich war …« Ihre glatte Stirn furchte sich, und sie sah durch Yuri hindurch. »… verwirrt. Mein Dasein hatte sich von Grund auf verändert. Ich wusste, dass es richtig war, mich gegen Mundus zu wenden und Dante zu helfen, weil er mir das Leben gerettet hatte. Ich …« Sie schluckte hinunter, was auch immer ihr auf der Zunge gelegen hatte. »… Dante sagte mir, Teufel würden nie weinen. Tränen wären ein Geschenk für Menschen.« Sie schnaubte. »Ich … glaub, das stimmt«, sagte Yuri. Er war ein wenig baff. Trish schien nicht zu einhundert Prozent die ultra-taffe Lady zu sein, die eben noch mit einem einzigen bösen Blick zu einer Menge Geld gekommen war. »Vielleicht«, brummte Trish, nun wieder ganz gefasst. »Wie gesagt, ich weiß nicht, warum ich dir das erzähle. Vielleicht, weil du … auch Liebeskummer hast.« Ich habe keinen Liebeskummer, dachte Yuri. Ich habe ein gebrochenes Herz. Er schluckte so leise wie möglich. »Weil du weißt, dass ich auch jemanden liebe, den ich nicht mehr haben kann«, murmelte er. Er wollte ihr nicht erzählen, dass er schon literweise bittere, sinnlose, menschliche Tränen vergossen hatte. Nur weil sie sich gerade nackig machte, brauchte er das nicht auch zu tun. »Als Dante und ich Partner wurden«, fuhr Trish frustriert fort, »waren wir uns weniger nahe als vor meinem Überlaufen. Ich wurde nicht klug draus. Er war nur dann in seinem Element, wenn er Dämonen jagte, und ansonsten war er faul, stoisch und für wenig zu begeistern.« »Ach, und das hat sich geändert? Davon seh ich aber nichts.« »Denkst du, er hätte früher Dinge, die er kaputt gemacht hat, wieder repariert? Weit gefehlt.« Sie nahm seinen Blick wieder auf, und Yuri fand das leuchtende Blau irgendwie unangenehm. »Wenn ich es benennen müsste, würde ich sagen, er wirkte … verloren.« »Fein, aber was … hat das mit …« »Ich versuche gerade, dir zu sagen, dass es ihm besser zu gehen scheint, seit ihr hier seid«, erklärte sie ungeduldig. »Ihr lenkt ihn ab. Es wurde immer besser, wenn ihn etwas abgelenkt hat.« »Aber wovon denn?« »Davon, dass er sich nutzlos fühlt!« Yuri saß bereits mit dem Hintern genau auf der Kante des Sitzes und konnte nicht noch weiter zurückweichen, sonst hätte er es getan. »Als ich ihn holen kam und nach Mallet Island schleppte, um Mundus aufzuhalten, habe ich ihm den Sinn seines Lebens genommen. Verstehst du das?« »Weil dieser Mundus seine Mutter getötet hat.« Natürlich verstand er, was sie ihm sagen wollte, selbst ein Huhn hätte das verstanden. Allerdings war Yuri kein Sinnbild der Eloquenz. Sie fauchte weiter: »Ich werde den Dante, der mir eine Seele gegeben hat, nie wiedersehen. Das ist das Problem.« Ihre Augen waren hart und kalt. Das waren die beiden Seiten einer Frau wie ihr: Hart wie Stein und unnahbar auf der einen Seite, sehnsüchtig nach Nähe auf der anderen. Da Trish, wie Yuri begriffen hatte, noch nicht lange im Besitz tiefer gehender Empfindungen war, musste ihr der Spagat unendlich schwer fallen. Er fühlte sich hilflos. »Du weißt aber, dass er dich liebt, oder? Du hast ihn nicht erlebt, als du weg warst. Er war unerträglich, im Ernst. Er hat irgendwo da drinnen ziemlich was für dich übrig. Er würde alles für dich tun.« Außer aufräumen. Oder den Boden wischen. Das nicht. Aber die Wahrheit lag vor ihm: So sehr Trish Dante jetzt auch herumschubste and dominierte – sollte er je seine gutmütige, aufopfernde Seite wieder herauskehren, wäre sie sofort Butter in seinen Händen. Er konnte nur mit Trish nicht … nun ja. »Ich habe versucht, ihn zu verlassen«, erklärte sie widerstrebend. »Ich ging so weit weg, wie ich konnte. Studierte die Menschen, lernte, suchte mein eigenes Leben. Aber es hat nichts genützt. Er hat weder versucht, mich aufzuhalten … noch hat er protestiert, als ich zurückkam. Es war ihm irgendwie … egal.« Ihre Stimme war seltsam unbewegt. »Tut mir leid«, sagte sie ruhig, aber mit abgewandtem Blick. »Ich erwarte nicht, dass du mir einen Rat gibst.« »Kann ich auch nicht«, gab Yuri ehrlich zu. »Meine Liebe … beruhte auf Gegenseitigkeit.« So sehr, dass sie sich für mich geopfert hat. Ich lebe, sie nicht. Schlag DAS, Dante. »Vermisst du sie noch sehr?« Trish sah ihm wieder in die Augen, aber jetzt war ihr Blick nicht mehr so tödlich bohrend. »Ja.« »Wenn du durch die Zeit gekommen bist – meinst du, du kannst wieder zurückreisen bis zu ihr?« »Ich weiß nicht.« Er hatte arge Zweifel daran, doch sein Herz klammerte sich an diese Hoffnung. »Ich werde alles versuchen.« »Vielleicht finden wir alle noch unser Glück wieder«, sagte Trish, und als sie das sagte, war sie nur Frau und nichts anderes. Dann trat sie den Kickstarter durch, erweckte den Motor röhrend zum Leben und fuhr so hart an, dass Yuri den Halt verlor und nur ein beherzter Griff in ihr Dekolleté ihn vor dem Absturz bewahrte. Yuri hob ein Augenlid. Was er sah, war erneut die Hallendecke des Terminals mit den weißen Streben. Der Lärm aufgeregter Reisender, das hoch oben widerhallte, begann wieder in seine Ohren einzufluten. Ganz kurz überlegte er, ob er etwas mit einer Frau anfangen würde, die aussah wie seine Mutter. Was genau sollte daran so schlimm sein? Wenn sie in seinem eigenen Alter wäre, also niemals seine Mutter sein könnte, wäre eine rein optische Ähnlichkeit dann so eine große Sache? Bestimmt nicht. Allerdings erinnerte er sich auch kaum noch an eine Mutter; ihre Züge verschwammen vor seinem geistigen Auge immer mehr, je älter er wurde. Ihr rotbraunes, fast mahagonifarbenes Haar hatte er noch gut in Erinnerung, aber abgesehen davon … Sie musste wohl so ähnlich ausgesehen haben wie Karin, die deutsche Offizierin, mit der er zuletzt lange auf Reisen gewesen war und die, wie ihm nicht entgangen war, durchaus daran interessiert gewesen wäre, ihre Beziehung zu vertiefen. Sie war ehrlich und furchtlos und hatte sich nicht gescheut, ihre Gefühle vor sich selbst und den Anderen zuzugeben. Doch Yuri hatte ihr nichts anzubieten. Sein Herz war so gründlich vergeben, dass nicht auch nur das kleinste Stück davon mehr ihm selbst gehörte. Alles hatte er Alice geschenkt, und alles war mit ihr gestorben. Alles. »Hey, Hyuga. Hoch mit der Kiste.« Jemand stupste ihm gegen den Oberschenkel. »Was, geht’s etwa weiter?« »Es gibt noch einiges zu tun, bevor man ins Flugzeug steigen kann«, erläuterte Jin geduldig und steckte gerade sein Telefon wieder in die Tasche. »Wir müssen unser Gepäck abgegeben und durch verschiedene Kontrollen.« »Wie kompliziert.« Yuri rappelte sich von der unbequemen Sitzbank hoch und strich seinen Mantel glatt. Seit er den mit dem ganzen Zeug eingeschmiert hatte, sah er wirklich wieder ganz anständig aus, bis auf die abgewetzten Stellen. Jetzt war er noch besser dazu geeignet, Alice’ Leichnam darin einzuwickeln, als damals … Ein ziemlich schäbiges Begräbnis war das gewesen … aber es war alles, das er hatte tun können … Nein, nicht weiterdenken. Das half jetzt nicht. Sie würden nach Wales zu Roger gehen – und vielleicht konnte er das eine oder andere erklären. Als sie endlich bei der Passkontrolle an die Reihe kamen, kapierte Yuri, wozu der ganze Eiertanz mit dem Chief nötig gewesen war – und warum er nach seiner Landung um Jahr 2008 von den Polizisten mit solchem Misstrauen behandelt worden war. Die Pässe aus dieser Zeit sahen komplett anders aus, sie wiesen eine Menge Erkennungsmerkmale auf, die nur mit irgendwelchen Geräten verifiziert werden konnten. Auf Yuris Pass, ein zusammengefaltetes Papier mit vergilbten Rändern, traf nichts davon zu. Jin hieß ihn mit einer Geste zu warten; dann, nachdem er selbst durch die Kontrolle gelassen worden war, trat er an die kleine Tür neben dem Schalter, auf dem SECURITY stand, und wurde nach einer kurzen Frage durch den Türspalt eingelassen. Yuri sah geduldig diese Tür an, bis sie sich kaum zwei Minuten später wieder öffnete. Jin kam zu ihm zurück und gab ihm wortlos ein kleines flaches Büchlein in die Hand, kleiner als seine Handfläche, mit wenigen Seiten zwischen zwei harten Deckeln. Mit einem Stempel der Polizeibehörde. »Dein Pass«, sagte Jin. »Pass gut darauf auf.« »Mach ich.« Yuri verbrachte nach der Kontrolle noch mehrere Minuten damit, das nagelneue Dokument von allen Seiten zu betrachten und dabei mehrmals fast mit anderen Reisenden zusammenzustoßen, bis Jin und Dante ihn wortlos mitschleiften. Mit dem Gepäck verhielt es sich ähnlich komplex. Die Röntgenstrahlen offenbarten sehr wohl, was sie da für Schlachtwerkzeuge mit sich herumschleppten und aus den USA zu exportieren gedachten, doch auch hier machte der Stempel das Gesetz. Nach anfänglichem Stirnrunzeln wurden die Drei hastig durch die Absperrung gewinkt wie Vollstrecker eines Geheimdienstes. »Geht das so weiter? Ich hab keinen Bock mehr«, nörgelte Yuri, als sie die nächste Etappe vor sich hatten. »Wenn du weiter quengelst, geben wir dich als Gepäckstück auf«, versetzte Dante, zwar frivol wie immer, aber gleichfalls genervt. Nur Jin war tiefenentspannt. Sicher war er schon sehr oft auf diese Art gereist und kannte das alles auswendig. Die letzte Kontrolle war so ziemlich das Unangenehmste, was Yuri je auf einer Durchreise erlebt hatte. Die Leute gingen ihm mit einem kleinen Gerät auf den Sack, das Metall hasste. Erst war Yuri noch eingeschüchtert und ganz brav, aber schließlich konnte er den Umstand, dass er völlig überfordert war, nicht mehr geheim halten. »Wieso muss ich hier alles ausziehen?«, fragte er ungehalten, doch es klang eher weinerlich. »Sie könnten Waffen dabei haben«, erklärte ihm die junge Dame zum zehnten Mal mit einer Engelsgeduld. »Ja, wir haben ja auch Waffen dabei! Unsere ganzen tausend Waffen sind in den Reisetaschen!« »Und nur da dürfen sie mitfliegen«, erwiderte sie liebenswürdig. »Nicht bei Ihnen in der Kabine.« Sie glaubte offenbar, dass er sie verarschen wollte. Das Gerät schlug schon wieder an. Seufzend zog Yuri die magische Taschenuhr hervor und ließ sie zu seinem Mantel in die Plastikkiste auf dem Band fallen. Es piepte immer noch. »Oh Mann, was will das Teil?« Er griff wieder in die Hosentasche und fand eine uralte Zunderbüchse. Augenrollend warf er sie zu dem anderen Krempel. Sein nächstes Zielt fand das Gerät an Yuris Taille. »Im Ernst, die Gürtel auch?« »Ja, bitte abnehmen. Alle.« »Oh, Leute. Ich mache das nie wieder.« Er gehorchte widerwillig und blickte zu Jin hinüber, der die Prozedur seelenruhig über sich ergehen ließ. Die anderen schienen schon im Voraus gewusst zu haben, was sie ablegen mussten. Sie hätten ihn wenigstens vorwarnen können. Die manuelle Kontrolle bildete den Abschluss. Sie war an sich nicht schlimm: Yuri war schon von ganz anderen Typen begrabbelt worden und hielt artig still, in der Hoffnung, danach entlassen zu werden. Nichts da. Der Sicherheitsbeamte, der ihn abgetastet hatte, hieß ihn mit einer Geste zu warten, dann zog er aus einer Tasche einen etwa fingerlangen Papierstreifen, befreite ihn von einer feinen Folie und wischte damit kommentarlos einmal über Yuris Stirn. »Sagt mal, was soll das eigentlich? Ich will das Flugzeug nicht in die Luft jagen!« »Drogentest«, brummte der Beamte, betrachtete einen gefärbten Strich auf dem Papier und zog die Brauen zusammen, als wollte er dem Testergebnis nicht ganz glauben. »Sauber?«, fragte die Dame vor dem Monitor gelangweilt. Der Mann nickte grimmig und schob Yuri an der Schulter vorwärts, zum Ende des Bandes. Hinter ihm erhob sich ein Chor erleichterten Aufseufzens. Yuri sammelte seine Habe wieder ein und betrat den Boarding-Bereich, wo die anderen auf ihn warteten. »In den Staaten haben sie die Kontrollen wirklich extrem verschärft«, bemerkte Jin, der sein technisches Equipment wieder verstaut hatte und nun noch seine Armbanduhr wieder umlegte. »Bei meinem Abflug in Tokyo waren sie laxer. Gab es denn früher keine entführten Flugzeuge?« Gleichmütig gab Dante zurück: »Doch, aber früher fanden es die Leute noch nicht okay, dass man ihnen an die Klöten packt.« Yuri verkniff sich den fälligen Kommentar, dass ihm das nicht zum ersten Mal passiert war, und schaute sich um: Vor ihnen lag eine weitere Halle, kleiner als die vorherige, sauber und schick, mit kleinen niedlichen Läden. Die hatten hier beim Bauen an alles gedacht. »Sind wir etwa durch?« Er konnte es gar nicht glauben. »Ja, wir sind durch.« »Wir haben die dreißigtausend Kontrollen hinter uns? Yeah! Können wir jetzt ins Flugzeug?« »Wir werden aufgerufen, wenn es Zeit wird.« Jin musterte Yuri prüfend, als gäbe es irgendwas Interessantes an ihm, dann schlug er vor: »Lasst uns noch was Kaltes trinken, bevor wir an Bord gehen.« »Oh ja. Super.« Yuri war fast egal, was jetzt kam, Hauptsache kein Anstehen und Durchchecken mehr. Er streckte sich munter und registrierte dann, dass Jin und Dante ihn immer noch so merkwürdig ansahen. »Ähm. Ist was?« »Nein. Du kommst nur erstaunlich gut mit allem zurecht«, sagte Jin wohlwollend. »Ich bin total anpassungsfähig«, erklärte Yuri etwas misstrauisch. Sie starrten ihn immer noch so an. Als sie sich an einen der langweiligen stahlgrauen Tische gesetzt hatten, an denen wartende Reisegäste die Zeit totschlugen, stand Jin auf, um die Getränke zu ordern. Dante hatte aufgehört, Yuri zu beobachten, schaute in die Gegend und sagte nichts. Yuri entspannte sich. »Halt mal die Stellung, Großer, ich geh noch mal pinkeln.« »Ja, prima, troll dich.« Dante wirkte jetzt wieder unberührt von der ganzen Welt, als ginge ihn nichts von alldem, was rundherum passierte, etwas an. Yuri verzog sich auf die Toilette (luxuriös, sauber, schick, und die Hände trocknete man mit einer Air Blade, die die Hände wirklich trocknete – was es nicht alles gab!) und kehrte dann zurück, wo auf dem hässlichen Tisch nun drei hübsch ziselierte Limonadengläser standen. Jin und Dante sahen ihm erwartungsvoll entgegen. »Das ist deins«, sagte Jin ruhig und schob ihm eines der Gläser zu. »Es ist Eistee, kalter Früchtetee. Ich dachte, das würdest du mögen.« »Nett von dir. Danke.« Als er den ersten Schluck nahm, der kühl und fruchtig durch seinen Rachen flutete, bemerkte Yuri wieder die schlecht verhohlenen, neugierigen Blicke seiner beiden Gefährten. Angefressen fragte er sie: »Sagt mal, was ist los mit euch? Hab ich Hasenohren, oder was?« »Hast du nicht gesagt, du hättest Flugangst?«, fragte Dante. »Woher soll ich das wissen, wenn ich noch nie geflogen bin? Ich hab nur gesagt, dass ich mit Schiffen nicht klarkomme und mit Eisenbahnen auch nicht so, und es könnte sein, dass ich Flugzeuge auch nich’ so …« Hinter seiner Stirn begann es leicht zu kreiseln. Seltsam. Stimmte da irgendwas nicht? »… nich’ so gut … warm werde.« Schnell nahm er noch einen großen Schluck und musste sich Mühe geben, ihn nicht in den falschen Hals zu bekommen. »Oh, Leute … was ist denn da bitte drin …?« Seine Muskeln machten nicht mehr so richtig mit, und gegen seinen Willen sank seine Wange auf die Tischplatte. Er sah noch, dass Jin und Dante einen Blick tauschten und sich ihren eigenen Getränken zuwandten. Dann wurde alles schwummerig, ruhig und nett. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)