Demonheart von CaroZ ================================================================================ Kapitel 35: Akt VIII - Das Monster von Clarach: 12-2 ---------------------------------------------------- 12-2: JIN Jin fühlte plötzlich ein seltsames Zögern in den Gliedern, eine Art … Hemmung, die nicht aus ihm selbst kam. Langsamer werdend sah er zu, wie Dante unbehelligt weiterging, obwohl er völlig unbewaffnet war. Drohend entblößte der Wolfsgeist seine blanken Zähne, bis das Zahnfleisch schillerte. »Wartet!«, kam es plötzlich von hinten. Yuri schien sich gefangen zu haben. Er stürmte an Jin vorbei auf den Wolf zu, fast in ihn hinein.Die riesenhafte Kreatur fuhr zurück, fiel auf die Hinterläufe und reckte verblüfft den Kopf vor. Die Ohren stellten sich auf, und eine leuchtende Zunge glitt aus dem Maul, wie um die Luft zu prüfen. Erwartungsvoll schaute Yuri zu ihm auf. Der Geisterwolf reckte die Nase vor und schnupperte an ihm, sog so tief die Luft ein, dass Yuris Mantel flatterte. Und dann, ohne jede weitere Drohgebärde, erhob sich das Tier wieder, kehrte der Gruppe den Rücken und trottete davon. Jin traute seinen Augen nicht. Der Geist lud sie ein – er wollte sie führen! »Kommt«, sagte Yuri über die Schulter, »es ist sicher. Er bringt uns hin.« Dante schaute erst zu Yuri, dann zu Jin. Im Gegensatz zu Jin war er kein bisschen beeindruckt. »Er hat dich also erkannt?« »Ich glaub, er ist ein Wächter«, erklärte Yuri, während sie dem Wolf in einigem Abstand folgten. »Er hält jeden von den Ruinen fern.« »Außer dir.« »Ja … scheint so.« »Woher wusstest du, dass er auf dich so reagieren würde?« »Das war nur … geschätzt. Also, er sieht Blanca sehr ähnlich, dem Wolf, der mich und meine Freunde damals begleitet hat. Roger kennt ihn.« Das war eine Implikation, verstand Jin. Yuri wollte nicht zugeben, dass er sich trotz aller Unwahrscheinlichkeit weiterhin an die Hoffnung klammerte, Roger Bacon könnte sich noch irgendwo hier verstecken. Roger Bacon – ein gelehrter Franziskanermönch, der mit Schriften und sogar Statuen geehrt worden war und dem Yuri so aberwitzige Ideen, Erfindungen und Errungenschaften zuschrieb, dass es einem die Haare sträubte. Nicht dass es nicht möglich wäre, älter als hundert Jahre zu werden und dabei hochaktiv zu bleiben – Jins eigene Vaterlinie bewies das –, doch über ein halbes Jahrtausend? Jahrhunderte lang allein in Wales, in einem selbstgebauten Haus, angefüllt mit Kuriositäten? Das gehörte in ein Kinderbuch, bestenfalls. Er wusste, was Yuri finden würde: nichts. Im schlimmsten Fall würden sie auch dieses Manuskript nicht finden, das Sarris so verzweifelt suchte. Aber womöglich war das auch besser so. Andererseits … Diese Erscheinung, der sie gerade folgten, der geisterhafte weiße Wolf war real. Und seine Existenz ging offensichtlich auf einen mächtigen Zauber zurück, wer auch immer ihn gewoben hatte. Einige Minuten folgten sie der Kreatur schweigend durch nasses, gelbes Gras. Dann, irgendwann – nichts an der Umgebung hatte sich sichtbar verändert – hielt der Wolf plötzlich an, schaute nach oben … und verwandelte sich binnen Sekunden in ein humanoides Biest mit ledrigen Schwingen, das von der Finsternis fast verschluckt wurde. Wie eine Traumgestalt hob es sich vom Grasboden empor und flog mit langsamen Flügelschlägen davon, hinein in die Nacht, und war nur einen Moment später verschwunden. Die Anderen blieben stehen. »Und jetzt?«, fragte Dante. Zögernd schaute Jin sich um. Er ließ sein Licht einmal im Kreis um sich her schweifen, doch es traf auf nichts als leere Luft. Der eisige Küstenwind bestürmte sie von allen Seiten, trug aber nur Stille heran. »Ist ja prima gelaufen«, kommentierte Dante. »Er hat uns ins Nirgendwo geführt.« Jin richtete das Licht seines Handys auf den Boden. »Nicht unbedingt.« Rund um die Drei herum wies die Wiese großflächige Lücken auf, wo das Gras fehlte und nur dunkle, aufgeweichte Erde starrte. Möglicherweise wurde diese Erde gelegentlich hin und wieder bewegt, sodass sich kein Bewuchs festsetzen konnte … Als Jin den Kopf hob, war Yuri schon neben ihm, und wie auf ein geheimes Zeichen hin begannen sie, fest auf die freien Stellen zu stampfen. Unter ihnen hallte es – dumpf, kaum vernehmbar. »Hier«, meldete Yuri. »Hier auch.« »Hops weiter! Irgendwie muss man doch reinkommen!« Yuri sprang und landete hart, einmal, zweimal. Dante sah ihnen perplex zu. »Könnt ihr mir sagen, was ihr da macht?« »Da ist ein Hohlraum unter der Erde«, antwortete Jin gehorsam. »Und ihr glaubt, wenn ihr da rumspringt, tut sich die Tür auf? … Nicht, dass ich nicht absolut für direkte Wege und radikale Methoden bin, aber …« Den Rest des Satzes konnte Jin nicht mehr hören, denn sein Ziel war erreicht. Er hatte sich Yuri beim Springen angeschlossen, und ihre Sprünge hatten sich unwillkürlich synchronisiert – da, mit einem Mal, gab der Boden unter ihnen nach. Er öffnete sich einfach an der Stelle, wo sie standen, als hätten sie das Dach dieses unterirdischen Raumes mit Gewalt zum Einsturz gebracht. Der Fall war länger als erwartet, aber nicht allzu schlimm; die Wände waren sehr nahe, sodass sie aufrecht fielen und auf den Füßen landeten. Zwar prallten sie beinah aufeinander, als sie unten ankamen, aber dort war nichts als weiche, trockene Erde, die die Wucht abfederte. Yuri richtete sich auf, lachte und schüttelte sich Erde aus dem Haar. »Hahahaha! Wie ulkig ist das denn! Sie haben überirdisch alles platt gemacht – aber nicht unten drunter!« Schon tauchte er in die Finsternis ab, die sie umgab, die Hände vorgestreckt. Das spärlich einfallende Mondlicht half nicht. »Hier muss ein Gang sein. Jin, leuchte mal!« Jin gehorchte zögernd und fühlte sich wie in einem schlechten Film. »Sei vorsichtig. Das hier könnte etwas völlig Anderes sein. Vielleicht ein Nuklearwaffenendlager.« »Ein was? Leuchte mal da hin – ja, siehst du? Da geht’s lang. Bleib hinter mir.« Yuri folgte dem Licht, das sich in dem abzweigenden Gang verlor. Jin blieb stehen. Sein Mund war ganz trocken. »Was ist mit Dante?« »Der kommt schon nach. Sobald er seine Eier wiedergefunden hat.« »Und was –« Er musste schlucken, obwohl überhaupt kein Speichel da war. »– he, warte – was erwartet uns da? Kann es wirklich noch so sein wie damals, als du hier warst?« »Wenn du’s genau wissen willst …« Yuris Stimme klang bereits dumpf, wie durch einen schweren Vorhang. »… Uns erwarten halbverfallene Bauwerke einer Kultur, die älter ist als die Menschheit. Und die deinen Verstand überfordert.« In der Ferne erklang ein leises Rascheln. »Aber erst mal kommt nur eine feuchte Grotte, nicht gefährlich. Also komm schon!« Jin legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben. Ihr Absturz hatte ein unregelmäßig ovales Loch verursacht, das schwach leuchtend über ihm hing. Er streckte die Hand mit dem Licht spendenden Telefon vor und folgte Yuri. Schon nach wenigen Schritten auf dem trockenen Sand hörte er, erschreckend nahe, jäh den Klang einer heiseren, sichtbar wenig beanspruchten Stimme: »Wer oder was hat sich hierher verirrt? Ich hoffe für euch, ihr seid Gäste mit guten Absichten … Hee, hee, hee!« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)