Demonheart von CaroZ ================================================================================ Kapitel 48: Akt XII: Aus den Tiefen - 16-3 ------------------------------------------ 16-3: DANTE Manche Dinge gingen von Anfang an schief. Dieses auch. Eigentlich hätten sie Furfur in einen Schuhkarton stopfen und per Express zurück in die Hölle schicken sollen. Und zwar in fünf Minuten. Sieben, vielleicht. Aber der Umstand, dass sie eine halbe Stunde oder länger wie die Idioten hinter dem manischen Rotwild hergehechelt waren, versetzte Dantes Ego einen berechtigten Arschtritt. Yuri und er harmonierten überhaupt nicht als Tag-Team. Warum hatten sie das nie geübt? Dass Sarris ihnen früher oder später irgendwas wirklich Hässliches auf den Hals hetzen würde, hätte auf Dantes geistigem Merkblatt ganz oben stehen müssen. Aber so, wie sie sich zu zweit angestellt hatten, musste erst jemand wie Jin kommen, um – … Nun gut, Jin war kein Lappen, er war Karateka und außerdem Seine Majestät König Iron Fist von und zu Toshin-Killer, vielleicht hätte man ihn von Anfang an besser einbinden müssen. Und Ifrit … Wie das wohl ausgesehen hatte, als Jin seine Finger da reinschob und die Biester versuchten, ihn auseinander zu reißen … All das dachte Dante, während er so stilvoll wie möglich von der Klippe fiel, das schäumende Meer dabei beobachtend, wie es immer näher kam. Die aufragenden Felsspitzen wollte er gerne vermeiden, und ja, mit einem schweren Mantel als Segel ließen sich hohe Stürze schon einigermaßen steuern. Er fragte sich nur, wie lange es dauern würde, wieder hoch zu klettern. Fliegen war keine Option: Das eiskalte Wasser würde seinen Devil Trigger erneut auf Null setzen. Wenige Sekunden später war seine Fallzeit abgelaufen. Er erwischte mit einem Fuß die Steilkante, stieß sich von ihr ab, streckte die Hände vor und tauchte mit einem Kopfsprung in das scheißkalte Wasser ein, das sofort in jede Ritze kroch und versuchte, alle seine Muskeln zu Eis erstarren zu lassen. Hastig ruderte er an die Oberfläche, füllte seine Lungen mit Luft und starrte blinzelnd durch die Tropfen in seinen Wimpern nach oben zum Klippenrand, von dem sein unschöner Abgang erfolgt war. Wie hoch war das – hundert Meter? Zweihundert? Oder doch nur achtzig? Keine Ahnung. War auch egal. Er zog sich auf den nächstbesten aufragenden Felsen und kämpfte gegen die lähmende Kälte an. Sie würde ihn nicht umbringen, aber beim Klettern war sie nicht gerade behilflich. Und außerdem … Automatisch griff er in eins der Waffenholster und hob Ivory vor die Augen. Aus ihr lief Wasser, erst ein kleiner Strom, dann ein Tröpfeln. Großartig. Es würde eine Weile dauern, bis die beiden Mädels wieder funktionsbereit waren. Um keine Zeit zu verschwenden, ließ er sich wieder ins Wasser gleiten – was einen Moment an Überwindung kostete – und arbeitete sich zur Felswand vor. Sie war schroff, aber unregelmäßig genug, er würde schon oben ankommen. Erstaunlich, wie warm sich die milde Winterluft anfühlte, wenn das eigene Blut dem Gefrierpunkt nahe war. Etwas ungelenk begann er den Aufstieg. Die konstante Beanspruchung seiner Muskeln half ihm, sie wieder aufzuwärmen, und so kam er zunehmend schneller voran. Wann immer er hochschaute, sah er jemanden, der sich vorsichtig über den Rand beugte und vermutlich nach ihm Ausschau hielt. Gut so, sie warteten da oben auf ihn. Sollten bloß nicht auf die Idee kommen, wegzugehen und Hilfe zu holen oder, noch schlimmer, selbst runterzuklettern. Hoffentlich waren alle vernünftig genug dafür. Es dauerte bestimmt zehn Minuten, bis er die Hälfte der Kletterpartie hinter sich hatte, aber dann wurde es besser. Viele kleine Vorsprünge waren hier oben grasbewachsen, sodass er besseren Halt fand. Außerdem erholte sich sein Körper zusehends von dem Kälteschock. Die letzten hundert Meter ließ er ziemlich mühelos hinter sich, in flüssigen Bewegungen wie ein Gecko an der Wand »Los, mach schon!«, rief jemand über ihm. Es klang nach Yuri. »Halt’s Maul«, antwortete Dante und packte endlich mit der Linken ein Büschel Gras. »Bist du in Ordnung?«, fragte Jin, der neben Yuri stand, pflichtbewusst. »Ja, sicher, alles cool. Hat jemand ein paar trockene Socken für mich?« Dante schwang sich über den Klippenrand, wobei er mit dem Mantel einige Tropfen auf die Umstehenden versprühte, und sah sich plötzlich einer Person gegenüber, die er an diesem Ort als allerletztes erwartet hätte. Trish. Ihr offenes blondes Haar flatterte wild und sah bereits aus, als hätte ein Kamm keine Chance mehr. Sie musterte ihn abschätzig, die Arme vor der Brust verschränkt. »Manchmal weiß ich nicht, ob ich dich umarmen, küssen oder schlagen soll«, stellte sie fest. Dante breitete in einer ratlosen Geste die Arme aus. »Entscheide dich einfach.« Sie ging auf ihn zu und legte die Arme um seinen Hals, küsste ihn auf die Wange, holte aus und schlug ihn auf selbige, ziemlich fest sogar; dann drehte sie sich um und stolzierte davon. Er sah ihr fasziniert nach. Auf ihrem Rücken hing Sparda; das gewaltige Schwertblatt nahm die ganze Fläche ein, der Griff ragte über Trishs Scheitel hinaus. Dante fragte sich, wie sie das Ding durch die Kontrollen geschleust hatte. Irgendwie war es seltsam, das mächtige Schwert hier in Wales am Rande eines sturmumtosten Kliffs zu sehen. »Trish«, begann er etwas lahm, »was zur Hölle machst du hier?« »Ihr habt wohl wirklich erwartet, dass wir brav zu Hause bleiben, während von euch kein einziges Lebenszeichen mehr kommt«, erwiderte sie kühl. Dante schaute zu Jin. »Du hättest wirklich mal ans Telefon gehen können.« »Sei besser froh«, versetzte Trish. »Wir haben das Dorf evakuiert, während ihr … Tja, ich weiß nicht, was ihr da gemacht habt, aber nach guter Arbeit sah es nicht aus.« »Du hast auch nichts beigetragen, oder?« Er fragte sich, warum sie einander ständig beharken mussten, wenn es um die Arbeit ging. Frauen liebten das irgendwie. Der Harmonie wegen lenkte er ein: »Egal, die Sache ist erledigt.« Er drehte sich nach dem Haufen Asche um, die der kalte Winterwind schnell in alle Richtungen verteilte, und hob sein Schwert auf. Eine kurze Inspektion ergab: Keine Spur mehr von Blut oder Säure oder irgendwas an der Klinge, das Erbstück war blitzsauber. Er schob es über die Schulter dahin, wo es hingehörte. »Dante, wir sollten …«, begann Jin und hob eine Hand; eine Hand, die noch immer in Feuer gehüllt war. Das fühlte sich nicht richtig an, jetzt, da der Kampf vorbei war. Dante fiel ihm ins Wort und streckte fordernd die Hand aus. »Halt. Ausziehen, Kazama. Ausziehen.« »Wenn er mir das in diesem Ton sagen würde, wär ich schon nackig«, bemerkte Yuri. Etwas zögernd streifte Jin die Handschuhe ab, einen nach dem anderen, und legte sie in Dantes Hand. Aus dem Lodern wurde ein Glühen, als die dämonische Energie sich in das schuppige Material zurückzog. »Braver Junge. Übrigens: Schöner Finisher. Aus dir wird noch ein richtiger Teufelsjäger.« Jin reagierte wie erwartet und betrachtete ihn angewidert. Kurz überlegte Dante, ob er noch etwas Anderes zu ihm sagen sollte, etwas Nettes, etwas darüber, dass er Jins Tauglichkeit zum Kampf gegen Teufel falsch eingeschätzt hatte. Doch Jin wandte bereits den Blick ab, und im Nu war sein Gesicht wieder versteinert. Jemand Fünftes näherte sich in leichtfüßigem Laufschritt die Anhöhe hinauf. Dante sah es, als er Trishs Blick folgte. Es war natürlich Nina, und Jin ließ ein leises unwilliges Murren vernehmen, als er sie entdeckte. Die ehemalige Auftragsmörderin trug ihren schon bekannten schwarzen Wintermantel über der ansonsten hautengen Kleidung und hatte ihr Haar in weiser Voraussicht an gleich mehreren Stellen zusammengebunden. Mühelos trabte sie bergan auf die Gruppe zu, wobei ihre Schuhe – nicht ladylike, sondern Stiefel mit breiten profilierten Gummisohlen – ihr auf dem glitschigen Gras exzellenten Halt boten. Nein, sie war niemand, der unvorbereitet auf Einsätze ging. »Hey«, grüßte sie mit ihrer tiefen, gletscherkalten Stimme, als sie die Vier erreichte. »Die Lage ist unter Kontrolle. Die Leute aus Clarach sind auf dem Weg nach Aberystwyth, man wird sie unterwegs mit Bussen einsammeln.« Mit leicht angehobenen Brauen musterte sie den rauchenden Aschehügel. »Bei euch ist offensichtlich auch alles in Ordnung.« Dante ließ den Blick einmal an ihr hinab und wieder hinauf gleiten. Nina war immer noch ziemlich sexy, aber er würde einen Teufel tun, ihr das zu sagen. Er traute ihr nur so weit, wie er sie werfen konnte. »Ich würde eins gerne wissen«, sagte er, dabei vor allem Jin ansehend. »Wo ist Sarris jetzt?« Was auch immer passiert war, es hatte verdammt lange gedauert. Jin sah Dante fest an, die Lippen eine schmale Linie, bevor er sagte: »Ich habe ihn ausgeliefert.« Dante erwartete irgendeine nutzlose Reaktion von Yuri, mindestens einen wütenden Tritt ins Gras, doch Yuri blieb still, fast teilnahmslos. Offenbar hatte der Kampf ihn ziemlich erschöpft. »Was heißt, du hast ihn ausgeliefert? Fang von vorne an.« »Sarris wollte sich in dem kleinen Café auf dem Hügel verschanzen, in dem wir mit Roger waren«, berichtete Jin folgsam. »Es war leer, alle hatten den Dämon gesehen und waren geflüchtet. Ich weiß nicht, ob er – … ich denke, er wollte wieder ein Ritual anfangen.« Für einen Sekundenbruchteil wandte er den Blick ab, schaute dann aber wieder Dante an. »Und wo hast du ihn hingebracht?« »Zu Rhys«, erklärte Jin, ohne zu zögern. »Sapientes Gladio können ihm nichts tun ohne die Heilige Mistel.« Das stimmte natürlich. »Und Rhys hat ihn eingesperrt, schätze ich?« »In seinem Weinkeller.« »Angemessener Ort.« »Rhys hat auf seine Leute gewartet. Derweil habe ich alles, was Sarris uns abgenommen hatte, in Sicherheit gebracht. Ich weiß, unsere Hotelzimmer sind theoretisch nicht sicher, aber es gab keine Optionen. Ich habe die Sachen wirklich gut versteckt.« »Welche genau?«, fragte Yuri mit verschränkten Armen. »Die Peitsche, die Seiten und die Émigré-Schrift. Dabei habe ich die Handschuhe gefunden … und ich fand, dass es gut wäre, eine Waffe zu haben.« »Jin, du hast Ifrit unterworfen!«, sagte Yuri in halb bewunderndem, halb verständnislosem Ton. »Ist dir klar, was du gemacht hast? Dante hat eingeplant, dass du in Flammen aufgehst.« Dante hob die Schultern, weil er vermutete, dass irgendeine Reaktion von ihm erwartet wurde. »Ich weiß«, antwortete Jin kalt. »Das ist der Grund, warum es nicht passiert ist.« Dante fand, dass die Zeit für Ätzereien später dran war. Er war durchaus bereit, sich seinen verdienten Arschtritt abzuholen, doch jetzt hatten sie wirklich Besseres zu tun. »Nina«, wandte er sich an Jins Leibwächterin. »Kannst du dich an Rhys heften? Wenn Sapientes Gladio kommen, um sich Sarris zu holen, sollten wir das vielleicht wissen.« Noch ehe er ganz geendet hatte, winkte Nina ab. »Die Sache ist unter Kontrolle«, belehrte sie ihn. »Sarris hat einen Tracker, und wir werden es sehen, wenn er Rhys’ Keller verlässt.« Sie hielt ihr Handy hoch – es sah, für einen Laien wie Dante, noch moderner aus als das von Jin – und tippte auf die dunkle Fläche, auf der sich in Grau Grundrisse von Straßen und Gebäuden abzeichneten: eine virtuelle Karte. In der unteren rechten Ecke leuchteten winzige Wörter und Zahlen, und etwa in der Mitte des Bildschirms blinkte gut sichtbar ein heller Punkt. »Ihr habt Sarris auf einem Radar?«, sagte Yuri verblüfft. »Kinderkram«, erwiderte Nina und ließ das Telefon verschwinden. Ausgerechnet Jin sah skeptisch aus, als wäre ihm etwas aufgefallen, das allen Anderen entgangen war. »Hat jemand Roger gesehen?«, fragte Yuri. »Wen?«, fragte Trish. »So ein kleiner bärtiger Kerl, der aussieht wie was, das man im Kühlschrank vergessen hat«, half ihr Dante aus. Trish und Nina tauschten einen Blick. »So einer mit Hut und Gehstock? Den haben wir bei der Evakuierung gesehen«, erklärte Nina. »Er scheint die Dorfbewohner zu kennen. Sie nennen ihn Herrn Gilbert.« »Oh ja. Das ist er.« Dante sah Yuris Mundwinkel zucken. Doch für Zufriedenheit war es zu früh. »He, Hyuga? Wir sollten nach deiner Zeitmaschine sehen.« »Hmm«, nickte Yuri, und die Verwandlung seines Gesichts von Erleichterung zu tiefer Sorge war mitleiderregend. »Vielleicht steht noch was davon, und wir können sie reparieren.« Eine recht einfallslose Bemerkung, wie Dante sich eingestand, denn auch zur ersten Reparatur des Teleporters hatte er nicht viel beigetragen. »Ist gut«, stimmte Yuri tonlos zu. »Wartet.« Jin ging auf Nina zu. »Zeig mir noch mal Sarris’ Position.« Sie gehorchte. Beide starrten wortlos auf den kleinen Bildschirm, und Dante sah sofort, dass etwas nicht stimmte. »Er bewegt sich nicht«, stellte Jin fest. »Das kann alles bedeuten«, entgegnete Nina, doch voll überzeugt klang sie nicht. »Sie könnten ihn betäubt haben, K.O. geschlagen oder sonst wie außer Gefecht gesetzt. Was kümmert es dich?« »Warum sollten sie, wenn er eingesperrt ist?«, beharrte Jin mit dem Starrsinn des sehenden Propheten. »Wenn sie da sind, warum sollte er dann noch bei Rhys sein?« Dante sah ein, dass die Einwände berechtigt waren. Die Indizien sprachen dafür, dass sie Sarris wieder einmal unterschätzt hatten und dass er nicht bei Rhys war, sondern nur der Peilsender. Eigentlich hätte das von Anfang an klar sein müssen. Dante kannte Sarris seit vielen Jahren, der war kein Vollpfosten, niemand, der sich gerne aufs Kreuz legen ließ. Anderen einen Schritt voraus zu sein, war für ihn immer wichtig gewesen. Dennoch war Sarris im Moment nicht die höchste Priorität. Was auch immer Sapientes Gladio mit ihm vorhatten oder schon gemacht hatten, es gab jetzt Wichtigeres. »Wir kümmern uns später um ihn«, entschied Dante und sah aus dem Augenwinkel, dass Yuri sofort auf seiner Seite war. Von hoher Dringlichkeit war nicht nur, dass sie den vermutlich zerlegten Teleporter wieder zusammenbastelten, sondern auch, dass sie ins Warme kamen. Seit Furfurs Tod hatte sich der Erdboden wieder abzukühlen begonnen, und Dante spürte den Windchill immer stärker, da er von Kopf bis Fuß nass war. Auch Jin hatte leicht zu zittern begonnen, hatte er doch nichts auf der Haut außer einem Hemd und Schweiß. Wieder in die halb zusammengeschmolzene Erdhöhle zu kriechen, entpuppte sich allerdings als dämliche Idee. Die Gänge waren eingesunken und kaum noch betretbar – bestenfalls konnte man sich auf allen Vieren noch irgendwie hindurch zwängen –, und noch dazu erfüllte sie eine beißende, massiv nach Verbranntem stinkende Luft, die kaum atembar war. Sicher, über Kälte konnte man sich hier unten nach Furfurs Auftritt noch weniger beschweren als vorher; doch es fühlte sich an, als sei all der Qualm des verdampften Wassers und des in Asche verwandelten Holzes hier unten als träge Suppe herabgesunken. Die Fünf husteten ununterbrochen, während sie die Trümmerteile durchwühlten und versuchten, das, was von Rogers Zeitmaschine übrig war, aus dem verkohlten Inventar zu bergen. Tatsächlich war ein Großteil des Geräts noch in einem Stück. Die Emitter ließen sich einzeln nach oben ans Tageslicht durchreichen, nachdem Jin mit verkrampften Fingern ihre Kabel getrennt hatte (Dante selbst hätte keine Ahnung davon gehabt). Das Laufband war ein größeres Problem. Die Rollen, auf denen es lief, waren voller Sand und Kies und drehten sich nur unter größter Gewalt. Nun, Dante war bereit, diese Gewalt zur Verfügung zu stellen, und fand es seltsam beruhigend, sich auf diese Weise nützlich machen zu können. Dennoch brannten seine Lungen bestialisch, als er endlich als Letzter wieder an die Erdoberfläche kroch. Diese Luft konnte nicht gesund sein. Leicht kohlemonoxidvergiftet, aber immerhin auch leidlich aufgewärmt schleppten sie die Einzelteile von Rogers Konstruktion am verwitterten Denkmal vorbei auf ein Stück Wiese, das frei von Stechginster war. »Roger!«, rief Yuri laut über die Ebene, wobei seine Stimme mehr als mäßig angegriffen klang. »Hilf uns, deinen Kram wieder aufzubauen!« Dante betrachtete den Haufen aus Metallteilen und Kabelsalat, der zwischen ihnen im Dreck lag. Jeder Idiot sah, dass das Ding nicht mehr funktionieren konnte. Yuri rief noch zweimal heiser Rogers Namen, doch der kleine Mönch tauchte nicht auf. Jin und Trish sahen stumm den Teleporter an, während Nina in Hab-Acht-Stellung, beinahe lauernd, über die Ebene starrte. Am Horizont kroch zwischen dunklen Wolken die Dämmerung heran. »Der Tracker bewegt sich«, sagte Nina plötzlich, auf das Telefon schauend. »Er verlässt das Black Raven Richtung Promenade. Entweder haben sie jetzt Sarris aus dem Keller geholt, tot oder bewusstlos –« »– oder sie haben endlich entdeckt, dass er nicht dort ist«, endete Trish. Dante entschied sich noch im gleichen Moment dafür, dass Trish diejenige war, die richtig lag. Ohne jedes Vorzeichen ging Jin plötzlich in die Knie. Er stemmte die Handflächen in den Erdboden und biss die Zähne zusammen, doch es war unverkennbar, dass in ihm keine Kraft für Widerstand war. Seine Reserven waren aufgebraucht. Yuri reagierte und wollte die Arme um ihn werfen – ein beschützendes, aber unüberlegtes Manöver –, doch Jin stieß ihn machtvoll von sich, während er auf die Füße sprang, und nur einen Moment später raste Devil Jin flügelschlagend Richtung Himmel. Wo zum Teufel kam der her, ohne Auslöser? Dante verstand gar nichts mehr. Automatisch korrigierte er seine Fußstellung, sodass die heiße Welle aus Energie, die die Transformation über die Umstehenden hinwegrollen ließ, ihn nicht auf die Bretter schickte. »Was zum – !«, schrie Yuri auf. Trish und Nina, die sich instinktiv geduckt hatten, folgten der dunklen geflügelten Kreatur nicht weniger fassungslos mit den Blicken. Umso größer wurde auch Dantes Verblüffung, als Devil Jin sich nach einem hohen Bogen wieder steil zur Erde stürzen ließ, um in einiger Entfernung am Fuße der Anhöhe zu landen. Dort, wo eine Gestalt im Gras kauerte. Also doch. Dante hörte Yuri fluchen, und das war das Unflätigste, das er je von ihm gehört hatte. Sarris hockte halb auf allen Vieren, den Anorak offen und flatternd, einen Arm entblößt – einen Arm, um dessen Ellenbeuge ein blutiger Stofffetzen gewickelt war. Bahnen von getrocknetem Blut zogen sich von der verbundenen Wunde bis zum Handgelenk. Sarris war blass und hatte sichtlich Mühe, nicht zur Seite zu kippen. Für Dante war sofort klar, wie er seinen Verfolgern entwischt war. Devil Jin stand aufrecht neben Sarris’ kauernder Gestalt, die Flügel über dem Rücken gefaltet, und betrachtete den geschwächten Menschen geringschätzig. Doch anstatt ihn mit einem Tritt oder Schlag zu töten, sprach der Dämon zu ihm. Dante hörte nicht, was; dazu waren die beiden zu weit weg, und der Wind trug die Worte fort. Was er aber auf dem Boden vor Sarris sah, waren Dinge, die er dank ihrer eindeutigen Formen gut erkennen konnte: ein Ziegenschädel, ein offenes Buch – und das Émigré-Manuskript. Wie um alles in der Welt hatte er das ganze verdammte Zeug wieder an sich gebracht? Hörte das denn niemals auf? Sarris erwiderte unhörbar etwas auf Devil Jins Anrede – offenbar etwas, das dieser nicht hören wollte, denn daraufhin packte der Teufel den Mann im Nacken und schüttelte ihn einmal kräftig wie ein Hund ein Kaninchen. Sarris stöhnte so laut auf, dass es bis zu den Anderen hörbar war. Das reichte jetzt, entschied Dante. Worüber auch immer die Beiden sich da austauschten, das Wetter war es nicht. Er setzte sich in Bewegung, eine Hand am Pistolenholster, und der Wind fuhr schneidend unter seinen klammen Mantel, als er beschleunigte. »Tu es JETZT!«, war das Erste, das Dante akustisch verstehen konnte. Es kam als tiefes Grollen von Devil Jin, ein verzerrtes, überlagertes Echo von Jins eigener Stimme. Sarris keuchte auf, stützte sich mit dem gesunden Arm im Gras ab und griff mit dem anderen, das Gesicht schmerzverzerrt, unter die Jacke. Zitternd holte er noch etwas hervor. Dante wusste, dass es die vierzehn Seiten waren, noch ehe er sie sehen konnte. »Es ist alles vorbereitet«, sagte Sarris kraftlos zu Devil Jin, die sich nähernden Gegenspieler nicht beachtend. »Ihr Leid … genügt. Fordere deinen Blutzoll …« Dante erreichte das Duo und zog Ebony, noch ehe er zum Stehen kam. »Hier wird gar nichts gefordert. Du, verzieh dich.« Devil Jin kräuselte spöttisch die Lippen auf diesen Befehl hin, doch im gleichen Moment umrundete Trish die Beiden in elegantem Bogen, und zack, lag Sparda an Devil Jins Kehle. Dessen Grinsen verschwand, und er fletschte die Zähne. So wenig Dantes Erscheinung ihn jetzt noch einschüchterte: Spardas legendäre Klinge war ein anderes Kaliber. Sarris stöhnte leise. Sein Atem klang rasselnd. Dante kniete sich zu ihm und drückte ihm Ebonys Lauf an die Schläfe. Er staunte selbst, wie wenig er zögerte. »Oh«, keuchte Sarris und erbebte. »Das kenne ich noch nicht von dir.« »Das mussten viele kennen lernen in letzter Zeit. Nicht zuletzt deine Schuld.« Dante strich über den Abzug, sodass er ganz leise klickte. »Wie bist du rausgekommen?« »Die Frage stellt sich wohl kaum«, erwiderte Sarris müde. »Du weißt, was man mit Blut alles von da unten heraufholen kann. Ich habe … viel geopfert.« Seine fahle Blässe und das unregelmäßige Zittern kennzeichneten diese Aussage als die Wahrheit. »Es kamen viele von ihnen. Aber auch der Orden kam … Mitglieder, die ich seit Jahren nicht gesehen habe. Sie waren auch im Seaside, weißt du … Haben die Leitung bedroht und das ganze Hotel auf den Kopf stellen lassen. Sie dachten, ihr versteckt die Heilige Mistel.« Ein schwaches Lächeln verzerrte Sarris’ Gesicht. »Aber sie fanden nur die anderen Dinge. Nun, ich kann sie gebrauchen. Ich konnte ihnen alles abnehmen, als die Dämonen sich auf sie stürzten. Aber … es wird sie nicht lange aufhalten. Das sind alles Männer mit großem Wissen über dunkle Mächte …« »Ich fand Männerbünde schon immer sinnlos. Was machen die den ganzen Tag ohne Frauen?« Dante schnalzte mit der Zunge und nahm die Pistole weg. »Andere Frage …« Und diese interessierte ihn besonders, weshalb er Sarris’ Kinn packte und ihm fest in die Augen sah. »Sieh dich an, alter Freund. Du bist erledigt, und du weißt es. Was willst du jetzt noch? Warum glaubst du, dass du hier noch irgendwas rausholen kannst?« Sein Blick wanderte hinauf zu Devil Jin, dessen stolze, gehörnte Gestalt unbeweglich über ihnen aufragte. Sarris schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe es dir schon tausendmal erklärt, Dante. Nichts hat sich geändert. Deine Frage bestätigt mich darin, dass ich … dich wohl aufgeben muss.« Sein wässriger, umherirrender Blick fokussierte sich, wurde jäh noch einmal hart und durchdringend. »Ich gebe meine letzte Kraft, um dich loszuwerden.« In diesem Moment ging der Ziegenschädel, der zwischen ihnen im Gras lag, mit einem Wuuuusch in blaue Flammen auf. Das Knochengebilde mit den leeren Augenhöhlen erhob sich flackernd über den Erdboden. Automatisch griff Dante danach und wurde von der schwarzmagischen Barriere so heftig zurückgestoßen, dass es ihn rücklings ins Gras beförderte. Im gleichen Moment glommen unter ihm helle Linien auf. Feine Strahlen aus Licht rannen durch den Erdboden und begannen die Umgebung gespenstisch zu erhellen. Verblüfft betrachtete Dante die Formen, die sie zeichneten, fühlte, dass die leuchtenden Stellen unter seinem Körper keinerlei Wärme abgaben. Was zur Hölle war das? Sarris begann zu lachen, japsend und kraftlos, doch irrsinnig, wie jemand, der zusieht, wie sein letztes Bisschen Verstand sich in Nichts auflöst. Der brennende Schädel schwebte, von den blauen Flammen umtanzt, Funken verstreuend und weit außer Reichweite durch die Luft. Devil Jin, der den Moment ausnutzte, stieß Trishs Klinge von sich und stob in die Luft hinauf. Trish zog ihre Pistolen und feuerte auf ihn. Noch ehe Dante merkte, was er tat, war er in den Dauerbeschuss mit eingestiegen, Ebony und Ivory urplötzlich in den Fäusten, noch immer auf dem Rücken liegend. Gemeinsam übersäten sie die Kreatur mit Blei. Es nützte nichts: Devil Jin blockte die Kugeln mit wilden Flügelschlägen, als bestünden die schwarzen Federn aus Eisen. Nur wenige erreichten seinen Körper und rissen kleine, blutende Wunden. Immerhin konnte er nicht weiterfliegen – der Kugelhagel beschäftigte ihn so sehr, dass er weder steuern noch aufsteigen konnte, und tatsächlich zwang der Beschuss ihn zusehends wieder Richtung Erde. Als Dante nur noch nutzloses Klicken aus seinen Waffen hörte, ließ er in routinierter Bewegung die Magazine herausfallen und hatte in Sekundenbruchteilen neue eingesetzt. Von wegen, nicht nachladen. Überall im Gras um ihn herum und auch auf seiner Brust lagen Patronenhülsen, und als er wieder zu feuern begann, gesellten sich fleißig weitere dazu. Devil Jin sank zurück auf die Wiese und vergrößerte die Distanz zu seinen Gegnern in einer Mischung aus Rennen und Springen, wie ein Geier mit lahmem Flügel. Gleich würden sie ihn aus dem Fokus verlieren. Das hier war sinnlos. Dante sprang auf die Füße, schüttelte die leeren Geschosse ab und steckte die Pistolen weg. Trish sah zu ihm – wie immer wartete sie auf ein Zeichen von ihm, eine halb telepathische Übereinkunft –, doch er hatte nichts für sie. Stattdessen sah er über die Schulter. Yuri stand in einiger Entfernung, starr wie sein eigenes Denkmal. Seine Fäuste hingen hilflos herab, als gäbe es nichts, das er tun konnte. Dabei war Yuri der Einzige, der hier noch irgendwas tun konnte. Dante sah wieder zu Trish. Er winkte ihr mit zwei Fingern und lief auf sie zu, und gleichzeitig riss er das Schwert vom Rücken, weil Devil Jin bereits wieder im Sturzflug auf ihn niederging. Die Begegnung mit Rebellion vermied der Dämon erwartungsgemäß und drehte mühelos ab, die Flügel zusammenschlagend und seitwärts wieder auffächernd. Dante hieb nur ein paar Federn ab, ehe er wieder weg war, aber darauf kam es gerade nicht an. Im nächsten Moment war Trish bei ihm. »Plan?« »Einfacher Plan«, erklärte er ihr. »Hol ihn runter. Mir egal wie, aber er muss auf die Erde. Nur eine Sekunde, das reicht.« Er klopfte ihr auf die Schulter, machte kehrt und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. »Oh, Trish? Bitte jetzt!« Die leuchtenden Linien im Gras gefielen ihm nicht. Yuri sah aus, als wollte er umdrehen und wegrennen, als Dante auf ihn zulief; doch er blieb, wo er war, sein Blick immer noch entsetzt und leer zugleich. Dante verlor keine Zeit, sondern packte ihn an den Schultern und drehte ihn grob in die Richtung, in der Trish soeben eine Salve paralysierender Stromschläge in Devil Jins Richtung feuerte. »Du weißt hoffentlich, was du zu tun hast.« Yuri sagte nichts. »Das, was du schon längst hättest tun sollen.« Dante versetzte dem Harmonixer einen Stoß in den Rücken, der ihn unfreiwillig vorwärts schickte. »Los, Hyuga. Hol ihn dir!« Und jetzt gehorchte Yuri. Er lief weiter, begann zu rennen. Nur einen Steinwurf weit weg ließ Devil Jin sich mit halb gelähmten Flügelschlägen ins Gras sinken, um einen Moment lang Kraft zu sammeln. Seine hell glühenden Augen fixierten Trish boshaft; auch sie musste erst wieder auftanken, hatte kurz von ihm abgelassen. Yuri rannte so schnell, als wolle er den kauernden Dämon über den Haufen rennen. Mit einer Hand griff er unter sein Shirt und holte den seltsamen Stein heraus, der um seinen Hals lag; das Ding pulsierte grellrot im Rhythmus seiner Herzschläge. Es war ein Katalysator, begriff Dante. Yuri brauchte das Periapt, weil er die wirkenden Kräfte ansonsten nicht aushalten würde. Dann sah er zu, wie die Beiden aufeinander krachten. Yuris Augen färbten sich pechschwarz, und diese Schwärze lief über, strömte über seinen ganzen Körper, als er Devil Jin ansprang und sich in einer fatalen Umarmung um ihn warf. Licht hüllte sie beide ein, ein Licht, das aus dem Nichts zu kommen schien, und darin verschmolzen die Beiden zu einer einzigen, unförmigen Gestalt. Energie strömte aus dem Lichtbündel, fühlbar bis in den Boden unter Dantes Füßen. Die schweren Wolken kräuselten sich über dem Ort, zogen sich bedrohlich über ihnen zusammen. Dann – mit einem Krachen, als schlüge der Blitz in einen Baum ein – fuhr etwas mitten hinein in die dunkle Masse und spaltete sie. Dante sah eine menschliche Gestalt – Jin – schlaff zu Boden fallen. Die andere – riesig, geflügelt, schwarz wie die Nacht – erhob sich über ihr, richtete sich auf und stieß einen markerschütternden Schrei aus, der Dantes Ohren bluten ließ. Es war passiert. Was auch immer Dante für die Lösung all ihrer Probleme gehalten hatte, war passiert. Das Monster stieß sich ab und flog auf. Es war größer als Devil Jin, kräftiger, eine fellbewachsene, schwarzhäutige Kreatur, deren Umrisse mit jeder Bewegung verschwammen, als bewege sich ein Teil von ihr außerhalb der bekannten Dimensionen. Dante sah den langsamen, kraftvollen Flügelschlägen zu – und hatte das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht richtig war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)