Demonheart von CaroZ ================================================================================ Kapitel 50: Akt XIII - Der verbotene Ort: 17-2 ---------------------------------------------- 17-2: DANTE Dante wurde klar, dass Yuri Devil keinesfalls gebändigt hatte. Er erkannte es in dem Moment, als die schwarzbepelzte Abnormität unmittelbar vor ihm landete, mit einem Aufschlag, der den ganzen Cardigan Bay erbeben ließ. Der namenlose Teufel richtete seine muskulöse Gestalt auf, und sein seltsam zerfasernder Umriss verdunkelte das schwindende Tageslicht wie eine Sonnenfinsternis. Dante rührte sich angesichts der drohenden Erscheinung keinen Zoll vom Fleck. »Rate mal: Was hat Hörner und nervt?« Devil funkelte ihn mit seinen kohleglimmenden Augen an; noch war das dritte auf seiner Stirn geschlossen. »Ich habe dein anmaßendes Verhalten viel zu lange geduldet, Sohn von Sparda.« »Das sagen alle vorher. Jeder kennt den Namen meines Vaters, aber das hält keinen davon ab, sich mit mir anzulegen.« Dante zeigte ihm seine leeren Hände. »Und in deinem Fall kommt dazu, dass du meinen Vater nicht mal kennst.« »Ah, aber du meinen auch nicht«, antwortete Devil geschmeidig und zog amüsiert die Lippen über seinen spitzen Zähnen zurück. »Von wem wir abstammen, ist ohne Bedeutung. Lass uns kämpfen, Dante. Du und ich.« Es gab kaum etwas, das Dante gerade lieber tun wollte. Auch er hatte den Mätzchen dieses Ungetüms lange genug zugesehen, hatte toleriert, wie es Jin quälte – ohne eine Aussicht, die Beiden voneinander zu trennen. Nun waren sie getrennt. Trotzdem konnte er den Dämon nicht töten, immer noch nicht. Denn jetzt war es nicht mehr Jin, sondern Yuri, den er besetzte. Im Grunde hatte die Situation sich nicht so gravierend geändert; immer noch musste Dante gewissermaßen mit einer Hand voll Stecknadeln gegen einen voll bewaffneten Gegner in die Schlacht ziehen. Nun gut, ganz so dramatisch war die Sache nicht. Devil war kein übermächtiger Gegner; es gab keine übermächtigen Gegner mehr für Dante, seit Mundus besiegt und verbannt war. Devil war höchstens lästig. Dante hatte ihn schon bei ihrer ersten Begegnung, als der Dämon noch in Jin gesteckt hatte, gegen eine Wand geschmettert und dadurch vertrieben. Warum sollte das nicht wieder funktionieren? Weil es hier keine Wand GIBT, wandte seine innere Stimme ein. Gutes Argument. »Na schön, du alter Ziegenbock. Ich hoffe, du hast heute nichts weiter vor.« Devil grollte ihn höhnisch an, die dunklen Züge zu einem Grinsen verzerrt, dann stieß er sich wieder mühelos vom Boden ab und fegte dicht über der Ebene dahin wie eine scharfe Bö, ehe er sich hoch in die Luft schraubte und mit erregtem Gelächter, das bis unten zu hören war, in den Wolken verschwand. Währenddessen waren Trish und Nina zu der Stelle gelaufen, wo Jin immer noch reglos im Gras lag. Es erschien Dante absolut logisch, dass Jin bei der Verschmelzung von Yuri mit Devil gewissermaßen … übrig blieb, aber eigentlich hatte er erwartet, dass Jin irgendwie … wach sein würde. Wach und hilfreich, sobald er entdeckte, dass er frei von Devil war. Falls er frei von Devil war. War er das? Wenn ja, warum stand er nicht auf? Zu erwarten wäre, dass er sich freute (sofern Jin so was wie Freude empfinden und ausdrücken konnte) und anschließend dazu beitrug, seinen vormaligen Peiniger in Schach zu halten, während Yuri … was auch immer tat. Nun, auch von Yuri hatte Dante irgendwie Anderes erwartet. Er hörte die fernen, fast exaltierten Flügelschläge, doch sein Blick hing weiter an der Stelle, wo Nina und Trish sich ratlos über Jin beugten. Mit einem unwilligen Seufzen gab Dante seinem Pflichtgefühl nach und lief auf sie zu. Devil war nicht zu sehen, aber zu hören. Er wartete nur auf einen günstigen Moment, um sich wie ein Adler auf die Feinde hinunterfallen zu lassen. Wahrscheinlich hielt er sich für besonders raffiniert. Während Dante lief, erkannte er endlich, worauf er lief. Die Linien aus Licht, die die ganze Ebene überzogen, formten etwas, das ihm gar nicht gefiel: einen riesigen Bannkreis. Na großartig … »Was ist mit ihm?«, fragte Dante ungeduldig, als er bei dem Trio ankam. Jin war bewusstlos, wie so oft in sehr unpassenden Momenten, und Nina hatte soeben fachmännisch seine blasse Stirn befühlt und den Puls geprüft. »Er ist offenbar ziemlich weit weg«, antwortete die Irin düster. »Keine Reaktion auf irgendwelche Reize. Er atmet, aber das ist auch alles, was er tut. Basale Reflexe. Man könnte sagen, er ist … nicht dort drin.« Um das zu demonstrieren, zog sie ganz vorsichtig mit der vom Handschuh befreiten Fingerspitze Jins rechtes Augenlid über dem Glaskörper zurück; die Pupille war starr und bis zum Anschlag geweitet. »Das«, begann Nina bedeutsam, »sieht man normalerweise nur bei –« »Toten«, endete Dante, trat zurück und schaute nach oben. Irgendwo zwischen den sich immer drohender zusammenziehenden Wolken hallte Devils Gelächter von unsichtbaren Wänden wider. »Seht mal seinen Arm an … Ist das Zeichen noch da?« Er wandte nicht den Blick vom Himmel ab. »Ja«, bestätigte Trish. »Es ist noch da.« »Dann sind er und Devil noch nicht getrennt. Physisch vielleicht …« »Was zum Teufel hat der Russe gemacht?«, knurrte Nina. »Das hätte anders laufen sollen!« Ja, hätte es. Dante war weit tiefer beunruhigt, als er die Frauen merken ließ. Wenn er Pläne machte – was selten der Fall war, da er sein Leben im Energiesparmodus zu leben pflegte –, dann waren sie in aller Regel nicht bescheuert, sondern gingen glänzend auf. Yuri hätte Devil packen, von Jin trennen und unterwerfen sollen. Wo war diese einfache Rechnung bloß fehlgeschlagen? Endlich kam Devil herunter. Nur ein leises Pfeifen kündigte seinen Sturzflug an, sonst war sein Flügelschlag lautlos wie der eines Nachtgreifvogels. Immer stärker sank die Dunkelheit auf die Ebene nieder, das Zwielicht kroch in jeden Winkel. Der Dämon war nichts als ein schwarzer Schatten vor einer grauen Kulisse. Dante war klar, was er zu tun hatte. Devil Saures zu geben verbot sich mehr denn je, stattdessen würde er ihn hinhalten müssen, Yuri mehr Zeit verschaffen. Was auch immer für ein Kampf in diesem verzerrten, schattenhaften Körper tobte, zu zweit würden Jin und Yuri ihn schon gewinnen. Das zumindest war der Plan gewesen. Der Plan. Die ganze Zeit. Devil stürzte sich auf ihn. Dante ließ ihn kommen; erst kurz vor dem Zusammenstoß mit den Klauen sprang er ab, hoch, mit Rebellion einen weiten Bogen über seinem Scheitel beschreibend. Er spürte, wie die Klinge in Fleisch drang und ein dünner Guss heißen Blutes auf ihn nieder regnete, doch allzu mühelos glitt das Schwertblatt wieder aus der Wunde, stieß nicht auf Knochen, nicht auf Sehnen. Devil schoss flach davon; der große Muskel seines Oberschenkels war verwundet, doch das brachte ihn nicht aus der Balance. Trotz seiner Größe und seines Gewichts bewegte er sich so behände in der Luft wie ein Hai im Ozean. Er flog eine scharfe Wende und kehrte zurück, und diesmal erwischte Dante ihn nicht, sondern wurde von einem Flügel hart zu Boden gestoßen. Sofort war er wieder auf den Füßen, doch Devils Silhouette war schon nicht mehr in Sicht. »Komm her!«, rief Dante ihm befehlend nach. »Komm her!« Sein Wunsch wurde augenblicklich erfüllt. Der geflügelte Schatten stieß auf ihn nieder, griff erneut aus der Luft an. Den Fehler, in die Klinge hineinzufliegen, machte er nicht noch einmal; stattdessen nutzte er den Umstand, dass Dante im Dunkeln nicht besser sehen konnte als jeder andere Mensch, und natürlich den enormen Vorteil, dass er verdammt noch mal fliegen konnte. Dante war sicher, ein so großes, nahes Ziel auch in Bewegung nicht verfehlen zu können, und weigerte sich zu begreifen, dass das dennoch passierte; denn als er nach einem derben Rundumschlag um sich schaute, rieselten zwar Federn und Fell zur Erde, doch die bekannte warme Nässe von Blut blieb aus. Auch bei den nächsten beiden Vorstößen änderte sich nichts. Devils Taktik blieb dieselbe: Er attackierte Dante von oben und brachte sich danach so schnell in Sicherheit, dass Dante, der auf der Erde bleiben musste, ins Leere hieb. Beim fünften Angriff gelang es Devil, Dante ein zweites Mal zu Boden zu rammen, sodass dessen Knie und Ellenbogen sich tief in den Schlamm bohrten. »Okay, jetzt reicht’s«, befand Dante, sprang wieder auf, schüttelte den Dreck ab und schob das lehmverschmierte Schwert über die Schulter. Wenn Devil die Zermürbetaktik spielte, warum nicht mit einsteigen? Er griff in die Holster und zog Ebony und Ivory. »Du hältst das alles nur für ein weiteres deiner Abenteuer, nicht wahr?«, schnurrte der Teufel, der direkt über Dante schwebte, kaum eine Mannshöhe entfernt. »Aber ich werde kein Teil der Geschichten werden, die sie über dich erzählen, Sohn von Sparda.« Dante sah träge nach oben. »Wenn du weiter so viel schwätzt, stirbst du schon im Vorwort.« Devil lachte schrill, und als wollte er diese Drohung auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen, stürzte er sich direkt aufs Neue von oben auf Dante. Seine Flügel schlugen geschmeidig; die Schnittwunde im Bein hatte bereits zu bluten aufgehört. Dante wich mit einem Satz nach rückwärts aus, fand Halt auf dem morastigen Gras und nahm das Monster sofort unter Beschuss. Das würde ihm Beine machen: Während Devil steuerte oder angriff, konnte er die Kugeln nicht abfangen. Mal sehen, wie lange das gut ging – Dante hatte nicht mehr endlos viel Munition, jedenfalls nicht von den schwarzen, freundlichen Patronen. Doch es sollte genügen, Devil mit etwas Blei zu spicken. Jeder Treffer ließ Dantes Adrenalinpegel steigen – und wenn es genug war, dann … … ja, dann würde er sich in einen ebenbürtigen Gegner verwandeln und Devil in einen Luftkampf verwickeln. Das war der neue Plan. Das würde hinhauen. Anders als Yuri fürchtete Dante seine übermenschlichen Fähigkeiten nicht, im Gegenteil: Er hatte schon vor Urzeiten seinen Frieden mit seiner teuflischen Seite gemacht. Devil litt unter den Einschlägen der Kugeln wie ein Nackter unter einem Wespenschwarm. Er wand sich in der Luft, strauchelte immer wieder, knurrte und schlug um sich. Immer deutlicher zwang ihn Dantes Gewalt zum Landen. Der Schaden würde nicht von Dauer sein: Devil war zu stark, um durch gewöhnliche Bleiprojektile schwere Wunden davonzutragen, das hatte er bereits demonstriert. Doch darum ging es auch nicht. Es ging ausschließlich darum, dämonische Energie in Dantes Blut anzureichern. Als Devil endlich zu Boden sank und die Flügel um sich zu schloss, um die Stiche der Kugeln abzuwehren und sich zu regenerieren, griff Dante ihn sofort frontal an. Es waren vielleicht zweihundert Fuß, die er im Sprint zurücklegte, die Hand schon um Rebellions Griff geschlossen; doch kurz bevor er den kauernden Dämon erreichte, stieß sich dieser wieder ab und entkam. Obwohl sein unscharf erscheinendes Fell an jeder Körperpartie von trocknendem Blut verklebt war, zeigte er keine Anzeichen einer Bleivergiftung, die seine Koordination oder Ausdauer schwächen könnte. Zu dumm, jedoch erwartbar: Ohne seine ungeheuren Kräfte hätte Devil niemals Jins Widerstand immer und immer wieder brechen können. Jin war viel, viel stärker als vermutet, das wusste Dante mittlerweile; also musste selbiges auch für Devil gelten. Plötzlich durchzuckte mit schwerem Krachen ein Blitz die sich ausbreitende Finsternis. Trish mischte sich in den Kampf ein. Sie lenkte ihre eigene angereicherte Energie in Form lähmender Stromschläge in Devils wabernde Gestalt, was diesen rasch wieder zu Boden zwang. »Funktioniert beim zweiten Mal immer noch«, kommentierte Trish, als sie neben Dante sprang, die linke Hand weiter vorgestreckt, mit der rechten ihren Mantel ins Gras werfend. »Du hast doch nichts dagegen, dass ich mitmache?« »Nicht nötig«, behauptete Dante. »Ich halte ihn nur hin, bis Yuri endlich seinen Job macht.« »Dein Vertrauen in allen Ehren, aber ehrlich gesagt sehe ich nicht, dass er irgendeinen Job macht.« Devil wich in weiten Sätzen vor Trishs Dauerfeuer zurück. Nun, da das Licht der Blitze ihn nicht mehr erreichte, war er für Dante kaum noch zu sehen. »Schnapp ihn dir«, sagte Trish. »Bühne frei.« Dante zögerte. Er hatte die nötige Energie akkumuliert, doch … »Ich darf ihn nicht umbringen«, wich er aus. »Natürlich nicht. Mach ihn kampfunfähig. Trenn sie.« Trish ließ die Hände sinken und atmete tief durch. Ihre Energie war für den Moment verbraucht, ihre Fingerspitzen zitterten kaum merklich. Ihr Gesicht verschwamm vor ihm in der Dunkelheit. Nur ihre leuchtend blauen Augen waren klar und kühl; die Augen seiner Mutter. »Dante, Yuri schafft es nicht.« Er starrte sie an, unwillig. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie ein siebenhundert Pfund schweres Motorrad nach ihm geworfen; nun stand sie, wie so oft, im Kampf neben ihm und erklärte ihm, wie die Welt funktionierte. »Ich weiß, was du denkst«, sagte sie ungeduldig. »Wenn du Devil erledigst und die Fusion trennst, ist Jins Chance, dass Yuri diesen Kampf für ihn gewinnt, verpasst.« »Kommt hin.« Er wandte den Blick ab, fast trotzig. Andere Frauen hätten dem Helden nun etwas Tröstendes, Unnötiges gesagt, ihm die Schulter getätschelt, seine Umsichtigkeit und sein gutes Herz gelobt, ihm vielleicht auf mirakulöse Weise die Entscheidung abgenommen … Nicht Trish. »Mach, was du willst«, sagte sie, ließ ihn stehen und lief voraus. Sie konnte Devil ebenso wenig sehen, aber fühlen, und während ihrer forschen Schritte suchten ihre scharfen Sinne die nähere Umgebung nach ihm ab, die Pistolen schussbereit. Dante stieß ein Murren aus. Also gut – dann wurde es jetzt wohl Zeit, Devil kaltzustellen. Was auch immer im Inneren des Teufels vorging, das Risiko, ihn nicht von Yuri zu trennen, war zu groß. Denn wenn Yuri verlor … nur angenommen, das passierte … und Jins seltsam komatöser, entseelter Zustand … … Nein, er musste das verhindern. Dante visierte jene Stelle in der Dunkelheit an, in der Devil lauern musste, spannte seine Muskeln und ließ das Feuer in sich auflodern. Ließ sich vereinnahmen von dämonischer Stärke, deren Quell sein eigenes rasendes Herz war. Seine Gestalt veränderte sich, als der Teufel in ihm dominierte. Jäh wurde die schattenumwölkte Dunkelheit taghell. Doch dann war Devil plötzlich – – hinter ihm. »Das wird dir nichts nützen!«, fauchte er, und Dante fühlte seine heiße Pranke auf dem Scheitel, und dann – dann befiel ihn eine so extreme, lähmende Schwäche, dass seine Knie unter ihm nachgaben. Der Moment dauerte nicht lange, nicht länger als eine Sekunde, dann kehrte die Wärme sofort in seine Finger- und Zehenspitzen zurück; doch alle dämonische Energie war fort, verflossen, als hätte ihr jemand den Stöpsel gezogen. Oder als hätte sie ihm jemand … ausgesaugt. Devil entfernte sich mit tiefem, schmetterndem Gelächter. Dante sah ihn, als Trish einen einzigen, schwachen Blitz warf, um ihn sichtbar zu machen. Seine Wunden, die Rebellion ihm beigebracht hatte, regenerierten sich nun binnen Sekunden. Alles klar: Die übliche Taktik mittels Devil Trigger fiel aus. Dante würde weiter als Mensch kämpfen müssen, ob er wollte oder nicht. Das Ärgerliche daran war, dass er es hätte wissen müssen: Jin hatte den Anderen klar gemacht, dass Devil dämonische Energie anderer Quellen zu absorbieren pflegte, indem er nur die Hand darauf legte – im Falle von Menschen war das Zentrum des chis der Schädel, das Hirn. Als wäre Jins Warnung nicht genug gewesen, war Yuri genau das gleiche passiert, als er versucht hatte, Devil in Fusionsgestalt beizukommen. Devil hatte ihm das Monster, mit dem er verschmolzen war, regelrecht aus dem Körper gesaugt, was Yuri keine andere Wahl gelassen hatte, als sie Beide im Atlantik zu versenken. Dantes Gedanken mündeten dort, wo sie immer mündeten, wenn er einen schweren Treffer kassiert hatte: Er hatte seinen Gegner unterschätzt. Das geschah mit erschreckender Regelmäßigkeit. Wie ein Naturgesetz, das immer wieder erbarmungslos zuschlug und dabei »Quod erat demonstrandum!« schrie. Mit einem langen, mürrischen Seufzen beobachtete er den Himmel, entdeckte Devil nicht und drehte sich skeptisch nach dem Grüppchen um Jin um. An ihm schien der Dämon kein Interesse zu haben. Warum sollte er auch ein Interesse daran haben, seinem Wirtskörper zu schaden? Nein, er suchte das Duell mit Dante, weil er überzeugt war, ihn loswerden zu müssen, damit Azazel an die Macht gelangen konnte. Wahrscheinlich stimmte das sogar. Aber das konnte er sich schön in den Pelz schmieren. »Wenn du meinst, dein Erbe gegen mich einsetzen zu können, irrst du dich. Versuch es, so oft du willst.« Dante ließ das Schwert einmal rund um sich schnellen, traf den geflügelten Schatten an der Schulter (vermutlich) und erfreute sich an dem schrillen Aufschrei. Wenn hier einer den Anderen aufstachelte, dann war er das. »Ist das alles, was du kannst? Von hinten angreifen und dann abhauen? Von Azazels Saat hab ich mehr erwartet.« Die Bemerkung brachte Devil nicht von seiner bewährten Strategie ab. Er fuhr weiter seine Hit-and-Run-Taktik wie ein verdammtes Wikingerheer, während Dante ihn verwundete, wann immer es möglich war, im fliegenden Wechsel zwischen Schwert und Pistolen. Eine Weile – schwer zu sagen, wie lange tatsächlich – duellierten sie sich auf diese wenig ergiebige Weise. Trish griff ein, sobald sie konnte, doch obwohl das Monster nie einen Angriff an sie verschwendete, hatte sie eine nicht weniger schwere Zeit, ihre Energie beisammen zu halten. Elektrische Entladungen waren ihre schwersten Geschütze. Selbstredend ließ Dante kein weiteres Mal zu, von Devil auch nur berührt zu werden. Nicht mal eine umherfliegende Feder streifte seinen Mantel, schon aus Prinzip nicht. Seine Teufelsenergie gewann er kontinuierlich zurück, und sobald er sie wieder bis zum Limit akkumuliert hatte, war er bereit für einen neuen Versuch. Viele Optionen gab es auch nicht: Er konnte Devil zwar beschäftigen, doch um ihn kampfunfähig zu machen – und es bestand allmählich kein Zweifel mehr, dass das nötig war –, musste er an Devil rankommen. Dann wäre diese Aufgabe ein Kinderspiel. Dante sprintete los, zog das Schwert und setzte ein zweites Mal dazu an, seinen inneren Dämon freizulassen. Devil stieß aus dem Dunkel auf ihn nieder, ehe Trishs Kugeln ihn trafen. Die Berührung dauerte nur einen so winzigen Augenblick, dass Dante sie kaum spürte – erst dann, als wieder alle verfügbare Energie aus seinem Körper verschwand und ihn umfallen ließ wie ein Stück Vieh nach dem Bolzenschuss, war ihm klar, dass wieder das gleiche passiert war wie zuvor. Er stieß sich hoch, und der Schwindel verging, doch wieder blieb er so kraftleer zurück wie beim ersten Mal, als sein Devil Trigger einfach absorbiert worden war. Er wurde ungeduldig. Das würde nichts werden, nicht so. Ohne etwas zu sehen oder zu hören, konnte Dante diese listigen Angriffe nicht abblocken. Doch mittlerweile kannte er Devils typische Flugbahnen, hatte die Kurven und Schleifen im Licht von Trishs Blitzen gut beobachtet. Vielleicht wurde es Zeit, mal den Kopf einzusetzen. »Trish!«, rief er seine Partnerin. »Ich brauch noch einen Blitz! Nur einen!« Er verlangte viel von ihr, das war ihm klar: Sie hatte unentwegt alle ihre Dämonenkräfte in mächtige Angriffe umgesetzt, und das ohne langfristige Wirkung, da die von Dante geraubte Kraft Devil schnell regenerieren ließ. Trotzdem ließ Trish ihn nicht im Stich: Er sah ihre von schwachem Licht umgebene Gestalt tief durchatmen, dann streckte sie die Hände vor. Dante hob Rebellion mit beiden Händen über den Kopf. Ein Blitz zuckte, Devil stöhnte auf und krampfte in der Luft. Er hing flatternd fast direkt über Trish. Dante verlor keine Zeit – er schleuderte das Schwert, das sich drehte wie ein Bumerang und dabei die feuchtkalte Luft sirrend in Scheiben schnitt. Mit einem Geräusch, als schlüge ein Hackmesser in einen Schweinenacken ein, traf die Klinge Devils linken Flügel knapp oberhalb des Schultergelenks. Und kappte ihn. Federn flogen, und der Dämon stürzte ab. Trish, keine zehn Meter entfernt, stürmte auf ihn zu wie eine Harpune, Sparda vom Rücken reißend. Doch der Schock feuerte Devils Abwehr an; er fuhr hoch, packte Trish, entriss ihr alle Kraft, die in ihr war, und warf sie von sich wie eine leere Takeaway-Tüte. Dante hörte sie durch die Zähne zischen, doch sie blieb liegen. Trish bestand aus Teufelsenergie. Für die nächsten Minuten würde sie nicht zu gebrauchen sein. Während sein Flügel nachwuchs – Knochen, Muskeln, Federn –, wich Devils pelziger Schatten ins Dunkel zurück. Dante packte Trish unter den Schultern und zog sie … weg, er wusste gar nicht, wohin, dieses Schlachtfeld hatte keinen Rand, wo die Cheerleader saßen. Rasch entschied er, dass es das Beste wäre, sie neben Jin zu legen. Schließlich würde Devil dorthin wohlweislich keine Angriffe lenken. Trish war schlaff wie ein Fisch. »Wer hat ihn jetzt unterschätzt?«, raunte er ihr zu, eine Bemerkung, die sie mit einem abfälligen »Tsss!« beantwortete, ohne ihn anzusehen. »Vielleicht hat Nina ja einen Schluck heißen Tee für dich.« Nina war nicht zu sehen, und das hielt er für gar kein gutes Zeichen. Wo steckte sie? »Ich lass dich ungerne hier liegen, aber …« »Trödel nicht rum!«, drängte Trish, als er sie abgelegt hatte. »Halt einfach die Klappe und tritt dem Biest in den Arsch, solange es nicht fliegen kann!« Klar, das stand ganz oben auf der Prioritätenliste. Dante konnte Devil sehen: Sein nachwachsender Flügelschaft glühte, wo die Energie sich konzentrierte. Dante hielt auf dieses dunkelrote Leuchten zu. Wenn er Devil jetzt erwischte, würde ein kräftiger Schlag mit dem Klingenblatt ausreichen, um den Teufel auszuschalten und damit die missglückte Fusion zu trennen. Und dazu war es wirklich allerhöchste Zeit. Rebellion erhoben und siegessicher holte er Devils strauchelnde Gestalt ein. Der Dämon bewegte sich halb rennend, halb hüpfend vorwärts, um den Abstand zu Dante zu halten. Mittlerweile wuchsen die Handschwingen nach, das Gelenk bewegte sich bereits wieder und stabilisierte die wilde Flucht. Doch keine Chance: Dante war ans Laufen gewöhnt, und er war schneller. Mit einem Satz riss er das Schwert über den Kopf und drehte es in den Fingern, um mit der flachen Seite zuzuschlagen, genau dorthin, wo die wilden Augen glühten. »HALT!« Er bremste mitten in der Bewegung. Es war ein zu tief verankerter Reflex, zu halten, wenn jemand »Halt!« schrie. Er drehte den Kopf und sah Sarris über Trish knien. Eine Schlüssellampe war an seine zerfetzte Jacke geheftet und beleuchtete sein Gesicht grotesk von unten. Er bedrohte sie mit etwas, das Dante zuerst für ein Klappmesser hielt, doch schnell korrigierte sein Verstand den Irrtum: Was er da über Trishs Brust sah, war ein Ritualdolch – vermutlich derselbe, den Jin damals zu spüren bekommen hatte. Dante schluckte das Entsetzen und schüttelte den Kopf. »Du kannst kaum noch geradesitzen und hast immer noch nicht genug, wie?« »Ich werde es tun, Dante«, krächzte Sarris, und die kurze, ziselierte Klinge zitterte in seiner Faust. »Seh ich nicht so. Trish sammelt gerade Energie, um dir das Knie in den Bauch zu rammen.« »Dann sollten wir uns beeilen. Denn rammen werde ich vorher.« Der Dolch blinkte. »Was willst du?« »Das da.« Sarris nickte ungeduldig zu etwas, das irgendwo vor Dante im Dunkeln liegen musste. Der Dämonenjäger machte einen Schritt vorwärts und fuhr vorsichtig mit der Sohle über das Gras. Ja, da war etwas Hartes. Er schob die Schuhspitze unter den kleinen Gegenstand, kickte ihn in die Luft und fing ihn; es war ein schwerer, metallisch glänzender Pflock mit scharfer Spitze und steifen Ranken rings um den Griff. Mist, die Heilige Mistel. Roger musste sie verloren haben. »Wirf sie her«, verlangte Sarris. Dante zögerte. Trish wehrte sich immer noch nicht, er konnte nicht sagen, ob ihre im Dunkel liegende Silhouette sich bereits lauernd spannte oder nicht. »Los doch!«, keuchte Sarris und senkte die blitzende Spitze auf Trishs Halsansatz. Dante warf die Mistel. Wenn Sarris es je ernst gemeint hatte, dann jetzt; er wollte die Strafe, die sein Geheimbund für ihn vorgesehen hatte, um jeden Preis abwenden. Der silberne Dorn rollte vor Sarris ins Gras, und er stürzte vor und packte ihn. Danach hatte er Mühe, sich über Trish wieder aufzurichten; er war so geschwächt. Umso verblüffter sah Dante zu, wie der Dolch wieder seine drohende Position über seiner Partnerin einnahm. Sarris atmete tief durch. »Es tut mir leid«, sagte er mit brechender Stimme. Dann stieß er zu. Im selben Moment, in dem er die Bewegung ansetzte, tauchte Nina hinter ihm auf wie ein Racheengel. Ihre Faust traf seine Schläfe ganz nach Maß und er sackte über Trish zusammen, die ihn – plötzlich wieder halbwegs bei Kräften – von sich stieß. »Gutes Timing«, ächzte sie. »Aber etwas früher wäre mir lieber gewesen.« Dante kam vor den Beiden zum Stehen und sah Nina verständnislos an. »Wo zur Hölle warst du?« »Ich musste telefonieren.« »Nicht dein Ernst. Wen rufst du um die Zeit an, den Zimmerservice?« Nina hob eine Braue, ihr Blick gewohnt kühl. »Ich habe euch nicht aus den Augen gelassen. Du hattest alles unter Kontrolle.« Dante ließ die Schultern fallen. Sie hatte längst erkannt, wie sie mit ihm umgehen musste. »Was soll’s. Wo ist Roger Bacon?« »Der erholt sich gerade irgendwo davon, dass Sarris ihn fast fünf Meter weit geworfen hat.« Dante kniete sich in den Dreck und wand den Dolch aus Sarris’ erschlaffter Hand. »Ich erlaube mir mal, diesen Job zu übernehmen.« Er wollte das Ding in die Manteltasche stecken, zusammen mit der Mistel, die neben Sarris’ anderer Hand lag. Doch er hielt inne. Ließ intuitiv beides wieder los. Der Bannkreis, die schwach und kalt leuchtenden Linien unter der Grasdecke, glomm mit einem Mal hell auf. Neue Wärme quoll aus der Erde. Dante hob den Kopf und drehte sich langsam um. Devil kam auf die Gruppe zu, in ruhigen Schritten. Er war vollständig regeneriert, und seine Gestalt leuchtete weiß und grell, während sie stärker vor dem dunklen Hintergrund zerfaserte als je zuvor. Er schien regelrecht zwischen den Dimensionen zu schweben, während das Gras sich unter seinen Füßen nicht rührte, als würde er es nicht berühren. »Die Zeit ist so gut wie um«, sagte der Dämon in seiner sonoren, zwietönenden Stimme. »Bis jetzt haben wir nur gespielt.« Dem konnte Dante nur beipflichten, doch er hielt seine Zunge im Zaum, als er sah, wie Devils Blick auf Jin fiel, der hinter ihnen am Boden. Moment mal, Devil würde doch nicht seinen Wirt angreifen – warum sollte er? Dante erhob sich achtsam, spürte die Bewegungen neben sich und musste nicht zur Seite schauen, um zu wissen, dass die Frauen sich neben ihn gestellt hatten, Trish links, Nina rechts. Gemeinsam schirmten sie Jin vor Devil ab. Devil sah es, und seine Fratze teilte sich zu einem Grinsen. Das Leuchten wurde stärker, pulsierte nun auf und ab durch den Erdboden und zugleich durch den dunklen geflügelten Körper, als wären sie eine Einheit. Devil lachte. Ein Geräusch, das Dante auf den Tod nicht ausstehen konnte. »Was – !«, setzte Nina fauchend an, doch ein Geräusch ließ sie alle herumfahren. Sarris, der entkräftet, fast reglos neben Jin gelegen hatte, betäubt von Ninas zielsicherem Treffer, war von dem Leuchten ebenfalls eingehüllt worden. Nun rappelte seine geisterhafte Gestalt sich auf und schloss wie in Trance die kreideweißen Finger um den Griff des Ritualdolchs. Ehe irgendjemand eingreifen konnte, rammte Sarris die Klinge mit erschreckender Stärke in Jins Oberarm – mitten in das schwarzgezackte Teufelsmal. Ninas Reaktion kam zu spät. Sie stieß Sarris brutal beiseite, der liegenblieb, als hätte er das Bewusstsein niemals wiedererlangt. Dante rührte sich nicht; es nützte nichts mehr, sich zu rühren. Er sah die Wunde an, aus der schwarzes Blut quoll wie aus einem Zimmerspringbrunnen. Er sah zu Devil, der noch immer lachte und dessen Silhouette nun jäh klarer wurde, sich aus der Undefiniertheit hervormaterialisierte. Hinter ihm knisterte und bebte die Luft. Sarris’ Ritual war abgeschlossen. Dante dachte an den blau brennenden Ziegenschädel, der im Wind umherwirbelte, befallen von etwas Unirdischem, Unsichtbaren. Jetzt war der Spaß zwangsläufig vorbei. Jetzt würde es hässlich werden – richtig hässlich. Um sie herum knüpften sich plötzlich feine glitzernde Fäden, die im fahlen Licht materialisierten, zu einem Band zusammen. Dieses arbeitete sich zu Devil vor, spaltete sich dort in mehrere schlängelnde Enden auf, fand seine Flügel, seine prankenartigen Hände, seine mit Hornklauen bewehrten Füße, seinen fellbewachsenen, gehörnten Schädel. Aus dem anderen Ende, das bis eben ins Nichts geführt hatte, wuchs etwas hervor – ein noch größerer, noch finstererer Umriss, der binnen Sekunden turmhoch hinter dem Dämon aufragte, unbeständig flackerte und waberte. Dante sah Stacheln am ganzen Körper des Wesens, als wäre es in einen Echsenpanzer gehüllt, sah einen peitschenden, dornenbesetzten Echsenschwanz, Arme wie schwarzverkrustete Baumstämme – und auf dem stierartigen Nacken thronte der kaum noch mit Fleisch ummantelte Schädel einer Ziege. Dieser Schädel war real, es war der, den Sarris bereitgelegt hatte. Die einst leeren Augenhöhlen glosten rot wie Karfunkelsteine. »Er hat es getan«, hörte Dante Trish leise neben sich sagen. »Sarris hat Azazels Geist hierher beschworen.« Was sie nicht sagte, war: Um dich loszuwerden. Und Yuri. Und Jin. Und alle, die ihn daran hindern können, sein Gefängnis unter der Wüste zu sprengen. Alle, die seinen Herrschaftsanspruch über die Unterwelt nicht anerkennen wollen. Azazel entfesselte seine eingesperrte, festgesetzte Stärke, indem er sie durch das flackernde magische Band auf Devil übertrug. Auf seine Saat. Jenen Teil von ihm, der in Jin ebenso festsaß. Azazel hob die Hände. Devil folgte der Bewegung wie eine Marionette. »Spielen wir weiter?«, grollte der Dämon, und nun waren es nicht mehr zwei Stimmen, die diese Worten aussprachen, sondern drei, und eine von ihnen stammte geradewegs aus einer lichtlosen Finsternis, in der für mehr als zwei Jahrtausende Schweigen geherrscht hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)