Demonheart von CaroZ ================================================================================ Kapitel 58: Abgesang: 20-1 -------------------------- 20-1: YURI Es war das Jahr 1913. Ein klarer, dunkler Sternenhimmel spannte sich über die südliche Mandschurei. Einsam durchmaßen Bahngleise das karge Land, ein kleines Zeichen von Zivilisation inmitten von sehr viel Nichts. Die trockenen Grashalme wippten sacht auf der trostlos anmutenden Weite, die die leeren Schienen umgab. Dann begannen in der Distanz leise Geräusche Gestalt anzunehmen. Yuri erwachte und setzte sich ruckartig auf. »Whoa!«, ächzte er. »Mist, ich hab fast verschlafen!« Irgendwas stimmte nicht. Er sollte hier liegen, rücklings im Gras im Nirgendwo, oder nicht? Nicht …? Er krabbelte auf die Füße. Der warme Hirschledermantel fiel gegen die Rückseiten seiner Unterschenkel, als er sich streckte und umschaute. Es war noch dunkel … doch geweckt hatte ihn … dieses Geräusch … Der Zug. Richtig, auf den hatte er gewartet. Es war der Zug, der einzige; sein Stampfen kam näher, und in der Ferne erschien der kleine Lichtpunkt seines Scheinwerfers. »Er wird gleich hier sein …« Yuri beeilte sich. Dort drüben war schon der Haltepunkt, eine Plattform mitten im Nichts. Genauso nutzlos und verlassen wie Dovey Junction in Wales. Dort stieg nicht wirklich jemals jemand aus, oder? Alice sprach zu ihm, während er vorwärts marschierte. »Die Welt, für die du gebetet hast … Der Ort, an den dein Herz zurückkehrt …« Yuri dachte darüber nach, einen Fuß vor den anderen setzend. In seinem Verstand war noch immer nicht alles wieder an seinem Platz, aber irgendwie beunruhigte ihn das nicht. Ihm war, als würde er voller Vertrauen einem Plan folgen, den er irgendwann mal ausgearbeitet und dann vergessen hatte. Mit schlafwandlerischer Sicherheit ging er weiter. »Die Zeit, als du am glücklichsten warst. Du kannst noch einmal neu beginnen …« Ja, natürlich konnte er neu beginnen. Darauf hatte er doch die ganze Zeit hingearbeitet, oder nicht? Er hatte doch … er war doch … Und dann, plötzlich, kehrte alles zurück. Alice!, dachte er aufgeregt. Ich bin in die Zukunft gereist, aber ich hatte meinen jüngeren Körper, verstehst du … ich war so alt wie damals, als du … mich verlassen hast … und ich weiß nicht, warum, aber … »Du wusstest die ganze Zeit, dass du den Lauf der Dinge ändern kannst«, antwortete sie schlicht. Vielleicht … aber erst diese schrägen Typen da, in der Zukunft … haben mir die Wege gezeigt. Ich weiß jetzt, was ich machen muss … Ich … »Du bist hier, weil du es dir gewünscht hast. Du hast dich von dem Fluch befreit, der deine Seele bedrohte … Und dann konnte dein Wunsch Wahrheit werden.« Sein Herz begann schneller zu klopfen. Es war quicklebendig, genau wie seine Seele, und jetzt füllte es sich mit Vorfreude und Abenteuerlust. Dann legte sich dieser jüngst erwachte Teil von ihm wieder schlafen, und er vergaß, warum er hier war. Das machte nichts, wirklich nicht; irgendwo in seinem Verstand wusste er, dass er nichts falsch machen konnte. Da war irgendein Wissen in ihm – irgendeine unbewusste Erinnerung? –, das ihn begleitete, das ihm im richtigen Moment sagen würde, was zu tun war. Er hatte das dumpfe Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein … musste eine Zeit gewesen sein, in der es ihm nicht gut ging … doch jetzt fühlte er sich wohl. Sein Geist war verschwommen, doch alles war in Ordnung. Er steuerte auf etwas Gutes zu. Yuri erreichte den Bahnsteig und atmete die kalte Nachtluft ein. Der Zug näherte sich, und er wusste, dass er mitfahren wollte. Gleich war er da: Dampfwolken stießen aus dem schwarzen Schornstein wie der Atem eines Drachen, und das Dröhnen der Getriebe rollte über die Ebene heran. »Dieser Zug … Komisch. Ich fühle mich wieder wie ein kleines Kind.« Yuri war glücklich, obwohl er keine Ahnung hatte, warum. Dann hielt der Zug neben ihm und öffnete die Tür. Yuri ging an Bord, und sein Abenteuer begann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)