Aftermath von Morwen ================================================================================ Aftermath --------- Das Hologramm erlosch. Nachdem die Videobotschaft geendet hatte, war es völlig still im Raum. Trauer und Gram standen allen Anwesenden deutlich ins Gesicht geschrieben und kaum einer konnte seine Tränen verbergen. Nur Peppers leises Schluchzen durchbrach das bedrückte Schweigen, das Tonys letzte Worte hinterlassen hatten. Steve, dessen Blick noch immer starr auf den Helm von Iron Man gerichtet war, hatte hingegen plötzlich das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Es war fast wie damals, als er in den eisigen Fluten des Nordpolarmeeres gelandet war und keine Luft mehr bekommen hatte, nur dass es dieses Mal kein Wasser, sondern das überwältigende Gefühl von Verlust war, das ihm den Atem raubte. Sam, dem seine Unruhe nicht entging, warf ihm kurz einen besorgten Blick zu, doch Steve schenkte ihm keine Beachtung. Ohne ein Wort zu sagen, schritt er an den Anwesenden vorbei und verließ das Haus. Er brauchte Platz, einen Ort, an dem er sich nicht eingeengt fühlte und befürchten musste, in dem Leid seiner Mitstreiter und seinen eigenen Emotionen zu ertrinken. Vor dem Steg, der auf den See hinausführte, blieb er schließlich wieder stehen, und das Gewicht, das auf seiner Brust gelegen hatte, schien sich endlich zu heben. Steve machte tiefe, verzweifelte Züge, die seine Lungen wieder mit dringend benötigtem Sauerstoff füllten. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder zu sich selbst zurückfand, und schließlich hatte sich seine Atmung so weit beruhigt, dass er die Welt um ihn herum wieder wahrnehmen konnte. Mit den Farben, Formen und Gerüchen kehrte jedoch auch die Trauer zurück – und brach erneut wie eine Flutwelle über ihn herein. Steve ließ sich auf einen Baumstumpf sinken und barg das Gesicht in den Händen. Er versuchte nicht länger, Herr seiner Gefühle zu werden, sondern ließ ihnen freien Lauf. Seine Schultern bebten von kaum unterdrückten Schluchzern und Tränen rannen zwischen seinen Fingern hindurch. Es gab so vieles, was er noch hatte sagen wollen, so vieles, wofür er sich hatte entschuldigen wollen. Doch jetzt würde er keine Gelegenheit mehr dafür bekommen. Tony war gestorben und Steve würde ihn nie wiedersehen. Und er hatte einzig und allein seinem verdammten Stolz zu verdanken, dass er nun niemals wirklich seinen Frieden mit all dem, was im Laufe der Jahre zwischen ihnen vorgefallen war, machen konnte. Steve war so in seinem Kummer versunken, dass er nicht hörte, wie sich die Tür erneut öffnete, und auch nicht die Schritte vernahm, die sich ihm näherten. Erst als sich eine kleine Hand auf seinen Arm legte, sah er endlich auf. Große, dunkle Augen – Tonys Augen – erwiderten seinen Blick aufmerksam aus einem kleinen, runden Gesicht. „Hallo“, sagte Morgan. Sie sah ihn für einen Moment nachdenklich an und fragte dann: „Wie heißt du?“ Steve wischte mit dem Handrücken seine Tränen fort und schenkte ihr ein Lächeln. Jedenfalls hoffte er, dass der Ausdruck auf seinem Gesicht einem Lächeln ähnelte. Wirklich sicher konnte er sich in seinem aktuellen Zustand nicht sein. „Steve“, erwiderte er, froh darüber, dass er sich auf etwas anderes als seine Traurigkeit fokussieren konnte. Es überraschte ihn nicht, dass sie seinen Namen nicht kannte. Er hatte sie seit ihrer Geburt höchstens dreimal gesehen und er bezweifelte stark, dass Tony mit ihr häufig über ihn gesprochen hatte. Und nach dem Ansturm von Besuchern in den letzten zwei Tagen – von denen ihr viele völlig fremd sein mussten – war es kein Wunder, dass sie sich seinen Namen nicht gemerkt hatte. „Hallo Steve“, sagte sie. „Ich bin Morgan.“ Ich weiß. Steve lächelte schwach. „Freut mich, dich kennenzulernen, Morgan.“ Steve nahm vorsichtig ihre kleine Hand und schüttelte sie sacht. Zufrieden nickte sie ihm zu, bevor sie sich umdrehte und zum Haus hinübersah. „Mein Papa ist gestorben“, sagte sie dann und ein unschlüssiger Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht, als wusste sie nicht so recht, was sie mit dieser Information anfangen sollte. Gott, sie war noch so jung. Tod und Verlust waren ihr neu und sie hatte keine Ahnung, was sie bedeuteten oder gar, wie sie damit umgehen sollte. Es brach Steve fast das Herz. „Darum weinen Mama und Happy und Onkel Rhodey gerade.“ Steve schluckte. „Ja“, sagte er leise. „Sie hatten deinen Papa sehr lieb und es macht sie traurig, dass er nicht mehr da ist.“ „Du auch?“, fragte sie geradeheraus. „Weinst du darum auch?“ „Ja“, gestand er. „Ich habe Papa auch lieb“, meinte sie dann und sah Steve wieder an, immer noch diesen verlorenen Ausdruck auf dem Gesicht. „Wann kommt er wieder?“ Er hätte mit der Frage rechnen müssen, aber sie traf ihn trotzdem völlig unvorbereitet, und einen Moment lang konnte er wieder spüren, wie sich sein Brustkorb vor Trauer und Schmerz zusammenzog. Pepper hatte ihr zweifelsohne erklärt, was mit Tony passiert war, aber Steve hatte keine Ahnung, was davon auch wirklich bei Morgan angekommen war. Er beschloss darum, es einfach mit der Wahrheit zu versuchen. „Er kommt nicht wieder“, sagte er sanft. „Das ist es, was ‚sterben‘ bedeutet.“ „Mama hat gesagt, er schläft jetzt für immer“, erzählte Morgan. „Vielleicht sehe ich ihn, wenn ich auch schlafe?“ „Vielleicht“, entgegnete Steve. Es war ein tröstender Gedanke. „Vielleicht siehst du ihn in deinen Träumen.“ „Oh!“ Ihre Augen begannen zu leuchten. „Vielleicht bringt er mir dann wieder ein Eis mit!“ Steve sah sie fragend an. „Ein Eis?“ „Mama sagt immer, ich darf nach dem Zähneputzen nichts mehr essen, aber manchmal bringt mir Papa trotzdem was mit ans Bett und dann wird sie böse“, teilte Morgan ihm in verschwörerischem Tonfall mit. Oh ja, das klang ganz nach Tony. Steve musste lächeln. „Ich verspreche hoch und heilig, dass ich deiner Mama nichts davon erzählen werde“, schwor er. Sie strahlte ihn an. Dann breitete sie die Arme aus und schlang sie zu Steves Überraschung um seinen Hals. „Ich mag dich“, verkündete sie, mit einer Leichtigkeit und Ungezwungenheit, wie sie nur Kinder besaßen. Ihre Worte und ihre bedingungslose Zuneigung rührten ihn zutiefst und Steve konnte spüren, wie seine Augen erneut feucht wurden. Vorsichtig, ganz vorsichtig, als wäre sie aus Glas, legte er seinerseits die Arme um sie. „Danke, Morgan“, sagte er. „Ich dich auch.“ Sie zog sich wieder zurück und sah ihn an. „Spielst du was mit mir?“, fragte sie. „Papa spielt oft mit mir, aber er ist gerade nicht da und Mama hat nein gesagt.“ Steve musste erneut schlucken. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Realität von Tonys Tod wirklich zu Morgan durchgedrungen war und sie begriffen hatte, dass sie ihren Vater nie wieder sehen würde. Bis dahin war sie nur ein Kind – verloren zwischen all den trauernden Erwachsenen um sie herum – das weiterhin die Wünsche und Hoffnungen und Bedürfnisse eines Kindes hatte. Und es war wichtig, dass sie in diesen schweren Tagen nicht allein damit war. Also erhob sich Steve schwerfällig von seinem Sitz und nickte ihr zu. „Okay“, sagte er. „Was willst du spielen?“ Sie sah ihn mit breitem Lächeln an. „Verstecken! – Du zählst!“ Und mit diesen Worten flitzte sie davon. Steve sah ihr kopfschüttelnd nach und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ergeben hielt er sich die Augen zu und fing laut an zu zählen. Der Schmerz war noch immer da, aber er war für den Moment in den Hintergrund gerückt. Steve wusste, dass er ihn nicht ewig ignorieren konnte, aber vielleicht konnte er lernen, mit ihm zu leben. Er würde Tony nie wiedersehen und er würde ihm auch nie wieder zur Seite stehen können, wenn er seine Hilfe brauchte. Doch er konnte Morgan jetzt helfen, die ihn auf ihre ganz eigene Weise gerade genauso brauchte, wie Tony ihn damals gebraucht hatte. Und dieses Mal... Dieses Mal würde Steve da sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)