Kompliziert von QueenLuna ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Kompliziert – Und nun? – Ich starrte ihn sprachlos an. Bitte was? Ich glaubte, mich verhört zu haben. Das konnte nicht sein Ernst sein. Doch so, wie er mich gerade ansah, war das sein völliger Ernst. „Ich habe mich in dich verliebt.“ Die Worte waren so ruhig und beiläufig gefallen, dass ich dachte, sie mir eingebildet zu haben. Hatte ich aber nicht. Leider. Als mir das klar geworden war, hatte ich mich erst einmal an meinem Bier verschluckt. Und nun saß ich hier und starrte meinen langjährigen Freund und Kollegen sprachlos an. Und das wollte was heißen, denn sonst hatte ich immer etwas zu sagen. „Du musst nicht -“ Mit einem Mal war meine Sprache wieder da, aber nur um seine Worte gleich im Keim zu ersticken. Das war doch vollkommener Blödsinn! „Willst du mich verarschen?“ Jetzt blinzelte er mich verwirrt an. Wenn mich seine Worte nicht so aus der Bahn geworfen hätten, hätte ich womöglich sogar den letzten Rest meines Feingefühls zusammengekratzt, doch so – in meinem Kopf wirbelte alles durcheinander, mein Herz war mir in die Kniekehlen gerutscht. Das konnte nur ein blöder Scherz sein. Sicher standen die anderen irgendwo um die Ecke und lachten sich ins Fäustchen, nur um zu sehen, wie ich reagierte. Das musste es sein. „Nein.“ Seine Stimme klang sanft, während er mich mit diesem leichten Lächeln auf den Lippen ansah. „Das ist kein Scherz, sondern mein völliger Ernst.“ „Aber – Ich stehe nicht auf Männer.“ „Ich weiß.“ Ich weiß. Das sagte er so einfach. „Tatsue, mach dir keinen Kopf. Ich wollte es nur loswerden.“ Und was wollte ich? In meinem Kopf dröhnte es. Was sollte ich jetzt bitte mit dieser Information anfangen? Ich war nicht schwul, noch nicht einmal bi, zumindest soweit ich wusste. Und ich hatte gerade auch nicht unbedingt das Bedürfnis nach über 30 Jahren meine Sexualität noch einmal neu zu überdenken. Wieso sagte er mir das? Skeptisch die Augen zusammenkneifend musterte ich ihn. Im Moment hatte er den Blick gesenkt und nuckelte beinahe gelassen an seinem Strohhalm. Der gerade, blonde Pony verdeckte seine Augen. Aber… er war doch eigentlich gar nicht schwul, oder? Das hätte ich gemerkt. Tief ein- und ausatmend lehnte ich mich zurück und nahm einen großen Schluck aus meinem Bierglas. Yukke, Yukke... Während mir gerade der Kopf schwirrte, wirkte er beinahe erleichtert. Das Lächeln hielt sich immer noch auf seinen Lippen, als er aufsah. „Mensch, jetzt schau nicht so, als hättest du auf eine saure Zitrone gebissen. Ich tu dir nichts.“ „Das hatte ich auch nicht erwartet.“ Langsam kam ich wieder in die Gänge. „Und warum schaust du dann so, als hätte ich dir etwas Schlimmes angetan?“ Schaute ich wirklich so drein? Höchste Zeit, meine Mimik wieder in den Griff zu bekommen. „Ich glaube, ich hätte es dir doch nicht sagen sollen.“ „Nein. Nein, schon okay.“ Eigentlich war es nicht okay, aber egal. „Ich weiß gerade einfach nicht, was ich dazu sagen soll.“ Yukkes Lächeln wurde noch eine Spur weicher, seine dunklen Augen blickten mich aufmerksam an. „Nichts. Wirklich. Ganz ehrlich? Ich habe auch nichts erwartet.“ Jetzt lachte er leise. „Halte mich ruhig für egoistisch, aber ich wollte es nur loswerden, um abschließen zu können.“ Geräuschvoll trank er sein Glas aus, wobei er mich nicht aus den Augen ließ. „Hör mal, Tatsuro, mach dir keine Gedanken. Lass uns einfach weitermachen wie bisher. Es ändert sich ja nichts.“ Guter Plan, für mich jedoch gerade nur schwer umsetzbar. Ich wusste immer noch nicht, was ich davon halten sollte. Yukke war in mich verliebt? In mich? Ganz blöde Idee und irgendwie so… abwegig. Wieso sollte man sich ausgerechnet in mich verlieben? Seufzend lehnte Yukke sich zurück und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. Mit einem Mal wirkte er fast sauer. „Mann…“, maulte er und verdrehte die Augen. „Ich hätte echt nichts sagen sollen, wenn es dir derart die Sprache verschlägt. Oder, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, vielleicht doch schon eher, um mal Ruhe zu haben.“ „Eh!“ Mehr aus Gewohnheit trat ich unter dem Tisch nach seinem Bein, verfehlte es allerdings knapp, was ihn zum Kichern brachte. „Ach, komm! Lass uns noch eine Runde bestellen und über Miya lästern und gut ist.“ Yukkes unbeschwertes Grinsen war ansteckend und ließ meine Mundwinkel ebenfalls zucken. Oh, Mann, Yukke. In einem Zug trank ich mein Glas leer und stellte es mit mehr Schwung als nötig zurück auf den Tisch. „Okay, aber die Runde geht auf dich.“ * Frustriert fuhr ich mir durch die langen Haare. Das gab‘s doch nicht. Schon wieder abgestürzt und tot. Grummelnd warf ich meinen Controller weg und krallte mir die Bierflasche vom Tisch. Die Tatsache, dass ich für heute schon genug intus hatte, ignorierte ich. Es sollte einfach nur helfen, den Frust abzubauen. Tat es aber irgendwie nicht. Seit einer guten Stunde saß ich hier im Halbdunkeln vor meinem Fernseher und versuchte, die nächsten Freischaltungen bei Mario Kart zu erreichen. Doch außer, dass ich ständig von irgendwo herunterfiel oder aneckte und damit als einer der Letzten ins Ziel trudelte, war kein Erfolg zu verzeichnen. Es war zum Haare raufen und so sahen meine Haare mittlerweile auch aus. Und wer war schuld? Yukke natürlich. Eigentlich hatte ich gedacht, dass wir nach unserem geplanten Besäufnis hier aufschlagen und wie üblich eine Runde zocken würden. Doch nach den Geschehnissen in der Bar war es mir irgendwie nicht mehr in den Sinn gekommen, ihn zu fragen. Somit saß ich nun alleine hier, futterte Chips, trank die zweite Flasche Bier und fluchte die meiste Zeit vor mich hin, während mich die anderen von der Piste drängten. So machte das Ganze wirklich keinen Spaß. Ach, es ist doch alles scheiße. Die letzte Stunde in der Bar war objektiv betrachtet recht normal verlaufen. Wir hatten versucht, die Leichtigkeit vom Anfang des Abends wieder heraufzubeschwören und uns ausgiebig über Miyas neues Interesse am Vegetarismus, an dem garantiert nur seine neue Flamme Schuld hatte, lustig gemacht. Eigentlich liebte unser Leader nichts mehr als seine Steaks, weshalb unter uns restlichen Bandmembern mittlerweile geheime Wetten liefen, wie lange er dieses fleischlose Leben noch durchhalten würde. Doch langsam aber stetig waren die Gesprächsthemen verebbt und mit dem immer länger andauernden Schweigen hatte sich auch diese wohlbekannte, innere Unruhe in mir verstärkt breitgemacht. Eine Unruhe, die mich seit langem nicht mehr befallen hatte und die ich sonst in Gegenwart von Yukke gar nicht kannte. Und auch nicht spüren wollte. Anscheinend war ich auch nicht besonders erfolgreich darin, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich sein Geständnis aus der Bahn geworfen hatte. Die besorgten Blicke, die auf mir ruhten, waren zunehmend mehr geworden. So hatte es dann nicht mehr lange gedauert, bis wir den Abend beendeten. Ein bisschen fühlte es sich für mich nach Flucht an. Dabei wollte ich mich gar nicht so fühlen. Unsere Verabschiedung war ungewohnt steif ausgefallen. Sonst umarmten wir uns immer kurz, doch diesmal war ich regelrecht zu Eis erstarrt. Yukkes leises „Alles gut, Tatsue.“ hatte mich auch nur wenig beruhigen können. Hätte ich heute Nachmittag bei dem Proben schon geahnt, wie dieser Abend verlaufen würde, hätte ich Yukke gleich abgesagt, als er mich gefragt hatte, ob wir mal wieder etwas trinken gehen wollten. Und nun? Yukkes Worte lasteten wie ein Bleigewicht auf meinen Schultern. Sie schwebten im Raum, geisterten dauerhaft durch meine Gedanken und wollten sich nicht einfangen lassen. Das war – Das war so unrealistisch und nicht greifbar für mich. Wieso ausgerechnet ich? Und immer wieder die Frage dazwischen: War das sein Ernst? Und auch wenn die Sache an sich nichts Schlimmes war, fühlte es sich dennoch komisch an und verunsicherte mich. Ich hasste nichts mehr, als verunsichert zu sein. Das passte nicht zu mir! Über mich selbst frustriert, nahm ich einen großen Schluck und startete einen erneuten Versuch den goldenen Pokal zu gewinnen. Nach einer halben Stunde voller Flüche und Beleidigungen gab ich auf. Der Alkohol machte mich träge und meinen Körper seltsam weich. Mittlerweile stürzte ich schon an Stellen ab, wo man eigentlich gar nicht abstürzen konnte. Aber hey, ich schaffte das mit Bravour. Vor mich hin grummelnd schaltete ich den Fernseher aus und warf mich schwungvoll aufs Sofa. Die durch den Alkohol erwartete Müdigkeit blieb aus, dafür ratterte es in meinem Kopf zu sehr. Und die plötzlich eingetretene Stille machte es noch schlimmer. Mann, es war Samstag Abend – Zeit, irgendwas zu machen, war genug. Doch was? Zum Schlafen war ich noch zu fit, aber nach draußen wollte ich auch nicht. Da war ich ja vorhin erst gewesen. Mit Yukke. Ich versuchte den Gedanken an den kleinen Blondschopf, der mein Leben einfach so mit nur einer Aussage derart durcheinandergebracht hatte, zu vertreiben. Mit sowas konnte ich einfach nicht umgehen. Gefühle… Nein, wirklich nicht. Das hatte in der Vergangenheit schon nicht funktioniert. Das schmerzhafte Ziehen in meiner Brust brachte mich schnell dazu, die aufkommenden Erinnerungen zurückzudrängen. Jetzt nicht. Einer plötzlichen Eingebung folgend, griff ich nach meinem Handy, das auf dem Boden neben dem Sofa lag. Der Boden bewegte sich dabei gefährlich auf mich zu. Ich brauchte jemanden zum Reden. Yukke schied aus bekannten Gründen aus, Miya ebenfalls, denn im schlechtesten Fall hatte ich seine Alte an der Strippe und mit der wollte ich definitiv nicht reden. Wieso vergriff die sich überhaupt an seinem Handy? Obwohl meine Sicht leicht verschwommen war, fand ich schnell Satochis Nummer. Der musste sich einfach mein Leid anhören. Das war er mir schuldig. Weil er… na ja, halt Sato war. „Tatsuro, was verschafft mir die Ehre?“ „Yukke hat sich in mich verliebt“, platzte es aus mir heraus, kaum, dass seine heitere Stimme aus dem Lautsprecher drang. Was folgte, war ein Moment der Stille, ehe er sich geräuschvoll räusperte. „Ähm… Sag mal, hast du getrunken?“ Hatte der mir nicht zugehört? „Nein, und wenn nur ein kleines Bisschen.“ „Du lallst.“ Hallo? Hier ging es nicht um meinen Alkoholkonsum, sondern um Wichtigeres! „Ist doch egal! Hast du gehört, was ich gesagt habe?“ Ich konnte nicht verhindern, dass ich zusehends hilfloser klang. Mir war gerade irgendwie elend zumute. Konnte nicht mal jemand meinen Kopf aufräumen? „Hm, schon. Yukke ist in dich verliebt. Und?“ „Wie und?“, schnappte ich. „Sag doch mal was dazu!“ „Ähm, schön?“ „Schön? Das ist gar nicht schön!“, verteidigte ich meine Sichtweise. Ich konnte regelrecht durchs Telefon hören, wie er seine Augen verdrehte. „Tatsuro, jetzt komm mal runter! Das ist doch kein Drama.“ Seine geradezu nervtötend ruhige Art brachte mich langsam, aber sicher zur Verzweiflung. „Na doch! Was soll ich denn jetzt machen?“ „Nichts. Oder hat er was von dir verlangt, dich angefallen oder belästigt?“ Die Vorstellung eines mich bedrängenden Yukkes ließ mich wider Erwarten kurz schmunzeln. Das würde der nie schaffen. „Nein, hat er nicht“, gestand ich schließlich leise. „Na, dann ist doch gut. Ich würde behaupten, dass Yukke, wenn es denn stimmt, nicht erst seit heute in dich verliebt ist und es wohl ganz gut verborgen hat. Also ändert sich nichts.“ Für euch vielleicht nicht. Doch das behielt ich für mich. Yukke hatte vor wenigen Stunden auch etwas Ähnliches gesagt, nur glaubte ich ihm nicht. Wie konnte sich denn bei so etwas nichts ändern? „Wusstest du es?“ „Was? Nein. Wie gesagt, er hat es ganz gut versteckt.“ Ich seufzte. So kam ich einfach nicht weiter. In meinem Kopf drehte sich alles und das lag nicht allein am Alkohol. „Aber warum sollte er sich ausgerechnet in mich verlieben?“ Ich hörte Satochi lachen. „Tja, das frag ich mich auch.“ Ich konnte ein leichtes Zusammenzucken nicht verhindern. Ich wusste, dass der Satz nur so dahin gesagt war, dennoch befeuerte er die Unsicherheit in mir nur weiter. „Hör mal, Tatsuro.“ Satos Stimme wurde mit einem Mal weich, beinahe einfühlsam. „Du wirst Yukke wohl selbst fragen müssen.“ „Hm, mal sehen.“ Nein, eigentlich wollte ich das nicht. Ich wollte nicht darüber sprechen oder nachdenken, aber gleichzeitig schon. Ach, war das kompliziert – jedenfalls für mein überarbeitetes Hirn. „Sato? Ich glaub, ich schlaf ne Nacht drüber.“ „Ja, mach das. Und trink nichts mehr, denn das macht‘s nicht besser.“ Recht hatte er. „Okay. Gute Nacht.“ Ehe ich endgültig auflegte, fiel mir noch etwas ein. „Ach, und Sato… Sag‘s nicht weiter.“ * Als ich zwei Tage später unseren Proberaum betrat, waren meine Augenringe tief und meine Laune dementsprechend schlecht. Zwar hatte es nach dem Telefonat mit Satochi doch überraschend gut mit dem Schlafen geklappt, dafür war der gestrige Tag zermürbend gewesen. Natürlich hatten Yukke und Sato irgendwo recht damit, dass sich theoretisch nichts änderte, besonders wenn ich davon ausgehen konnte, dass Yukkes Gefühle schon eine Weile bestanden. Tja, theoretisch eben. Praktisch sah das Ganze anders aus, denn Wissen veränderte eine Menge. Und dieses Wissen machte mich unruhig und aufgekratzt. Mittlerweile war ich wenigstens soweit, mich auch ein kleines Bisschen geschmeichelt zu fühlen. Gleichzeitig erwartete ich aber wieder einen Haken bei der Sache. Vielleicht hatte Yukke mich doch nur necken wollen und es stimmte nicht. Allerdings traute ich ihm so eine Aktion nicht wirklich zu. Also blieb schlussendlich einfach nur die Frage: Wieso? Hatte ich ihm irgendeinen Grund gegeben, sich in mich zu verlieben? Wenn ich nicht aufpasste, würden meine Haare in kürzester Zeit wie ein Vogelnest aussehen, so oft wie ich sie mir deswegen in den vergangenen Tagen gerauft hatte. „Na, schlecht geschlafen oder zu viel Party gemacht?“ Hätte ich etwas in der Hand gehabt, wäre es genau jetzt in Satochis grienendes Gesicht gelandet. Da ich allerdings nichts Passendes hatte, knurrte ich ihm nur ein übellauniges „Klappe“ entgegen, was unseren Drummer zum Lachen brachte. Murrend pflanzte ich mich auf die Couch und griff nach einer der bereitstehenden Wasserflaschen. Ich brauchte irgendetwas zum Festhalten. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich Yukkes Blick, doch als ich direkt zu ihm sah, wechselte seine Aufmerksamkeit umgehend zu seinem Bass. Fühlte sich da etwa jemand schuldig? Dem Blick gerade nach zu urteilen, ja. Durfte er auch ruhig sein. Mir einfach so den Schlaf zu rauben. Ich starrte ihn grimmig an, während er mich geflissentlich ignorierte. Hatte das mit dem Schlaf in der ersten Nacht gut geklappt, was aber wohl mehr am Alkohol gelegen hatte, so war die vergangene Nacht furchtbar gewesen. Mein Hirn war die ganze Zeit auf Hochtouren gelaufen, mein Körper machte sowieso was er wollte, nur eben nicht schlafen. Ich war hundemüde und fühlte mich wie gerädert. Was wurde denn jetzt von mir erwartet? Dass ich einfach so weitermachte? Wohl kaum. Yukke musste doch wissen, dass ich emotional äußerst leicht zu überfordern war. Um so weniger konnte ich so etwas stillschweigend auf sich beruhen zu lassen. Mittlerweile hatte sich meine anfängliche Erstarrung und Verunsicherung in eine unterschwellige Wut gewandelt. Und die sah man mir garantiert an. Ja, ich war sauer. Auf Yukke und auch auf mich selbst, aber am meisten auf Yukke. Nicht wegen seiner Gefühle. Dafür konnte er nichts, denn von mutwilligem Verlieben hatte ich noch nie etwas gehört. Nein, ich war sauer, dass er einfach alles unnötig kompliziert gemacht hatte, indem er mir dieses Geständnis vor den Latz geknallt hatte. Und ich damit nicht klarkam. „Tatsuro, können wir anfangen?“ Miyas ruhige Stimme hatte einen lauernden Unterton angenommen, der stets dann auftrat, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Diesmal war das wohl ich, denn anscheinend hatte er mich schon einige Male angesprochen. Mit einem lauten Knistern ließ ich die Flasche los, die ich in den vergangenen Minuten geistesabwesend zusammengequetscht hatte. „Jaja, ich komm schon.“ Ich erhob mich ächzend von dem weichen Polster und ging zu meinem Mikrofon-Ständer. „Sag mal, Miya, können wir erstmal die Balladen weglassen und gleich zu den härteren Sachen kommen?“ Mir war heute nach Schreien. * In den darauffolgenden zwei Wochen änderte sich nichts. Also jedenfalls nicht zwischen Yukke und mir. Nun gut, vielleicht ein bisschen. Von meiner zwischenzeitlichen Wut war nur noch Verwirrung und Unsicherheit übriggeblieben. Ich glaubte ihm. Es war schließlich Yukke und warum sollte er lügen, egal wie unrealistisch seine Gefühle auf mich wirkten. Doch nichts fühlte sich mehr an wie zuvor. Wir versuchten zwar unser Möglichstes, einander nach außen hin normal zu behandeln, die Freundschaft genauso bestehen zu lassen wie sie gewesen war, doch wem machten wir hier eigentlich etwas vor? Wenn wir im Proberaum beisammensaßen und lachten, hatte ich das Gefühl mit Samthandschuhen angefasst zu werden. Im Gegenzug fühlte ich mich ähnlich unbeholfen und nervös, wollte nichts falsch machen oder mich verraten. Seien wir ehrlich: an sich war das nur Show für die anderen, wobei Sato ja bereits Bescheid wusste. Es nervte. Ich wollte mein altes, unbeschwertes Leben zurück. Und Yukke ging es wohl ähnlich, denn er wirkte die meiste Zeit ziemlich zerknirscht und schuldbewusst. Ändern konnten wir es jetzt allerdings sowieso nicht mehr. Das Kind war in den Brunnen gefallen und wir mussten das Beste daraus machen. Was wir definitiv nicht taten. Seit zwei Wochen umschifften wir sämtliche Themen diesbezüglich und zwangen uns zu aufgesetzter Normalität. Und das nagte an mir, ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Dennoch wollte ich nicht den ersten Schritt machen. Yukke hatte mich mit seinem Geständnis überfallen und jetzt sollte er es auch bitte wieder geradebiegen. Wobei – vermutlich würde ich darauf ewig warten. Ich tippte unruhig mit den Fingern auf die Tischplatte und fixierte mein Handy, als könnte ich es so zum Klingeln bringen. Natürlich geschah nichts. Was hatte ich erwartet? Frustriert schnaubte ich. Was gäbe ich dafür die Zeit zurückdrehen zu können. Einfach nicht zu wissen, was Yukke mir gegenüber empfand. Nur wenn ich jetzt so darüber nachdachte, stimmte es mich fast traurig. Es fühlte sich mies an. Wie konnte ich meine Bedürfnisse so einfach über Yukkes stellen und darauf pfeifen, wie es ihm dabei ging? Ich war ein miserabler Freund. Ein Grund mehr, sich nicht mich zu verlieben. Meine Stirn landete geräuschvoll auf dem kühlen Holz, während ich die Augen zusammenkniff, um nicht schon wieder in meinen Überlegungen zu versinken. Das brachte doch nichts! Vielleicht sollte ich ihn anrufen. Oder – Nein, lieber nicht. Am Ende wimmelte er mich noch ab oder nahm den Anruf gar nicht erst an. Es wäre wohl besser, direkt bei ihm auf der Matte zu stehen. Natürlich könnte er mich auch dort abwimmeln oder stehen lassen, dennoch standen bei dieser Variante meine Chancen insgesamt besser, mit ihm zu reden. Denn die Türklingel zu ignorieren, war schwerer, als sein Handy auszumachen. Außerdem – würde Yukke mich wirklich draußen stehen lassen? Wir waren immer noch Freunde und keine Feinde und der alte Yukke hätte so etwas nie getan. Eine halbe Stunde später stand ich also tatsächlich auf besagter schwarzweiß karierter Fußmatte. Eine dicke, seltsam verschoben aussehende Katze hieß mich darauf Willkommen. Manchmal hatte Yukke einen wirklich schrägen Geschmack. Im selben Moment, als ich das dachte, spürte ich mal wieder ein feines Stechen in meiner Brust. Automatisch biss ich mir auf die Unterlippe, versuchte das seltsame Gefühl zu ignorieren, das zum wiederholten Mal in den letzten Tagen in mir aufzusteigen drohte. Ja, wirklich schräg. Ehe ich es mir noch anders überlegen konnte, klingelte ich Sturm. Von drinnen war ein Poltern zu hören und etwas, das verdächtig nach einem Fluchen klang. Da war der Gute wohl mal wieder über den Blumenkübel im Flur gestolpert. Das Grinsen, das mir bei der Vorstellung gekommen war, verschwand augenblicklich, als mir bewusst wurde, wie gut ich ihn eigentlich kannte. Oder eben auch nicht. Sekunden später wurde die Tür geöffnet und ein verwuschelter Yukke starrte mich überrascht an. Mein Herz machte einen kleinen Satz. „Tatsuro? Was machst du hier?“ Ich hätte schwören können, dass sein Gesicht einen Hauch blasser geworden war. „Na, wonach sieht‘s denn aus? Essen vorbeibringen wollte ich jedenfalls nicht. Hab selbst nichts da.“ Für einen Moment wirkte Yukke irritiert, was mich wiederum zum Schmunzeln brachte. „Lässt du mich rein?“ Er blinzelte und ich hatte sogar kurz die Befürchtung, dass er mich doch abweisen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Beinahe mechanisch zog er die Tür weiter auf und trat einen Schritt zur Seite, nicht ohne mich weiter aus großen Augen anzustarren. In ihnen erkannte ich dieselbe Unsicherheit, die mich in den letzten Tagen in regelmäßigen Abständen überkommen hatte und die mir gerade das Denken schwer machte. Betont gelassen trat ich ein, entledigte mich meiner Schuhe und der Jacke, während hinter mir die Tür ins Schloss fiel. Mit mehr Sicherheitsabstand als nötig schob sich Yukke an mir vorbei in den Flur. „Sorry, ich muss fix meine Pflanze retten“, hörte ich ihn im Vorbeigehen murmeln. „Bin grad drüber gefallen.“ Ein wehmütiges Schmunzeln breitete ich auf meinen Lippen aus. Also doch. Ich ließ mir etwas mehr Zeit als nötig, ehe ich ihm ins Wohnzimmer folgte. Ein Großteil der Erde hatte sich neben der Tür auf dem Boden verteilt und wurde gerade von Yukke zurück in den Pflanzenkübel befördert. Der stand aber auch ungünstig. Die reinste Unfallstelle. Bei mir wäre er schon längst irgendwo anders gelandet – vermutlich im Müll. Doch Yukke würde lieber noch dreimal mehr drüber fallen, als eine Pflanze wegzuwerfen. Er konnte sowas nicht. Während er für Ordnung sorgte, setzte ich mich in meinen Lieblingssessel. Ich war schon so oft hier gewesen, dass ich ihn getrost als meinen Sessel bezeichnen durfte. Selbst wenn andere Leute zu Besuch waren, scheuchte Yukke sie weg, damit ich dort sitzen konnte. Unwillkürlich kam die Frage in mir auf, ob er es nur deshalb getan hatte? Weil er mehr für mich empfand? Oder weil es unsere Tradition war? Und würde er das auch weiterhin tun? Inzwischen war die Erde zurück in ihrem Topf und Yukke sah mich einen Moment lang unschlüssig an, bevor er sich räusperte. „Magst du etwas trinken? Oder essen?“ „Gerne. Wasser reicht.“ Himmel, wann waren wir das letzte Mal derart höflich miteinander umgegangen? Das war ja furchtbar und unsere Verunsicherung schien nahezu körperlich greifbar. Nach außen hin ruhig, innerlich komplett angespannt, wartete ich darauf, dass er mit den Getränken zurückkam. Das konnte ja was werden. Als Yukke wenig später schließlich seinen Platz auf dem Sofa einnahm, wurde seine Nervosität noch deutlicher. Er tat mir leid, wie er sich fahrig die blonden Haare aus der Stirn strich und mir dabei einen scheuen Blick zuwarf. Hatte ich ihn so sehr verunsichert, dass er sich kaum traute, mich anzusehen? Das hatte ich nicht gewollt. Also ergriff ich als Erster das Wort, allerdings nur um ein wenig hilfreiches „Und nun?“ verlauten zu lassen. Yukkes Schulterzucken wirkte ähnlich ratlos. Also entschloss ich mich für die Wahrheit. Warum länger um den heißen Brei herumreden? „Ich komm damit nicht klar.“ Sein leises „Ich auch nicht“ hinterließ einen schalen Nachgeschmack auf der Zunge. Wieso musste es so kompliziert sein? Seufzend fuhr ich mir mit den Händen übers Gesicht und murmelte: „Yukke, was soll ich tun? Was erwartest du jetzt von mir?“ Ich ließ den Kopf gegen die Rückenlehne sinken und sah ihn unter halb geschlossenen Lidern heraus an. Ich konnte meine Unruhe kaum im Zaum halten. Einen Moment lang erwiderte er meinen Blick schweigend, bevor er tiefer in die Polster sank. „Nichts, Tatsue, nichts.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Das dachte ich zumindest. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher.“ Abermals strich er sich durch die Haare. Es wirkte ein wenig verzweifelt, wie er die Augen zusammenpresste und dann die Arme vor dem Oberkörper verschränkte. „Ich muss gestehen, ich hatte dieses Geständnis nicht geplant. Natürlich hatte ich immer mal mit dem Gedanken gespielt, es dir irgendwann zu sagen, aber es war so abwegig. Bis zu diesem Abend. Irgendwie ist es mir plötzlich rausgerutscht.“ „Rausgerutscht?“ Ich schnaubte und richtete mich wieder ein Stück auf. „Aber Yukke, warum ich? Hättest du dir nicht jemand anderen aussuchen können? Jemand besseren?“ Er sah mich an, als wäre ich nicht ganz zurechnungsfähig. Okay, vielleicht hätte ich doch nicht fragen sollen. Gleichzeitig spürte ich, wie sehr ich seine Antwort fürchtete. „Als ob ich mir das ausgesucht hätte. Mensch, Tatsuro.“ „Ja, entschuldige“, gab ich kleinlaut von mir, was ihm ein minimales Schmunzeln aufs Gesicht zauberte. „Aber wenn du es genau wissen willst: wenn ich könnte, würde ich mich sofort entlieben, denn du bist manchmal echt furchtbar und die meiste Zeit sehr anstrengend.“ Autsch. Auch wenn sein Grinsen etwas von der Härte der Worte nahm, hatte es doch gesessen. Aber was hatte ich erwartet? Dass er mir erzählte, wie toll ich war? Wohl kaum. Nein, an sich bestätigte das nur meine eigene Meinung von mir selbst. Ich zwang mich über das stechende Gefühl in meiner Brust hinweg zu einem unbeschwerten Lachen, um mir nichts anmerken zu lassen. „Danke, verteil ruhig noch mehr Komplimente an deinen Angebeteten.“ „Pfff, Angebeteter?“ Bisher hatte ich nie gewusst, dass Yukke seine Augenbrauen dermaßen weit nach oben ziehen konnte – jetzt schon. „So krass würde ich es nun nicht bezeichnen, aber wenn du einmal darauf bestehst, bitte: Tatsue, du bist wirklich einer der anstrengendsten Menschen, die ich kenne. Wahnsinnig launisch und eigenwillig und deine Witze und Streiche sind nicht mal im Ansatz so lustig, wie du sie findest. Willst du noch mehr hören?“, grinste Yukke mich schelmisch an. Ich zwang mich, nicht zusammen zu zucken. Wenn er mich so schlimm fand, warum hatte er sich dann überhaupt in mich verliebt? Statt ihn das zu fragen, zog ich es vor, ein übertriebenes Schmollen aufzusetzen. Und nein, ich wollte wirklich nicht noch mehr hören. Besonders das mit den Witzen war gemein. Ich mochte sie. Aber vielleicht war das eine kleine Revanche für besagte Streiche, weil Yukke ihnen meist zum Opfer fiel. Trotzdem nickte ich, ich wollte es hinter mir haben, falls er noch mehr zu sagen hatte, und viel schlimmer konnte es ja nicht werden. Denn ob Yukke es wusste oder nicht, er rührte etwas in mir. Etwas, an das ich nicht erinnert werden wollte, aber das gerade in Momenten wie diesen zu Tage trat. Ohne dass ich es verhindern konnte, huschten unzählige, flüchtige Erinnerungen an meinem geistigen Auge vorbei. Stimmen, die mir sagten, wie unerträglich ich sei. Erinnerungen an Menschen, die mir einst viel bedeutet hatten und die mich nie als den Menschen wahrgenommen und gemocht hatten, der ich nun mal war. Der Erfolg und das öffentliche Leben waren für sie reizvoller gewesen, der Rest an mir zu anstrengend und nicht der Mühe wert, sich darauf langfristig einzulassen. Eine leichte Berührung am Knie ließ mich zusammenfahren und holte mich zurück in die Realität. Blinzelnd sah ich auf, bemerkte jetzt erst, dass Yukke vor mir in Hocke gegangen war und mich mit einem Mal besorgt ansah. Der Schalk war aus seinen Augen verschwunden. Krampfhaft versuchte ich den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, hinunterzuschlucken. „Entschuldige, wenn ich –“ „Gibt nichts zu entschuldigen“, unterbrach ich ihn matt. „Hast ja recht.“ Ich hasste es, wie rau meine Stimme auf einmal klang. Aber ich meinte es genauso. Er konnte nichts dafür, dass meine Beziehungen bisher alle aus mehr oder weniger denselben Gründen gescheitert waren, und ich nun deshalb nicht mehr an solche Gefühle glauben konnte. Meine Hand suchte wie von alleine Yukkes, die immer noch auf meinem Knie ruhte. Das hier war Yukke, verdammt noch mal! Nicht irgendwer. Er war immer ehrlich zu mir gewesen, kein Grund alles wieder hochkochen zu lassen. „Tatsuro…“ Mit einem Seufzen sank sein Kopf gegen mein Knie, der Druck um meine Hand wurde stärker. „Auch wenn du es nicht glauben magst, es gibt Menschen, die dich mögen, wie du bist. Ich mag dich, wie du bist, selbst wenn du mich mal wieder nervst. Das bist eben du. Und du bist für mich einer der wichtigsten Menschen. Und ein guter noch dazu. Hey, jetzt guck nicht so überrascht.“ Ein vorsichtiges Lächeln zierte seine Lippen, als er zu mir aufsah. Irgendwie hatte ich es geschafft, den Kloß loszuwerden, allerdings fingen stattdessen meine Augen anzubrennen. Verflucht, was war ich heute wieder emotional? „Ich weiß, dass du von dir selbst nicht die beste Meinung hast, also denk nicht so sehr über das Warum nach. Es ist, wie es ist. Ich kenn dich jetzt schon so lange, mit all deinen Macken, aber auch all den guten Eigenschaften und ob du es glaubst oder nicht: Ich kann mir mein Leben mittlerweile nicht mehr ohne dich vorstellen.“ Ich war sprachlos. Yukke. „Weißt du, du wirkst zunächst vielleicht ziemlich egozentrisch und schwierig, doch eigentlich achtest du sehr auf deine Mitmenschen. So wie auf mich.“ Zum Ende hin war seine Stimme leiser geworden. Unsicher blinzelte er mich an. „Erinnerst du dich noch die Sache mit Megumi?“ Mit einem Mal saß ich kerzengerade und starrte ihn verwirrt an. Megumi? Was hatte die damit zu tun? Vergessen waren für einen Moment meine Probleme, denn plötzlich erschien mir Yukkes Vergangenheit mit dieser Person schlimmer. Unwillkürlich wurde mein Blick finsterer, als ich in meinen Erinnerungen kramte. Megumi, dieses Biest. Als Yukke damals zum ersten Mal mit ihr angekommen war, hatte ich sie schon nicht leiden können. Ich hatte ihr kein Stück weit getraut und sollte damit recht behalten. Was nach ihrer Trennung rauskam, war echt heftig gewesen und ich hatte Yukke lange nicht derart fertig gesehen. „Damals, als es mir so mies ging, warst du für mich da. Auch vorher und später noch, aber da besonders. Generell warst du irgendwie immer da, wenn ich dich brauchte. Du hast dich oft aufgeregt. Aber du warst da.“ Der kurze Anflug von schlechter Laune verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war. Nur ein Gefühl blieb zurück, das ich nicht zuordnen konnte. Ich schluckte und biss mir auf die Unterlippe. Yukke schien es ähnlich zu ergehen, seine Stimme klang leicht heiser. Er straffte sich, ehe er fortfuhr: „Na jedenfalls, die Sache mit Megumi. Irgendwie hat es sich damals zu mehr entwickelt und seither ist es dabeigeblieben.“ Jetzt riss ich meine Augen schockiert auf. Die Trennung von Megumi lag zwei Jahre zurück. War das sein Ernst? Seit zwei Jahren?! Scheiße. „Ja, seit zwei Jahren“, bestätigte Yukke meinen Gedanken, den ich anscheinend laut ausgesprochen hatte, und wirkte dabei unangenehm berührt. Ich hingegen war von Neuem überfordert. So lange schon? „Tatsuro, glaubst du, mir ist das leicht gefallen? Ich hab mir das nicht ausgesucht. Aber Armors Pfeil hätte mich auch schlimmer treffen können.“ Einen Augenblick lang starrte ich ihn perplex an, dann kehrte allmählich ein zaghaftes Lächeln auf mein Gesicht zurück. Na, wenn man es so sah, hatte er durchaus recht – wie die Vergangenheit bereits bewiesen hatte. Ich räusperte mich unauffällig, schob alle unnötigen Gedanken beiseite und lehnte mich so gelassen wie möglich zurück, während mein Herz immer noch aufgeregt vor sich hin flatterte. Ich schaffte es sogar, meinem Lächeln einen selbstzufriedenen Touch zu verleihen. „Stimmt. Wenn man das so hört, bin ich doch eine sehr gute Partie.“ Yukkes Lachen, das daraufhin folgte, hatte etwas ungemein Befreiendes. Schnaubend machte er sich von mir los und stand mit einem Ächzen auf. „Das glaubst auch nur du. Du hast dich ja jetzt genug von mir beweihräuchern lassen. Gewöhn dich bloß nicht dran.“ „Schade eigentlich.“ Immer noch grinsend griff ich an ihm vorbei, nach meinem bis jetzt noch unberührten Glas und nahm einen großen Schluck. Ich hatte das Gefühl, wieder freier atmen zu können und das tat nach den letzten beiden Wochen verdammt gut. Gerade war die Vergangenheit egal. Das hier war Yukke, einfach nur Yukke. „Und nun?“, kam ich schließlich auf meine Anfangsfrage zurück. „Machen wir normal weiter?“ Yukke überlegte kurz, bevor er nickte. „Ja, ich denke, das ist sinnvoll. Außerdem: Jetzt geht's mir erstmal besser.“ „Mir auch.“ Mit einem Ruck erhob ich mich aus dem Sessel und stellte mich genau vor Yukke, dessen linke Augenbraue fragend nach oben zuckte. Schief grinsend breitete ich die Arme aus und sah ihn auffordernd an. „Ich finde, ein feuchter Händedruck für einen halben Neubeginn ist zu wenig.“ Ein paar Sekunden lang blickte er mich noch unsicher an, ehe er meiner Einladung folgte und seine Arme um meine Mitte schlang. Automatisch zog ich ihn noch etwas fester an mich, als sein Kopf den passenden Platz an meiner Schulter fand. Ich spürte, wie er schwer ausatmete, als würde in diesem Moment alle Last von ihm abfallen. Erst jetzt wurde mir richtig klar, wie sehr ihn die Situation ebenfalls aufgewühlt hatte, auch wenn er versucht hatte, es zu verstecken. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf meinen Zügen aus. „Wir bekommen das hin.“ Bestimmt. Irgendwie. Wie genau, darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken. Viel lieber genoss ich das vertraute Gefühl, das mich von innen wärmte und mein Herz erfreute, während ich Yukke beruhigend über den Rücken strich. * Unwillig blickte ich auf die Uhr neben dem Fernseher. Noch eine Stunde, dann wäre er hier und wir könnten endlich mal wieder zocken. Was definitiv kein Grund war, dass mein Herz aufgeregt zu flattern anfing. Nein, definitiv nicht. Das widerum war vielmehr ein Grund, schlechte Laune zu bekommen. Was sollte das denn? Seit Yukkes Geständnis waren inzwischen drei Monate vergangen. An sich war alles wieder beim Alten. Schließlich hatten wir uns ausgesprochen und das nicht nur ein Mal. Vergangenheit blieb Vergangenheit und Yukke war sowieso mit niemandem zu vergleichen. Wir hatten unsere Klubtour erfolgreich hinter uns gebracht, hatten die Fans und uns selbst begeistert und würden sogar demnächst mit einer neuen Scheibe glänzen. Also alles Gründe für gute Laune und Freude. Eigentlich. Nur irgendwie fühlte es sich nicht danach an. Es war seltsam. Egal, wie viel Zeit Yukke und ich seither zusammen verbrachten, wie gut wir wieder miteinander auskamen, es war nicht mehr so wie früher. Unmittelbar nach der Aussprache schon, aber in den letzten Wochen hatte sich wieder etwas geändert. Missmutig stellte ich die halb verzehrte Packung Eis, die ich mir vorhin in einem kurzen Anfall von Selbsthass und Verzweiflung gegriffen hatte, auf den Tisch und ließ mich seitlich aufs Sofa fallen. Mir war gleichzeitig nach Lachen, Schreien und Heulen. Doch heulen würde ich definitiv nicht, so weit kam‘s noch und helfen würde es auch kein bisschen. Ich war aufgewühlt. Schon wieder und das kam quasi einem Rückfall gleich. Erst war alles gut gewesen, doch nun fühlte ich mich ähnlich verwirrt und unruhig wie unmittelbar nach Yukkes Geständnis. Diese Worte, die alles so kompliziert gemacht hatten und mich auch seither nie völlig losgelassen hatten. Na ja, sowas bekam man nun auch nicht alltäglich von einem seiner besten Freunde gesagt – von jemanden, den man so lange kannte und vertraute. Ich hatte wirklich versucht, es zu verdrängen, doch mein Kopf hatte da wohl andere Pläne und machte mir einen Strich durch die Rechnung. „Ich kann mir mein Leben mittlerweile nicht mehr ohne dich vorstellen.“ Wer hörte sowas nicht gerne? Es war Balsam für die Seele und brachte eine angenehm prickelnde Wärme mit sich. Und gleichzeitig wollte ich gar nicht so intensiv darüber nachdenken. Aber mein Herz sah das anscheinend anders. Ja, Yukke hatte das wirklich schön gesagt, aber das war, verdammt nochmal, kein Grund Herzklopfen zu bekommen! Inzwischen war es schon so weit gekommen, dass ich Yukke bei jeder sich bietenden Gelegenheit heimlich beobachtete. Hatte er sich verändert? Ging es ihm besser? Fand er gut, was ich so tat und sagte? Schon einige Male hätte ich am liebsten meinen Kopf deswegen gegen die nächstbeste Wand gehauen, um diese unnötigen Gedanken loszuwerden. Das war doch Unsinn. Es nervte. Und es machte alles nur wieder kompliziert. Konnte nicht einfach mal alles seinen normalen Gang gehen? Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, heute gemeinsam zocken zu wollen. Aber das letzte Mal war zu lange her. Und eigentlich hatte es auch immer Spaß gemacht. Nur war ich da auch noch nicht so ein emotionales Wrack gewesen. Das konnte nicht gut enden. Das Läuten an meiner Tür ließ mich auffahren. Mist, war es echt schon so spät? Offensichtlich, wie mir ein schneller Blick zur Uhr verriet, ehe ich zur Tür hetzte. Wobei Yukke mehr als überpünktlich war, als könnte er es nicht erwarten, mich mit seiner Anwesenheit zu ärgern. „Hey.“ Yukke blickte mich erschrocken an, als ich die Tür etwas zu schwungvoll aufriss. „Selber Hey.“ Ich zwang meine Mundwinkel nach oben, versuchte meine Nervosität dahinter zu verstecken, schließlich konnte Yukke nichts dafür. Schuld war mein Hirn, das auf Abwege geraten war und einen Teil meines Körpers gleich mit sich zog. „Komm rein.“ * „Yeeeah!“ Freudig streckte Yukke seine Faust in die Höhe, als sein Wagen als Erster ins Ziel rollte, während ich mal wieder einem der Letzten Gesellschaft leistete. Anscheinend hatte ich das Fahren verlernt, denn das war jetzt schon die dritte Runde, die ich haushoch verlor. Wenigstens spielte Yukke für uns die nächsten Level frei. Ein schwacher Trost, obgleich sich ein kleines Schmunzeln auf meine Lippen stahl, als ich aus den Augenwinkeln beobachtete, wie Yukke sich freute. Er lehnte sich entspannt zurück, während ich mir mit Wario noch den entscheidenden Endkampf um den elften Platz lieferte. Yukkes Lächeln war ansteckend und ließ mich auf Platz 12 landen. „Mensch, Tatsuro, du warst auch schon mal besser.“ Eine Hand klatschte auf mein Knie und ich bildete mir ein, sie blieb einen Hauch länger liegen als normal gewesen wäre. Ich versuchte die kribbelnde Wärme, die von ihr ausging, zu ignorieren und griff nach meiner Bierflasche. Wenn das so weiterging, mutierte ich noch zum Alkoholiker. „Na ja, vielleicht wollte ich dir auch mal eine Chance lassen“, murmelte ich, was ihn zum Lachen brachte. „Das heißt aber nicht, dass du dich gleich ganz hinten anstellen sollst.“ Ich zog eine Grimasse, ehe ich einen großen Schluck aus der Flasche nahm. Meine Beine fühlten sich mittlerweile seltsam weich an, in meinem Kopf hatte sich ein leichter Nebel gebildet, der von Yukkes Nähe noch verstärkt wurde. Wir saßen so dicht auf dem Sofa, dass ich glaubte, seine Wärme auf meiner Haut spüren zu können. Ach, das war doch wirklich beschissen. So konnte das nichts werden. Ich wurde noch irre, wenn das so weiterging. Und mein Alkoholkonsum war selbst für meine Verhältnisse besorgniserregend. „Noch eine Runde?“ Fragend sah ich ihn an, bis ich kapierte, um was es ging. Das Bier in meinem Körper machte mich langsam. „Nachher. Ich brauch mal kurz eine Pause, es dreht sich grad alles“, gestand ich. „Och, armer Tatsue. Du solltest was essen, das hilft.“ Ich kam nicht mal zum Antworten, da war Yukke schon aufgesprungen, um den Inhalt meines Kühlschranks zu inspizieren. Viel gab es dort allerdings nicht zu sehen. Ich hatte mich in den letzten Tagen nicht zum Einkaufen motivieren können. „Mensch, lebst du nur von Tiefkühlpizza und Lieferdienst, oder wie?“, tönte es aus meiner Küche. „Ah, na wenigstens hast du noch Toast da.“ Ich hörte, wie er in meinen Schränken hantierte, und wartete. Komisch. Hatte Yukke nicht behauptet, dass ich auf andere achtete? Das Gefühl hatte ich in letzter Zeit definitiv nicht gehabt, dafür jammerte ich viel lieber über mich selbst. Außerdem kümmerte er sich doch gerade wunderbar um mich. Seufzend legte ich meinen Kopf auf die Rückenlehne des Sofas und schloss die Augen. Es war zermürbend, sich ständig den Kopf zu zerbrechen. Das war doch sonst nicht meine Art. Wenn ich etwas tat, dann meist aus dem Bauch heraus, ohne es vorher zu zerdenken. Das war mein Stil. Ich zuckte zusammen, als sich eine kühle Hand auf meine Stirn legte. Mit aufgerissenen Augen sah ich zu Yukke auf und blieb augenblicklich an seinem lächelnden Mund hängen. Was war denn so lustig? „Alles okay?“ Ich sah die Lippenbewegung mehr, als dass ich die Frage verstand. Was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn -? Aus, Tatsuro! Reiß dich zusammen!, rief ich mich zur Ordnung. Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu verscheuchen. Die Hand verschwand, dafür senkte sich kurz darauf das Polster neben mir. Der kurze Moment, als Yukkes Arm mich streifte, bescherte mir eine Gänsehaut am ganzen Körper. Ach, verdammt! „Hier, dein Toast.“ Ich öffnete meine Augen einen Spalt breit. Vor mir schwebte ein Teller mit zwei hellen, recht pappig aussehenden Scheiben. Es war gut gemeint gewesen, doch je länger ich den Teller betrachtete, desto weniger Appetit verspürte ich. Da nüchterte ich lieber so aus, war schließlich nicht das erste Mal. Dennoch ließ ich mich zu einem genuschelten „Danke“ hinreißen und griff mir eine der Scheiben, um Yukke, der immer noch erstaunlich dicht neben mir saß, zufrieden zu stellen. Der erste Bissen schmeckte genauso pappig wie erwartet. „Lass es dir schmecken“, kommentierte Yukke schmunzelnd und tätschelte mein Bein, nachdem er den Teller zurück auf den Tisch gestellt hatte. Ich hatte das Gefühl an dem Stück Brot zu ersticken, während mein Herz mir augenblicklich bis zum Hals schlug. Mühsam kaute ich weiter, versuchte Yukkes Hand zu ignorieren. Oh Mann. Zu viel Nähe. Wir rückten uns doch sonst nicht so auf die Pelle. Oder konnte man das auf den Alkohol schieben? Unauffällig linste ich zu der kleinen Flaschenansammlung auf dem Tisch, die nicht nur von mir stammte. Dem Alkohol konnte man immer die Schuld geben. Während Yukke blieb, wo er war und ich das Brot hinunterwürgte und den Rest zurück auf den Teller warf, schoss mir mal wieder der Gedanke durch mein Hirn, wie es aktuell um Yukkes Gefühle stand. Waren sie weg? Oder waren sie unverändert? Der Gedanke hatte mich die ganzen Wochen nur selten losgelassen und erschreckte mich genauso sehr, wie er mir gefiel. Womit hatte ich diese so lang andauernde Zuneigung überhaupt verdient? Ich war nun mal ein eigenwilliger Zeitgenosse und kein besonders toller Freund, egal, was er sagte. Aber was wäre, wenn seine Gefühle weg wären? Theoretisch sicher gut für ihn, um abschließen zu können, wie er es bei seinem ersten Geständnis behauptet hatte. Praktisch gefiel mir diese Möglichkeit noch weniger. Es war egoistisch von mir, jetzt auf einmal zu hoffen, dass dem nicht so war. Aber ich wollte einfach nicht, dass er seine Gefühle für mich vergaß! Niemals. Es war wirklich zum Verzweifeln mit mir und brachte nichts als Kopfschmerzen und seltsame Herzattacken. „Tatsuro, alles okay?“, hörte ich Yukke zaghaft fragen. Doch statt ihm zu antworten, entschied ich mich für die Offensive. Der Alkohol hatte nicht nur meine Zunge gelockert, sondern auch meine Hemmschwelle, was das Reden über Gefühle anging, sinken lassen. Ich musste es wissen. „Sag mal, hat sich etwas bei dir getan? So gefühlstechnisch, meine ich?“ Direkt und ohne Umschweife. Als ich zu Yukke blickte, wirkte er einen Moment lang erstarrt, ehe seine Starre einer gewissen Unsicherheit wich. Hastig zog er seine Hand weg und rutschte ein wenig zur Seite – dabei hatte ich das gar nicht so gemeint. Die Stelle, an der bisher seine Hand gelegen hatte, fühlte sich mit einem Mal unangenehm kalt an. Für ein paar Sekunden herrschte dröhnende Stille, in meinen Ohren rauschte es. Das kaum hörbare „Nein“, das kurz darauf folgte, erahnte ich mehr, dennoch reichte es aus, meinen Puls weiter in die Höhe zu treiben. „Gut.“ In diesem Augenblick meinte ich das auch genau so. Es war gut. Denn es war Yukke. Und nun? Ich sah ihn weiter an, während er verunsichert meinem Blick auswich und sich auf die Unterlippe biss. Es war verzwickt. Ich spürte dieselbe Verunsicherung, auch wenn nach und nach eine gewisse Klarheit in meinem Kopf einkehrte. Niemals hatte ich gedacht, meine Gefühlswelt und besonders meine Sexualität noch einmal überdenken zu müssen und jetzt das. Das reinste Durcheinander. Unglaublich, wie sehr dieser eine Satz vor Monaten alles verkompliziert und verändert hatte. Doch mittlerweile konnte ich nicht mal mehr frustriert darüber sein – dafür war die dauerhafte Wärme, die meinen Körper durchzog, einfach… zu angenehm. Wäre es denn so schlimm, Yukkes Nähe und Zuneigung weiter zu genießen und sie sogar zurückgeben zu können? Ihm diesbezüglich noch mehr zu vertrauen als so schon? Schließlich kannte er mich mit all meinen schlechten Seiten und hatte mich doch in der gesamten Zeit nie loslassen können. Anscheinend war ich in seinen Augen mehr wert, als ich je gedacht hatte. Genau das gab mir Kraft und die Zuversicht, dass er mich auch in Zukunft nicht loslassen würde, egal, was noch kommen würde. Er war es wert, dass ich erneut den Mut aufbrachte, mich auf mehr einzulassen. „Yukke?“ „Hm?“ Vorsichtig sah er auf. Ich schmunzelte, was ihn sichtlich verunsicherte, besonders als ich noch ein Stück näher an ihn heranrutschte. Ich durfte keinen Rückzieher machen. „Du weißt, ich bin ein furchtbarer, egozentrischer Mensch mit einem schlechten Sinn für Humor.“ Yukkes Blick war Gold wert und hätte mich zum Lachen gebracht, wenn ich nicht gerade dabei gewesen wäre, all meine Überzeugungen über den Haufen zu werfen – für diesen Mann, der meine Welt einfach so kompliziert gemacht hatte. „Würdest du mich trotzdem weiterhin ertragen und mit mir ausgehen?“ Ich sah, wie Yukkes Kehlkopf hüpfte, als er mühsam schluckte und mich ungläubig anstarrte. Ehe ich reagieren konnte, beugte er sich blitzschnell zu mir und legte seine Lippen auf meine. Dieser Kuss war so überraschend und kurz, dass ich nicht einmal dazu kam, ihn zu genießen. Dennoch fühlte er sich richtig an. Als Yukke sich wieder von mir löste, starrten wir uns einige Sekunden sprachlos an. Dann nickte er. Eine gute Art von Kompliziert. Ende Nachwort: Puuuuh… das war eine schwere Geburt. Ich muss ja sagen, ich wollte schon immer mal eine Mucc FF schreiben, aber hatte immer etwas Respekt vor Tatsuros Charakter, weil wenn wollte ich auch aus seiner Perspektive schreiben. Und der Respekt war begründet, denn er hat es mir echt nicht leicht gemacht U_U Er ist wirklich sehr launenhaft und ich weiß gar nicht, wie oft er mich wieder überrannt hat. Die liebe NuitNoir kann ein Lied davon singen, wie sehr Tatsuro Schwierigkeiten gemacht hat *lach * Danke für den Input und fürs mehrfache Korrigieren Ich hoffe, es hat gefallen und es wird demnächst vermutlich eine indirekte Fortsetzung dazu geben. Schließlich hab ich jetzt ein neues Schreiberlingsuniversum und das will genutzt werden, yeah xD Über Feedback würde ich mich wie immer freuen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)