Be my One and Only - 私の唯一無二になりなさい von Mina_Tara (**KageHina**) ================================================================================ Kapitel 18: Akt II: Part V – past and truth II ----------------------------------------------   Tobio wusste von Anfang an, dass die Reise nach Tokio gemischte Gefühle bei ihm auslösen würden. Zum einen wurde er mit seiner reichen und einflussreichen Familie konfrontiert und andererseits hingen viele Erinnerungen an Tooru mit der Großstadt zusammen. Hier war er geboren und aufgewachsen. Hier hatte er zu sich selbst gefunden und hatte seinen eigenen Weg gewählt. Er hatte mit Tooru schöne zwei Jahre in dieser Stadt verbracht und genau hier war jene Tragödie geschehen, die ihn schlussendlich aus dem Alltag gerissen und ihn auf die schiefe Bahn gebracht hatte. Es hingen sowohl schöne, sowie traurige Erinnerungen an diesem Ort. Lange hatte Tobio es erfolgreich geschafft, diese zu verdrängen, vor allem voran Toorus Suizid. Durch den JVA-Aufenthalt und die anschließende Ausquartierung nach Miyagi konnte er etwas Abstand gewinnen. Er konnte zu sich selbst zurückfinden und sich erholen. Aber es war bekannt, dass die Vergangenheit einen eines Tages einholen würde. Allerdings hatte Tobio mit der Zusage nach Tokio zu fahren selbst die Entscheidung getroffen mit seiner Vergangenheit abzuschließen. Er war hier, um ein für alle Mal Lebwohl zu sagen. Erst wenn dieser Schritt getätigt war, konnte er nach vorne sehen.   Allerdings wollte er den Schritt nicht alleine gehen. Aus diesem Grund hatte Ukai Senior ihm die Wahl gelassen, ob er jemanden mitnimmt oder nicht. Es war die richtige Entscheidung gewesen Shoyo gewählt zu haben. Aus einem unbekannten Grund vertraute Tobio dem kleinen Kerl - und das bereits seit Anfang an. Seit er ihm das erste Mal begegnet war. Trotzdem fiel es dem Schwarzhaarigen schwer von seiner Vergangenheit zu erzählen, aber auf der anderen Seite befreite es ihn auch. Endlich konnte er mit jemandem reden und sich ihm anvertrauen. Bei Shoyo fühlte er sich sicher.   Schritte halten durch die leeren Straßengänge.   „Es stimmt, ich bin der Sohn eines hochangesehenen Politikers. Satoku Kageyama. Ich weiß nicht, ob ihr in Miyagi mal von ihm gehört habt. Jedenfalls mag es sein, dass ich in eine reiche und noble Welt geboren wurde. Mir fehlte es an nichts. Ich hatte alles, was sich ein kleiner Junge nur wünschen konnte.“   Tobio schritt über den nassen Asphalt, während Shoyo ihm stillschweigend folgte und ihm weiter zuhörte.   „Allerdings hatte ich andere Kinder immer beneidet. Ihre Eltern widmeten sich ihnen zu, hörten sie an und begleiteten sie auf ihrem Werdegang zum Erwachsenenleben. Unterstützten sie und sprachen ihnen Mut zu. Akzeptierten den Weg, den ihre Kinder eines Tages beruflich einschlagen würden.“   Die blauen Augen verfinsterten sich.   „Alle dachten, ich könne doch froh sein, in solch eine tolle reiche Familie geboren worden zu sein… dabei hatten sie gar keine Ahnung, was ein Leben in einem goldenen Käfig bedeutete.“   Kageyama blieb kurz stehen und blickte zu Hinata, der dicht neben ihm zum Stehen kam. Seit sie die Straßenbahn verlassen hatten, hatte dieser keinen Ton mehr von sich gegeben. Er hörte einfach nur zu und Tobio war froh, dass er ihn nicht unterbrach und ihm die Zeit gab, die er brauchte.   „Alles wurde einem vorgeschrieben. Wie du charakterlich sein sollst, was du später mal beruflich machen willst. Wen du heiratest – einfach alles war in Stein gemeißelt. Ich sollte, wie mein Vater, ein Politikeranwärter werden, so wie meine große Schwester es schon tat. Aber wie du inzwischen selbst weißt, habe ich andere Interessen. Kunst und Geschichte, das waren Dinge, die mich damals schon von Kind auf fasziniert hatten. Meinem Vater allerdings war dies ein Dorn im Auge. Ich widersprach ihm so oft und lehnte mich gegen ihn auf. Was dies zur Folge hatte, brauch ich mal nicht zu erwähnen. Ich wurde in der Schule schon öfters gefragt, wo meine blauen Flecken herstammen. Aber anvertrauen konnte ich mich keinem. Wer würde schon einem kleinen Jungen glauben, dass sein politisch angehauchter Vater ein Schläger ist? Ich hätte somit nicht nur ihn, sondern auch den Rest meiner Familie in schlechtes Licht gerückt und dies hätte meine damalige Situation noch mehr verschlimmert.“   Zwischenzeitlich hatten sie ihren Weg weiterfortgesetzt und hielten an einem kleinen Blumenladen, in dem Tobio einen kleinen Alpenveilchen-Topf käuflich erwarb. Es handelte sich hierbei um ein Grabgesteck, das gern im Herbst aufgestellt wurde. Tobio hatte sich bereits Tage vorher im Internet über die Gestecke dieser Art informiert. Shoyo beobachtete den Größeren genau und sah diesen fragend an, als er den Topf in dessen Händen erblickte.   „Für wen sind denn die Blumen?“   Auf die Frage hin sah Tobio traurig auf den Blumentopf herab. Ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen, als er den Topf fest umklammerte. Nun hatte er über seine Familie gesprochen – allerdings folgt nun der emotionale Teil. Er musste Shoyo von Tooru erzählen. Sein Herz wurde schwer bei dem Gedanken. Ein düsterer Schatten legte sich über seine Mimik.   „Wir gehen einen alten Freund besuchen. Du musst wissen, ihm habe ich es zu verdanken, dass ich aus diesem Höllenhaus rausfand.“   Shoyo spürte, dass mehr dahinterstecken musste. Die Niedergeschlagenheit und Traurigkeit waren mehr als spürbar. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in dem Jüngeren aus. Auf seltsame Art und Weise kam ihm diese Haltung bekannt vor. Bisher hatte er alle Worte verinnerlicht und wirken lassen. Es war mehr als offensichtlich, dass Tobio keine schönen Erinnerungen an diesen Ort hatte. Der Jüngere war geschockt, dass der Schwarzhaarige solch katastrophalen familiären Verhältnissen ausgeliefert war. Es tat ihm im Herzen weh so etwas zu hören. Leider konnte nicht jeder mit einer so gütigen Familie, wie er sie hatte, gesegnet sein. Es gab leider auch das genaue Gegenteil. Aber umso mehr war Hinata neugierig zu erfahren, wer Kageyama geholfen hatte. Es musste sich anscheinend um eine sehr nette Person handeln.   „Wohnt er hier in der Nähe?“, kam es neugierig von Hinata, der weiterhin dicht neben dem Größeren herlief.   Tobio lächelte daraufhin traurig und nickte zur Antwort.   „Wir sind gleich da.“   Als die beiden jungen Männer um die Ecke bogen, blieb Hinata plötzlich stehen. Vor ihnen befand sich der Eingang zu einem Friedhof. Der Orangehaarige spürte, wie es ihm die Luft abschnürte. Eine Eiseskälte zog sein Rückgrat hoch. Unwohlsein stieg in ihm auf. Er konnte in diesem Moment seinen eigenen Herzschlag hören. Für einen Augenblick stand die Welt still. Ohne auch nur eine Frage an den Schwarzhaarigen zu richten, folgte er ihm. Schritten den gepflasterten Weg entlang, an deren Seiten sich ein Grabstein nach dem anderen anreihte. Teilweise schön beschmückt - andere wiederrum bereits verfallen, weil sich niemand der Angehörigen um die Ruhestätten kümmerte. Hinata zerriss es das Herz. Er selbst ging täglich zum Grab seiner Eltern. Sein Gewissen würde es ihm nie erlauben einfach alles, was ihm noch als Gedenkort geblieben war, sich selbst und der Natur zu überlassen. Mit jedem Schritt wurde sein Herz schwerer. War dieser Freund etwa der Grund, weshalb Kageyama so wurde? Was genau war vorgefallen?   Schließlich blieben sie an einer Grabplatte stehen. Sie bestand aus Marmor und das Gestein glänzte wie neu. Anscheinend musste sich jemand der Hinterbliebenen gut um das Grab kümmern. Überall waren Blumen bepflanzt. Kerzen verliehen dem Ruheort eine harmonische Atmosphäre. Währenddessen ging Kageyama auf die Knie und grub mit seinen Händen ein kleines Loch in den weichen Boden. Danach befreite er die Alpenveilchen aus dem Untertopf und pflanzte sie in das Loch vor ihm ein. Vorsichtig schob er den weichen Erdboden bei und klopfte sich anschließend den Dreck von den Händen. Shoyo beobachtete Tobio bei seinem Werk und widmete sich der Inschrift.   „Tooru Oikawa“, kam es leise über Hinatas Lippen.   Danach wand der Kleinere sich wieder Kageyama zu, der weiterhin vor dem Grab kniete und einfach nur auf die Platte starrte. Es war seltsam hier zu sein. Ausgerechnet hier an diesem Ort. Lange hatte sich der Schwarzhaarige vor dem Tag gefürchtet. Aber auf eine seltsame Art und Weise bescherte es ihm mehr Freiheit als zuerst angenommen. Tobio wusste eins – es war richtig mit Shoyo hier her zu kommen. Es dauerte eine Weile, bis der Schwarzhaarige schließlich wieder den Leitfaden fand.   „Ihm habe ich viel zu verdanken. Er hat mich gelehrt an meine Werte und Träume zu glauben. Er lehrte mich nie aufzugeben und auch auf Jüngere und Schwächere zu achten. Ich hatte, bis ich ihn traf, noch nie das Gefühl verspürt irgendwo heimisch zu sein oder mich verstanden zu fühlen. Tooru hatte mir all das und so vieles mehr gegeben. Durch ihn habe ich herausgefunden, wer ich bin und was ich fühle.“   Kurz atmete Tobio tief ein und aus, ehe er sich erhob und auf Hinata blickte, der weiterhin dicht neben ihm stand.   „Durch ihn habe ich zu meiner Sexualität gefunden. Durch ihn weiß ich, dass ich niemals eine Frau heiraten und Kinder haben werde.“   Shoyos Augen weiteten sich. Überrascht sah der Kleinere nach diesen Worten zu dem Größeren auf, der zeitgleich wieder auf die Knie gegangen war und seine Aufmerksamkeit dem Grab schenkte. Kageyama war homosexuell? Sofort spürte Hinata wie ihm innerlich warm wurde. Sofort fand seine rechte Hand zu seiner Brust, während weiße Atemwölkchen aus seinem Mund emporstiegen. Es war eiskalt. Währenddessen fuhr der Schwarzhaarige fort.   „Meinem Vater war Tooru ein Dorn im Auge. Immerhin hatte der alte Knacker meine Hochzeit schon arrangiert und hatte keine Widersprache geduldet. Wie so oft kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen, aber diese fanden ein Ende, als sich Tooru damals schützend vor mich stellte, mich an die Hand nahm, meine Sachen packte und mich aus dem Höllenhaus rausführte. Meine Eltern hatten mich nie akzeptiert – sie hätten meinen Partner nie akzeptiert. Im Gegenteil, mein Vater ist sogar auf Tooru losgegangen. Meine Homosexualität war ihnen zu wider. Sie ekelten sich vor mir. Es war die pure Hölle. Seit jenem Tag habe ich meine Eltern nie wieder gesehen und ich will sie auch nicht wiedersehen. Sie sind für mich gestorben. Ich bin besser ohne sie dran.“   Die Kälte, die in diesen Worten steckte, war mehr als spürbar. Shoyo verstand. Mitleid stieg in dem Jüngeren auf. So eine Familie hatte niemand verdient. Nun verstand der Orangehaarige auch, warum Tobio eben so wütend war, als er das Plakat seines Vaters gesehen hatte. Sein Blick wanderte nun ebenfalls wieder zur Grabplatte. Dennoch stellte sich der Jüngere eine Frage.   „Was ist mit Oikawa passiert?“, es war unangenehm diese Frage zu stellen. Hinata fühlte sich unwohl und das schien auch Kageyama zu bemerken.   Auf die Frage hin stand Tobio wieder auf und stellte sich dicht neben den Orangehaarigen. Die Worte, die Hinata daraufhin zu hören bekam, zogen ihm den Boden unter den Füßen weg.   „Es war Suizid – er starb vor meinen Augen, als er vom Dach unseres Wohnkomplexes gesprungen ist.“   Stille. Es folgten keine weiteren Worte. Die Antwort war kurz, aber informativ und vor allem erschütternd. Shoyo stand einfach nur da und starrte ins Leere. Sein Herz setzte für einen Augenblick aus. Kälte durchzog seine Venen.   „Ich konnte es nicht verhindern. Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, dass er psychische Probleme hatte. Tooru hatte seine Rolle bis zum Ende perfekt gespielt. Niemand wusste davon – nicht einmal seine eigene Familie!“   Immer wieder halten Tobios Worte durch seine Gedanken. Ließen ihn innerlich gefrieren. Vernahm die Worte, die wimmernd zu ihm sprachen.   „Meine helfende Hand konnte ihn nicht mehr erreichen!“   Mit jedem weiteren Satz zerriss etwas in Shoyo. Das letzte Mal, als Hinata diese Eiseskälte verspürte, war, als er vom Tod seiner Eltern erfahren hatte. Er fühlte mit Kageyama. Fühlte jeden Schmerz, den der Schwarzhaarige ertragen musste.   „Wäre ich nur wenige Sekunden eher wach geworden und hätte registriert, was los war!“   Spürte die Verzweiflung, die in Kageyamas Worten steckte. Er hatte seinen Geliebten vor seinen Augen sterben sehen, ohne etwas tun zu können. Ohne groß nachzudenken, streckte Hinata seine linke Hand aus und nahm Tobios rechte Hand und drückte diese fest. Eigentlich hatte der Orangehaarige damit gerechnet, dass Kageyama ihn abweisen würde, aber er ließ es zu und erwiderte die Geste.   „Es war nicht deine Schuld, Tobio…“, hauchte der Kleinere und schmiegte sich daraufhin näher an den Älteren und lehnte seinen Kopf an dessen Oberarm an. Er spürte wie Kageyama zitterte. Ein Blick nach oben reichte aus, um zu wissen, was los war.   Stille Tränen rannen Tobios Wangen hinunter. Er weinte im Stillen. Dieser Anblick zerriss dem Kleineren das Herz. Diese Leere in dessen Augen. Hinata selbst kannte diese Situation nur zu gut. Er verstand seine Gefühle – seine Emotionen, die ihn in diesem Moment übermannten. Es war nur natürlich zu weinen. Nur so konnte man sich einigermaßen von dem Leid und dem Schmerz befreien. Es zeugte von innerer Stärke. Shoyo wand den Blick ab und sah auf das Grab herab. Er vernahm, wie Tobio schließlich seinen Kopf an seinem eigenen anlehnte. Der Größere suchte in diesem Moment Schutz und Halt – und genau diese würde Hinata ihm geben. Der Orangehaarige wusste, dass eine Konfrontation mit den Vergangenheits-Dämonen einen emotional zu Boden riss. Das solch eine dramatische Geschichte hinter Kageyamas Wesen steckte, war erschütternd. Es vergingen einige Minuten, ehe sich der Schwarzhaarige wieder etwas gefangen hatte und wischte sich mit dem Handrücken über sein Gesicht.   „Danach war nichts mehr, wie es war. Ich bin der Dunkelheit verfallen. Es war mir alles egal. Mein Leben – mein Schulabschluss – meine Freunde – einfach alles. Ich hatte niemanden mehr, der mir Halt gab. Niemanden, der mich verstand. Mein Fels in der Brandung war nicht mehr da. Schließlich verlor ich alles aus den Augen und wurde ein Obdachloser und Krimineller. Schloss mich einer gefährlichen Straßengang an. Zündete Autos an und demolierte andere Gegenstände. Ich wollte einfach nur noch alles brennen sehen. Meine Seele befand sich in tiefster Hölle. Heute weiß ich, dass es ein Hilfeschrei gewesen war und Kami sei Dank wurde ich aus diesem Teufelskreis rausgeholt.“   Shoyo sah währenddessen auf das Grab vor ihm. Nun hatte er seine Antworten, nach denen er schon seit Wochen gesucht hatte. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit so einer schrecklichen Geschichte. Nun ergab alles einen Sinn. Sein Beschützerinstinkt - sein Gerechtigkeitssinn. Dieser Oikawa war ein Mentor für Kageyama gewesen. Er hatte ihm all diese Dinge gelehrt und ans Herz gelegt. Dadurch ist aus Tobio erst überhaupt so ein verantwortungsvoller und liebeswürdiger Mensch geworden. Endlich konnte Hinata ihn besser verstehen. Zeitgleich musste er selbst an seine eigene Situation von damals denken. Auch er stand vor diesem besagten Weg.   […] „Shoyo, es gibt immer einen Weg, der dich in die Dunkelheit führt und ein anderer, der dich wieder zurück ins Licht und auf den richtigen Pfad bringt. Wie du dich entscheidest, ist deine Sache, aber bedenke, was aktuell für dich auf dem Spiel steht“ […]   Natsu war damals sein Antrieb gewesen. Wäre Hinata allein wie Kageyama gewesen, wer weiß wie sein Leben sonst verlaufen wäre. Er musste sich zusammenreisen, er musste erwachsen werden und lernen bereits mit 16 so viel Verantwortung zu übernehmen. Und gerade, weil der Orangehaarige damals mit dem alten Ukai dieses Gespräch geführt hatte, begegnete er Menschen mit einer kriminellen Vergangenheit offener. Er blickte hinter die Kulissen und hinterfragte. Leider gab es nicht so viele Menschen, die ihm gleich waren. Viele sahen in einem Menschen immer nur den Kriminellen – die Gründe und Ursachen interessierten sie nicht. Shoyo sah schließlich zu dem Älteren auf und ging nun auf die Knie und faltete seine Hände zusammen. Er betete – betete zu Oikawa, dass er nun gut auf den Größeren zukünftig Acht geben werde. Von nun an wird es seine Aufgabe sein Kageyama zu begleiten – zumindest als Schulkamerad und Freund! Freund in Sinne von Kumpel versteht sich. Kurz schloss der Jüngere seine Augen.   Kageyama hingegen sah zu Hinata hinunter. Er war so verdächtig still. War es ein Fehler gewesen ihn einzuweihen? Würde er um ihn nun einen Bogen machen und verachten?   „Du sagst ja gar nichts…“, flüsterte der Größere und richtete seinen Schal, sodass sein Gesicht zur Hälfte in dem weichen Stoff versank.   „Verurteile niemals einen Menschen, dessen Vergangenheit du nicht kennst…“   Es waren Worte, die Kageyama innehalten ließen. Das blaue Augenpaar weitete sich. Diese Worte kamen ihm irgendwie bekannt vor.   „Was?“, kam es aus seinen Lippen, ehe er auf den Orangehaarigen entsetzt hinabblickte, der zwischenzeitlich wieder seine Augen geöffnet hatte. Die braunen Augen waren allerdings weiterhin auf das Grab gerichtet.   „Ein Mensch wird nicht böse geboren. Es sind Schicksale, die sie prägen und sie von Grund auf erschüttern, sodass sie nicht mehr wissen, wer sie sind. Inzwischen verstehe ich seine Worte, die er damals an mich gerichtet hat. Ich hätte nur nicht gedacht, dass ich tatsächlich solch einem Menschen mal begegne…“, hauchte Shoyo und erhob sich schließlich. Der Kleinere stand mit dem Rücken zu Kageyama gewandt.   Der Schwarzhaarige stand allerdings immer noch angewurzelt da. Diese Worte. Nein, das konnte kein Zufall sein. Er hatte dieselben Worte damals auch gehört. Sie stammen von Ukai Senior höchstpersönlich. Tobio erkannte die Redewendung genau. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er erinnerte sich an die Beschreibung jenes Jungen, von dem der alte Polizeikommissar erzählt hatte.   Moment! War Shoyo etwa? War das denn die Möglichkeit?   „Du…“, zu mehr war Kageyama nicht mehr in der Lage. Die Worte blieben ihm im Hals stecken. Er spürte, wie sich die Luftzufuhr verringerte. Sein Herz setzte aus und ein unwohles Gefühl machte sich in ihm breit.   Natürlich. Deswegen hatte Bokuto den Jüngeren vor wenigen Tagen zurechtgewiesen. Shoyo ist dieser junge Mann von dem Ukai Senior erzählt hatte. Er war der genaue Gegenpart von ihm. Er ist jener, den er so lange gesucht hatte – er befand sich die ganze Zeit genau vor seiner Nase!   //Wie dumm bist du eigentlich Tobio!! Heulst hier rum und dabei hat deine Gesellschaft ähnliches durchlebt! Ich bin doch so ein Depp und Vollidiot!!//   Sollte er ihn darauf ansprechen? Nein – das war nicht der richtige Zeitpunkt! Er musste warten. War vielleicht auch besser so, bevor Shoyo noch denkt, er würde ihn verfolgen und stalken. Während Tobio weiterhin seinen Gedanken verfallen war, drehte sich Hinata schließlich zu ihm um.   „Hör mal Tobio, ich bin bereit dir zu helfen. Es ehrt mich, dass du so viel Vertrauen in mich hast und dich mir anvertraut hast. Du sollst nur wissen, dass dein Geheimnis bei mir sicher ist.“   Danach sah der Kleinere wieder auf das Grab herab.   „Du musst wissen - ich kenne Keishin schon aus Kindertagen. Ich weiß, dass er als Bewährungshelfer arbeitet und als ich euch zusammen nach dem Vorfall mit Wakatoshi bei der Direktorin gesehen habe, war es mir sofort klar“   Schließlich sah der Jüngere wieder zu Kageyama auf, der immer noch wie angewurzelt dastand.   „Du wirst deine Gründe haben, warum du nach Miyagi gekommen bist und es ist bemerkenswert, dass du trotzdem versuchst deinen versäumten Schulabschluss nachzuholen. Ach ja, apropos Schule.“   Langsam trat Shoyo an Kageyama heran und blieb neben diesem stehen.   „Mir ist zu Ohren gekommen, dass du Schwierigkeiten mit bestimmten Fächern hast. Wenn du jemanden brauchst, der dir helfen soll, sag einfach Bescheid. Ich helfe dir gern, Tobio“, das Lächeln, das Hinata daraufhin präsentierte, ließ Tobio erneut innehalten.   Diese Augen zogen ihn regelrecht in den Bann und sein Herz begann augenblicklich schneller zu schlagen. Ungewollt versteht sich.   „Danke…“, war alles, was der Schwarzhaarige Zustandebringen konnte, ehe Hinata auch schon an ihm vorbeischritt.   „Ich lass dich jetzt mal für wenige Minuten allein. Nimm dir die Zeit, die du brauchst…“, sprach der Orangehaarige und schritt Richtung Ausgang.   Tobio sah dem Jüngeren nach. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Hinata war wirklich ein toller Kerl. Da gab es nichts zu rütteln. Shoyo wirkte schon sehr erwachsen für sein Alter und auch so vernünftig. Hätte er nicht gewusst, dass der Orangehaarige jünger als er war, hätte er ihn locker auf sein Alter oder älter geschätzt. Tobio war in diesem Augenblick einfach nur überwältigt. Der Jüngere nahm sogar jetzt in diesem Augenblick Rücksicht auf ihn. Er ließ ihm sogar die Zeit, damit er sich nun endgültig von Tooru verabschieden konnte. Nachdenklich widmete sich der Größere daraufhin wieder dem Grab. Erneut ging der Schwarzhaarige auf die Knie und legte seine Hand auf die Grabplatte.   „Es hat sich vieles inzwischen geändert. Ich konnte nach langer Zeit endlich mit allem abschließen und sehe nun nach vorne. Dieser Tag heute ist ein Abschied.“   Erneut schlich sich ein trauriges Lächeln auf Kageyamas Lippen, während sich seine Augen wieder mit Tränen füllten. Er konnte es einfach nicht verhindern. Zu sehr nahm ihn diese ganze Situation mit. Währenddessen tropften vereinzelt Regentropfen auf ihn nieder. Der Himmel verdunkelte sich langsam wieder.   „Ich danke dir, Tooru… einfach für alles…“   Schließlich begann es in Strömen zu Regnen. Tobio sah daraufhin zum Himmel auf. Warum fühlte sich der Regen auf seiner Haut so vertraut an? Warum geschah es gerade jetzt? Seine Augenlider schlossen sich. Es wirkte so, als ob Oikawa gerade auf diese Weise ebenfalls Lebewohl sagen wollte. Es fühlte sich so nostalgisch an. Anschließend hob der Größere seine Augenlider. Es war so weit. Er musste gehen. Die Zeit war um. Langsam erhob sich der Schwarzhaarige wieder und verneigte sich vor dem Grab. Eine letzte Geste.   //Lebe wohl, Tooru – eines Tages werden wir uns wiedersehen…//             Die Heimfahrt verlief ruhig. Der Regen hatte zwischenzeitlich wieder eingesetzt und regnete auf die Landschaft herab, die schnell an ihnen vorbeizog. Der Tag war so anstrengend gewesen, sodass Kageyama und Hinata im Zug schon wenige Minuten später eingeschlafen waren. Ukai Senior hingegen saß zufrieden auf der Sitzbank und schaute freudig auf seinen Snackkorb herab. Seine Kollegen hatten für ihn extra einen kleinen Präsentkorb errichten lassen. Immerhin wussten sie genau, was er gerne aß. Schmunzelnd sah er schließlich auf.   „Na, sieh mal einer an“, kam es lachend von dem alten Mann.   Vor ihm saßen Kageyama und Hinata, allerdings in einer sehr merkwürdigen Position. Der Jüngere hatte seinen Kopf gegen Kageyamas Arm angelehnt, während dieser seinen Kopf, auf den des Jüngeren liegen hatte. Sie schliefen tief und fest. Es war still.   Der alte Mann ließ sich in die Sitzpolsterung fallen, zückte sein Handy aus der Tasche und wischte mit seinem Daumen über den Display. Die Handykamera war auf die beiden jungen Männer gerichtet. Dieses Bild musste er einfach festhalten. Es war das erste Mal, dass er die beiden so zufrieden dasitzen sah. Entzückt von dem Anblick blickte der alte Ukai auf das Foto und musste lächeln.   „Keishin wird aus allen Wolken fallen, wenn er das hier sieht“, kicherte der Grauhaarige und widmete sich daraufhin wieder seinen Leckereien. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)