Be my One and Only - 私の唯一無二になりなさい von Mina_Tara (**KageHina**) ================================================================================ Kapitel 19: Akt II: Part VI – you… ---------------------------------- Der Oktober zeigte inzwischen Tag für Tag mehr sein Gesicht. Die regnerischen Wochen nahmen ihr Ende und machten Platz für den goldenen Herbst, der sich mehr und mehr in den Wäldern zeigte. Die Blätter verfärbten sich und offenbarten ihr gelb, rot – orangenes Antlitz. Tagsüber war es noch angenehme 15 Grad, nachts hingegen ging es schon gegen Nullpunkt. Der Herbst war dieses Jahr noch recht mild um die Zeit.   Tobio hatte noch lange an die Reise nach Tokio zurückdenken müssen. Nicht nur, dass er nun endgültig von seiner Vergangenheit Abschied genommen hatte – nein, er hatte am selben Tag noch herausgefunden, dass Shoyo jener junge Mann war, von dem der alte Ukai am Abend vor seinem ersten Schultag berichtet hatte. Es fühlte sich immer noch seltsam an. So surreal und unwirklich. Wenn der Schwarzhaarige an den Jüngeren vom Auftreten her zurückdachte, hatte dieser keinerlei Anstalten gemacht, in irgendeiner Form traurig oder unglücklich zu sein. Abgesehen von der Sache mit Ushiwaka. Das war ein eigenes Thema. Aber von seiner Trauer her schien der Orangehaarige alles gut verarbeitet zu haben. Zumindest auf den ersten Blick. Dennoch hatte Tobio das Gefühl etwas Bestimmtes übersehen zu haben. Bislang hatte er noch nicht das Gespräch mit Shoyo führen können, dafür hatte sich noch keine passende Gelegenheit ergeben. Dabei sahen sie sich inzwischen täglich, sowohl während den Pausen als auch danach in der Bibliothek.   Der Schwarzhaarige hatte lange über das Angebot von Hinata mit der Nachhilfe nachgedacht. Sollte er seine Hilfe in Anspruch nehmen oder nicht? Die Frage war schneller geklärt als ihm lieb war. Eine Fünf in Mathematik hatte ihn dann die Entscheidung schnell fällen lassen. Es musste sich an seinen schulischen Leistungen etwas ändern! Warum also nicht von einem der besten Schüler der Schule lernen?   Sie lernten täglich. Mal für mehrere Stunden - mal waren es weniger, wenn Shoyo seine Schicht im Dinners begann und vorher noch Zeit entbehren konnte. Meistens waren sie allein. Vor allem an den Tagen, wo Shoyo nicht arbeiten musste. Die beiden jungen Männer lernten teilweise bis abends, bis die Sonne schon hinter dem Horizont unterging. Danach liefen sie noch ein Stück gemeinsam nach Hause, wobei Shoyo meistens immer sein Fahrrad dabei hatte und dieses auf Rücksichtnahme neben sich herschob. Wobei Tobio nicht nur dem Lernen wegen den Kontakt mit dem Jüngeren aufrecht erhalten wollte. Etwas in ihm fühlte sich auf magische Art und Weise zu Hinata hingezogen. Er konnte es nicht einmal annährend in Worte fassen. Shoyo war auf seine Weise besonders. Tobio genoss die Zeit, die er mit dem Orangehaarigen verbrachte. So war es auch heute. Gerade im Moment lernten sie wieder, wie so oft, in der Bibliothek.   Physik – eines seiner absoluten Hassfächer. Wer hatte dieses Fach bitte erfunden? Tobio könnte kotzen, wenn er allein nur auf die Aufzeichnungen vor sich hinabblickte. Er verstand nur Bahnhof. Diese ganzen Formeln waren doch die reinste Folter. Shoyo hingegen ging in dem Fach richtig auf. Die Art und Weise, wie er ihm die Aufgaben erklärte, ließen den Nebel in Tobios Kopf langsam verschwinden. Eines musste man dem kleinen Kerl lassen: in Nachhilfe geben war Hinata klasse – er konnte sehr gut erklären. Die Hilfestellungen, die er einem hierbei noch näherbrachte, waren wirkliche Lebensretter, wenn es um eine gute Note ging. Aber dennoch tat sich Kageyama weiterhin schwer mit gewissen Themen, aber Hinata war die Ruhe und Geduld in Person. Er erklärte auch mehrmals die Zusammenhänge der Aufgaben und war nicht ein einziges Mal genervt gewesen. Kageyama fragte sich innerlich schon die ganze Zeit, ob Hinata später nicht besser im Lehramt aufgehoben wäre. Der Orangehaarige wäre bestimmt ein toller Lehrer!   „So Schluss für heute“, Shoyo richtete zuvor seine Brille und begann danach die Tasche zusammenzupacken.   Tobio tat dasselbe und zog sich in der Zwischenzeit seine Jacke an. Dabei kam er nicht umher den Jüngeren aus dem Augenblickwinkel zu beobachten. Wie so oft konnte Kageyama einfach nur starren. Wie der Kleinere vorm Fenster stand, zeitgleich die Abendsonne durch das Fensterglas schien und die goldene Brille anleuchtete, während seine orangehaarigen Strähnen im Abendrot aufschimmerten. Tobio konnte sich von dem Anblick nicht lösen – er fesselte ihn regelrecht. Es gab auch Momente, wo sich ihre Blicke trafen und gerade dann hatte Tobio das Gefühl, als ob ihm das Herz aus der Brust springen würde. Was war nur verdammt nochmal mit ihm los?   „Ist alles in Ordnung, Tobio?“   Auf die Frage hin wand der Angesprochene den Blick ab und sah auf seinen Rucksack herab. Tobio versuchte sich so wenig wie möglich anmerken zu lassen.   „Ja, alles gut. Ich bin nur müde…“, kam es gähnend von Kageyama, woraufhin er seinen Rucksack schulterte.   „Das glaub ich dir gern. Lernen macht müde, nicht wahr?“, kam es lächelnd von Shoyo, ehe er an dem Größeren vorbeischritt und hierbei versehentlich dessen Hand mit seiner eigenen streifte.   „Oh!“, kurz hielt der Orangehaarige daraufhin inne und sah zu Kageyama auf, der ihn fest im Blick hatte. Braun traf auf Saphirblau. Es dauerte keine fünf Sekunden, ehe sowohl Tobio als auch Shoyo erröteten und sich räusperten.   „Tut mir leid“, kam es von Hinata, der beschämend den Blick abwand, während sich der Schwarzhaarige am Hinterkopf kratzte.   „Schon gut, nichts passiert!“   Als sie das Schulgebäude verlassen hatten, liefen sie noch wenige Meter stillschweigend nebeneinanderher. Kageyama sah immer wieder neben sich. Hinata schob sein Fahrrad neben sich her und sah stetig zu Boden. Die Röte auf dessen Nasenspitze war immer noch vorhanden. Es dauerte eine Weile bis der Jüngere schließlich aufsah.   „Hör mal… hast du am kommenden Samstag schon etwas vor?“, verlegen sah Shoyo daraufhin zur Seite, sodass der Größere die erneut aufsteigende Röte auf seinen Wangen nicht bemerkte.   Fragend hob Kageyama eine Augenbraue. Die Nervosität war definitiv aus der Frage rauszuhören. Zudem der Kleinere stotterte – das war ihm neu.   „Nichts bestimmtes, warum?“   „Besitzt du zufällig ein Fahrrad?“   Irritiert blieb der Schwarzhaarige stehen und sah den Jüngeren an, der mit dem Rücken gewandt vor ihm stand.   „Ich könnte mir eins leihen, soviel ich weiß, besitzen sowohl Kira als auch der Brüllaffe eines.“   Auf die Aussage hin musste Shoyo kichern.   „Hm? Was ist so lustig?“, Tobio konnte einfach nur starren. Das Lächeln war einfach zu niedlich.   „Ach nichts, ich finde die Kosenamen, die du Keishin gibst, einfach nur witzig. Ihr müsst euch wohl sehr gerne haben, was?“   „Haha, sehr witzig.“, prustete der Ältere und blies seine Backen auf, ehe sie ihren Weg fortsetzten. Als ob er den Brüllaffen gut leiden könne! Der Typ kotzte ihn eher an. Es verging kein Tag, wo dieser nicht mit einer schlechten Laune vor ihm stand. Es war alltäglich. Daran hatte sich der Schwarzhaarige allerdings schon lange gewöhnt.   Nach einer Weile trennten sich schließlich Tobios und Hinatas Wege. Der Schwarzhaarige sah dem Kleineren noch eine Weile nach, wie dieser aufs Rad stieg und den Berg emporradelte. Man sah es Shoyo nicht an, aber er besaß eine gute Ausdauer. Tobio würde schon direkt nach wenigen Metern kapitulieren und nach Luft japsen. Joggen war kein Thema für ihn, aber Radfahren gehörte nicht zu seinen Stärken. Gedankenversunken kehrte der Schwarzhaarige dem Jüngeren schließlich den Rücken zu und joggte nach Hause.           Der besagte Samstag kam schnell. Die Sonne ging bereits am frühen Morgen hinter den Bergen auf und der Tau der letzten Nacht schmolz schnell. Der Himmel war weitestgehend wolkenlos. Nur wenige kleine Wolken zierten das blaue unendliche Himmelszelt. Es versprach ein schöner Herbsttag zu werden. Laut Wettervorhersage sollen es um die 15 Grad werden und hin und wieder soll ein lauwarmer Wind wehen. Tobio war bereits gegen 8 Uhr aufgestanden und hatte alle Hausarbeiten nacheinander erledigt, die ihm am Wochenende zugeteilt waren. Es fing mit Holz hacken an und danach stand noch ein Wochenendeinkauf im Supermarkt an, den Tobio bereits schon mehrmals in der Vergangenheit besucht hatte. Inzwischen kannte er sich ganz gut mit der Sortiment-Struktur aus und wusste, wo sich was befand. Demnach war der Einkauf schnell erledigt. Nachdem er die Einkäufe sorgfältig nach seiner Rückkehr im Warenlager verstaut hatte, sammelte er die Holzklötze, die er am Morgen gespalten hatte, zusammen und stapelte sie aufeinander. Währenddessen summte der Schwarzhaarige friedlich vor sich hin, was Keishin innehalten ließ, der gerade zufällig an ihm vorbeilief. Irritiert blieb der Blonde stehen und beobachtete seinen Schützling. Es war ein surreales Bild, das sich dem Bewährungshelfer bot.   „Ich wusste gar nicht, dass Gruftis auch mal gut drauf sein können.“   Daraufhin ließ Tobio vom Holzstapel ab und rappelte sich auf. Den bissigen Kommentar ignorierte er wie so oft.   „Sollte auch mal vorkommen, ja…“, kam kurz und knapp von dem Jüngeren und klopfte sich den Staub von der Jogginghose.   Keishin hingegen hob überrascht eine Augenbraue und lehnte sich gegen den Holzzaun.   „Mal vorkommen? Du bist inzwischen täglich so verdammt gut drauf und das ist beängstigend! Nimmst du seit neustem irgendwelche Drogen oder warum habe ich das Gefühl, dass dein Kopf in den Wolken hängt?“   Fragend hob Tobio seinen Kopf und richtete sich auf, ehe er kurz seinen Nacken knacken ließ.   „Ich weiß ehrlichgesagt nicht, wovon du redest…“   Keishin sah auf die Aussage hin den Jüngeren verdutzt an. Die braunen Iriden wurden immer größer. Wollte dieser ihn gerade verarschen?   „Oh doch, ich denke, du weißt ganz genau, wovon ich rede! Ständig diese gute Laune, dieses Dahinschmachten und dieses andauernde Geglotze auf dein Handy! Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sogar behaupten, dass du dich wie ein verliebtes Schulmädchen aufführst.“   Der Schwarzhaarige hielt in seiner Bewegung inne und starrte seinen Bewährungshelfer geschockt an. Was laberte dieser Idiot denn da? Hörte sich dieser Depp gern selbst reden?   „Das Ganze hier wird mir zu blöd – außerdem bin ich eh gleich weg“, entgegnete der junge Mann und schritt an Keishin vorbei, der ihm mehr als verärgert nachsah.   „Hey! Was soll das heißen ,,du bist gleich weg``! Es wird gelernt mein Freund!“   //Du kannst mich mal!!!//   Während Tobio durch die Türschwelle schritt, trat Kira nach draußen, die gerade einen Wäschekorb vor sich hielt. Freundlich nickte der Schwarzhaarige ihr zu, ehe er auch schon im Innern verschwand.   „HEY! Ignorier mich gefälligst nicht, du unverschämter Bengel!“, eine Zornesader bildete sich auf Keishins Schläfe. Wenn er eines hasste, dann war es, wenn man seine Autorität untergrub. Gerade wollte er Tobio folgen, als seine Mutter ihn zurückhielt.   „Lass ihn, Kei.“   „MA! Was soll das!“   Ein Kichern folgte, während die Blondhaarige die Kleidungsstücke einzeln aus dem Korb nahm, ausschlenkerte und an der Wäscheleine aufhing.   „Tobio hat doch alle Aufgaben für heute erfüllt und außerdem lernt er mehr als genug. Ist dir noch nicht aufgefallen, dass er unter der Woche nicht vor 18 Uhr nach Hause kommt?“   „Sicher, aber weiß ich, wo der Depp sich rumtreibt? Was treibt er eigentlich nach der Schule?“   Wieder folgte ein Kichern.   „Was ist daran so lustig? Ich wäre gern am Leben meines Bewährungsschützlings mitbeteiligt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass jeder hier in diesem Haus den Durchblick hat außer ich!“   Kira schüttelte daraufhin den Kopf und drehte sich zu ihrem Sohn um, der direkt hinter ihr stand.   „Tobio hat inzwischen einen Nachhilfelehrer gefunden und dieser lernt mit ihm nach dem Unterricht. Er gibt sich wirklich Mühe, Keishin. Die letzten Wochen ist er richtig aufgeblüht und so gefällt er mir besser. Ich bin froh, dass er hier endlich emotional angekommen ist und sich von den Strapazen der letzten Jahre so gut erholen konnte. Außerdem scheint er einen guten Draht zu Shoyo zu haben. Er ist im Übrigen derjenige, der Tobio in der Schule so gut unterstützt.“   Keishin ließ währenddessen seine Hände in seinen Hosentaschen versinken und sah zum Himmel auf.   „Ich verstehe…“, auf die Worte hin zog der Blonde eine Zigarette hervor und zündete sich diese an. Währenddessen fuhr seine Mutter weiterfort.   „Du musst nachsichtiger werden, Keishin. Es mag sein, dass Tobio zu Anfangszeiten eine starke Hand gebraucht hat, aber inzwischen kannst du die Zügel locker halten. Er ist nicht mehr der junge Rebell, den du damals aus der JVA mitgebracht hast. Tobio hat sich geändert.“   „Ich weiß…“, gab der Angesprochene von sich und umgab sich mit Nikotinrauch. Natürlich war ihm aufgefallen, dass Kageyama sich geändert hat. Es ist ihm nicht entgangen.   „Weißt du, was euer Problem ist, Keishin? Ihr seid beide Dickköpfe und wollt immer mit dem Kopf durch die Wand. Ihr seid wie Feuer und Wasser – wenn einer anfängt, muss der andere noch eins draufhauen. Es liegt in eurer charakteristischen Natur.“   „Danke, Ma. Auf den Vortrag hätte ich liebend gern verzichtet…“   „Immer wieder gern, mein Sohn~“   Plötzlich klingelte es an der Tür, woraufhin Keishin und Kira kurz innehielten. Bevor sie jedoch reagieren konnten, war Tobio bereits die Treppe runtergerannt und hatte die Tür geöffnet.   „Hey, Tobio. Bist du so weit?“   „Klar, wir können los.“   Daraufhin traten Shoyo und Tobio auch schon in den Vorgarten, wo Keishin und Kira weiterhin verweilten. Zuvor sah der Schwarzhaarige noch in Keishins Richtung, der mehr als verdutzt das Fahrrad in dessen Händen beäugte. Der Bewährungshelfer ahnte bereits, worauf es hinauslaufen würde.   „Hey, ich leih mir mal dein Fahrrad aus“, war das letzte, was Tobio von sich gab, ehe er mit Hinata auch schon losfuhr und einen völlig überrumpelten Keishin zurückließ, während Kira ihnen verabschiedend winkte und ihnen einen schönen Nachmittag wünschte.   „HEY! Wie wäre es mal, wenn man vorher mal um Erlaubnis fragt!!!“, brüllte Keishin hinterher und seufzte genervt aus, woraufhin Kira sich erneut ein Lachen verkneifen musste. Wie so oft ignorierte Tobio die Beschimpfungen seines Bewährungshelfers und trat in die Pedale, um mit Shoyos Tempo mithalten zu können.             Sie bogen um die Ecke und fuhren eine Weile durch die leeren Dorfstraßen, ehe sie den Ortsausgang erreichten. Sie fuhren die Landstraße entlang, die direkt den Berg hinaufführte. Tobio hatte Mühe mitzuhalten - Shoyo war ja bereits die hohen Berge gewohnt und hatte keine Probleme damit schneller in die Pedale zutreten. Die Sonne stand bereits über ihnen und um sie herum umgab sie Natur. Bunte Wälder zierten die Landschaft und durch den frischen Wind, der ihnen entgegenblies, segelten bunte Blätter an ihnen vorbei. Nach mehreren Metern bog Shoyo schließlich auf einen Waldweg ab, woraufhin Tobio ihm folgte. Sein Blick ruhte allein auf dem Orangehaarigen. Durch den Kontrast der goldenen Blätter und der Sonne schimmerte sein wuschiges Haar erneut auf. Wie so oft konnte Kageyama einfach nur starren. Schließlich widmete er sich dann doch der Umgebung, die sie umgab. Sie durchfuhren einen dichten Wald. Der Weg wurde teilweise ziemlich holprig, weshalb der Schwarzhaarige Mühe aufbringen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er wusste zudem auch gar nicht mehr, wie lange er schon kein Fahrrad mehr gefahren war. Es musste schon ewig her sein.   Obwohl es Herbst war und die ersten Zugvögel ihre Reise in den Süden antraten, war trotzdem Vogelgezwitscher zu vernehmen. Zusätzlich hörte Tobio ein Plätschern. Hier in der Nähe musste sich wohl ein Fluss befinden. Seine Augen wanderten umher. Wo fuhren sie überhaupt hin? Was hatte Shoyo bloß vor?   Ihr Weg führte sie über Stock und Stein. Nach etwa weiteren 15 Minuten bremste Shoyo schließlich ab und kam zum Stehen. Danach stieg er vom Rad runter und stellte dieses gegen einen Baumstamm.   „Hier, wir sind gleich da“, winkend dirigierte der Orangehaarige den Älteren zu sich.   Tobio stieg nun ebenfalls vom Fahrrad und lehnte es gegen Shoyos Rad. Erneut sah er sich um und blickte in die Richtung, in die Shoyo wies. Sie nährten sich einer Lichtung. Shoyo lief voran, während Tobio ihm folgte. Immer noch umgab sie buntes Geächt, wodurch sie sich etwas durchkämpfen mussten.   „Das hier wollte ich dir zeigen“, entgegnete Shoyo und trat aus Tobios Blickfeld.   Erst blendete ihn die Sonne, woraufhin Tobio schützend seine Hand vor seine Augen halten musste. Heute stand die Nachmittagssonne besonders tief, zudem diese bereits ihren Untergang vorbereitete. Erst nach und nach klarte sein Sichtfeld auf. Was sich daraufhin dem Schwarzhaarigen offenbarte, ließ ihn innehalten.   Vor ihm befand sich eine riesige Wiese, voran eine Landschaft, die sich weit Richtung Horizont erstreckte, wo hohe Berge diese abrundeten. Sie befanden sich auf einem hohen Aussichtspunkt, der tief ins Tal blicken ließ. Tobio trat langsam voran und konnte seine Augen nicht von der Landschaft abwenden. Bunte Herbstwälder legten sich wie ein Teppich über das Land. Der Anblick war zauberhaft. Selten hatte Tobio so ein schönes Naturschauspiel gesehen. So etwas bekam man in einer riesigen Stadt sehr selten zu sehen und wenn musste man mehrere fünfzig Kilometer aus der Stadt raus. Da war ein Dorf in der Einöde wohl besser. Hier lebte man mit der Natur im Einklang. Zudem sie sich sowieso in einem Berggebiet befanden.   „Wie findest du es?“, langsam trat Shoyo neben ihn und sah ebenfalls in die Ferne. Erst auf die Frage hin blickte Tobio neben sich.   „Es ist wunderschön…“, hauchte der Schwarzhaarige und schluckte schwer.   Die Art und Weise wie Shoyo einfach dastand, ließ Tobio erneut innehalten. Diese leuchtenden tigeraugeähnlichen Iriden, die in den Sonnenuntergang blickten, während das Gestell der Brille golden aufleuchtete. Orangene Haare wehten in der Oktoberbrise, die sie umgab. Sofort spürte Tobio, wie sein Herz erneut schneller schlug. Diese Wärme, die er bereits seit einigen Wochen wahrnahm, kroch erneut in seine Venen. Seine Hand wanderte zu seinem Brustkorb. Dieses Gefühl hatte er schon lange nicht mehr verspürt. Es musste schon Jahre her sein.   „Weißt du, ich komme oft her, wenn ich Trost suche...“, sprach Hinata und trat weiter nach vorne, wo er schließlich in die Hocke ging.   „Ich war früher oft mit meinen Eltern und meiner Schwester hier. Hier haben wir immer unsere Samstagvormittage verbracht.“   Tobio verweilte an Ort und Stelle und sah seinen Vordermann an, der sich daraufhin wieder erhoben hatte und erneut in die Ferne blickte.   „Mein Vater war mit mir immer durch die hohen Felder getobt. Hier befindet sich ein Maisfeld. Gerade im Sommer konnte man hier immer gut Verstecken spielen. Meine Mutter und Natsu haben oben auf der Wiese auf der Picknickdecke gesessen und uns zugesehen. Wenn ich so drüber nachdenke, fühlt es sich immer noch so an, als ob es erst gestern gewesen wäre…“, Shoyo streckte währenddessen seine linke Hand der Sonne entgegen, als ob er nach ihr greifen wollte.   Der Schwarzhaarige spürte den Schmerz, der aus diesen Worten hervorging. Erinnerungen brachten sowohl glückliche Emotionen als auch traurige zutage.   „Meine Mutter hatte mir und meiner Schwester immer etwas auf ihrer Violine vorgespielt. Sie war eine begabte Violinistin in unserem Stadtorchester gewesen. Immer, wenn sie die Saiten zum Schwingen brachte, löste es ein Glücksgefühl in mir aus – ließ mich erzittern. Bescherte mir eine Gänsehaut. Sie war eine tolle Frau gewesen.“   „Daher also dein Talent…“, hauchte Tobio leise und trat schließlich an Hinata heran, der sich aus seiner Starre löste und ihn verblüfft ansah.   „Woher?“, zu mehr war Shoyo nicht im Stande, ehe Tobio ihm auch schon zuvorkam.   „Ich habe dich damals gesehen. Im Park, auf der Mauer mit einer weißen Violine in der Hand. Deine Musik hatte mich zu dir geführt. Damals war ich gerade erst hier im Dorf angekommen.“   Ein finsterer Schatten legte sich daraufhin über Shoyos Augen, als er wieder seine Aufmerksamkeit dem Horizont schenkte. Ein glasiger Glanz legte sich über seine sonst so strahlenden Iriden.   „Ich erinnere mich an den Tag. Ich war nachmittags mit Yachi dort gewesen. Wir haben einfach nur gespielt. Uns von der Musik treiben lassen. Es war der dritte Todestag meiner Eltern…“   Sofort hielt Tobio inne. Deswegen diese Stimmung. Der Schwarzhaarige erinnerte sich an das Bild, das er vor wenigen Monaten von Shoyo gezeichnet hatte. Er hatte sich damals schon gefragt, warum ihm diese Aura so bekannt vorkam. Wie diese Augen in den Sonnenuntergang gesehen hatten, die gleichzeitig Hoffnung und Einsamkeit ausgestrahlt hatten. Nun hatte er die Antwort. Shoyo war ihm ähnlicher als er dachte. Nun ergab es einen Sinn. Auch der Orangehaarige hatte, wie er, die Einsamkeit kennengelernt.   „Was ist geschehen?“, natürlich wusste Tobio bereits, was passiert war. Aber er wollte es von Shoyo persönlich erfahren.   Es folgte eine kurze Stille, ehe Shoyo auf einem kleinen Felsvorsprung Platz nahm und in die Ferne sah. Tobio nahm hinter ihm Platz, sodass sie nun Rücken an Rücken saßen. Dann begann der Orangehaarige zu erzählen.   „Es sollte ein normaler Abend werden. Mum und Dad waren zu Freunden eingeladen. Sie waren zusammen essen gewesen, während ich auf Natsu aufgepasst habe. Eigentlich nichts Weltbewegendes. Alles war wie immer.“   Die Augen des Jüngeren nahmen währenddessen einen feuchten Glanz an, was Tobio allerdings verborgen blieb. Dieser konnte sich allerdings den Gesichtsausdruck seines Gegenübers genau vorstellen.   „Aber dann brach dieser Gewittersturm los. Es geschah innerhalb von Minuten. Niemand hatte dieses Unwetter vorhersehen können. Es ging alles so verdammt schnell. Natsu hatte schreckliche Angst und hatte sich unter ihrem Bett versteckt. Ich hingegen saß vor ihrem Bett und las ihr eine Geschichte aus einem ihrer Lieblingsbücher vor. Ich wollte sie ablenken und ihr so die beängstigenden Stunden erleichtern.“   //Deswegen also die Angst vor Blitz und Donner…//   Tobio spürte, wie er innerlich unruhig wurde. Die Art und Weise, wie Shoyo sprach, zerriss ihn innerlich. Hinatas Stimme klang tiefer als sonst, so kühl, aber dennoch emotional.   „Plötzlich ertönte unsere Hausklingel. Wir dachten erst es seien unsere Eltern, also sind wie an die Tür und haben diese geöffnet. Als uns jedoch stattdessen zwei Polizeibeamte gegenüberstanden, ahnte ich bereits übles und habe Natsu auf ihr Zimmer geschickt. Was ich dann zuhören bekam, riss mir den Boden unter den Füßen weg…“   […] „Shoyo Hinata, es tut uns leid, dir das mitteilen zu müssen, aber deine Eltern sind in den Sturm geraten und hatten einen schweren Unfall. Sie sind noch an der Unfallstelle verstorben – jegliche medizinische Hilfe kam zu spät“ […]   „Eigentlich war geplant, dass sie bei Freunden übernachten. Aber als der Sturm losbrach, wollten sie uns nicht allein lassen und sind unseretwegen in den Sturm hinausgefahren.“, knirschend biss Shoyo auf seine Unterlippe.   „Ich musste ihre Leichen identifizieren. Es waren die schlimmsten Minuten meines Lebens. Wenn du sie vor dir siehst und genau weißt, dass sie tot sind und nie wieder zurückkehren werden… bis heute habe ich noch Alpträume davon… wie ihre leblosen Körper einfach nur daliegen. Zumindest das, was von ihnen noch übrig geblieben ist…“, Tränen schossen schließlich in seine Augen, weshalb Shoyo seine Brille ausziehen musste, damit er sich mit dem Handrücken über sein Gesicht fahren konnte.   „Ich kenne also den Schmerz, den du erfahren hast, Tobio. Ich kenne das Gefühl alles verloren zu haben und nicht mehr zu wissen, wo einem der Kopf steht. Natsu war damals mein Antrieb gewesen, wenn sie nicht gewesen wäre…“, noch bevor Shoyo seinen Satz vollenden konnte, sah er sich plötzlich mit saphirähnlichen Iriden konfrontiert.   Tobio war aufgestanden und hatte sich vor Shoyo gekniet. Vorsichtig fuhr der Schwarzhaarige mit seinen Fingern über die tränenbenetzte Haut seines Gegenübers. Natürlich kannte er das Gefühl genau. Deswegen konnte er seinen Schmerz und auch die Einsamkeit, die ersterer mit sich brachte, nachvollziehen. Sie verstanden einander. Behutsam wusch Tobio Hinatas Tränen weg.   „Bitte denk darüber nicht nach, was wäre und was nicht. Die Vergangenheit hat uns zu dem gemacht, was wir sind. Was wichtig ist, ist die Zukunft, die vor einem liegt.“   Shoyos Augen weiteten sich. Er sah tief in Kageyamas Augen. Suchte etwas, allerdings wusste er nicht wonach. Ein schwerer Klos bildete sich in seinem Hals. Der Größere war ihm verdammt nah. Dadurch, dass dieser vor ihm kniete, befanden sich ihre Gesichter auf Augenhöhe. Hinata spürte wie ihm innerlich wärmer wurde und wie sein Herz schneller gegen seinen Brustkorb schlug. Schnell wand Shoyo schließlich den Blick ab und erhob sich. Tief in Gedanken versunken trat er auf die Wiese, die tief ins Tal führte. Er wusste, dass der Größere recht hatte. Die dunklen Zeiten lagen hinter ihnen. Nun galt es den neuen Weg, der vor ihnen lag, voranzuschreiten. Aber dennoch tat es gut, über seinen Verlust zu reden. Er war es Kageyama schuldig – immerhin hatte sich dieser ihm ebenfalls anvertraut. Der Schwarzhaarige sollte wissen, dass er mit seiner Trauer, dem Schmerz des Verlustes und der Einsamkeit nicht allein war. Dass sie einander verstanden – dass jene Tribute sie überhaupt erst zusammengeführt hatte.   „Ich danke dir, Tobio…“, kam leise flüsternd über Shoyos Lippen.   Lauwarmer Wind zog an ihm vorbei und wuschelte seine orangefarbigen Strähnen durcheinander. Noch während Shoyo dastand, spürte er zwei starke Arme, die sich von hinten um seine Körpermitte schmiegten. Der Orangehaarige erstarrte, als er zusätzlich bemerkte, wie sich ein Kopf von hinten an seinen Hinterkopf anlehnte.   „Du bedankst dich ziemlich oft, weißt du das?“, hauchte Tobio leise gegen Hinatas Nacken.   Shoyo spürte, wie Kageyamas Atem seine Haut kitzelte und ihm eine Gänsehaut bescherte. Wie ein elektrisierender Puls durch seine Venen zog. Das Herz des Jüngeren setzte aus. Das Gefühl, das daraufhin sein Innerstes erschütterte, ließ seine Knie weich werden. Hinata hielt den Atem an. Tobio drehte den Kleineren schließlich zu sich um, sodass er vor ihm stand. Der Kopf des Jüngeren war jedoch zu Boden gerichtet, sodass Tobio mit seinem Zeigefinger dessen Kinn anheben musste, damit er in dessen Gesicht sehen konnte.   „Wenn sich hier einer bedanken sollte, dann bin ich es. Ich danke dir für dein Vertrauen und auch, dass du mir hilfst. Ich sage es immer wieder, dass es nicht selbstverständlich ist, einem wie mir zu helfen.“   Noch bevor Tobio weiterfortfahren konnte, hatte sich Shoyo auf die Zehenspitzen gestellt und seine Hand auf dessen Lippen gelegt. Ungläubig hielt der Ältere inne und sah sein Gegenüber überrascht an - wie sich ein Lächeln auf dessen Lippen legte.   „Ich bedanke mich so oft ich möchte, Kageyama und wenn du daran etwas auszusetzen hast-“, plötzlich ließ Shoyo von dem Größeren ab und rannte los. Wirbelte die Blätter durcheinander, die auf dem Boden verweilten.   „-dann versuch mich mal zu fangen~!“   Tobio sah dem Jüngeren erst überrumpelt nach, ehe er kurz in sich ging - tief ein und ausatmete. Das war also Shoyos Art, um die Stimmung zu lockern. Er war wirklich gut in solchen Dingen. Dann stahl sich ein Lächeln auf Tobios Lippen. Er ließ einen größeren Abstand zwischen sie kommen. Zu gern kam er der Aufforderung nach. Schließlich rannte der Schwarzhaarige los und heftete sich direkt an Shoyos Fersen, der ihm ein gutes Stück voraus war. Seine schwarzen Strähnen wehten im Wind. Der Orangehaarige sah währenddessen immer wieder hinter sich. Obwohl Tobio die längeren Beine besaß – Shoyo war schneller als er.   Die beiden jungen Männer tobten kreuz und quer über das Feld. Gelächter durchbrach die Stille, während sie den Berg hinabstürmten und dem Sonnenuntergang entgegenliefen. Ließen ihren Seelen freien Lauf. Warfen all ihre Sorgen und Ängste über Bord. Genossen die Zeit, die sich ihnen bot. Knüpften das Band weiter, das mehr und mehr zwischen ihnen gesponnen wurde.   Es dauerte nicht mehr lange, bis der rote Faden endgültig sein Ziel erreichen und sich ihnen offenbaren würde.      Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)