Coda von Morwen (Sam x Bucky) ================================================================================ Alive ----- Glassplitter knirschten unter seinen Schuhsohlen, als er durch den dunklen Korridor schritt. Bucky ignorierte die Räume, die beiderseits des Ganges lagen, und hinter deren geöffneten Türen nichts als kalte, lichtlose Schwärze lag. Er suchte jemanden... Bucky blinzelte. Sam. Er suchte Sam. – Seinen Freund Partner Teamkollegen, der ohne ihn vorgelaufen war und nicht auf Rückendeckung gewartet hatte. Er musste noch immer irgendwo hier sein, da war sich Bucky ganz sicher. Doch es war zu still und das machte Bucky Sorgen. Es war nie still, wenn Sam da war. Weiter vorn öffnete sich plötzlich mit leisem Knarren eine Tür und schwacher Lichtschein erhellte den Korridor. Bucky zögerte kurz, dann trat er langsam auf sie zu. Seine Anspannung nahm immer mehr zu, je mehr er sich der offenen Tür näherte. Ihn überkam eine ungute Vorahnung und als er sie schließlich erreicht hatte, wusste er plötzlich mit absoluter Sicherheit, dass ihn etwas Schreckliches dahinter erwarten würde. Doch obwohl ihm das Herz bis zum Hals klopfte und kalter Schweiß seinen Nacken herabrann, machte Bucky einen letzten Schritt und trat hindurch. Und er sah... Sam. ... Sam, der an eine Säule gelehnt auf dem Boden saß, reglos und in sich zusammengesunken. Blut lief aus seinem Mundwinkel und sein Brustkorb bewegte sich nicht. „Nein“, murmelte Bucky und schüttelte vehement den Kopf, als könnte er damit ungeschehen machen, was passiert war. „Nein, nein, nein... Sam! – Sam, nein...” Er trat auf den anderen Mann zu und sank vor ihm auf die Knie. „Sam, wach auf!“, flehte er und legte die Hände auf seine Schultern, um ihn zu schütteln. „Sam, bitte...! Bitte mach die Augen auf...!“ Doch sein Freund Partner Teamkollege rührte sich nicht und Bucky wusste mit einem Mal, dass er es auch nie wieder tun würde. „Bucky!“ Bucky sprang vor Schreck auf und sah sich mit panisch geweiteten Augen um. Plötzlich waren die Säule und Sam verschwunden und der Raum um ihn herum war sehr viel kleiner geworden. Hände griffen nach ihm und in dem Versuch, sie abzuwehren verhedderte er sich in seiner Decke und wäre fast aus seinem Bett gefallen. Im letzten Moment konnte er sich am Bettkasten festhalten und sog gierig Sauerstoff in seine Lungen, während er sich desorientiert im Raum umsah. Keine Armlänge von ihm entfernt saß Sam auf seinem eigenen Bett, nur mit T-Shirt und Sweatpants bekleidet, und musterte ihn besorgt im Licht seiner Nachttischlampe. Langsam kehrte Buckys Bewusstsein ins Hier und Jetzt zurück und er erkannte, dass sie sich in dem kleinen, traditionell eingerichteten Hotelzimmer befanden, in dem sie sich nach dem Desaster der letzten Stunden für die Nacht eingemietet hatten. Doch die Tatsache, dass er lediglich schlecht geträumt hatte, konnte Bucky nicht beruhigen – nicht heute. Nachdem seine Atemzüge tiefer und gleichmäßiger geworden waren und sein Herz aufgehört hatte zu rasen, als hätte er eine Verfolgungsjagd hinter sich, rutschte er sein Bett hinauf bis zum Kopfende und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, die Knie dicht an den Körper gezogen. „Sorry, dass ich dich geweckt habe“, stieß er hervor, während er mit den Fingern durch seine verschwitzten Haare kämmte. „Es ist okay“, erwiderte Sam leise. „Es tut mir leid, dass ich dich anfassen und wachrütteln musste, aber du hast um dich geschlagen und ich hatte Sorge, dass du dich verletzt.“ Die Bemerkung entlockte Bucky nur ein humorloses Lachen. Für eine Weile schwiegen sie beide. Dann erhob Sam wieder die Stimme. „Wenn du darüber reden willst...“ „Nein!“, unterbrach Bucky ihn schroff – und bereute es sofort wieder, als er Sam kurz zusammenzucken sah. Seufzend rieb er sich das Gesicht. Er hatte keine Ahnung, wie er in Worte fassen sollte, wieviel Angst ihm der Traum gemacht hatte. Wieviel Angst ihm die Vorstellung machte, dass Sam ihn eines Tages auf diese Weise verlassen würde. Der Abschied von Steve hatte ihm bereits alles abverlangt; noch so einen Verlust würde Bucky nicht verkraften. „Er war damals oft krank, weißt du“, erzählte Bucky schließlich mit rauer Stimme. Er musste es Sam irgendwie begreiflich machen. „Steve, meine ich. Vor dem Krieg und vor der Armee. Als wäre es nicht genug, dass er sich ständig in Gefahr brachte und ohne jeglichen Überlebensinstinkt in Auseinandersetzungen gestürzt hat...“ Er sah Sam nicht an, doch er spürte seinen Blick auf sich ruhen. Und es waren diese Aufmerksamkeit und Ruhe, die Bucky dabei halfen, seine Gedanken zu sortieren und seine Erzählung fortzusetzen. „Im Winter 1938 hatte er eine Lungenentzündung. Er hat kaum Luft bekommen und er war so schwach, ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Ich konnte mich tagsüber nicht um ihn kümmern, weil ich arbeiten musste, damit wir was zum Essen hatten. Zwei Wochen lang kam ich jeden Abend heim, ohne zu wissen, ob er noch am Leben war. Es waren die schlimmsten zwei Wochen meines damaligen Lebens.“ Er schauderte bei der Erinnerung daran. Schon mit zwanzig hatte sich Bucky zehn Jahre älter gefühlt, als all seine gleichaltrigen Bekanntschaften, und das allein wegen Steve. „Doch Steve überlebte, und dann kam das Serum“, fuhr er fort. „Und zum ersten Mal musste ich keine Angst mehr um ihn haben. Sicher, er war immer noch ein verrücktes Arschloch, das wahnsinnige Aktionen gebracht hat und sich und seinen Körper nicht geschont hat. Doch er war nicht mehr so schrecklich zerbrechlich und anfällig wie vorher. Und mit der Zeit habe ich gelernt, loszulassen und darauf zu vertrauen, dass er keinen Schaden nehmen würde, egal, wie gefährlich die Missionen auch waren, auf die wir uns begaben.“ Langsam hob er wieder den Kopf und sah Sam in die Augen. „Und dann kamst du.“ Sam erwiderte für eine Weile reglos seinen Blick, doch schließlich trat ein Ausdruck des Verstehens auf sein Gesicht. „Bucky, nein“, sagte er. „Du denkst doch nicht...?“ „So sehr ich Walker verachte“, unterbrach ihn Bucky und musterte Sam weiterhin, ohne zu blinzeln, „ich kann seine Reaktion heute fast nachvollziehen. Dieses Mal hat es Hoskins getroffen, und seitdem kann ich nicht aufhören, mir vorzustellen...“ Er schluckte. „Sam, das hättest du sein können.“ „Aber das war ich nicht“, erwiderte Sam leise. „Sicher“, meinte Bucky. „Nicht dieses Mal. Aber vielleicht das nächste. Und wenn das passiert, dann Gnade demjenigen, der es getan hat, denn ich werde ihn verfolgen, und wenn es bis zum Ende der Welt ist.“ Und dann werde ich vielleicht Schlimmeres tun, als Walker es heute getan hat. Aber das sprach er nicht aus. Es gab Dinge, die musste Sam nicht über ihn wissen. Jedenfalls nicht jetzt. „Bucky...” Sam stand auf und setzte sich auf die Kante von Buckys Bett. „Du wirst mich nicht verlieren“, sagte er ruhig. „Das kannst du nicht versprechen“, entgegnete Bucky heftiger, als beabsichtigt. Allein der Gedanke, dass die Bilder aus seinem Traum eines Tages Wirklichkeit werden könnten, weckte in ihm den Drang, dem anderen Mann die Flügel wegzunehmen und ihn zu Hausarrest auf Lebenszeit zu verurteilen. Warum war ihm vorher nie bewusst gewesen, wie lächerlich einfach es war, Sam zu töten? Sam war nicht Steve; wenn er ohne Fallschirm aus einem Flugzeug fiel, dann würde er sich beim Aufprall sämtliche Knochen brechen, verdammt. Sicher, Sam war erfahren und kompetent – so kompetent, dass Bucky oft vergaß, dass Sam keine Superkräfte hatte. Doch am Ende des Tages war auch er nicht mehr, als ein Mann mit einem Paar High-Tech-Flügeln. „Nein“, stimmte Sam ihm zu und Bucky zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Das kann ich nicht. Aber ich kenne meine Stärken und ich kenne meine Grenzen, und wenn du mir vertraust, Buck, dann glaub mir wenigstens das. Das ist alles, was ich von dir verlange.“ Bucky schluckte. „Ich...“ Und er kannte Sam mittlerweile lange genug, um zu wissen, dass dieser Teil der Wahrheit entsprach. Sam mutete sich nichts zu, von dem er sich nicht sicher war, dass er es leisten konnte. Dass er den Schild abgegeben hatte war dafür der beste Beweis. „Ich vertraue dir“, sagte er schließlich. Er streckte seine Beine wieder von sich, dann hob er die Hand und legte sie vorsichtig auf die von Sam. Dieser verschränkte mit einem kleinen Lächeln ihre Finger miteinander, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, und mit einem warmen Gefühl im Bauch sah Bucky auf ihre Hände herab. Dann schien sein Verstand für einen Moment komplett auszusetzen, denn er lehnte sich vor und presste seine Lippen auf die von Sam. Der andere Mann war für einen Augenblick wie erstarrt, doch als Bucky gerade wieder zurückweichen wollte, hob Sam seine freie Hand und vergrub seine Finger in Buckys Haaren, um ihn festzuhalten, bevor er seinen Kuss erwiderte – methodisch und gründlich und mit Enthusiasmus, so wie alles andere auch, was er tat. Und Bucky wusste, dass dies womöglich ein Fehler war, der ihre Beziehung für immer verändern würde, und dass sie über diesen Schritt würden reden müssen. Doch für diesen einen Moment war Sam hier bei ihm – warm und lebendig und sicher – und als sie sich wenig später wieder hinlegten und Sam zu ihm ins Bett kletterte und seinen Arm um ihn schlang, schlief Bucky zum ersten Mal seit langem ohne weitere Alpträume. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)