Coda von Morwen (Sam x Bucky) ================================================================================ Messenger --------- Bucky hatte sein Smartphone erst seit zwei Tagen, als die erste Nachricht kam, und er kannte bis dahin gerade einmal den Bruchteil seiner Funktionen. Es dauerte darum eine Weile, bis er das leise „Ping“, das eines Vormittags aus der Küche erschallte, zu seiner Quelle hatte zurückverfolgen können. Schließlich griff er nach seinem Handy, das auf dem Küchentisch lag, und aktivierte den Bildschirm. Er hatte eine Textnachricht bekommen, seine erste überhaupt. Wer zum Teufel schickte ihm eine Textnachricht? Bucky kannte doch überhaupt niemanden in dieser verrückten Zeit. Während er noch über die möglichen Antworten auf diese Frage nachdachte, machte es erneut „Ping“ und Bucky hätte vor Überraschung fast das Smartphone fallengelassen. Er hatte in der Vergangenheit eindeutig zu wenig gute Erfahrungen mit elektronischen Geräten gemacht, die ständig Geräusche von sich gaben. Misstrauisch öffnete er seinen Messenger.   10:33 AM Hey, Bucky. Ich wollte mal hören, wie es bei dir läuft. Ich hoffe, New York City behandelt dich gut. Wenn du mit jemandem reden willst, können wir gerne mal telefonieren. Ruf mich jederzeit an.   10:38 AM Sorry, ganz vergessen: hier ist Sam.   Bucky runzelte die Stirn. Es war zwei Wochen her, seitdem er Sam das letzte Mal gesehen hatte. Es war nicht so, als hätte er seitdem nicht an ihn gedacht. Bucky dachte schließlich immer noch oft genug an Steve – und es war unmöglich, an Steve zu denken, ohne dabei an Sam zu denken und daran, wie Steve ihm den Schild gegeben hatte. „Denkst du, ich treffe die richtige Entscheidung?“, hatte Steve ihn damals gefragt, nach Thanos und nach all den Abschieden. „Ich denke, du triffst die selbstsüchtigste Entscheidung, die du jemals in deinem Leben getroffen hast“, hatte Bucky geantwortet. „Und ich denke, allein deswegen solltest du deinen Plan durchziehen.“ „Ich meine nicht Peggy, Buck, ich meine den Schild.“ „Ah.“ An dieser Stelle hatte Bucky einen Moment lang innegehalten und in die Ferne gestarrt. „Das wird die Zeit zeigen, glaube ich“, hatte er schließlich erwidert. „Du kennst Sam schließlich weitaus besser, als ich. Aber wenn du ihm vertraust und deine Hoffnung in ihn setzt, dann vertraue ich deinem Urteil.“ Und das war das letzte Mal gewesen, dass Steve auf ihn gehört hatte. Dann war er verschwunden und hatte Bucky allein in einer fremden, neuen Welt zurückgelassen. Oder, na ja. Fast allein.  ~*~ Sams Nachrichten kamen in den ersten Wochen fast täglich.   8:21 PM Wenn du nicht telefonieren willst, können wir uns auch gerne treffen. Ich bin am Wochenende in NYC, um mich um ein paar Avengers-Angelegenheiten zu kümmern.   8:30 PM Ich gebe auch gerne einen aus.   8:31 PM Oder zwei.   8:32 PM Oder zehn. Ich erinnere mich vage daran, wie viel ihr Supersoldaten wegstecken könnt.   Bei dieser Nachricht musste Bucky kurz schmunzeln, dann setzte er sich auf seinen Sessel, zog die Knie an seinen Oberkörper und legte sein Kinn darauf, bevor er sich weiter eine Doku über die Bürgerrechtsbewegungen der 60er Jahre ansah.   ~*~ Das Wochenende kam und ging, und am Dienstagnachmittag erreichten Bucky zwei neue Nachrichten.   3:46 PM Schade, dass New York nicht geklappt hat. Ich mache mir tatsächlich ein bisschen Sorgen um dich, Mann. Ich hoffe, es geht dir gut?   6:09 PM Mir geht es übrigens fantastisch, danke der Nachfrage. Kalifornische Sommer sind unerträglich heiß – schlag bei Gelegenheit mal „Klimaerwärmung“ nach – aber das Meer... das Meer ist wundervoll.   Angehängt war ein Foto – man nannte diese Art von Selbstportrait „Selfie“, hatte Barton ihm damals erklärt – von Sam in Shorts und einem Tanktop, das seine muskulöse Brust und schmalen Hüften an genau den richtigen Stellen betonte. Hinter ihm war nichts als weißer Sandstrand und azurblaues Meer zu sehen. Bucky blinzelte. Zu seiner eigenen Überraschung verspürte er plötzlich den dringenden Wunsch, ebenfalls mit auf dem Foto zu sein. Oder wenigstens auf demselben Strand zu stehen. Für einen Moment schwebte sein Daumen über dem „Call“-Button... doch dann ließ er ihn wieder sinken. Sam genoss ganz offensichtlich die Erholung von den Ereignissen der letzten Wochen, während Bucky einsam und überfordert mit sich selbst war und Sams gute Laune nicht unnötig verderben wollte.   ~*~ Die nächsten Nachrichten kamen noch in derselben Nacht.   1:02 AM Ich weiß übrigens, dass du jede meiner Nachrichten liest. Der Messenger zeigt mir solche Sachen an.   1:04 AM Jetzt zum Beispiel. Bist du etwa immer noch wach? Es muss bei euch doch schon längst nach Mitternacht sein!   1:05 AM Du bist 106, nicht 17, brauchst du nicht deine Nachtruhe?   1:05 AM Deinen Schönheitsschlaf?   1:07 AM Eine Gelegenheit, um deine Cyborgbatterien aufzuladen?   Bucky schüttelte mit einem schwachen Lächeln den Kopf, dann stellte er sein Smartphone auf lautlos, legte sich wieder auf den harten Holzboden, das Gesicht zur Wand gedreht, und schloss die Augen. Er sollte in dieser Nacht erneut nur wenige Stunden schlafen, bevor ihn seine Alpträume weckten, aber dieses Mal fühlte er sich danach etwas erholter, als an den meisten anderen Tagen.   ~*~ Als er ein paar Tage später am Morgen auf sein Handy sah, entdeckte er ein neues Foto von Sam. Dieses Mal war Sam nicht darauf zu sehen, dafür jedoch der Anblick einer weiten, vom Wind leicht gekräuselten Wasseroberfläche, auf der das Sonnenlicht glitzerte.   6:22 AM Bin gerade bei der Familie unten in Louisiana. Ich glaube, es würde dir hier gut gefallen. Es ist ruhig. Nur Bayou und Sonne und Grillpartys. Keine Termine. Keine Superhelden. Nur Natur.   Bucky wusste nicht, was er von der Nachricht halten sollte. Sam klang zufrieden und entspannt, und obwohl er Bucky kaum kannte, war er der Ansicht, dass dieser sich in seiner Heimatstadt ebenso wohlfühlen würde. Und Bucky gab zu, dass es durchaus verlockend klang. Er hatte vage Erinnerungen an Louisiana, er musste als Winter Soldier mal dort gewesen sein. Von den Moskitos und den Alligatoren mal abgesehen, war es in der Tat eine nette Gegend.   6:30 AM Wir könnten zusammen angeln gehen. Nichts ist so entspannend wie Angeln. Meinst du, du hättest Freude an einer so langweiligen Beschäftigung, oder funktionierst du nur, wenn um dich herum ständig Dinge explodieren? Ich frage für einen Freund.   Bucky lachte leise auf. Du bist ein Idiot, Sam Wilson, dachte er kopfschüttelnd und war für einen Moment versucht, Sam genau das als Antwort zu schreiben. Doch dann überlegte er es sich noch mal anders und ließ das Smartphone wieder sinken. Nächstes Mal. Ganz sicher.   ~*~ 7:51 AM Mann, wenn ich geahnt hätte, wie einseitig unsere Gespräche werden würden, ich hätte Steve gebeten, dich mitzunehmen.   Bucky starrte die Nachricht so lange an, bis die Buchstaben vor seinen Augen verschwammen. Es war das erste Mal, dass Sam Steve erwähnte – und das erste Mal, dass er ungehalten und genervt schien, dass Bucky ihn seit Wochen ignorierte. Bucky schluckte. Er konnte es Sam nicht verdenken; er war ein furchtbarer Teamkollege und ein mindestens ebenso furchtbarer Freund. Aber die moderne Welt überforderte ihn, seine wöchentlichen Therapiesitzungen schienen seinen Gemütszustand nur noch zu  verschlimmern und er fühlte sich so einsam wie nie zuvor. Vielleicht wäre es tatsächlich besser gewesen, wenn er mit Steve gegangen wäre. Selbst wenn Steve Peggy geheiratet hätte und Bucky ihm immer weniger wichtig gewesen wäre, als sie. Er hätte damit leben können, so wie er alle anderen Schicksalsschläge in seinem Leben auch hatte ertragen können. Irgendwie. Das erneute Nachrichtengeräusch seines Messengers riss ihn aus seinen Gedanken.   8:05 AM Shit, es tut mir leid. Das war gerade echt daneben, ich schwöre, ich habe es nicht so gemeint. Du bist mir nichts schuldig, Bucky, und wenn du nicht reden willst, dann respektiere ich das. Was nicht heißt, dass ich mir keine Sorgen um dich mache, aber... wenn du keinen Kontakt wünschst, dann ist das auch okay. Ich werde dich in Zukunft nicht weiter behelligen.   Bucky las die letzte Nachricht noch ein drittes und viertes Mal. Nein!, schrie alles in ihm. Behellige mich weiter! Nur weil er nie darauf reagierte, bedeutete das nicht, dass er sich nicht über die kleinen, unregelmäßigen Texte freute, die Sam ihm schickte. Sie gehörten zu den wenigen Lichtblicken in seinem Leben – und erinnerten ihn daran, dass irgendwo dort draußen jemand war, der nicht nur wusste, wer Bucky war und was er in der Vergangenheit getan hatte, sondern der ihn auch als die Person akzeptierte, die er heute war. Bucky kämpfte kurz mit sich selbst, aber dieses Mal überwand er seine Zurückhaltung und drückte auf „Call“. Sam hob bereits nach dem zweiten Klingeln ab. „Bucky?“, fragte er verwundert, als hätte er nicht damit gerechnet, jemals wieder seine Stimme zu hören. „Was ist los?“ „Hör nicht auf!“, sprudelte es aus Bucky hervor. „Bitte, Sam! Du machst dir keine Vorstellung, wie sehr ich...“ Er schluckte. „Wie grau mein Leben ohne deine Nachrichten wäre.“ „Hey“, erwiderte Sam mit sanfter Stimme, „es ist alles okay, Bucky, beruhige dich.“ Bucky bemerkte erst jetzt, wie schnell sein Atem ging, und er zwang sich, mehrmals tief durchzuatmen. „Ich hatte keine Ahnung, dass du so an meinen Nachrichten hängst“, gab Sam nach einem Moment zu. „Und ob du dich überhaupt dafür interessierst, was ich tue. Aber wenn sie dir tatsächlich so wichtig sind...“ „Ja“, stieß Bucky mit rauer Stimme hervor. „Okay.“ Bucky atmete auf. „Danke.“ „Keine Ursache“, entgegnete Sam. „Danke für deinen Anruf. Ich war schon kurz davor, eine Vermisstenanzeige aufzugeben.“ Bucky schnaubte. „Nein, warst du nicht.“ Sam lachte und es war das wundervollste Geräusch, das Bucky seit langem gehört hatte. „Nein“, bestätigte er. „Nein, war ich nicht.“ Sie waren keine Partner, das ganz sicher nicht, und sie waren noch weit davon entfernt, Freunde zu sein. Doch eines Tages würden sie dort ankommen. Ganz bestimmt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)