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Coda

Sam x Bucky
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel spielt nach der Szene in Folge 2, in der Sam und Bucky nach dem LKW-Desaster aus dem Auto von Walker gestiegen sind, um ihren Weg zu Fuß fortzusetzen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieser Teil spielt nach der Therapiesitzung der beiden am Ende von Folge 2. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieser Oneshot spielt während ihres Aufenthalts in Madripoor in Folge 3, als sie nachts auf der Party sind, während Sharon Nachforschungen anstellt. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Inspiriert von der Szene im Flugzeug am Ende von Folge 3, in der Bucky seine Vibraniumhand reinigt und auf Schäden überprüft.
Dieses Mal gibt es erste Flirtansätze. ;) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Der Oneshot spielt nach dem Kampf gegen die Dora Milaje in Folge 4, aber noch vor dem Telefonat zwischen Sam und Sarah. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Diese Szene schließt direkt an den Kampf zwischen Walker, Sam und Bucky am Anfang von Folge 5 an. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Der heutige Oneshot spielt in der Nacht nach den blutigen Ereignissen am Ende von Folge 4. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
... und natürlich musste ich noch einen Oneshot zu Sams und Buckys gemeinsamer Zeit in Louisiana in Folge 5 schreiben. ;) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieser Oneshot spielt am Ende der Nacht nach der letzten Konfrontation mit Karli in Folge 6. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein Anfang.
- Spielt vor Beginn der Serie. :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein Ende.
- Schließt direkt an Kapitel 10: "Homecoming" an. Komplett anzeigen

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Bus Stop

Sie saßen nebeneinander an der Bushaltestelle.

Dem Fahrplan nach kam der nächste Bus in Richtung des Flugplatzes erst in einer halben Stunde, was in einer so ländlichen Gegend nicht weiter verwunderlich war. Doch selbst mit Wartezeit waren sie mit Bus immer noch schneller dort, als wenn sie die gesamte Strecke zu Fuß laufen würden.

Sicher, Sam könnte auch fliegen, aber das Manöver, mit dem er Bucky von der Unterseite des Lasters gepflückt und ihm damit den Arsch gerettet hatte, hatte seine Flügel beschädigt, und er wollte kein Risiko eingehen. Erst recht nicht, nachdem man ihm einmal mehr vor Augen geführt hatte, dass seine gesamte Ausrüstung der Regierung gehörte und es nicht länger selbstverständlich war, dass man sie ihm ersetzen würde.

Und Bucky und er würden beide einen Teufel tun, Walker nachzulaufen und ihn zu bitten, sie mitzunehmen. Dieser Zug war abgefahren. Wortwörtlich.

Sam musste Bucky nicht ansehen, um zu spüren, dass der andere Mann noch immer vor Wut kochte.

Er konnte es ihm nicht verdenken.

Oh, Sam bezweifelte nicht, dass Walker sich bemühte, der beste Mann für den Job zu sein, der er mit seinem Wissen und seinen Fähigkeiten sein konnte. Er war nicht unsympathisch, und er schien aufrichtig daran interessiert zu sein, den guten Ruf seines Vorgängers aufrechtzuerhalten und sein Werk fortzuführen. Hätten sie sich unter anderen Umständen kennengelernt, hätten sie sich vielleicht anfreunden können.

Doch alles, was Sam in ihm sah, wenn er ihn anblickte, war ein Mann, der mit einem Schild herumlief, der ihm nicht gehörte und ihm nie gehören würde.

Einem Schild, der Sam einst anvertraut worden war.

Und es fühlte sich einfach so falsch an, dass er dem Mann kaum in die Augen sehen konnte, wann immer sie sich begegneten.

 

„Hey“, sagte Sam schließlich leise und stieß Bucky sacht mit der Schulter an. „Rede mit mir.“

Bucky sah ihn kurz an und verdrehte die Augen, dann starrte er wieder grimmig auf seine Schuhspitzen. Sam kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sich sein Frust nicht auf ihn, sondern auf ihre gesamte Situation bezog, und nahm die Reaktion darum nicht persönlich.

„So schlimm?“, fragte er.

Battlestar“, stieß Bucky zwischen seinen Zähnen hervor. „Was für ein Lackaffe! Warum haben sie ihn nicht gleich Bucky 2 genannt, dann weiß wenigstens jeder, was er zu erwarten hat!“

„Ich verstehe, wieso du wütend bist“, erwiderte Sam behutsam, doch die Bemerkung schien Bucky nur noch mehr aufzubringen und er hob erneut den Kopf und setzte zu einer scharfen Antwort an.

Doch Sams gelassene, verständnisvolle Miene bot ihm keine Angriffsfläche und Buckys Schultern sackten schließlich wieder herab.

„Die zwei haben absolut keine Ahnung, was uns damals ausgemacht hat“, sagte er schließlich mit gesenkter Stimme. „Wir waren Soldaten, das ja, aber vorher waren wir in erster Linie Freunde, und das von Kindesbeinen an. Wir hatten die Howling Commandos, die wie eine Familie für uns waren, und wir konnten uns blind aufeinander verlassen.“

Er gab ein Schnauben von sich. „Wir haben uns keine albernen Namen ausgedacht und in den viel zu großen Fußstapfen anderer Männer Krieg gespielt.“

Sam sah ihn für einen Moment nachdenklich an.

„Die zwei sind ein Scheiß gegen Steve und dich“, entgegnete er dann. „Ihre Dynamik ist eine völlig andere, und was auch immer sie füreinander sind, Hoskins kann dich ebenso wenig ersetzen, wie Walker ein Ersatz für Steve ist.“

Bucky stieß ein bitteres Lachen aus.

„Die Regierung scheint da anderer Meinung zu sein“, sagte er.

„Tja, nun“, meinte Sam und zuckte mit den Schultern. „Es wäre nicht das erste Mal, dass wir uns mit der Regierung anlegen.“

Die Bemerkung ließ Bucky aufblicken und ein warmes Gefühl breitete sich in Sams Brust aus, als er das kleine, aber aufrichtige Lächeln sah, dass sich auf sein Gesicht legte.

„Weißt du, in Momenten wie diesen bin ich fast froh, dass ich dich damals nicht vom Helicarrier geworfen habe“, sagte Bucky.

Sam lachte auf.

„Nur fast?“, fragte er. „Ernsthaft? Und du hast mich vom Helicarrier geworfen. Glaub mir, ich war dabei.“

„Kann mich nicht daran erinnern“, widersprach Bucky, aber sein Grinsen sagte etwas anderes.

„Und vorher hast du mir einen Flügel ausgerissen“, fuhr Sam fort. „Ich hätte sterben können.“

„Ah-hah!“, machte Bucky und hob mit einem triumphierenden Funkeln in den Augen einen Zeigefinger. „Es war nur ein Flügel, nicht beide! Es gab also immer noch einen Teil von mir, der dich nicht umbringen wollte.“

„Wow“, machte Sam und lachte erneut. „Ist das wirklich das Niveau, auf dem wir dieses Thema besprechen wollen?“

„Darauf kannst du Gift nehmen.“

„Mit Sicherheit nicht.“

Und während sie sich weiter stritten und auf den Bus warteten, der sie zum Flugplatz und zu Torres zurückbringen würde, war Sam plötzlich froh, dass er trotz aller Widrigkeiten und Verluste der letzten Monate hier war – und nirgendwo sonst.

Not Exactly Friends

Bucky räusperte sich.

„Sam.“

Der andere Mann regte sich nicht. Er hatte sich Bucky gegenüber quer über die Sitze des Transportflugzeuges gelegt und die Kapuze seines Hoodies über seinen Kopf gezogen, als kläglichen Ersatz für die Dunkelheit und Ruhe der Nacht.

Bucky seufzte leise.

„Sam“, versuchte er es noch mal mit etwas lauterer Stimme.

„Mmh?“, kam es endlich zurück.

Träge hob Sam seinen Arm und schob die Kapuze aus seinem Gesicht, um Bucky müde anzublinzeln.

„Was gibt es?“, fragte er leise, Sorge im Blick.

Und das war einfach so typisch Sam. Er war sichtlich erschöpft – der Flug nach Europa war lang und sie waren beide schon seit viel zu vielen Stunden auf den Beinen – und obwohl er die Ruhe dringend nötig hatte, hatte er immer noch ein offenes Ohr für Bucky und seine Anliegen.

Der Gedanke war so ernüchternd, dass Bucky das schlechte Gewissen packte und er sich fast für die Störung entschuldigt hätte. Doch nun war Sam wach und schenkte ihm seine Aufmerksamkeit, und es wäre unhöflich gewesen, ihm nicht zu erzählen, was ihn beschäftigte.

Leider war sein Mundwerk wie immer schneller, als sein Verstand.

„Es tut mir leid!“, platzte es aus ihm heraus, bevor er seine Gedanken und Gefühle überhaupt richtig sortieren und in angemessene Worte kleiden konnte.

Und Sam schien von dieser Aussage fast ebenso irritiert zu sein, wie Bucky selbst, seinem fragenden Gesichtsausdruck nach zu urteilen.

„Okay“, sagte er schließlich. Dann hob er eine Augenbraue. „Und was genau tut dir leid? Du musst schon etwas spezifischer sein.“

Bucky starrte ihn an und plötzlich wusste er wieder, wieso es eine schlechte Idee war, mit Sam über seine Gefühle zu sprechen. Denn Bucky war nicht gut darin, seine Emotionen in Worte zu fassen, ganz im Gegensatz zu Sam, der viel zu wortgewandt und aufmerksam war und Wahrheiten aus Bucky hervorlockte, die dieser niemals hatte preisgeben wollen.

Eine Tatsache, der sich auch Sam bewusst war.

„Bucky“, sagte er mit überraschend sanfter Stimme. „Wenn etwas an dir nagt, können wir gerne darüber reden. Aber du musst mir sagen, was los ist, Mann, ich kann deine Gedanken leider nicht lesen.“

Bucky schloss für einen Moment die Augen.

Sam hatte Recht. Etwas Ähnliches hatte auch seine Therapeutin ganz am Anfang ihrer gemeinsamen Sitzungen zu ihm gesagt.

Niemand weiß, was in dir vorgeht, wenn du es nicht aussprichst, James.

Gott, manchmal vermisste Bucky die 40er. Damals hatte ihn noch niemand dazu gezwungen, über seine Gefühle zu reden.

Er atmete tief durch, dann öffnete er wieder die Augen und sah Sam an.

„Es tut mir leid, wie das vorhin gelaufen ist“, entgegnete er. „Die Sitzung, meine ich. Ich hätte diese Dinge nicht sagen sollen.“

Sam gab keine Antwort, doch er setzte sich auf und musterte Bucky weiterhin aufmerksam.

„Du hattest...“, fuhr Bucky fort, stockte jedoch.

Komm schon, Barnes. Sag es ihm.

Bucky seufzte und sah auf seine Hände herab, die auf seinen Oberschenkeln lagen.

„Du hattest Recht“, sagte er dann. „Deine Entscheidung, den Schild wegzugeben, hatte nichts mit mir zu tun, und es tut mir leid, dass ich dir das zum Vorwurf gemacht habe. Es ist mein Problem und nicht deines, dass ich mich durch die Dinge identifiziere, die Steve damals für mich getan hat.“ Er senkte die Stimme. „Ich versuche immer noch herauszufinden, wer ich bin, und es... es ist nicht immer leicht.“

Sam schwieg weiterhin, was Bucky mit jedem Augenblick, der verstrich, mehr entmutigte. Hatte er ihn mit seinen Worten auf der Polizeiwache so erzürnt, dass er ihre Freundschaft... Beziehung... was auch immer sie miteinander hatten unwiderruflich kaputtgemacht hatte?

Doch schließlich kam wieder Bewegung in den anderen Mann und er stand auf und ging zu Bucky hinüber, um sich neben ihn zu setzen.

Bucky konnte Sams Körperwärme durch seine Lederjacke hindurch spüren und er lehnte sich unbewusst gegen ihn, während er darauf wartete, dass Sam ihm eine Antwort gab.

„Danke für deine Offenheit“, sprach Sam schließlich. „Und für die Entschuldigung. Was du gesagt hast, war in der Tat unangebracht gewesen – auch wenn ich deine Haltung zu Steves Entscheidungen bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen kann.“

Er hob den Kopf und sah Bucky an, und sie waren einander nahe genug, dass Bucky jede einzelne von Sams langen, dunklen Wimpern hätte zählen können.

„Aber eines kann ich dir mit absoluter Sicherheit sagen“, fuhr Sam fort, „nämlich dass sich Steve keinen einzigen Moment lang in dir geirrt hat.“

Bucky blinzelte.

„Du magst nervtötend und humorlos sein und mich regelmäßig in den Wahnsinn treiben...“ An dieser Stelle lächelte Sam schwach. „... aber du bist auch der beste Partner, den ich mir für diese Sache wünschen könnte, und du wirst es immer wert sein, gerettet zu werden, Bucky.“

Bucky blinzelte erneut. Etwas schien ihm ins Auge geflogen zu sein, anders konnte er sich nicht erklären, wieso er plötzlich ständig blinzeln musste.

„Und um ganz ehrlich zu sein?“ Sam stieß ihn sacht mit der Schulter an. „Es wäre verdammt schade, würden wir uns danach tatsächlich nie wieder sehen.“

Okay, er hatte definitiv was im Auge.

Aber falls Bucky die Hand hob, um sich unauffällig mit dem Handrücken über die Augen zu wischen, dann kommentierte es Sam nicht weiter.

Soldier

„Hey, Sam.“

Buckys Stimme erklang in seinem Ohr und Sam hob den Kopf und sah über die ausgestellten Kunstwerke und die Menschen, die im lauten Beat der Musik zwischen ihnen tanzten, hinweg. Schließlich entdeckte er Bucky, der am anderen Ende des Raumes an der Bar lehnte und ihm kurz zuwinkte, als ihre Blicke sich trafen.

„Was gibt es?“, fragte Sam. „Hast du was entdeckt?“

„Können wir uns kurz in Ruhe unterhalten?“, hörte er Bucky über den Intercom. „Ich warte auf der Toilette auf dich.“

Und ohne Sams Antwort abzuwarten, stieß er sich vom Bartresen ab und steuerte durch die Menge auf die Toiletten zu.

Sam sah ihm stirnrunzelnd nach. Dann blickte er sich nach Zemo um. Er fand ihn bereits nach wenigen Sekunden in Sharons Nähe vor einem der Gemälde stehen, einen Drink in der Hand. Zemo inspizierte das Bild gründlich, so als wollte er sich von seiner Echtheit überzeugen, und machte nicht den Eindruck, als hatte er vor, in den nächsten fünf Minuten das Weite zu suchen.

Sam seufzte.

„Ich bin gleich da“, erwiderte er, dann folgte er Bucky zu den Toiletten.

Er war kaum in den kleinen Vorraum mit den Waschbecken getreten, als Bucky auch schon die Tür hinter ihm schloss, um die laute Clubmusik auszublenden.

„Ist alles okay?“, fragte Sam und sah ihn mit zunehmender Sorge an.

„Ob alles okay ist?“, erwiderte Bucky und hob eine Augenbraue. „Dasselbe könnte ich dich fragen, Mann. Seit den Ereignissen in der Bar bist du angespannt und rastlos, und ich weiß nicht, wieso. Was ist los mit dir?“

Sam starrte ihn an.

Bucky hatte Recht: er war in der Tat seit Stunden angespannt. Aber das hatte nichts mit Sam zu tun, sondern zu hundert Prozent mit Bucky.

„Wie kannst du nur so ruhig sein?“, fragte er schließlich, anstatt Bucky eine direkte Antwort zu geben, und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich meine, ich weiß, dass es zum Plan gehört hat – jedenfalls teilweise – aber hat es dir wirklich gar nichts ausgemacht, was in der Bar passiert ist?“

Denn Sam hatte es definitiv etwas ausgemacht.

Bucky einmal mehr in seine alte Rolle als Winter Soldier schlüpfen zu sehen, war für ihn nur schwer zu ertragen gewesen. Die beiläufige Art, mit der Zemo ihn rumkommandiert und angefasst hatte, als wäre Bucky nur ein seelenloses Ding? Nur eine Marionette ohne Gefühle und eigenen Willen, einzig und allein dafür geschaffen, anderen Schmerz zuzufügen?

Sam hatte die ganze Zeit über so fest die Zähne zusammenbeißen müssen, damit ihm keine falsche Bemerkung rausrutschte, dass sein Kiefer immer noch schmerzte.

Bucky schien sein Gemütszustand jedoch völlig kalt zu lassen.

„Ich hatte es unter Kontrolle, Sam“, erwiderte er ruhig. „Und wie du schon sagtest: es gehörte zum Plan. Falls du dir also Sorgen machst, dass Zemo meine Programmierung wieder aktiviert hat, kann ich dich beruhigen. Diese Zeiten sind endgültig vorbei.“

„Das weiß ich“, sagte Sam und ein Hauch von Frustration schwang in seiner Stimme mit. „Ich mache mir auch keine Sorgen um deine Programmierung, verdammt, ich mache mir Sorgen um dich!“

Mit diesen Worten schien Bucky nicht gerechnet zu haben, denn ein Ausdruck der Überraschung legte sich auf sein Gesicht, während er den Mund mehrmals öffnete und wieder schloss, ohne ein Wort hervorzubringen.

„Ich hatte Angst, dass Zemos Plan unangenehme Erinnerungen hervorrufen würde“, fuhr Sam sanft vor und machte langsam einen Schritt auf Bucky zu. „Die Art, wie er mit dir gesprochen hat, wie er dich berührt hat... es war so entmenschlichend. Ich hatte einfach Sorge, dass es dich verletzen würde, gerade nach den letzten Monaten und nach all deiner harten Arbeit, dir wieder ein normales Leben aufzubauen.“

Und endlich schien Bucky zu verstehen.

Sam sah, wie die Irritation auf seinem Gesicht langsam verschwand und einem schwachen Lächeln wich.

„Das ist...“ Bucky suchte für einen Moment nach Worten. „... sehr aufmerksam von dir. Aber es geht mir gut, Sam. Wirklich. Situationen wie diese machen mir keine Freude, aber ich bin schon lange über den Punkt hinweg, an dem sie mich triggern können. Das war ich schon in Wakanda. Glaub mir, du musst dir keine Sorgen um mich machen.“

Sam sah Bucky lange an, doch er entdeckte nichts als Offenheit und eine tiefe Ruhe in seinen grauen Augen.

Langsam atmete er aus, und mit seinem Atem schien auch endlich die Anspannung von ihm zu weichen.

Schließlich nickte er.

„Okay“, sagte er. „Ich glaube dir. Tut mir leid, dass ich dir in der Hinsicht nicht genug vertraut habe.“

Doch Bucky winkte nur ab.

„Schon okay“, meinte er. „Ich gebe zu, es hat sich auch für mich seltsam angefühlt, wieder den Winter Soldier zu spielen.“

Er senkte den Blick. „Damals habe ich nie darüber nachgedacht, wie ich auf diejenigen wirken muss, die Zeugen meiner Konflikte werden, weil es mich nie interessiert hat. Aber als sie mich vorhin alle angestarrt haben...“

Er schauderte kurz.

„Hey“, sagte Sam und streckte eine Hand aus, um sie an Buckys Wange zu legen. „Scheiß auf diese Leute. Sie haben keine Ahnung, wer du wirklich bist. Und sie haben auch kein Anrecht darauf, es zu erfahren.“

Er schenkte Bucky ein aufmunterndes Lächeln, dann ließ er die Hand sinken und klopfte ihm auf die Schulter.

„Und jetzt lass uns gehen“, fuhr er fort. „Wir haben einen Job zu erledigen.“

Bucky nickte knapp, doch um seine Mundwinkel spielte ein kleines Lächeln.

Und gemeinsam traten sie wieder in den Club hinaus.

Maintenance

Bucky krümmte vorsichtig die Finger.

Ein leises Surren war zu hören, als sich winzige Zahnräder bewegten, und langsam spannten und entspannten sich seine mechanischen Muskeln. Die neurale Verbindung zwischen seinem Körper und dem Arm schien bei der letzten Konfrontation nicht gelitten zu haben, was Bucky als Erfolg verbuchte.

Was ihm jedoch etwas Sorgen machte, war sein Ringfinger, der sich nicht mehr gänzlich krümmen ließ. Vermutlich blockierte etwas die empfindlichen Mechanismen unter der dunkel schimmernden Vibraniumhülle; Bucky tippte auf Sand oder kleine Steinchen, die bei der Explosion des Labors und dem anschließenden Schusswechsel unter die dünnen Plättchen gerutscht waren.

Und erfahrungsgemäß war es eine Qual, sie wieder zu entfernen.

Bucky seufzte und wollte gerade das kleine Etui aus seiner Jackentasche ziehen, in dem er die Werkzeuge aufbewahrte, mit denen er für gewöhnlich seinen Arm reparierte, als er den Blick dunkler Augen auf sich spürte.

Seine Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. Sam schien ihn schon seit einer Weile voller Faszination bei seinen Wartungsarbeiten zu beobachten.

Und wer war Bucky, ihn davon auszuschließen?

„Wer ist jetzt derjenige, der starrt?“, fragte er leise und sah kurz auf, so dass sich ihre Blicke für einen Moment trafen. „Komm her, wenn du dich nützlich machen willst, Wilson.“

Sam zögerte, doch nur für einen Augenblick. Dann stand er auf und setzte sich auf den Sitz neben Bucky.

Bucky konnte ihm deutlich ansehen, wie es ihm in den Fingern juckte, die Hand auszustrecken und den Arm zu berühren, doch Sam war viel zu gut erzogen, als dass er ihn ohne sein Einverständnis anzufassen wagte.

Stattdessen riss er den Blick von Buckys Arm los und sah ihm in die Augen.

„Was kann ich tun?“, fragte er, denn wenn Sam eines mit Steve gemeinsam hatte, dann war es sein gottverdammter Helferdrang.

Bucky zog das Werkzeugetui aus seiner Jacke und reichte es ihm.

„Es sind zwei Pinzetten hier drin, die wirst du beide brauchen“, entgegnete er.

„Mh“, machte Sam, bevor er Buckys Anweisung folgte und die Pinzetten aus dem Etui hervorholte.

„Vertraust du mir etwa mit deinem sündhaft teuren Vibraniumarm?“, fragte er dann amüsiert. „Solltest du mich vorher nicht erst mal zum Abendessen einladen oder so?“

Bucky schnaubte leise.

„Du bist ein Idiot, Wilson“, murmelte er, aber nicht ohne Zuneigung.

Dann hob er seine Vibraniumhand und wackelte kurz mit seinem Ringfinger.

„Irgendwas klemmt da drin fest und blockiert den Mechanismus“, erklärte er. „Bitte tu mir den Gefallen und heb mit der Pinzette das Plättchen über dem zweiten Fingerknöchel an, schau nach, was sich darin verkeilt hat und fisch es mit der anderen Pinzette wieder raus.“

Sam nickte.

„Danke.“ Langsam atmete Bucky aus und lehnte sich zurück, die Vibraniumhand entspannt auf das Sitzpolster zwischen ihnen gelegt.

„Keine Ursache“, entgegnete Sam leise und zog dann mit der Pinzette vorsichtig das hauchdünne Vibraniumplättchen nach oben. „Ich sollte eher dir dafür danken, dass du mir so viel Vertrauen entgegenbringst. Das kann nicht einfach sein, erst recht nicht nach einem Tag wie diesem.“

„Ich müsste es nicht tun“, stimmte Bucky ihm zu. „Für gewöhnlich erledige ich alle Reparaturen am Arm allein.“

Sam warf ihm einen Blick zu und hob vielsagend eine Augenbraue.

„Aber jetzt bist du hier und du hast dich im Großen und Ganzen bisher als kompetent erwiesen“, fuhr Bucky fort, einen neckenden Unterton in der Stimme. „Ich wäre ein Idiot, würde ich mir deine Fähigkeiten nicht zunutze machen.“

Sam beäugte kritisch die komplexen, inneren Mechanismen von Buckys Ringfinger, doch er konnte ein kleines Lächeln dabei nicht verbergen.

„Ist das etwa ein Lob, Buck?“

„... uuuund damit hast du deine Privilegien auch schon wieder verspielt.“ Bucky lachte leise auf.

„Weil ich dich Buck genannt habe?“, fragte Sam.

„Jepp.“

„Eines Tages, ich schwöre...“ Sam seufzte.

„Träum weiter, Wilson.“

Sam grinste, dann stieß er plötzlich einen triumphierenden Laut aus und zog mit der zweiten Pinzette einen Metallsplitter zwischen zwei ineinander verkeilten Zahnrädchen hervor.

„Jackpot!“

Er legte die Pinzetten beiseite und das Vibraniumplättchen schob sich wieder schützend über Buckys Finger.

„Besser?“, fragte Sam und sah ihn erwartungsvoll an.

Bucky sah auf seine Finger herab und ballte probehalber seine Hand zur Faust. Alle Gelenke arbeiteten mit der gewohnten Geschmeidigkeit.

„Besser“, erwiderte er und sah Sam in die Augen, ein Lächeln auf den Lippen. „Danke noch mal.“

Doch Sam winkte nur ab und stand wieder auf. „Keine Ursache, Buck.“

Bucky warf ihm als Antwort das Tuch ins Gesicht, mit dem er zuvor seine Vibraniumfinger gereinigt hatte.

Sam lachte nur.

„Ich hasse dich“, grummelte Bucky.

Doch als sich ihre Blicke trafen, wusste er, dass Sam ihm diese Worte mittlerweile genauso wenig abkaufte, wie Bucky selbst.

Loyalty

Sie hatten Zemo verloren.

Obwohl sie die umliegenden Straßen und Gassen nach dem Kampf gegen die Dora Milaje schnell und effizient nach ihm abgesucht hatte, fehlte jede Spur von ihm, und schließlich gaben sie auf und trafen sich wieder in seinem Apartment.

„Das hätte wesentlich besser laufen können“, murmelte Bucky und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, während er den Blick über das zerstörte Mobiliar schweifen ließ.

„Wem sagst du das“, meinte Sam und ließ sich seufzend auf die Couch sinken. „Aber mit Walkers Einmischung hat keiner von uns gerechnet. Dank ihm sind wir nun wieder bei null.“

„Ja“, sagte Bucky mit ungewöhnlich rauer Stimme und Sam warf ihm einen besorgten Blick zu.

Der Ausdruck auf Buckys Gesicht war eine Mischung aus Schmerz, Trauer und Wut, die sich Sam trotz der Umstände nicht ganz erklären konnte.

„Alles okay?“, fragte er behutsam. Und fügte nach kurzem Nachdenken hinzu: „Was macht der Arm?“

Die Frage schien Bucky für einen Moment aus seinen Gedanken zu reißen und sein Blick fiel auf die schwarz-goldenen Vibraniumplatten, die sich mit leisem Klacken wellenförmig seinen Arm hinunter verschoben, bevor sie wieder zur Ruhe kamen. Nicht zum ersten Mal fragte sich Sam, ob dies eine bewusst von Bucky gelenkte Bewegung war oder ein automatischer Prozess der komplexen Mechanik. Es gab noch immer vieles, was er nicht über diesen Teil von Bucky wusste – doch wie sich heute gezeigt hatte, war er offenbar nicht der einzige.

„Er funktioniert“, erwiderte Bucky kurz angebunden, als wollte er nicht mehr zu diesem Thema sagen.

Und normalerweise würde es Sam auch dabei belassen, wäre da nicht immer noch dieser niedergeschlagene, verletzte Ausdruck auf Buckys Gesicht.

„Das war nicht meine Frage und das weißt du auch“, sagte er leise.

„Sam...“, begann Bucky warnend, doch ohne wirkliche Schärfe dahinter, und Sam fuhr fort:

„Die Begegnung mit...“ Wie war noch mal ihr Name? „... Ayo hat dich völlig aus der Bahn geworfen, Buck. Ich mache mir lediglich Sorgen um meinen Partner.“

Bucky öffnete den Mund, um zu widersprechen, und Sam hob schnell die Hände.

„Sorry! Sorry. Um meinen Kollegen, meine ich.“

Sam konnte nicht leugnen, dass es ein wenig schmerzte, dass Bucky sich so vehement weigerte, ihn als Partner zu bezeichnen, auch wenn sie technisch gesehen welche waren. Aber das lag vermutlich daran, dass der letzte Mensch, den Bucky als Partner betrachtet hatte, Steve Rogers gewesen war – und das allein war eine ganz eigene Kiste voller Leid und Schmerz und Verlust, und Sam würde sich hüten, sie auch nur zu berühren.

Bucky schien für eine Weile mit sich selbst zu kämpfen, hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, sich Sam anzuvertrauen, und seiner Angewohnheit, seinen Schmerz in sich hineinzufressen, und Sam versuchte nicht, ihn in die eine oder die andere Richtung zu drängen, sondern wartete geduldig, bis er eine Entscheidung getroffen hatte.

Doch schließlich siegte der Teil von Bucky, der reden wollte, und mit einem Seufzen ließ sich Bucky neben Sam auf die Couch sinken. Ein warmes Gefühl machte sich in Sam breit: Stolz. Er war stolz auf den anderen Mann – darauf, dass es ihm immer leichter fiel, sich mitzuteilen, wenn es ihm schlecht ging. Denn niemand wusste besser als Sam, was für ein langwieriger Prozess es sein konnte, nach einer traumatischen Erfahrung wieder Zugang zu seiner eigenen Gefühlswelt zu finden und diese in Worte zu fassen.

„Ich hätte Ayo nicht herausfordern sollen“, sagte Bucky. „Ich wünschte, wir wären uns nicht auf diese Weise wiederbegegnet. Zwischen den Operationen in Wakanda war sie stets für mich da und sie hat mich auch während des Heilungsprozesses danach noch begleitet, obwohl sie es nicht hätte tun müssen. Ich habe ihr viel zu verdanken.“

„Du machst dir Sorgen, dass die Sache mit Zemo eure Freundschaft zerstört hat“, vermutete Sam.

Buckys Mundwinkel zuckte kurz.

„Freundschaft ist das falsche Wort, wenn es um die Dora Milaje geht“, erwiderte er. „Ihre Loyalität gilt einzig und allein dem König von Wakanda.“

Er lehnte den Kopf zurück und starrte an die Decke. „Aber ja, ich befürchte, dass ich es mir spätestens jetzt mit ihr verdorben habe. Das hat die Sache mit dem Arm nur zu deutlich bewiesen. Sie hätte mich in Wakanda jederzeit auf diese Weise kampfunfähig machen können, sie hatte bis dahin nur keinen Grund dafür, weil sie mich nie als Feind betrachtet hat. Jetzt hingegen...“

„Bucky.“

Der andere Mann drehte Sam das Gesicht zu und sah ihn müde an.

Sam musste dem Drang widerstehen, die Hand zu heben und mit dem Daumen die Sorgenfalten zwischen Buckys Augenbrauen glattzustreichen.

„T’Challa hat dir damals aus freien Stücken seine Hilfe angeboten“, sagte er stattdessen. „Ebenso wie Ayo. Ich verstehe, dass du das Gefühl hast, ihnen etwas schuldig zu sein, aber... das bist du nicht. Und so, wie ich T’Challa einschätze, würde er das auch nicht wollen. Nicht, nachdem er ein Heer von Wissenschaftlern damit beauftragt hat, dir deine Autonomie zurückzugeben.“

Er schenkte Bucky ein Lächeln. „Es ist dein gutes Recht, eine andere Haltung zu haben, als Wakanda, und andere Entscheidungen zu treffen, als das Königreich sie treffen würde. Das mag Ayo nicht gefallen, aber Buck... das ist nicht dein Problem.“

Bucky starrte ihn für einen Moment an, doch schließlich konnte Sam sehen, wie sich seine Züge etwas entspannten.

„Du hast Recht“, murmelte Bucky. „So habe ich das bisher nicht betrachtet.“

„Das liegt daran, dass du ein Idiot bist“, stichelte Sam voller Zuneigung, jetzt, da sich die Unterhaltung wieder auf sicherem Terrain bewegte.

Und dass du mehr fühlst, als du es dir selbst jemals eingestehen würdest.

Aber das sprach er nicht aus.

Doch als er Buckys warmes Lächeln sah, war er sich nicht länger sicher, ob der andere Mann ihn nicht vielleicht doch gehört hatte.

Legacy

Bucky starrte auf den Schild an seinem Arm herab.

Die vertraute, glatte Oberfläche reflektierte das Licht in Rot, Blau und Silber, unterbrochen nur von dem Blut, das am unteren Rand klebte – eine deutliche Erinnerung daran, dass der Schild nicht nur als Schutz verwendet werden konnte.

Hinter ihm gab Walker ein leises Stöhnen von sich, doch er stand nicht noch mal auf.

Besser so, dachte Bucky grimmig.

Dann sah er auf Sam herab, der noch immer am Boden lag und nach Atem rang. Er sah mitgenommen aus, aber er hatte sich erfolgreich gegen Walker behaupten können und keine größeren Verletzungen davongetragen.

Bucky starrte in Sams schmerzerfüllte Augen.

Sam war ein guter Mann, der beste Mann, den Bucky kannte, seitdem Steve sie verlassen hatte. Und es wollte ihm einfach nicht in den Kopf, wieso Sam es eher zuließ, dass jemand anderes – jemand weniger Gutes – die Rolle von Captain America übernahm, als sie für sich selbst zu beanspruchen.

Denn Bucky wollte sie nicht. Er war noch immer zu kaputt für diese Welt. Zu rau und unbequem und unberechenbar.

Er hatte zu Sam gesagt, dass er den Schild nehmen würde, bevor Walker es tat, aber die Wahrheit war, dass er ihn nicht wollte. Die Wahrheit war, dass er niemanden außer Sam mit diesem Schild am Arm sehen wollte.

Und Sam wollte ihn auch nicht.

Sam wollte den Schild nicht, das hatte er mittlerweile oft genug klargestellt.

Und ob es Bucky gefiel oder nicht, er musste diese Entscheidung respektieren.

Also stellte er ihm ein Ultimatum.

Er ließ den Schild neben Sam auf den staubigen Boden der Fabrik fallen, ohne den Blick dabei von seinem Partner abzuwenden.

Triff deine Entscheidung, dachte er. Jetzt oder nie. Dies ist der Moment der Wahrheit.

Dann drehte er sich um und verließ die Fabrik. Wie auch immer Sam sich entschied, Bucky wollte nicht dabei sein.

 

Es vergingen fast zehn Minuten, bis ein leises Rumpeln ertönte und sich das Tor der Fabrikhalle öffnete.

Bucky, der neben dem Ausgang an der Wand lehnte, hob den Blick.

Sam trat in den Regen hinaus, einen Ausdruck von Gram und tiefer Erschöpfung auf dem Gesicht. In der Hand hielt er den Schild.

Bucky starrte ihn an. Er hatte erwartet, beim Anblick von Steves Schild in Sams Händen irgendetwas zu fühlen. Freude oder Erleichterung... vielleicht sogar Hoffnung.

Doch da war nichts.

Vielleicht war es doch nicht das weltbewegende Ereignis, das er sich erhofft hatte. Oder vielleicht war er im Moment auch einfach zu müde, um überhaupt etwas zu fühlen.

Und vielleicht spielte es auch einfach keine Rolle, was er dachte.

Bucky bemerkte das Blut an Sams Händen und am Schild, und plötzlich kam er sich vor wie ein Arschloch.

Sam hatte in den letzten Stunden genug durchgemacht und alles, woran Bucky hatte denken können, war der verdammte Schild. Als wäre Sam weniger wert.

„Gib mir das“, sagte er leise und nahm Sam den Schild aus der Hand, um ihn an die Wand der Fabrikhalle zu lehnen.

Dann trat er auf Sam zu und zog ihn in seine Arme.

Für einen Moment war der andere Mann völlig reglos, doch als er merkte, dass Bucky nicht vorhatte, ihn so schnell wieder loszulassen, wich die Spannung aus seinen Schultern und er ließ sich erschöpft in seine Arme sinken.

Bucky legte das Kinn auf Sams Schulter und strich langsam über seinen Rücken, auf und ab, auf und ab.

Er sprach kein Wort, denn was hätte er in diesem Moment auch sagen können?

Dass alles wieder gut werden würde? Dass sie es schon irgendwie aus dieser Katastrophe heraus schaffen würden? Selbst wenn er daran glaubte – und das tat Bucky im Moment noch nicht – wären es doch nichts als leere Phrasen. Und Sam hatte Besseres verdient.

Als sie sich mehrere Minuten später schließlich wieder voneinander lösten, nahm Bucky den Schild in die eine und Sams Handgelenk in die andere Hand und zog seinen Partner mit sich.

Es regnete noch immer und während sie über das verlassene Industriegelände liefen, entdeckte Bucky eine Reihe von alten Blecheimern, in denen sich das Regenwasser angesammelt hatte.

Er legte den Schild ab und nahm Sams Hände in die seinen, um sie in das klare Wasser zu tauchen. Langsam und sorgfältig wusch er das Blut von jedem einzelnen Finger, bis nichts mehr davon zu sehen war.

Er sah Sam dabei nicht in die Augen. Er konnte seinen Blick die ganze Zeit über auf sich spüren, doch er wusste nicht, wie er reagieren würde, sollte er ihn erwidern. Er wusste nicht, ob er bereit war für die Gefühle in Sams Augen.

Als Bucky fertig war, ließ er Sams Hände wieder los und griff nach dem Schild, um auch ihn von den Überresten des Blutes zu befreien.

Und mit jeder Handvoll Wasser, die er aus dem Eimer schöpfte, um die Oberfläche reinzuwaschen, wurde Bucky wieder ein wenig leichter ums Herz. Fast als würde er mit dem Blut auch seine eigenen Zweifel und Schuldgefühle fortwaschen.

Schließlich war der Schild wieder sauber, und ohne Sam anzusehen, drückte Bucky ihn gegen seine Brust.

„Hier“, sagte er mit rauer Stimme. „Ich hoffe, du verlegst ihn nicht wieder.“

Zögernd nahm Sam den Schild an sich.

„Buck...“, begann er und es war ein Unterton in seiner Stimme, den Bucky nicht zu genau analysieren wollte.

„Später“, unterbrach er ihn stattdessen und wandte sich ab. „Rede du mit deinen Leuten und Sharon, ich gehe derweil die örtliche Polizei informieren. Und dann gehe ich duschen.“

„... okay“, sagte Sam leise. „Bis später.“

Dann trennten sich ihre Wege.

Alive

Glassplitter knirschten unter seinen Schuhsohlen, als er durch den dunklen Korridor schritt.

Bucky ignorierte die Räume, die beiderseits des Ganges lagen, und hinter deren geöffneten Türen nichts als kalte, lichtlose Schwärze lag.

Er suchte jemanden...

Bucky blinzelte.

Sam. Er suchte Sam. – Seinen Freund Partner Teamkollegen, der ohne ihn vorgelaufen war und nicht auf Rückendeckung gewartet hatte. Er musste noch immer irgendwo hier sein, da war sich Bucky ganz sicher.

Doch es war zu still und das machte Bucky Sorgen. Es war nie still, wenn Sam da war.

Weiter vorn öffnete sich plötzlich mit leisem Knarren eine Tür und schwacher Lichtschein erhellte den Korridor.

Bucky zögerte kurz, dann trat er langsam auf sie zu.

Seine Anspannung nahm immer mehr zu, je mehr er sich der offenen Tür näherte. Ihn überkam eine ungute Vorahnung und als er sie schließlich erreicht hatte, wusste er plötzlich mit absoluter Sicherheit, dass ihn etwas Schreckliches dahinter erwarten würde.

Doch obwohl ihm das Herz bis zum Hals klopfte und kalter Schweiß seinen Nacken herabrann, machte Bucky einen letzten Schritt und trat hindurch.

Und er sah...

Sam.

... Sam, der an eine Säule gelehnt auf dem Boden saß, reglos und in sich zusammengesunken.

Blut lief aus seinem Mundwinkel und sein Brustkorb bewegte sich nicht.

„Nein“, murmelte Bucky und schüttelte vehement den Kopf, als könnte er damit ungeschehen machen, was passiert war. „Nein, nein, nein... Sam! – Sam, nein...”

Er trat auf den anderen Mann zu und sank vor ihm auf die Knie.

„Sam, wach auf!“, flehte er und legte die Hände auf seine Schultern, um ihn zu schütteln. „Sam, bitte...! Bitte mach die Augen auf...!“

Doch sein Freund Partner Teamkollege rührte sich nicht und Bucky wusste mit einem Mal, dass er es auch nie wieder tun würde.

Bucky!

Bucky sprang vor Schreck auf und sah sich mit panisch geweiteten Augen um.

Plötzlich waren die Säule und Sam verschwunden und der Raum um ihn herum war sehr viel kleiner geworden.

Hände griffen nach ihm und in dem Versuch, sie abzuwehren verhedderte er sich in seiner Decke und wäre fast aus seinem Bett gefallen.

Im letzten Moment konnte er sich am Bettkasten festhalten und sog gierig Sauerstoff in seine Lungen, während er sich desorientiert im Raum umsah.

Keine Armlänge von ihm entfernt saß Sam auf seinem eigenen Bett, nur mit T-Shirt und Sweatpants bekleidet, und musterte ihn besorgt im Licht seiner Nachttischlampe. Langsam kehrte Buckys Bewusstsein ins Hier und Jetzt zurück und er erkannte, dass sie sich in dem kleinen, traditionell eingerichteten Hotelzimmer befanden, in dem sie sich nach dem Desaster der letzten Stunden für die Nacht eingemietet hatten.

Doch die Tatsache, dass er lediglich schlecht geträumt hatte, konnte Bucky nicht beruhigen – nicht heute.

Nachdem seine Atemzüge tiefer und gleichmäßiger geworden waren und sein Herz aufgehört hatte zu rasen, als hätte er eine Verfolgungsjagd hinter sich, rutschte er sein Bett hinauf bis zum Kopfende und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, die Knie dicht an den Körper gezogen.

„Sorry, dass ich dich geweckt habe“, stieß er hervor, während er mit den Fingern durch seine verschwitzten Haare kämmte.

„Es ist okay“, erwiderte Sam leise. „Es tut mir leid, dass ich dich anfassen und wachrütteln musste, aber du hast um dich geschlagen und ich hatte Sorge, dass du dich verletzt.“

Die Bemerkung entlockte Bucky nur ein humorloses Lachen.

Für eine Weile schwiegen sie beide.

Dann erhob Sam wieder die Stimme.

„Wenn du darüber reden willst...“

„Nein!“, unterbrach Bucky ihn schroff – und bereute es sofort wieder, als er Sam kurz zusammenzucken sah.

Seufzend rieb er sich das Gesicht.

Er hatte keine Ahnung, wie er in Worte fassen sollte, wieviel Angst ihm der Traum gemacht hatte. Wieviel Angst ihm die Vorstellung machte, dass Sam ihn eines Tages auf diese Weise verlassen würde. Der Abschied von Steve hatte ihm bereits alles abverlangt; noch so einen Verlust würde Bucky nicht verkraften.

„Er war damals oft krank, weißt du“, erzählte Bucky schließlich mit rauer Stimme. Er musste es Sam irgendwie begreiflich machen. „Steve, meine ich. Vor dem Krieg und vor der Armee. Als wäre es nicht genug, dass er sich ständig in Gefahr brachte und ohne jeglichen Überlebensinstinkt in Auseinandersetzungen gestürzt hat...“

Er sah Sam nicht an, doch er spürte seinen Blick auf sich ruhen. Und es waren diese Aufmerksamkeit und Ruhe, die Bucky dabei halfen, seine Gedanken zu sortieren und seine Erzählung fortzusetzen.

„Im Winter 1938 hatte er eine Lungenentzündung. Er hat kaum Luft bekommen und er war so schwach, ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Ich konnte mich tagsüber nicht um ihn kümmern, weil ich arbeiten musste, damit wir was zum Essen hatten. Zwei Wochen lang kam ich jeden Abend heim, ohne zu wissen, ob er noch am Leben war. Es waren die schlimmsten zwei Wochen meines damaligen Lebens.“

Er schauderte bei der Erinnerung daran. Schon mit zwanzig hatte sich Bucky zehn Jahre älter gefühlt, als all seine gleichaltrigen Bekanntschaften, und das allein wegen Steve.

„Doch Steve überlebte, und dann kam das Serum“, fuhr er fort. „Und zum ersten Mal musste ich keine Angst mehr um ihn haben. Sicher, er war immer noch ein verrücktes Arschloch, das wahnsinnige Aktionen gebracht hat und sich und seinen Körper nicht geschont hat. Doch er war nicht mehr so schrecklich zerbrechlich und anfällig wie vorher. Und mit der Zeit habe ich gelernt, loszulassen und darauf zu vertrauen, dass er keinen Schaden nehmen würde, egal, wie gefährlich die Missionen auch waren, auf die wir uns begaben.“

Langsam hob er wieder den Kopf und sah Sam in die Augen.

„Und dann kamst du.“

Sam erwiderte für eine Weile reglos seinen Blick, doch schließlich trat ein Ausdruck des Verstehens auf sein Gesicht.

„Bucky, nein“, sagte er. „Du denkst doch nicht...?“

„So sehr ich Walker verachte“, unterbrach ihn Bucky und musterte Sam weiterhin, ohne zu blinzeln, „ich kann seine Reaktion heute fast nachvollziehen. Dieses Mal hat es Hoskins getroffen, und seitdem kann ich nicht aufhören, mir vorzustellen...“

Er schluckte. „Sam, das hättest du sein können.“

„Aber das war ich nicht“, erwiderte Sam leise.

„Sicher“, meinte Bucky. „Nicht dieses Mal. Aber vielleicht das nächste. Und wenn das passiert, dann Gnade demjenigen, der es getan hat, denn ich werde ihn verfolgen, und wenn es bis zum Ende der Welt ist.“

Und dann werde ich vielleicht Schlimmeres tun, als Walker es heute getan hat.

Aber das sprach er nicht aus. Es gab Dinge, die musste Sam nicht über ihn wissen. Jedenfalls nicht jetzt.

„Bucky...”

Sam stand auf und setzte sich auf die Kante von Buckys Bett.

„Du wirst mich nicht verlieren“, sagte er ruhig.

„Das kannst du nicht versprechen“, entgegnete Bucky heftiger, als beabsichtigt. Allein der Gedanke, dass die Bilder aus seinem Traum eines Tages Wirklichkeit werden könnten, weckte in ihm den Drang, dem anderen Mann die Flügel wegzunehmen und ihn zu Hausarrest auf Lebenszeit zu verurteilen.

Warum war ihm vorher nie bewusst gewesen, wie lächerlich einfach es war, Sam zu töten? Sam war nicht Steve; wenn er ohne Fallschirm aus einem Flugzeug fiel, dann würde er sich beim Aufprall sämtliche Knochen brechen, verdammt.

Sicher, Sam war erfahren und kompetent – so kompetent, dass Bucky oft vergaß, dass Sam keine Superkräfte hatte. Doch am Ende des Tages war auch er nicht mehr, als ein Mann mit einem Paar High-Tech-Flügeln.

„Nein“, stimmte Sam ihm zu und Bucky zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Das kann ich nicht. Aber ich kenne meine Stärken und ich kenne meine Grenzen, und wenn du mir vertraust, Buck, dann glaub mir wenigstens das. Das ist alles, was ich von dir verlange.“

Bucky schluckte.

„Ich...“

Und er kannte Sam mittlerweile lange genug, um zu wissen, dass dieser Teil der Wahrheit entsprach. Sam mutete sich nichts zu, von dem er sich nicht sicher war, dass er es leisten konnte. Dass er den Schild abgegeben hatte war dafür der beste Beweis.

„Ich vertraue dir“, sagte er schließlich.

Er streckte seine Beine wieder von sich, dann hob er die Hand und legte sie vorsichtig auf die von Sam.

Dieser verschränkte mit einem kleinen Lächeln ihre Finger miteinander, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, und mit einem warmen Gefühl im Bauch sah Bucky auf ihre Hände herab.

Dann schien sein Verstand für einen Moment komplett auszusetzen, denn er lehnte sich vor und presste seine Lippen auf die von Sam.

Der andere Mann war für einen Augenblick wie erstarrt, doch als Bucky gerade wieder zurückweichen wollte, hob Sam seine freie Hand und vergrub seine Finger in Buckys Haaren, um ihn festzuhalten, bevor er seinen Kuss erwiderte – methodisch und gründlich und mit Enthusiasmus, so wie alles andere auch, was er tat.

Und Bucky wusste, dass dies womöglich ein Fehler war, der ihre Beziehung für immer verändern würde, und dass sie über diesen Schritt würden reden müssen.

Doch für diesen einen Moment war Sam hier bei ihm – warm und lebendig und sicher – und als sie sich wenig später wieder hinlegten und Sam zu ihm ins Bett kletterte und seinen Arm um ihn schlang, schlief Bucky zum ersten Mal seit langem ohne weitere Alpträume.

Family

Es war eine sternenklare Nacht.

Die Sonne war schon vor einer Weile hinter den Bäumen im Bayou untergegangen und Myriaden von Sternen erhellten den Himmel. Wie so oft in Nächten wie diesen konnte man mit bloßen Augen das breite Band der Milchstraße erkennen.

Sam atmete tief durch, während er zu den Sternen hinaufsah, und genoss den vertrauten Geruch von Salzwasser, verrottendem Holz und frisch gemähtem Rasen – genoss das Gefühl von Heimat und Sicherheit, das sein Elternhaus und der Garten ihm gaben.

„Er ist nett“, hörte er plötzlich eine leise Stimme. Er senkte den Blick und sah Sarah an, die sich zu ihm gesellt hatte und sich neben ihm auf die Stufen der Veranda setzte, eine Bierflasche in der Hand.

Ihr Blick ruhte auf Bucky, der mit ihren beiden Söhnen vor einer Feuerschale stand, die sie auf dem Rasen aufgestellt hatten.

Alle drei hielten Stöcke in den Händen, an denen sie Marshmallows über der offenen Flamme rösteten, und hin und wieder flackerte das Feuer hell genug auf, dass Sam die ausgelassenen Mienen seiner Neffen sehen konnte, sowie den entspannten Ausdruck auf Buckys Gesicht. Für gewöhnlich waren die beiden Jungen um diese Uhrzeit schon im Bett, aber es war Freitagabend und sie hatten Besuch, weshalb Sarah ausnahmsweise mal ein Auge zugedrückt hatte.

Er konnte nicht hören, worüber die drei sich unterhielten, aber die Jungen brachen alle paar Minuten in lautes Gelächter aus und auch Bucky fiel hin und wieder mit ein.

Es war ungewohnt, ihn lachen zu hören, aber ganz sicher nicht unwillkommen. Sam hatte es immer geahnt, aber erst die letzten 24 Stunden hatten tatsächlich auch bewiesen, dass selbst Bucky unter den richtigen Voraussetzungen in der Lage war, sich zu entspannen.

„Hmm“, machte Sam, als ihm auffiel, dass seine Schwester noch auf eine Antwort wartete, und nahm einen Schluck von seinem Bier. „Er kann sehr charmant sein, wenn er will. Er will nur meistens nicht.“

Sarah stieß ein leises Schnauben aus. „Sei nicht so, Sam. Immerhin scheint er aufrichtig an deinem Wohl interessiert zu sein. Und nicht jeder deiner Freunde hätte sich angeboten, dir dabei zu helfen, das Boot wieder auf Vordermann zu bringen. Erst recht keiner von deinen Superheldenfreunden.“

Steve hätte sich ohne Zögern angeboten, wollte Sam sagen, doch er konnte sich im letzten Moment zurückhalten.

Steve Rogers war ein empfindliches Thema für sie beide. Für Sam aus, nun ja, offensichtlichen Gründen, und für Sarah, weil sie Steve nie wirklich verziehen hatte, dass Sam seinetwegen jahrelang auf der Flucht gewesen war.

„Ich gebe zu, er taugt mehr auf dem Gebiet, als ich erwartet hätte“, brummte Sam, und Sarah stieß ihn lachend mit der Schulter an.

„Du bist unmöglich“, entgegnete sie. „Er gibt sich Mühe und steht nicht nur nutzlos im Weg herum, und darauf kommt es an.“

„Wenn du meinst“, sagte Sam und lächelte.

Aber die Wahrheit war, dass sie Recht hatte.

Bucky schien tatsächlich zu wissen, was er tat – was Sinn machte, da sein Vater in der Armee gewesen war und Bucky in seiner Jugend viel Zeit in den Werften der US Navy in Brooklyn verbracht hatte, wie er Sam auf einem ihrer langen Flüge mal erzählt hatte. Er hatte als junger Mann dabei zugesehen, wie die gigantischen Schiffe der amerikanischen Streitkräfte für den Krieg gebaut wurden; ein kleines Fischerboot war nichts dagegen.

„Und ganz unattraktiv ist er auch nicht“, sprach Sarah nach einer Weile und Sam warf ihr einen amüsierten Blick zu.

„Wehe du flirtest mit Bucky, Sarah.“

Doch seine Schwester lachte nur und strich sich ihre Zöpfe über die Schulter.

„Ich bin eine erwachsene Frau, Sam Wilson, ich kann flirten mit wem ich will“, erwiderte sie mit einem Funkeln in den Augen.

Sam hob beschwichtigend die Hände. „Okay, okay! Ich habe nichts gesagt.“

„Das will ich auch hoffen“, fuhr Sarah fort. „Allerdings weiß ich aus sicherer Quelle, dass du genau dasselbe auch zu Bucky in Bezug auf mich gesagt hast.“

Sam stöhnte leise auf.

Er hätte Bucky nicht nur verbieten sollen, mit seiner Schwester zu flirten, er hätte ihm auch verbieten sollen, gänzlich mit ihr zu reden. Sam hätte wissen müssen, dass sich die beiden gegen ihn verschwören würden.

„Wenn ich es nicht besser wüsste“, sagte Sarah, die Augen wieder auf Bucky gerichtet, der gerade seinen heißen Marshmallow vom Stock zog, um ihn zu essen, „dann könnte man fast meinen, du wärst eifersüchtig.“

„Was, auf Bucky?“ Sam lachte auf. „Du bist meine Schwester, Sarah, Eifersucht wäre also ziemlich unangebracht in diesem Kontext, findest du nicht auch?“

„Ich habe nicht von Bucky gesprochen“, sagte sie und warf ihm einen vielsagenden Blick zu.

Sam starrte sie einen Moment lang reglos an, wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

Treffer, versenkt.

Dann stieß er erneut ein Lachen aus, aber es kam zu spät und klang zu künstlich, als dass seine Schwester es ihm auch nur für eine Sekunde abkaufte. „Das ist völliger Unsinn.“

Sarahs Augen weiteten sich.

„Oh mein Gott“, stieß sie hervor. „Du bist eifersüchtig!“

„Bucky ist mein Arbeitskollege, mehr nicht“, widersprach Sam, doch die Ausrede klang selbst in seinen Ohren lahm.

Sarah hob eine Augenbraue. „Das ist lustig, denn ich habe Augen im Kopf und mir ist nicht entgangen, wie du ihn ansiehst, wenn du glaubst, dass niemand es bemerkt.“

Sams Herz rutschte ihm mit jedem ihrer Worte tiefer in die Hose. Verdammt, war es wirklich so offensichtlich, wie er für seinen Partner empfand...?

Doch Sarah lächelte nur, als hätte Sam ihr soeben die Geheimnisse des Universums offenbart, und legte dann kameradschaftlich einen Arm um seine Schultern.

„Es ist okay, großer Bruder, ich werde es niemandem verraten“, sprach sie leise in sein Ohr. „Ich freue mich, dass es endlich wieder jemand geschafft hat, dir so den Kopf zu verdrehen. Und wenn es dir ein Trost ist: ich glaube, die Gefühle beruhen auf Gegenseitigkeit. Bucky ist nämlich auch nicht sehr subtil, was das Starren angeht...“

Und nach dieser völlig unerwarteten Offenbarung zog sie ihren Arm wieder zurück und stand auf.

„Okay, Jungs!“, rief sie ihren Söhnen zu. „Noch eine Runde Marshmallows, dann geht es ab ins Bett!“

„Aber Muuuuum...!“, riefen die Jungen wie aus einem Munde, doch Sarah verschränkte nur die Arme vor der Brust und starrte sie an. Sofort verstummten die beiden wieder und fügten sich seufzend in ihr Schicksal.

 

„Ist alles okay?“, fragte Bucky, nachdem Sarah und die Kinder im Haus verschwunden waren und Sam und er allein auf der Veranda saßen. „Du hattest zwischendurch so einen panischen Ausdruck auf dem Gesicht. Deine Schwester scheint ziemlich taff zu sein, ich hoffe, sie hat dich nicht zu sehr geärgert.“

Sam grinste schwach und trank den Rest von seinem Bier.

„Sarah mag eine ziemliche Naturgewalt sein, aber ich kann mich durchaus zur Wehr setzen“, erwiderte er.

Bucky lachte leise. „Ich verstehe.“

Für eine Weile saßen sie schweigend beisammen und sahen auf das dunkle Meer hinaus.

Es war ihr erster gemeinsamer, ruhiger Abend, seitdem dieses ganze Desaster begonnen hatte, und etwas sagte Sam, dass es auf absehbare Zeit auch ihr letzter sein sein würde. Was bedeutete, dass dies der geeignete Zeitpunkt war, um da anzuknöpfen, wo sie vor ein paar Nächten in Riga aufgehört hatten. Doch Sam wusste nicht, was er sagen sollte. Dafür beschäftigte ihn das Gespräch mit Sarah noch zu sehr.

Was er wusste war, dass er schon seit einer Weile Gefühle für seinen Partner hegte, die über Freundschaft hinausgingen. Als Bucky ihn dann plötzlich nachts in ihrem Hotelzimmer geküsst hatte, hatte Sam fast geglaubt, dass diese Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhten. Doch Bucky war in jenem Moment durch seinen Alptraum emotional sehr aufgewühlt gewesen und im Nachhinein war Sam sich nicht länger sicher, ob er in dieser Nacht nicht einfach nur die menschliche Nähe gebraucht hatte.

Doch wenn Sarah mit ihren Beobachtungen tatsächlich Recht hatte...

Sam schluckte.

Es war viele Jahre her, dass er Gefühle dieser Art für einen anderen Menschen entwickelt hatte. Riley war der letzte gewesen. Und nach seinem Tod hatte Sams Herz zu sehr geblutet, als dass jemand Neues Platz darin gefunden hätte.

Für eine Weile wäre es fast Steve geworden. Aber nur fast.

Und dann kam Bucky und brachte einen Haufen neuer Probleme – und Gefühle – mit sich.

„Ich gehe schlafen“, sprach Bucky mit einem Mal und erhob sich. „Habt ihr noch ein Bett oder eine Couch für mich? Notfalls nehme ich auch den Boden, das ist gar kein Problem...“

Er machte ein verwundertes Gesicht, als Sam nach seinem Handgelenk griff und ihn wieder zu sich auf die Stufen zog.

„Bleib noch einen Moment?“, bat Sam leise.

Bucky sah ihn mit unergründlicher Miene an.

Dann nickte er knapp. „Okay.“

„Danke.“

Sam sah erneut zum Sternenhimmel empor in der Hoffnung, dort Kraft zu finden.

Schließlich wandte er Bucky das Gesicht zu.

„Hast du es ernst gemeint?“, fragte er. „In Riga?“

Bucky blinzelte, dann senkte er den Kopf.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, murmelte er.

„Den Kuss“, sagte Sam ruhig. „Ich muss wissen, ob du es ernstgemeint hast. Ob dir das hier...“

Er zeigte mit dem Finger von sich auf Bucky und wieder zurück auf sich selbst.

„Ob dir das hier ernst ist.“

Bucky schwieg für eine Weile.

„Was ist, wenn ich ja sage?“, fragte er dann.

Sam seufzte leise.

„Ich brauche eine klare Antwort, Buck“, entgegnete er. „Ich würde das hier nämlich sehr gerne ernstnehmen. Aber ich mache keine halben Sachen, das würde mein Herz nicht verkraften.“

... da, er hatte es gesagt. Die Karten waren offen auf dem Tisch.

Jetzt blieb nur die Frage, was Bucky damit anfangen würde.

Der andere Mann starrte noch immer auf den Boden. Doch Sams Worte schienen ihre Wirkung nicht zu verfehlen, denn schließlich hob er wieder den Kopf und sah ihn an.

„Ja“, sagte er leise und es war eine solche Ruhe und Entschlossenheit in seinen Augen, dass Sams Nervosität sich langsam wieder legte. „Es ist mir ernst, Sam. Weil du mir wichtig bist und weil ich glaube, dass Freundschaft allein schon längst nicht mehr all das abdeckt, was ich für dich empfinde.“

Sam sah ihn lange Zeit an und suchte in seinen Augen nach irgendeiner Spur von Zurückhaltung oder Zweifel. Doch er fand nichts. Er hatte Bucky seine Seele offenbart – und Bucky ihm die seine.

Ein Lächeln trat auf Sams Gesicht.

„Okay“, murmelte er, dann hob er die Hände und legte sie an Buckys stoppelige Wangen, bevor er sich vorbeugte, um ihn zu küssen.

Buckys Augen fielen zu und er neigte den Kopf leicht zur Seite, während er den Kuss mit Fokus und Hingabe erwiderte. Und Himmel, er konnte küssen. Sam konnte sich plötzlich sehr gut vorstellen, dass Bucky damals zahllose Frauenherzen gebrochen hatte.

Leider schmeckte er auch nach Marshmallows und Bier, was eine furchtbare Kombination war, doch Sam küsste ihn trotzdem, denn Bucky hatte es trotz aller Widerstände geschafft, sich in sein Herz zu drängen, und Sam hatte nicht vor, ihn wieder gehen zu lassen.

 

Sam zögerte, nachdem sie – eine ganze Weile später – endlich ins Haus zurückgekehrt waren.

„Du kannst die Couch im Wohnzimmer nehmen“, sagte er, als sie vor seiner Zimmertür standen. „Oder du kannst in meinem Bett schlafen. Womit auch immer du dich wohler fühlst.“

Bucky sah für einen Moment ernsthaft versucht aus, ihm in sein Zimmer zu folgen... doch dann schüttelte er den Kopf.

„Ich hatte einen wundervollen Abend“, erwiderte er leise. „Mit einer wundervollen Familie, die mir das Gefühl gegeben hat, mit dazuzugehören. Das ist mehr, als ich mir hätte erträumen lassen können.“

Er trat auf Sam zu und presste einen Kuss auf seine Lippen.

„Nächstes Mal“, versprach er mit einem kleinen Lächeln. „Schlaf gut, Sam.“

Sam seufzte innerlich, doch er schluckte seine Enttäuschung schnell hinunter.

Es war in der Tat ein magischer Abend gewesen, und wenn Bucky hier eine Grenze zog, dann respektierte Sam das. Außerdem hatte er ihm ein nächstes Mal versprochen und es war ein Versprechen, an das Sam ihn erinnern würde.

„Gute Nacht, Buck“, erwiderte er darum nur, bevor er in sein Zimmer trat und die Tür hinter sich schloss.

Kaum war er allein, hob Sam die Hand und legte die Fingerkuppen an seine Lippen, auf denen er immer noch Buckys Kuss spüren könnte.

Nächstes Mal.

Sam lächelte.

Wenn er eines konnte, dann warten.

Cared For

Es war weit nach Mitternacht, als Sam ins Hotelfoyer trat.

Er grüßte die junge Frau an der Rezeption mit einem kurzen „Hi!“ und musste schmunzeln, als er keine Antwort bekam – zu sehr war sie damit beschäftigt, ihn mit offenem Mund anzustarren.

Sam ging in vollem Kostüm an ihr vorbei und betrat den Fahrstuhl, in der einen Hand den Koffer für seinen Anzug, in der anderen Hand den Schild.

(Sein Schild. Nicht länger der von Steve.)

Müde lehnte er sich gegen die Wand des Aufzugs, kaum dass sich die Kabinentüren geschlossen hatten.

Er war zu Tode erschöpft und sein Rücken und seine Arme schmerzten. So lange hatte er den Schild bisher noch nie am Stück getragen, und das spürte er nun mit jeder Faser seines Körpers. Und auch der Anzug war trotz all der filigranen Wundertechnik, die in ihm steckte, auf Dauer sehr viel schwerer, als Sam erwartet hätte.

Alles, wonach er sich nun sehnte, war, sich endlich wieder aus seiner Uniform zu schälen, mindestens für eine Viertelstunde unter der heißen Dusche zu stehen und danach in sein Bett zu fallen und für die nächsten acht Stunden zu schlafen.

– Oh, und Bucky.

Nach den Ereignissen des heutigen Tages sehnte er sich vor allem nach Bucky.

 

„Du musst kein Zimmer für mich buchen“, hatte Sam gesagt, als er Bucky vor zwölf Stunden angerufen hatte, um ihm mitzuteilen, wo und wann Karlis nächster Anschlag stattfinden würde. „Ich kann auch bei dir auf der Couch schlafen, das würde mir völlig reichen.“

„Ich habe keine Couch“, war Buckys trockene Antwort gewesen. „Oder auch nur ein Bett.“

Sam hätte wirklich nicht überrascht sein sollen, aber damit hatte er trotzdem nicht gerechnet. „... oh.“

„Ich werde ein Zimmer reservieren, Samuel.“

Buckys Tonfall hatte keinen Widerspruch zugelassen und so hatte Sam es aufgegeben, mit ihm zu diskutieren.

 

Als er nun aus dem Fahrstuhl trat und mit der Chipkarte, die Bucky ihm gegeben hatte, die Tür seines Hotelzimmers öffnete, wurde er mit gedimmten Lichtern und leiser Radiomusik begrüßt.

„Falls du dich von Sharon verabschieden wolltest: du hast sie um eine halbe Stunde verpasst“, teilte Bucky ihm mit, der mit übereinandergeschlagenen Beinen in einem Sessel am Fenster saß. „Wenigstens hat sie mir vorher erlaubt, sie wieder zusammenzuflicken.“

Sam sah sich im Zimmer um und entdeckte ein blutbeflecktes Handtuch, das über einer Stuhllehne hing und noch von Sharons Besuch zeugte.

„Wie geht es ihr?“, fragte er, während er den Koffer abstellte und seinen Schild an die Wand neben der Eingangstür lehnte.

Bucky zuckte mit den Schultern. „Sie wird es überleben.“

Seine grauen Augen musterten Sam aufmerksam von Kopf bis Fuß.

„Wie geht es dir?“, fragte er dann leise.

„Was soll ich sagen...“ Sam lächelte schwach und zog seine Stiefel aus. „Es war ein langer Tag.“

„Hmm“, machte Bucky.

In seinen Augen lag ein Ausdruck, den Sam nicht so recht identifizieren konnte.

Dann schien Bucky eine Entscheidung zu treffen, und er stand auf und trat auf ihn.

„Lass mich“, bat er, als Sam gerade damit anfangen wollte, den Anzug abzulegen.

Sam zögerte – aber nur kurz.

Dann nickte er und überließ Bucky die Führung.

Eine warme Hand legte sich auf seine Schulter und für einen langen, seltsam intimen Augenblick sah Bucky ihn einfach nur an. Dann glitten seine Finger hin zu Sams Hals und schließlich zu seinem Nacken, wo sie die versteckten Verschlüsse für den Anzug fanden.

„Du hast gute Arbeit heute geleistet“, sagte Bucky leise, während er langsam einen Knopf nach dem anderen öffnete und schließlich den Nackenschutz zusammen mit der Flugbrille über Sams Kopf zog und vorsichtig auf den Tisch legte.

„Danke“, murmelte Sam und schloss für einen Moment die Augen, als kühle Vibraniumfinger die Abdrücke nachfuhren, die die Brillenränder auf seinem Gesicht hinterlassen hatten.

Buckys vorsichtige Berührungen taten so gut.

„Ich weiß, dass du dir gewünscht hast, es würde anders ausgehen“, fuhr Bucky fort. „Aber diese Dinge unterlagen nicht deiner Kontrolle, Sam. Du hast getan, was du konntest.“

Seine Finger ertasteten den Reißverschluss an Sams Rücken und öffneten ihn langsam entlang seiner Wirbelsäule.

„Und die ganze Welt hat es gesehen. Sie alle haben gesehen, dass du Captain America bist.“

Bucky zog die Handschuhe von Sams Fingern, dann trat er hinter ihn und streifte den oberen Teil seines Anzugs über seine Schultern und seine Arme, erst auf der linken Seite, dann auf der rechten. Darunter trug Sam nur ein schlichtes T-Shirt, doch Bucky wies ihn an, die Arme zu heben, und zog es ihm ebenfalls aus.

„Ich bin so stolz auf dich“, sagte er dann und presste die Lippen auf Sams nackte Schulter. „Du warst unglaublich.“

Sam legte den Kopf in den Nacken und stieß ein Seufzen aus, als Bucky von hinten die Arme um ihn schlang und sich an ihn presste, während er weitere, kleine Küsse auf Sams Schultern und Hals verteilte.

Die sanften Liebkosungen taten mindestens ebenso gut, wie die Worte.

„Aber obwohl du dich ständig um alle anderen kümmerst, kümmert sich nie jemand um dich“, murmelte Bucky an seinem Ohr. „Bitte erlaub mir, mich um dich zu kümmern und dir zu zeigen, was für ein wundervoller Mensch du bist.“

„Bucky...“ Sam blinzelte. Die unerwarteten Worte rührten ihn zutiefst und er spürte, wie Tränen in seinen Augenwinkeln brannten.

Raue Fingerkuppen wanderten seinen Hals hinauf hin zu seinem Kinn und drehten sein Gesicht zur Seite.

„Denn du verdienst nichts als Liebe und Anerkennung, Sam.“

Sam schloss erneut die Augen, als sich Buckys warme, weiche Lippen auf die seinen legten. Er gab ein leises Stöhnen von sich, als sich ihr Kuss nach einer Weile vertiefte und Bucky herausfordernd an seiner Unterlippe knabberte, bevor seine Zunge in Sams Mund glitt.

So gefangen nahm ihn der andere Mann mit seinem Kuss, dass Sam nur am Rande mitbekam, wie Bucky die Hände unter seinen Gürtel schob und ihm den schweren Stoff seiner Hose über Hüfte und Oberschenkel streifte.

Schließlich hatte Bucky ihn von seinem Anzug befreit und bis auf seine Boxershorts war Sam völlig nackt. Doch obwohl ihn die kühle Luft der Klimaanlage frösteln ließ, wollte er sich noch nicht von Bucky lösen.

„Bleib“, murmelte er gegen seine Lippen.

Er konnte spüren, wie Bucky lächelte.

„Keine Sorge.“ Der andere Mann löste sich von ihm und sah ihn an, und die vielen Emotionen in seinen Augen – Hoffnung und Stolz, Hingabe und Liebe – raubten Sam für einen Moment den Atem. „Das hatte ich vor.“

Dann nahm er Sams Hand und zog ihn mit sich ins Bad, um mit ihm zu duschen.

 

Und wie sich im Laufe des Abends herausstellte, sollte es nicht nur bei einem Mal Duschen bleiben.

Homecoming

„Was ist das?“

Bucky blickte auf und sah Sam mit einem frechen Lächeln entgegen.

Bewusst langsam hob er seine Vibraniumhand, um seine Sonnenbrille hochzuschieben.

„Was?“, fragte er. „Meinst du etwa meine kulinarische Meisterleistung?“

Sam lachte auf.

„Meisterleistung?“, erwiderte er. „Bist du sicher? Es sieht aus, als wäre es dir in der Mikrowelle explodiert.“

Bucky machte eine gespielt gekränkte Miene.

„Willst du etwa meinen Kuchen beleidigen? Ist es das, worauf das hier gerade hinausläuft?“

Er sah das herausfordernde Funkeln in Sams Augen, das ihm klar machte, dass Sam es genau darauf anlegte, doch bevor der andere Mann eine Antwort geben konnte, mischte sich Sarah ein, die bis dahin unbeteiligt danebengestanden und ihrer Unterhaltung amüsiert zugehört hatte.

„Sei nicht so, Sam“, sagte sie und schenkte Bucky ein Lächeln. „Ich bin mir sicher, Bucky hat sich große Mühe gegeben.“

„Autsch“, meinte Bucky und legte sich die Hand auf die Brust. „Ich weiß nicht, wie das heutzutage so ist, aber als ich damals zur Schule ging, war ‚hat sich bemüht‘ nicht mehr als ein Synonym für schlechte Arbeit.“

„Tja, nun.“ Sam lehnte sich an den Tisch und grinste. „Sieht aus, als hätte sich zumindest diese Bedeutung in den letzten hundert Jahren nicht geändert.“

Sam!“ Sarah lachte auf. „Du bist ein furchtbarer Freund.“

„Der furchtbarste“, stimmte Bucky ihr zu und seufzte theatralisch. „Du hast keine Ahnung, was ich mir jeden Tag von ihm anhören muss.“

„Aber im Ernst, Mann“, sagte Sam kopfschüttelnd, „deine Mühe in allen Ehren, aber dein Kuchen sieht aus, als hättest du eine Handvoll Oreos in einen Berg aus Sahne gesteckt.“

Bucky rümpfte die Nase. „Er ist vielleicht nicht schön, aber dafür einzigartig.“

„Das mag sein, aber ich muss wissen, ob ich ihn guten Gewissens den Kindern anbieten kann, oder ob ich sie damit vergifte.“

„Wieso glaubst du, dass ich nicht backen kann? Außerdem sind es die inneren Werte meines Kuchens, die zählen.“

„Oh mein Gott, ihr zwei bringt mich noch ins Grab“, seufzte Sarah, bevor sie nach einem Messer griff, ein kleines Stück von Buckys Kuchen abschnitt und es sich in den Mund schob.

Während sie kaute, wurden ihre Augen immer größer.

„Sarah...?“, fragte Sam und trat auf sie zu, einen Anflug von Sorge im Blick. „Ist alles okay?“

„Ob alles okay ist?!“, erwiderte sie schließlich und griff nach dem Messer, um sich ein zweites, wesentlich größeres Stück abzuschneiden. „Die Cremeschicht ist ein absoluter Genuss und der Teig erst mal...! Hör zu, Sam, dein Mann kann backen! Und ich schwöre, wenn du es noch einmal wagen solltest, seine Fähigkeiten in Frage zu stellen, dann schleife ich dich am Ohr einmal quer durch die Stadt!“

„Ich hab’s ja gesagt“, meinte Bucky mit selbstzufriedenem Lächeln, während Sam seine Schwester ansah, als hätte sie sein Lieblingspielzeug vor seinen Augen zerstört.

„Kann ich dich noch irgendwo eintauschen?“,  fragte Sam. „Ich finde ja, Schwestern sollten mit Rückgabegarantie kommen.“

Sie boxte ihm gegen die Schulter, während sie mit genießerischem Gesichtsausdruck Buckys Kuchen aß.

„Die ist schon längst abgelaufen“, erwiderte sie.

Dann bedeutete sie Sam mit einer Geste, sich wieder auf den Weg zu machen.

„Geh schon“, sagte sie. „Ich bin mir sicher, es gibt noch ein paar Leute auf diesem Pier, mit denen du noch kein Foto gemacht hast.“

„Unglaublich.“ Sam sah sie kopfschüttelnd an, doch Bucky entging das schalkhafte Funkeln in seinen Augen dabei nicht. Dann zog er ab.

„Danke“, sagte Bucky, als Sam wieder in der Menge untergetaucht war, und griff nach seiner Bierflasche, um einen Schluck zu trinken. „Es kommt nicht oft vor, dass jemand die Ehre meines Kuchens verteidigt.“

Sarah lachte auf.

„Wie könnte ich nicht“, erwiderte sie. „Der Kuchen ist praktisch Familie.“

„Mh-hm“, machte Bucky, der sich nicht länger sicher war, ob sie immer noch über den Kuchen sprachen.

Doch erst nachdem Sarah aufgestanden war, um ein paar Freunde zu begrüßen, die sich zur Feier dazugesellt hatten, fiel Bucky auf, dass sie ihn Sam gegenüber als „dein Mann“ bezeichnet hatte.

Und... nun ja.

So viel zu diesem Thema.

 

„Ich hatte den Eindruck, dass wir diese Sache langsam angehen wollten“, sagte Bucky leise, als sie später zusammen am Pier saßen und die Beine ins Wasser baumeln ließen.

Die Sonne war bereits untergegangen und der Pier wurde von Hunderten von Teelichtern erhellt, die Sarah zusammen mit ein paar freiwilligen Helfern aufgestellt und entzündet hatte.

Sam wandte den Blick von der dunklen Wasseroberfläche ab und sah ihn aufmerksam an.

„Wieso werde ich also das Gefühl nicht los, als wüsste schon deine ganze Familie von uns?“, fuhr Bucky fort.

Es war nicht so, dass es ihn störte, dass andere von ihm und Sam wussten. Das war nicht das Problem. Er schmerzte nur ein bisschen, dass Sam nicht vorher mit ihm darüber gesprochen hatte.

„Nicht die ganze Familie“, erwiderte Sam und seufzte leise. „Nur Sarah.“

Bucky runzelte zweifelnd die Stirn.

„... hey, du hast sie erlebt, du weißt, wie sie drauf ist!“, verteidigte sich Sam. „Ihrem Blick entgeht nichts. Sie hatte uns schon durchschaut, bevor ich uns überhaupt durchschaut habe.“

„Hmm“, machte Bucky, der noch nicht ganz überzeugt war.

Doch dann erinnerte er sich an seinen ersten Besuch bei Sams Familie zurück, an das Lagerfeuer und an die Marshmallows – und an den kurzen Anflug von Panik auf Sams Gesicht, als er sich mit Sarah unterhalten hatte.

Damals hatte er sich keinen Reim darauf machen können.

Doch nun...

Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen.

„Jetzt verstehe ich, was du damals mit Naturgewalt gemeint hattest“, murmelte er und stieß Sam sacht mit der Schulter an.

„Oh ja“, erwiderte Sam grinsend und atmete sichtlich auf.

Als hätte er ein schlechtes Gewissen gehabt. Als hätte er sich tatsächlich Sorgen gemacht, dass Bucky ihm diese Sache noch ewig vorwerfen würde.

Himmel, Sam Wilson war einfach zu gut für die Welt.

Buckys Blick fiel auf Sams Mund und er biss sich auf die Unterlippe, um der Versuchung zu widerstehen, ihn hier und jetzt zu küssen.

Stattdessen lenkte die Geste Sams Blick auf Buckys Lippen, und Bucky hätte fast aufgelacht.

Oh, sie waren beide rettungslos verloren.

„Meinst du, irgendwer wird uns vermissen, wenn wir uns zurückziehen?“, fragte er stattdessen und hob vielsagend eine Augenbraue.

Sam sah sich nachdenklich um.

„Ich glaube nicht, aber ich will Sarah ungern mit den Aufräumarbeiten allein lassen...“, erwiderte er und Bucky wollte ihn schütteln.

„Samuel“, sagte er und okay, vielleicht liebte er es mit anzusehen, wie Sam sich jedes Mal kerzengerade aufrichtete, wenn Bucky seinen vollen Namen verwendete.

Sarah weiß von uns“, fuhr er fort. „Sie wird es verstehen.“

Zumindest hoffte Bucky das. Sarah war eine erwachsene Frau mit zwei Kindern; wenn also jemand verstand, was es bedeutete, wenn sich zwei junge, gutaussehende, ungebundene Männer zusammen zurückzogen, dann sie.

Und es musste genug Überzeugung in seiner Stimme gelegen haben, denn er konnte an Sams Gesicht ablesen, dass sein Widerstand dahinschmolz, wie Schnee in der Sonne.

„Na schön“, entgegnete er schließlich. „Aber ich werde Sarah kurz Bescheid geben.“

Bucky nickte. „Das ist nur fair.“

Er sah Sam nach, als dieser aufstand und barfuß über den Steg ging, um mit seiner Schwester zu sprechen.

Sam, der nun Captain America war: ein schwarzer Mann aus den Südstaaten, der von einer halben Nation gefeiert wurde, der vor laufenden Kameras seine Regierung zur Rechenschaft gezogen hatte und der nun mit Bucky gemeinsam nach Hause gehen würde. Und niemand würde ihnen dabei auch nur einen zweiten Blick zuwerfen.

Manchmal vermisste Bucky die 30er, aber das hier?

Das hier war das beste Leben, das er sich wünschen könnte.

 

Sie hatten vor einer Woche unter der Dusche in dem Hotelzimmer in New York bereits die Chance gehabt, sich intimer kennenzulernen, auch wenn sie beide zu erschöpft gewesen waren für mehr als einen Handjob.

Dieser Abend war jedoch anders, das spürte Bucky sofort an dem seltsamen Knistern, das in der Luft zu liegen schien, sobald sie die Schwelle des Familienanwesens der Wilsons überschritten hatten.

Nächstes Mal, hatte er Sam damals versprochen, und er hatte es auch so gemeint.

Ihnen blieben höchstens eineinhalb Stunden, bis Sarah und die Jungs zurückkehren würden, darum konnten sie sich bei dieser Sache nicht so viel Zeit lassen, wie Bucky es sich gewünscht hätte.

Aber er wusste, dass es in Zukunft noch viele weitere Gelegenheiten für sie geben würde, sich Zeit zu lassen.

Heute war alles, was Bucky wollte, dass Sam ihn mit in sein Zimmer nahm und ihn seinen eigenen Namen vergessen ließ.

Und er zeigte Sam sein Bedürfnis auch sehr deutlich, indem er ihn gegen die Wand presste, sobald sie die Zimmertür hinter sich geschlossen hatten, und ihn küsste, bis Sams Wangen dunkelrot angelaufen waren und seine Lippen vom Küssen geschwollen.

„Du kannst es wirklich kaum erwarten, was“, stieß Sam atemlos hervor und keuchte auf, als Buckys Antwort daraus bestand, gezielt nach dem Reißverschluss seiner Hose zu greifen und sie zu öffnen.

„Weniger Vorgeplänkel und mehr Action, Sweetheart“, forderte Bucky ihn auf und zog Sam ungeduldig das Shirt über den Kopf.

„Sweetheart?“, wiederholte Sam und lachte auf. „Du bist so ein alter Mann, Barnes. Was tue ich hier eigentlich?“

„Ich werde dir sagen, was du tun wirst, Samuel“, sagte Bucky mit gefährlich leiser Stimme und sah, wie sich Sams Augen verdunkelten, als er ihn auf diese Weise ansprach. Interessant. „Du wirst jetzt aufhören zu reden. Dann wirst du mich ausziehen, mir den besten Blowjob meines Lebens verpassen und anschließend dafür sorgen, dass ich morgen nicht mehr geradeaus laufen kann. Haben wir uns verstanden?“

Sam grinste. „Bossy.“

Doch Bucky konnte an seinem hungrigen Blick sehen, wie sehr ihm der Vorschlag gefiel.

„Tja“, meinte Bucky und erwiderte das Grinsen. „Captain America braucht erfahrungsgemäß jemanden, der ihm in den Arsch tritt.“

„Und dieser jemand bist du?“

„Verdammt richtig“, erwiderte Bucky und erstickte Sams Lachen mit einem weiteren, ungeduldigen Kuss.

Und als sie sich wieder voneinander lösten, war Sam endlich, endlich still und befolgte Buckys Plan bis ins letzte Detail.

 

Später, als sie verschwitzt und eng umschlungen auf Sams altem Bett lagen und Bucky sich auf die beste Weise erschöpft fühlte, die es gab, beglückwünschte er sich zu seiner hervorragenden Idee.

Und Sam? Sam sah nicht so aus, als hätte er in Zukunft je wieder Einwände.

Oh ja, Bucky hatte einfach die besten Pläne.

Messenger

Bucky hatte sein Smartphone erst seit zwei Tagen, als die erste Nachricht kam, und er kannte bis dahin gerade einmal den Bruchteil seiner Funktionen.

Es dauerte darum eine Weile, bis er das leise „Ping“, das eines Vormittags aus der Küche erschallte, zu seiner Quelle hatte zurückverfolgen können.

Schließlich griff er nach seinem Handy, das auf dem Küchentisch lag, und aktivierte den Bildschirm.

Er hatte eine Textnachricht bekommen, seine erste überhaupt.

Wer zum Teufel schickte ihm eine Textnachricht? Bucky kannte doch überhaupt niemanden in dieser verrückten Zeit.

Während er noch über die möglichen Antworten auf diese Frage nachdachte, machte es erneut „Ping“ und Bucky hätte vor Überraschung fast das Smartphone fallengelassen. Er hatte in der Vergangenheit eindeutig zu wenig gute Erfahrungen mit elektronischen Geräten gemacht, die ständig Geräusche von sich gaben.

Misstrauisch öffnete er seinen Messenger.

 

10:33 AM

Hey, Bucky. Ich wollte mal hören, wie es bei dir läuft. Ich hoffe, New York City behandelt dich gut. Wenn du mit jemandem reden willst, können wir gerne mal telefonieren. Ruf mich jederzeit an.

 

10:38 AM

Sorry, ganz vergessen: hier ist Sam.

 

Bucky runzelte die Stirn.

Es war zwei Wochen her, seitdem er Sam das letzte Mal gesehen hatte. Es war nicht so, als hätte er seitdem nicht an ihn gedacht. Bucky dachte schließlich immer noch oft genug an Steve – und es war unmöglich, an Steve zu denken, ohne dabei an Sam zu denken und daran, wie Steve ihm den Schild gegeben hatte.

„Denkst du, ich treffe die richtige Entscheidung?“, hatte Steve ihn damals gefragt, nach Thanos und nach all den Abschieden.

„Ich denke, du triffst die selbstsüchtigste Entscheidung, die du jemals in deinem Leben getroffen hast“, hatte Bucky geantwortet. „Und ich denke, allein deswegen solltest du deinen Plan durchziehen.“

„Ich meine nicht Peggy, Buck, ich meine den Schild.“

„Ah.“ An dieser Stelle hatte Bucky einen Moment lang innegehalten und in die Ferne gestarrt.

„Das wird die Zeit zeigen, glaube ich“, hatte er schließlich erwidert. „Du kennst Sam schließlich weitaus besser, als ich. Aber wenn du ihm vertraust und deine Hoffnung in ihn setzt, dann vertraue ich deinem Urteil.“

Und das war das letzte Mal gewesen, dass Steve auf ihn gehört hatte.

Dann war er verschwunden und hatte Bucky allein in einer fremden, neuen Welt zurückgelassen.

Oder, na ja.

Fast allein.

 

~*~

Sams Nachrichten kamen in den ersten Wochen fast täglich.

 

8:21 PM

Wenn du nicht telefonieren willst, können wir uns auch gerne treffen. Ich bin am Wochenende in NYC, um mich um ein paar Avengers-Angelegenheiten zu kümmern.

 

8:30 PM

Ich gebe auch gerne einen aus.

 

8:31 PM

Oder zwei.

 

8:32 PM

Oder zehn.

Ich erinnere mich vage daran, wie viel ihr Supersoldaten wegstecken könnt.

 

Bei dieser Nachricht musste Bucky kurz schmunzeln, dann setzte er sich auf seinen Sessel, zog die Knie an seinen Oberkörper und legte sein Kinn darauf, bevor er sich weiter eine Doku über die Bürgerrechtsbewegungen der 60er Jahre ansah.

 
 

~*~

Das Wochenende kam und ging, und am Dienstagnachmittag erreichten Bucky zwei neue Nachrichten.

 

3:46 PM

Schade, dass New York nicht geklappt hat. Ich mache mir tatsächlich ein bisschen Sorgen um dich, Mann. Ich hoffe, es geht dir gut?

 

6:09 PM

Mir geht es übrigens fantastisch, danke der Nachfrage. Kalifornische Sommer sind unerträglich heiß – schlag bei Gelegenheit mal „Klimaerwärmung“ nach – aber das Meer... das Meer ist wundervoll.

 

Angehängt war ein Foto – man nannte diese Art von Selbstportrait „Selfie“, hatte Barton ihm damals erklärt – von Sam in Shorts und einem Tanktop, das seine muskulöse Brust und schmalen Hüften an genau den richtigen Stellen betonte. Hinter ihm war nichts als weißer Sandstrand und azurblaues Meer zu sehen.

Bucky blinzelte.

Zu seiner eigenen Überraschung verspürte er plötzlich den dringenden Wunsch, ebenfalls mit auf dem Foto zu sein. Oder wenigstens auf demselben Strand zu stehen.

Für einen Moment schwebte sein Daumen über dem „Call“-Button... doch dann ließ er ihn wieder sinken.

Sam genoss ganz offensichtlich die Erholung von den Ereignissen der letzten Wochen, während Bucky einsam und überfordert mit sich selbst war und Sams gute Laune nicht unnötig verderben wollte.

 
 

~*~

Die nächsten Nachrichten kamen noch in derselben Nacht.

 

1:02 AM

Ich weiß übrigens, dass du jede meiner Nachrichten liest. Der Messenger zeigt mir solche Sachen an.

 

1:04 AM

Jetzt zum Beispiel. Bist du etwa immer noch wach? Es muss bei euch doch schon längst nach Mitternacht sein!

 

1:05 AM

Du bist 106, nicht 17, brauchst du nicht deine Nachtruhe?

 

1:05 AM

Deinen Schönheitsschlaf?

 

1:07 AM

Eine Gelegenheit, um deine Cyborgbatterien aufzuladen?

 

Bucky schüttelte mit einem schwachen Lächeln den Kopf, dann stellte er sein Smartphone auf lautlos, legte sich wieder auf den harten Holzboden, das Gesicht zur Wand gedreht, und schloss die Augen.

Er sollte in dieser Nacht erneut nur wenige Stunden schlafen, bevor ihn seine Alpträume weckten, aber dieses Mal fühlte er sich danach etwas erholter, als an den meisten anderen Tagen.

 
 

~*~

Als er ein paar Tage später am Morgen auf sein Handy sah, entdeckte er ein neues Foto von Sam.

Dieses Mal war Sam nicht darauf zu sehen, dafür jedoch der Anblick einer weiten, vom Wind leicht gekräuselten Wasseroberfläche, auf der das Sonnenlicht glitzerte.

 

6:22 AM

Bin gerade bei der Familie unten in Louisiana. Ich glaube, es würde dir hier gut gefallen. Es ist ruhig. Nur Bayou und Sonne und Grillpartys. Keine Termine. Keine Superhelden. Nur Natur.

 

Bucky wusste nicht, was er von der Nachricht halten sollte.

Sam klang zufrieden und entspannt, und obwohl er Bucky kaum kannte, war er der Ansicht, dass dieser sich in seiner Heimatstadt ebenso wohlfühlen würde.

Und Bucky gab zu, dass es durchaus verlockend klang. Er hatte vage Erinnerungen an Louisiana, er musste als Winter Soldier mal dort gewesen sein. Von den Moskitos und den Alligatoren mal abgesehen, war es in der Tat eine nette Gegend.

 

6:30 AM

Wir könnten zusammen angeln gehen. Nichts ist so entspannend wie Angeln. Meinst du, du hättest Freude an einer so langweiligen Beschäftigung, oder funktionierst du nur, wenn um dich herum ständig Dinge explodieren? Ich frage für einen Freund.

 

Bucky lachte leise auf.

Du bist ein Idiot, Sam Wilson, dachte er kopfschüttelnd und war für einen Moment versucht, Sam genau das als Antwort zu schreiben.

Doch dann überlegte er es sich noch mal anders und ließ das Smartphone wieder sinken.

Nächstes Mal. Ganz sicher.

 
 

~*~

7:51 AM

Mann, wenn ich geahnt hätte, wie einseitig unsere Gespräche werden würden, ich hätte Steve gebeten, dich mitzunehmen.

 

Bucky starrte die Nachricht so lange an, bis die Buchstaben vor seinen Augen verschwammen.

Es war das erste Mal, dass Sam Steve erwähnte – und das erste Mal, dass er ungehalten und genervt schien, dass Bucky ihn seit Wochen ignorierte.

Bucky schluckte. Er konnte es Sam nicht verdenken; er war ein furchtbarer Teamkollege und ein mindestens ebenso furchtbarer Freund. Aber die moderne Welt überforderte ihn, seine wöchentlichen Therapiesitzungen schienen seinen Gemütszustand nur noch zu  verschlimmern und er fühlte sich so einsam wie nie zuvor.

Vielleicht wäre es tatsächlich besser gewesen, wenn er mit Steve gegangen wäre. Selbst wenn Steve Peggy geheiratet hätte und Bucky ihm immer weniger wichtig gewesen wäre, als sie. Er hätte damit leben können, so wie er alle anderen Schicksalsschläge in seinem Leben auch hatte ertragen können. Irgendwie.

Das erneute Nachrichtengeräusch seines Messengers riss ihn aus seinen Gedanken.

 

8:05 AM

Shit, es tut mir leid. Das war gerade echt daneben, ich schwöre, ich habe es nicht so gemeint. Du bist mir nichts schuldig, Bucky, und wenn du nicht reden willst, dann respektiere ich das. Was nicht heißt, dass ich mir keine Sorgen um dich mache, aber... wenn du keinen Kontakt wünschst, dann ist das auch okay. Ich werde dich in Zukunft nicht weiter behelligen.

 

Bucky las die letzte Nachricht noch ein drittes und viertes Mal.

Nein!, schrie alles in ihm. Behellige mich weiter!

Nur weil er nie darauf reagierte, bedeutete das nicht, dass er sich nicht über die kleinen, unregelmäßigen Texte freute, die Sam ihm schickte. Sie gehörten zu den wenigen Lichtblicken in seinem Leben – und erinnerten ihn daran, dass irgendwo dort draußen jemand war, der nicht nur wusste, wer Bucky war und was er in der Vergangenheit getan hatte, sondern der ihn auch als die Person akzeptierte, die er heute war.

Bucky kämpfte kurz mit sich selbst, aber dieses Mal überwand er seine Zurückhaltung und drückte auf „Call“.

Sam hob bereits nach dem zweiten Klingeln ab.

„Bucky?“, fragte er verwundert, als hätte er nicht damit gerechnet, jemals wieder seine Stimme zu hören. „Was ist los?“

„Hör nicht auf!“, sprudelte es aus Bucky hervor. „Bitte, Sam! Du machst dir keine Vorstellung, wie sehr ich...“

Er schluckte. „Wie grau mein Leben ohne deine Nachrichten wäre.“

„Hey“, erwiderte Sam mit sanfter Stimme, „es ist alles okay, Bucky, beruhige dich.“

Bucky bemerkte erst jetzt, wie schnell sein Atem ging, und er zwang sich, mehrmals tief durchzuatmen.

„Ich hatte keine Ahnung, dass du so an meinen Nachrichten hängst“, gab Sam nach einem Moment zu. „Und ob du dich überhaupt dafür interessierst, was ich tue. Aber wenn sie dir tatsächlich so wichtig sind...“

„Ja“, stieß Bucky mit rauer Stimme hervor.

„Okay.“

Bucky atmete auf. „Danke.“

„Keine Ursache“, entgegnete Sam. „Danke für deinen Anruf. Ich war schon kurz davor, eine Vermisstenanzeige aufzugeben.“

Bucky schnaubte.

„Nein, warst du nicht.“

Sam lachte und es war das wundervollste Geräusch, das Bucky seit langem gehört hatte.

„Nein“, bestätigte er. „Nein, war ich nicht.“

Sie waren keine Partner, das ganz sicher nicht, und sie waren noch weit davon entfernt, Freunde zu sein.

Doch eines Tages würden sie dort ankommen.

Ganz bestimmt.

Partners

Sam erwachte am nächsten Morgen zum leisen Klappern von Geschirr und dem schwachen Duft von Pancakes und frisch gekochtem Kaffee.

Er ließ sich jedoch Zeit damit, die Augen aufzuschlagen, und genoss noch für eine Weile die angenehme Trägheit, mit der sein Bewusstsein allmählich vom Schlaf- in den Wachzustand hinüberdriftete.

Mit jedem Moment, der verstrich, nahm Sam mehr Details seiner Umgebung wahr: den leichten Luftzug, der durch das halboffene Fenster drang, das Rascheln der Gardinen, die warmen Strahlen der Morgensonne auf seiner Haut, den Arm, den Bucky besitzergreifend um seinen Oberkörper geschlungen hatte...

Das Ziehen in seinen Muskeln, als er gähnend Arme und Beine ein wenig streckte.

Sam lächelte.

Bucky hatte kein Blatt vor den Mund genommen, als er ihm gesagt hatte, was genau er von Sam erwartete.

„Lass es mich spüren, Sammy“, hatte er geraunt, nachdem Sam in ihn eingedrungen war und einen Moment hatte innehalten müssen, weil Buckys Körper ihn sonst um seinen gottverdammten Verstand gebracht hätte.

Lass es mich spüren.

Und genau das hatte Sam auch getan. Was dazu geführt hatte, dass er jetzt deutlich jeden einzelnen Muskel fühlen konnte, der an ihren nächtlichen Aktivitäten beteiligt gewesen war.

Hoffentlich war Bucky stolz auf sich, der Mistkerl.

Sam war fast vierzig – die fünf Jahre Staub durch Thanos nicht mitgezählt – und er war längst nicht mehr so ausdauernd und gelenkig wie noch mit zwanzig. Vielleicht hätte er sich die Sache mit dem Supersoldaten als Liebhaber doch vorher überlegen sollen.

Doch als er die Augen öffnete und in Buckys schlafendes Gesicht blickte, nur eine Handbreit von seinem eigenen entfernt, und seine entspannten Züge sah, die ihn um viele Jahre jünger aussehen ließen... als ihm bewusst wurde, dass er der Grund war, wieso Bucky, der sonst niemandem traute und dessen natürlicher Mörderblick auch die Hartgesottensten vertrieb, nun völlig entspannt und arglos neben ihm lag... da erkannte Sam, dass er in diesem Moment an keinem anderen Ort auf der Welt hätte sein wollen.

Und mit niemandem sonst als Bucky.

Die Erkenntnis bescherte ihm ein warmes Flattern im Bauch und Sam lächelte immer noch, als Buckys lange, dichte Wimpern schwach zuckten und sich dann allmählich hoben.

Für einen Moment sahen sie sich schweigend an und nicht zum ersten Mal versank Sam in dem endlosen Grau von Buckys Augen.

Schließlich verzog der andere Mann den Mund zu einem schläfrigen Lächeln

„Hey“, murmelte er mit einer Stimme, die vom Schlaf so rau war, dass Sam eine Gänsehaut bekam.

„Selber hey“, erwiderte er und stellte fest, dass seine Stimme nicht minder rau war. Was vermutlich keine Überraschung war, nicht nach letzter Nacht.

Buckys Augen weiteten sich.

„Du klingst, als ob...“

„Mmh-hm“, machte Sam und grinste. „Bester Blowjob deines Lebens, schon vergessen?“

Bucky blinzelte und plötzlich legte sich ein Hauch von Röte auf sein Gesicht.

Sam hätte fast gelacht. Aber nur fast.

Er musste sich diesen Tag unbedingt im Kalender markieren – den Tag, an dem er es zum ersten Mal geschafft hatte, James Barnes, den Mann ohne jegliches Schamgefühl, in Verlegenheit zu bringen.

„Wow“, sagte Bucky schließlich, als er seine Stimme wiedergefunden hatte. „So romantisch.“

„Sagt derjenige, der den Blowjob überhaupt erst vorgeschlagen hat“, konterte Sam amüsiert.

„Ich wollte Sex und du bist nicht in die Gänge gekommen, was hast du bitte erwartet?“, fragte Bucky und hob eine Augenbraue. „Eine schriftliche Einladung?“

Sam lachte auf.

„Dir auch einen guten Morgen, Buck.“

Sie erstarrten beide, als es plötzlich an der Tür klopfte.

„Frühstück ist in zehn Minuten, Jungs!“, teilte Sarah ihnen fröhlich durch die Tür hindurch mit. „Und bitte seid halbwegs präsentabel, es sind Kinder im Haus.“

Sie starrten sich für einen Moment an, kaum, dass Sarah wieder verschwunden war. Dann wanderten ihre Blicke zeitgleich zur Badtür hinüber.

„Dusche?“, fragte Bucky.

„Dusche“, bestätigte Sam.

 

„Weißt du“, sagte Bucky, als sie zusammen unter dem warmen Wasser standen und Sam ihm Shampoo in die Haare massierte, „wenn ich mich recht entsinne, hast du deinen Neffen nie genau gesagt, woher wir uns eigentlich kennen.“

„Das stimmt nicht“, widersprach Sam, „ich habe ihnen gesagt, dass wir Arbeitskollegen sind.“

„Im Ernst?“ Bucky drehte sich zu ihm um, ein halb genervtes, halb belustigtes Lächeln auf den Lippen. „Arbeitskollegen? – Ich meine, klar, im offiziellen Sinne mag das stimmen...“

„Nun“, sagte Sam, „ich kann ihnen schlecht sagen, dass du der Mann bist, mit dem ich mir hin und wieder ein Bett teile, und zwar nicht nur zum Schlafen... – Jedenfalls nicht in Sarahs Anwesenheit und erst recht nicht, wenn ich jemals noch mal einen Fuß in dieses Haus setzen möchte.“

Bucky lachte auf und Sam hatte plötzlich den unerklärlichen Drang, die kleinen Grübchen auf seinen Wangen zu küssen, die sich dabei bildeten. „Das ist allerdings wahr.“

Dann machte er ein nachdenkliches Gesicht.

„Was ist mit ‚Freunden‘?“, fragte er.

Sam schüttelte den Kopf. „Um Himmels Willen, bloß nicht. Freunde? Wir?“

„Stimmt“, meinte Bucky, „was für eine absurde Idee. Dafür ist es noch viel zu früh.“

Sie sahen sich an und brachen plötzlich lauthals in Gelächter aus. Sie hielten sich in der engen Duschkabine aneinander fest und lachten, bis ihnen die Tränen über die Wangen liefen, und ihr Gelächter ebbte erst wieder ab, als das Wasser langsam kalt wurde.

 

„Aber um auf deine Frage zurückzukommen“, sagte Sam, als sie sich schließlich abtrockneten und anzogen. „Wäre es wirklich so schlimm, wenn wir uns als ‚Partner‘ bezeichnen würden?“

„Partner?“, wiederholte Bucky und sein Blick ging für einen Augenblick in die Ferne. „Hmm...“

Sam musste nicht nachfragen, um zu wissen, was ihn beschäftigte.

Bucky hatte bisher immer nur von einer Person in seinem Leben als „Partner“ gedacht, und das war Steve gewesen. Doch er hatte bisher auch immer nur von Steve als „Captain America“ gedacht – und zumindest das hatte sich mittlerweile geändert. Es bestand also noch Hoffnung, dass seine Definition von „Partner“ nicht für alle Ewigkeit von seiner Beziehung zu Steve abhängen würde.

„Um ehrlich zu sein“, sagte Bucky schließlich, einen ungewöhnlich sanften Ausdruck auf dem Gesicht, „ich glaube, das würde mir gefallen.“

Sam sah ihn an – frisch geduscht und unrasiert und so, so hoffnungsvoll und verliebt – und sein Herz quoll für einen Moment über vor Gefühlen für ihn.

Er trat auf Bucky zu und nahm sein Gesicht in die Hände und gab ihm einen langen, warmen Kuss.

„Dann ist es also beschlossen“, sagte er leise und lächelte. „Partner.“

Und Buckys Lächeln war alle Antwort, die er brauchte.

Bonus: Take It Easy

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Chai-Cherry-Tea
2021-04-23T20:25:08+00:00 23.04.2021 22:25
Wie schön, endlich konnten sie sich einander öffnen.
Und wie geht's weiter??
Antwort von: Morwen
24.04.2021 11:42
Keine Sorge, es geht nachher weiter. ;)
Zwei Oneshots habe ich noch, dann muss ich neue schreiben.
Danke schön!
Von:  Chai-Cherry-Tea
2021-04-23T20:16:27+00:00 23.04.2021 22:16
Sehr schön. Ich finde ohne Steve, sind die beiden das Beste Team-up, das es geben konnte. Sie können sich gegenseitig trösten und wieder aufbauen. Ich hoffe, du schreibst mehr zu den zwei <3
Antwort von: Morwen
24.04.2021 11:41
Du machst dir keine Vorstellung, wie sehr ich die zwei zusammen liebe. Diese Serie ist alles, was ich immer insgeheim erhofft habe, aber nie erwartet hätte zu bekommen. Sie sind so, so toll. *-*
Vielen Dank!


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