Wir, am Strand von KiraNear ================================================================================ Kapitel 1: Ich, mit Andy über das Schwimmen ------------------------------------------- Zwei Tage später hatten wir unser Ziel dann schließlich erreicht: Galveston. Zwar war ich bereits öfters in Texas gewesen, in mehreren Urlauben mit meinem Freund, aber so tief im Süden waren wir noch nie gewesen. Daher freute ich mich, den Ort endlich mal sehen zu können. Nachdem wir mit dem Auto kurz zum Meer gefahren waren, hatte Dean das nächstbeste Motel gebucht, dieses Mal mit zwei Zimmern. Die Auswahl, wer welches Zimmer mit wem teilen würde, war schnell getroffen: Sam und ich würden die nächsten Tage wohl zusammen in einem Zimmer das Nachtlager teilen, während es sich Dean und Andy im anderen Zimmer gemütlich machten. Für mich war es logisch, dass sie sich aufteilten, denn sollte Andy oder mir etwas passieren, war zumindest einer von beiden da, um uns gegen das Böse zu verteidigen. Auch kontrollierten sie die Zimmer, inspizierten alle Türen und überzeugten sich davon, dass man nicht so schnell die Räume eindringen konnte. Oder dass man zumindest genug Zeit hatte, sich eine spontane Verteidigungsstrategie zu überlegen. Ich konnte mir auch vorstellen, dass Sam und Dean wieder eine abwechselnde Nachtwache schieben würde, auch wenn ich persönlich den Jungs den Schlaf gönnen würde. Doch das Böse schläft nie, und ein Jäger auch nicht.   Kaum hatten wir unsere Sachen mehr oder weniger in den zwei Zimmern aufgeteilt, als wir uns in Zimmer zwei trafen, sprich im Dean-Andy-Zimmer. Während sich die Brüder wieder von uns entfernten, um miteinander irgendwelche Dinge zu besprächen oder Pläne zu planen, sah ich Andy an. Er hatte sich über die Fahrt relativ gut erholen können, nur hin und wieder sah er aus dem Fenster hinaus, als wollte er sich davon überzeugen, dass wir wirklich nicht mehr verfolgt wurden. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. Dass er nicht mehr zusammenzuckte, wertete ich als ein gutes Zeichen. „Hey, es wird alles wieder gut“, wiederholte ich meine Worte der letzten zwei Tage und versuchte ihn anzulächeln, als sich unsere Blicke trafen. Doch so richtig sah er mich nicht an, erst nach ein paar Sekunden bemühte er sich, mein Lächeln zu erwidern, was wohl sehr viel von seiner Kraft abverlangte. Aber das störte mich nicht, immerhin schien er gerade eine ganze Menge durchzumachen und da wollte ich ihm nichts so schnell übelnehmen. Dann sah er wieder aus dem Fenster und da mir auch nichts weiter mehr einfiel, setzte ich mich auf eines der Betten und beobachtete die Winchester Brüder. Was sie sagten, konnte ich nicht verstehen, aber es schien wohl etwas Wichtiges zu sein. Nach einer kurzen Zeit bemerkten sie meinen Blick, doch es schien sie nicht sehr zu stören. Hoffte ich jedenfalls. Dann beendeten sie, was auch immer sie besprochen hatten und kamen zu uns herüber. Um ihnen meine volle Aufmerksamkeit zu schenken, drehte ich mich in ihre Richtung. Andy tat es mir gleich, offenbar hatte auch er mitbekommen, dass die Jungs uns etwas sagen wollten. „Also gut, Dean und ich haben uns gerade ein wenig besprochen“, fing Sam an, als hätten wir beide nicht mitbekommen, was bis gerade eben am anderen Ende des Zimmers passiert war. „Wir haben uns überlegt, dass es vermutlich wirklich am Besten wäre, wenn wir uns hier ein paar Tage aufhalten würden. Vor allem, um Andy ein wenig Abwechslung zu geben, damit er sich von dem ganzen Schrecken erholen kann. Dean und ich werden uns derweil darum kümmern, dass Andy nicht weiter belästigt wird“, begann Sam zu erzählen und machte eine Pause. Dabei sah er mich direkt an und ich hatte eine Ahnung, was nun kommen würde. „Um ehrlich zu sein, das ist mir ein wenig unangenehm zu fragen, aber … wir bräuchten bitte deine Hilfe dabei“, sagte er und sah dabei zu Dean. Dieser sah von Sam zu mir und dann wieder zu Sam, dann zuckte er mit den Schultern. „Helfen? Klar, wie könnte ich euch denn helfen?“, fragte ich überrascht, da ich eigentlich damit gerechnet hatte, hier bei der nächstbesten Gelegenheit ins Krankenhaus abgeschoben zu werden. „Nun, Andy und du, ihr scheint euch beide doch recht zu gut vertragen. Dean und Ich müssten noch ein paar Dinge klären und können dabei nicht auch noch auf Andy aufpassen. Es geht ihm zwar mittlerweile wieder besser, aber es wäre schön, wenn jetzt trotzdem jemand hier auf an seiner Seite wäre. Keine Angst, du musst einfach nur für ihn da sein und mit ihm Zeit verbringen. Damit er auf andere Gedanken kommt und wieder lernt, das Leben ein wenig lockerer zu nehmen“, meinte Sam und ich wusste, dass das bei Andys Problem sicherlich nicht so einfach durch ein paar gemeinsame Stunden funktionieren würde. Zwar wusste ich nicht genau, um es ging, aber da die Winchesters involviert waren, musste es sich um ein übernatürliches Problem handeln. Doch das Protokoll, das Drehbuch unseres kleinen Theaterstücks gab es schließlich so vor. So nickte ich nur mit dem Kopf. „Kein Problem, macht ihr ruhig eure Sachen, wir beide werden schon miteinander zurechtkommen und uns gut die Zeit vertreiben können. Oder, was meinst du?“, fragte ich Andy und versuchte ihn in das Gespräch einzubinden, so, wie wir es in den Debatten-Übungsstunden im Deutschunterricht gelernt hatten. Dieser sah mich an und meinte nur knapp: „Ja, das kriegen wir schon hin.“ Daraufhin wirkte Sam ziemlich erleichtert, wie Dean darüber dachte, das konnte ich nicht sagen. Vermutlich wäre es ihm lieber, er könnte Andy und mich hier einfach ablagern und den Job tun, auf die Jagd gehen und das Böse jagen, das hinter Andy her war. Mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht rieb er sich an der Stirn. „Gut, das klingt doch schon mal super“, sagte Sam und wirkte so, als würde er für sich und seinen Bruder sprechen. „Dann machen wir uns gleich auf den Weg, damit wir das eine oder andere erledigen können.“ Dann griff er in seinen Geldbeutel, nahm einen Bündel Scheine heraus und begann diesen zu zählen. Anschließend überreichte er ihn mir, ich konnte ihm jedoch ansehen, dass er kurz überlegt hatte, ob er es lieber nicht Andy geben sollte. Doch dieser hatte nicht reagiert, also wurden die grünen Scheine mir in die Hand gedrückt. Woher er das Geld haben könnte, konnte ich nicht genau sagen. „Das sind genau 150 Dollar, damit solltet ihr für die nächsten Tage über die Runden kommen können, sollten wir doch etwas länger mit unseren Erledigungen brauchen. Keine Angst, die Zimmer sind bereits im Voraus bezahlt, wir haben jetzt insgesamt vier Nächte für beide genommen. Aber wenn wir doch noch länger hierbleiben wollen, dann können wir die Zimmer auch verlängern“, sagte er, während ich den kleinen Stapel an Geldscheinen in meiner Hand ansah. Ich konnte deutlich ein Gesicht darauf erkennen, wusste aber gerade nicht auf Anhieb, wer es war. „Danke schön, das ist wirklich sehr nett von euch. Damit werden wir uns auch was Leckeres zum Essen kaufen können“, sagte ich, nahm meinen Geldbeutel und steckte die Scheine in das dazugehörige Fach. Gleichzeitig nahm ich mir vor, meine Euros in einem kleinen Extrabeutel aufzubewahren, doch das hatte für mich keine Eile. Sam und Dean sahen sich erneut an, dann zu uns beiden hinüber. „Dann machen wir uns auf dem Weg. Ich hab das Gefühl, wenn wir uns nicht beeilen, dann sind wir bis heute Abend nicht zurück. Und versucht, in der Nähe zu bleiben, an fremden Orten verläuft man sich so schnell und das wird dann unangenehm“, sagte er, bevor er und Dean sich mit schnellen Schritten aus dem Zimmer machten. Mit einem lauten Krachen fiel die Tür in den Rahmen, dann waren Andy und ich alleine. Jetzt waren wir auf uns alleine gestellt.   „Sag mal Andy, hast du irgendwas bestimmtes, auf das du Lust hast?“, fragte ich, während Andy den beiden durchs Fenster hinaus mit seinem Blick folgte. Er wartete ein paar Sekunden, dann schüttelte er mit dem Kopf. „Nein, nicht wirklich“, sagte er und blieb mit dem Blick am Fenster haften. Ich derweil legte meinen Geldbeutel auf die Seite und wünschte mir, ich hätte meine kleine Tasche dabei, die ich immer benutzte, wenn ich unterwegs war. Egal, ob zum Einkaufen, Pokémon Go spielen oder wenn wir jemanden besuchten: Alles wichtige konnte ich darin immer verstauen. Das war zum Glück nicht so viel. Und jetzt fehlte sie mir. Dummerweise hatte ich darauf verzichtet, als wir zum Vater meines Freunds für die Neujahrsfeier gefahren waren. Jetzt bereute ich es. Da langsam Langeweile in mir aufstieg, nahm ich die Fernbedienung an mich und setzte mich aufs Bett, so, dass Andy sich jederzeit neben mich setzten könnte. Dann schaltete ich den Fernseher an und zappte durch die Kanäle, doch auf den meisten liefen irgendwelche uninteressanten Talkshows, in der Hälfte davon waren irgendwelche aggressiven Weiber, die sich gegenseitig ankeiften. Gelangweilt schaltete ich den Fernseher wieder aus und ging zu Andy hinüber. „Warst du schon einmal am Meer?“, fragte ich ihn und wusste nicht so genau, woher das plötzliche Interesse kam. Doch dann fiel mir ein, dass ich Andy nicht ausschließen wollte und ihn ablenken sollte, damit er sich besser fühlte. Wieder schüttelte er mit dem Kopf. „Nein, bisher noch nie, hat sich nicht so wirklich ergeben“, sagte er, noch immer schaute er aus dem Fenster heraus. Es war wohl seine Lieblingsbeschäftigung zurzeit. Auch ich sah hinaus, obwohl es neben mehreren parkenden Autos und vorbeifliegenden Vögeln nicht so viel zu sehen gab. „Ich war mal am Meer, aber das ist schon lange her. Ich glaube, da war ich vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Meine Oma und ich haben zusammen zwei Wochen in Bulgarien verbracht, das ist in Europa“, fügte ich hinzu, da ich nicht wusste, wie es bei Andy als Ami um Geografie Kenntnisse außerhalb der USA gestellt war. „Wir sind dort hin und wieder am Strand spazieren gegangen, haben uns das Meer angesehen oder haben einfach nur den Weg genutzt, um zur nächsten Stadt zu laufen.“ Jetzt sah mich Andy neugierig an. „Bist du auch im Meer geschwommen?“, fragte er mich, vermutlich, weil er sich auch selbst von der Frau und der Gefahr, die sie bedeutete, ablenken wollte. Nun war ich es, die mit dem Kopf schüttelte. „Nein, nicht ein einziges Mal. Überhaupt habe ich noch nie im Meer geschwommen. Meine Oma hat es mir nie erlaubt, sie war keine gute Schwimmerin und konnte nur in Gewässern schwimmen, in denen sie auch stehen konnte. Doch bei der Stelle des Meers, wo wir uns befanden, gab es irgendwo eine Kante, bei der es dann auf einmal stark nach unten ging. Man konnte nicht genau erkennen, wo sich die Grenze befand und Oma hatte Angst, dass ich ertrinken könnte, denn ich bin auch keine gute Schwimmerin. Sie hatte Angst, dass mir etwas passiert und dass sie mir dann nicht helfen könnte. Früher fand ich es einfach nur schade, aber heute kann ich es ein wenig verstehen. Hoffe, ich kann das irgendwann einmal nachholen“, sagte ich und trat an das Fenster heran, wobei ich keine Ahnung hatte, ob das wirklich so sein würde oder nicht. „Naja, wenigstens kannst du schwimmen“, meinte Andy und legte eine Hand auf meine Schulter. Ich drehte mich zu ihm um. „Oh, du kannst gar nicht schwimmen?“, fragte ich einfach drauf los und kam mir dann sofort sehr unhöflich vor. Andy bejahte dies. „Ja, ich hatte ehrlich gesagt nie die Chance, das Schwimmen zu lernen und irgendwann war es dann einfach zu spät, damit anzufangen. Aber ich weiß nicht, ob ich damit wirklich was verpasst habe. So oft bin ich jetzt auch nicht im Meer.“ Nachdenklich blickte ich Andy an, dann wieder zum Fenster hinaus. Klar, dass man Schwimmen lernt, wird uns immer als wichtig eingetrichtert. Nicht umsonst steckt man kleine Kinder in Schwimmkurse, damit sie es lernen können. „Es ist überhaupt nicht schlimm, ein Nicht-Schwimmer zu sein. Und nein, ich denke, nicht, dass es irgendwann zu spät ist, man kann es bestimmt immer lernen, genauso wie Fahrradfahren.“ Dann trat ich noch näher an das Fenster heran, ich wollte Andy nicht ins Gesicht sehen, dazu war mir die Sache zu peinlich. „Weißt du, damals, als meine Mutter mich zu einem Schwimmkurs gebracht hat, da sollte ich mir ein Schwimmabzeichen holen. Weißt du, was das ist?“, fragte ich und sah kurz zu Andy, doch dieser schüttelte nur wieder mit dem Kopf. Dann sah ich wieder aus dem Fenster hinaus. „Ein Schwimmabzeichen ist wie eine Art Belohnung, die man bekommt, wenn man bestimmte Dinge gemacht hat. Wie zum Beispiel eine lange Strecke schwimmen, unter Wasser einen Ring hochholen und so weiter. Das Abzeichen, das ich dort holen sollte, war das Seepferdchen. Ich hatte eigentlich alle Aufgaben erledigt, jetzt sollte ich nur noch in ein Becken mit Wasser springen und zum anderen Ufer schwimmen. Aber … ich habe es nicht geschafft. Ich habe mich nie getraut, in das Becken zu springen, weil ich bei dem Anblick ins Wasser hinein Höhenangst bekommen habe. Ich hatte eine solche Angst, da unterzugehen, dass sie den Punkt als nicht bestanden angesehen haben. Und damit hatte ich die Chance auf das Seepferdchen in dem Moment vergeigt. Was ich dann bekommen habe und das vermutlich als einzige dort, war das Abzeichen eine Stufe drunter, das war der Frosch. Aber den kannte keiner, den bekommen wohl wirklich nicht so viele Kinder, ich hab auch erst vor ein paar Monaten erfahren, was das für ein Abzeichen sein soll … naja, sorry, ich hab dich zugetextet, aber ich will nur damit sagen: Du bist nicht der Einzige, der es bei dem Thema nicht leicht hatte. Ich habe es zwar gelernt, aber so wirklich kann ich es trotzdem nicht.“ Andy lächelte mich schwach an, wir beide schienen nicht so recht sicher zu sein, ob ihn die Geschichte aus meiner Kindheit tröstete oder nicht, aber für den Moment schien es auf jeden Fall zu beruhigen. Eine Ablenkung von seinen düsteren Gedanken und das war genau das richtige, was er jetzt brauchte. „Das ist schon in Ordnung, danke dir, dass du mir das erzählt hast“, sagte er und als ich mich umdrehte, spürte ich, wie meine Wangen ein wenig rot wurden. Es war mir dennoch ein wenig unangenehm gewesen, aber wenn es ihm auf irgendeine Art und Weise weitergeholfen hatte, dann war es das wert gewesen. Andy dagegen begann etwas im Raum zu suchen und fand es schließlich, sein Blick fiel auf die kleine Wanduhr, welche recht schlicht und irgendwie auch öde war. Die Uhr zeigte, dass es mittlerweile kurz vor zwölf war. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bekomme langsam ein wenig Hunger. Sollen wir uns nach einem kleinen Supermarkt umsehen und uns dort zu essen holen?“, sagte er, obwohl sein Gesicht eher aussah, als wollte er lieber drinnen bleiben. Besorgt sah ich ihn an, dabei schob ich meine Augenbrauen zusammen. „Wenn du dich unwohl fühlst dabei, musst du mich nicht begleiten, du kannst auch einfach hier warten und ich hole uns was zum Essen. Bestimmt ist ein Laden in der Nähe und ich bringe dir einfach was mit“, schlug ich vor und Andy schien über diesen Vorschlag ziemlich erleichtert zu sein. „Danke, das wäre mir doch lieber, wenn ich ehrlich sein darf“, sagte er und ich nickte nur. „Das ist kein Problem, ich hab schon oft für andere Leute mit eingekauft, die aus gesundheitlichen Gründen nicht aus dem Haus konnten, um sich was zu essen zu holen. Ich war auch oft im Supermarkt unterwegs, um etwas für Mama zu holen, als sie nicht rausdurfte wegen …“ Ich brach ab, ich spürte wieder, wie die Tränen in meine Augen stiegen und ich blickte auf den Boden, versuchte, meine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Für ein paar Augenblicke schwieg ich und ich hatte keine Ahnung, was Andy jetzt wohl von mir dachte. Schnell zwang ich mich zu einem Lächeln und blickte wieder in sein Gesicht. „Wie auch immer, kein Problem für mich, das will ich sagen … gibt es irgendwas bestimmtes, dass du dir wünscht, zum Essen oder zum Trinken? Soll ich auf irgendwas achten, hast du irgendeine Allergie oder so?“ Andy begann nachzudenken, und während er es sich noch überlegte, begann ich nach Papier und Stift zu suchen, um mir alles zu notieren. „Ich möchte ehrlich gesagt nicht viel“, meinte er dann schließlich, kaum, dass ich fündig geworden bin. „Bring mir einfach ein Sandwich mit, am besten mit Pute drauf. Und eine Cola, das wäre sehr nett, danke!“ „Möchtest du eine normale, Light oder Zero?“, fragte ich zurück, woraufhin Andy äußerte, dass er die normale Cola bevorzugen würde. Dies alles notierte ich auf meinem kleinen Notizzettel, schrieb auch auf, dass ich mir selbst noch etwas zu essen kaufen sollte und begann, meinen Geldbeutel in meiner Hosentasche zu verstauen. Auf meine Handys verzichtete ich, ich wollte den Akku schonen, solange ich kein Ladekabel dafür hatte. „Also dann, ich beeile mich“, sagte ich und lächelte Andy an, während ich die Tür öffnete, aus der Jungs vorhin verschwunden waren. „Pass auf dich auf. Und komme bitte so schnell wie möglich wieder zurück“, meinte er, ich bedankte mich nur höflich und verließ das Zimmer. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, fiel mir auf, dass meine Mutter das auch immer zu mir gesagt hatte, wenn ich weggegangen war.   Der nächste Supermarkt war zum Glück ein Stückweit vertrauter, als ich es mir erhofft hatte. Nur etwa zwanzig Minuten herumsuchen hatten mich schließlich zu einem „Walmart Neighborhood Market“ geführt, der kleineren Version eines normalen Walmarts. Doch da ich bereits mehrmals in einem Walmart gewesen war, kam ich damit super zurecht. Recht schnell fand ich ein Sandwich für Andy, mit Pute, so wie er es sich gewünscht hatte, wie auch die Cola. Dann galt es, etwas für mich zum Essen zu finden und ich fand so einiges, doch für das meiste dafür hätte man eine Küche gebraucht. Leider hatte ich mich nicht genau im Motelzimmer umgesehen, konnte mich nicht daran erinnern, ob es darin eine Küche gab oder nicht. Und wenn ja, welche Ausstattung sie hatte, einen Herd, eine Mikrowelle oder gar nichts davon. Auch bereute ich, dass ich mein Handy nicht mitgenommen hatte, allerdings hätte ich nicht sagen können, ob das wirklich so eine gute Idee war, bezüglich Roaminggebühren, mit einem deutschen Handy in einem ausländischen Netz zu telefonieren. So machte ich mich wieder auf die Suche und versuchte zu überlegen, was ich im Walmart früher gerne gekauft habe. Meine Beine führten mich von Reihe zu Reihe und obwohl ich es von damals kannte, überraschte mich die Dimensionen, die Größe des gesamten Markts aufs Neue. Ebenso die riesige, wie auch oft ungesunde Auswahl und doch sah ich so manches Produkt wieder, das ich mir auch in Deutschland wünschen würde. Am Ende, nachdem ich mehrfach nachgesehen hatte, und ich nicht so viel Geld auf einmal ausgeben wollte, entschied ich mich ein Thunfisch-Mayo-Sandwich, eine kleine Flasche Fanta wie auch für eine Doppelpackung mit Cupcakes. Die bunten Farben der Frostings lockten mich gerade zu an und da diese auch nicht sehr viel kosteten, sprach das noch mehr dafür sie zu kaufen. Andy wird sich bestimmt freuen, wenn ich die mit ihm teile, dachte ich mir und nahm die Packung lächelnd in die noch freie Hand. Meinen gesamten Einkauf nahm ich mit zur Self-Check-Out-Kasse, dort zog ich alles flott über das Band, bezahlte und packte alles in diese merkwürdigen, dünnen Plastiktüten. Genauso schnell, wie ich den Laden betreten hatte, verließ ich ihn auch wieder und machte auf dem Rückweg.   Als ich bei unserem Motel und dem Zimmer der beiden Jungs angekommen war, klopfte ich so feste ich konnte an die Tür. Meine Fingerknöchel meckerten über diese grobe Behandlung. Aber ich wusste, würde ich normal klopfen, wäre es wieder viel zu leise. Doch das Opfer hatte sich gelohnt, Andy öffnete mir die Tür und ließ mich eintreten. Kaum war ich drinnen, verschloss ich die Tür und schloss sie ab. Jetzt würden nur noch die Winchester Brüder Eintritt erhalten. „Danke dir, das ist echt sehr nett von dir. Sieht lecker aus“, bedankte sich Andy bei mir, als ich ihm sein Sandwich wie auch seine Cola reichte. Daraufhin zeigte ich ihm meins. „Gerne doch. Und hier, du hast mich angesteckt, ich hab mir jetzt auch eins geholt.“ Dieses legte ich jedoch auf dem Tisch zur Seite und kramte wieder in meiner Einkaufstasche herum. Dort holte ich die Cupcakes-Packung hervor, woraufhin Andy große Augen bekam. Offenbar war das ein Volltreffer, dass ich die gekauft hatte. „Die können wir uns teilen, wobei ich ehrlich gesagt den roten am liebsten essen würde, wenn es dir nichts ausmacht“, sagte ich vorsichtig und Andy nickte nur ein wenig. „Klar, nimm den ruhig, der blaue gefällt mir sowieso viel besser“, sagte er und biss in sein Sandwich, kaum, dass er es ausgepackt hatte. Auch ich hatte mein Mittagessen schnell aus seinem Plastikgefängnis befreit und gönnte es mir auf der Stelle. Es schmeckte besser als gedacht, dafür, dass es ein Produkt aus dem Walmart war. Überhaupt war ich sehr überrascht, dass sowas frisches in einem Supermarkt der USA angeboten wurde. Aber offenbar wollten sie Walgreens und Konsorten ausstechen, eine ernsthafte Konkurrenz für diese werden. Und wenn das bedeutete, dass es dort nun verschiedene frische Sandwichs zum Sofortverzehr gab, dann begrüßte ich diese Art von Wettbewerb sehr. Unser gemeinsames Mahl nahmen wir größtenteils schweigend zu uns, ebenso auch die Nachspeise in Form von bunten Cupcakes. Andy überließ mir wirklich den roten, worüber ich sehr froh war. Als wir fertig waren, waren unsere Zungen von den Frostings bunt gefärbt, was wir für einen kurzen Moment sehr witzig fanden.   Doch dann kehrte in Andys Stimme eine gewisse Prise an Melancholie mit, als er sagte: „Ich habe über deine Geschichte nachgedacht und vielleicht sollte ich auch versuchen, Schwimmen zu lernen. Selbst wenn es nur die Basis ist und ich auch nur auf der Stufe wie du bin, auf der Frosch-Abzeichen-Stufe, so wäre es immer noch besser als das, was ich jetzt kann. Jetzt kann ich es überhaupt nicht. Ich stelle es mir sehr erfrischend vor, jederzeit schwimmen gehen zu können, ohne Angst zu haben dabei zu ertrinken.“ Ich dachte über seine Worte nach und fand ihn sehr mutig. Immerhin war zu ertrinken wohl eine ernsthafte Angst, die ihn verfolgte und ich fragte mich, was zuerst kam. Hatte er schwimmen nicht gelernt, weil er diese Angst hat? Oder hat sich diese Angst aus der Tatsache heraus entwickelt, weil er es nie gelernt hatte? Doch ich wollte ihn nicht fragen oder zu lange überlegen, stattdessen kam ein anderer Gedanken, den ich viel lieber aussprechen wollte. „Du wirst mich vielleicht nun wirklich für seltsam halten, aber für Menschen wie du und ich gibt es auch für die eigenen vier Wände, beziehungsweise den eigenen freien Bereich wie einen Garten auch eine tolle Alternative zu Badesee und Schwimmbad“, sagte ich und räumte dabei unseren Müll zusammen. Andy, der mir dabei half, alles in der Walmarttüte zu verstauen, sah mich fragend an. „Was meinst du damit?“, fragte er mich sofort. „Nun, ich habe da vielleicht einen Tipp für dich, den du im Sommer nutzen kannst, bis du schwimmen soweit lernen konntest, bis du dich sicher genug für einen Besuch im Schwimmbecken fühlst“, fing ich an zu erklären. Seine Aufmerksamkeit war mir sicher, das wusste ich. So setzte ich mich aufs Bett und sah ihn an. „Das klingt wie gesagt merkwürdig, aber im Grunde braucht man dafür nicht viel. Eigentlich nur ganz viel Wasser, das man irgendwo organisieren kann – und ein Planschbecken.“ „Moment, ein Planschbecken?“, fragte er mich und sah mich verwundert an. Aber er sagte nicht mehr, offenbar wollte er mich nicht in meiner Erklärung unterbrechen. „Ja, du hast richtig gehört, ein Planschbecken. Früher habe ich das oft gemacht, als Teenie. Wir haben das Planschbecken im Garten aufgestellt und mit Wasser aufgefüllt, oft haben wir es auch einfach in den Schatten gestellt. Oder daneben einen mobilen Gartenschirm, Hauptsache, ich habe nicht zu viel Sonne abbekommen. Dann hab ich mich zusammen mit was zum Trinken, meistens Limonade, in das Planschbecken gesetzt und dann stundenlang gelesen oder auf einer Konsole was gezockt. Meine allerersten Stunden in meinem allerersten eigenen Videospiel habe ich so verbracht, im Hochsommer in einem Planschbecken“, erzählte ich nostalgisch von einer Zeit, die auch schon tief in der Vergangenheit lag. „Planschbecken sind zwar eigentlich für Kinder gedacht, aber ich finde, man kann sich da auch als Teenie oder Erwachsener reinsetzen. Später hatte ich sogar eins, das war in eine Richtung um die 170 Zentimeter lang! Das war schon fast ein kleiner Mini-Pool, könnte man sagen.“ Darauf kicherte ich ein wenig, ein Bild von diesem seltsamen Pool-Planschbecken kam in meine Erinnerung hoch. Andy dagegen sah mich nicht mehr verwundert, sondern lächelnd an. Offenbar hatte er darüber nachgedacht, denn er sagte: „So merkwürdig klingt das eigentlich gar nicht. Ich meine, wenn du dabei Spaß hattest, ist es doch egal, was andere Menschen darüber denken, oder nicht?“ Ich nickte ein wenig, denn Recht hatte er mit dem Gedanken schon irgendwie. „Und ich denke, es ist schon mal einen Versuch wert. Immerhin hast du schon ziemlich begeistert gewirkt und es wäre wirklich eine tolle Alternative, zumindest solange, bis ich schwimmen kann.“ Dass er das sagte, freute mich sehr. Ich war mir zwar nicht sicher, ob er es wirklich so meinte oder nur so daher sagte; oder es gar sarkastisch meinte, aber ich verdrängte den pessimistischen Teil in mir, ich wollte an die gute Option glauben. „Danke für den Tipp“, meinte er und ich lächelte ihn an. „Gerne doch“, erwiderte ich. Dann hatte ich noch eine Idee. „Was auch noch erfrischt, ist ein leckeres Eis. Egal ob Eiscreme, Wassereis oder Frozen Jogurt, das erfrischt einem von innen heraus und schmeckt auch sehr lecker“, sagte ich und bekam sofort Lust auf die eine oder andere Kugel Eis. Damit hatte ich wohl auch ein Thema erwischt, bei dem Andy mitreden konnte. „Stimmt, das schmeckt auch sehr lecker. Was ist eigentlich deine Lieblingssorte, Kira?“ Ich begann ihm davon zu erzählen und zählte ihm auch das eine oder andere Lieblingseis von bekannten Marken auf, woraufhin er mir von all seinen Lieblingen vorschwärmte. So unterhielten wir uns lange über diverse weitere Arten, wie man sich im Sommer frisch halten konnte. Über kalte Duschen und heißen Apfeltees kamen wir dann schließlich zu Klimaanlagen. Wir beide kamen ziemlich schnell zu der Überzeugung, dass es schon einen erheblichen Vorteil hatte, wenn man im Haus eine gute Klimaanlage besaß – oder überhaupt eine. Und dass es Supermärkte wie Walmart gerne mal mit dem Kühlen im Sommer übertrieben. Auf diese Weise vertrieben wir uns die Zeit und bemerkten gar nicht, dass sich langsam, aber sicher der Abend ankündigte, ganz in der Ferne konnte ich bei einem zufälligen Blick aus dem Fenster den Sonnenuntergang erkennen. „Oh, sieh nur, es wird langsam Abend, wir haben uns wirklich ziemlich verquatscht“, sagte ich. Doch Andy kam nicht dazu, mir eine Antwort zu geben, denn wir konnten beide den Impala sehen, der gekonnt auf einen freien Parkplatz abgestellt wurde. Kurz darauf betrat Dean das Zimmer, suchte etwas und wurde dann fündig. Offenbar hatte er mich gesucht, denn er sah mich beim Sprechen an. „Wir sind mit unseren …ähm, Vorbereitungen fertig und haben jetzt einen sehr miesen Kohldampf. Zufällig konnten wir auch das Restaurant finden, dass die vielen kleinen Krebse anbietet, von denen du uns erzählt hast“, sagte er und ich blickte ihn erstaunt an. Deans Blick blieb dagegen unverändert, stattdessen öffnete er die Tür noch ein Stück weiter. „Dann lasst uns keine Zeit verlieren, bevor die am Ende keine mehr haben“, sagte er, das war wohl seine Art zu sagen: Lasst uns dorthin fahren und uns die Mägen mit Krebsen vollhauen. „Gerne doch, darauf hätte ich jetzt auch so richtig Lust“, sagte ich und zusammen mit Andy folgte ich Dean in den Impala hinein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)