Herz über Kopf von Centranthusalba ================================================================================ Kapitel 17: Entdeckt -------------------- Die sanften Strahlen der Sapporoer Spätsommersonne scheinen durchs Fenster, hinter dem Elsa in ihrer kleinen Küche steht und eifrig werkelt. „Erbarmen, Elsa“, ertönt es vom Frühstückstisch, „Wenn du mir noch mehr zu Essen machst, liege ich nachher wie ein schwerer Stein im Tor und halte gar nichts mehr.“ „Ich will doch nur, dass du genug Kraft hast für das Spiel heute.“ „Noch mehr Kraft würde es mir geben, wenn ich dich im Publikum sehen würde.“ Elsas Schultern wandern in die Höhe. Ein wenig ertappt starrt sie auf das Rührei in der Pfanne vor sich. Als Viktor merkt, dass Elsa sich nicht mehr rührt, umrundet er den Tisch und tritt hinter sie an den Herd. „Willst du wirklich nicht mitkommen?“ Leicht berührt er sie an der Schulter. „Becky wird auch da sein. Genauso wie fast alle anderen Spielerfrauen.“ „Ich weiß“, seufzt sie, „und sie haben mir voller Stolz berichtet, dass sie beim letzten Mal im nationalen Fernsehprogramm zu sehen waren.“ „Hast du Angst, dass dich jemand erkennen könnte?“ „Hmm, es ist mir einfach noch zu früh, weißt du…“ „Ich verstehe dich.“ Viktor schlingt seine Arme um seine Freundin und küsst sie sanft auf den Hals. „Trotzdem wäre es schön, zu wissen, dass du mir zujubelst.“ „Das tue ich auch von hier aus.“ Er lässt seine Lippen am Saum ihres Schlafshirts entlang wandern. „Das ist nicht das gleiche.“ „Viktor!“ Doch ihr Protest erntet nur ein leises Lachen. „Ist das eigentlich mein T-shirt das du da anhast?“, fragt er, während er weiter die zarte Haut darunter erkundet. „Hmm…“, genussvoll schließt Elsa die Augen, „Es ist so schön weich. Ich schlafe gern darin.“ „Ich hätte einen Vorschlag…“ „Na?“ „Entweder du kommst heute abend mit ins Stadion…“ Elsas Augenbrauen ziehen sich missmutig zusammen. „Oder?“ „Oder du unterstützt mich bei der Vorbereitung auf das Spiel.“ „Das tue ich doch gerade“, erwidert sie energisch, „Ich mache dir gerade ein extra großes Frühstück!“ „Ich meine auch eher ‚zweites Frühstück‘.“ „Du bist unmöglich!“ Ehe Viktor es sich versieht, landet Elsas Küchenhandtuch in seinem Gesicht. Lachend nimmt er sie wieder in den Arm und drückt sie fest an sich. „Überleg es dir. Aber es wäre schön wenn du dabei wärst.“ ~~~ „Wir sollten uns beeilen, das Spiel beginnt in eine knappen Stunde. Kommt sonst noch jemand von Euch mit?“ Gordon sieht sich in der Umkleidekabine um. Verwirrt lugt Gregor hinter seiner Spindtür hervor. „Welches Spiel?“ „Na, heute spielt Sapporo gegen Yokohama! Unser Kumpel Steve ist doch bei Sapporo. Wir werden uns das Spiel definitiv drüben im ‚Hattrick‘ ansehen.“ Eric kann seine Vorfreude kaum verbergen. Auch Gregors Augen leuchten kurz auf, doch dann seufzt er theatralisch: „Ach, ich habe Conny versprochen, heute nicht so spät zu kommen….“ „Na komm, Alter, die erste Halbzeit wird doch wohl drin sein“, feixt Gordon, „Und du Käpt’n?“ Alle drei blicken erwartungsvoll auf Mario, der bereits mit geschulterter Tasche in der Tür steht. „Vielleicht würde dir etwas Ablenkung ja ganz gut tun.“ „Gordon hat Recht.“ Insgeheim froh, dass er Mario als Ausrede vorschieben kann, schlägt Gregor seinem besten Freund auf die Schulter: „Komm mit uns das Spiel ansehen. Ist bestimmt gar nicht schlecht, denn früher oder später werden auch wir gegen diese Mannschaften spielen.“ „Oh super!“ Eric lacht laut auf. „Heißt das, die Getränkerechnung trägt der Verein?“ Und bekommt sofort eine Kopfnuss von Kevin: „Das hättest du wohl gern!“   Letztendlich machen sich Gordon, Eric, Kevin, Alex, Gregor und Mario auf den Weg in ihre Stammbar ‚Hattrick‘. Dort ergattern sie tatsächlich noch einen Tisch, der groß genug für sie alle ist und gleich gegenüber von dem großen Fernseher an der Wand steht. Beste Voraussetzungen für einen guten Abend. Während die Bedienung das Bier bringt, stößt Gregor seinen schweigsamen Kapitän von der Seite an. „Hey Käpt’n, so wie du da sitzt und auf die Tischplatte starrst, wirst du nicht viel vom Spiel mitbekommen.“ „Hmmm,“ macht Mario nur, hebt mühsam seinen Kopf und schaut mit leerem Blick auf die flackernde Mattscheibe. „Hast du in letzter Zeit mal wieder was von ihr gehört?“, fragt er leise in Gregors Richtung. Jetzt ist es Gregor, der auf die Tischplatte starrt. „Nein“, murmelt er. Die Trennung von Mario und Elsa liegt jetzt fast sechs Monate zurück. Seitdem ist Elsa einfach verschwunden. Die einzigen Lebenszeichen sind vereinzelte Briefe, die sie ihren Eltern in regelmäßigen Abständen schickte, in denen sie aber nicht mehr schrieb, als dass sie sich keinen Sorgen um sie machen sollten. Wo genau sie sich befindet, verrät keiner davon. „Der letzte Brief kam vor drei Wochen. Seitdem: Funkstille“ Mario seufzt laut: „So richtig begreife ich es immer noch nicht.“ Dann zwingt er sich zu einem Lächeln und stößt mit seinem Bierglas an Gregors wartende Flasche. „Herzlich Willkommen liebe Fußballfreunde“, näselt inzwischen der Fußballreporter im Fernsehen, „zum 17. Spiel der Fußballliga ‚Nord‘ und zu diesem heiß ersehnten Spiel zweier Top-Mannschaften, die sich zu Recht Hoffnung auf den Titel machen dürfen: Yokohama Marinos gegen den Sapporo S.C.“ „So Steve, wir sind alle für dich hier.“ Gordon prostet dem Fernsehbildschirm zu. „Na, hoffentlich wird er auch aufgestellt“, fällt Kevin ihm ins Wort. „Nicht, dass wir umsonst hierher gekommen sind!“ Alex grinst quer über den Tisch: “Kevin, solange es Bier gibt, ist doch für dich kein Abend umsonst.“ „Da hast du auch wieder Recht!“ Kevin lacht seine dreckige Lache und macht einen langen Arm zu ihm hinüber, um mit ihm anzustoßen. Doch kaum hat er seinen Arm ausgestreckt, da zuckt Eric plötzlich zusammen und stößt ihn grob aus dem Blickfeld. Alle schauen ihn verwirrt an. Das Spiel hat noch nicht einmal begonnen, die Kamera fährt gerade am Rand des Spielfeldes entlang und filmt willkürlich einzelne Spieler, die sich aufwärmen. „Was ist denn mit dir los?“ Eric schaut noch einmal gebannt auf die Mattscheibe, dann schüttelt er den Kopf. „Sorry, ich dachte gerade….“ „Soeben höre ich, dass es bei Yokohama doch noch einmal Änderungen geben wird. Anscheinend ist man sich noch nicht so sicher, wie man gegen die Mannschaft aus dem hohen Norden vorgehen will. Aber bis dahin können wir uns bereits mit der Aufstellung des Teams von Sapporo beschäftigen, die ich gerade hereinbekomme. Und… damit ich das nicht alleine machen muss, habe ich mir kenntnisreiche Unterstützung von meinem Kollegen Toshi Nakamura geholt. Toshi, herzlich Willkommen.“ Herr Nakamura kann nur kurz grüßend in die Kamera nicken, als der Redeschwall des ersten Reporters schon wieder einsetzt. „Ja, Toshi, Sapporo ist ja eine sehr solide Mannschaft in der Liga. Bisher immer im oberen Drittel gelandet. Da können wir doch sicher einiges erwarten heute.“ „Ja, das können wir tatsächlich, Katsuro, Die Mannschaft ist vorallem in den letzten Jahren sehr jung geworden. Da sind viele junge Spieler neu hinzu gekommen, die große Erwartungen schüren, dass es diesmal mit dem Titel tatsächlich klappen könnte.“ „Hey, die reden schon von Steve.“ Gordon muss laut lachen. „Boah, der Kerl soll nicht soviel labern. Zeig halt die Aufstellung.“ Alex klopft vor Aufregung mit den Fingern auf der Tischplatte herum. Da ändert sich das Bild und statt der beiden Reporter erscheint nun ein abstraktes Spielfeld. „Sapporo wird wieder in ihrem bewährten 4:4:2 System spielen“, fährt Toshi Nakamura expertenhaft fort, „Und das kann man bei diesen Stürmern auch bedenkenlos machen. Da haben wir also mit der Nummer 10 den Kapitän der Mannschaft Shinji Okinawa…“ Auf dem Spielfeld erscheint eine Nummer und ein Name auf der Position des rechten Stürmers. „… und er bekommt Verstärkung von Steve Kishi auf der linken Seite.“ Am Tisch werden jubelnd die Gläser gehoben. „Siehst du Kevin, klar spielt er!“ „Der hat sich seinen festen Platz ganz schnell erobert.“ erklärt Gordon. „Soweit ich weiß, stand er fast bei jedem wichtigeren Spiel auf dem Platz.“ „Und dabei ist er doch erst… wie lange dort?“ „Zwei Jahre. Er ist direkt nach der Schule dorthin. Er hat wohl Verwandte dort oben.“ Eric hebt die Schultern, als müsste er sich für sein lückenhaftes Wissen über seinen ehemaligen Teamkameraden entschuldigen. „Wahnsinn. Ich freu mich für ihn.“ Gregor blickt staunend wieder zum Bildschirm. Inzwischen ist der fiktive Platz fast vollständig mit Spielernamen gefüllt. „Und das ist der neue Mann in der Abwehr?“, ertönt es weiter aus dem Fernseher. „Ja, das ist Marmoru Tanaka. Ein sehr talentierter Spieler, der gerade aus dem Junior-Team von Sapporo herübergewechselt ist.“ Auf dem Bildschirm stehen jetzt zehn Namen. „Man könnte ja eigentlich behaupten, bei so einer Abwehr bräuchte man gar keinen Torwart mehr,“ witzelt der erste Reporter, „aber Sapporo gönnt sich dann doch noch einen?“ „Haha, ja Sapporo gönnt sich in der Tat doch noch einen Torwart, Katsuro, und was für einen! Auch erst seit dieser Saison dabei, aber mir scheint, sie spielen kein Match mehr ohne ihn: Viktor Uesugi, mit der Nummer 1.“ „WAAAAS???“ ein kollektiver Aufschrei tönt durch das ‚Hattrick‘. Einige springen von der Bank auf, ein Bierglas kippt um, aber niemand beachtet es. Alle starren fassungslos auf den Namen, der jetzt ganz oben eingeblendet wird. „Hab ich mich also doch nicht verguckt!“, ruft Eric laut auf. „Die Geschichte ist eigentlich ganz witzig, kennst du sie Katsuro?“, unbeeindruckt von dem Tumult in der Bar quatschen die beiden Reporter weiter. „Nein, kenne ich nicht, was ist daran witzig?“ „Nun ja, Uesugi ist eigentlich als Manager nach Sapporo gekommen, und hatte wohl gar keine spielerischen Ambitionen, aber nur 4 Wochen später hat sich der alte Keeper beim Ski-Fahren verletzt…“ „Wobei sonst in Sapporo?“ kommentiert Katsuro trocken. „…und da ist er eben mal provisorisch eingesprungen. Und wie das so ist mit Provisorien: Er ist dabei geblieben.“ „Und wer macht jetzt den Manager?“ „Den macht er trotzdem noch.“ Herr Nakamura kann sich das Grinsen nicht verkneifen. Offensichtlich findet er die ganze Story ziemlich witzig. Mario dagegen schaut finster in sein Bier. „Was anderes hätte ich nicht erwartet“, murmelt er. Erst jetzt lässt sich Gordon zurück auf die Bank fallen. „Ich bin platt!“, bringt er heraus. ~~~ Als Viktor spät am Abend zurück nach Hause kommt, empfängt ihn das flackernde Licht des Fernsehers. Leise schließt er die Tür und tritt ins Wohnzimmer. Elsa liegt zusammengerollt auf dem Sofa und schläft tief und fest. Über den Bildschirm flimmert gerade zum wahrscheinlich hundertsten Male an diesem Abend sein abgefangener Freistoß, der in der vorletzten Minute Sapporos endgültigen Sieg markiert hatte. Er muss schmunzeln. Während sich hinter ihm die Sportmoderatoren die Münder über Reaktionsschnelligkeit und Nervenstärke heißreden, zieht er zärtlich die Decke höher bis über Elsas Haarschopf. Er beugt sich über sie und flüstert ihr ins Ohr: „Es ist okay. Ich weiß, dass du trotzdem bei mir warst.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)