Die letzte Hoffnung von BuchTraumFaenger ================================================================================ Kapitel 10: 10. Überraschungen ------------------------------ „Und das ist das Tal des Friedens?“ Shenmi reckte interessiert den Hals, als sie ersten Häuser in der Ferne aufragen sah. „Ja“, bestätigte Meister Shifu. „Hier hat das Kung-Fu seinen Anfang genommen.“ Zedong und Fantao waren hellauf begeistert. „Cool!“ Shifu drehte sich um. „Po, willst du nicht auch mal etwas…“ Der Meister sah sich suchend um. „Wo ist Po?“ „Äh…“ Monkey kratzte sich ratlos am Kopf. „Er… er hat gesagt, er wollte kurz mal weg.“ Shifu verengte die Augen. „Was soll das heißen, er müsste kurz mal weg?!“ Seine Ohren zogen sich nach hinten. „Wie lange ist er schon weg?!“ Crane tippte nervös die Fingerfederspitzen aneinander. „Wie lange darf er denn schon weg sein, ohne, dass Ihr Euch aufregt, Meister?“ „Jetzt sagt mir bloß nicht, dass unsere Hauptperson zum Ehrenfest fehlt?!!“ Der kleine Meister war außer sich. Die fünf Freunde sahen einander beschämt an. Sie hatten zwar mit aller Macht versucht Po von seinem Vorhaben abzuhalten, Shen zu folgen, doch am Ende war ihre Mühe umsonst gewesen. „Was solls“, meinte Mr. Ping, der gerade des Weges dahergelaufen kam. „Dann kommt er eben später nach. So wie ich meinen Sohn kenne, wird er doch keine Kung-Fu-Party sausen lassen. Und bis die anderen Teilnehmer da sind, werden noch ein paar Tage vergehen. Immerhin müssen wir noch alles für sie vorbereiten.“ Er schaute nach hinten, wo Yin-Yu gerade mit den anderen Kindern von einem Karren abstieg. Dem Pfauenjungen Jian fiel sofort was anderes auf. „Was ist das für ein Haus auf dem Berg?“, fragte er und deutete nach oben. „Das ist der Jade-Palast“, beantwortete Viper seine Frage. „Ist der aus purem Jade?“ Monkey zuckte die Achseln. „Na ja, der Großteil davon.“ Wang sah sich interessiert um. „Seit meiner letzten Anreise hier, hat sich nicht viel verändert.“ Viper and Mantis sahen einander rastlos an. „Was hätte man denn hier verändern sollen?“, fragte sich das Insekt. Meister Ochse hingegen stampfte nur mit hocherhobenen Kopf nach vorne. „Wir waren auch schon ewig nicht mehr im Jade-Palast gewesen. Mal sehen, was dort noch so steht.“ „Zedong! Lauf doch nicht so schnell!“ Yin-Yu hatte Mühe mit dem aufgeregten Jungen Schritt zu halten. „Ich will doch nur gucken!“, rief der gescheckte Pfau und rannte den anderen voraus die Straße runter. Plötzlich blieb er wie vom Donner gerührt stehen. Die anderen, die ihm nachkamen, sahen ihn verwundert an. „Was ist denn los, Zedong?“, fragte Xia besorgt. Zedong antwortete nicht, sondern deutete nur geradeaus. Alle folgten seinem Fingerzeig und waren für einen Moment fassungslos. Sie konnten gar nicht glauben, wen sie da an einer Hausmauer stehen sahen, oder eher halb aufgerichtet, denn die Person stützte sich auf einer Krücke ab. Meister Ochse blieb kurz der Mund offen. „Hey, ist das nicht der Kerl, der vor ein paar Jahren in Gongmen…?“ Shenmi sprang freudig auf. „Onkel Xiang!“ „Onkel?“ Xia meinte sich verhört zu haben und beobachtete wie das weiße Pfauenmädchen auf den blauen Pfau zu rannte. Xiang wich erschrocken zurück und stolperte fast. Wegen seinem gelähmten rechten Bein fiel es ihm schwer, dem weißen Mädchen auszuweichen, dass freudig um ihn herumsprang. „Hör gefälligst auf damit!“, schimpfte er. „Lass das!“ Wütend stieß er mit dem krückenaussehenden Gehstock nach ihr. Xia eilte sofort nach vorne. „Hey! Lass meine Schwester in Ruhe!“ Sie nahm Shenmi beiseite und sah ihren Ex-Vater streng an. „Was willst du denn hier?“ Der blaue Pfau verengte argwöhnisch die Augen. „Immer noch so frech. Manieren wirst du wohl nie lernen.“ Xia verschränkte gekränkt die Flügel. Anfangs hatte sie gedacht, Xiang wäre ihr leiblicher Vater, bis ihre Mutter ihr gestand, dass Shen ihr wirklicher Vater war. In diesem Moment tauchte Yin-Yu auf. „Guten Tag“, grüßte sie ihn höflich und verneigte sich sogar. „Wir haben gar nicht erwartet dich hier zu sehen.“ Der blaue Pfau räusperte sich. „Es war Lius Idee gewesen.“ „Oh, ist sie auch hier?“ „Ja, sie ist oben im Zimmer dort.“ Der Pfau deutete auf ein Fenster im ersten Stock im Nebenhaus. Doch noch ehe Yin-Yu etwas anderes fragen konnte, wurde sie von Xiang sofort wieder angemeckert. „Was zur Verdammnis, habt ihr eigentlich hier zu suchen?!“ „Was wir hier zu suchen haben?“, wiederholte Xia empört. „Was hat dich denn hierhergetrieben? Doch bestimmt nicht nur, weil du Liu einen Gefallen tun wolltest, oder?“ Sheng, der sich jetzt ebenfalls dazugesellte, versuchte die Situation etwas zu entspannen. Er hegte zwar genauso noch einen tiefen Groll gegen Xiang wie seine ältere Schwester, doch das würde den blauen Pfau nur noch unnötig wütender machen. „Oder hattet ihr vorgehabt euren ersten Hochzeitstag hier zu verbringen?“, fragte er ruhig. „Hochzeitstag?“ Xiang rümpfte den Schnabel. „Der war schon vor ein paar Wochen gewesen“, belehrte er seinen Ex-Sohn. „Selbst wenn wir ihn hätten, so würde ich ihn bestimmt nicht hier verbringen.“ „Und warum wollte deine Frau dann hierherkommen?“, wollte Yin-Yu wissen. Sie schrak kurz zusammen, als sie Xiangs schneidender Blick traf und es erinnerte sie an ihre damalige Ehe, wo es keinen Tag geben hatte, wo er ihr keinen bösen Blick zugeworfen hatte. „Frag sie selber“, wies Xiang sie an. Yin-Yu nickte, da sie Xiangs schlechte Laune ihr gegenüber nicht noch weiter heraufbeschwören wollte. Doch noch ehe sie sich entfernen konnte, hielt Xiang sie noch mit eisigen Worten zurück. „Ist er auch hier?“, fragte der blaue Pfau forschend. Yin-Yu wusste sofort wen er meinte. „Nein, er ist nicht mitgekommen. Er hat noch etwas Wichtiges zu erledigen.“ Xiang schien innerlich erleichtert zu sein. Doch Yin-Yu hielt es für ihre Pflicht ihrer Aussage noch etwas hinzuzufügen. „Aber wir warten auf eine Nachricht von ihm, von daher, sei nicht überrascht, falls er doch noch auftauchen sollte.“ Xiang verengte gefährlich die Augen. Die Pfauenhenne begegnete ihnen mit einer leichten Furcht und Entschlossenheit. So sehr sie sich noch immer vor ihm fürchtete, die Angst von damals saß in ihr noch tief, so war sie sich sicher, dass er nicht in der Gegenwart von anderen handgreiflich werden würde. Nachdem sie ein paar Sekunden seinem Blick standgehalten hatte, wandte sie sich ab und ging in das besagte Haus rein. Der blaue Pfau sah ihr mit verächtlichem Gesichtsausdruck nach. Yin-Yus Selbstvertrauen war ihm ein Dorn im Auge. Egal ob er mit Liu eine Ehe eingegangen war oder nicht, die Dominanz von Frauen rief in ihm immer noch Furcht hervor. „Hey, darf er überhaupt hier sein?“, beschwerte sich Meister Ochse, der nun ebenfalls mit seinen Kollegen Meister Kroko und Meister Shifu dazugestoßen war. „Aha, die Herren aus Gongmen“, empfing der blaue Pfau sie im herablassenden Ton. „Auch kein Vorbild in Sachen höflicher Begrüßung. Nicht gerade lobenswert in der Gegenwart von…“ Sein abfälliger Blick wanderte auf die kleinen Pfaue. „… von Kindern.“ Er holte ein Tuch aus seiner dunkelblauen Robe hervor und strich sich damit über den Schnabel, als wäre er gegen Kung-Fu-Meister allergisch. „Und um auf deine ungehobelte Frage zurückzukommen“, fuhr Xiang unbeirrt fort. „Ich wüsste nicht, was dagegensprechen würde, dass ich mich hier nicht aufhalten dürfte.“ Meister Ochse stieß ein lautes Schnauben aus. „Mir würde da schon eine ganze Reihe von Gründen einfallen“, knurrte er. Xiangs Überfall auf die Stadt Gongmen vor ein paar Jahren, hatte er noch lange nicht vergessen. Vor allem da durch den blauen Pfau die Stadt fast in Schutt und Asche gelegt worden wäre. Xiang hingegen schien diese Bemerkung völlig kalt zu lassen. Obwohl er sich vor einer Gruppe von Leuten gegenübersah, die alles andere als begeistert über seine Gegenwart waren. Und Xiang hatte für einen Augenblick das Gefühl unter den abweisenden Blicken der anderen einzuknicken, doch er war seelisch stabil genug, um sich nichts von seiner Unsicherheit anmerken zu lassen. Er fand sogar die Courage, oder eher die Unverfrorenheit, den Hunnenkönig weniger freudig zu empfangen. „Wang, dich hätte ich am aller wenigsten hier vermutet. Ist es dir überhaupt erlaubt gewesen, nach China zu kommen?“ „Pass bloß auf was du sagst!“, mahnte der Hunnenkönig ihn. „Gegenüber deiner verrückten Tante hatte ich noch Verständnis für deine Lage, aber nicht, dass du hier Unruhe stiftest. Spiel hier also nicht mit meiner Nachsicht!“ Xiang schnaubte angewidert. „Mmpf. Nachsicht. Pass besser auf, dass du nicht um meine Nachsicht betteln musst.“ König Wang ballte die Hufe zu Fäusten. Wäre er nicht so gut erzogen worden, hätte er dem halbgelähmten Pfau am liebsten die Krücke aus den Flügeln geschlagen. Xiang schien das genau zu wissen und grinste gehässig. „Hey, Leute!“, meldete sich auf einmal Mr. Pings Stimme, dem die angespannte Atmosphäre nicht entgangen war. „Wer von euch hat Hunger? Ich gebe einen aus im Restaurant.“ „Das ist eine gute Idee“, stimmte Sheng ihm zu und schob die Kinder beiseite. Bei Shenmi hatte er die größten Schwierigkeiten, weil sie ihre Augen nicht von dem blauen Pfau abwenden konnte. Zum einen, weil sie Xiangs blaue Farbe immer noch faszinierte und zum anderen, weil sie sich irgendwie etwas Freundliches von ihm erhoffte. Doch darauf wartete sie vergeblich. Xiangs hasserfüllter Blick ruhte sogar besonders auf ihr, sodass es dem Mädchen für einen Moment unheimlich wurde. „Wir begeben uns in den Jade-Palast“, lehnte Meister Shifu die Einladung ab. „Wir haben noch einiges zu besprechen.“ Er warf den fünf Freunden einen mahnenden Blick zu. „Und informiert mich sofort, sobald Po hier eintrifft. – Und er soll sich bei mir unverzüglich melden!“ Die Fünf nickten stumm. Gegenüber Shifus Laune hatten sie immer Respekt. Als die Meister sich entfernt hatten, entspannten sie sich wieder etwas. „Ich hätte auch noch ein Loch im Magen“, sagte Mantis und hüpfte Richtung Mr. Pings Restaurant. Xia war die Letzte, die auf dem Platz zurückblieb und Xiang strafend ansah. Beide warfen sich nochmal vergiftete Blicke zu, dann humpelte der blaue Pfau auf der Krücke gestützt davon. „Xia?“ Besorgt kam Sheng zu ihr rüber. „Kommst du?“ Xia rümpfte den Schnabel. „Ich kann es einfach noch nicht fassen, dass sie ihn wirklich geheiratet hat.“ Sheng sah sie prüfend von der Seite an. „Hasst du ihn immer noch?“ Sie sah ihren Bruder verbittert an. „Ich werde ihn immer hassen.“ Etwas besorgt stieg Yin-Yu die Treppe zu einer der Kammern hoch. Es wunderte sie, dass Liu bei so einem schönen Wetter im Zimmer hockte. Als sie an der Tür zum Zimmer ankam, klopfte sie zaghaft an. „Wer ist da?“, fragte eine Frauenstimme von innen. „Ich bin’s. Yin-Yu.“ Es entstand eine kurze Pause, bevor sie eine Rückantwort erhielt. „Ja! Komm rein!“ Vorsichtig öffnete Yin-Yu die Tür. Zu ihrer Verwunderung saß die Pfauenhenne auf einem Bündel aus Decken im Bett. Liu stand noch nicht einmal auf, doch sie begrüßte die ältere mit offenen Flügeln. „Was für eine Überraschung“, hauchte Liu überwältigt. „Ich hab Sie gar nicht hier erwartet.“ Yin-Yu lächelte. Dann ging sie auf die jüngere Pfauenhenne zu und umarmte sie, wobei Liu sie ganz feste an sich drückte. „Ich bin ja irgendwie froh Sie hier zu sehen“, sagte Liu. „Aber warum denn?“ Yin-Yu sah sie besorgt an. „Ist etwas passiert? Und warum sitzt du im Bett? Bist du krank?“ Liu schaute verlegen zur Seite. „Nun, nicht direkt.“ Mit diesen Worten schob sie die Decken unter sich beiseite und erhob sich, woraufhin etwas Weißes unter ihr zum Vorschein kam. Yin-Yu schaute mit großen Augen auf das Ei. Liu lächelte. „Gefällt es dir? Ich hab’s vor ein paar Wochen gelegt.“ Yin-Yu war völlig überwältigt und strich behutsam über die Eierschale. „Oh, Liu, das ist wirklich…“ Sie hielt inne. „Vor ein paar Wochen? Wie lange seid ihr denn jetzt schon hier? Oder habt ihr es bis hierher transportiert?“ Liu rieb sich über den Hals. „Nun, als Xiang von meiner Schwangerschaft erfuhr, da war er ein wenig nervös. Ich meine… wir haben zwar gewusst, dass ich schwanger werden würde, aber als es dann soweit war…“ Sie schwieg für ein paar Sekunden. „Nun… dann kam mir die Idee, dass wir uns an einem Ort zurückziehen, wo wir nicht so unter Anspannung stehen. Xiang erinnert das Haus in Mendong immer noch so sehr an vergangene Tage. Mit Ihnen.“ Yin-Yu seufzte schwer bei diesen Erinnerungen. Als sie von Shen schwanger gewesen war, und sie Xiang ihre Schwangerschaft gestanden hatte, im Glauben die Kinder wären von ihm, da hatte er relativ gleichgültig reagiert. „Hat er es denn gut aufgenommen?“, wollte sie wissen. „Ich meine, was hat er gesagt, als du ihm sagtest, dass du schwanger bist? Hat er…“ Sie zögerte es diese Frage zu stellen. „Hat er nochmal nachgefragt… ob… ob das von ihm ist?“ Zu ihrer Erleichterung reagierte Liu nicht beleidigt auf diese Frage. Sie könnte es Xiang sogar nicht verdenken, dass er genau bestätigt haben wollte, dass das Ei auch wirklich von ihm war und nicht von jemand anderen. Bei Yin-Yu hatte er sich schon getäuscht, wobei Yin-Yu damit nur ihre Kinder beschützen wollte, weil ihre Mutter sie zu der Heirat mit Xiang gezwungen hatte, obwohl sie schon bereits von Shen schwanger gewesen war. „Nun“, begann Liu zögernd. Sie holte tief Luft. „Ja, er hat danach gefragt. Sogar zweimal. Er hat mir sogar dabei so tief in die Augen gesehen, dass ich befürchtete, er würde es mir nicht glauben. Es hat fast einen Tag gedauert, bis ich ihm jeden Zweifel ausreden konnte.“ Sie umarmte sich selber. „Es war nicht leicht gewesen.“ Yin-Yu nickte verständnisvoll. Xiang war schwierig zu überzeugen, das wusste sie nur zu gut noch von früher. „Wann wird es soweit sein?“, fragte sie, um vom Thema abzulenken. „Schon sehr bald. Vielleicht sogar die nächsten Tage.“ „Dann sind wir ja gerade noch rechtzeitig gekommen.“ Sie hielt inne. „Aber du hast mir immer noch nicht gesagt, warum ihr ausgerechnet hierhergekommen seid.“ Liu wiegte den Kopf. „Nun, ich habe gehofft, dass ihm diese Umgebung vielleicht etwas friedlich stimmen würde. Und ich dachte, das Tal des Friedens wäre der perfekte Ort dafür.“ Yin-Yu legte die Stirn in Falten. „Ich kann mich aber nicht daran entsinnen, dass er Po gut leiden konnte. Wie hast du ihn dazu gebracht hierherzukommen? Und wenn ihr schon ein paar Wochen hier seid, wie kommt es dann, dass die anderen nichts davon wissen?“ „Nun, als ich hörte, dass ein Kung-Fu-Wettkampf stattfinden würde“, sagte Liu ruhig. „hab ich mich nochmal erkundigt und erfuhr, das der Panda und die anderen ein paar Wochen vorher in ein Kung-Fu-Trainingslager reisen würden, um sich auf einen Wettkampf vorzubereiten. Von daher habe ich angenommen, sie wären solange weg, bis das Kind geschlüpft ist. Wäre der Panda noch hier, hätte ich Xiang wohl kaum dazu überreden können hierherzukommen. Doch es hat sich wohl etwas hinausgezögert.“ Sie seufzte. „Aber… versteh mich nicht falsch… aber, dass ihr hier sein würdet, damit habe ich nicht gerechnet. War er wütend auf euch?“ Yin-Yu biss sich auf die Unterlippe. „Na ja, ich hab ihn schon unten gesehen. Erfreut war er nicht darüber.“ „Oh.“ Liu legte den Flügel über ihr Gesicht. „Ich hoffe, dass war jetzt kein Fehler gewesen hierherzukommen.“ Die Ältere sah sie mitleidig an. „Hat er immer noch Probleme?“ „Ich will nicht sagen, dass er vollständig geheilt ist“, antwortete Liu nach einigem Zögern, „aber es ist auch nicht schlimmer geworden.“ Yin-Yus Blick fiel wieder auf das Ei. „Wie war eigentlich die Hochzeit gewesen?“ „Nun, wir hatten keine Gäste eingeladen, wenn du das meinst.“ Sie lächelte sie an. „Ich hätte auch nicht gewusst, wen ich hätte einladen sollen.“ Yin-Yu lächelte ebenfalls. Liu war immer noch so bescheiden wie damals. Kein Wunder, war sie doch ohne Eltern und als arme Arbeiterin tätig gewesen und ein Leben in Komfort gar nicht gewohnt. In diesem Moment vernahmen beide humpelnde Schritte auf der Treppe. Kurze Zeit später öffnete jemand die Tür. „Xiang.“ Liu sah ihren Mann überrascht an. „Ich dachte, du wolltest unten bleiben.“ Der blaue Pfau stieß ein abfälliges Schnauben aus. „Wenn ich mich vor irgendwelchen Blicken retten möchte, dann bin ich wohl gezwungen hierhochzukommen.“ Er ließ sich auf einer Sitzbank nieder. Sein Blick ruhte besonders auf Yin-Yu, als würde er von ihr eine Rüge erwarten, was ihn veranlasste sie so streng wie möglich anzusehen. Yin-Yu versuchte ihn anzulächeln. „Ich hab gerade gesehen, dass ihr Nachwuchs erwartet.“ „So?“ Xiang hob arrogant den Schnabel „Amüsiert dich das? „Ich gratuliere euch“, beeilte sich Yin-Yu schnell zu sagen. Sie merkte, dass Xiang ihre Anwesenheit störte und zog es vor sich zu verabschieden. „Ich lass euch dann allein.“ Sie eilte zur Tür und nickte ihnen nochmal heiter zu. „Ich wünsche euch viel Glück.“ Sie sah Liu aufmunternd an. „Wir sehen uns dann später. Bis dann.“ Damit verschwand sie aus dem Zimmer. Xiang sah ihr übelgelaunt nach. Dann wanderte sein wütender Blick auf Liu, die entschuldigend den Kopf einzog. „Ich hatte wirklich keine Ahnung gehabt, dass sie hierherkommen würden!“, verteidigte sie sich. „Das wusste ich wirklich nicht!“ „Das möchte ich dir auch geraten haben“, fauchte der blaue Pfau. „Ich habe dich nicht geheiratet, damit du mein Leben bestimmen kannst.“ „Sowas würde ich nie tun.“ Sie ging zu ihm und hielt seinen Flügel, als würde sie um seine Gunst flehen. „Nur, sei so gut und halte das noch die nächsten paar Tage durch. Tu es für das Kind.“ Sie drückte seine Flügel fester. „Es würde mir so viel Freude machen, wenn du es ein Lächeln schenken würdest. Wenigstens nur einmal.“ Xiangs Augen verengten sich. „Vorausgesetzt es ist von mir.“ Liu erschrak. Hatte Yin-Yus Anwesenheit wieder die Zweifel in ihm hochsteigen lassen? Doch Xiang sah sie nicht an, sondern grübelte nur darüber nach, dass er es bedauerte hierhergekommen zu sein. Gut gelaunt stand Mr. Ping in der Küche und schnibbelte das Gemüse. Er war so froh wieder in den eigenen vier Wänden stehen zu können, obwohl das Geschäft außerhalb ja nicht so schlecht gelaufen war. Er war so sehr in seiner Arbeit vertieft, dass er nicht die Gestalt bemerkte, die sich hereinschlich und im Türrahmen der Küche stehen blieb. „Klopf, klopf!“, trällerte jemand. Überrascht drehte Mr. Ping um. Ihm fiel das Messer aus dem Flügel, als er einen dickeren Gänserich vor sich stehen sah. „Pong?“ Für einen Moment wusste, Mr. Ping nicht was er sagen sollte. „Was – was machst du denn hier?! Das ist ja eine Überraschung dich hier zu sehen!“ Freudig umarmte er den anderen Gänserich, der wiederum erwiderte seine Begrüßung mit einem lauten Lachen. „Na, ich muss doch auch mal wieder meinen Bruder besuchen“, gackerte er amüsiert und tippte Mr. Ping auf den Bauch. „Hast ja ein wenig abgenommen.“ Mr. Ping verzog beleidigt den Schnabel. „Und du, du hast wieder zugenommen.“ Pong lachte. „Immer noch der gute alte Ping.“ Mr. Ping lachte ebenfalls. Dann sprang er auf und rief durch das Küchenfenster nach draußen auf die Terrasse, wo nicht nur Yin-Yu und die Kinder, sondern auch die Furiosen Fünf und Wang saßen. „Hey, Leute! Seht doch mal, seht doch mal!“, rief Mr. Ping ihnen zu und zog Pong zu ihnen nach draußen. „Das ist mein Bruder Pong!“ „Pong?“ Mantis legte verwundert den Kopf schief. Der dicke Gänserich lachte. „Eigentlich heiße ich Bing, aber da gab es zwischen uns dann immer Verwechslungen. Die Leute hatten Schwierigkeiten uns auseinanderzuhalten vom Namen her. Dann versuchten wir es mit Bing-Bing. Aber weil mein Bruder Ping heißt, nannte man mich immer spaßeshalber Pong, und der ist dann als Spitzname geblieben. Ihr könnt mich also ruhig Pong nennen.“ „Und das macht Ihnen nichts aus?“, erkundigte sich Xia vorsichtig, da sie keinen beleidigen wollte. „Aber nur keine Sorge“, winkte Pong ab, wobei sein Blick zu Yin-Yu wanderte, die besonders durch ihre teure Kleidung auffiel. „Und mit wem habe ich die Ehre?“ „Sei höflich“, raunte Mr. Ping seinem Bruder zu. „Sie ist eine Lady.“ „Oh, entzückt Sie zu sehen, Madame.“ Pong nahm Yin-Yus Flügel und gab ihr einen Handkuss auf den Flügel. Yin-Yu kicherte verlegen. Dann wandte sich Pong wieder seinem Bruder zu. „Wo ist denn dein Sohn? Der Drachenkrieger.“ „Oh, na ja, weißt du…“ Verlegen rieb Mr. Ping die Flügel aneinander. „Er ist im Moment nicht da, aber er wird ganz bestimmt sehr bald hier auftauchen. Ganz bestimmt.“ Er sah die fünf Freude hoffnungsvoll an, obwohl die ihm auch keine Antwort oder Garantie darauf geben konnten. Mr. Pong hingegen zuckte die Achseln. „So, na gut. Hey! Ich muss euch unbedingt mit meiner Familie bekannt machen!“ Mr. Ping sprang auf. „Oh, du hast deine Kinder mitgebracht? Oh, was für eine Freude! Ich hab sie schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen!“ „Na ja, ich fand, sie müssten mal das Restaurant ihres Onkels kennenlernen. Und der Anlass für das Kung-Fu-Fest fand ich genau der richtige Zeitpunkt dafür.“ „Wen hast du denn alles mitgebracht? Alle?“ „Nur die älteren. Die Kleineren konnten nicht mitkommen.“ „Wo sind sie denn?“ „Komm raus. Ich zeig sie euch!“ Sie folgten Mr. Pong vor das Restaurant nach draußen auf die Straße, wo ein Karren stand. Alle waren schon ausgestiegen und standen in der Reihe nebeneinander. Am Anfang stand eine füllige Gans, in einem farbenfrohen Kleid. „Das ist meine Frau Li-Li“, stellte Mr. Pong sie vor. „Das hier sind meine älteren Söhne: Peng, Teng, Weng, Feng, Zeng… und meine Tochter Liana.“ Liana unterschied sich grundlegend von ihren Brüdern. Nicht nur weil sie ein Mädchen war, sondern auch ihre Erscheinung. Sie war nicht gerade ein hässliches Entlein, trotz ihrer grau-weißen Federn wie ihre Brüder und Eltern. Im Gegenteil. Sie trug ein lavendelfarbiges Hemd, ihre längeren Federhaare waren zu einem Zopf geflochten und trug eine Pfirsichblüte an der Stirn. Die Furiosen Fünf grüßten die Gänsefamilie herzlich. „Ein Jammer, dass Po nicht hier ist“, bemerkte Monkey mit einem leichten Bedauern. „Also Kinder hört mal!“, rief Mr. Pong auf und deutete auf Yin-Yu, Xia, Sheng und die kleinen Kinder. „Das ist eine royale Familie. Ich erwarte, dass ihr euch von eurer besten Seite zeigt, verstanden?“ Die Gänseriche und Liana nickten und verneigten sich sogar höflich. Auch die Pfauenvögel taten es ihnen gleich. Xia bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Sheng sich weder verneigte noch sonst irgendeine Bewegung machte. Sie sah ihn verwundert an. Doch ihr großer Bruder stand da wie eingefroren. Und seine Augen waren weit geöffnet. „Äh, Sheng?“, erkundigte sie sich leise und versetzte ihm einen Seitenstoß. „Alles okay bei dir?“ Doch Sheng war wie betäubt. Liana bemerkte wie Sheng sie anstarrte und verneigte sich vor ihm erneut. „Es freut mich Sie kennenzulernen.“ Sheng bewegte den Schnabel, aber es kamen irgendwie keine brauchbaren Worte da raus. „Ja, ich… ich… ich… meine…“ „Er ist Kung-Fu-Vizemeister“, verkündete Zedong neben ihm stolz. „Äh… ja, ja, ja, ja, ja, ich bin… ich bin Vize-“ Sheng geriet immer mehr ins Stottern. Das Gänse-Mädchen kicherte, was Sheng unter seinem Gefieder zum erröten brachte. „Ich muss los!“ Verwundert sahen alle zu wie Sheng schnell davonrannte. Mr. Pong ließ sich davon nicht stören. „Jetza!“, rief er und schlug Mr. Ping schwungvoll auf den Rücken, dass ihm fast die Luft wegblieb. „Zeig mir mal dein Restaurant von unserem Vater. Ich muss doch wissen, was du alles noch auf die Beine gestellt hast.“ Sheng verschwand hastig um die nächste Ecke. Dort lehnte er sich gegen die Hauswand und atmete tief durch. Er wusste gar nicht, was mit ihm los war. Sein Herz raste wie wild, doch er fühlte sich nicht krank. Oder vielleicht doch? Er fasste sich an die Stirn, konnte aber keine Untertemperatur feststellen. Er schien sogar erhöhte Temperatur zu haben. Nervös rieb er sich die Schläfen. Er konnte im Moment an nichts anderes denken, als an nur eine Person und stieß einen wehmütigen Seufzer aus. „Liana.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)