Katzenjammer von yamimaru ================================================================================ Kapitel 6: Lektion 6 - Nicht jeden Kampf kannst du allein gewinnen. ------------------------------------------------------------------- Zwei Tage. Zwei verdammte Tage saß er bereits in diesem Käfig fest. Jedes Mal, wenn einer der Pfleger das Gitter geöffnet hatte, um ihn mit Futter oder frischem Wasser zu versorgen, hatte er zu fliehen versucht. Am weitesten war er bislang gekommen, als heute Morgen seine Toilette gereinigt wurde, aber geholfen hatte ihm sein kurzer Ausflug in die Freiheit auch nichts. Die Tür zur Quarantänestation war stets verschlossen und vor dem gekippten Fenster war ein Sicherungsnetz angebracht. Diese, in Kaorus Augen ziemlich fehlgeleiteten Gutmenschen hatten wirklich an alles gedacht. Red fand seinen kleinen Stunt, wie es schien, noch immer sehr amüsant, denn zwischen gelegentlichem Schmatzen hörte Kaoru ihn hin und wieder lachen. An dieses Geräusch hatte er sich mittlerweile gewöhnt, ebenso wie er die Gesellschaft seines Mitgefangenen zu schätzen gelernt hatte, aber über dieses Trockenfutter, das Red mit einer Leidenschaft knabberte, kam er nicht hinweg. Sein Magen knurrte zwar, immer wenn er zu lange auf seinen bis zum Rand gefüllten Napf starrte, aber er hatte sich noch nicht überwinden können, die braunen Bröckchen auch nur zu probieren. Zu allem Überfluss hatte er Doktor Kanazawa heute Morgen mit einem ihrer Mitarbeiter reden hören und das, was sie gesagt hatte, hatte jeden noch so kleinen Appetit durch heiße Panik ersetzt.   „Sobald Arisa morgen aus dem Urlaub zurückkommt, können wir uns um den kleinen Streuner kümmern. Es macht mir zwar etwas Sorge, dass er nicht frisst, aber er ist körperlich fit genug, um die Narkose gut zu überstehen.“   Kaoru hatte keine weiteren Details hören müssen, um zu wissen, dass sie nicht nur von ihm sprachen, sondern auch, was sie vorhatten. Verdammt, er war kein Kater, den man kastrieren musste! Er hatte versucht, den Pflegern klarzumachen, dass sie einen großen Fehler machten. Wie? Nun ja, er hatte all das getan, was er sich in der Gegenwart seiner Kollegen bislang verkniffen hatte. Er hatte auf rhetorische Fragen, die die Pfleger während der Erledigung ihrer Aufgaben ab und an in den Raum gemurmelt hatten, mit vielschichtigem Maunzen geantwortet. Er hatte genickt oder den Kopf geschüttelt, wenn er direkt angesprochen wurde, und hatte sogar versucht, kohärente Worte zu formen. An Letzterem war er kläglich gescheitert, aber all seine anderen Versuche mussten doch aufgefallen sein? Er hatte die irritierten Blicke gesehen, die ihm zugeworfen worden waren, warum also reagierte niemand?   Kaoru schnaufte abgrundtief, legte sich direkt vor die Gitterstäbe und bettete den Kopf auf seinen Pfoten. Red sah kurz von seiner Mahlzeit auf, die gefühlt schon den halben Tag andauerte, bevor er sich wieder dem süchtig machenden Teufelszeug, wie er es selbst bezeichnete, widmete. Wenn er Red so betrachtete, glaubte er langsam aber sicher auch daran, dass die Futtermittelhersteller einen Wirkstoff beimischten, der ihnen die Loyalität ihrer felinen Kundschaft sicherte.   „Hey, Red?“   „Was’n?“ Der rote Kater hob den Kopf, noch immer munter knuspernd, und wirkte dadurch wie ein zu groß geratener Hamster. Kaoru lachte leise, schüttelte aber den Kopf, als Red den seinen fragend schief legte.   „Konntest du dir jetzt endlich merken, wie ich heiße?“ Nicht nur, dass Red Probleme mit dieser ‚Zeit-Sache‘ hatte, er konnte sich genauso wenig Namen merken.   „Lass mal überlegen …“ Der buschige Schwanz des Roten wedelte hypnotisierend langsam hin und her und Kaoru erwischte sich dabei, wie er ihm fasziniert mit den Blicken folgte. „Meinst du, wir kriegen es irgendwie hin, dass du mir dein Futter rüberschiebst?“   „Wa…? Wie bitte?“ Kaoru schüttelte den Kopf und holte sich damit ins Hier und Jetzt zurück. „Dein Ernst? Uns trennen mindestens drei Meter Luft und ein Gitter, durch das maximal eine Fliege passt. Wie soll ich dir bitte mein Futter rüberschieben?“   „Ich meine ja nur.“ Red klang ehrlich enttäuscht, wobei Kaoru beim besten Willen nicht verstehen konnte, wie der andere auf so eine absurde Idee gekommen war. „Warum isst du eigentlich nichts?“   „Keinen Hunger.“   „Das ist aber nicht gut. Du siehst aus, als würde dich ein starker Windstoß von den Pfoten reißen.“   „Dann kann ich mich ja glücklich schätzen, dass es hier drin nicht mal eine Klimaanlage gibt“, entgegnete Kaoru sarkastisch, was ihm im nächsten Moment bereits leidtat. Red versuchte ja nur, auf seine eigenwillige und etwas tollpatschige Art auf ihn aufzupassen. „Also, was ist jetzt?“   „Mh?“   „Na, mein Name, weißt du ihn noch?“   „Klar, Cato, ist doch ganz einfach.“   „Kaoru.“   „Hä?“   „Mein Name ist Kaoru, Ka-o-ru, das solltest du echt dringend in deinen Kopf kriegen.“   „Warum? Namen sind so unwichtig. Da ist Futter viel interessanter.“   „Weil …“ Kaoru erhob sich, ging die wenigen Schritte, die ihm in der Enge des Käfigs möglich waren, vor dem Gitter auf und ab, bevor er Red fixierte. „Was würdest du tun, wenn ein Mensch dich mitnehmen will?“   „Wie mitnehmen? Als einer von diesen sesselpupsenden Hauskatern? Pah! Ich würde ihm mit ausgefahrenen Krallen ins Gesicht springen. Ich weiß, man sieht es mir nicht an, aber ich kann verdammt schnell sein, wenn ich will.“ Kaoru war sich sicher, Red hätte breit gegrinst, wäre ihm das anatomisch möglich gewesen. So beschränkte er sich darauf, sich über die spitzen Zähne zu lecken und die Krallen seiner rechten Pfote auszufahren.   „Siehst du, darum sollst du dir meinen Namen merken. Wenn ich erst wieder ein Mensch bin, hol ich dich hier raus.“   „Kleiner, ehrlich, fang nicht wieder damit an.“   „Ich bin ein Mensch, wenn ich es dir doch sage.“   „Schon gut, reg dich nicht auf. Ich merke mir deinen Namen, Ka-o-ru, zufrieden?“   „Zufrieden“, erwiderte er seufzend und ließ sich auf die Seite fallen. Er konnte nicht genau beschreiben, warum es ihm so wichtig war, dass der Rote sich an ihn erinnerte. Einerseits gab es ihm Hoffnung, dass er doch noch unbeschadet aus dieser Situation herauskommen würde, andererseits war Red ihm hier der einzige Freund. Er wollte ihm diese Freundlichkeit zurückzahlen, wie auch immer er das anstellen sollte.   ‚Zauberkatze, warum ignorierst du mich? Ich brauche deine Hilfe, bitte.‘ Wie auch schon die Male zuvor reagierte das magische Wesen nicht auf seine Rufe. Er hatte es mit lautem Schreien ebenso versucht, wie mit flüsternden Gedanken, aber nichts half.   Nach einigen Minuten des Schweigens hatte Red das Interesse an ihm verloren und widmete sich erneut seinem Napf, in dem wirklich nur noch Krümel vorhanden sein konnten. Wieder knurrte Kaorus Magen, aber er ignorierte es. Vielleicht würden ihn die Pfleger irgendwann laufen lassen, wenn er zu dürr und schwach geworden war, um vermittelt zu werden. Oh Gott, wenn er nur daran dachte, zu einer Familie zu kommen, bei der er den Rest seiner Tage als Katze fristen musste, ohne auch nur die geringste Chance zu bekommen, Die wiederzusehen, verknoteten sich seine Gedärme zu einem schmerzhaften Klumpen.   „Die“, wisperte er und versteckte sein Gesicht zwischen den Pfoten. „Ich will wieder bei dir sein. Es tut mir so leid, du musst dir schreckliche Sorgen machen. Das wollte ich nicht.“   ~*~   Der Abend verstrich öde und ereignislos, wie all seine Vorgänger, bis sich Dunkelheit über die Quarantänestation legte. Kaorus Augen brannten vor Müdigkeit und immer wieder jagte ein Zittern durch seinen kleinen Körper, aber er konnte sich nicht dazu bringen, sich zu entspannen. Red hingegen hatte sich schon vor einer ganzen Weile in seinem Käfig zusammengerollt und rührte sich nicht mehr. Beneidenswert. Seit seiner ersten Nacht in Gefangenschaft, in der ihn die Erschöpfung in den Schlaf getrieben hatte, hatte sich Kaoru nie für lange Zeit ausruhen können. Er fühlte sich wie unter Strom gesetzt und gleichzeitig begannen der Schlafmangel und sein selbst auferlegter Hungerstreik an seinen Energiereserven zu nagen.   Dennoch musste er irgendwann in den frühen Morgenstunden eingeschlafen sein, denn er fuhr erschrocken hoch, als plötzlich die Tür zu ihrem Raum aufgedrückt wurde. Eigenartig. Normalerweise kam erst das Reinigungspersonal, bevor sich die Mitarbeiter des Tierheims bei ihnen blicken ließen. Aber nicht nur das …   „Sie sind wirklich sehr früh dran. Ich habe die Tierheimleiterin schon angerufen, aber es wird noch etwas dauern, bis sie eintrifft.“ Der Pfleger, der soeben hereinkam, wirkte gleichzeitig aufgebracht und verunsichert, aber viel wichtiger war die Stimme, die antwortete und Kaoru schmerzlich vertraut war.   „Ich kann warten.“   „Kyo!“, schrie er, obwohl der Blick des Sängers schon in dem Augenblick auf ihm gelandet war, in dem er das Zimmer betreten hatte. „Kyo!“ Er konnte nicht anders, rief den Namen seines Kollegen wieder und wieder, bis der Pfleger davon überzeugt sein musste, dass der mürrisch schauende, etwas klein geratene Mann mit den vielen Piercings im Gesicht und der magere, jaulende Kater sich tatsächlich kannten.   „Mh, dann ist das wohl wirklich Ihrer. Sie sollten ihn bei nächster Gelegenheit chippen und tätowieren lassen, damit er identifiziert werden kann, sollte er noch einmal entwischen.“   „Ja.“   In der Gegenwart von Menschen, die Kyo nicht kannte und auch nicht das Bedürfnis hatte, sie näher kennenlernen zu wollen, war der Sänger einsilbig wie immer. Kaoru hätte am liebsten noch lauter geschrien als ohnehin schon, so sehr freute er sich darüber, dass manche Dinge sich einfach nie änderten.   „In Ordnung, dann …“ Der Pfleger rieb seine Handflächen in einer nervösen Geste am Stoff seiner Jeans ab, bevor er seinen Blick irgendwo knapp über Kyos Schulter ausrichtete, um ihm bloß nicht in die Augen sehen zu müssen. „Es sind noch einige Formalitäten zu erledigen, aber danach können Sie ihn gern mitnehmen, sobald meine Chefin alles abgesegnet hat.“   „Ich nehme ihn gleich mit, bevor er sich noch verletzt.“   Erst jetzt wurde Kaoru bewusst, was für einen Tumult er hier veranstaltete. Er hatte die Decke in seinem Käfig fortgeschoben, kratzte heftig am Metallboden und biss zwischen seinem jämmerlichen Maunzen immer wieder in die Gitterstäbe.   ‚Ups.‘   „Ehm, wir sollten erst …“   „Nein. Kao beruhigt sich, sobald er bei mir ist.“   „Sind Sie sich sicher?“   „Ja.“ Kyo schob sich an dem Pfleger vorbei, ging auf Kaorus Käfig zu und hatte ihn nach kurzem Studieren des Schließmechanismus geöffnet.   „Warten Sie, der Kleine sollte wirklich erst wieder etwas zur Ruhe kommen.“   ‚Pfff‘, dachte sich Kaoru, saß gelassen vor der geöffneten Gittertür und blickte im Wechsel Kyo und den Pfleger an, als könnte er kein Wässerchen trüben. Kaum schlossen sich die Hände des Sängers um seine Mitte, begann er zu schnurren, presste sich fest gegen den warmen Oberkörper, gegen den er gelehnt wurde. „Himmel, du hast mich gefunden. Danke, ehrlich, du hast was gut bei mir“, maunzte er und rieb die Nase gegen den Kiefer seines Retters. Aus den Augenwinkeln sah er Kyos zufrieden überheblichen Gesichtsausdruck, während sie der Pfleger mit leicht offenstehendem Mund musterte.   „Ehm, ja, gut, dann, folgen Sie mir bitte.“   Kyo nickte, streichelte Kaoru kurz übers Köpfchen und raunte in sein Ohr, dass er stillhalten und ihn jetzt bloß nicht blamieren sollte. Blamieren war wirklich das Letzte, woran Kaoru dachte. Er war so erleichtert, dass er spontan in Tränen hätte ausbrechen können und das sollte bei ihm wirklich etwas heißen. Wie hatte Kyo ihn nur gefunden? Und viel wichtiger; wie ging es Die? Ruckartig hob Kaoru den Kopf und sah über Kyos Schulter zurück in die Quarantänestation, als ihm siedend heiß noch etwas einfiel.   „Red!“, rief er, kurz bevor sich die Tür hinter ihm schloss. „Denk an meinen Namen, okay? Kaoru, nicht vergessen!“   Er hörte die Antwort des anderen Katers nicht mehr, wenn es überhaupt eine gegeben hatte, und ein schmerzhafter Stich jagte durch sein Herz. Am liebsten wäre es ihm gewesen, Red hätte gleich mit ihnen kommen können, aber stattdessen blieb Kaoru nichts weiter übrig, als ihm und sich selbst zu schwören, ihn hier rauszuholen, sobald er wieder ein Mensch war.   ~*~   „Unfassbar, einfach nur unfassbar“, nuschelte Kyo, kaum hatten sie das vollgestopfte Büro des Tierheims verlassen und rieb sich über die Nasenwurzel. Kaoru, der lässig über seiner Schulter hing und ein Gähnen nicht unterdrücken konnte, konnte ihm nur zustimmen. Zugegeben, er hatte längst kein Zeitempfinden mehr, seit die Tierfänger ihn geschnappt hatten, aber dennoch war es ihm wie Stunden vorgekommen, die sie in dieser Rumpelkammer verbracht hatten. Ein Papier nach dem anderen war Kyo unter die Nase geschoben worden und unter jedes Einzelne hatte er seinen Unterschriftsstempel setzen müssen. Und das alles nur, um ein Tier mitzunehmen, das im Grunde niemals hier hätte landen dürfen. Kaoru seufzte und blinzelte. Seine Augen brannten und sein Magen knurrte. „Haben sie dir hier nichts zu futtern gegeben?“   Kaoru murrte leise, als schmale Finger durch sein Rückenfell kraulten, und atmete tief die frische Luft ein, kaum hatten sich die Schiebetüren geöffnet. Der Atem stockte ihm jedoch bereits im nächsten Augenblick und sein Herz begann wie wild zu klopfen. „Die!“, maunzte er und wäre Kyo von der Schulter gesprungen, um seinem Freund entgegenlaufen zu können, hätte der Sänger ihn nicht fest am Schlafittchen gepackt.   „Die paar Sekunden kannst du jetzt auch noch warten, oder willst du von einem Auto überrollt werden?“   Natürlich wollte Kaoru nicht von einem Auto überrollt werden, aber … er wollte doch nur zu seinem Freund! Dies Augen verbargen sich hinter einer dunklen Sonnenbrille, seine dunkelroten Haare hingen leblos und ungestylt herab und seine ganze Haltung sprach von schlaflosen Nächten. Obwohl er den anderen in der Vergangenheit schon viel zu oft so gesehen hatte, ertrug er seinen Anblick diesmal kaum, denn ihm war klar, dass einzig und allein er schuld an Dies schlechtem Zustand war.   ‚Es tut mir so leid.‘   Nicht einmal, als Kyo und er bei ihm ankamen, hoben sich Dies nach unten gerichtete Mundwinkel. Stumm legte er beide Hände um Kaorus Mitte, hob ihn vorsichtig von der Schulter des Sängers und lehnte ihn gegen seinen Oberkörper. Für einen schmerzhaften Herzschlag lang hatte Kaoru nicht die geringste Ahnung, was er nun tun sollte. Wie sollte er seinem Freund klarmachen, dass es ihm leidtat? Dass er ihm nie solche Sorgen hatte bereiten, nie wirklich davonlaufen wollen?   ‚Ich wollte dir doch nur eine Nachricht schicken, damit du dir eben keinen Kopf um mich machen musst.‘   Plötzlich ging ein Ruck durch seinen Freund und bevor Kaoru reagieren konnte, hatte Die sein Gesicht in seinem Fell vergraben. „Verdammt, Kao, ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen.“ Kaoru begann so laut zu schnurren, dass sein ganzer, kleiner Katzenkörper vibrierte. Wieder und wieder rieb er seine Nase gegen Dies Hals, seinen Kiefer, leckte mit seiner rauen Zunge über die Bartstoppeln, mit denen sich der Gitarrist unter anderen Umständen nie in der Öffentlichkeit gezeigt hätte. Es gäbe so vieles, was er Die in diesem Moment hätte sagen wollen. Da ihm Worte jedoch nicht zur Verfügung standen, versuchte er alles, ihm auf andere Weise deutlich zu zeigen, wie sehr er sein unüberlegtes Handeln bereute. „Willst du wieder mit mir nach Hause kommen?“ Kaoru überlegte nicht, nickte nur heftig, was Die mit einem Ruck den Kopf heben ließ. „Hast du mir gerade geantwortet?“ Kaoru blinzelte, erwiderte Dies Blick und begann betont gelassen seine Vorderpfote zu putzen. „Er hat genickt, Kyo, das hast du auch gesehen, oder?“   „So sehr, wie du den Fellball an dich gepresst hast, hab ich gar nichts gesehen.“   „Das hat Kao nicht zum ersten Mal gemacht. Ich glaube wirklich, er versteht mich.“   „Klar, Die. Kao ist ein ganz besonderer Kater und darum solltest du deinen knochigen Hintern endlich ins Auto schieben, bevor der Kleine Geschmack an der Freiheit findet und wieder abhaut.“   Die schnaubte, sparte sich ansonsten jedoch einen Kommentar und öffnete die Beifahrertür von Kyos rotem Mini Cooper. Es dauerte eine ganze Weile, bis Die sich so in dem kleinen Auto sortiert hatte, das seine langen Beine Platz gefunden hatten. Bequem sah anders aus, aber Kaoru vermutete, gerade war seinem Freund alles recht. Endlich lag wieder ein feines Lächeln auf den geschwungenen Lippen, während Die sich nur kurz anschnallte, um dann sofort wieder mit seinen Streicheleinheiten fortzufahren. Kaoru hatte diese Finger so vermisst, genau wie den Duft nach Weichspüler, einem leichten, holzigen Parfüm und Zigarettenrauch, der dem anderen immer anhaftete. Vielleicht roch er etwas stärker als sonst nach Zigaretten und vielleicht zitterten die langen Finger ein wenig, aber das störte Kaoru keinesfalls. Die war perfekt, genau so, wie er war, immer.   Brummend setzte sich das Auto in Bewegung und Kaoru hatte große Mühe, wach zu bleiben. Die leise Musik aus dem Autoradio wollte ihn einlullen und Dies Körperwärme tat ihr Übriges dazu. Aber er wollte nicht schlafen, wollte jede Sekunde in der Gegenwart seines Freundes bewusst miterleben.   „Danke“, murmelte Die gerade und ohne den Kopf zu heben, wusste Kaoru, dass er diesmal nicht mit ihm sprach.   „Wofür?“   „Dass du ihn geholt hast, ich ... ich hätte das nicht gekonnt und mich vermutlich nur zum Affen gemacht.“   „Du machst dich immer zum Affen.“   „Auch wieder wahr.“ Die lachte kurz auf, drückte einen Kuss zwischen Kaorus spitze Ohren. „Trotzdem danke.“   „Nicht dafür. Ich bin froh, dass du den kleinen Kerl wieder hast. Er tut dir gut.“   „Ja … auch wenn ich noch nie so große Angst hatte, wie in den letzten Tagen.“   Kyo brummte verstehend und im nächsten Moment war das charakteristische Tuten einer Freisprechanlage zu hören.   „Shinya? Wir haben ihn“, meldete sich der Sänger und setzte den Blinker, um in eine wenig befahrene Seitenstraße abzubiegen. Kaoru ergänzte Kyos Worte mit einem lauten Maunzen, noch bevor der Drummer etwas erwidern konnte. Leises Lachen drang durch die Lautsprecher, wurde von statischem Knacken abgelöst, bevor Shinyas ruhige Stimme ertönte.   „Zum Glück, da bin ich jetzt aber wirklich erleichtert. Er scheint wohlauf zu sein, so gesprächig, wie er ist?“   „Hungrig und wie es aussieht todmüde, aber ansonsten geht es ihm gut. Ich bin so froh, dass du die Idee mit dem Tierheim hattest, Shinya.“   „Ach Die, schon gut. Mir ist gerade einfach nur ein Stein vom Herzen gefallen, dass ihr ihn gefunden habt. Toshiya ist noch in der Tierklinik, aber sobald er rauskommt, sag ich ihm Bescheid. Er wird sich bestimmt ziemlich freuen, so wie er mitgelitten hat.“   „Tausend Mal Danke und sag das auch Totchi von mir, okay?“   „Jetzt hör auf, dafür musst du dich nicht bedanken … Aber du kannst uns gern zum Essen bei dem neuen Italiener einladen, von dem du letzte Woche erst so geschwärmt hast.“   „In Ordnung“, Die lachte, „das sollte definitiv einzurichten sein. Kommt ihr nachher zu mir? Ich sollte genug für ein kleines Brunch im Kühlschrank haben.“   „Gern. Bis später.“   ~*~   Kaoru konnte es kaum fassen, wie froh seine Kollegen waren, dass er wieder da war, aber ihm ging es ja nicht anders. Auf dem Rückweg hatten sie noch Halt bei einem Fischgeschäft gemacht, dessen Spezialitäten sich Kaoru mit Gusto hatte schmecken lassen, während die anderen es sich in Dies Küche gemütlich gemacht hatten und frühstückten. Er war sogar derart tiefenentspannt, dass er es über sich ergehen ließ, von Toshiya durch die Gegend getragen zu werden. Satt und von jedem seiner Kollegen einmal ausgiebig gestreichelt, machte er es sich gerade auf Dies Schoß bequem und lauschte den Gesprächen um sich herum nur mit einem halben Ohr.   „Kaoru hat sich gestern übrigens bei mir gemeldet.“ Kaoru hob hellhörig geworden den Kopf und blickte zu seinem Freund auf, der gerade an seiner Kaffeetasse nippte.   „Echt? Warum sagst du uns das erst jetzt?“ Toshiya wirkte ehrlich entrüstet darüber, dass ihm diese Neuigkeit so lange vorenthalten worden war.   „Tut mir leid, durch die ganze Aufregung mit Kao hab ich das ganz vergessen.“   „Wie geht es ihm?“, erkundigte sich Shinya, während Kyo zeitgleich wissen wollte, wann der Leader seinen Hintern endlich wieder hierher verfrachten würde.   ‚Freundlich, wie immer‘, dachte Kaoru innerlich schmunzelnd, während er sich zeitgleich fragte, was die Zauberkatze letzten Endes nun doch dazu bewogen hatte, ihm zu helfen. Denn dass die Nachricht von niemand anderem als ihr gekommen sein konnte, stand fest.   „Er hat sich entschuldigt, dass er sich nicht bei uns gemeldet hat, meinte, er hätte noch einiges zu organisieren, würde aber so schnell wie möglich wiederkommen. Na ja, und dass wir ihm schreiben sollen, bevor es Schwierigkeiten gibt.“   „DAS ist ja mal wieder typisch.“ Kyo rollte mit den Augen, Toshiya blähte empört die Backen auf, während Shinya nur milde schmunzelte.   „Ganz ehrlich?“, meinte der Drummer, „ohne diesen Nachsatz hätte ich daran gezweifelt, dass die Nachricht wirklich von Kaoru ist.“   „Mh, auch wieder wahr.“ Toshiya grinste und auch Kyos Miene hellte sich wieder auf, während Die sein Lächeln hinter seiner Tasse verbarg.   ‚Ach, Die‘, seufzte Kaoru in Gedanken, als ihm mit einem Mal etwas klarwurde. Er verstand nun, warum es seinem Freund so geschmerzt hatte, keine Nachricht von ihm zu erhalten. Warum er sich in seiner Wohnung eingeigelt hatte, obwohl ihm Gesellschaft so offenkundig gutgetan hätte. Mit einem Satz sprang er auf Dies Schulter, entlockte ihm damit ein erschrockenes Einatmen, und machte es sich als lebendiger Nackenwärmer bequem.   „Ehm, Kao, was genau tust du da?“   Kaoru beschränkte sich darauf, laut und zufrieden zu schnurren, während er es in vollen Zügen genoss, von Dies Körperwärme und seinem Duft umgeben zu sein. Wenn er nicht ganz auf dem Holzweg war, gab es nun noch etwas, was er dringend tun musste, sobald er wieder ein Mensch war. Und falls er sich täuschte? Na ja, dann hätte Die es so oder so mehr als verdient, dass er sich in Zukunft deutlich mehr Zeit für ihn nahm.   Langsam fielen ihm die Augen zu und endlich spürte er, wie sich alles in ihm entspannte. Der Stress der vergangenen Tage begann, von ihm abzufallen, und plötzlich war die Müdigkeit so stark, dass er sich nicht mehr gegen sie wehren konnte. Er gähnte, presste seine feuchte, kalte Nase gegen Dies Halsbeuge und schlief, den Kopf voller Pläne und Vorsätze, ein. Hosted by Animexx e.V. 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