Raum und Zeit von behrami ((Titelvorschläge werden entgegengenommen)) ================================================================================ Kapitel 10: Midgard, Oslo - 1926 -------------------------------- Der Blick über den Fjord war atemberaubend. Zwar war er nicht mehr in Asgard, aber Loki war ergriffen von dem spiegelglatten Wasser, das strahlend blau unter dem klaren Himmel lag. Er hörte Möwen über sich kreischen und für einen Moment war es so, als befände er sich gar nicht in der Stadt, sondern auf dem offenen Meer. Eine kalte Brise ließ seinen schwarzen Anzug und seine Haare erzittern, aber Kälte hat ihn noch nie sonderlich behelligt. Mit der Stadt im Rücken atmete er tief ein und genoss den salzigen Geruch in der Nase. Hier würde es sich aushalten lassen, auch wenn alles voller Menschen war. „Professor Guðason?“ Loki wandte sich mit der Aktentasche in der Hand um und entdeckte einen jungen Sterblichen in einem grauen, nichtssagenden Mantel vor sich, der sich nervös die Brille auf die Nase schob. „Darf ich mich vorstellen, Benjamin Fredrik. Ich bin hier, um Sie abzuholen.“ Loki nickte und gab, wenn auch etwas unwillig, dem jungen Mann die Hand, um sich nicht verdächtig zu machen. „Haben Sie gut hergefunden, Professor?“ „Oh ja“, antwortete Loki und strich sich über das Haar, „Die Reise war… zielgerichtet.“ Sie setzten sich in Bewegung und Loki musterte mit wachen Augen die Umgebung. So oft er auch schon auf Midgard war, hatte er sich noch immer nicht ganz daran gewöhnt, dass es hier beinahe keine Gefahren gab. Auf jedem anderen Planeten mussten die Asen damit rechnen, dass die Einheimischen ihre Heimat verteidigten. Stattdessen würde dieser törichte Sterbliche ihn hier sogar ins Herzen ihrer wissenschaftlichen Institutionen leiten. Loki hatte sich mit einigen einfach gefälschten Papieren als Professor ausgegeben und in den Semesterkalender eintragen lassen. Es war keinerlei Herausforderung gewesen, die paar Professoren und Sekretärinnen zu überzeugen, ihn als Gastdozent sprechen zu lassen. Und wie närrisch wären sie auch, ihn abzulehnen? Er, Loki, Prinz von Asgard, war lebendige Geschichte. „Wie kommt es, dass Sie dieses Gastseminar halten, wenn ich fragen darf, Professor? Mussten Sie mal ‘runter von der Insel?“ „Es sieht ganz danach aus“, antwortete Loki, dessen falsches Profil besagte, er sei Professor an der Universität von Island und unterrichte dort Nordische Studien. „Das verstehe ich. Die Abgelegenheit macht einen ja auch irgendwann wahnsinnig.“ „Wahnsinnig?“, entgegnete Loki amüsiert über so viel Einfalt, „Ich finde sie… erbaulich.“ „Oh. Ja. Oder das“, gab Fredrik offensichtlich überfordert zurück und deutete mit der Hand auf ein vor ihnen aufragendes Gebäude. Als sie auf die Glastür an der Front zu liefen, konnte Loki sein Spiegelbild in ihr sehen. Es war zwar nicht seine asgardische Tracht, aber diese Anzüge der Menschen hatten schon einen gewissen Stil. Fredrik stieß mit einem Arm die Tür auf und sie betraten das Gebäude. Lokis Blick zuckte abwertend über die hässlichen grauen Gänge, die sie auf ihrem Weg passierten. Er hatte über die Jahrhunderte schon so manche Universitätsbibliothek betreten. Aber diese Lehranstalt sah nicht danach aus, als wollte er in nächster Zeit hierher zurückkehren. Sie war erst seit einigen Jahren in Betrieb, spiegelte aber nichts von dem Glanz der Weisheit wider, die hier eigentlich vermittelt werden sollte. Erbärmlich. Aber nun ja, es war ja auch Weisheit nach irdischen Standards. „Haben Sie sich schon überlegt, welches Thema Sie heute beleuchten möchten?“, fragte Fredrik, der sich offensichtlich Mühe gab, das Gespräch am Laufen zu halten. „Oh ja. Selbstredend“, antwortete Loki mit einem Raunen in der Stimme, aber er würde es jetzt noch nicht verraten. Der junge Mann würde seinem Vortrag doch ohnehin beiwohnen und wer würde denn die Spannung kaputt machen? „Hier entlang. Die Studenten sind bereits anwesend. Kann ich Ihnen noch einen Kaffee anbieten?“ Leichter Ekel umspielte Lokis Lippen, als er abfällig den Kopf schüttelte. Bis zum heutigen Tag konnte er nicht verstehen, wie die Sterblichen dieses fürchterliche Gebräu zu sich nehmen konnten, obwohl es ihnen nicht einmal zusätzliche Macht verlieh. Das Auditorium war bereits großzügig besetzt, als Fredrik die Tür zum Lehrraum für Loki öffnete. Um die hundert junge Männer schauten ihren vermeintlichen Professor an, als er den Raum betrat, vor Fredrik die Stufen nach unten lief und dort seine schwarze Aktentasche auf das Pult legte. Bedächtig schaute Loki sich um und musterte die Sterblichen. Es war ein berauschendes Gefühl, dass sie alle auf ihn warteten, obwohl sie noch nicht einmal durch höfische Etikette dazu angehalten wurden. Loki stellte fest, dass die meisten von ihnen wohlgenährt wirkten, aber sie sahen trotzdem fahl und ermüdet aus. Offenbar waren die Auswirkungen des Krieges weiter südlich in Europa nicht ganz bis hierher vorgedrungen, doch die Unsicherheit, die dadurch auch in ihren Leben eine Rolle spielen musste, tat ihr Übrigens. Vermutlich konnten sie sich glücklich schätzen, dass sie nicht Teil der Schlacht geworden waren. Für Menschen waren Kämpfe nicht das Gleiche wie für Asen. Für sie war es keine Probe ihrer Fähigkeiten und ob sie sich würdig erwiesen. Für sie war der Krieg ein lebensbedrohlicher Schrecken. Es war so offensichtlich, wie sehr die Menschheit einen Anführer brauchte, der sie davon abhielt, sich gegenseitig niederzumetzeln. Flackernd ging ein Licht über ihren Köpfen an. „Guten Morgen“, richtete Fredrik das Wort an die Runde der Studenten und er begann, Loki als Professor Larus Guðason vorzustellen und dessen gefälschten Lebenslauf zu erläutern. Dann überließ er endlich Loki das Feld und hielt sich für seine Aufgabe bereit, Bilder mit Ausdrucken herumzureichen, wenn er die Anweisung dazu erhielt. Loki stütze die Hände auf dem Podest vor sich auf und hob die Stimme. „Nun. Wie Sie vermutlich bereits wissen, werde ich in dieser Reihe vier aufeinander aufbauende Veranstaltungen halten. Das Thema sind die Götter der sogenannten Nordischen Mythologie und ihre Beziehungen zueinander. Anders, als viele meiner… Kollegen möchte ich jedoch nicht Thor ins Zentrum dieser Abfolge setzen. Im Gegenteil. Die Beziehung des Allvaters Odin zu seinem Sohn ist sicherlich aufschlussreich, keine Frage. Vor allem dessen viele Charaktermakel, für die sich zahllose Beispiele finden lassen, sollten uns im Gedächtnis bleiben, wann immer wir über Thor nachdenken. Und auch Odin für sich ist eine aufschlussreiche Erscheinung, die nicht mit Schwächen spart. Aber ich bitte Sie: Sie sind alles findige junge Zuhörer. Sollten wir uns also aufhalten an einem alten, ignoranten Narren? Nein. In den folgenden vier Vorträgen möchte ich Ihnen den vielleicht verkanntesten, aber gerissensten aller Götter besser bekannt machen“, sagte Loki mit Stolz, der laut genug war, um auch den letzten Winkel des Auditoriums zu erreichen: „Loki von Asgard.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)