Raum und Zeit von behrami ((Titelvorschläge werden entgegengenommen)) ================================================================================ Kapitel 19: Statesman - 2017 ---------------------------- Wie ohne Ziel schlendert Loki durch die Gänge der Statesman. Ab und zu trifft er auf andere Personen und fast alle von ihnen neigen nach wie vor den Kopf, um seinem königlichen Stand Respekt zu zollen. Eigentlich hat Loki bereits einen Entschluss gefasst, aber etwas hält ihn davon ab, direkt zum richtigen Zimmer zu gehen und seinen Plan in die Tat umzusetzen. Wer ihn beobachtet, könnte denken, er langweile sich nur, doch das Jahr in der Zelle von Asgard hat Loki gezeigt, was wirkliche Langeweile war. Sich in Geduld zu üben, ist zwar nach wie vor nicht seine Stärke, aber hier kann er sich wenigstens mit anderen unterhalten, sie provozieren, sich betrinken, kann lesen und Fallen stellen, wie ihm der Sinn steht. Und er hat die Möglichkeit, sein Schicksal zu verändern. Er steigt hinauf zur Kommandoebene. Seine eigene Kabine links legen lassend, bleibt Loki letztlich mit klopfendem Herzen vor der richtigen Tür stehen. Er schließt die Augen. Atmet tief ein. Zieht bewusst die Schultern nach unten und lässt die Luft lange ausströmen. Dann klopft er. „Komm rein, Bruder!“ Loki öffnet die Tür und betrachtet das minimalistisch eingerichtete Zimmer. Ein großer Spiegel dominiert den metallverkleideten Raum und darunter steht ein Tischchen mit Gläsern und Flaschen. Das ist, abgesehen von einer niedrigen Pritsche als Bettstatt, die vor dem Fenster steht, alles, und damit so ganz anders als Lokis eigene Kabine, die inzwischen mehr seinem früheren Gemach ähnelt als seiner Kerkerzelle. Hier hat er Thor vor Monaten angetroffen, als er das erste Mal seine Augenklappe anlegte, die sie aus einer Gladiatorenrüstung geschnitten hatten. Der andere sitzt auf der Pritsche und starrt durchs Fenster hinaus ins Universum. Vermutlich sucht er, wie alle anderen auch, nach einem Anzeichen der Erde. Loki kann selbst nicht einmal mehr sagen, wie lange sie noch nach Midgard brauchen werden. Er hat die Orientierung verloren. Manchmal fehlt ihm ein Tag oder auch zwei, weil er sich mit der Beschwörung der Lebensmittel, die ihr Volk braucht, zu sehr verausgabt, und manchmal kommt er gar nicht aus seinem Gemach heraus, weil er noch immer seine verschiedenen Erinnerungen prüft und testweise modifiziert. Inzwischen fühlt er sich selbstbewusst damit, glaubwürdige Trugerinnerungen zu erstellen. Jetzt fehlt nur noch, dass er sie auch der entsprechenden Person einsetzt. Wenn das erst einmal vollbracht ist und keine Auffälligkeiten mehr zu bemerken sind, kann er sich der nächsten, viel größeren Aufgabe widmen: Die Erinnerungen aller Sterblichen und die der anderen Personen auf der Statesman mit Hilfe des Tesserakts umzuformen, sobald sie Midgard erreicht haben. Der Tesserakt war zwar nicht der Gedankenstein, aber Lokis magische Fähigkeiten waren inzwischen so konzentriert, dass die Energie an sich ausreichen sollte, um einen Teil der Erinnerung auszutauschen: Die zentrale Person. „Ist es nicht eigentlich schön hier?“ Der andere hat sich noch immer nicht zu Loki umgedreht, denn seine Augen verfolgen einen Kometenschauer, bis er aus dem Blickfeld herausgeschwirrt ist. Er wirkt, als sei er gar nicht richtig anwesend und für einen Moment fragt Loki sich, ob ihm hier etwas entgangen ist. „Ja. Durchaus“, gibt er dann leise zu und bleibt unschlüssig schräg neben dem anderen stehen. So, dass er sich geradeso außerhalb dessen Blickfeldes befindet. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe lange nicht mehr so eine friedliche Umgebung erlebt.“ Loki hasst dieses Gefühl. Zögern. So kennt er sich nicht. Er muss ich selbst einen Ruck geben. Er muss handeln. Nur noch die Hand ausstrecken. Er ist ihm nah genug, er muss nur noch die Hand ausstrecken. Wenn er es jetzt nicht tut, wird er es nie tun. Loki versichert sich, dass ihre gemeinsame Spiegelung in der dunklen Fensterscheibe undeutlich genug ist, um unerkannt zu handeln, dann hebt er blitzartig die Hand, legt sie dem anderen auf den Kopf und stößt ihm seine eigenen Erinnerungen in den Schädel. Die Sekunden vergehen, während Lokis Gedanken an die Zeit vor, während und nach seinem Angriff auf Midgard durch seinen Kopf schießen. Der Handel. Das Zepter. Die glasklaren Gedanken. Sein Eintreffen in Midgard. Barton. Stuttgart. Die Gefangennahme. Der gläserne Käfig. Ihnen mangelt es an Überzeugung. New York. Das Portal. Seine Zweifel. Die Chitauri. Die Kämpfe. Der Hulk. Thanos‘ Bedrohung. Der Kerker. Er droht, ebenfalls in den Strudel hineingesogen zu werden, doch der glasklare Gedanke an ein neues Schicksal hält Loki aufrecht. Als sie zum Ende der Sequenz kommen, reißt Loki seine Hand los und taumelt. Er verliert mit pochendem Herzen das Gleichgewicht und landet mit einem pfeifenden Atemzug neben dem anderen auf der Pritsche. Stille. Als sei gar nichts geschehen. Hat sein Zauber überhaupt seine Wirkung entfaltet? Dann hört er leise die Stimme: „Weißt du, Bruder. Manchmal fragte ich mich, warum ich das Midgard damals angetan habe.“ „Ich weiß“, antwortet Loki schwer, „Und ich kann es dir auch nicht erklären.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)