Wiedersehen von traumherz ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ein Jahr war vergangen, seit Kate herausgefunden hatte, was ihre Mutter getan hatte. Seit sie Clint kennen gelernt und sich ihr Leben über Nacht geändert hatte. Einiges zum Schlechteren, aber Vieles auch zum Besseren. Was ihre Mutter anging, versuchte sie nicht zu viel darüber nachzudenken. Sie saß im Gefängnis, und das war richtig so. Sie war eine Verbrecherin. Eine Mörderin. Natürlich würde sie auch immer Kates Mutter bleiben, aber was Kate aktuell immer noch am meisten brauchte, war Abstand von ihrer Mutter. Zumindest auf die Familie bezogen. Ein Jahr war vergangen, seit Kate Yelena Belova kennengelernt hatte. Was Kate eigentlich am allermeisten brauchte, war, sie wieder zu sehen. Sie konnte nicht aufhören, an sie zu denken. Egal ob in der Uni, bei Spaziergängen mit Lucky, verdammt, manchmal sogar während Missionen, konnte sie nicht anders, als an Yelena zu denken. Ihre langen, blonden Haare, die schnellen, fließenden Bewegungen, mit denen sie mühelos nahezu jeden überwältigen konnte … Mehr als einmal hätte sie während einer Mission fast Prügel bezogen, weil sie in Gedanken bei Yelena gewesen war, sich vorgestellt hatte, was sie nun machen würde oder wie sie dabei aussehen würde. Verdammt, irgendwann würde es sie noch umbringen, immer wieder über Yelena nachzudenken. Und doch konnte sie nicht anders. Auch ein Jahr später bekam sie sie einfach nicht aus dem Kopf. Gerade saß sie in ihrem Apartment und starrte die Gabel an. Kate erinnerte sich noch genau daran, wie Yelena vor einem Jahr hier aufgetaucht war. Sie hatten zusammen gegessen und Yelena sich über Kates einzige Gabel amüsiert. Sie hatte immer noch nur eine Gabel. Mehr brauchte sie nicht. War nicht so, als würde Lucky für seine geliebte Pizza eine Gabel brauchen. Kate seufzte frustriert auf und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Sie musste endlich aufhören, an Yelena zu denken. Das musste ein Ende haben! Das hier führte doch zu nichts. Wieso konnte sie nicht aufhören, an sie zu denken? Klar, sie war hübsch. Mehr als das. Yelena war verflucht heiß. Aber es war nun schon ein Jahr her und sie musste sie endlich aus dem Kopf bekommen. Vielleicht war es an der Zeit, sich endlich mal wieder ein bisschen zu amüsieren und sich diesen mörderischen Blondschopf aus dem Kopf zu schlagen. Dass Kate wirklich in einem Club gewesen war, musste auch schon ewig her sein. Das letzte Jahr über hatte sie sich mehr und mehr ihren Missionen gewidmet – vielleicht auch, um sich von allem abzulenken, was letztes Jahr zu Weihnachten passiert war. Ein Teil von Kate hatte das Gefühl, dass es an ihr war, das Unrecht wieder gut zu machen, das ihre Mutter verursacht hatte – und wenn das schon nicht den Leuten gegenüber ging, denen sie tatsächlich geschadet hatte, musste sie doch wenigstens anderen Leuten helfen. Abgesehen davon, dass das immer ihr großer Traum gewesen war. Heute Abend war sie aber nicht Hawkeye, nicht Clints Schülerin oder Partnerin, sondern einfach ein Mädchen, das jemanden abschleppen wollte, um nicht mehr die ganze Zeit an diese verfluchte Frau zu denken, die ihr mit Leichtigkeit den Kopf verdreht hatte. Auch wenn das bedeutete, sich zu betrinken und die erstbeste hübsche Frau zu verführen, die ihr dort über den Weg lief und die signalisierte, dafür bereit zu sein. Ihr Name war Izabel. »Nenn mich Izzy.« Eigentlich hatte Kate nicht vor, sie überhaupt irgendwie zu nennen. Es war nicht unbedingt ihre Art, Frauen für bedeutungslosen Sex abzuschleppen, sie hatte gewisse romantische Vorstellungen, aber gerade musste es sein. »Lass uns zu mir gehen«, schlug Kate schnell nach den ersten Drinks vor und nachdem sie zusammen getanzt hatten. Die Hitze, die von Izzys Körper ausging, würde sie hoffentlich endlich von ihren Gedanken an die schöne Russin ablenken. Also nahm sie Izzy mit nach Hause und beschloss auch gar nicht, dort lange zu fackeln und sich mit Geplänkel aufzuhalten. Als sie den Schlüssel ins Schloss steckte und öffnete, war sie in Gedanken schon im Bett mit Yelena. Nein. Izzy, verdammt! Kaum hatte Kate die Tür geöffnet, wusste sie jedoch, dass hier etwas nicht stimmte. Sie wusste nicht, was genau es war, aber jemand war hier gewesen. Vielleicht war diese Person immer noch hier. War es wieder jemand, der an Clint heranwollte und es vielleicht über sie versuchte? »Ah. Kate Bishop.« Die ihr bekannte Stimme mit dem russischen Akzent riss sie so heftig und mit voller Wucht zurück ins Hier und Jetzt, dass sie das Gefühl hatte, dass ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Yelena war hier. In ihrer Wohnung. Ohne Vorwarnung. Eigentlich hätte es sie nicht mehr überraschen dürfen, immerhin war das nicht das erste Mal. Aber verflucht nochmal, was tat sie hier?! »Dich kenne ich nicht.« Yelena klang eher amüsiert als alles andere, als ihr Blick auf Izzy fiel, die einfach nur verwirrt wirkte. Eifersüchtig war sie offensichtlich nicht. Kate presste die Lippen aufeinander. Wieso sollte sie auch? Zwischen ihnen war nichts gelaufen und nur weil sie seitdem die ganze Zeit an Yelena dachte und die ihr vollkommen den Kopf verdreht hatte, bedeutete das eben noch lange nicht, dass das irgendwie auf Gegenseitigkeit beruhte. Trotzdem ertappte Kate sich bei dem Gedanken, irgendwie … enttäuscht zu sein. Sie hatte sich gewünscht, dass sie Yelena vielleicht auch nicht so egal wäre und dass sie vielleicht auch manchmal an sie gedacht hatte. Was sie wieder zurück zu der Frage führte, was zur Hölle sie hier eigentlich zu suchen hatte. »Ich wusste nicht, dass du eine Freundin hast.« Izzy klang wütend. »Habe ich nicht.« Yelena winkte ab. »Oh, lasst euch nicht stören. Ich kann auch hier warten.« Sie ließ sich demonstrativ auf die Couch fallen und fing an, Lucky hinterm Ohr zu kraulen, der ein leises Brummen von sich gab. Verräter. »Vergiss es. Das hier war eine beschissene Idee.« Bevor Kate irgendetwas erwidern konnte, war Izzy schon hinausgestürmt. Kate war fast schon erleichtert darüber. Jetzt, wo Yelena hier war, bei ihr, greifbar, konnte sie nicht mehr nachvollziehen, wie sie je auf den Gedanken hatte kommen können, dass sie sich mit einer anderen Frau irgendwie ablenken konnte. »Das ging aber schnell.« Immer noch schwang ein gewisses Amüsement in Yelenas Stimme mit. »Ich hoffe, ich habe dir jetzt nicht den Abend verdorben.« »Doch. Nein. … Ich weiß es nicht.« Sie atmete tief durch. »Was zur Hölle machst du hier?!« Yelena zuckte mit den Schultern und stand von der Couch auf. »Ich war in der Gegend und mir ist eingefallen, dass wir unser Date nicht gemacht haben.« »Unser … Date?« Kates Herz schlug schneller. Sie wollte sich gar nicht so große Hoffnungen machen und verfluchte sich gleichzeitig dafür, dass ihr das überhaupt so wichtig war. Es gab doch noch so viele andere Frauen, verdammt! »Jaaa. Weißt du das gar nicht mehr?« Yelena grinste schief. »Letztes Jahr. Als ich Clint Barton noch töten wollte. Du hast gesagt, es ist Weihnachten, Yelena, lass uns doch lieber was trinken gehen. Ich hab gesagt, „Ja, aber erst muss ich Clint Barton töten“, dann hab ich mich entschieden, ihn am Leben zu lassen, aber als ich später was mit dir trinken wollte, warst du gar nicht mehr in der Stadt.« »Oh … das.« Kate biss sich auf die Unterlippe. Das hatte sie damals nur gesagt, um Yelena von ihrem Vorhaben abzulenken – was natürlich nicht funktioniert hatte. Niemals hätte sie geglaubt, dass sie sich tatsächlich noch daran erinnern würde. Was bedeutete das jetzt? Bedeutete das überhaupt irgendetwas? Und war Yelena tatsächlich deswegen hier? Kate konnte sie einfach nicht einschätzen. Sie wusste nicht, was in Yelenas Kopf vor sich ging, was sie leider nur noch faszinierender machte. »Ich wusste natürlich, dass du mit ihm mitgegangen bist, um mit ihm und seiner Familie zu feiern.« »Natürlich wusstest du das.« Kate war nicht überrascht. »Ich weiß immer, was du tust, Kate Bishop.« Sie kam näher, war nun nicht einmal mehr eine ganze Armlänge von ihr entfernt. Wenn Kate sich nun vorbeugte, um sie zu küssen, würde Yelena es geschehen lassen? Würde sie es mitmachen? Würde es ihr gefallen? Oder stieß sie sie weg, weil sie nur mit ihr spielte, ganz wie die Spionin, zu der sie ausgebildet worden war? Verdammt, wie sollte Kate klar denken können, wenn Yelena hier direkt vor ihr stand und ihr direkt wieder den Kopf verdrehte? Wahrscheinlich war ihr vollkommen klar, welche Macht sie gerade über sie hatte und dem Grinsen in Yelenas Gesicht nach genoss sie es zutiefst. Ein Teil von Kate wollte ihr dieses selbstbewusste Grinsen aus dem Gesicht schlagen. Der wesentlich größere Teil wollte sie küssen, bis sie beide nach Atem schnappen mussten. Sie konnte Yelena nicht noch einmal einfach gehen lassen. »Was genau willst du jetzt hier, Yelena? Bist du wirklich deswegen hier?« »Kann ich meiner guten Freundin Kate Bishop keinen Besuch abstatten, ohne dass es irgendwelche Verdächtigungen gibt?« Sie legte sich mit einer fast schon theatralischen Geste die Hand auf die Brust und lachte auf, warf dabei ihr langes, blondes Haar, das sie zu einem Zopf geflochten hatte, nach hinten. Wenn sie so weiter machte, würde Kate leider über sie herfallen müssen. Scheiß drauf. Mit einer schnellen Bewegung huschte sie vorwärts, legte ihre Lippen auf die von Yelena und küsste sie. Yelena stieß sie nicht weg, wie Kate einen Moment lang fast befürchtet hatte, sondern erwiderte den Kuss, und schon diese kleine Kostprobe war genug, um das letzte Jahr vollkommen wettzumachen. Sie hätte das schon viel früher machen sollen. Leider war da dieser kleine Interessenskonflikt gewesen, dass Yelena Clint hatte umbringen wollen. »Ich dachte schon, du tust das nie.« Yelena grinste und löste sich langsam von ihr. Kate griff nach ihrer Hand, verschränkte ihre Finger mit denen von Yelena, und zog sie fast schon instinktiv wieder näher an sich heran. Sie wollte nicht, dass es damit schon vorbei war. Kate hatte viel zu lange auf diesen Moment warten müssen und doch befürchtet, dass er niemals kommen würde. »Mmh, nicht so schnell«, sagte Yelena, hob spielerisch tadelnd den Finger und zog ihre Hand langsam wieder aus der von Kate. Kate liebte und hasste sie gleichzeitig dafür, dass ihr das offensichtlich so viel Spaß machte. »Du hast mir ein paar Dinge versprochen, als ich das letzte Mal hier war. Die Drinks. Und du hast gesagt, ich muss mir den Weihnachtsbaum ansehen.« »Den … hast du doch schon gesehen«, keuchte Kate. Gerade hatte sie nun wirklich keinen Kopf für diesen verfluchten Baum, egal wie atemberaubend er war. Er war nichts gegen Yelena. »Und ich wollte noch das Empire State Building sehen. Die Freiheitsstatue. Ich hatte so viel zu tun beim letzten Mal, da konnte ich mir gar nicht alles ansehen. Außerdem bist du hier aufgewachsen. Du kannst mir alles zeigen.« Es war schwierig, den Impuls zu unterdrücken, frustriert zu stöhnen. Es gab Einiges, was sie Yelena nur zu gerne erklären wollte, aber nichts davon hatte mit einer Stadtführung zu tun. Gleichzeitig wollte sie gerne mehr Zeit mit ihr verbringen. Es ging nicht nur darum, dass sie gerne mit Yelena im Bett landen wollte, sondern sie wollte sie besser kennenlernen, Zeit mit ihr verbringen. Aber verflucht, natürlich wollte sie AUCH Sex mit ihr. Yelena folterte sie hier mit voller Absicht, und Kate konnte ihr nicht einmal wirklich böse deswegen sein. »Also komm, wohin gehen wir zuerst?« »Jetzt noch?« Kate zog die Augenbrauen hoch. »Ja. New York ist doch die Stadt, die niemals schläft. Los, zeig mir New York.« »Aus der Nummer komme ich nicht raus, oder?« »Nope.« Yelena strahlte regelrecht. »Na schön.« Sie streichelte nochmal Lucky, gab ihm was Frisches zu trinken und einen Snack und brach dann mit Yelena zusammen auf in das leuchtende, verschneite Farbenmeer New York Citys. Wieso Yelena eine Stadtführung gewollt hatte, war Kate schleierhaft, denn es stellte sich heraus, dass sie natürlich schon jede Menge wusste. Yelena erzählte ihr alles, was sie über berühmte Gebäude und Bauwerke wusste und suchte am Ende sogar die Bar aus, in der sie sich ihre Drinks beschafften. Kate entging dabei nicht, dass Yelena sich in der Bar immer wieder umsah. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Langsam bekam sie das Gefühl, dass es doch andere Gründe hatte, weshalb die Spionin hier war, und das wäre okay gewesen, natürlich, wenn sie ihr nicht erst Hoffnungen gemacht hätte, dass es anders sein könnte. Wie hatte sie nur so naiv sein können, zu denken, dass Yelena tatsächlich ihretwegen bei ihr aufgetaucht war? »Wieso sind wir hier, Yelena?«, fragte sie irgendwann noch einmal fast schon kraftlos. Sie wollte wütend sein, konnte es aber nicht. Dafür war sie gerade viel zu enttäuscht. »Ich habe gehört, dass es hier die besten Drinks der Stadt gibt.« »Das ist aber nicht der Grund, weshalb wir hier sind.« Kates Stimme klang nun deutlich schärfer. »Hör auf, mich zu verarschen. Ich merke doch, dass du hier irgendeinen Job hast oder so.« »Ach, Kate«, seufzte Yelena schon fast. »Stell dich doch nicht so an. Das Eine schließt das Andere nicht aus, oder?« Sie leugnete es nicht einmal. Was sollte Kate jetzt mit dieser Information anfangen? »Wieso nimmst du mich dann mit?« »Moment.« Ohne auf die Frage einzugehen, stand Yelena auf und passierte einen Typen im teuren Anzug, dem sie einen Umschlag zusteckte. Es ging so schnell, dass es mit Sicherheit niemand außer Kate bemerkt hatte, und auch sie hatte es nur gesehen, weil sie Yelena kannte und wusste, worauf sie zu achten hatte. Und weil sie mit genau so etwas nun schon gerechnet hatte. Einen Moment war sie unsicher, ob sie hier warten oder doch lieber gehen sollte. Warum auch immer Yelena sie mitgenommen hatte, es war nicht gewesen, weil sie wirklich Zeit mit ihr hatte verbringen wollen. Wahrscheinlich hatte sie ein Back-Up gewollt, falls irgendetwas schief ging. Weil sie genau wusste, dass Kate sie nicht einfach im Stich lassen würde, wenn sie in Schwierigkeiten war – auch wenn unwahrscheinlich war, dass Yelena Belova, ausgebildete Black Widow, sich nicht selbst zu helfen wusste. Yelena war auf die Toilette verschwunden, vermutlich damit es nicht zu auffällig war, dass sie aufgestanden war. Wäre sie zu dem Mann gegangen und wieder zurück zum Tisch, hätte es vielleicht Leuten auffallen können. Dafür war Yelena viel zu professionell. Ohne noch weiter darüber nachzudenken, stand Kate auf und stürmte nach draußen. Sie wollte nicht hier sitzen bleiben wie bestellt und nicht abgeholt und nicht darüber nachdenken, dass Yelena nicht einmal ehrlich mit ihr darüber gesprochen hatte. Sie hätte sie doch auch um Hilfe bitten können, ohne mit ihr zu spielen. Ihre Schritte beschleunigten sich und sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte. Wenn sie nach Hause ging, würde Yelena vielleicht dort auftauchen und sie wollte gerade eigentlich gar nicht mit ihr reden. Sie konnte aber auch nicht einfach nicht dorthin gehen. Für ein paar Stunden kam Lucky gut alleine klar, aber irgendwann würde sie notgedrungen nach Hause müssen. Wahrscheinlich war Yelena bis dahin aber auch schon wieder längst aus der Stadt verschwunden, wenn sie erledigt hatte, was sie zu tun hatte. Vielleicht hatte sie sich sowieso bereits aus dem Staub gemacht und gar nicht gemerkt, dass Kate überhaupt gegangen war. Sie schob die Gedanken beiseite. Es hatte einfach keinen Zweck, sich nun weiter den Kopf darüber zu zerbrechen. Kate schlenderte einfach noch ein bisschen durch die Stadt und versuchte, nicht mehr an die blonde Russin zu denken. Sie wusste nicht, wie lange sie schon durch die Gegend gelaufen war, als sie Schritte hinter sich hörten, die sich von den normalen Geräuschen der Menschen abhob, die um diese Zeit immer noch in New York unterwegs waren. Es stimmte schon, dass die Stadt niemals schlief. Vor allem nicht in der Adventszeit, wenn überall Weihnachtsmärkte waren, Firmen Weihnachtsfeiern veranstalteten und alle die Atmosphäre genießen wollten. Kate wirbelte herum und war gleichzeitig überrascht und nicht überrascht, in Yelenas Gesicht zu blicken. »Wieso bist du einfach gegangen?!« Kate konnte nicht einschätzen, ob Yelena wütend war oder nicht. Ihre Stimme wirkte etwas aufgewühlt, mehr als es für sie üblich war, aber ihrem Gesicht war nichts anzumerken. »Wieso nicht? Du hast mich nur mitgenommen, damit ich dir im Notfall den Rücken freihalte, oder nicht? So viel habe ich jetzt mitbekommen.« Kate wiederum klang eindeutig verärgert, und war deswegen nur noch wütender auf sich selbst. Wieso schaffte sie es nicht, es egal wirken zu lassen? Wieso musste es ihr so verdammt wichtig sein, was mit Yelena war? »Ich habe doch schon gesagt, dass das Eine das Andere nicht ausschließt. Wieso soll man nicht das Angenehme mit dem Geschäftlichen verbinden, wenn es sich anbietet?« Kate hatte das Gefühl, unter Yelenas intensivem Blick jeden Moment zusammenzubrechen. Und vielleicht konnte Yelena wirklich nicht nachvollziehen, wieso sie sie verletzt hatte. Wenn man bedachte, wie sie aufgewachsen war, war das vermutlich auch nicht weiter verwunderlich. Deshalb konnte sie nicht einmal richtig wütend auf Yelena sein, aber das änderte nichts daran, dass es sich nicht gut anfühlte. »Ich dachte, dass du wirklich etwas mit MIR unternehmen wolltest!« »Das wollte ich doch auch, Dummkopf.« Yelena machte einen Schritt auf sie zu. »Ich musste nur noch etwas erledigen. Was denkst du, wieso ich dich dabeihaben wollte? Ich vertraue dir. Ich vertraue sonst nicht besonders vielen Menschen.« Yelena hatte ihr die Worte so heftig entgegengeschleudert, dass Kate instinktiv fast zurückzuckte. Yelena vertraute ihr. Das war sicher etwas Besonderes. »Wieso … hast du mir dann nicht einfach vorher ehrlich gesagt, dass du willst, dass ich mitkomme, um dir im Notfall den Rücken zu decken?« »Weil ich nicht wollte, dass du nur mitkommst, weil du das Gefühl hast, es tun zu müssen, okay?! Suka.« Sie grub ihre Finger in den Stoff von Kates Kleidung, zog sie zu sich heran und küsste sie so intensiv, dass Kate für einen Moment fast schwindlig wurde. Sie wollte mehr, mehr, mehr … Es spielte keine Rolle, dass sie hier irgendwo mitten auf der Straße waren. Es kamen immer mal vereinzelt Leute vorbei, aber auch das war egal. Was gerade zählte, waren nur noch sie und Yelena. »Ich wollte wirklich Zeit mit dir verbringen.« Yelena sah ihr in die Augen. »Was mit dir trinken gehen, mir mit dir die Stadt ansehen, einfach Spaß haben. Wieso machst du es so kompliziert?« Sie schüttelte den Kopf. »Egal.« Wieder küssten sie und Kate sich stürmisch und sie war froh, für den Moment nicht antworten zu müssen. »Lass uns nach Hause gehen«, krächzte Kate schon fast. »Vergiss es. So lange warte ich nicht.« Yelena zog sie mit sich, steuerte die Büsche im Park an. »Yelena …« War das jetzt ihr verdammter Ernst?! »Komm schon. Hast du etwa Angst, Kate Bishop?« Sie kniff Kate neckisch in die Seite. »Das ist doch viel aufregender als zu Hause.« Kate hatte das Gefühl, dass ihr Herz so laut pochte, dass man es drei Meilen entfernt noch hören würde. Aber es stimmte. Sie wollte Yelena. Jetzt. Sie wollte nicht noch länger warten müssen. Der Schnee unter ihnen war kalt, doch das spielte keine Rolle. Kate war regelrecht in Yelena versunken, überhäufte sie immer wieder mit Küssen und liebkoste ihren Körper. Dass sie jederzeit erwischt werden könnten, machte es nur noch aufregender. In der Öffentlichkeit hatte sie noch nie herumgemacht. Nicht so. Sie stöhnte leise auf, als Yelena die Hand zwischen ihre Beine schob, und ließ sich einfach fallen. In diesem Moment zählte nichts außer ihnen. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, war sie fast überrascht, in ihrem eigenen Bett zu liegen. Heute war es wärmer als gestern, die Sonne brachte den Schnee auf den Dächern der Stadt langsam zum Schmelzen. Nachdem sie mit Yelena den heißesten Sex ihres Lebens gehabt hatte – in einer Winternacht im verdammten Central Park – waren sie doch noch nach Hause gegangen. Der letzte Gedanke, bevor sie eingeschlafen war, war gewesen, dass Yelena am nächsten Morgen bestimmt nicht mehr hier sein würde. Doch als Kate die Augen aufschlug, lag Yelena neben ihr. Sie wirkte so friedlich … und gleichzeitig selbst im Schlaf wachsam. Ob Yelena jemals vollkommen losgelöst sein konnte? Konnte sie sich überhaupt entspannen? Kate grinste leicht. Sie würde ihr zumindest ein bisschen dabei helfen, sich zu lockern. »Du grinst sehr laut, Kate Bishop«, gab Yelena plötzlich von sich. Sie störte sich schon lange nicht mehr an der Angewohnheit der Spionin, immer wieder ihren Vor- und Nachnamen zu sagen. »Man kann niemanden grinsen hören.« »Wieso habe ich dich dann gehört?« »Ach, halt den Mund.« Sie strich mit ihren Händen sanft über Yelenas Brüste und gab ihr noch einen Kuss. »Du bist echt unersättlich, oder?« »Ja.« Zumindest wenn es um Yelena ging. Ein Jahr lang hatte sie schließlich auf das hier gewartet – oder vielmehr gehofft, dass es passierte. Gleichzeitig hätte sie es niemals wahrhaftig zu träumen gewagt, irgendwann morgens neben Yelena Belova aufzuwachen. Yelena legte ihre Lippen noch einmal auf die von Kate und stand dann auf. »Ich mache uns etwas zu essen.« Kate wagte nicht, danach zu fragen, wie lange Yelena nun bleiben würde. Sie schob den Gedanken beiseite und folgte Yelena langsam in die Küche, wo sie schon dabei war, Dinge zusammen zu suchen. Bei der Besteckschublade hielt sie inne. »Du hast immer noch nur eine Gabel.« »Ich wohne immer noch alleine.« Yelena grinste schief. »Wir gehen heute Gabeln kaufen. Ich will, dass welche da sind, wenn ich das nächste Mal hier bin.« Kates Herz schlug schneller, als Yelena das sagte und plötzlich schien die Welt in Ordnung zu sein. Yelena würde wiederkommen. Und diese kleine Ankündigung war es, die diesen Augenblick besonders perfekt machte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)