Der Fund von Arcturus ================================================================================ I - Schon nach wenigen Metern umschloss die Kasaltmine sie wie der Schlund eines Drachen; eng, warm und unangenehm feucht. Und still. So verdammt still.  Weil die Arbeiten schon seit Tagen ruhten, befand sich niemand außer ihnen im Stollen. Stumm waren die Spitzhacken, mit denen die Bergarbeiter das Kasalt aus dem Stein schlugen, genauso wie die Karren, die sonst über krumme Schienen Richtung Tageslicht polterten. Niemand blaffte Anweisungen und niemand stöhnte unter der strapaziösen Arbeit. Allein ihre Schritte hallten von den Wänden wider, ein jeder ein klammes Platschen auf dem feuchten Stollenboden. Das Kasalt machte es schlimmer. Am Anfang waren es nur einsame Sprenkel purpurfarbener Magie, die sich vom dunklen Gestein abhoben, wie Sterne vom endlosen Nichts des Firmaments. Für viele Schritte glomm das Erz gerade hell genug, um die Dunkelheit, die sie umfing, zu betonen. Doch desto weiter sie in den Stollen vordrangen, desto eindringlicher wurde das Leuchten. Wie auf unsichtbaren Schnüren gefädelt reihten sich die Kasaltsprenkel bald aneinander, formten erst Schwärme und Bänder, dann ganze Galaxien aus purpurnem, lumineszierenden Erz. In diesem Licht wurden selbst die sanftesten Vorsprünge zu scharfen Klauen, jeder noch so kleine Nebenstollen zu einem gähnenden Maul mit leuchtenden Zähnen. Wasser, das in der Ferne von der Höhlendecke tropfte, klang wie in freudiger Erwartung laufender Geifer. Zu einfach war es, sich vorzustellen, wie die Schatten sich lösten und- Pax schüttelte den Kopf. Nein. Sein Verstand wusste, dass die Fantasie mit ihm durchging. Verdammt, selbst seine Fantasie wusste, dass sie mit ihm durchging. Wie ein bleiches Ross mit leuchtenden Augen und brennenden Hufen lauerte sie am Rande seiner Wahrnehmung darauf, beim nächstbesten Flackern loszupreschen. Er presste die Augen zusammen und schlang den Umhang fester um seine Arme. Zu gern hätte Pax seine Begleiter gefragt, warum sie den Auftrag überhaupt angenommen hatten, doch er kannte die Antworten. Sie waren flach, rund und glänzten. Als der Vorarbeiter sie auf dem Marktplatz angesprochen hatte, hatte sich das alles auch in seinen Ohren noch nach einer guten Idee angehört. Geht in die Mine, hatte er gesagt. Beseitigt die Monster, die unsere Bergarbeiter bedrohen. Werdet bezahlt. Einfach. Nichts, was sie so oder so ähnlich nicht schon ein halbes Dutzend Mal getan hätten. Im purpurnen Licht des Stollens sah die Sache schon ganz anders aus. Zumindest für Pax.  Im Wortschatz seiner Begleiter existierten Wörter wie „Bedenken“ und „Zweifel“ schlicht nicht. Selbst jetzt wirkten die beiden souverän. Das unwirkliche, purpurfarbene Licht ließ Sairas Rüstung bedrohlich glitzern und ihre Hörner in einem noch blutigeren Rot als üblich leuchten. Die Entschlossenheit, mit der sie voranschritt, konnte einen fast glauben machen, dass der Stein selbst vor ihr zurückwich.  Und Tavell … war ein Barde. Ein Halbelf, noch dazu.  Er sah immer souverän aus, selbst dann, wenn er gerade durch die Latrine eines Trolls kroch. Seine Selbstsicherheit wirkte beinahe schon unverschämt lässig. Ein silbriger Schimmer ließ seine kühle, braune Haut und seine kurzen Dreads von Natur aus strahlen und hob seinen Mut und sein Charisma hervor. Wie von selbst verschwanden all die Dinge, die er niemanden sehen lassen wollte, im Hintergrund. Selbst sein Sinn für Mode – etwas auffällig vielleicht, aber immer hochwertig, immer perfekt geschnitten und selbst im größten Schlammloch so sauber wie am ersten Tag – unterstrich das. Pax dagegen hatte abgesehen von einem schmächtigen Halblinghintern, der ihm viel zu oft auf Grundeis ging, nicht viel zu bieten. Viel zu viele Sommersprossen, vielleicht, und Haare auf den Füßen. Eine Abenteurerausrüstung, die er von seiner Mutter geerbt hatte. Eine finstere Ahnung, die ihm seit diesem einen verdammten Abend in der Taverne zur Verschollenen Ziege im Nacken saß und ihm düstere Wahrheiten ins Ohr raunte. Missmutig starrte er auf seine Finger, die im Licht des Kasalts noch käsiger wirkten als sonst. Fast war es, als würde seine Haut selbst leuchten, kalt und unwirklich. Krank. Der Drang, umzudrehen, wurde stärker. Der Drang, tiefer in die Mine vorzudringen, auch. Gehören tat Pax davon nur einer. Der andere war ihm so fremd, wie der Einhänder, den Saira ihm aufgenötigt hatte, und doch pulsierte er durch seine Adern, wie ein viel zu nahes Echo. Ein paar Schritte später übertönte Tavells Rückfront das Echo.  Erst traf ihn das satte Grün seines Umhangs, der Pax augenblicklich einhüllte, wie ein Teppich. Dann folgte die Erkenntnis, dass der Barde seine Laute noch immer unter dem Stoff trug – und dass diese immer noch genauso hart war wie beim letzten Mal. „Ouw“, verkündete Pax. Unglücklich spuckte er Stoff. Vor ihm drehte Tavell sich um und erwischte ihn mit der Laute fast noch einmal. Das Grinsen schlich sich nicht nur auf seine Lippen, sondern auch in seine Worte. „Na? Ist dir der Kasalt immer noch nicht hell genug?“ „Sehr witzig. Aber nein. Dein Ego hat mich geblendet.“ Das und die verdammte Laute. Pax rieb sich die Nase. „Warum bleiben wir stehen?“ Im Licht des Kasalts sah Pax, wie Tavells Mund sich in Vorfreude auf die Antwort, die ihm sicher bereits auf der Zunge lag, verzog, doch Sairas schnitt ihm mit einem Schnauben das Wort ab. „Erinnert ihr euch an den Schlüssel, von dem der Vormann gesprochen hat?“, fragte sie, ohne sich zu ihnen umzudrehen. „Bitte sagt mir, dass einer von euch ihn mitgenommen hat.“ „Pax hat ihn“, erklärte Tavell im Brustton der Überzeugung, stockte dann aber. „Du hast ihn doch, oder?“ Pax zog die Augenbrauen hoch. „Was für einen Schlüssel?“ „Den, den dir dieser Bergarbeiter gegeben hat?“ „Der Bergarbeiter hat mir ein paar Knochenlichter gegeben.“ Er zog eines der Röhrchen aus seiner Tasche und schüttelte es, bis es seine Hand in kühles, grünes Licht tauchte. „Keine Dunkelsicht. Du erinnerst dich?“ Schweigen legte sich über sie. Irgendwo in der Ferne ächzte ein Holzbalken unter dem Gewicht des Stollens.  Es war Pax, der sich schließlich räusperte. „Nun, dafür haben wir unseren Dieb, oder?“  Noch während er sprach, warf er einen Blick über seine Schulter. Einen Moment erwartete er tatsächlich, dass das fehlende Mitglied ihrer Truppe aus den Schatten treten würde, doch das schummrige Licht des Kasalts flackerte nicht einmal.  „Uhm, Leute?“, sagte Pax. „Wo ist unser Dieb?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)