Seasons of life. von robin-chan (If it's meant to happen, it will.) ================================================================================ Kapitel 8: New habits. ---------------------- late autumn Es war Ende November, und die Temperaturen waren merklich gefallen, als Nami den Video-Call mit Vivi beendete. In ihrer neuen Umgebung fanden Gespräche einen neuen Stellenwert, vor allem seit die Zeitverschiebung unter der Woche die Abstimmung erschwerte. Neue Gewohnheiten bildeten sich, und auch wenn sie sich allmählich daran gewöhnte, vermisste sie die regelmäßigen Treffen, besonders die wöchentlichen Essensrunden mit Zoro und Tasha. Letztere hatten sie jedoch kreativ in ihre Fernfreundschaft integriert – gemeinsames Kochen trotz räumlicher Distanz. Mit einem leisen Kopfschütteln stand Nami vom Sofa auf. Noch hatte sie ein paar Minuten, bevor sie aufbrechen musste. Denn heute stand etwas Besonderes an: ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt. Für sie bedeutete das mehr als nur festliche Stände und funkelnde Lichter. Der Markt versprach eine willkommene Ablenkung von der manchmal einsamen Atmosphäre ihrer neuen Wohnung, die langsam zwar gemütlich wurde, aber dennoch Spuren der Sehnsucht nach den Liebsten, vor allem nach Robin, trug. Es war eben ein Prozess, der seine Zeit brauchte. Heute jedoch war sie nicht allein unterwegs. Der Vorschlag kam von Reiju, ihrer neuen Bekanntschaft aus der Wohnung zwei Stockwerke über ihr. Nach einem Beinahezusammenstoß am Tag ihres Einzugs, bei dem Reiju es eilig hatte, kamen sie in der folgenden Woche in ein Gespräch. Sie häuften sich über die Wochen und das bevorstehende Treffen nannte Reiju ihre kleine Wiedergutmachung. Vielleicht ein Stück zurück in gewohnte Unternehmungen. Es war anders und dann wieder nicht. Vor dem Treffen hatte sich Nami kaum über die verschiedenen Weihnachtsmärkte informiert. Anders als gewohnt, fand ein Teil lediglich an ausgewählten Tagen statt. Was sie aber dennoch langsam empfand, war Entspannung. Das Ambiente half zunehmend und auch ihre Begleitung. Reiju war eine recht offene und lustige Gesellin, die mit ihren pastellrosa Haaren hervorstach. War Nami ehrlich, so dachte sie bei ihr nicht gerade an eine Anwältin. Erst recht nicht für internationales Wirtschaftsrecht. Obwohl sie sich eingestand, dass das vielleicht mit ihren nicht allzu guten Erfahrungen zusammenhing. Bei einem Stand mit handgefertigten Ornamenten blieb Reiju dann stehen und ein Funkeln, verstärkt von den Lichtern war in ihren Augen erkennbar. »Stehst du auf Kitsch?«, fragte Nami frei heraus und grinste leicht. Reiju wandte sich zu ihr und zuckte die Schultern. »Weihnachten ist meine Ausnahme. Das restliche Jahr über würde ich solche Sachen kurzerhand aus dem Fenster werfen.« Sie mussten beide lachen. War es nicht oft der Fall? »Und du«, dabei betrachtete sie wiederum das Stück, »kommst mit.« Nami gefiel die Umgebung, aber die Grundstimmung blieb noch aus. Vielleicht kam sie im Laufe der nächsten Wochen. Dieses Jahr war Neuland. Erstmals nicht mit allen in London, aber ganz allein verbrachte sie die Feiertage auch nicht. »Mein Bruder wird sich freuen«, grinste Reiju, nachdem sie vom Zahlen zurückkehrte und siegreich die kleine Tüte hochhielt. »Aber sag, fällt dir die Umstellung allmählich leichter?« Leichter … konnte man davon reden? Nami ließ sich mit einer Antwort Zeit, dabei gingen sie weiter. »Kommt auf die Situation an. Nachrichten sind weniger das Problem, aber will man telefonieren-« »Die Verschiebung erinnert einen«, beendete Reiju. »Sieben Stunden sind sieben Stunden und dann ist die körperliche Distanz. Einfach das spontane Vorbeikommen.« Nami seufzte und warf einen Blick gen Himmel. »Alles braucht Zeit und ich habe immer gewusst, was auf mich zukommen wird.« »Familie und Freunde sind eine Sache, wie läuft’s mit deiner Freundin?« Das war der Moment, in dem die Sehnsucht zurückkehrte und dennoch lachte sie. Über sich selbst. Natürlich wusste Reiju nichts davon, dementsprechend wurde sie fragend angesehen. »Habe ich dir schon erzählt, dass wir uns erst im Sommer kennengelernt haben? Mitten im Endspurt und jetzt ist das eingetreten, was ich über Jahre vermieden habe – mich verlieben. Okay, verlieben ist untertrieben. Es ist genau so wie ich es befürchtet habe. Ich bin hier, sie ist dort. Armor ist ein kleines, mieses Arschloch.« »Alles andere wäre langweilig«, versuchte Reiju etwas Humor einzubringen. »In der Dauer sehe ich keinen Grund – vorläufig. Genügend wagen den Sprung mit eurer jetzigen Ausgangslage. Ihr hattet bereits Zeit miteinander. Die Frage lautet: habt ihr einen Plan?« Das war der Moment, um stur geradeaus zu schauen. »Konkret? Nein. Irgendwie ignorieren wir das Thema ein bisschen. Okay, ich gehe dem aus dem Weg. Für mich ist Calgary nicht als Kurztrip gedacht. Die Umstellung ist schwer, aber meine Entscheidung fühlt sich richtig an.« An manchen Tagen hatte sie Schwierigkeiten. Alle waren dort und hätte sie einen anderen Weg gewählt, wäre sie bei ihnen. Ihre Liebsten waren der einzige Punkt. Der Rest? Sie mochte die Stadt, sie mochte ihre Arbeit. Gerade fühlte es sich eben genau danach an, was sie immer gewünscht hatte. Ihr Leben gab ihr in den anderen Aspekten genau das Gefühl, das sie sich immer gewünscht hatte. Es war mehr als ein Okay. »Sofern ich die Distanz zu ihnen nicht aushalte, sehe ich mich nicht wieder in London, sprich …« Sie spürte Reijus Hand an ihrem Arm, der sie zum Stehenbleiben brachte. Verständnisvolle Augen sahen sie an. »Ich kenne das Gefühl. Ist eine Zwickmühle. Es braucht Zeit und mit ihr kommen Antworten. Ob gut, ob schlecht sei dahingestellt. Liebe ist besonders tückisch. Irgendwann wird das Gespräch aufkommen und eine Entscheidung fordern. Die Umstände gehen auf Dauer selten gut.« Natürlich würden sie das Thema nicht ewig unter den Tisch kehren können. Momentan begnügte sich Nami damit, dass sie sich halbwegs zurechtfanden. Was in ein paar Wochen geschah, ob Weihnachten darüber geredet wurde … oder was in Monaten geschah, wer wusste das schon? »Hast du Erfahrung oder irre ich mich?«, fragte Nami grübelnd. Irgendwie erhielt sie gerade das Gefühl. »Auf eigene Weise, ja«, sagte sie nur verschmitzt. »Manchmal hilft ein Abend abseits dessen. Wir sind gleich durch und ich weiß nicht, wie es dir ergeht, aber langsam wird die Kälte anstrengend. Lust auf ein paar Drinks?« Die Frage brauchte sie Nami kein zweites Mal stellen. Einen Barbesuch hatte sie bislang nicht unternommen. Allein hatte sie kein Interesse gehabt und sie suchte auch niemanden. Eine halbe Stunde später hielten sie auf eine von Reiju wärmstens empfohlene Bar zu, vor der ihr Bruder wartete. Er wohnte in der Nähe und so ergab es sich, dass er zu ihnen stieß. Nach den Erzählungen war Nami neugierig, er hörte sich nach einer netten Gesellschaft an, trotz der Warnung. Gelassen, aber aufmerksam stand er am Eingang und entsprach der Beschreibung. Ein blonder Schönling, war das erste das ihr durch den Kopf ging, und er bewies Stil. Von Kopf bis Fuß alles aufeinander abgestimmt. Sobald er die beiden erkannte, setzte er ein strahlendes, warmes Lächeln auf und anders als erwartet, marschierte er geradewegs an seiner Schwester vorbei. Er ignorierte sie, Nami hingegen nicht. Mit einem altmodischen Kuss auf den Handrücken stellte er sich als Saniel vor. »Ich habe dich auch vermisst, Sanji«, seufzte Reiju. »Neben einer anderen Frau bin ich Luft«, erklärte sie Nami, mit amüsierter Miene. Diese nickte nur, war sie gerade anderweitig irritiert. »Man darf eine Schönheit nie stehenlassen, Schwesterchen.« Mit den Worten zog er sie in eine Umarmung. »Dich kenne ich ja.« »Ich überlege mir noch, ob ich dir das schenke.« Sein Blick glitt zur Tüte. »Lass mich raten, irgendetwas für meinen Weihnachtsbaum?« Er lachte und stibitzte diese. »Dank ihr ist bei mir alles bunt, ohne roten Faden. Jedenfalls wenn sie auf Besuch kommt«, meinte er zwinkernd an Nami gewandt. »Als ob, du magst es. Gehen wir rein, es wird ungemütlich.« Er hielt ihnen die Türe auf und die entgegenkommende Wärme war genau richtig. Die nächtlichen Temperaturen waren rapide gefallen. Dabei lagen die schlimmsten Temperaturen erst vor ihr. Sie fanden einen Tisch in einem der hinteren Bereiche und als Nami Jacke und Schal ablegte, kehrte der fragende Ausdruck zurück. Hatte sie sich eben verhört oder nicht? »Habe ich vorhin richtig verstanden. Sanji?«, hinterfragte sie daher. »Manche Namen wird man nie los«, seufzte er und gab ihr, nachdem sie Platz genommen hatte, die am Tisch bereits aufliegende Karte. »Habe ich erwähnt, dass wir in Japan geboren sind?« Reiju streifte ihre Ärmel zurück, während Nami, nach kurzem Überlegen, den Kopf schüttelte. Würde zum Namen passen, aber Namen hinterfragte sie selten. »Ursprünglich kommt unsere Familie aus Frankreich, unsere Großeltern sind damals nach Quebec ausgewandert. Unsere Eltern zogen, angetrieben durch Vaters Forschungen, in die Saitama Präfektur. Ich habe offiziell einen japanischen Vornamen erhalten, bei meinen Brüdern sind es lediglich Spitznamen. Unsere Mutter war vermutlich der Grund. Sie war in Frankreich geboren und aufgewachsen.« »Sie wusste, wie sie dem Alten den Kopf verdreht und den Willen durchsetzt«, erklärte Saniel. »Etwas Heimatverbundenheit. Meine Brüder und ich sind Vierlinge … als Babys musste die Unterscheidung schwer gewesen sein.« »Ja, und die Spitznamen habe ich ihnen allen miteingebrockt. Mit vier habe ich manchmal die Namen vertauscht und angefangen, sie mit Zahlen zu betiteln. Ichi, Ni, San, Yon. Unser Vater hat es weitergesponnen.« »Jetzt bin ich auf ewig der drittgeborene Sohn«, lachte Saniel und sah zu seiner Schwester. »Bei ihr macht er mir nichts aus. Meine Brüder hingegen ziehen damit auf.« Nami nickte verständlich. Also hatte sie sich nicht verhört. »Und wo verstecken sich die drei?«, fragte sie, nachdem der Kellner ihre Bestellungen aufgenommen hatte. »Sie haben sich für dort entschieden, wie auch unser Vater«, antwortete Saniel und anhand seines Tonfalls ahnte Nami, dass er äußerst froh darüber war. »Wir sind für eine Weile zurückgekehrt, in dieser Zeit starben unsere Großeltern und unsere Mutter … sie entschieden sich für Japan, wir für Kanada. Beste Entscheidung.« »Verzwickte Familienverhältnisse. Etwas ausschweifend, aber jetzt weißt du, warum ich ihn so nenne.« »Was meine Frage dennoch passend macht, vom Thema her.« Saniel sah sie mit neugierigen Augen an. »Welche Geschichte steckt hinter deinem Namen? Er ist alles, aber nicht alltäglich. Nicht auf dieser Seite.« Passend zur Frage kam der Kellner und gab ihr somit Aufschub. So direkt wurde sie lange nicht mehr gefragt. Zwar hatte sie das Thema mittlerweile überwunden, aber es blieb eben doch ein markantes. Und es war, als würde Reiju den Gedanken wahrnehmen. Als merkte sie, dass sie vielleicht sogar etwas haderte »Du musst nicht alles wissen, mein Lieber.« Ein Seitenhieb, den er verstand. Ihm ging sichtlich ein Licht auf und er rückte sich gerade. »Tut mir leid, trete ich dir zu nahe?« Nami schüttelte den Kopf, nahm einen Schluck ihres Cocktails. Was soll’s. »Nein das nicht – ich bin adoptiert. Der Name ist alles, das ich von meinen leiblichen Eltern mitbekommen habe. Vielleicht existiert irgendeine Geschichte dahinter, vielleicht eine wahllose Angabe. Was es auch ist, ist habe keine Antwort. Meine Mutter hat zwar Nachforschungen betrieben – während einer meiner Trotzphasen – ist aber nie fündig geworden. Ihr Tod hat die Frage für mich endgültig begraben.« »Wortwörtlich …«, nuschelte Reiju und als sie registrierte, dass sie es sich nicht bloß gedacht hatte, schlug sie sich die Hand vor den Mund. Sichtlich wollte sie zu einer Entschuldigung ansetzen, aber Nami kam ihr zuvor und lachte. »Willst du mir erzählen, was dich her verschlagen hat?« Erneut blitzte die Neugierde auf, sobald sie allein waren. »Meine Schwester ist in dieser Hinsicht recht wortkarg.« »Gibt Punkte.« Angesicht dessen, dass Reiju durchaus Informationen in petto hatte, darunter, warum sie nach Calgary zog, war sie positiv überrascht. Manche tratschten schnell weiter. Vielleicht lag es aber an ihrem Beruf, der sie verschwiegener machte. »Sag bloß, ich habe ein Date gecrasht!« Augenbrauen hebend, betrachtete sie sein über beide Ohren grinsendes Gesicht. »Nein, hast du nicht.« »Gehen wir zwei dann aus?« Da kam eher durch, wovor sie Reiju bereits gewarnt hatte. Kopfschüttelnd leerte sie ihr zweites Glas. »Nein, darfst du dir aus dem Kopf schlagen – sie hat geahnt, dass du mir die Frage stellen wirst.« Sein Grinsen ebbte ab, er lehnte sich zurück. Gefiel ihm vermutlich nicht so recht. »Ich bin klar im Nachteil. Also, meine Frage steht noch und jetzt will ich umso mehr die Antwort«, kehrte er zum eigentlichen Thema zurück. Als ob ihn die Zwischenfragen nicht länger interessierten. Vielleicht hatte er genau das bekommen, das er bezweckte. Somit konnte er das abhaken und weitermachen. Kurz ließ sie ihn noch zappeln, ehe sie sich leicht vorbeugte. »Vor über zehn Jahren war ich hier in der Gegend. Hat mich nie losgelassen. Jetzt habe ich den Job gefunden, den ich wollte und ich bin da.« Bei den Erinnerungen, die hochkamen, wurde sie leicht melancholisch. Ihr Blick streifte automatisch durch den gutgefüllten Raum. Die Zeit, zu der sie hier war, war keine leichte, aber hatte ihr der Urlaub geholfen. Vielleicht kam daher die ungewöhnliche Verbundenheit. »Um ehrlich zu sein, habe ich die letzten Jahre investiert, um mir den Traum zu erfüllen.« Und bislang durfte sich Nami nicht beschweren. Sie mochte die neue Arbeit, das Panorama, die Stadt, aber es fehlte etwas. Das Gefühl kehrte zurück, wenn auch nicht lange. So hatte sie sich ihren Traum nicht vorgestellt. »Du vermisst dein altes Leben«, stellte er fest. »Die Menschen, die ich zurückgelassen habe«, gestand sie und lächelte sanft. »Ich bereue meinen Schritt nicht, aber ich habe mir manches leichter ausgemalt.« Sicher, die Wochen waren rasch vergangen, aber die Distanz blieb und es ebbte nicht ab. »Gehen wir noch eine Runde an?«, fragte er aufmunternd. »Reiju ist anscheinend bei einem Bekannten hängengeblieben.« Als sie seinem Blick folgte, fand sie die Gesuchte neben der Bar mit einem Mann reden. Deshalb blieb sie also verschollen. »Kommt mir nicht wie ein Freund vor.« Dann zuckte er mit der Schulter und hielt Ausschau nach einem der Kellner. Mittlerweile wusste sie, was Reiju meinte. Er gehörte jener Sorte an, die Frauen gerne umgarnte, aber er hatte eine sympathische Seite. »Du bist Koch, richtig?« Sofort strahlte er übers ganze Gesicht. »Meine Passion. Irgendwelche Wünsche? Ich kann dir zaubern, was immer du möchtest. Danach wirst du mit keinem anderen Essen jemals wieder zufrieden sein.« »Okay, eine hohe Messlatte.« »Soll ich dich überzeugen?« »Irgendwann. Vielleicht.« »Die Hoffnung lebt.« »Du kannst nicht aus deiner Haut, was?« »Nein, stört’s?« »Kommt auf die Frau an«, neckte Reiju, die sich zurückgesellte und sich auf den Stuhl fallen ließ. »Ich habe schon bestellt.« »Wann?« »Nachdem ich das Gespräch beendet habe. Was? Ich kenne deinen Blick oder wolltet ihr etwa anderes bestellten?« Beide schüttelten den Kopf. Wobei Namis Blick an ihnen haftete. Sie musste lächeln. Der Umgang der zwei hatte eine Vertrautheit, die ihr selbst nur allzu bekannt war. Die sie an ihre Schwester erinnerte. Vielleicht sollte sie sich bei ihr wieder melden. »Du hast uns ungeniert beobachtet«, tadelte Saniel. »Unhöflich von dir.« »Entschuldige meine Höflichkeit. Ein alter Bekannter aus dem Studium. Soll ich ihn ignorieren?«, erklärte sie mit einem Seufzen. »Ich wette, ihr habt euch besser amüsiert.« »Er hat mich einem Verhör unterzogen.« Reiju lachte auf. »Er lässt nichts anbrennen.« Als der Kellner die dritte Runde brachte, blieb Saniel von allem unbeeindruckt, sein Verhör war noch nicht überstanden. »Mich würde noch interessieren, was genau du machst.« Dabei musterte er Nami auffällig, was diese neuerlich eine Braue heben ließ. »Er ist echt im Nachteil … was hast du ihm überhaupt erzählt?« Mittlerweile glaubte Nami tatsächlich, sie konnte die Verschwiegenheit auf ihre Position als Anwältin zurückführen. Wenn sie aber ihren Bruder so ansah, war seine Neugierde groß. Er wirkte wie jemand, der vor dem Kennenlernen am liebsten schon sämtliche Fakten auf dem Tisch haben wollte. Eine Einstellung, die ihr äußerst bekannt war. »Was er wissen musste. Du bist neu und du brauchst ein nettes Beisammensein«, entgegnete Reiju nachdenklich. »Oh, und er soll dich nicht mit plumpen Sprüchen verscheuchen.« »Hey! Sieht sie aus, als verscheuchte ich sie?«, protestierte er, wandte sich jedoch wieder Nami zu. »Ich wette, du machst irgendetwas mit Finanzen.« Sogleich verkniff Nami ein Lachen. Ob sie ihn raten lassen sollte? »Kalt.« »Wobei dir Zahlen liegen, oder?«, neckte Reiju, die längst eingeweiht war. »Mit Zahlen jonglieren kann ich.« Wenn es darum ging, wurde sie gerne in gewisse Schubladen gesteckt. Und Saniel wirkte nicht, als ob er jemals darauf kommen würde und absichtliche Spielchen lagen ihr in dem Fall nicht. »Hinweis? Bitte.« »Okay, Abschlüsse in Geophysik und Meteorologie. Was sagen sie dir?« Einen Augenblick lang starrte er, ehe er einen kurzen Blick zu seiner Schwester warf. Als suchte er Bestätigung. »Du bist eine Wetterfee, die die Erde untersucht?« Eine neue Umschreibung, musste Nami eingestehen, die sie zum Schmunzeln brachte. Wobei die Wetterfee nicht im Vordergrund stand. »Danke für heute.« Zu späterer Stunden kamen sie zurück und warteten gerade auf den Lift. »Eine angenehme Ablenkung.« Es war ehrlich gemeint. Einfach raus und neue Leute kennenlernen hatte sie schon immer gemocht. Irgendwie hatte sie das Gefühl von einer alten Normalität gehabt. Um diese Zeit einen Weihnachtsmarkt erkunden oder gemeinsam in einer Bar sitzen und reden. Nicht auf ein Hilfsmittel angewiesen, sondern jemanden wirklich neben sich. Etwas, das ihr auf die Art abging. »Gern geschehen«, antwortete Reiju lächelnd beim Einsteigen. »Wir können das jederzeit wiederholen. Mein Bruder wird mir ab heute in den Ohren liegen. Er mag dich.« Nami lachte leise. »Ich hoffe nicht auf die verkehrte Weise, kann unschön enden.« »Er schwärmt für alle Frauen, aber er kennt seine Grenze. Er wird jetzt nachlesen. Siehst du ihn das nächste Mal, wird er mit dir über deine Arbeit reden – Ja, er informiert sich.« Nami sah verwundert zur Seite, woraufhin Reiju nickte. »Ich scherze nicht.« Der Lift blieb stehen. »Okay, gut zu wissen. Danke nochmal. Gute Nacht.« Als Nami losging, hörte sie noch einmal Reijus Stimme. »Wann immer dir nach Unterhaltung ist, du weißt jetzt, wo du dich melden kannst. Nacht, Nami.« Die Worte hallten in ihren Gedanken nach, während der Lift, in dem Reiju war, weiter nach oben fuhr. Einen Augenblick blieb sie noch stehen, ehe sie sich endlich zu ihrer Wohnung aufmachte. Als sie die Schwelle überschritt, kam ihr die wohlige Wärme entgegen und die bekannte Leere. Früher hatte sie diese nie gestört. Eher das Gegenteil. Stille war ihr Rückzug. Alles vor Robin. Nachdem Gespräch im Juli, hatte Nami keine Nacht ohne sie verbracht. Egal in welcher Wohnung, sie waren zusammen. Ausgerechnet diese Umstellung fiel ihr schwerer als erwartet. An die Nähe hatte sie sich zu schnell gewöhnt. Sie seufzte bei dem Gedanken, holte dabei ihr Telefon aus der Tasche. Gerade besser fühlte sie sich nicht. In London war halb neun Uhr morgens. Der Part würde länger an ihr nagen. Einer Nachricht nach war Robin längst auf den Beinen. Sonntag. Für ihre Freundin ergaben sich mehrere Möglichkeiten, wie sie die Zeit nutzte. Ein Grund, warum sie die einfachste Variante entschied, und ihr nur zurückschrieb. Im Wohnzimmer schaltete sie lediglich die Stehlampe neben dem Sofa ein, schob langsam die Vorhänge zur Seite und sah, wie recht häufig in letzter Zeit, in die kalte Nacht hinaus. Als ob sie dort Antworten oder, im besten Falle, Erleichterung fand. Manche Stunden luden wiederum ein, der Sehnsucht nachzukommen und die hatte sie. Zusätzlich kam langsam die Müdigkeit durch, den Tag beenden und nach einer Portion Schlaf neu starten, wäre die bessere Option, aber noch nicht. Schon gar nicht als sie die Vibration vernahm und Robins Name auf dem Display aufleuchtete. Was waren ein paar Minuten länger aufbleiben? Die Situation zwischen ihnen war nicht ideal, aber solange sie das Kribbeln und das Herzklopfen spürte, wenn sie miteinander sprachen, nahm Nami das Gefühlschaos in Kauf. »Hey, du«, erklang Robins Stimme und die Wärme darin ließ sie lächeln. »du weißt schon, dass deine Stimme jeden Morgen zu einem guten macht, oder?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)