Die Prinzessin und der Tyrann [Tora x OC] von Snowprincess3 ================================================================================ Kapitel 1: Hime Hiya -------------------- ~ ~ ~ Es war mein erster Tag im Maid Latte. Allerdings war es nicht das erste Mal, dass ich in einem Café jobbte. In meinem vorherigen Wohnort hatte ich ebenfalls Teilzeit gearbeitet, um meine gesundheitlich angeschlagene Mutter zu entlasten. Doch jetzt musste ich mich ein weiteres Mal an eine neue Umgebung, eine neue Schule und eine neue Arbeit gewöhnen, die zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftig war. Über Cosplaycafés hatte ich bislang nur im Internet gelesen. Aber ich war noch nie selbst in einem gewesen, geschweige denn, dass ich in einem gearbeitet hätte. Doch ich brauchte diesen Job wirklich dringend und mein Vorsprechen bei der Chefin Satsuki Hyodo war hervorragend verlaufen. Eine Woche später durfte ich bereits zu meiner ersten Schicht antreten. Zweifelnd beäugte ich die aufwendige Uniform, die jede Maid tragen musste. Mir war das zwar vorher schon bewusst gewesen, aber den feinen Stoff dann in den Händen zu halten, führte mir vor Augen, dass ich es tatsächlich anziehen musste. Was hatte ich auch anderes erwartet? „Ist alles in Ordnung, Hime? Du wirkst so nachdenklich. Bedrückt dich etwas?“, riss Satsukis heitere Stimme mich aus den tiefen Gedanken, wobei sie jedoch mitfühlend klang. Mir war bereits aufgefallen, wie lebhaft sie war. Man konnte ihr sicher trotzdem nichts vormachen. Verkrampft mühte ich mich zu einem Lächeln. „Nein, nein, schon in Ordnung“, winkte ich schnell ab, damit sie ja nicht glaubte, dass es mir unangenehm war. Obwohl genau das im Grunde zutraf. Es würde nichts bringen mich zu beschweren. Schließlich hatte ich diesen Job längst angenommen. Außerdem fand man einen Job mit einer so guten Bezahlung nicht sehr oft. Und wenn wir nicht regelmäßige Einkünfte hatten... Daran wollte ich jetzt lieber nicht denken, weshalb ich den Brocken in meinem Hals einfach hinunterschluckte. Deshalb zog ich mich in der Garderobe um. Meine Gedanken und Sorgen musste ich während der Arbeit nach hinten stellen, damit niemand etwas bemerkte. Außerdem wollte ich meine Sache gut machen. Halbe Sachen gab es bei mir nicht. Allerdings war ich darin bereits geübt. Als ich zu Satsuki in den Pausenraum zurückkehrte, unterhielt diese sich gerade mit drei weiteren Maids. Erika und Honoka kannte ich bereits – Letztere war laut Satsuki sehr eifrig – doch die dritte Maid sah ich zum ersten Mal. Sobald sie mich bemerkte, wandte die Schwarzhaarige sich zu mir um und lächelte freundlich. „Du musst die Neue sein. Ich bin Misaki“, stellte sie sich bereitwillig vor. „Wir alle nennen sie Misa“, ergänzte Satsuki. Dann fiel ihr Blick auf mich und ihre dunklen Augen begannen förmlich zu leuchteten. „Steht Hime die Maiduniform nicht unglaublich gut? Sieht sie nicht süß aus? Wahnsinn ist das, ich glaube ich muss den Fotoapparat holen!“, schwärmte die Chefin in den höchsten Tönen. „Komm wieder runter, Chefin“, merkte Honoka nüchtern an und musterte mich dabei skeptisch von oben bis unten, „Zunächst einmal muss sie sich unter Beweis stellen. Dass ihr die Uniform steht, macht sie ja nicht gleich zu einer guten Maid.“ Bei diesen Worten funkelten ihre Augen düster. Oh je, das klang nicht gerade als würde sie mir diesen Job zutrauen. „Misa, kannst du Hime bitte einarbeiten?“, erkundigte Satsuki sich bei dieser und überging Honokas Bemerkung einfach. Es erleichterte mich ein wenig, dass ich so freundlich aufgenommen wurde. Andererseits konnte ich es auch wegstecken, wenn jemand nicht gerade positiv auf mich reagierte. Im Laufe der Jahre hatte ich gelernt, dass andere Menschen einen eben verletzten. Während Misaki mir die Räumlichkeiten des hübschen Cafés zeigte, das allein durch sein angenehmes Ambiente positiv auffiel, musterte ich sie eingehender. Sie war ein hübsches Mädchen, das bestimmt viele Komplimente erhielt. Trotzdem kam es mir so vor als wäre ihr Charakter ganz anders. Allerdings nicht im negativen Sinne. Seit jeher habe ich die Angewohnheit Menschen genauer zu beobachten, sie sogar ein bisschen zu analysieren. Jemand wie ich muss vorsichtig sein. Schließlich kann man nicht jedem vertrauen. Eigentlich verfüge ich über eine relativ gute Menschenkenntnis. Dieses Talent kann einem ziemlich viel Ärger ersparen. Bei Misaki hatte ich zum Glück den Eindruck, dass wir uns gut verstehen würden. Sobald wir den Hauptraum des Cafés betraten, erklärte Misaki auf welche Weise die Maids die Gäste begrüßten. Dieses Thema hatte Satsuki bereits angeschnitten. „Im Maid Latte herrscht wirklich ein angenehmes Klima. Die wenigsten Gäste bereiten uns Ärger, aber wenn doch mal einer zu aufdringlich wird, dann helfe ich dir gerne“, erklärte Misaki mit einem freundlichen Lächeln. „Ist alles in Ordnung, Hime, du wirkst irgendwie nervös?“, setzte sie hinzu, als ich nichts auf ihre Worte erwiderte. Ob sie bemerkt hatte, wie ich mir nervös auf die Unterlippe gebissen hatte? Ein wenig rang ich mit mir, ob ich zumindest einen Teil meiner kritischen Situation preisgeben sollte. Andererseits wollte ich nicht gleich am ersten Tag negativ auffallen. Eigentlich beabsichtigte ich das überhaupt nicht. Außerdem bestand die Möglichkeit, dass sie damit zu Satsuki gegangen wäre. Sobald diese erfuhr, welchen Ballast ich mit mir herumschleppte, würde sie bestimmt darauf bestehen, dass ich mir etwas anderes suchte. Nein, im Umgang mit den Gästen und meinen Kolleginnen musste ich mich professionell verhalten. Da hatten meine privaten Schwierigkeiten nichts zu suchen. „Alles in Ordnung. Trotzdem danke, Misa“, erwiderte ich daher so gelassen wie möglich. „Anfangs ist es nicht gerade einfach sich an alles zu gewöhnen, das weiß ich. Aber ich bin mir sicher, dass du das schaffen wirst“, ermutigte Misa mich freundschaftlich. Ob sie aus eigener Erfahrung sprach? Also dann, auf in den Kampf! Möge die Stärkste gewinnen. Oder eher die Freundlichste. Es stellte sich heraus, dass es tatsächlich kein Zuckerschlecken war eine Maid zu sein. Aber ich gewöhnte mich ebenso schnell daran. Meine Nerven waren stark wie Drahtseil, was eigentlich nicht weiter verwunderlich war. Satsuki lobte mich nach Feierabend sogar für meine guten Leistungen. Dabei hatte ich nur meine Arbeit gemacht. Darauf ausruhen wollte ich mich allerdings nicht. Ich schlüpfte in meine Jeans und meinen weißen Pullover, anschließend griff ich nach meiner schwarzen Tasche. Da Misa ebenfalls Feierabend hatte, gingen wir gemeinsam zur Bahnstation. „Du bist also erst vor kurzem hierhergezogen?“, erkundigte sie sich aufrichtig interessiert. „Ja“, entgegnete ich kurz angebunden. Denn was sollte ich auch anderes sagen? Dass dies wahrscheinlich nur eine weitere Zwischenstation war? Dass meine Mutter und ich schon so oft umgezogen waren, dass ich kaum mitzählen konnte? „Es macht nichts, wenn du ein wenig schüchtern bist, das kommt mit der Zeit“, verkündete Misa wie aus heiterem Himmel. Das verstand sie vollkommen falsch! Ich war keinesfalls schüchtern. Na ja, die meiste Zeit jedenfalls nicht. Ich war einfach nur vorsichtig, wem ich vertraute. Dennoch lächelte ich sie dankbar an. Eigentlich hätte ich nicht erwartet, dass meine Kolleginnen es mir so leicht machen würden. Bei meiner letzten Arbeitsstelle hatte ich massive Probleme bekommen, weil einige meiner Kolleginnen mir die Beliebtheit bei unseren Gästen missgönnt hatten. Es erleichterte mich, dass das Klima im Maid Latte anders zu sein schien. Beiläufig zupfte Misa sich den Kragen ihrer einfachen, blauen Jacke zurecht. „An welche Schule gehst du?“, hakte sie neugierig nach. „Ich bin an der Seika“, fügte sie rasch hinzu, „Sie hat zwar nicht gerade den besten Ruf, aber als Schulsprecherin werde ich alles so lange perfektionieren, bis sich daran etwas geändert hat.“ Dabei klang sie so enthusiastisch, dass ich erneut lächeln musste. „Das klingt gut“, merkte ich aufrichtig an. Ich schätzte Leute, die ein klares Ziel vor Augen hatten und alles daran setzten, um es zu erreichen. Im Grunde war ich ja nicht anders. Und sobald wir mehr Geld hatten konnte es nicht mehr lange dauern, bis wir unsere Sorgen hinter uns lassen konnten. Davon war ich felsenfest überzeugt. Nicht weil Geld mir wichtig gewesen wäre… Die Vergangenheit konnte man zwar nicht mehr ändern, aber eine bessere Zukunft ließ sich damit auf jeden Fall sichern. „Ich habe ein Stipendium für die Miyabigaoka“, erklärte ich. Obwohl sie vermutlich ohnehin nicht angenommen hätte ich sei wohlhabend. Wozu hätte ich sonst im Maid Latte anfangen sollen? Plötzlich blieb Misa abrupt stehen, worauf ich es ihr gleichtat. Erstaunt starrte sie mich an. Als hätte ich irgendetwas Unfassbares gesagt. Ich musste mich ja selbst noch daran gewöhnen eine Eliteschule für Kinder aus reichem Hause zu besuchen, obwohl ich das ja selbst nicht war. „An die Miyabigaoka?“, wiederholte sie ungläubig. „Genau“, gab ich mit einem gleichgültigen Schulterzucken zurück, „Meine Mutter ist der Ansicht gewesen, dass sie mich praktisch aufnehmen müssen, wenn ich ihnen meine Unterlagen zuschicke. Normalerweise ist so etwas eher unwahrscheinlich und ich hätte auch eine andere Schule gewählt. Aber dann hat sie mich einfach dort beworben und ich habe tatsächlich ein Stipendium erhalten.“ Dabei fragte ich mich, wie viele Bewerber es außer mir noch gegeben hatte. Ein Stipendium an einer Eliteschule wie dieser bekam schließlich nicht jeder. Selbstverständlich freute es mich eine renommierte Schule besuchen zu dürfen. Nur dass dort überhaupt niemand war, mit dem ich mich anfreunden konnte. Diese reichen Kids verstanden doch nichts von unseren Problemen. „Wie lange bist du bereits dort?“, erkundigte sie sich. Irrte ich mich oder klang sie dabei leicht besorgt? „Seit ungefähr zwei Wochen. Es ist eigentlich in Ordnung“, setzte ich rasch hinzu, damit sie sich keine Gedanken mehr machte. Das war nicht mal gelogen. Bislang hatte ich keine Mühe bei dem Unterrichtsstoff mitzukommen. Es fiel mich zwar schwer mich vollständig zu integrieren, weil meine Mitschüler aus einer gänzlich anderen Welt stammten, aber ich war zuversichtlich, dass sich daran noch etwas ändern würde. Schweigend setzten wir unseren Weg fort und ich begann mich zu fragen, warum sie sich so viele Gedanken über mich machte. Klar, diese Eliteschule war schon erschreckend. Allein wenn man vor dem imposanten Gebäude stand und die schleimigen, hochgestochenen Reden hörte, die einzelne Schüler von sich gaben. Trotzdem war es nur eine Schule. Noch während ich darüber nachdachte, erreichten wir die Bahnstation. Weil wir schnell feststellten, dass wir nicht in die gleiche Richtung mussten, trennten sich hier unsere Wege. Bevor Misa zu ihrem Gleis ging, wandte sie sich jedoch noch einmal zu mir um. „Halte dich besser von dem Schulsprecher der Miyabigaoka fern – Tora Igarashi – der Kerl ist gemeingefährlich“, warnte sie mich mit ernster Miene, was mich irritiert blinzeln ließ. „Der Schulsprecher?“, wiederholte ich zaghaft und lachte dann abwertend. „Ach was, mit dem habe ich doch gar nichts zu tun. Wir gehen ja auch überhaupt nicht in eine Klasse. Bislang bin ich ihm nicht mal begegnet“, winkte ich rasch ab. Ärger wollte ich mir wirklich keinen einfangen – weder mit meinen Lehrern, noch mit den Schülern der Elite. Und wieso sollte sich der Schulsprecher, der zudem auch der Erbe des weltbekannten Igarashi-Unternehmens war, für eine gewöhnliche Stipendiatin wie mich interessieren? Erleichtert lächelte die Schwarzhaarige. „Das ist beruhigend zu wissen. Bis dann, Hime. Wir sehen uns im Maid Latte“, verabschiedete sie sich und wir gingen beide unserer Wege. Ha ha, was für eine ironische Vorstellung! Der Schulsprecher befasste sich mit einer kleinen Leuchte wie mir, wirklich urkomisch. Als ob das wahrscheinlich wäre! Als ich die Tür zu unserer engen Wohnung aufschloss, drang mir das Geräusch des Fernsehers ins Ohr. „Ich bin zu Hause“, rief ich wie üblich und hängte meine Jacke an den Kleiderhaken, schob einen noch nicht ausgeräumten Karton zur Seite und betrat das Wohnzimmer, das auch gleichzeitig als Schlafzimmer meiner Mutter fungierte. Mehr konnten wir uns einfach nicht leisten. Sie lag auf ihrem Futon und schlief tief und fest, weshalb ich den Fernseher ausschaltete. Sie sah wirklich unendlich erschöpft und blass aus. Ob sie wohl genug aß? Umsichtig deckte ich sie zu und ging in mein kleines Zimmer mit den grauen Wänden, um für die Schule zu lernen. Auf diese Weise sahen meine Tage aus. Vollgepackt mit Verpflichtungen. Nach dem Unterricht, meiner Arbeit und allem anderen war mein Tag noch lange nicht zu Ende. Bis spät in die Nacht saß ich bei dem schwachen Licht meiner Schreibtischlampe an meinen Hausaufgaben. Konzentriert kaute ich dabei an meinem Stift. Wie gesagt, ein Stipendium bekam man nicht leichtfertig hinterher geschmissen. Dafür musste ich hart arbeiten. Nicht dass es mir schwer fiel, aber die letzten Wochen hatten mich trotzdem viel Kraft gekostet. Gegen zwei Uhr nachts gab ich es schließlich auf, schaltete das Licht aus und legte mich schlafen. Eigentlich wäre ich lieber an eine gewöhnliche Schule gegangen, hätte mir normale Freunde gesucht und auch sonst ein ordinäres Leben geführt. Leider blieb mir keine andere Wahl. Denn auf der anderen Seite war ich die einzige Chance meiner Mutter endlich aus diesem tiefen Loch zu kommen, in das wir gefallen waren, weil man uns hereingelegt hatte. Weil man meine Mutter mies und eiskalt betrogen hatte. Das bereitete mir schlaflose Nächte, was es mir nicht gerade leichter machte. Denn ich musste ja jeden Morgen früh aufstehen und brauchte für die Schule und meine neue Arbeit jeden Funken Energie, den ich aufbringen konnte. Am nächsten Morgen war ich ungewöhnlich spät dran. Normalerweise war ich pünktlich wie ein Uhrwerk. Nur leider hatte mein dummer Wecker zum falschen Zeitpunkt den Geist aufgegeben, sodass ich fast verschlafen hätte. Nein, nein, nein! Das durfte nicht passieren! Mit einem Apfel im Mund verließ ich das Haus. Während ich die Treppen im Hausflur nach unten stürmte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, band ich mir meine hellbraunen Haare zu einem lockeren Zopf in den Nacken. An der Haustür begegnete ich dem alten Herr Okumura. Eigentlich war er recht verträglich, nörgelte aber manchmal gerne herum. So auch ausgerechnet an diesem Morgen. Gerade als ich an ihm vorbeigehen wollte, hob er seinen Krückstock an, sodass ich stehen bleiben musste, weil ich beinahe darüber gestolpert wäre. Weil er mir den Weg versperrte. Ich konnte mein Gleichgewicht gerade noch so ausbalancieren. „Fräulein Hiya“, begrüßte er mich mit seiner dunklen Stimme, die immerzu tadelnd klang. Fragend wandte ich mich zu ihm um. Obwohl ich mich beeilen musste, wollte ich nicht unhöflich sein. „Guten Tag, Herr Okumura“, begrüßte ich ihn. Er gab ein grummelndes Geräusch von sich, machte jedoch keine Anstalten den Weg über die Treppe freizugeben. „Sie haben noch immer nicht Ihr Namensschild an der Klingel und am Briefkasten befestigt. Wann machen Sie das endlich?“, bellte er wütend. Er war nicht unser Vermieter, aber er wohnte direkt unter uns und schien immer irgendetwas auszusetzen zu haben. Das rang mir ein tiefes Seufzen ab. Wenn ich pünktlich in der Schule sein wollte, durfte ich mich nicht auf irgendwelche Debatten mit dem griesgrämigen alten Mann einlassen. „Gleich heute Mittag erledige ich es. Sobald ich nach Hause komme“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen und hoffte inständig, dass er es darauf beruhen ließ. Erneut knurrte er missgestimmt, nahm aber dann seinen Stock zur Seite, damit ich zum Bahnhof sprinten konnte, um meine Bahn zu erreichen. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig und atmete tief durch, auch wenn es keinen Sitzplatz mehr gab, da die Bahn wie üblich brechend voll war. Die Sache mit dem Namensschild war übel. Ich hatte meiner Mutter vorgeschlagen einen falschen Namen zu verwenden. Aber das wollte sie nicht, weil sie Angst hatte, dass wir Ärger bekamen, wenn das herauskam. Noch schlimmer wäre es jedoch, hätten uns diese gemeingefährlichen Schuldeneintreiber aufgespürt. Sie hatten meiner Mutter und mir bereits gedroht keine Gnade walten zu lassen. Die Kerle kannten nichts – schon gar kein Verständnis. Dafür waren sie grausam und skrupellos. Kurz nachdem die Drohungen begonnen hatten, weil meine Mutter ihre Schulden nicht bezahlen konnte, die sie bei den falschen Leuten gemacht hatte, hatte ich mit Aikido angefangen. Ich war noch kein Profi und konnte mich höchstens verteidigen, wenn es zu einem Angriff kam. Und ob das für solch finsteren Typen galt, war natürlich auch noch fraglich. Ich hatte sie gesehen. Ihr glänzenden, mordlustigen Augen. Mit denen war nicht zu spaßen. Da machten sie selbst vor Frauen oder Mädchen keinen Halt. Ihnen war auch gleichgültig, dass meine Mutter eine anstrengende, nervenaufreibende Chemotherapie hinter sich hatte. Für Typen wie diese zählte einzig und allein das Geld. Dabei ging es nicht einmal darum, dass wir es nicht zurückzahlen wollten. Allerdings gelang es uns nicht diese horrende Summe auf einen Schlag aufzutreiben, wie sie es gnadenlos verlangt hatten. Deshalb besuchte ich eine Eliteschule. Ich wollte meine Mutter und mich da herausholen. Aus diesem furchtbaren Albtraum, in dem man in ständiger Angst leben musste, dass sie einen fanden. In dem man immer wieder umzog, wenn es brenzlig wurde. Ich wollte einen festen Wohnsitz haben, echte Freunde finden und alles tun, was normale Mädchen in meinem Alter machten. Das ganze Paket. Leider passt sich das Leben nicht unseren Wünschen oder Vorstellungen an. Man muss es sich verdienen. In der Nähe der Miyabigaoka stieg ich aus. Allerdings musste ich noch ein Stück laufen, was nicht weiter schlimm war. Es war ohnehin besser, wenn niemand bemerkte, dass ich mit öffentlichen Verkehrsmittel zur Schule kam. Eigentlich genügte es bereits, dass man mich aufgrund der Tatsache, dass ich ein Stipendium hatte schräg anblickte. Als wäre ich irgendwie minderwertig, nur weil mein Bankkonto im Gegensatz zu ihrem leer war. Oder als wäre ich von einem anderen Stern. Auf dem Weg richtete ich meine Schuluniform, damit ich auch ja ordentlich aussah. Das Letzte was ich wollte, war, in irgendeiner Art und Weise Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Zum Glück ging ich normalerweise in der Masse unter, selbst wenn diese aus verwöhnten Kids aus reichem Hause bestand. Das einzig Gute an dieser Elite waren die edlen Schuluniformen. Sie waren schick und außerdem fiel dadurch nicht auf den ersten Blick auf, dass ich aus einer völlig anderen Welt stammte. Leider hatte meine Eile an diesem Tag nicht ausgereicht. Wie ärgerlich! Jetzt würde ich doch zu spät zu meiner ersten Stunde kommen. Hätte Herr Okumura mich nur nicht aufgehalten. Nein. Eigentlich trug ganz allein ich die Schuld daran. Ich musste mich jetzt beeilen schnellstmöglich in meine Klasse zu gelangen, um schlimmeren Ärger zu verhindern. Damit ich nicht negativ auffiel. Irgendeine passende Ausrede würde mir schon einfallen, da war ich mir sicher. Der Schulkorridor war wie leergefegt, es wirkte geradezu unheimlich. Man hörte nur meine schnellen Schritte. Aber ich lief nicht. Schließlich kannte ich die Hausordnung und wollte nicht riskieren, dass man mir daraus einen Strick drehte. Doch den hatte ich mir schon längst geknüpft. Oder eher; viele unglückliche Zufälle hatten es. „Stehen bleiben. Sofort! Du bist zu spät“, wies mich eine matte Jungenstimme zurecht. Abrupt blieb ich stehen. Aufgeschreckt von der Stimme, die ich nicht erwartet hätte, zuckte ich sogar innerlich zusammen. Mist, konnte das nicht nur Einbildung sein? Langsam drehte ich mich zu der Person um, die mich eiskalt erwischt hatte. Ignorieren wollte ich ihn ja nicht. Allerdings traf mich sogleich der Schlag. Vor mir stand der Schulsprecher der Miyabigaoka – Tora Igarashi. So viel zum Thema nicht aufzufallen! ~~~ Kapitel 2: Immer schön frech sein --------------------------------- ~ ~ ~ Tief durchatmen! Als würde das etwas daran ändern, dass der Schulsprecher mich dabei erwischt hatte zu spät zum Unterricht zu erscheinen. Ja, das konnte es tatsächlich. Ich musste nur cool bleiben. So cool wie ein Kühlschrank. Aber nicht wie unserer, der ging nämlich in regelmäßigen Abständen kaputt. Man durfte mir die Aufregung nicht anmerken, die ich in jenem Moment verspürte. Bislang hatte ich den Schulsprecher immer nur flüchtig und von weitem gesehen. Jemand wie ich konnte ihm nicht auffallen, und das war gut so. Auffallen war sowieso das Letzte, was ich wollte. Außerdem haftete ihm etwas sehr Unangenehmes an, das erkannte ich auf den ersten Blick. Etwas durchweg Unsympathisches, das verriet mir meine brillante Menschenkenntnis. Doch jetzt war es zu spät. Nun konnte ich nur noch hoffen Schlimmeres abwenden zu können, indem ich seine Zurechtweisung wegen meiner unbeabsichtigten Verspätung einfach brav über mich ergehen ließ. Fertig, so leicht war das. So leicht war es aber leider gar nicht! Als er nichts sagte, trat mir allmählich der kalte Schweiß auf die Stirn. Aber ich blieb ja cool. „Dir ist klar, dass du zu spät bist?“, fragte er schließlich kühl wie ein Eisblock. Glasklar. „Pünktlichkeit ist das A und O dieser Eliteschule. Hast du etwas zu deiner Verteidigung vorzubringen?“, wollte er mit ernster Miene wissen. Dabei erweckte er in der Gegenwart von anderen einen nahezu freundlichen Eindruck. Doch dass dieser täuschen konnte, verriet mir der Ausdruck seiner ungewöhnlichen grünen Augen und ich wusste sofort; er liebte es Menschen zu quälen. Und noch etwas ging mir dabei durch den Kopf: War das hier etwa ein Gerichtssaal? Musste ich mich verteidigen? Mich vor ihm rechtfertigen, aus welchem Grund ich heute spät dran war? Auch wenn ich sonst so pünktlich war wie ein Uhrwerk? Musste ich deshalb einen Anwalt fordern? Erwartungsvoll blickte er mich an. Ich musste mir genau überlegen, was ich sagte. Ein einziger Fehler und ich brachte mich in weitere unnötige Schwierigkeiten. „Oder kannst du etwa nicht sprechen?“, hakte er im nächsten Moment spöttisch nach, was meinen sonst strapazierfähigen Geduldsfaden endgültig reißen ließ. „Du bist doch auch zu spät dran, oder etwa nicht? Wie lautet deine Rechtfertigung?“, schoss es unüberlegt aus mir heraus. Verdammt, Hime Hiya, unauffällig! Doch da war sie wieder. Diese Seite an mir, die ich am liebsten vermieden hätte, um mir keinen zusätzlichen Ärger einzuhandeln. Das Mädchen mit der großen Klappe, das immer dann auftrat, wenn es am ungünstigsten war. Das hätte ich wirklich nicht sagen sollen. Stattdessen hätte ich mir lieber etwas aus den Fingern gezogen, mich kleinlaut entschuldigt und wäre ihn wenigstens losgeworden. Auf diese Weise wusste ich wirklich nicht, wohin das führen sollte. Herablassend lächelte der Schulsprecher mich an. Allein die Tatsache, dass er meine Worte auf diese Weise belächelte, zeugte davon, dass ich absolut das Verkehrteste gesagt hatte, was ich in diesem Moment hatte hervorbringen können. Mein Problem, ich konnte einfach nicht mit Jungs reden, weil ich sie zu sehr hasste. Deshalb war mein neuer Job im Maid Latte auch so ideal – man verstehe die Ironie dahinter! Aber zurück zu meinem akuten Hauptproblem – Igarashi. „Nenn mir deinen Namen“, forderte er finster zu erfahren. Insgeheim wusste ich, dass ich es bitter bereuen würde, falls ich ihm diesen tatsächlich nannte. Aber das würde ich vermutlich sowieso. Irgendein falscher Name musste mir einfallen, irgendeiner. Mein Instinkt riet mir praktisch dazu ihm einen Bären aufzubinden. Allein wegen meines Selbsterhaltungstriebs. Egal ob er später herausfand, dass ich gelogen hatte oder nicht. Hauptsache ich kam jetzt noch einmal davon. Leider fiel mir absolut kein Name ein und ich war auch sonst viel zu ehrlich, um es zu riskieren. Verflixt! „Hime... Hiya“, erwiderte ich mit möglichst fester Stimme. Jetzt kannte er meinen richtigen Namen. Das konnte nur schlecht sein. Seine Mundwinkel zuckten verächtlich. „Sehr interessant, Hime. Allerdings frage ich mich, ob die Prinzessin tatsächlich so kalt ist, wie sie sich gibt“, gab er mit einem süffisanten Grinsen zurück. Bitte, bitte - lass es schnell vorbei gehen! Wenn mein Schicksal Gnade mit mir hatte, würde es mich dem nicht länger aussetzen! Ich wollte mich auf der Stelle unsichtbar machen, aber das ging leider nicht, das wusste ich nur allzu gut. Sonst hätte ich dieses Mittel bereits wesentlich früher genutzt. Deshalb blieb mir nichts anderes übrig als ihn trotzig anzublicken. Vermutlich glaubte er ich würde lediglich schmollen, aber ich meinte es bitterernst. „Komm in der Pause in das Zimmer des Schülerrats. Nichterscheinen wird hart bestraft“, setzte er seiner Aufforderung trocken hinzu. Im nächsten Moment wandte er sich zum Gehen um. Sein plötzliches Desinteresse daran mich wegen meiner Verspätung zurechtzuweisen behagte mir nicht. Viel eher beunruhigte es mich zutiefst. Zu ändern war es aber leider nicht. Bevor ich von meinem Lehrer noch mehr Ärger kassierte, ging ich besser in meine Klasse. Leider ging mir diese unerfreuliche Begegnung mit dem Schulsprecher den ganzen Vormittag nicht mehr aus dem Kopf. Was er wohl von mir wollte? Am besten ich brachte diese unschöne Angelegenheit so schnell wie möglich hinter mich. Leute wie Igarashi verloren schnell das Interesse, besonders wenn man sich willig zeigte zu kooperieren, obwohl das für mich natürlich nicht in Frage kam. Das kannte man ja. Mir wurde trotzdem ganz bange, als ich den Gang betrat, der hauptsächlich vom Schülerrat genutzt wurde. Das musste man sich mal vorstellen, an meiner alten Schule hatten die Mitglieder des Schülerrats ein kleines, enges Klassenzimmer gehabt. Hier gab es gleich einen ganzen Flur, der vor Prunk und Reichtum nur so triefte. Aber wir befanden uns hier schließlich immer noch an der Miyabigaoka. Obwohl ich noch relativ neu war, wusste ich, wo sich das Zimmer des Schulsprechers befand. Auf halbem Weg kam mir Maki Kanade entgegen. Ebenfalls ein nicht ganz unbekanntes Gesicht. Er war der Vizesprecher, sozusagen Igarashis rechte Hand oder vielleicht doch eher sein Diener? Auch er schien nicht gerade der angenehmste Zeitgenosse zu sein. Immerhin war er mir gegenüber wesentlich freundlicher gesinnt als Igarashi. „Tora erwartet dich bereits“, verkündete er als würde er mich ebenfalls kennen. Auch wenn es die ersten Worte waren, die Kanade an mich richtete. Dabei lächelte er nahezu verheißungsvoll. Schreck lass nach! Da verspätete man sich mal um ein paar Minuten und prompt bekam man die grenzenlose Langeweile der Reichen zu spüren. Fairness sah anders aus. Doch ich würde Igarashi erhobenen Hauptes gegenübertreten. Kanade führte mich in das überraschend große Zimmer des Schulsprechers, wobei er zunächst an die Tür klopfte und eine Antwort abwartete. Nachdem ich den imposanten Raum betreten hatte, schloss er die Tür von außen. Erstaunt blickte ich mich um. Unsere Wohnung passte hier mit Sicherheit mindestens zwei Mal rein, oder sogar noch häufiger. Es war so lächerlich groß, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder schreiend wegrennen sollte. Ich entschied mich ein paar Schritte näher an den Schreibtisch zu treten, an dem Igarashi mit selbstgefälliger Miene saß. Erst jetzt registrierte ich, was da vor ihm lag. Unterlagen. Schlagartig beschlich mich eine üble Vorahnung… „Hime Hiya, Stipendiaten, sechzehn Jahre jung“, begann er mit einem gefährlichen Unterton aufzuzählen, bei dem sich meine Nackenhaare sträubten. Kapitulieren würde ich nicht, ganz gleich welche oder wie viele Informationen er meiner Schulakte entnahm, die da vor ihm lag. „Stipendiaten haben den Vorteil, dass sie sich die Aufnahme an diesem Institut selbst verdient haben. Basierend auf ihren Leistungen!“, entfuhr es mir unwillkürlich energisch, um dem direkt entgegenzuwirken. Falls er beabsichtigte diesen Umstand als Argument gegen mich anzubringen. Nein, ich hatte es schon wieder getan. Mein loses Mundwerk konnte aber auch lästig sein. Finster lachte Igarashi in sich hinein. „Tatsächlich? Interessant... Wirklich imponierend, was sich jemand traut, der die Spielregeln noch nicht kennt“, gab er mindestens ebenso dreist zurück. „Welche Spielregeln? Für eine Schule?“, zweifelte ich perplex. Langsam erhob er sich von seinem Stuhl. Bedauerlicherweise nicht von seinem hohen Ross. Es musste ihm wahnsinnig gut gefallen in mehrfacher Hinsicht größer zu sein als ich. „Mädchen wie dich kenne ich“, verkündete er herablassend. „Du kennst mich überhaupt NICHT, Igarashi!“, widersprach ich ihm mit verengtem Blick. Das tat er wirklich nicht. Okay, mein Glück. Wenn ich mich jetzt an meinen ersten Tag im Maid Latte erinnerte, daran hätte dieser reiche Schnösel mit Sicherheit seine helle Freude gehabt. Allerdings würde ich den Teufel tun ihm das auf die Nase zu binden. Er wusste rein gar nichts von mir. Der feine Schulsprecher hatte nicht die leiseste Ahnung von meinem Leben oder davon, wer ich war. Dafür musterte er mich jedoch abfällig. Seine Arroganz war einfach nur ätzend. Aber irgendwie auch einschüchternd. Nur das durfte man bissigen Hunden eben nicht zeigen. „Was unterscheidet dich denn von anderen Mädchen? Was hebt dich von diesen geldgierigen, langweiligen Weibern ab, die allesamt käuflich sind?“, wollte er herablassend wissen, was er nicht nur auf mich bezog, sondern offenbar auf alle weiblichen Geschöpfe dieses Planeten. Meine Pupillen weiteten sich bei so viel Feindseligkeit. „Ist es nicht so, dass du dieses Stipendium ohne zu zögern angenommen hast? Du bekommst hier alles von dieser Fakultät bezahlt und behauptest dennoch, dass ich dich nicht kenne? Dich oder deine gierigen Motive?“, fuhr er unbeirrt fort. Damit ging er eindeutig zu weit. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten. Für wen hielt er sich eigentlich? Ging er etwa mit allen Frauen so um? „Daran ist nichts ungewöhnlich oder verwerflich. Schließlich habe ich mir dieses Stipendium hart erarbeitet und verdiene es. Und wenn du schon meine Akte so gründlich untersucht hast, wirst du mit Sicherheit festgestellt haben, dass sich die Mühe gelohnt hat und ich meine Leistungen trotz des enormen Pensums problemlos halten kann“, setzte ich trotzig entgegen. Vielleicht ließen sich die anderen Schüler von ihm unterbuttern, ich tat es nicht. Ganz gleich ob meine Worte ihn nur noch wütender machten. Schließlich hatte ich ein Recht auf meine eigene Meinung. Anstatt jedoch vor Zorn zu explodieren, lachte er einfach ungehalten los, sodass ich ihn erstaunt anstarrte. „Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, ob ich deinen Mut bewundern sollte, oder deine Dummheit“, lachte er, sobald er sich wieder einigermaßen gefasst hatte. War das etwa eine Drohung? Nein, das war eindeutig mehr als das. Es klang sogar ganz nach einem Versprechen. Finster starrte ich mein Gegenüber an. Oder eben so düster wie ich konnte. Darin war ich noch nie besonders gut gewesen. „Dafür dass du zu spät gekommen bist, wirst du eine Woche lang den Laufburschen für den Schülerrat spielen“, verkündete Igarashi mein Urteil. „Wie bitte? Die Drecksarbeit für euch erledigen? Vergiss es!“, widersprach ich zischend. Lieber Klappe halten, Hime. Damit machte ich es nur noch schlimmer. Allerdings war es für diese Einsicht längst zu spät. Tora Igarashi grinste süffisant. „Für deine Frechheit gibt es sechs weitere Wochen“, verkündete er grinsend, „Und es werden nur noch mehr, solange du dich widersetzt, Hime. Nur ein Wort von mir genügt und du fliegst hochkant von dieser Schule. Das ist die Macht, über die die Familie Igarashi verfügt.“ Mit einer Drohung dieses Kalibers hatte ich nicht gerechnet. Obschon ich seine Worte keine Sekunde lang anzweifelte. Traurig genug, dass wir in einer Welt lebten, in der es möglich war. Ich schäumte vor Wut, wollte es allerdings nicht noch schlimmer machen. Hier war alles möglich. Besonders bei dem Sohn einer einflussreichen Familie wie der seinen. Der Konzern der Igarashis war weltbekannt und soweit ich wusste investierten sie auch sehr viel in die Miyabigaoka. Folglich hatten sie hier einiges zu melden. Vermutlich sogar noch mehr als die Schulbehörde. Ich dachte an meine arme, kranke Mutter und biss mir auf die Zunge, um mir eine weitere spitze Bemerkung zu verkneifen. Wenn ich ihr zusätzlichen Ärger bereitete – ich, die eigentlich eine Stütze für sie sein sollte -, dann war das nicht sehr fortschrittlich für ihre Genesung. Also schluckte ich jeglichen Kommentar einfach runter und nickte nur stumm. Alles andere hätte dazu geführt, dass ich ausgerastet wäre. Voller Selbstgefälligkeit lächelte der arrogante Schulsprecher. „Du beginnst morgen früh und hast dich in jeder Pause und nach Schulschluss hier einzufinden. Jetzt kannst du gehen“, mit einer scheuchenden Handbewegung entließ er mich. Als interessiere er sich plötzlich nicht mehr für mich. Rückwärts ging ich zur Tür, weil ich wusste, dass man einem bissigen Hund wie ihm niemals den Rücken kehren durfte, was er mit Sicherheit registrierte. Dabei hätte ich ihn besser mit einem blutrünstigen Tiger vergleichen sollen. Nur raus hier! Ganz schnell! Im Maid Latte wurde ich mir der Ironie des Schicksals bewusst. Während ich in dem niedlichen Kostüm des Cafés arbeitete, schoss mir dieser Gedanke unweigerlich durch den Kopf. Schon komisch, ich wollte so wenig wie möglich auffallen und hatte mir einen gewaltigen Brocken eingefangen, der mich zudem auch noch bei der Arbeit behinderte. Insgesamt gingen mir während dieser Schicht zwei Tassen zu Bruch, weil ich daran dachte, wie negativ Igarashi meinen Werdegang beeinflussen konnte – blieb nur noch zu hoffen, dass er schnell das Interesse daran verlor mich zu terrorisieren. Satsuki sah meinen Missgeschicken mit viel Verständnis entgegen, doch die Blicke der anderen Maids, insbesondere von Honoka, sprachen Bände, was ich möglichst zu ignorieren versuchte. Misa kam an diesem Tag etwas später als am Tag zuvor. Mit ihr an der Seite ging mir die Arbeit wesentlich einfacherer von der Hand. Anstatt meinen tristen Gedanken nachzuhängen, versuchte ich mich auf die Gäste zu konzentrieren. Aber wann immer ein neuer Gast das Café betrat, hatte ich Igarashis herablassende Miene vor Augen. Dieses Bild musste ich irgendwie abschütteln. Jedenfalls fiel es mir heute schwerer meinen Text zu sagen als an meinem allerersten Arbeitstag. Dabei hatte es gut angefangen. Jedes Mal sobald die Türglocke ertönte, zuckte ich leicht zusammen, weil ich fürchtete, man wäre mir auf die Schliche gekommen. Das war doch dumm! Ich hatte heute zum ersten Mal mit dem Schulsprecher der Miyabigaoka gesprochen – okay, ich hatte mich mit ihm angelegt – und hatte schon Angst davor, was geschah, sollte er mein kleines Geheimnis aufdecken. Ha ha, wie nett! Als die Tür sich erneut öffnete, begrüßte ich den nächsten Gast entsprechend. „Willkommen, schön dass Sie da sind“, verkündete ich mit einem lieblichen Lächeln – Satsuki fand, dass ich das gut drauf hatte. Der Junge nickte nur schweigend, ging geradewegs an mir vorbei und setzte sich an einen Tisch. Anscheinend kannte er sich hier noch besser aus als ich. Satsuki hatte gemeint ich könnte nichts dafür, dass ich die Stammgäste noch nicht kannte, da ich ja noch neu war. Aber es war mir trotzdem peinlich so wenig zu wissen. Doch die Show musste weiter gehen – oder in diesem Fall eher das Geschäft. Deshalb folgte ich dem blonden Jungen an den Tisch, um seine Bestellung aufzunehmen. Wobei mir auffiel, dass er ziemlich gutaussehend war. „Was darf ich Ihnen heute bringen?“, wollte ich mit einem freundlichen Lächeln wissen. Aber er blieb so teilnahmslos, dass es mich fast schon aufregte. Nicht weil ich eine andere Reaktion erwartet hätte, sondern weil ich seine mangelnde Erwiderung nahezu unfreundlich fand. Monoton nannte er seine Bestellung und schien tatsächlich häufiger hier zu sein, da er nicht einmal eine Speisekarte benötigte. Als ich ihm seinen georderten Eisbecher an den Tisch brachte, bemerkte ich, dass Misaki bei ihm stand. Ob ich einfach hingehen sollte? Natürlich... schließlich war er ja Gast und hatte etwas bei mir bestellt. „Du sollst doch nicht so oft herkommen, Usui!“, hörte ich Misa gerade tadeln. Klang sie irgendwie aufgeregt, wenn nicht sogar verärgert? Anscheinend kannten sie sich bereits. Natürlich taten sie das, wenn es sich um einen Stammgast handelte. Doch irgendetwas verriet mir, dass wesentlich mehr dahinter stecken musste. „Aber ich hatte so eine Sehnsucht nach dir, Misa“, verkündete er halb spöttisch, worauf Misa sofort eine liebliche Röte ins Gesicht stieg, die ihr gut stand. Auch wenn es ihr nicht ähnlich sah. Das brachte mich unweigerlich zum Lächeln. Trotzdem beschloss ich sie zu unterbrechen, indem ich den Eisbecher vor ihm auf dem Tisch abstellte. „Hier ist Ihre Bestellung“, verkündete ich freundlich und wollte mich gerade zum Gehen abwenden, um die beiden wieder allein zu lassen, als Misa sich räusperte. „Warte bitte einen Augenblick, ich stelle euch einander vor. Also das ist Hime unsere neue Maid“, wandte sie sich an den Jungen, der seinen Löffel in das Eis steckte und aß als würde ihn nichts anderes interessieren. „Und den da darfst du perverses Alien nennen. Das ist er nämlich“, erklärte Misa matt und fuchtelte wie wild mit den Armen umher. Diese Unsicherheit war zwar für sie sehr ungewöhnlich, stand ihr aber ganz gut zu Gesicht. „Steht das auch in deinem Ausweis?“, konterte ich. Noch immer aß er unbeteiligt sein Eis. „Na ja, eigentlich heißt er Takumi Usui“, seufzte Misa geradezu ergeben. „Seid ihr etwa ein Paar?“, erkundigte ich mich neugierig, worauf dieser Usui endlich von seiner Süßspeise aufblickte. Misa hingegen wurde noch panischer. „Nein, nein! Absolut nicht! Wir kennen uns nur zufällig, und er ist nur rein zufällig ein perverses Alien, das immer im unpassenden Moment auftaucht!“, wehrte sie energisch ab. Für meinen Geschmack ein wenig zu heftig. „Ich bin ihr Stalker“, erklärte Usui mit matter Stimme, worauf ich losprusten musste. Eigentlich waren Stalker nicht gerade witzig. Erst recht nicht, wenn man bedachte, dass meine Mutter und ich sozusagen unsere eigenen Stalker hatten, vor denen wir uns versteckten, die es allerdings nur auf Geld abgesehen hatten. Mal abgesehen von einer Ausnahme vielleicht. Doch irgendwie waren Misaki und er das perfekte Paar. Und das musste etwas heißen, wenn sogar ich das dachte. Ich, die so etwas eigentlich nicht interessierte. „Nett dich kennenzulernen, Stalker-Alien-Usui. Aber ich mach mich trotzdem besser wieder an die Arbeit“, wandte ich mich an Misa, die noch immer schmollte. Ich wollte nicht, dass irgendjemand dachte ich würde trödeln oder faulenzen. Frei war mein Kopf allerdings noch lange nicht, aber diese Begegnung mit Usui und Misaki hatte mich wirklich etwas aufgeheitert und abgelenkt. Jetzt konnte ich auch neuen Mut fassen, was mein kleines Problem in der Schule betraf. Nur dass es leider alles andere als winzig war. ~ ~ ~ Kapitel 3: Katzenohren und andere Katastrophen ---------------------------------------------- ~~~ Dass mein Wecker jetzt kaputt war, empfand ich als äußerst dumm und ärgerlich. Weitere Patzer durfte ich mir nicht erlauben. Deshalb kaufte ich mir direkt nach der Arbeit einen neuen. Als hätten wir für so etwas Geld. Damit Herr Okumura nicht wieder meckerte, brachte ich auch endlich unsere Namensschilder an. Puh, das wäre geschafft. Ich betrat die Küche, in der meine Mutter saß und sich ihre Hände an einer Tasse Tee wärmte. Liebevoll lächelte sie mich an. „Wie war es in der Schule? Wie ist deine neue Arbeit, Liebes?“, erkundigte sie sich sanft. Auch ich goss mir eine Tasse Tee ein, bevor ich mich zu ihr setzte. Es zerriss mir jedes Mal aufs Neue das Herz sie in einem derart schwachen Zustand zu sehen. „Es läuft gut, ich habe alles im Griff“, lächelte ich unerschütterlich, damit sie sich keine unnötigen Sorgen um mich machte. In gewisser Weise war das nicht einmal gelogen. Höchstens maßlos übertrieben. Aber ich wollte sie nicht unnötig belasten. Ihre Sorgen waren schon groß genug, auch ohne dass ich sie zusätzlich verschlimmerte. „Das freut mich“, seufzte sie voller Erleichterung hervor, wobei ihre Stimme gewohnt schwach klang. „Du solltest dich besser noch etwas hinlegen“, schlug ich umsichtig vor. Verbissen schüttelte sie den Kopf. „Nein... ich muss noch aufräumen“, sie deutete auf das heillose Chaos, das in unserer Wohnung herrschte. Wir hatten bislang noch keine Zeit gehabt, uns hier richtig häuslich einzurichten. Dabei waren wir beide eigentlich sehr ordentlich. „Es ist in Ordnung, wenn du dich ausruhst“, beharrte ich streng, „Ich mach das schon.“ Ich brachte sie noch in ihr Zimmer, deckte sie sorgfältig zu und bat sie mir Bescheid zu geben, falls sie etwas brauchte. Keine zwei Minuten später war sie tief und fest eingeschlafen. Wir mussten dringend zusehen, dass sie im Laufe der Woche noch einmal zum Arzt kam. Seufzend machte ich mich an die Arbeit, um die ganze Wohnung aufzuräumen und zu säubern. Eigentlich war ich todmüde. Aber meine Mutter hatte doch nur noch mich. Sie brauchte mich, war auf meine Hilfe angewiesen. Da musste ich durch. Zusammen würden wir das schon irgendwie schaffen. Es würde uns gelingen aus diesem Tief herauszukommen. Danach ging es uns sicher besser. Irgendwann mussten auch mal wieder bessere Zeiten einkehren. Eigentlich waren diese Schikanen des Schulsprechers noch harmlos gegen das, was uns in der Vergangenheit widerfahren war. Dadurch war ich abgehärtet. Ich würde auch ihn und seine Launen überstehen. Ja, genau das würde ich. Zumindest glaubte ich das in diesem Moment. Launen des Schulsprechers, ganz toll! Übermut tut selten gut oder kommt dieser vor dem Fall? Ungeduld war aber auch nicht gerade besser. Meinen Dienst als Laufbursche des Schülerrats war ich nur widerwillig angetreten, das hieß, ich wollte mich dem stellen. Denn sobald ich den Raum der Schülervertretung erreicht hatte, wurde mir schlagartig bewusst, was es bedeutet hätte mich meinem Schicksal so einfach widerspruchslos zu beugen. Wahrscheinlich lachte sich dieser Kerl bereits ins Fäustchen. Aus diesem Grund hatte sich meine Wut deutlich angestaut, als ich schließlich vor ihm stand. Igarashi blickte erst gar nicht von seinen Unterlagen auf, denen er sich gewidmet hatte, sondern deutete auf einen weiteren Blätter-Stapel vor sich. „Bring diesen Stapel zu Kanade. Er ist in seinem Klassenzimmer am anderen Ende der Schule“, trug Igarashi mir nahezu gelangweilt auf. War ja witzig, er wollte mich wohl durch die riesige Schule jagen wie einen Hund. Aber ich machte erst gar keine Anstalten seiner Aufforderung nachzukommen. Schließlich war ich kein Teil des Schülerrats. Aber ich war auch nicht seine Dienerin. Mindestens fünf Minuten stand ich einfach nur da. Erst nachdem diese verstrichen waren, blickte der Schulsprecher schließlich von seinem Schreibtisch auf. „Was stehst du noch hier? Du sollst diese Unterlagen zu Kanade bringen, habe ich gesagt“, kommandierte er mich ungeduldig herum, oder er versuchte es wenigstens. „Du drohst mir dafür zu sorgen, dass ich von der Schule fliege, wenn ich nicht deine Leibeigene spiele? Wegen einer Lappalie?“, fragte ich zornig, die Adern über meinen Augen zuckten gefährlich. „Ja“, erwiderte er matt. Oh, was für ein arroganter Kerl! „Dann habe ich Neuigkeiten für dich“, begann ich angriffslustig und ballte meine Hände zu Fäusten, „Ich denke ja gar nicht erst daran, also versuch es ruhig!“ Daraufhin lachte Igarashi fies. „Oh, ein Wort von mir genügt und du siehst diese Schule nie wieder von innen“, verkündete er geradezu belustigt. Ha ha. Wie hatte ich auf diese Worte gewartet. Auf einmal war es an mir kühl zu lachen. Das war zu viel des Guten. Hime Hiya ließ sich nicht alles gefallen. Irgendwann drehte auch sie ab. Und dieser Tora Igarashi trieb es eindeutig auf die Spitze. „Typen wie dich kenne ich, Igarashi“, begann ich mit einem freudlosen Lachen. Mir war gleichgültig, ob ich dabei wie eine Verrückte klang. „Menschen wie du, die über Einfluss und Reichtum verfügen. Diese nutzt ihr schamlos und gnadenlos aus, um über alles und jeden Macht auszuüben. Aber solange ich atme, solange ich lebe, werde ich nicht klein bei geben und vor jemandem wie dir kuschen! Denk von mir, was du willst. Meinetwegen kannst du mich von der Schule werfen lassen. Jemand wie du wird nie – NIEMALS - Einfluss auf mein Leben haben und es zerstören! Selbst wenn ich nicht weiter an die Miyabigaoka gehen kann, finde ich einen Weg weiterhin meine Ziele zu verfolgen!“, schloss ich mit inbrünstiger Überzeugung. Ich war stolz auf mich und meine kleine Rede, denn meine Überzeugung war darin gut zum Ausdruck gekommen. Mit großen Augen starrte er mich an. Ja, da konnte er staunen. Doch das Erstaunen über mein aufmüpfiges Verhalten hielt nur einen kurzen Augenblick an. Im nächsten Moment grinste er süffisant. „Bist du fertig mit deiner kleinen Rede?“, fragte er überheblich. Hatte er etwa nicht mitbekommen, dass ich ihn nicht respektierte? Dass seine Einschüchterungstaktiken bei mir nicht zogen? „Ja, ich denke doch. Sollte mir noch etwas zu dem Thema einfallen, nachträglich meine ich, lasse ich es dich wissen“, erwiderte ich schlagfertig. „Dann kannst du jetzt gehen“, entließ er mich trocken. Jetzt war es an mir ihn überrascht anzusehen. Hatte er es nicht mitbekommen? Dabei hatte ich geglaubt ich müsste mit dem Schlimmsten rechnen, wenn ich mich gegen ihn auflehnte. „Du kannst gehen“, wiederholte er eine Spur eindringlicher. Ich blinzelte, wandte mich jedoch zum Gehen um. Yeah! Es sah ganz so aus, als ginge diese Runde an mich. Als hätte ich gewonnen. Allerdings irrte ich mich gewaltig, denn es hatte noch nicht einmal begonnen kompliziert zu werden. Als ich mich an diesem Nachmittag auf den Weg zur Arbeit machte, erwischte ich mich dabei, wie ich mich immer wieder suchend umblickte. Die Angelegenheit mit Igarashi hatte mich tatsächlich paranoid werden lassen. Jetzt befürchtete ich schon, man würde mich beschatten. Wie lächerlich! Mit einer geringen Verzögerung erreichte ich schließlich das Maid Latte, war aber immer noch pünktlich zum Beginn meiner Arbeitsschicht dort, sodass mir noch genügend Zeit blieb, damit ich mich umziehen konnte. „Ach, freue ich mich darauf, wenn du bald bei einem größeren Event dabei bist“, begann Satsuki munter und drückte mir einen Haarreif in die Hand, an dem helle Katzenohren befestigt waren, die erstaunlich gut zu meinen karamellbraunen Haaren passten. Ach ja, hatte ich ja beinahe völlig vergessen, heute war Katzenohrentag. „Wir hatten vor gar nicht allzu langer Zeit erst einen Katzenohrentag. Aber ich fand es so niedlich, dass ich direkt noch einen veranstalten musste. Oh, Hime, das steht dir wirklich gut“, stellte Satsuki voller Begeisterung fest. Ich bewunderte sie dafür, dass sie einfach immer gut drauf zu sein schien. Egal ob mal schlechtes Wetter herrschte oder nicht – ihre Laune blieb stets heiter. Aber irgendwie machte das auch das freundlich warme Klima im Maid Latte aus. Misaki arbeitete heute nicht, aber die drei Stammgäste, die immer ihretwegen kamen, waren trotzdem da und ich musste sie bedienen. Irgendwie erfüllte es mich mit etwas Genugtuung, dass ihnen das zu gefallen schien. Der Schulsprecher der Miyabigaoka hatte mich ganz schön aufgemischt. Nach Kräften bemühte ich mich meinen Kolleginnen zu demonstrieren, dass ich als Maid prima geeignet war. Besonders Honoka schien ja daran zu zweifeln. Nach diesem harten Arbeitstag fühlte ich mich so erschöpft, dass ich mich sehnlichst auf mein Bett freute. In den darauffolgenden eineinhalb Wochen bekam ich einen Rhythmus für all meine Pflichten. Die Schule, das Lernen, den Haushalt zu führen und gleichzeitig meinen Job im Maid Latte zu meistern. All das war gar nicht so leicht zu managen, doch mir gelang es trotzdem irgendwie nicht den Überblick zu verlieren. Wobei ich gestehen musste, dass mich das Ganze schon etwas auslaugte. Satsuki bemerkte das natürlich sofort. Obwohl sie gern und viel redete, war sie dennoch sehr aufmerksam und ihren Augen entging nichts. Sie kannte meine häusliche Situation nur so weit, dass wir nicht viel Geld besaßen. Mehr wusste sie auch nicht. Ungern weihte ich Außenstehende in unsere Probleme ein. Allmählich wurde ich zu einer Person voller Geheimnisse, die sich überall verstecken musste. Doch anders ging es nicht, dessen war ich mir bewusst. Was Igarashi betraf, so hatte ich das Gefühl, dass er sich von mir zurückgezogen hatte. Das war gut. Vermutlich war es nur eine Phase gewesen. Eine kleine Laune seiner Langeweile. Ein kurzer Anflug von „was auch immer“, der ihn befallen hatte - zum Totlachen. Jemand wie ich musste auch auf Dauer viel zu langweilig sein. Ehrlich gesagt erleichterte mich dieser Umstand. Es schwächte auch meine Paranoia ab. Jetzt sah ich mich nicht mehr jedes Mal hektisch um, sobald ich mich auf dem Weg zur Arbeit befand. Vermutlich wäre es besser gewesen mich nicht direkt in Sicherheit zu wiegen. Trotzdem beschäftigten mich andere Dinge mehr. Beispielsweise der instabile Zustand meiner Mutter, der sich zunehmend verschlechterte, weil sie sich so viel sorgte. Allerdings wunderte es mich nicht. Schließlich hatten wir einiges erlebt und mussten immer noch befürchten, dass man uns eines Tages womöglich aufspürte. Es war also meine zweite Woche im Maid Latte und inzwischen hatte ich mich einigermaßen mit der Arbeit angefreundet. Manchmal machte es mir sogar richtig Spaß. Es war einer der wenigen Tage, an denen die Maids ohne ihre Chefin auskommen mussten, weil diese zu irgendeiner wichtigen Besprechung musste. An diesem Tag war ebenfalls ein Event vorgesehen. Allerdings wieder nur ein kleines, bei dem sich die Maids verschiedenfarbige Bänder ins Haar binden mussten. Meines war rosafarben und ich fand es eigentlich ganz hübsch. Subaru hatte mir dabei geholfen, als ich mit meiner Frisur nicht zurechtgekommen war. Sie selbst trug schwarze Bänder im Haar, Honoka blaue und Misa rote. Fast rechnete ich damit, dass Usui wieder auftauchen würde. Er war auffallend oft hier. Dabei erweckte es den Eindruck als würde Misa sich darüber aufregen. Im Grunde freute sie sich über seine Anwesenheit, da war ich mir sicher. Auch wenn Misa etwas anderes behauptete, in meinen Augen waren sie das ideale Liebespaar. Irgendwie niedlich, aber wieso ausgerechnet ich so etwas dachte, war mir schleierhaft. Die unterschiedlichen Events waren anscheinend besonders beliebt bei den Gästen, so auch dieses. Gerade hatten wir die Stoßzeit hinter uns und die Gäste wurden weniger, sodass man allmählich wieder durchatmen konnte. Misaki und ich hatten beide unsere Pause gehabt, doch Subaru und Honoka hatten unaufhörlich gearbeitet. „Geht euch doch mal etwas ausruhen“, schlug ich schließlich lächelnd vor und schob einen Stuhl ordentlich an den Tisch zurück. „Genau, den Rest können wir erledigen. Im Moment ist ja nicht viel los“, ergänzte Misa. Honoka und Subaru gaben schließlich nach, während Misa und ich aufräumten und die übrigen Gäste bedienten. Wobei sich mal wieder zeigte, dass wir ein gutes Team waren. Gerade hatte ich ein beladenes Tablett nach hinten in die Küche gebracht, als die Türglocke des Maid Latte erneut erklang und Misa ihren üblichen Satz sagte, wobei sie allerdings ungewöhnlich entgeistert klang. Sonst klang sie jedenfalls wesentlich überzeugender. Ich blickte in den Hauptraum, ein Glück dass ich das tat und ich nicht einfach hineinging, und mir klappte vor Schreck förmlich die Kinnlade herunter. Niemand Geringeres als Tora Igarashi hatte das Café betreten! Oh Schreck, lass nach, nicht der! Mir fielen wirklich fast die Augen aus dem Kopf. Rasch versteckte ich mich hinter dem Vorhang und spähte vorsichtig zur Eingangstür. Mein erster Gedanke war, dass es vorbei war. Dass der Schulsprecher mein Geheimnis gelüftet hatte. Dann lachte etwas in mir auf. Das war doch nur reiner Zufall. Genau... ein schlimmer, aber es war einer. Er war rein zufällig hier. Anders konnte ich mir das nicht erklären. Allerdings hatte Misaki mich anfangs vor ihm gewarnt. Da war es nur logisch, dass sie ebenfalls das unerfreuliche Vergnügen gehabt hatte seine Bekanntschaft zu machen. „Tora Igarashi“, hörte ich Misa erstaunt sagen, „Was machst du denn hier?“ Sie klang auch nicht sehr erfreut darüber ihn an diesem Ort zu sehen. Anscheinend war er wirklich sehr beliebt. Aufgesetzt charmant lächelte er sie an. „Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Ich habe dich vermisst, Misaki Ayuzawa“, verkündete er amüsiert. Achso. Ha ha, und ich hatte schon gedacht... Er war tatsächlich wegen Misa hier, auch wenn sie mir deswegen furchtbar leid tat. Demnach kannten sie sich wirklich besser. Vielleicht weil sie beide Schulsprecher waren. Aber so etwas hatte ich bereits vermutet, nach Misas Reaktion, als sie erfahren hatte, an welche Schule ich ging. Ihre Warnung hatte ja darauf hingewiesen, dass sie bereits Bekanntschaft mit dem Schulsprecher der Eliteschule gemacht hatte. „Du bist hier nicht erwünscht“, verkündete Misa zu meiner Erleichterung. „Ach? Springt man so mit seinen Gästen um?“, erwiderte Igarashi höhnisch, trat an Misa vorbei und setzte sich einfach an einen der freien Tische. Oh nein, auch das noch! Konnte er sich nicht verziehen? Ich musste noch eine gute Stunde arbeiten. Neben mir erklang ein eindringliches Räuspern, gefolgt von Honokas finsteren Stimme, die mir einen Schauer über den Rücken jagte. Manchmal war sie echt unheimlich. „Faulenzen ist nicht, wenn du eine richtige Maid sein willst“, warnte sie mich düster. Ich bekam kein Wort zustande, deutete aber nach drinnen, wo Misa widerwillig Igarashis Bestellung aufnahm. „Jetzt geh schon“, drängte Honoka ungeduldig und schob mich an den Schultern nach draußen, noch bevor ich reagieren konnte. Rasch wandte ich mich um und steuerte auf einen Gast in der entgegengesetzten Richtung zu, der mich zu sich gewunken hatte. Vielleicht bemerkte Igarashi meine Anwesenheit ja nicht? Mein Spruch kam eher verkrampft rüber und ich sprach so leise wie möglich mit dem Versuch meine Stimme ein wenig zu verstellen, was eher klang als hätte ich einen Frosch verschluckt. Mir war so schlecht, dass ich mich zusammenreißen musste nicht aus den Latschen zu kippen. Mensch, ich war doch sonst nicht so drauf! Was war nur los mit mir? Ließ ich mich etwa doch von jemandem wie ihm einschüchtern? „Haben Sie mich gehört? Ist alles in Ordnung?“, fragte der Gast sichtlich besorgt, was mich schlagartig aus meiner Starre riss. Trüb nickte ich und zog mich etwas zurück. Na ja, meine helle Haarfarbe hatten bestimmt viele Mädchen, versuchte ich mich zu trösten. Vielleicht bemerkte Igarashi mich ja auch gar nicht. Auf einmal tauchte Misa neben mir auf, worauf ich heftig erschrak und zusammenzuckte. „Alles in Ordnung, Hime?“, erkundigte sie sich leise. Als ich sie anblickte, schien sie sofort zu begreifen. „Oh“, meinte sie verblüfft. „Am besten du gehst nach hinten, ich übernehme deine Gäste“, schlug sie verständnisvoll vor, weil sie begriffen hatte, dass ich nicht von Igarashi gesehen werden wollte, und schob mich bereits unauffällig in Richtung Hinterzimmer. Was für ein Glück, dass Misa wusste, was in etwa in mir vorging. Ich war so dankbar darüber, dass mein Geheimnis noch bewahrt blieb, dass ich meinen Blick zu ihr umwandte. Ein schwerer Fehler, denn im nächsten Moment registrierte ich, dass Igarashi nicht mehr an seinem Platz saß. Eigentlich ein positives Zeichen, doch dann wandte ich mich in Richtung Tür, um schnell in den Personalbereich des Cafés zu huschen und da stand er plötzlich. Er stand genau vor mir. Jetzt war es passiert! Es war eindeutig zu spät, meine Tage waren gezählt. Ich konnte einpacken. Schließlich blickte ich ihn direkt an, mit vor Schreck geweiteten Pupillen. Da nützte es mir auch nichts mehr mich zu verstecken. Doch auch Igarashi wirkte erstaunt mich hier zu sehen. Allerdings brachte es mir jetzt auch keine Erleichterung zu wissen, dass er mir wohl doch nicht bis zu meinem Arbeitsplatz gefolgt war. Er hatte sich schnell wieder gefangen, denn plötzlich fing er an aus voller Seele zu lachen. Womit hatte ich das nur verdient? „Du störst die Gäste“, informierte Misa ihn trocken, aber Igarashi brauchte eine Weile, bis er sich wieder weitgehend beruhigt hatte. „Nein, das ist wirklich zu köstlich“, lachte er erheitert. Anstatt mich darauf anzusprechen, dass ich eine Maid war, verließ er lachend das Café. Das war zu viel für mich. Mein Kopf lief knallrot an. Jetzt hätte ich unsere Schuldeneintreiber dem Schulsprecher eindeutig vorgezogen. Auf dem Weg zur Bahnstation erzählte ich Misa, was es mit dem Schulsprecher auf sich hatte und wie ich mich gegen ihn gestellt hatte. „Das ist wirklich... Ich kann immer noch nicht fassen, dass Igarashi herausgefunden hat, wo ich arbeite“, schloss ich mit verzweifeltem Blick. Misa wirkte zunehmend ernst. „Meine ganze Ernsthaftigkeit als Stipendiatin ist dahin. Er wird auf mir herumtrampeln wie auf einem Käfer“, seufzte ich entmutigt hervor. Eigentlich konnte ich wieder meine Sachen packen und umziehen. „Weißt du, Hime, ich hatte auch schon meine Differenzen mit ihm“, gestand Misa, worauf ich sie erstaunt anblickte. Dann erzählte sie mir von ihrer ersten Begegnung mit Tora Igarashi. Wie er den vornehmen Gentleman gemimt hatte, ganz charmant gewesen war, ihr sogar angeboten hatte von der Seika auf die Miyabigaoka zu wechseln und dem dortigen Schülerrat beizutreten. Ich war fassungslos, als sie mir stockend berichtete, was er mit ihr angestellt hatte. „Dieser elende Schuft!“, knurrte ich finster mit geballten Fäusten. Schade dass mein Aikido gegen ihn anscheinend nichts nützte. Ich hatte es bereits als letzte Maßnahme gegen ihn in Erwägung gezogen. Aber nach allem, was Misa mir soeben berichtet hatte, schien das hoffnungslos zu sein. „Wie bist du aus dieser Situation herausgekommen?“, fragte ich verzweifelt, weil ich nicht weiter wusste. Misa errötete sichtlich und lächelte verlegen. „Ehrlich gesagt hat Usui mir damals aus der Patsche geholfen“, seufzte sie. Oh. Damit konnte ich selbstverständlich nicht aufwarten. Also mit jemandem, der mich rettete. Misa hatte es echt gut, Usui schien wirklich ein toller Kerl zu sein. Offenbar bedeutete sie ihm sehr viel. „Tja, da hilft wohl nur noch auswandern“, stöhnte ich und fasste mir an die Schläfe. Wie großartig! „Du willst aufgeben?“, wunderte sich Misa, die das anscheinend nicht erwartet hätte. „Ja... ich meine… Nein... ich weiß es nicht“, räumte ich mutlos ein und ließ betrübt die Schultern hängen. Ich wusste ja selbst nicht, was ich jetzt tun sollte. Innerlich fürchtete ich mich vor Igarashis Reaktion, denn die eigentliche Konfrontation mit ihm stand mir erst noch bevor, sobald ich das nächste Mal zur Schule ging. Ist doch verrückt, dass man sich vor so etwas Banalem fürchten kann. ~ ~ ~ Kapitel 4: Igarashis Maid? NIEMALS! ----------------------------------- ~ ~ ~ Was wenn ich einfach krank wurde und nicht zur Schule ging? Bedauerlicherweise war das nicht meine Art. Und das hätte meine Mutter mit noch mehr Sorge erfüllt. Davon hatte sie wahrlich genug. Also ging ich am nächsten Tag wie üblich zur Schule. Obwohl ich schon nervös wurde, sobald ich nur daran dachte, dass ich die richtige Reaktion des Schulsprechers noch über mich ergehen lassen musste. Er kannte mein Geheimnis. Na ja, zumindest eines davon. Er wusste, dass ich als Maid im Maid Latte arbeitete. Offenbar blieb mir nichts erspart. Und Igarashi kannte auch keine Skrupel. An jeder Ecke vermutete ich eine List des Schulsprechers, zuckte nur schon zusammen, wenn mich nur jemand von der Seite ansprach. Wie meine Mitschülerin Ayu, die wissen wollte, welche Aufgabe wir in unserem Textbuch machen mussten. Den ganzen Morgen blieb es still um den tyrannischen Schulsprecher. Wie die altbekannte Ruhe vor dem Sturm. Als würde man mich schon einmal ein bisschen foltern wollen, bevor man zu der richtigen Tortur kam. Keiner meiner Mitschüler lachte laut, weil die Stipendiatin eine arme Maus war, die in einem Cosplaycafé arbeitete, dabei hübsche Kostüme trug und die Gäste besonders nett behandelte, um ihr Leben einigermaßen meistern zu können. Dabei rechnete ich jede Sekunde damit. Das war die reinste Qual! Ich hatte diesen Schultag beinahe überstanden und mich durchströmte bereits eine Erleichterung bald nach Hause gehen zu können, als Kanade sich mir im Korridor in den Weg stellte. „Tora möchte dich sehen“, verkündete er mit undurchdringlicher Miene. Nein! Also doch! Bemüht schluckte ich meinen Unmut hinunter. „Es geht nicht, ich habe zu tun“, murmelte ich verbissen zwischen den Zähnen, wollte mich an ihm vorbei schieben, doch Kanade drückte mich an den Schultern zurück und hielt mich davon ab. „An deiner Stelle würde ich mir das gut überlegen, Hiya“, seine Stimme klang freundlich. Trotzdem haftete ihr etwas Finsteres an. Erneut schluckte ich schwer. Das war der Moment, den ich am meisten gefürchtet hatte. Aber wenn ich Igarashis Reaktion erst hinter mich gebracht hatte, war es wenigstens vorbei. Hoffentlich würde es kurz und schmerzlos sein. Na ja, schmerzlos wohl eher weniger, aber hoffentlich war es wenigstens kurz. Sehr kurz. Minimal. Inzwischen kam es mir so vor, als wäre der Raum des Schülerrats der schrecklichste im ganzen Gebäude. Weil darin das personifizierte Böse hauste. Es war wie üblich. Wenn man mit üblen Schurken zu tun hat, obgleich es sich um schnöselige, reiche Erben handelte, durfte man ebenso wie bei Hunden keine Angst zeigen. Die rochen sie aus Metern Entfernung. Seit ich mit Misaki über den Schulsprecher gesprochen hatte, wurde mir bei dem Gedanken an diesen allerdings noch mulmiger zumute. Sie schien ja schon stark zu sein, sehr stark. Wenn Misa keine Chance gegen ihn gehabt hatte, was war dann mit mir? Na ja, notfalls musste eben Plan B herhalten. Wobei ich mir diesen auch erst noch aus den Fingern ziehen musste. Kanade lächelte mich an, hielt mir die Tür zum Raum des Schülerrats auf, machte jedoch keine Anstalten selbst hineinzugehen. Erhobenen Hauptes würde ich mich Tora Igarashi stellen. Sobald Kanade die Tür hinter mir wieder schloss, wusste ich, dass ich von ihm keine Hilfe zu erwarten hatte. Dass er mich diesem Kerl schutzlos auslieferte. In Gedanken erinnerte ich mich an die besten Kniffe beim Kampfsport. Vielleicht half mir doch irgendetwas davon. Schließlich war auch Igarashi nicht unbesiegbar. Unwillkürlich verkrampfte ich mich, obwohl ich es nicht wollte. War doch alles hoffnungslos. Vielleicht... das war ein übles Wort in dem Zusammenhang. Igarashi saß lässig auf seinem Schreibtisch und grinste mich hinterhältig an. Er war nicht länger überrascht, weil ich als Maid arbeitete. Aber wie lange sollte so etwas auch anhalten? Er hatte ja genügend Zeit gehabt diesen Umstand zu verarbeiten – ich nicht. Das alles behagte mir ganz und gar nicht. Mitten im Raum blieb ich stehen, blickte ihn unverwandt an und wartete gespannt, was als nächstes geschah. Geschmeidig erhob er sich. „Ich bin enttäuscht“, verkündete er schließlich matt. Zuerst dachte ich er redete von meinem Job, doch dann fuhr er fort: „Du misstraust mir.“ Achso. Weil ich nicht näher trat. Das hätte er wohl gerne gehabt, man hatte mich vorgewarnt. „Ist das etwa ein Wunder? Bislang warst du keine Sekunde nett zu mir. Und nach dem, was mir Misaki über dich erzählt hat, kann ich dir nur misstrauen“, erwiderte ich entschlossen. Doch ein leiser Zweifel stahl sich in meine Stimme, was nicht unbedingt gut sein konnte. Igarashi lachte süffisant auf. „Tatsächlich? Ayuzawa hat dir von unseren Zusammentreffen erzählt? Interessant... Genauso interessant wie du“, stellte er mit einem hinterhältigen Lächeln auf den Lippen fest. Er kam auf mich zu, doch ich wich einige Schritte zurück, weil ich ihm wirklich absolut misstraute. Meinte er seine Worte ernst oder schwang in seinem Unterton Sarkasmus mit? Er kam immer noch auf mich zu... Lange würde das nicht gut gehen! Tatsächlich stieß ich kurz darauf mit meinem Rücken gegen die große Tür hinter mir, die zum Schülerratszimmer führte. „Du arbeitest also als Maid“, betonte er genüsslich und war mir dabei wirklich schon ziemlich nahe, bedrohlich nahe. Igarashi stützte seine Hände neben mir ab, sodass es mir unmöglich war zu entkommen. In welche Falle war ich da nur wieder getappt? Vorsichtig tastete ich nach dem Türgriff, aber ich war offensichtlich an der falschen Seite. Das nächste, was ich spürte, war sein warmer Atem in meinem Gesicht. „Du willst also, dass ich freundlich zu dir bin, Hime?“, spöttelte er unverhohlen. „Nicht... nicht so freundlich“, gab ich kleinlaut zurück. Wenn es mir doch nur gelungen wäre mich vernünftig zu bewegen! „Dir ist klar, dass ich dich in der Hand habe?“, stellte er mich vor vollendete Tatsachen. Ihm machte das sichtlich Spaß. „Wieso? Weil ich jobbe? Das ist doch nicht verboten. Hier kennt mich sowieso kaum jemand. Mir kann also egal sein, was alle von mir halten. Also erzähl es ihnen ruhig. Dass ich als Maid in einem Café arbeite“, gab ich so entschlossen wie möglich zurück. Aber Igarashi lachte nur über meinen Bluff und beugte sich ein Stück zu mir nach unten. „Wirklich? Dir ist das gleichgültig? Allerdings muss ich dich korrigieren, Prinzessin, denn wenn du die Regeln dieser Schule kennen würdest, wüsstest du, dass es Stipendiaten untersagt ist einen Nebenjob auszuführen“, hauchte er genüsslich, worauf sich meine Pupillen vor Entsetzen weiteten. Das hatte ich nicht gewusst. „Das... das ist nicht wahr. Du lügst!“, protestierte ich heftig und schluckte bemüht. Das behauptete er nur, um mich einzuschüchtern, davon war ich fest überzeugt. Außerdem sollte er mich nicht Prinzessin nennen. Ich konnte ja nichts für die Bedeutung meines Namens. Aus seinem Mund klang das ohnehin viel zu spöttisch. „Glaub mir, Hime. Ein Wort von mir genügt und du wirst nicht nur an der Miyabigaoka keinen Fuß mehr fassen, sondern auch an keiner anderen Schule. Du wirst niemals deinen Abschluss machen können“, säuselte er zufrieden. Voller Entsetzten starrte ich ihn an. Jetzt hatte er mich wirklich in die Tasche gesteckt. Vielleicht hatte ich die Situation doch unterschätzt. Wenn er mir nur nicht so verflixt nahe gekommen wäre, hätte mir irgendein genialer Einfall kommen können. „Machst du das immer so? Du erfährst, dass ein Mädchen eine Maid ist und rückst ihr dicht auf die Pelle? Stehst du etwa auf so etwas? Auf Maids? Denkst du, dass ich völlig wehrlos bin?“, fragte ich möglichst patzig, als ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte. „Um ehrlich zu sein, ja“, bemerkte Igarashi monoton. „Aber ich denke auch, dass du interessant bist“, ergänzte er rasch und endlich trat er einen Schritt von mir zurück. Oh man, hatte der vielleicht Nerven! Hatte er einfach nur Langeweile, oder war er so bescheuert? „Ich werde dich verschonen, wenn du brav das tust, was ich dir sage. Du musst es dir nicht sofort überlegen, ich bin gütig und lasse dir Zeit“, sein Tonfall hatte sich verändert, klang beinahe freundlich – der und gütig? Dass ich nicht lachte! „In diesem Fall werde ich davon absehen deine Arbeit bei der Schulaufsichtsbehörde zu melden, die dir sofort dein Stipendium entziehen würde. Obwohl ich natürlich in meiner Funktion als Schulsprecher dazu verpflichtet wäre. Davon sehe ich ab, wenn du meine persönliche Maid wirst“, ergänzte er dreist, wobei seine Augen gefährlich funkelten. Entsetzt starrte ich ihn an, was ihm zu gefallen schien, denn er lächelte triumphierend. „Ich werde dir sofort eine Antwort geben, denn ich weigere mich...“, begann ich bissig, aber Igarashi hob beschwichtigend die Hand. „Überlege es dir gut, Hime. Ob du bereit bist im Gegenzug für mein Schweigen einen angemessenen Preis zu bezahlen. Wie es aussieht bist du nämlich darauf angewiesen, was einmal aus dir wird.“ Oh, das war fies, oberfies sogar. Igarashi wollte mich erpressen. Dachte er etwa allen Ernstes, dass er damit durchkam? Leider tat er das. Niemand gebot ihm Einhalt. Mit einem Mal schien er das Interesse an mir verloren zu haben, denn er wandte sich ab. Meine Audienz beim tyrannischen Schulsprecher war beendet. In mir brodelte es vor Wut und Verzweiflung. Was sollte ich jetzt tun? Mir war wirklich nicht klar gewesen, dass es als Stipendiatin gegen die Schulordnung verstieß zu jobben. Sobald ich zu Hause war, sah ich in der Schulordnung nach, die sich bei meinen Unterlagen befand. Leider stimmte es. Stipendiaten war das wirklich nicht gestattet, weil dann nicht gewährleistet werden konnte, dass sie sich genug auf den Lernstoff konzentrierten, um sich das Stipendium weiterhin zu verdienen. Was für ein ausgemachter Blödsinn! Natürlich schaffte ich das trotz meines Jobs. Vor Wut zerknüllte ich den Zettel und warf ihn in den Papierkorb. Nicht dass es etwas änderte… Ich musste mir schleunigst etwas einfallen lassen, bevor Igarashi eine Antwort forderte. Am nächsten Tag, als ich bei der Arbeit war, ging mir eine bestimmte Frage nicht mehr aus dem Kopf. Was hatte er eigentlich mit einer persönlichen Maid vor? Lieber nicht darüber nachdenken. Sobald ich die Küche betrat, hielt ich erstaunt inne. War das nicht Takumi Usui? Mit geschickten Händen bereitete er eine Bestellung vor und stellte sie vor mir auf dem Tresen ab. „Du arbeitest ebenfalls im Maid Latte?“, fragte ich verblüfft. „Manchmal helfe ich hier in der Küche aus“, erwiderte er gleichgültig. Nur in Misas Nähe schien er aufzublühen. Oh man, so etwas konnte ich jetzt echt nicht gebrauchen, auch wenn es mich natürlich für die beiden freute. Bei Usui hatte ich das Gefühl, dass er einfach immer teilnahmslos klang. Ich brachte die Bestellung an den entsprechenden Tisch, es roch so köstlich, dass man selbst Hunger bekam und wandte mich gerade um, als die Türglocke erklang. Da ich der Tür gerade am nächsten stand, war ich für diesen neuen Gast verantwortlich. Also wandte ich mich in seine Richtung, um ihn zu begrüßen und erstarrte inmitten meiner Bewegung. Nein, das durfte nicht wahr sein! Hatte Tora Igarashi es sich etwa zur Aufgabe gemacht mir das Leben zur Hölle zu machen? Meine Schläfe pochte gefährlich, sein Blick wirkte nahezu herausfordernd. Widerwillig begrüßte ich ihn mit einem breiten Lächeln im Gesicht, wie ich auch die anderen Gäste begrüßte. Allerdings klang es ein bisschen steif. „Was machst du hier?“, fragte ich anschließend wütend, während ich ihn zu einem freien Tisch begleitete. Nachdem er sich gesetzt hatte, lächelte er herablassend. „Ich sehe mir an, was meine zukünftige Maid zu bieten hat“, verkündete er arrogant. Das war doch wohl… Das schlug dem Fass den Boden aus. Oder hatte ich mich verhört? Ich hatte ihm ja wohl noch keine Antwort gegeben. Schnell nahm ich seine Bestellung auf, ohne auf seine Worte einzugehen. Er nahm sich absichtlich Zeit sich etwas auszusuchen. Je schneller ich hier fort kam, desto besser. Nachdem das erledigt war, stapfte ich förmlich in den hinteren Bereich des Maidcafés zurück, wo ich Misa bei Usui antraf. „Es reicht!“, zischte ich aufgebracht. „Ist etwas passiert?“, wollte Misa besorgt wissen. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten. „Er tyrannisiert mich! Er legt es darauf an, dass ich ihn umbringe! Igarashi, er ist hier“, verzweifelt blickte ich meine Arbeitskollegin an, die ich irgendwie schon als etwas wie eine Freundin betrachtete. Erstaunt blinzelte sie. „Willkommen ist er hier nicht. Schließlich wollte sein Freund Kanade das Latte mal dicht machen, für ein Buttlercafé“, seufzte sie beschwert. Erstaunt starrte ich sie an. Zu welchen abartigen Handlungen war ein Mensch noch fähig? Und jetzt saß er da und provozierte mich. „Misa, wie wird man einen lästigen Parasiten wieder los?“, fragte ich geradeheraus. Vorsichtig schielte sie in Usuis Richtung, der das registrierte, aber in der Küche stand, als interessiere ihn das was wir redeten gar nicht. Wie er es bereits die ganze Zeit über tat. „Leider überhaupt nicht“, murrte Misa leicht grimmig. „Das Leider habe ich überhört, Schulsprecherin“, erwiderte Usui nüchtern. Eigentlich ein Bild zum Totlachen. Aber nach lachen war mir gerade gar nicht zumute. Eher wurde meine Situation immer hoffnungsloser. „Ich wollte allem Ärger aus dem Weg gehen. Und was tue ich? Laufe ihm praktisch in die Arme. Ich habe versucht ihm alles entgegenzusetzen, aber anscheinend stachelt ihn das nur noch weiter an“, gestand ich enttäuscht. „Du hast ihm etwas entgegengesetzt?“, hakte sie vorsichtig nach. „Ja, ich wollte ihm verdeutlichen, dass er das mit mir nicht machen kann“, erwiderte ich perplex. „Tja, jetzt will er dir eben zeigen, dass er es doch kann“, warf Usui beiläufig ein. „Klappe, Usui!“, nuschelte Misa aufgebracht. „Aber eigentlich hat er ja recht“, seufzte ich bekümmert. „Siehst du, Misa. Endlich sieht jemand ein, dass ich wirklich alles weiß“, grinste Usui spöttisch. „Klappe halten, habe ich gesagt!“, knurrte Misa und ihr schien beinahe der Kragen zu platzen. Allerdings wusste ich immer noch nicht, was ich jetzt gegen Igarashi unternehmen sollte. Nur eines war sicher; ich würde garantiert nicht seine persönliche Maid werden. Niemals! Da konnte er sich auf den Kopf stellen und lachen! ~ ~ ~ Kapitel 5: Hausbesuch --------------------- ~ ~ ~ Leider genoss der selbstgefällige, tyrannische Schulsprecher es in vollen Zügen mich leiden zu sehen. Jedenfalls erweckte es den Eindruck. War er etwa ein Sadist? Zwar forderte er seine Antwort nicht sofort und ließ mich während der Schule weitgehend in Ruhe, wenn man von den höhnischen Blicken absah, sobald wir uns im Korridor begegneten. Aber im Maid Latte tauchte er öfter auf als mir lieb war. Wieso konnte er dem Café nicht fern bleiben? Auch den anderen Maids schien das nicht gerade zu passen. Sie hatten kein gutes Bild von ihm, weil er es einmal darauf angelegt hatte das besondere Café zu schließen, an dem Satsuki und den anderen Maids so viel lag. Daher konnte ich ihren Unmut über seine Anwesenheit durchaus nachvollziehen. Selbst Schuld sich unbeliebt zu machen, wenn man immer nur Intrigen und Machtspielchen im Kopf hatte. Ich konnte gut verstehen, dass sich alle Maids für das Maid Latte eingesetzt hatten. Auch ich mochte diesen Ort allmählich, schloss meine Kolleginnen und das Arbeitsklima immer mehr ins Herz. Natürlich war die Arbeit selbst gewöhnungsbedürftig. Aber eigentlich machte sie mir meistens sogar Spaß. Wenn nicht gerade Igarashi aufkreuzte. Satsuki bedauerte, dass sie ihm ja nicht einfach grundlos Hausverbot geben konnte. Ich an ihrer Stelle hätte das getan. Nach allem was er versucht hatte, um das Café in den Ruin zu treiben. Aber ich konnte sie ja verstehen. Unsere gutmütige Chefin war eben niemand, der nachtragend war. Egal wie sehr seine Anwesenheit uns Maids störte – mich behinderte das bei der Arbeit sowieso am meisten – wir mussten es gnadenlos über uns ergehen lassen. Er genoss jede Sekunde zu beobachten, wie ich andere Leute bediente. Wie niederträchtig! Aber auch das ließ ich an mir vorbeiziehen, weil ich wusste, dass mir nichts anderes übrig blieb. Alles andere hätte ihn nur noch mehr angestachelt. Außerdem musste ich ja Geld verdienen. So vergingen zwei weitere, anstrengende Wochen, die mich noch mehr auslaugten, was auch meiner Mutter auffiel. Allerdings wollte ich ihr keine zusätzliche Bürde sein. Ich konnte ihr einfach nicht von dem Ärger erzählen, den ich mir da eingehandelt hatte. Wie war ich nur in diese brisante Lage geraten? Dabei hatte ich uns nur eine bessere Zukunft sichern wollen. Wer hätte auch ahnen können, dass ausgerechnet jemand wie Igarashi mir das Leben schwer machen würde? Es war einer der wenigen Tage, an denen Igarashi uns nicht im Café beehrte, eine angenehme Abwechslung. Dafür bekam ich mit, wie sich Usui und Misa anzickten. Oder eher wie Misa Usui anmeckerte, der das locker zu nehmen schien. Nur bei ihnen klang das völlig ungezwungen. Ich merkte einfach, dass der Blonde einer der Guten war. Wieder einmal meine fabelhafte Menschenkenntnis, die mich selten täuschte. Wie toll, die hatte mich auch nicht vor einer schlimmen Katastrophe bewahrt. Nachdem ich mich nach dem Ende meiner Schicht von meinen Kolleginnen verabschiedete hatte und sie mir einen schönen Feierabend wünschten, trat ich durch die Hintertür nach draußen an die frische Luft. Die Sonne ging gerade in den prächtigsten Farben an Horizont unter. Den ganzen Tag war der Himmel klar gewesen und die Sonne hatte geschienen. Allerdings trog dieser Anblick, denn es war eher herbstlich kühl, sodass ich meine dünne, schwarze Jacke enger zog, um nicht zu einem Eisklumpen zu gefrieren. Ich brauchte dringend eine wärmere Jacke. Auch wenn es schwer werden würde eine günstige zu ergattern. Wie üblich fuhr ich mit der Bahn nach Hause und freute mich auf eine warme Dusche, etwas zu essen und mein kleines, aber gemütliches Bett. Als ich jedoch in unsere Straße einbog, fiel mir sofort das auffällige Auto auf, das vor unserem Haus parkte. Erschrocken hielt ich den Atem an. Dabei handelte es sich um eine vornehme weiße Limousine, die an einem Ort wie diesem völlig fehl am Platz wirkte. Was hatte ein Luxuswagen wie dieser in unserer gewöhnlichen Straße zu suchen? In dieser Gegend? Sicher hatte er schon die Blicke sämtlicher Nachbarn auf sich gezogen. Mein erster Gedanke galt jedoch meiner Mutter. Ich erschrak heftig, weil mir etwas Fürchterliches in den Sinn kam. Das durfte nicht sein! Wenn das die Männer waren, denen wir Geld schuldeten... Sofort beschleunigte ich meine Schritte. Im Treppenhaus begegnete mir Herr Okumura, aber ich machte mir erst keine Mühe ihn zu begrüßen, denn ich hatte es sehr eilig. „Was ist denn bei Ihnen los? Haben Sie Besuch?“, rief er mir noch hinterher, aber da hatte ich bereits unsere Haustür erreicht. Zwar war überhaupt nicht gesagt, dass die Besucher ausgerechnet zu meiner Mutter und mir wollten, aber das unangenehme Gefühl hatte mich längst erfasst, sodass es eigentlich kaum noch auszuschließen war. Völlig außer Atem riss ich die Haustür auf, warf achtlos meine Tasche in den Flur, krempelte die Ärmel meiner dunkelblauen Bluse nach oben und machte mich zum Angriff bereit, falls ich uns möglicherweise verteidigen musste. Zumindest versuchen wollte ich es. Ein Handy, um im Notfall die Polizei zu rufen, hatte ich leider nicht. Und das war auch gar nicht das, woran ich als erstes dachte. Mir stiegen nur grauenvolle Bilder in den Kopf, wie die brutalen Männer meine Mutter bedrohten. Ihre zerbrechliche Stimme drang aus der Küche. Klang sie ängstlich? Ich riss die Tür auf und erstarrte. Nein. Das waren eindeutig nicht die Schuldeneintreiber. Zuerst erfasste mich eine Welle der Erleichterung, der jedoch schnell einer Fassungslosigkeit wich. Nein. Nein. Nein! Was hatte Igarashi hier bei uns zu Hause zu suchen? Was war das denn für ein seltsames Bild? Igarashi saß doch tatsächlich an unserem Tisch in der Küche und trank mit meiner Mutter Tee! In ihrem Gesicht suchte ich nach Anzeichen dafür, dass er sie in irgendeiner Form bedroht hatte, aber sie wirkte eigentlich sogar ziemlich glücklich. Überanstrengt fasste ich mir an die Schläfe. Das machten meine Nerven nicht mit. Ich wollte lachen, aber komisch fand ich das alles eigentlich eher weniger. „Hallo Liebes“, begrüßte meine Mutter mich sanft. „Ja, hallo Hime“, meinte Igarashi betont freundlich, wofür ich ihn hätte erdolchen können. Was bildete er sich eigentlich ein mich vor meiner Mutter nahezu vertraut anzusprechen? Klang er etwa charmant? Sollte ich lachen oder doch lieber heulen? „Du wirkst so außer Atem, bist du etwa gerannt?“, hakte Ma nach und runzelte besorgt die Stirn. „Alles in bester Ordnung“, gab ich mit einem unbeholfen Lächeln zurück, wandte mich anschließend jedoch mit strenger Miene in Igarashis Richtung um. „Und was hast du hier zu suchen?“, erkundigte ich mich misstrauisch. „Du hast mir ja gar nicht erzählt, dass deine Schule von so feinen jungen Herren besucht wird, Hime“, verkündete Ma überrascht und fuhr sich mit der Hand durch ihr kurzes, schwarzes Haar. Ha ha, weil es diese tatsächlich NICHT gab. Jedenfalls nicht an der Miyabigaoka. Eine Antwort auf meine Frage erhielt ich trotzdem nicht. In der nächsten Sekunde richtete ich meinen Blick wieder auf den Schulsprecher der Eliteschule. Ja, weil er alles andere als fein war. Oder charmant. Und dafür hielt sie ihn anscheinend. Offenbar gelang es ihm sich meisterhaft zu verstellen. Allein wie er schon da saß. Als könnte er kein Wässerchen trüben. Er trug die weiße Hose und das schwarze Hemd seiner Schuluniform. Beides stand ihm selbstverständlich gut. Aber bekanntlich fängt man mit Honig Fliegen. „Tja, das muss mir wohl entfallen sein“, erwiderte ich trocken. „Und dann ist Tora auch noch Mitglied beim Schülerrat. Warum hast du mir eigentlich nicht erzählt, dass du sein freundliches Angebot abgelehnt hast ein Teil des Schülerrats zu werden? Für deine Unterlagen wäre das mit Sicherheit gut“, stellte sie ungewohnt munter fest. Welche Lügenmärchen hatte dieser Kerl ihr nur aufgetischt? Die Möglichkeit abgelehnt dem Schülerrat beizutreten? Dass ich nicht lachte! Als Lakai wollte er mich haben. Für nichts sonst! Oder eher als seine persönliche Maid, aber das konnte ich meiner Mutter natürlich unmöglich erzählen. Und weshalb sprach meine Mutter ihn freimütig mit dem Vornamen an als hätte er ihr dies offeriert? Hatte er sich während meiner Abwesenheit etwa bei ihr eingeschleimt? War das der Grund, aus dem er heute nicht im Maid Latte gewesen war? Wie sehr er mich aufregte! Deshalb atmete ich zunächst tief durch, um mich erst mal zu beruhigen. Dass er in unserer engen, ärmlichen Wohnung saß, konnte nicht gut sein. Eigentlich war ganz offensichtlich, wie sehr er sein eigenes Schauspiel genoss. Dieser... dieser Großkotz. Würg. „Tora war so freundlich mir mit den schweren Kartons zu helfen, die noch im Keller standen“, fuhr meine Mutter erleichtert fort. „Das habe ich doch gerne gemacht, Frau Hiya“, entgegnete Igarashi schließlich scheinheilig. Oh, wie sehr ich ihn hasste! „Setz dich doch zu uns und trink eine Tasse Tee“, schlug Ma mit einem milden Lächeln vor. Und anschließend würden wir in Frieden auseinandergehen? Wohl kaum. „Nein, vielen Dank“, murmelte ich verbissen zwischen den Zähnen. Bestimmt wunderte sie sich über meine mürrische Laune. „Bedauerlicherweise muss ich mich jetzt sowieso von Ihnen und Ihrer reizenden Tochter verabschieden, Frau Hiya. Aber ich bedanke mich für Ihre Gastfreundschaft“, verkündete Igarashi geschmeidig. Reizende Tochter? Mich reizte gerade nur mein Würgereiz, den ich seinetwegen verspürte. Galant erhob sich der Schulsprecher mit den zwei Gesichtern, trat vor meine Mutter, machte eine übertriebene Verbeugung und nahm ihre Hand, um ihr zum Abschied einen Handkuss zu geben, was ich verblüfft registrierte. Man glaubte es ja kaum! Am liebsten hätte ich das verhindert, aber ich konnte beide nur ausdruckslos anstarren. Das hatte er gerade nicht wirklich getan! „Du bist jederzeit in unserem bescheidenen Heim willkommen“, lächelte meine Mutter, wobei sie leicht errötete. Es war lange her, seitdem ein männliches Wesen sie dermaßen zuvorkommend behandelt hatte. Deshalb tat es ihr nicht gut. Zumal er nichts davon ernst meinte, das wusste ich intuitiv. Zufrieden lächelte Igarashi und ich konnte mir gut vorstellen, dass er innerlich über seine erfolgreiche Scharade triumphierte. „Danke, das ist ausgesprochen großzügig von Ihnen, Frau Hiya“, meinte er großspurig. „Hime, begleitest du unseren Gast bitte noch nach draußen?“, wandte sie sich an mich, „Obwohl unsere Wohnung bescheiden ist, soll er nicht annehmen wir hätten keine Manieren.“ Dafür waren seine jedoch gespielt. „Liebend gerne“, gab ich aufgesetzt enthusiastisch zurück. Natürlich würde ich ihn noch nach draußen begleiten… Damit ich ihn umbringen konnte! Mich permanent zu belästigen war eine Sache, meiner Mutter einen auf nett vorzuspielen eine völlig andere. Sie hatte nichts damit zu tun, dass er es sich aus irgendeinem unerfindlichen Grund zum Ziel gesetzt hatte, mir das Leben zur Hölle zu machen. Das hatte sie nicht verdient. Nicht nach allem was sie bereits durchgemacht hatte. Schließlich war sie oft genug betrogen und hintergangen worden. Sobald wir das Treppenhaus verlassen hatten und auf die Straße getreten waren, schäumte meine Wut gegen ihn deutlich über. „Was fällt dir eigentlich ein einfach hier aufzutauchen? Du bist so hinterhältig...“, setzte ich fassungslos an. Igarashi wandte sich zu mir um und lächelte noch immer als wäre er ein völlig anderer Mensch. Auf einmal nahm er eine lose Strähne meiner langen Haare zwischen seine Finger, was ich erstaunt registrierte. Am liebsten hätte ich ihm dafür die Hand abgehackt. „Wirklich interessant zu sehen, dass die Prinzessin gar keine ist“, raunte er amüsiert. Pff. „Das habe ich nie behauptet“, gab ich möglichst kühl zurück, „Und als Stipendiatin muss ich das auch nicht!“ Endlich ließ er wieder von mir ab und trat einen Schritt zurück. „Also ehrlich, diese Gegend ist wirklich abartig und primitiv“, spie Igarashi verächtlich hervor, wobei er gehässig grinste. Jetzt zeigte er wieder sein wahres, hinterhältiges Gesicht. Er hielt uns für Abschaum. Vor Wut vor so viel Arroganz ballte ich meine Hände zu Fäusten. „Dann komm gefälligst nicht hierher und belästige uns, wenn dir mein Lebensstil nicht gefällt!“, gab ich finster zurück. Das ging ihn außerdem überhaupt nichts an. „Aber das ist es doch, Hime. Nach und nach decke ich alle deine kleineren und größeren Geheimnisse auf, bis ich sie ausnahmslos enthüllt habe. Denn ich habe dich längst durchschaut. Was dich so stark macht, ist die Tatsache, dass du niemanden offen in deine Karten blicken lässt. Ich werde das ändern und deine Schwachstellen offenbaren. Eine nach der anderen“, versprach er mit einem abartig triumphierenden Grinsen, von dem mir schlecht wurde und beugte sich dabei leicht zu mir nach unten, da er wesentlich größer war als ich. „Du bist eine interessante Person. Wie du damit umgehen wirst, interessiert mich. Solange werde ich dich nicht in Ruhe lassen“, hauchte er dicht an mein Ohr. Wieso hatte er nur Gefallen daran gefunden mich zu tyrannisieren? Wirklich, ich begriff es einfach nicht. Endlich zog er sich wieder zurück und wandte sich zu seiner Limousine um. „Mal abgesehen davon bin ich mir sicher ganz genau zu wissen, was du willst. Was alle Frauen wie du wollen. Komm morgen früh vor der dritten Stunde zu mir, dann werden wir uns sicher einig werden“, trug er mir nüchtern auf, was keine Widerrede zu dulden schien. Mit diesen Worten stieg er in das luxuriöse Fahrzeug. Sogar Minuten nachdem der Wagen weggefahren war stand ich wie angewurzelt an einer Stelle und rätselte über seine Worte. Was konnte er damit meinen? Womit würden wir übereinkommen? Natürlich war ich nicht gewillt kleinbei zu geben. Allerdings packte mich doch etwas wie Neugier. Ganz bestimmt würden wir uns niemals einig werden. Vielleicht mochte der Schülerrat, ja sogar die Schulverwaltung der Miyabigaoka, auf jemanden wie ihn hereinfallen. Er mochte über viel Einfluss und Geld verfügen, aber er hatte sicher längst bemerkt, dass diese Nummer bei mir nicht zog. Nachdem ich mein erhitztes Gemüt ein wenig abgekühlt hatte, kehrte ich zu meiner Mutter in die Küche zurück, scheuchte sie jedoch von dem dreckigen Geschirr, das sie gerade abwaschen wollte und übernahm stattdessen diese Aufgabe. Erschöpft seufzte sie auf. „Danke, mein Liebling“, meinte sie erleichtert, worauf ich sie warm anlächelte. Schweigend ging ich meiner Arbeit nach. Natürlich war ich meiner Mutter nicht böse, sie konnte ja nichts dafür. Aber auf Igarashi war ich wütend, und wie. Was hatte er nur davon mich und jetzt auch noch meine arme Mutter zu belästigen? „Ein wirklich netter Junge“, durchbrach sie irgendwann zu meinem Missfallen die Stille. Mit gerunzelter Stirn wandte ich mich zu ihr um, meine Hände immer noch in dem schäumenden Spülwasser versunken. „Denkst du nicht, dass du manchmal etwas zu leichtgläubig bist? Du hast von den Herren Takagi und Takawa damals auch gedacht sie wären freundlich“, erinnerte ich sie an die Hauptverantwortlichen unseres Problems. Es war nicht meine Absicht ihr deswegen ein schlechtes Gewissen einzureden. Zumal es nicht zu ändern war und in diesem Fall hatte ich es auch selbst nicht rechtzeitig bemerkt. Eigentlich trug sie keine Schuld an diesem Dilemma. Trotzdem wirkte sie sichtlich betrübt über meine Worte. Sofort bereute ich, dass ich es zur Sprache gebracht hatte. „Ich habe den Herren Takawa und Takagi vertraut, das war ein schwerwiegender Fehler. Aber Hime, denkst du nicht du bist etwas zu streng mit dem Schulsprecher der Miyabigaoka? Tora Igarashi scheint wirklich ausgesprochen aufmerksam zu sein und sich um dich zu sogen“, erklärte Ma besänftigten. Fassungslos starrte ich sie an. Hatte er das etwa behauptet? Dass er sich um mich sorgte? Dass ich nicht lachte! Weil ich nicht nach seiner Pfeife tanzte? Mich nicht von ihm beeinflussen oder untermauern ließ? Weil es ihn aus irgendeinem Grund interessierte, wie ich auf seine unberechenbaren Handlungen reagierte? Langsam ließ ich den Teller sinken, den ich gerade abgeschrubbt hatte. Als ich nichts auf ihre Worte erwiderte, sprach sie mit gesenkter Stimme weiter und ich merkte, dass sie erschöpft sein musste: „Ich wusste nicht, dass es dir eigentlich nicht gestattet ist als Stipendiatin dieser renommierten Schule zusätzlich zu arbeiten. Deshalb kam er hierher. Obwohl er mir versichert hat, dass er nicht beabsichtigt dir deswegen zu schaden oder dir einen Strick daraus zu drehen. Eigentlich wollte er mit dir sprechen, aber du warst ja bei der Arbeit. Es tut mir so leid, hätte ich das gewusst...“ Ihre Gewissensbisse ertrug ich kaum, deshalb unterbrach ich sie sanft. Obwohl ich es eine Frechheit fand, dass Igarashi ihr das zumutete. Und ob er mir daraus einen Strick drehte! Mit voller Absicht! „Wir würden es mit dem Unterhalt allein nicht schaffen und würden auf der Straße landen“, wandte ich ein. Es war zwar traurig, aber es war die Wahrheit. Igarashi wusste ganz genau, dass ich im Maid Latte gewesen war. Er war zu mir nach Hause gekommen, um meine Schwachstelle zu ermitteln – genauso wie er es mir auf den Kopf zugesagt hatte. Zum Teil war es ihm auch gelungen. Ich musste mich nur in unserer ärmlichen Wohnung umsehen und mir leuchtete ein, was er erkannt hatte, was er gewöhnt war und was er womöglich jetzt von mir dachte. Stöhnend fasste ich mir an die Schläfe. Wieso interessierte mich eigentlich, was er über mich dachte? Seit wann? Das war mir gleichgültig. Fakt war, dass er meine Mutter benutzt hatte. Das war nicht fair. Ich verkraftete einiges, aber sie mit einzubeziehen, war einfach nur das Hinterletzte! Bestimmt würde ich ihm nicht meine Karten offenlegen! „Jedenfalls hat er mir zugesichert, dass er dich nicht bei der Schulbehörde melden wird“, fuhr meine Mutter erleichtert fort. Wieso hatte sie nur das Bedürfnis ihn so zu verteidigen? Ihre Menschenkenntnis war im Gegensatz zu meiner nicht gerade die beste. Aber das wollte ich ihr natürlich nicht sagen. Schließlich lag es mir fern sie zu verletzen. Igarashi würde mich nur nicht verpfeifen, wenn ich das tat, was er wollte. Diesen Teil hatte er ihr natürlich verschwiegen. Mit Sicherheit war das auch besser so. Ich widmete mich wieder meiner Arbeit. „Es ist meine Schuld, dass du anderen misstraust, besonders wenn sie wohlhabend sind. Weißt du, Hime, bei deinem Vater und mir war es eigentlich genauso“, begann sie und klang dabei sanft, geradezu verträumt. Erneut hielt ich in der Bewegung inne. Dieses Mal war ich jedoch zutiefst erschüttert. Sonst sprach sie nie über meinen Vater. Irgendwie war das immer ein Tabuthema. Nicht einmal den Grund, aus dem er uns damals verlassen hatte, hatte ich jemals erfahren. Eines Morgens war er einfach nicht mehr da gewesen. Ausgerechnet heute sprach sie von ihm. „Anfangs konnte ich ihn nicht ausstehen. Ich habe ihm nicht vertraut. Aber dann hat er mir gezeigt, dass er mein Vertrauen wert ist“, endete sie selig in Erinnerungen vertieft. Sie mied dieses Thema nicht etwa, weil sie meinem Vater nachtrug, dass er uns verlassen hatte. Insgeheim vermisste sie ihn. Doch dass sie ausgerechnet jetzt anfing von ihm zu sprechen, wühlte mich innerlich auf. Vielleicht fühlte ich mich aber auch nur angreifbar. Immerhin hatte Tora Igarashi gesehen, wie ärmlich mein Leben aussah. Seit heute kannte er mein tägliches Umfeld und wusste bereits von meiner Arbeit im Maid Latte. Wie tief würde er noch in mein Privatleben vordringen? Wie weit würde er für sein persönliches Vergnügen noch gehen? ~ ~ ~ Kapitel 6: Geld, Macht, Gier ---------------------------- ~ ~ ~ Ob es mir gefiel oder nicht, ich musste Igarashis „Einladung“ zum Raum der Schülervertretung annehmen. Weil ich unbedingt verhindern wollte, dass Kanade mich erneut in der Nähe meines Klassenraums abholte und meine Mitschüler das womöglich mitbekamen, ging ich lieber mehr oder weniger „freiwillig“. Zwar hatte ich nicht viel mit meinen Mitschülern zu tun, außerhalb der Schule war ich ja viel zu beschäftigt, trotzdem wäre es merkwürdig gewesen, wenn Maki Kanade mich ständig zum Schulsprecher geführt hätte. Außerdem schien Kanade diesem so ergeben zu sein, dass es ihm ohnehin gleichgültig gewesen wäre, ob Igarashi mir ein Messer an die Kehle gehalten oder etwas anderes mit mir angestellt hätte, worüber ich lieber nicht genauer nachdenken wollte. Was er hoffentlich nicht tun würde – inzwischen traute ich diesem fiesen, unberechenbaren Tyrannen so ziemlich alles zu. In dieser Hinsicht sollte ich mich nicht täuschen. Inzwischen erschien mir der Raum, in dem der Schülerrat regelmäßig tagte, nahezu vertraut. Wie lächerlich das war, aber leider wahr. Dieses Mal war Igarashi allerdings nicht beschäftigt, als ich den Raum betrat, sondern erwartete mich bereits. Erneut schloss Kanade die Tür hinter mir und ich war auf mich allein gestellt. Ob sein loyaler Diener draußen Wache stand? Meine Nacht war zwar nicht gerade erholsam gewesen, aber am Morgen hatte ich mich direkt wieder mutiger gefühlt. Das musste ich auch. Schließlich war mit diesem Kerl nicht gut Kirschen essen. Igarashi würde sein Einmischen in mein Privatleben noch bitter bereuen. Entschlossen trat ich auf ihn zu. Er konnte mich ruhig immer wieder zu sich bestellen, mir drohen so viel er wollte oder sonst was. Meinetwegen konnte er sich auch seine Freizeit im Maid Latte totschlagen. Aber er würde sich damit niemals meinen Respekt oder meine Unterwürfigkeit erschleichen. Niemals! „Du hast mich herbestellt und hier bin ich. Allerdings nicht als jemand, der sich herumschubsen lässt. Ich höre mir lediglich an, was du zu sagen hast, Igarashi“, verkündete ich so ausdruckslos wie nur irgend möglich, worauf er süffisant lächelte. Wie üblich brachte ihn absolut nichts aus der Ruhe. „Schön dass du kommen konntest, und dass du deinen Mut noch nicht verloren hast, Hime“, bemerkte er geradezu niederträchtig, wobei er meinen Namen auf merkwürdige Weise betonte. „Wieso? Weil du meiner Mutter den wohlerzogenen, freundlichen Erben vorgespielt hast? Den Schulsprecher, der besorgt um eine Schülerin ist?“, wollte ich angriffslustig wissen. Wenn ich nicht genug Schlaf bekam, reizte man mich besser nicht. Erst jetzt gab er den Blick auf seinen Schreibtisch frei, gegen den er lässig lehnte. Mit geweiteten Pupillen bemerkte ich die dicken Geldbündel, die ordentlich darauf lagen. Seine Augen verfinsterten sich schlagartig. „Was ist? Bist du jetzt bereit meine Maid zu werden? Du brauchst Geld, hier hast du es“, mit einer präzisen Handbewegung stieß er den Stapel an, sodass die Scheine durch den Raum wirbelten, was ich mit einem finsteren Lächeln quittierte. Offenbar zog er diese Nummer wirklich gerne ab, wie ich bereits von Misas negativer Erfahrung mit diesem arroganten Erben wusste. Allerdings nicht mit mir! „Du denkst wirklich, dass ich an deinem Geld interessiert bin?“, wollte ich nüchtern wissen, „Oder eher, das Geld deiner Familie?“ In welcher Welt lebte er eigentlich? Anscheinend in einer, die sich nur um ihn drehte. Wie selbstverliebt, arrogant und überheblich konnte man nur sein? „Oh, ich weiß sogar wie bitter ihr es benötigt! Ich habe Nachforschungen über euch angestellt. Deine Mutter und du… Ihr seid nirgendwo eingetragen. Ihr habt euch hier angemeldet, aber mehr auch nicht. Anscheinend wollt ihr anonym bleiben. Ihr lebt in dieser heruntergekommen Wohnung, während du ein Stipendium für die Miyabigaoka erhältst. Also, was solltest du sonst wollen? Geld, das ist deine Schwachstelle“, lachte Igarashi verächtlich auf und trat einen Schritt auf mich zu. Sein Blick wirkte jetzt geradezu bedrohlich. „Ist es nicht so? Du jobbst bestimmt nicht in diesem Café, in dem auch die interessante Schulsprecherin der Seika arbeitet, weil es dir gefällt. Weil ich dich genau beobachtet habe, Hime. Wann immer du einen Gast bedienst, könntest du das Kotzen kriegen. Du möchtest keine Männer bedienen oder auch nur mit ihnen zu tun haben. Du bist genauso wie alle anderen Frauen und willst nur Geld“, wiederholte er finster und ergriff in der nächsten Sekunde mein Handgelenk, noch bevor ich vor ihm zurückweichen konnte. Fassungslos starrte ich ihn an. „Wieso... wieso denkst du bei mir würde sich alles ums Geld drehen?“, fragte ich verständnislos. „Treffe ich damit nicht genau ins Schwarze?“, grinste mein Gegenüber deutlich abwertend, wobei er mich noch immer festhielt. Da stellte sich mir nur die Frage, was für ein Problem er mit Frauen hatte. Wenn er eine derart geringschätzige Meinung von uns hatte. „Nein, das hast du nicht, Igarashi! Ich würde niemals Geld nehmen, das ich mir nicht verdient habe, das käme einem Diebstahl gleich. Geld ist alles, was für mich zählt? Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass wir es nicht bräuchten, weil wir arm sind. Allerdings unterliegst du einem gewaltigen Trugschluss! Denn ich arbeite hart für mein Geld, und zwar richtig, auf ehrliche Weise. Du bildest dir doch ein mich zu kennen, mich zu durchschauen? Nichts weißt du über mich! Rein gar nichts!“, zischte ich aufgebracht und nutzte die Gunst der Sekunde dieses Überraschungsmoments, um mich endlich aus seinem Griff zu befreien. „In deiner Welt mag sich alles um Macht, Geld und Gier drehen, Igarashi, aber bei mir ist das anders. Denk was du willst. Halte mich für ein Mädchen, das es darauf angelegt hat Geld zu scheffeln. Doch du kennst mich nicht! Du weißt nicht, wieso ich das tue, ja nicht einmal, wie es zu all dem gekommen ist. Also urteile nicht über uns! Du siehst nur die Fakten, die du vor dir hast. Aber nicht jeder, der hart arbeitet, um einmal ein besseres Leben zu führen, tut das aus niederträchtigen Motiven. Ja, ich will ein besseres Leben führen. Deshalb leiste ich viel, habe hart gekämpft, um an der Miyabigaoka aufgenommen zu werden. Aber ich bekomme das selbst in den Griff, ich arbeite dafür. Und es macht mir nichts aus. Bilde dir also ruhig ein mich zu kennen, aber das tust du nicht und das wirst du auch niemals, Tora Igarashi!“, endete ich mit zornigem Blick. Dieses Mal war ich es, die ihn einfach stehen ließ. Ich hörte ihn noch belustigt hinter mir auflachen. Sollte er seine Psychospielchen nur weiter treiben. Allerdings ohne mich. Jetzt wusste er, dass ich sein Geld nicht wollte. Ich war kein leichtes Opfer für ihn. Doch leider machte mich meine Reaktion genau dazu - zu seinem Opfer. Meine Schicht im Maid Latte begann an diesem Tag erst am späten Nachmittag. Inzwischen war ich zu Hause gewesen, hatte meine Klamotten gewechselt und war gemeinsam mit meiner Mutter ins Krankenhaus gefahren, wo sie untersucht werden sollte. Leider konnte ich nicht mit ihr warten, aber sie versprach mir, mich von einer Telefonzelle aus anzurufen, sobald sie fertig war. Wahrscheinlich würde es auch länger dauern, vielleicht sogar bis zum Abend, aber anderenfalls würde Satsuki mich bestimmt ausnahmsweise etwas früher gehen lassen. Das wollte ich zwar nur äußerst ungern, aber schließlich arbeitete ich sonst unermüdlich. Im Personalraum des Cafés herrschte ein reges Treiben. Nicht zuletzt Usui, Misaki, Satsuki und Honoka hatten sich dort eingefunden. Auch ein etwa 14-jähriges Mädchen, in einem süßen Spitzenkleid und mit hübschen blonden Locken, stand bei ihnen, im wahrsten Sinne des Wortes im Mittelpunkt. „Wer ist das denn, Satsuki?“, erkundigte sie sich mit einem eher halbwegs interessierten Blick in meine Richtung. „Stimmt, ihr kennt euch ja noch gar nicht, Aoi. Das ist Hime, sie arbeitet seit einigen Wochen im Maid Latte und ist uns wirklich eine große Hilfe“, lobte Satsuki mich in den höchsten Tönen, worauf ich die Anwesenden ebenfalls freundlich begrüßte. Vergessen war der Ärger, den ich zur Zeit in der Schule hatte. Oder eher: ich verdrängte ihn geschickt. „Na wenigstens kleidet sie sich nicht so jungenhaft wie gewisse andere Personen in diesem Raum“, murrte Aoi desinteressiert, wobei sie auffällig in Misakis Richtung schielte. „Was machst du überhaupt hier? Du hältst den ganzen Betrieb auf“, mahnte Misa matt. Anscheinend galt diese Spitze ihr. Unwillkürlich musste ich lächeln, das war schon ein lustiger Haufen. „Ich bin das berühmte Internet-Idol Aoi, zu süß für diese Welt“, sie lachte finster auf, während sie schwungvoll ihre dicken Haare nach hinten warf. In diesem Moment wurde es mir mit einem Schlag bewusst… „Kann es sein, dass du in Wahrheit ein Junge bist?“, wollte ich trocken wissen, worauf mich die Anwesenden ungläubig anstarrten. Bis auf Usui, den absolut nichts zu erschüttern schien. Vielleicht war es wie Misa sagte und er stammte tatsächlich von einem fernen Planeten. Wie sehr ich mir dieses Desinteresse an meiner Person von gewissen anderen Leuten gewünscht hätte. Aoi war die Hitze deutlich ins Gesicht gestiegen, er war jetzt feuerrot. Ob vor Wut oder Scham konnte ich nicht ganz beurteilen, aber vermutlich war beides der Fall. „Woher weißt du das?“, bellte Aoi schließlich bissig und qualmte wie ein Dampfbügeleisen. „Weibliche Intuition“, winkte ich mit einem kessen Augenzwinkern ab, das Satsuki irritiert blinzeln ließ. Sagte ich doch, ich hatte ein Gespür für andere Menschen. Auf jeden Fall gewann ich den Eindruck als wäre ich dadurch bei Aoi unten durch. Vielleicht fand er es nicht gerade schmeichelhaft, dass ich das mal eben in den Raum geworfen hatte. Dass ich es auf Anhieb erkannt hatte. Aber zumindest die anderen Maids lachten ausgelassen darüber. Vielleicht war er ja deshalb wütend. Nach meiner sonst eher ruhigen Schicht ging ich noch zusammen mit Misa zum Bahnhof. Usui hatte sich uns ungefragt angeschlossen. Anscheinend gab es die eifrige Schulsprecherin nicht ohne ihn. Normalerweise störte es mich nicht. Allerdings war ich mir nicht ganz sicher, ob ich auf diese Weise frei über meine Probleme sprechen konnte. Irgendwie war mir das unangenehm, obwohl ich im Grunde nichts gegen Usui hatte, ich kannte ihn ja kaum. Aber ich vertraute schließlich so gut wie niemandem. Misaki hingegen vertraute ich beinahe uneingeschränkt, was allein ihrer hilfsbereiten Art zu verdanken war. Trotzdem durfte ich nicht trödeln. Schließlich durfte ich Mas Anruf auf unser Haustelefon nicht verpassen. Es war wirklich an der Zeit, dass ich mir ein Handy besorgte. Schließlich siegte jedoch mein Bedürfnis mich meiner neuen Freundin zu öffnen über meine Scheu. In knappen Worten berichtete ich ihnen, wie Igarashi mir auf den Senkel ging. „Er hat mich echt im Visier“, endete ich mit einem tiefen Seufzen. „Und ich weiß nicht wieso. Steht etwas auf meiner Stirn geschrieben, das es diesem reichen, arroganten Kerl erlaubt mich so zu behandeln? Man ich hasse reiche Leute, die sind immer so überheblich, gelangweilt und...“, mitten im Satz geriet ich ins Stocken, weil ich Misas verständnisvolles Lächeln registrierte. „Ich kann mir gut vorstellen, dass es nicht leicht für dich ist. Ein Stalker ist schon schlimm genug“, bei diesen Worten schielte sie auffällig in Usuis Richtung, der neben ihr herging. Nicht zum ersten Mal bezeichnete sie ihn auf diese Weise. „Aber dann auch noch jemanden wie Igarashi, das ist wirklich eine Qual, um die ich dich nicht gerade beneide, Hime“, ergänzte sie mitleidig. „War das etwa ein Kompliment, Misa?“, warf Usui grinsend ein, worauf diese genervt stöhnte. „Geh Blumen pflücken, Usui! Ich unterhalte mich gerade mit Hime!“, gab sie mürrisch zurück. „Ja, wie du wünschst, Schulsprecherin. Welche Blumen möchtest du haben?“, neckte er sie fröhlich. Misaki beschimpfte ihn wüst. Im nächsten Moment merkte ich, wie mir ein Lachen in die Kehle stieg. Das war wirklich amüsant. Allmählich begriff ich immer besser, weshalb Satsuki in ihrer Gegenwart ständig Blumen züchtete, weil dieser Anblick sie beflügelte. Usui und Misa blickten mich synchron an. „Was ist so komisch?“, wollte Misa stirnrunzelnd wissen, worauf ich aufrichtig lächelte. „Du kannst dich wirklich glücklich schätzen, Misa. Ihr beide könnt das. Vielleicht schlummert in mir doch ein ganz normales Mädchen, das sich danach sehnt auch jemanden zu finden, mit dem ich so locker umgehen kann wie ihr beide“, gestand ich leise, noch bevor ich merkte, was ich da von mir gab. Daraufhin blickte Misa mich regelrecht verblüfft an, während Usui mit einem Mal nachdenklich wurde. „Nein, ehrlich. Immer nur die Zielscheibe von niederträchtigen Typen zu sein...“, abrupt hielt ich inne, bevor sich die Tränen in meinen Augen ansammeln konnten. Das konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen! Ich hatte bereits zu viel gesagt. Zum Glück bohrte Misaki nicht weiter nach, wofür ich ihr echt dankbar war. Im Grunde war sie meine einzige Freundin in dieser Gegend. Allgemein traf das auf meine geschätzten Kolleginnen aus dem Maid Latte zu. Aber ich konnte nichts dafür, dass ich mich von allem und jedem distanzierte. Am Bahnhof verabschiedeten wir uns voneinander und gingen unserer Wege. Selbstverständlich begleitete Usui Misa, die ausnahmsweise mal nichts dagegen einzuwenden hatte. Vielleicht hatten meine Worte sie nachdenklich gestimmt. Wobei ich bezweifelte, dass sie aufhören würden sich zu necken. Dafür schien es Usui viel zu viel Spaß zu machen Misakis Reaktionen zu ergründen. Aber genau so war es auch perfekt. Genau das machte ihre außergewöhnliche Beziehung aus. Allmählich wurde es draußen dunkel. Falls meine Mutter früher als erwartet im Krankenhaus fertig geworden war, hatte sie sich anstatt mich anzurufen möglicherweise allein in den Bus gesetzt. In ihrem geschwächten Zustand nicht die beste Lösung, aber sie konnte ja auf sich allein aufpassen. Ich musste aufhören mir ständig Sorgen um sie zu machen, wie sie nicht müde wurde zu betonen. Allerdings konnte ich einfach nicht anders. Sobald ich das Treppenhaus betreten hatte, beschlich mich ein seltsames Gefühl. Vielleicht klingt es irre, doch es roch anders. Vorsichtig stieg ich die Treppen nach oben. Etwas stimmte hier nicht! Ganz eindeutig! Kurz hielt ich inne. Ich war in Gedanken gewesen, aber hatte vor dem Haus nicht ein Motorrad gestanden? Meine Schritte wurden immer langsamer und mit einem Mal starrte ich entsetzt vor mich. Unsere Haustür stand weit offen. Dieses Mal stürmte ich einfach in unsere Wohnung, ohne mich auf das zu wappnen, was mich womöglich erwartete, worauf mir bereits widerlicher Zigarettenrauch in die Nase stieg. Am Türrahmen zu unserer Küche lehnte ein schwarzhaariger junger Mann, den ich nur allzu gut kannte. Bei seinem Anblick gefror mir regelrecht das Blut in den Adern. Lässig zog er seine breite Sonnenbrille aus, wodurch er noch gefährlicher wirkte. Seine dunklen Augen strahlten pure Gier und Skrupellosigkeit aus. Ebenso wie eine Vorfreude auf das, was er sich vorstellte mir anzutun. Er hatte uns gefunden! Yoshio Takagi! ~ ~ ~ Kapitel 7: Yoshio Takagi ------------------------ ~ ~ ~ Yoshio Takagi! Dass ausgerechnet sein Name übersetzt „rechtschaffener Mann“ bedeutete, grenzte wirklich an Ironie. Mein Körper fühlte sich mit einem Mal wie gelähmt an, ich konnte mich jedenfalls nicht richtig bewegen. In diesem Moment wünschte ich mir ich wäre zuerst vor dem Haus stehen geblieben oder wäre aufmerksamer gewesen. Vorsichtiger. Vielleicht wäre mir dann früher aufgefallen, was hier nicht stimmte, und dass wir unangemeldeten „Besuch“ hatten, der hier nicht willkommen war. Schlagartig war mir als hätte mein Gehirn alles vergessen, was ich bei meinem Aikido-Training gelernt hatte. „Ma“, hauchte ich krächzend und voller Sorge, worauf Takagi gefährlich lächelte. „Hallo, Hime. Ich habe bereits auf dich gewartet. Zu schade, dass Kazuko nicht auch zu Hause ist. Sonst hätten wir eine nette Wiedersehens-Party veranstalten können“, begrüßte er mich mit einem scheinheiligen, schiefen Lächeln, das ich noch immer allzu gut kannte. Außerdem war mir bewusst, was jenes listige Funkeln in seinen Augen bedeutete. Achtlos warf er die Zigarette, die er zuvor in der Hand gehalten hatte auf unseren Teppichboden und trat sie aus. Was für eine Erleichterung mich schlagartig durchfloss, wenn sie auch nur kurzlebig sein würde. Meine Mutter war also noch gar nicht nach Hause zurückgekehrt. Hoffentlich wurde sie noch etwas länger aufgehalten. Bis ich dieses Problem gelöst hatte. Obwohl ich mich ernsthaft fragte, wie ich das anstellen sollte. Aber dafür war ich mir der Gefahr deutlich bewusst, die der junge Student für mich darstellte. Für eine wehrlose 16-Jährige, die mit ihrem bisschen Aikido nicht gegen einen skrupellosen Mann wie ihn ankam. Vermutlich hätte er selbst blutrünstige Haie in die Flucht geschlagen. Andererseits zählte er zu der gleichen Gattung. „Die Luft hier ist wirklich stickig, findest du nicht auch? Wir sollten etwas spazieren gehen. Schließlich haben wir ein Wiedersehen zu feiern“, seine tiefe Stimme hatte sich nicht verändert. Bestimmt war er bei jungen Frauen seines Jahrgangs sehr beliebt. Mich überkam jedoch nur ein Würgereiz, sobald ich ihn sah. Ähnlich wie bei Igarashi. Nur bei Yoshio Takagi wusste ich, zu welchen Untaten er fähig war. Seine Worte waren keine Bitte gewesen, sondern eine unmissverständliche Aufforderung. Ich wusste, dass er dazu in der Lage gewesen wäre jemanden mit bloßen Händen zu töten. Aber mir war auch bekannt, dass er immer ein scharfes Messer mit einem Griff aus Messing bei sich trug. Damals als meine Mutter und ich ihn kennengelernt hatten, hatte er behauptet er würde es zur Verteidigung bei sich tragen. Allerdings wusste ich, dass das nicht stimmte. Inzwischen kannte ich seinen Faible dafür andere einzuschüchtern. Leider mit vollem Erfolg. Dass er mich aus der Wohnung lockte, hatte vielleicht wenigstens den Vorteil, dass ich ihn von meiner Mutter fernhalten konnte. Wenigstens hoffte ich das inständig. Trotzdem zitterte ich vor Furcht, als ich voraus ging und war bemüht nicht die Treppe runter zu stürzen. Meine Gedanken kreisten einzig und allein um das, was jetzt geschehen würde. Wie er mit mir verfahren würde. Was mir blühte, weil wir einfach abgehauen waren, ohne unsere Schulden zu begleichen. In den vergangenen eineinhalb Jahren war es meiner Mutter und mir stets gelungen vor diesem Mann und seinem Komplizen zu fliehen, bevor man unseren genauen Aufenthaltsort hatte bestimmen können. Doch jetzt war er uns zu meinem Entsetzen auf die Spur gekommen. Er hatte uns gefunden. Was würde er wohl mit uns anstellen, sobald er erfuhr, dass wir sein Geld noch nicht zusammen hatten? Bei unserer letzten Begegnung, als ich gerade einmal Vierzehn gewesen war, hatte er bereits erschreckend auf mich gewirkt. Doch jetzt ergriff mich die schiere Panik, wenn ich nur daran dachte, wozu er fähig war. All mein Mut war jämmerlich untergegangen. Nur weil unsere Vergangenheit mich einzuholen drohte. Wir verließen das Haus, traten auf die Straße und Takagi ging zielstrebig auf den kleinen Park zu, der sich in der unmittelbaren Nähe unseres Wohngebiets befand. Ich war zu sehr damit beschäftigt verängstigt zu sein und abzuwägen, wie meine Fluchtchancen standen, um zu bemerken, dass wir nicht nur beobachtet, sondern auch verfolgt wurden. Meine Chancen auf eine erfolgreiche Flucht standen allerdings äußerst schlecht. Allem voran weil Ma nicht ahnte, welche Gefahr hier auf sie lauerte. Allein ihretwegen konnte ich es nicht auf einen Versuch ankommen lassen. Nicht auszudenken, was Takagi ihr angetan hätte, wenn es mir gelungen wäre zu entkommen – das war es nicht wert. Da hielt ich lieber meinen Kopf hin. Am helllichten Tag spielten in dem kleinen, hübschen Park oft Kinder aus der Nachbarschaft, die von ihren Müttern beaufsichtigt wurden. Jetzt war dieser Ort jedoch leer und wirkte nahezu verlassen, weil es bereits dunkel wurde und die Straßenlaternen sich einschalteten. Takagi ließ mich keine Sekunde lang aus den Augen. Als befürchte er, dass ich tatsächlich ausreißen würde. Ganz gleich was ich versuchen würde, ich würde es bitter bereuen. Vor einer Parkbank blieb der unbarmherzige Mann schließlich stehen und deutete mir mich zu setzen, was ich widerwillig tat. Er hingegen zog es vor stehen zu bleiben. Das wäre mir auch deutlich lieber gewesen, um mich ihm nicht allzu unterlegen zu fühlen. Als ich es jedoch versuchte, drückte er mich grob an den Schultern zurück auf die Bank. Dieser Kerl sollte seine widerlichen Finger von mir lassen… „Feiern wir unser Wiedersehen gebührend, Hime“, brach er die Stille mit einem abartigen Lachen und trat erneut einen Schritt auf mich zu, was meinen aufkommenden Ekel vervielfältigte. „Wie war das noch gleich? Als wir uns zuletzt gesehen haben, warst du nur ein vorlautes Gör. Inzwischen ist aus dir anscheinend eine richtige Frau geworden. Hübsch siehst du aus, Hime. So widerspenstig und wild. Allerdings wirkst du auch wie eine Blume, die ich in meinen Händen zerquetschen kann“, raunte er finster. Seine ganze Art war derbe und abstoßend. Trotz seines schäbigen Versuchs poetisch zu klingen. Erschrocken registrierte ich wie er im nächsten Moment seine Hand nach mir ausstreckte, bis seine Finger mein Kinn umschlossen. Widerstandslos ließ ich das zu. Ich wusste, dass er in der Lage dazu gewesen wäre mir mit einer Bewegung das Genick zu brechen. Die ganze Firma, die sein Vater leitete, war ein Unternehmen voller elender Verbrecher, die andere für Geld aufs Kreuz legten. Metaphorisch gesprochen und leider auch buchstäblich. Er mochte sich als reicher Schnösel tarnen, aber ich war mir sicher, dass er durchaus in der Lage dazu gewesen wäre zu einem Mörder zu werden. Falls er das nicht schon längst war. Der Konzern der Takagis war in Japan relativ bekannt. Zwar nicht so sehr wie das Unternehmen der Igarashis, allerdings genug, damit die ganze Familie in Geld schwamm und trotzdem Nummern wie diese abzog, bei denen sie es auf kleine Lichter wie uns abgesehen hatte. Darin sonnte sich der Sprössling sichtlich, hatte es schon immer getan. „Du musst wissen, ich beehre nicht jeden unserer Kunden persönlich, aber Kazuko und du, ihr habt es mir besonders angetan“, lächelte er anzüglich – mir wurde davon so schlecht, dass ich mich am liebsten auf seine Schuhe übergeben hätte, „Deshalb mache ich eine Ausnahme. Ihr lauft vor mir davon, das ist nicht nett. Denkt ihr könnt euch vor uns verstecken, aber ihr irrt euch. Niemals werdet ihr vor uns sicher sein. Das schwöre ich dir, kleine Hime!“ Bei diesen zischenden Worten war er mir deutlich näher auf die Pelle gerückt, sein Atem stank abartig nach Zigaretten, so wie ich es angenommen hatte. Aber ich verzog keine Miene. Ich wusste noch von seinen zahlreichen Besuchen in unserem alten Haus, das wir letzten Endes hatten verkaufen müssen, weil man uns betrogen hatte, dass er schnell beleidigt war. Wenn man ihn kränkte, tat er Dinge, die einem schmerzten. Mir hatte er noch keine Gewalt angetan, aber ich hatte gesehen, wie er auf einen seiner Männer eingeprügelt hatte, nahezu grundlos. Das hatte als Einschüchterung für meine Mutter und mich gedient und leider hatte es funktioniert. „Ich frage dich nur ein einziges Mal, Hime, und wenn du mich anlügst, ist dein schönes Gesicht Geschichte. Also… wo ist mein Geld?“, donnerte er plötzlich vor Wut. Takagi hatte sich damals selbst als großzügig präsentiert, war in schicker Designerkleidung vor meine Mutter getreten, hatte den gönnerhaften Geber gemimt, als sie verzweifelt gewesen war, weil die Bank ihr nichts leihen wollte. Die Krankenhausrechnungen hatten uns ruiniert, die Hypothek auf unser Haus hatte uns den Rest gegeben, den Todesstoß. Wir hatten damals unter einem immensen Druck gestanden. Meine Mutter hatte es getan. Auch wenn es uns im Nachhinein betrachtet nur noch mehr Ärger eingehandelt hatte. Sie wäre eingesperrt worden, wenn sie nicht bezahlt hätte. Rückblickend betrachtet wäre ein Gefängnis besser als das hier. Doch sie wäre wegen ihrer Krankheit dort gestorben, da war ich mir sicher. Viel lieber hätte ich ihre Strafe abgesessen. Allerdings wusste ich, dass es mir als Minderjährige niemals möglich gewesen wäre. Man hätte mich ihr weggenommen, mich in ein Heim gesteckt. Aber sie brauchte mich doch! Wir waren die einzige Familie, die wir noch hatten. Zu diesem Zeitpunkt war mein Vater längst fort gewesen. Regelrecht in die Ecke gedrängt hatte meine Mutter sich darauf eingelassen, das verlockende Angebot eines Kredits mit niedrigen Zinsen von Yoshio Takagis anzunehmen. Doch dieser skrupellose Mann war keinesfalls ein nobler Wohltäter. Er trat Leute gerne mit Füßen, bedrohte sie oder tat ihnen Schlimmeres an. Deshalb machte er sie von sich abhängig. Im Nachhinein hatte ich herausgefunden, dass er es gewesen war, der uns beim Finanzamt verpfiffen hatte. Anscheinend machte er das immer so. Nur um anschließend als Retter in der Not aufzutauchen – doch diese gab es im realen Leben nicht. Weil er es liebte Macht über andere zu besitzen. Weil er Leute gerne bedrohte und Macht über sie ausübte, sich daran ergötzte die Angst in ihren Augen zu sehen. Als er mich aus seinen tiefblauen, beinahe schwarzen Augen ansah, erkannte ich, dass er mit seiner Geduld am Ende war. Bislang hatte sich noch niemand getraut vor ihm zu fliehen. Zurecht. Letzten Endes bekamen die Leute, die er betrog immer, was sie verdienten. Jedenfalls seiner Ansicht nach. Wir bildeten da keine Ausnahme. Aber wenigstens war meine Mutter nicht hier, versuchte ich mich in Gedanken zu trösten, schluckte jedoch bemüht, da mir seine Aufdringlichkeit allmählich zu schaffen machte. „Wir... wir haben es noch nicht, aber ich verspreche dir, ich werde...“, flüsterte ich zaghaft, so konnte ich mich selbst nicht. Doch Takagi unterbrach mich schlagartig, indem er mich grob an den Haaren zog. Schmerzvoll biss ich die Zähne zusammen. „Immer diese faulen Ausreden und leeren Versprechungen! Soll ich dir das ernsthaft abkaufen, nachdem ihr versucht habt euch vor der Familie Takagi zu verstecken? Denkst du etwa Geld wächst auf Bäumen? Glaubst du das Unternehmen Takagi kann es sich leisten armen Schluckern wie euch Geld zu schenken? Das ist eine Investition und wir werden ganz schön wütend, wenn man uns warten lässt oder versucht über den Tisch zu ziehen. Dabei sind wir doch schon geduldig. Doch über den werde ich dich ziehen, wenn du nicht endlich damit rausrückst!“, fügte er zischend hinzu. Geduldig, was? Man sagte besser nichts Falsches. „Sieh sich einer die kleine Hime an. Wie sie denkt sie wäre mutig. Du arbeitest in einem Maid Café?“, er lachte verächtlich. Vor Schreck über seine Worte weitete sich mein Blick. „Ja, ich weiß alles. Die Miyabigaoka... Dass ich nicht lache! Als würde dich der Besuch an einer vornehmen Eliteschule zu mehr machen als einer wertlosen, dreckigen Göre aus der Gosse!“, Takagi lachte dreckig und klang dabei wie ein Wahnsinniger, aber das hatte er schon immer getan, „Als könntest du es weiter bringen als deine erbärmliche Mutter! Kleine, ahnungslose Hime! Wie hübsch du geworden bist, Maid.“ Er spie das Wort geradezu verächtlich hervor, lehnte sich über die Bank und kam mir bedrohlich nahe. Seine Hand berührte meine Schultern, meinen Arm. Die Angst kroch in mir hoch, schleichend und beständig. „Ich bin es leid zu warten. Also entweder du bezahlst sofort, oder zu bezahlst auf andere Weise. Mit deinem Körper. Ich wüsste da schon wie...“, bei diesen Worten spürte ich seine Lippen an meinem Ohr. Ich zuckte heftig zusammen, als hätte man mich geschlagen. All unsere Vorsicht hatte sich in Luft aufgelöst. Yoshio Takagi hatte uns trotzdem gefunden und es gab nichts, was ich noch unternehmen konnte. Wir waren verloren! In diesem Augenblick war ich verloren! ~ ~ ~ Kapitel 8: Des einen Schulden... -------------------------------- *** Ich versuchte erst gar nicht mich gegen Takagi zu wehren. Denn ich hatte Angst und war dazu womöglich nicht im Stande. Nein, nicht ich war es, die Takagi hochschrecken ließ, sondern etwas anderes erweckte schlagartig seine Aufmerksamkeit – und nicht nur die des skrupellosen Takagis. Jemand klatschte lautstark in die Hände und lachte dabei nahezu belustigt auf. Dabei lief es einem glatt eiskalt den Rücken hinunter. „Der Sprössling des Takagi Unternehmens, wirklich eine grandiose Vorstellung und verzeih mir diese kleine Unterbrechung, aber ich musste einfach meine Bewunderung ausdrücken“, erklang die amüsierte Stimme des Schulsprechers Tora Igarashi. Vor Entsetzen darüber riss ich die Augen auf – was hatte er denn hier zu suchen? Ausgerechnet! „Allerdings teile ich nicht gerne“, ergänzte er im nächsten Moment schlicht. Nur widerwillig ließ Takagi von mir ab, aber er tat es tatsächlich! Genervt wandte er sich zu Igarashi um, der uns in einer Linie gegenüberstand und den er als einen Störenfried zu betrachten schien. Entgegen meiner Erwartungen trat Takagi zur Seite und fixierte ihn aufmerksam. „Bist du nicht der Erbe des Igarashi Konzerns?“, erkundigte er sich finster. Störungen dieser Art konnte er absolut nicht ausstehen. Ich atmete tief durch, war aber nicht dazu fähig etwas zu erwidern. Viel zu sehr überrumpelten mich die jüngsten Ereignisse. Auch trat bei mir keine Erleichterung über das Auftauchen des Schulsprechers der Eliteschule ein. Damit tauschte ich nur ein gewaltiges Übel gegen ein anderes. Wie selbstverständlich trat Igarashi auf mich zu. Vielleicht war es der Schreck über die jüngsten Ereignisse, der mich daran hinderte mich zu wehren, als er einfach nach meiner Hand griff, mich nach oben und an seine Seite zog. „Wie du bereits erwähnt hast, ist sie Schülerin an meiner Schule“, betonte er auffällig finster. Wie er das sagte, als gehöre ihm diese Fakultät! Doch vermutlich war das überhaupt nicht so fern von der Realität, wenn man mal bedachte, wie viel Geld seine Familie in die Bildungseinrichtung steckte und über welchen enormen Einfluss Igarashi deshalb verfügte. „Deshalb habe ich so meine Probleme dir Hime zu überlassen.“ Als ob er über mich zu verfügen hätte! Diese Anmaßung machte mich innerlich rasend vor Wut und doch gelang es mir nicht entsprechend darauf zu reagieren. Erstaunt blickte ich in Takagis Richtung. Das würde er sich bestimmt nicht gefallen lassen. Nicht einmal von jemandem wie… Allerdings wurde mir schnell klar, dass die größeren Fische die kleineren mühelos schluckten. Ohne dabei die geringsten Spuren zu hinterlassen. Das Familienunternehmen der Takagis war ein ganz kleiner Guppy gegen das der Igarashis und hätte haushoch verloren. Trotzdem wirkte Takagi alles andere als erfreut über sein Einmischen. „Dann schätze ich haben wir ein Problem. Hime und ihre Mutter schulden mir eine Menge Geld. Ich weiß nicht, wie man das in eurer Familie handhabt, aber wir vergeben keine Almosen. Wir haben lange genug auf unser Geld gewartet. Diese beiden listigen Weiber haben sich einfach aus dem Staub gemacht, ohne eine Adresse anzugeben. Du verstehst, dass uns das ziemlich anpisst“, zischte Takagi derbe hervor. Dass er angeblich aus gutem Hause stammte, nahm man seiner unfeinen Wortwahl nicht ab. Ich spürte Igarashis Haut an meinem Handgelenk nur allzu deutlich. Diese Berührung schien sich tief darin einzubrennen. Angespannt hielt ich den Atem an. „Das Problem ist keines. Ich bezweifle, dass zwei einfache Leute in der Lage sind eure Familie in den finanziellen Ruin zu stürzen“, lachte Igarashi nahezu spöttisch, „Aber ich verstehe deine Sicht der Dinge. Man kann ja nicht jedem Geld schenken. Lösen wir das Problem ein für alle Mal. Nenn mir den Betrag und du bekommst dein Geld unverzüglich.“ Meine Pupillen weiteten sich vor Schreck über seine Worte und auch Takagi wirkte offenkundig überrumpelt davon, dass er endlich das bekommen würde, weshalb er uns bereits seit zwei Jahren verfolgte. Weshalb er uns das Leben zur Hölle gemacht hatte. „Einfach so?“, zweifelte er misstrauisch und runzelte die Stirn. „Was? Passt dir das etwa auch nicht?“, wollte Igarashi höhnisch wissen. Takagi wirkte zerstreut, so hatte ich ihn noch nie erlebt. „Den kompletten Betrag?“, hakte sein Gegenüber misstrauisch nach. „Ach komm, so viel wird es schon nicht sein. Jedenfalls werden wir es kaum bemerken“, verkündete Igarashi hämisch und das glaubte ich ihm sogar aufs Wort. Noch immer stand ich einfach nur da und versuchte meine Fassung zurückzuerlangen. Weil ich nicht glauben konnte, dass das gerade tatsächlich geschah. Obgleich es keinesfalls etwas Gutes verheißen konnte. Igarashi war nicht etwa der strahlende Retter in meiner dunkelsten Stunde. „Abgemacht“, murmelte Takagi schließlich sichtlich übel gelaunt, „Meinetwegen könnt ihr Igarashis euch mit dieser kleinen verzogenen Göre herumschlagen! Solange wir bekommen, was uns rechtmäßig zusteht.“ Was ging hier vor sich? Perplex starrte ich zu dem Schwarzhaarigen, der niemals locker gelassen hatte. „Im Gegenzug wirst du Hime und ihre Mutter in Ruhe lassen“, forderte Igarashi nüchtern. „Ja ja“, murmelte Takagi widerwillig und wandte sich bereits zum Gehen ab, „Ich freue mich schon auf den Scheck. Viel Spaß mit der kleinen Zicke.“ Sein Lachen hallte noch eine Weile nach, während er den sonst menschenleeren Park verließ. Mein Herz schlug mir förmlich bis zum Hals. Mir war noch immer nicht ganz klar, was da soeben geschehen war. In dem Moment, als Yoshio Takagi unserem Leben endlich den Rücken kehrte, konnte ich nicht anders. Sobald er außer Sichtweite war, löste ich mich aus Igarashis Griff und ließ mich auf den trockenen Asphalt sinken. Ausgerechnet Tora Igarashi hatte mich „gerettet“. Er hatte mir wirklich das Leben gerettet! Selbst wenn mir bewusst war, dass es mir teuer zu stehen kommen würde. Vermutlich bezahlte ich dafür sogar noch einen wesentlich höheren Preis als es mir in diesem Augenblick bewusst war. Zwischen lachen und weinen existiert wirklich eine schmale Grenze. Zuerst lachte ich ein wenig, doch dann weinte ich. Mir war sogar gleichgültig, ob Igarashi das sah oder nicht. Es war ohnehin zu spät, weil er alle meine Schwachstellen längst gnadenlos aufgedeckt hatte. Yoshio schien tatsächlich aufgegeben zu haben. Dafür hatte Tora Igarashi mich jetzt wirklich in der Hand, und zwar so richtig. Nicht nur weil er all meine Geheimnisse aufgedeckt hatte und jeden Trumpf gegen mich in der Hand hielt, den es nur gab. Dagegen kam selbst ich nicht an. Das härteste Mädchen kam nicht dagegen an. Als nächstes realisierte ich, wie er sich vor mich beugte. „Alles in Ordnung?“, fragte er beinahe sanft. Das kannte ich von ihm überhaupt nicht und ich traute dem auch nicht unbedingt. Kurz fragte ich mich, ob ich mich vielleicht täuschte. Oder es kam mir nur so vor als wäre er rücksichtsvoll, weil Takagi im Gegensatz zu ihm wesentlich schlechter verschleierte, über wie wenig Manieren er verfügte... „Es... es geht schon. Auch wenn ich mich gerade wie tot fühle, weil... weil. Was wenn er zurück kommt?“, fragte ich nahezu panisch. Ganz gleich wie sehr ich es zu verhindern versuchte, die Ereignisse der vergangenen Jahre hatten mich deutlich geprägt. „Er kommt nicht zurück. Ich kenne die Familie Takagi. Ziemlich einfältig, aber wenn sie haben, was sie wollen, bequemen sie sich nicht aus ihrem Loch“, bemerkte er neutral. „Komm, ich helfe dir auf“, bot er im nächsten Moment nahezu zuvorkommend an und hielt mir seine Hand entgegen, auf die ich misstrauisch starrte. Ich wollte sie nicht nehmen. Weil ich einen hohen Preis dafür bezahlen würde, dass er meiner Mutter und mir geholfen hatte uns diesem gigantischen Problem zu stellen, das unser Leben bereits so lange überschattet hatte. Nichts in mir wollte das. Aber ich tat es trotzdem und es gelang mir mich aufzurichten und einigermaßen gerade zu stehen. Eine Zeit lang blickten wir einander einfach nur schweigend in die Augen. Etwas hatte sich verändert, aber ich konnte nicht genau beurteilen worum es sich handelte. Trotzdem befürchtete ich, dass dies lediglich die Ruhe vor dem altbekannten Sturm sein würde. Nein, die Ruhe vor einem gewaltigen Unwetter, dessen Ausmaß sich mir noch nicht vollständig erschloss. Ich fühlte mich unbehaglich zumute. Trotzdem musste ich etwas sagen. „Danke“, flüsterte ich schließlich zaghaft und schluckte bemüht, „Du hast mir geholfen.“ Was für eine dumme Feststellung, aber sie entsprach leider der Realität. Ganz gleich wie unwahrscheinlich diese mir erscheinen mochte. Auf bizarre Art und Weise. Selbst wenn er dafür eine Gegenleistung verlangen würde, die ich nicht gewillt war zu leisten. Igarashi lächelte kühl. „Dafür möchte ich Antworten“, forderte er zu meinem Erstaunen sachlich. Vielleicht war es aber auch nur der Anfang von etwas Ungeahntem. Auch wenn ich ihm diese Antworten nicht geben wollte, das war im Moment das Mindeste. Ich musste mich nur zunächst wieder einigermaßen fangen. Da war seine Hand, die meine hielt nicht gerade hilfreich. Ich spürte wie ich rot anlief, aber seinen Blick sah ich nicht, weil ich mein Gesicht rasch abwandte und mich wieder auf die Bank setzte. Wortlos setzte Igarashi sich neben mich. Nun war ich dazu gezwungen ihm meine Geschichte von Anfang an zu erzählen, und zwar ausnahmslos alles. Auch wenn er dann alle Trümpfe gegen mich in der Hand hielt. Das war ich ihm schuldig. Also atmete ich tief durch und begann zu erzählen, wobei ich darauf achtete meinen Blick gesenkt zu halten, um ihn dabei nicht ansehen zu müssen, während ich ihm alles offenlegte, was ich eigentlich niemals auch nur irgendjemandem erzählen wollte. Ausgerechnet Tora Igarashi erfuhr von den tragischen Umständen unseres Lebens! Aufregend oder besonders war meine Geschichte nicht gerade. Auch war sie nicht wirklich lang und daher schnell erzählt. Trotzdem empfand ich sie als extrem persönlich. Dennoch begann ich zu erzählen. Mein Blick fixierte einen alten Baum, der direkt neben einer Straßenlaterne stand. Alles um Igarashi nicht ansehen zu müssen, was vermutlich feige war. „Als ich in die Mittelschule kam, wurde meine Mutter sehr krank. Besonders reich sind wir zwar noch nie gewesen, aber bis dahin hatte sie noch arbeiten können und es gelang uns, uns über Wasser zu halten. Bis die Ärzte bei ihr einen Tumor diagnostizierten. Weil wir keine ordentliche Krankenversicherung hatten, türmten sich die Krankenhausrechnungen. Meine Mutter konnte nicht mehr arbeiten gehen, weil sie zu schwach war. Also suchte ich mir einen Job in einem Café. Aber das reichte bei weitem nicht aus. Wir drohten unser Haus zu verlieren und auf der Straße zu landen, so hoch verschuldet waren wir innerhalb kürzester Zeit. Wegen der Hypothek unseres Hauses, gab uns die Bank keinen Kredit. Mein Vater ist abgehauen, als ich klein war, ich weiß nicht wieso. Aber wir hatten niemals seine Unterstützung. Weder finanziell, noch in anderer Hinsicht. Eines Tages dann kam Yoshio Takagi in das Café in dem ich aushalf. Er hatte mitbekommen, dass die Bank unser Haus zwangsräumen lassen wollte. Meine Mutter fürchtete sich am meisten davor in irgendeine heruntergekommene Unterkunft zu kommen und ich tat es ebenfalls. Schlimmer war jedoch die Tatsache, dass es so schlecht um uns stand, dass man sogar drohte meine Mutter wegzusperren, solange sie die Schulden nicht bezahlte. Da kam Takagi mit seinem großzügigen Angebot auf einen Kredit beinahe wie gerufen. Für mich war er damals der Held, so freundlich wie er sich präsentierte. Sagte einfach er könnte es doch nicht mit ansehen, dass man uns so mies behandelte, obwohl wir unter der Krankheit meiner Mutter litten. Er gab uns so viel Geld, dass wir aus den Schwierigkeiten kamen und sagte wir könnten es ihm in Raten zurückbezahlen. Das erleichterte uns, gab uns neue Hoffnung. Meine Mutter und ich zogen in eine kleine Wohnung, ich fing wieder an zu arbeiten und auch meine Mutter war bald wieder in der Lage einen kleineren Job anzunehmen. Zunächst verlief das mit den Raten gut. Doch ein paar Monate, nachdem wir unser neues Leben begonnen hatten, traf uns der Schlag. Yoshio Takagi tauchte unangemeldet bei uns auf. Anders als beim ersten Mal war er jedoch alles andere als freundlich und entgegenkommend. Er behauptete uns unmissverständlich klargemacht zu haben, dass wir die Summe unserer Schulden nach zwei Monaten zusammen haben müssen. Vollständig und mitsamt Zinsen, die höher ausfielen als er ursprünglich angedeutet hatte. Dabei stimmte das nicht. Kein Wort davon. So schnell gelang es uns nicht das Geld aufzutreiben. Zwei Wochen später stand er erneut auf der Matte, und zwar mit seinem Freund Takawa, bei dem es sich um einen brutalen Schläger handelt. Sie haben uns mehrere Stunden bedroht. Schließlich sind sie gegangen. Mit der Warnung beim nächsten Mal würde es mindestens einer von uns etwas kosten. Aber als sie wieder auftauchten, waren wir längst nicht mehr da. Trotzdem hat Takagi unser Leben zerstört. Der Gesundheitszustand meiner Mutter ist erheblich geschwächt, seitdem sie befürchten muss, dass diese zwielichtigen Männer auftauchen können, um ihre Drohungen wahr zu machen. Und es half uns auch nicht mehr zu wissen, dass Takagi das immer so machte und Menschen aufs Übelste ausbeutete, indem er zuerst den Wohltäter mimt. Seitdem sind wir oft umgezogen, immer in der Angst entdeckt zu werden. Wann immer es brenzlig wurde, wenn wir drohten aufzufliegen, haben wir bei Nacht und Nebel unsere Sachen gepackt und sind abgehauen. Ganz gleich wie häufig ich deshalb die Schule wechseln musste. Ich weiß, was du jetzt denkst. Aber es stimmt nicht. Ich hatte nie vor, an die Miyabigaoka zu gehen, um an Geld zu gelangen. Jedenfalls nicht auf diese Weise. Ich wollte die bestmögliche Ausbildung, um Medizin zu studieren, damit ich Menschen helfen kann, auch wenn sie sich keine Behandlung leisten können. Und entgegen seiner Worte hätte ich Takagi jeden Yen zurückbezahlt. Wo immer wir waren, ich habe nie Freunde gefunden. Ich konnte doch keinem meine unfassbare Geschichte erzählen. Weder will ich Mitleid, noch möchte ich, dass irgendjemand denkt ich bekomme mein Leben nicht in den Griff, doch das... das erscheint mir jetzt eine völlig falsche Aussage“, endete ich schließlich trüb. Ich war mir sicher gewesen Igarashi würde mich unterbrechen, aber er tat es kein einziges Mal, sondern hörte sich geduldig meine Erklärung an. „Hm“, bemerkte er schließlich nachdenklich. „Das ist der Grund, aus dem ich mich von reichen Typen lieber fern halte. Takagi ist der beste Beweis, dass es im Leben solcher Menschen keine Großzügigkeit gibt. Das erwarte ich aber auch gar nicht“, ergänzte ich grimmig und ballte meine Hände zu Fäusten. Meine eigene Geschichte hatte mich aufgewühlt. „Findest du es nicht ein bisschen heftig so etwas zu behaupten?“, fragte Igarashi entgeistert. „Ist mir egal, was du denkst, Igarashi. Jetzt kennst du mein Geheimnis. Ja, ich bin eine Stipendiatin, eine Maid, die sich tief in die Falle gesetzt hat. Stolz bin ich darauf nicht“, meinte ich bitter. „Soweit ich das mitbekommen habe, trifft dich was Takagi angeht keine Schuld. Er ist ein mieser Hund“, erwiderte Igarashi zu meinem Erstaunen. Mit seinem Verständnis hätte ich am allerwenigsten gerechnet. „Ach, das musst du gerade sagen?“, knurrte ich bissig. „Nein, wieso? Wieso trifft mich keine Schuld? Takagi hat mich damals in dem Café gesehen und angesprochen. Hätte ich ihn nicht mit meiner Mutter bekannt gemacht, wäre das alles nicht passiert“, schloss ich und legte meine Hände in meinen Schoß. Es war ziemlich frisch, aber diese ganze Sache hatte mich an nichts anderes denken lassen. „Eben, er hat dich angesprochen“, betonte der Schulsprecher neutral. Da wurde einmal jemand aus ihm schlau. Normalerweise war er der geborene Tyrann, der sich hinter vorgeschobenem Charme versteckte – doch diese Reaktion begriff ich nicht. „Aber kannst du mir mal verraten, wieso ich das hier gerade mache?“, fragte er plötzlich finster. Fast hatte ich vergessen mit wem ich mich da unterhielt. „Weiß ich auch nicht“, gab ich schulterzuckend zurück. Die ganze Zeit über hatte ich es nicht gewagt ihn anzusehen. Jetzt tat ich es doch. „Weißt du, ich gebe nicht auf...“, verkündete ich fest entschlossen. „Aber du rennst weg“, ergänzte Igarashi süffisant. „Ich renne nicht weg! Aber wenn... wenn Takagi zurück kommt, dann...“, setzte ich zaghaft an, doch er unterbrach mich erneut. „Er kommt aber nicht zurück. Ich kenne Takagi, wie gesagt, er ist einfältig. Sobald er sein Geld hat, gibt er sich zufrieden, auch wenn es erbeutet ist und er bekommt sein Geld“, wiederholte Igarashi nachdrücklich. Richtig… Es hätte durchaus die Möglichkeit bestanden, dass Igarashi geblufft hatte. Dass er gelogen hatte, damit Takagi abzog und er meine Version der Geschichte einfordern konnte. Nur um mich anschließend an ihn zu verraten. Dass er unsere Schulden tatsächlich begleichen wollte… Entsetzt starrte ich ihn an. Dann hatte er also ernst gemeint, was er zu Takagi gesagt hatte. Er würde für die Schulden aufkommen. Das ging nicht! Langsam erhob er sich. Welche Gegenleistung würde er dafür verlangen? Etwa dass ich seine persönliche Maid wurde? Oder womöglich Schlimmeres? „Komm, ich bring dich noch nach Hause“, bot er trocken an. Mit wackligen Knien stand ich auf. + „Das geht nicht... dann... dann“, ich stolperte über meine eigenen Worte. Genervt fasste ich mir an die Stirn. Dieser Tag war einfach zu viel für mich und meine überstrapazierten Nerven gewesen. „Mach dir keine Sorgen, ich bin ein wesentlich sanfterer Typ als Takagi“, doch Igarashis hinterhältiges Grinsen verriet etwas anderes. Oh Nein! „Was du nicht sagst“, murmelte ich sarkastisch vor mich hin. Eigentlich hätte ich jetzt die Panik kriegen müssen. Immerhin hatte er mich jetzt wirklich in der Hand. „Was verlangst du im Gegenzug dafür?“, wollte ich kleinlaut wissen. Obwohl ein Teil von mir sich bereits vor seiner Antwort fürchtete. Jedenfalls konnte er nichts Gutes im Sinn haben. Allerdings lächelte Igarashi lediglich rätselhaft, was die Unruhe in mir nur weiter antrieb. Hinzu kam, dass ich durch Takagis unangemeldeten Besuch deutlich geschwächt war. „Lass uns das besprechen, wenn wir uns beim nächsten Mal sehen“, schlug er geschmeidig vor, „Du siehst müde und blass aus und solltest dich besser ausruhen, um dich dafür zu wappnen.“ Seine Worte ließen mich unweigerlich schlucken. Nicht nur weil ihm aufgefallen war, wie sehr mich dieses unerfreuliche Wiedersehen mit einem alten „Bekannten“ gerade mitgenommen hatte. Eigentlich brannte ich überhaupt nicht darauf es zu erfahren, welche Gegenleistung er für seine nicht ganz uneigennützige Hilfe forderte. Jetzt musste ich unserer nächsten Begegnung entgegen bangen, weil ich befürchtete, dass Tora Igarashi etwas Hinterhältiges geplant hatte. Möglicherweise würde er erneut von mir verlangen seine persönliche Maid zu werden. Wie sollte ich damit umgehen, nachdem sich die Dinge so drastisch geändert hatten? Rasch schüttelte ich den Gedanken ab und verdrängte ihn in die hintersten Winkel meiner Gedanken. Hatte ich etwa lediglich ein Monster gegen ein anderes getauscht? *** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)