Love Letter - still you von Tasha88 ================================================================================ Kapitel 1: 1 ------------ Part 1 - Love Letter ... deine Elsa Schwungvoll setzt Elsa ihren Namen unter das von ihr Geschriebene. Während sie den Deckel auf ihren Füller zurücksteckt, liegt ihr Blick auf dem Blatt Papier vor sich. Ihr Herz flattert wie ein kleiner Vogel aufgeregt in ihrer Brust. Das vor ihr Liegende ist das wichtigste Dokument in ihrem Leben. Es handelt sich dabei um einen Brief. Um einen Liebesbrief. ~✒️~ “Gregor?” Unsicher streckt Elsa ihren Kopf in das Zimmer ihres eineinhalb Jahre jüngeren Bruders. Bis vor ein paar Jahren haben sie sich noch ein Zimmer geteilt, das heute allein ihres ist. Manchmal vermisst sie ihn, doch wenn sie das Chaos begutachtet, das hier im Raum herrscht, ihn vielleicht sogar beherrscht, ist sie froh, dass es nicht mehr so ist. “Schwesterherz?” Der Angesprochene hebt seinen Kopf. Er sitzt an seinem Schreibtisch, vor ihm Schulsachen ausgebreitet. Anscheinend macht er gerade Hausaufgaben. Zögernd tritt sie ein, ihr Blick huscht hin und her, um nicht auf den ihres Bruders zu treffen. “Ihr habt morgen Training, oder?”, fragt sie ebenso zögernd. “Natürlich. Wir haben jeden Tag Training. Wir wollen immerhin die Besten werden. Dazu gehört es, jeden Tag zu trainieren. Wobei ich manchmal die Kitahara-Grundschule vermisse.” Ein lautes Seufzen entkommt Gregor. Sein Blick ist in die Luft gerichtet, fixiert nichts Genaues. Er scheint abzudriften. In die Vergangenheit. “Damals haben wir jeden Nachmittag trainiert. Und dazu auch noch vor dem Unterricht. Das waren schöne Zeiten.” Erneut ein Seufzen. Dieses drückt hörbar aus, wie sehr es ihm gefallen hat. Auch Elsa entkommt ein Schmunzeln. Selbst wenn die Kickers, Gregors Fußballmannschaft, nicht mehr jeden Tag trainieren, tut er selbst es trotzdem. Im Gegensatz zur Grundschule ist die Mannschaft nicht mehr zusammen an derselben Oberschule, sondern an unterschiedlichen. Dadurch wird es schwierig, jeden Tag vor und nach dem Unterricht zusammenzukommen. Doch sie haben es für sich gut gelöst. Für Gregor ist es ebenfalls einfacher, da er seit fast einem halben Jahr an der gleichen Schule wie sein bester Freund und Mannschaftskapitän ist. Dort befindet sich auch der neue Fußballplatz und das ebenso neue Clubhaus der Kickers, neu zumindest für sie. “Also Schwesterherz, was kann ich denn für dich tun?” Auf Gregors Frage versteift sich Elsa. Ihre Finger schließen sich fester um den Briefumschlag, den sie hinter ihren Rücken festhält. Ihr Herz zieht sich zusammen. Warum zögert sie jetzt nur? Sie hat sich doch dafür entschieden. In diesen Brief, den sie gerade so krampfhaft festhält, hat sie alle ihre Gefühle fließen lassen. Sie war ehrlich. Auf diesem Weg will sie dem Jungen, den sie bereits seit so langer Zeit mag, nein, mehr als mag, sagen, was sie für ihn empfindet. “Elsa? Ist alles in Ordnung?” Erschrocken zuckt sie zusammen. Für einen kurzen Augenblick war sie so in ihrer Unsicherheit gefangen, dass sie alles um sich herum vergessen hat. Auch ihren Bruder, der sie nun besorgt mustert. Hat sie wirklich so abwesend gewirkt? Elsas Unterlippe findet sich zwischen ihren Zähnen, wird von diesen malträtiert. Dann gibt sie sich einen Ruck. Schnell hält sie den Brief vor sich, streckt ihn Gregor entgegen. Somit sorgt sie auch dafür, dass sie keinen Rückzieher mehr machen kann. “Kannst … kannst du den bitte Mario geben?” ~✒️~ “Hallo miteinander.” Gut gelaunt tritt Gregor in ihr Clubhaus ein. Vielmehr stürmt er hinein, so voller Tatendrang ist er. Lauthals wird er von den bereits Anwesenden begrüßt. Sofort wendet er sich seinem Spind zu und schmeißt seine Tasche davor auf den Boden. “Na, seid ihr auch schon so heiß aufs Training?”, fragt er und reißt die Spindtüre weit auf. “Gott, du hast echt einen an der Waffel”, murrt Kevin ein Stück weiter. Dass dieser vor Gregor da ist, liegt nur daran, dass der noch Schuldienst hatte und die Tafel am Ende der Stunde abwischen musste. “Du kennst ihn inzwischen seit wie viel Jahren? Seit fast fünf! Er war schon immer so.” Charlie zuckt mit seinen Schultern. Auch sein Zwilling hält nicht still. “Er wird auch immer so bleiben”, fügt Jeremy hinzu. “Das heißt nicht, dass er keinen an der Waffel hat.” Kevin schüttelt seinen Kopf, während er sich die Schuhe zubindet. “Ich finde, wir alle könnten uns etwas von Gregors Eifer abschneiden. Wären wir alle etwas mehr wie er, wären wir sicherlich noch sehr viel besser.” Marios ruhige Stimme übertönt alles andere, obwohl er sie weder erhoben hat, noch sehr laut gesprochen hat. “Ja, ja.” Kevin winkt ab und steht auf. “Ist ja nicht so, dass wir keine Lust aufs Training haben. Wir sind immer noch da. Und das bei über fünf Jahren mit ihm in einem Team. Ich finde, das sagt alles aus.” Ein Lachen entkommt Gregor, als er das breite Grinsen seines Freundes bemerkt. “Wir sollten froh sein, dass er noch da ist.” Daniel grinst ebenfalls. “Das kann man wohl so sagen.” Nun ist es Christoph, der gleichzeitig Gregor seine Faust in den Rücken stößt. Der lacht laut auf. “Na, ich bin auch froh darüber”, erklärt er. “Und ich bin froh, wenn wir bald mit dem Training beginnen können. Gregor, beeilst du dich? Und wir anderen gehen schon mal auf den Fußballplatz hinaus.” Mario setzt sich seine grüne Kappe auf den Kopf und sieht dabei seinen besten Freund an. Dieser nickt zustimmend. “Natürlich. Ich bin sofort fertig.” Mario greift noch nach seinen ebenfalls grünen Handschuhen und zieht diese an, während er sich nun dem Rest seiner Mannschaft zuwendet. “Gut. Dann los, alle anderen raus auf den Platz. Wir beginnen mit dem Aufwärmen.” Gregor hingegen beeilt sich, sich umzuziehen. Das Trikot wird über den Kopf gestreift, bevor seine Kleidung in einem unordentlichen Knäuel im Spind landet. Er macht einen Schritt nach vorn und triff seine Schultasche, die dadurch umfällt. Dabei öffnet sie sich. Anscheinend hat er sie vorher in seiner Eile, schnell hierher zukommen, nicht richtig verschlossen. Mit hektischen Bewegungen sammelt er die Dinge wieder ein, die herausgefallen sind und stopft sie wieder hinein. Anschließend stellt er auch seine Tasche in den Spind und schließt diesen. Kaum dass er das getan hat, dreht er sich herum und läuft forschen Schrittes aus dem Clubhaus. Er kann das Training nicht erwarten. Zurück bleibt das Clubhaus. Es wirkt unordentlich. Kleidung liegt herum. Straßenschuhe stehen um die Bank an der Seite, auf der sich die meisten die Stollenschuhe angezogen haben. Auch die Schultaschen findet man in jeder Ecke, ebenso die Sporttaschen der Fußballer. Unter den Spinden an der Seite gibt es einen schmalen Spalt, wo diese nicht direkt auf dem Boden aufsitzen. Und dort, unter Gregors Spind, blitzt etwas Weißes hervor. Eine Ecke eines weißen Umschlags. Kapitel 2: 2 ------------ “Hach, es geht doch nichts über ein Training, das einen so richtig zum Schwitzen bringt.” Mit einem euphorischen Seufzen schließt Gregor seinen Spind. Die fassungslosen Blicke, die dabei auf seinen Rücken gerichtet sind, nimmt er nicht wahr. “Der hat sie echt nicht mehr alle”, tönt ein Satz durch den Raum. Auch dieser wird von Gregor nicht wahrgenommen. Mario, der vor seinem Spind steht, kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Vermutlich haben die anderen in den vergangenen Jahren nicht nur gelernt, dass sein bester Freund eben ist, wie er ist. Dieser wiederum scheint gelernt zu haben, wie er diese Sprüche ausblenden kann. Und das macht er sehr gewissenhaft, er reagiert nämlich nie darauf. “Mir fällt da schon etwas ein, das schöner ist als das Training. Nicht wahr, Christoph?” Benjamin stößt diesem den Ellenbogen zwischen die Rippen, während er ihm verschwörerisch zuzwinkert. “Lass das”, murmelt der Angesprochene und sein Blick huscht zwischen den Anwesenden hin und her. Er hofft, dass er jetzt nicht … “Und was ist schöner?” Sascha sitzt mit schief gelegtem Kopf da, während er sich Chips aus einer Tüte in den Mund schiebt. Dabei raschelt diese jedes Mal, sobald er sie berührt. Daniel sitzt neben ihm und nutzt die Momente, wenn Sascha seine Hand zu seinem Mund führt, sich selbst ein paar Chips schmecken zu lassen. “Das … ähm …” Schon wirkt Christoph unsicher. “Er hat ein Date”, erklärt Benjamin da bereits. “Mensch! Ich erzähle dir nichts mehr!”, wird er sofort angezischt. “Was denn? Die hätten das ohnehin rausbekommen. Also kannst du gleich ehrlich sein.” “Damit hat er recht. Daher erzähl ruhig, mein Lieber. Wann? Und wie ist das überhaupt passiert?” Kevin beugt sich Christoph entgegen. Auf seinen Zügen liegt ein breites Grinsen. “Und mit wem gehst du überhaupt aus?” “Ist sie denn hübsch?” Sowohl Charlie als auch Jeremy beugen sich links und rechts von Kevin ebenfalls nach vorn. Allen Dreien ist die Neugierde mehr als nur anzusehen. Doch nicht nur ihnen. Auch die anderen Kickersspieler sehen Christoph fragend an. Dieser zieht seinen Kopf zwischen die Schultern. Darauf, im Mittelpunkt zu stehen, hatte er wirklich keine Lust. “Ich habe sie kennengelernt, als ich zuletzt unterwegs war.” “Aha. Und ist sie hübsch?” Tommy reibt die Hände aneinander. Woran er gerade denkt, will vermutlich keiner wissen. “Ja, ich … denke schon.” “Was macht ihr denn an eurem Date? Dir ist bewusst, dass du dir etwas Gutes einfallen lassen musst?” Auf Philipps Aussage richtet der Angesprochene seine Aufmerksamkeit auf diesen. “Wie meinst du das?” Sofort schiebt der Jüngere seine Brille zurück. “Ist doch ganz einfach. Wenn du willst, dass sie mit dir auf ein zweites Date geht, muss das erste gut werden. Also streng dich an und lass dir etwas einfallen!” Christoph wirkt wie erstarrt. Ein gutes Date. Aber was? Sein Kopf ruckt herum und er starrt Gregor Hilfe suchend an. “Sag mir, was ich machen soll.” “Ich?” Gregor deutete auf sich selbst. “Wie soll ich dir denn helfen?” “Bitte?” Es ist Tino, der anstelle von Christoph antwortet. “Du bist der Einzige von uns, der eine Freundin hat!” “Aber …” “Wie kommst du darauf, dass der Kerl da dir wirklich helfen kann?”, dröhnt Kevins Stimme durch das Clubhaus. “Wenn der ein Date plant, geht er Fußballspielen!” “Anscheinend scheint das Conny nicht zu stören.” Tommy zuckt mit seinen Schultern. “Hey, was soll das denn heißen? Wir gehen doch nicht immer Fußball spielen, wenn Conny und ich etwas unternehmen”, echauffiert sich Gregor sofort. “Also geht ihr schon manchmal Fußball spielen?” Auf Saschas Frage wird es still im Raum. “Äh, na ja, also manchmal …” Gregor hebt seine Hand und reibt sich durch die Haare am Hinterkopf, während seine Wangen rot werden. Schon lachen alle im Clubhaus laut. Es passt zu ihrem Freund. Auch Mario kann ein Schmunzeln und ein amüsiertes Kopfschütteln nicht vermeiden. Doch das Schmunzeln verfliegt sogleich wieder. “Tja Käpt´n, da kannst du wohl nicht mitreden, was?” Er sieht Daniel verwundert an. Gerade als er fragen will, was dieser damit sagen will, spricht der es schon aus. “Du hast es ja auch noch nie geschafft, deine Angebetete um ein Date zu bitten.” “Stimmt. Dabei mag er sie doch schon so lange.” “Ich verstehe es auch nicht. Sie mag ihn doch ebenfalls!” “Tja, eines Tages ist sie weg.” “Dann wäre er aber ganz selbst schuld.” Während die Stimmen seiner Freunde durch das Clubhaus tönen, laufen Marios Wangen hochrot an. Plötzlich legt sich ein Arm auf seine Schultern und er wird nach unten gedrückt. “Also Käpt´n, was gedenkst du zu tun, dass auch du Elsa endlich deine Gefühle gestehen kannst?” ~✒️~ War es die richtige Entscheidung? War es das Richtige, diesen Brief zu schreiben? Elsas Zähne kauen auf dem Fingernagel ihres Daumens, den sie zwischen die Lippen geschoben hat. Die Unruhe und Nervosität frisst sie regelrecht auf. Bereits, seit sie vor ein paar Tagen Gregor den Brief für Mario mitgegeben hat. Doch bis heute hat sie noch nichts von dem Empfänger ihrer Worte gehört. Lautes Bellen reißt sie aus ihren Gedanken. Sie hebt ihren Kopf und erkennt Maradona, der am Strand hin und her rennt. Er jagt den Wellen hinterher und kaum dass seine Pfoten ins Wasser geraten, dreht er wieder herum und rennt zurück. Ein Schmunzeln huscht über ihre Züge. Der Akita Inu wird diesem Spiel auch nie überdrüssig. Aber nun müssen sie langsam zurück. Sie steckt zwei Finger in den Mund und lässt ein lautes Pfeifen ertönen. Sofort dreht sich Maradona um und spitzt die Ohren, ehe er mit einem lauten Bellen auf sie zustürmt. Die bewölkten Gedanken, die sie gerade noch eingenommen haben, verfliegen bei dem Anblick. Ihr Hund kommt auf sie zu und will an ihr hochspringen, worauf sie mit einem lauten Quietschen und einem nach hinten Springen reagiert. “Aus! Aus, Maradona! Du hast nasse Pfoten, die musst du nicht an mir abwischen und … Hey!” Doch da ist es schon passiert. Fassungslos sieht sie auf die nassen Pfotenabdrücke, die sich nun auf ihrer Jeans an den Oberschenkeln abzeichnen. Einen Moment hält sie inne, ehe sie lachen muss. Mit einer Hand fährt sie zwischen Maradonas Ohren und wuschelt dort durch das Fell. “Ach du, ich habe doch gesagt, dass du das lassen sollst.” Alles, was sie zu hören bekommt, ist ein begeistertes “Wuff!”. Elsa hebt ihren Zeigefinger an. “Das nächste Mal hörst du auf mich, ja?” “Wuff, wuff.” Der Akita Inu legt seinen Kopf schräg und sieht sie hechelnd und mit heraushängender Zunge an. “Na dann, gehen wir.” Elsa bückt sich und befestigt die Leine an Maradonas Halsband, ehe sie sich mit ihm auf den Heimweg macht. Sie sind im Park angekommen, durch den sie noch laufen müssen, da dringen ein paar Stimmen bis zu ihr. Überrascht hebt sie ihren Kopf. Doch noch ehe sie das Ganze erfasst, hat Maradona es schon getan. Mit lautem Gebell rast er los. Ein Ruck geht durch Elsas Arm und die Leine gleitet aus ihrem Griff. “Maradona!”, brüllt sie und rennt ihrem Hund hinterher. Da hat dieser sein Ziel schon erreicht und springt an einem Jungen hoch. “Maradona!”, ruft dieser lachend und tobt gleich darauf mit dem Hund herum, der fröhlich bellend im Kreis um ihn springt. “Na sieh mal, wenn wir da treffen.” Mit einem breiten Grinsen sieht Kevin die ihnen Entgegenkommende an, während er dem neben sich Stehenden den Ellenbogen zwischen die Rippen stößt. Elsas Herz schlägt stärker gegen ihre Rippen, während sie auf die kleine Gruppe zuläuft. Das Training der Kickers scheint beendet zu sein, denn es sind nur wenige von ihnen, die dort im Park stehen. Doch dass ihr Herz schneller schlägt, liegt eindeutig nur an einem von ihnen. Wie automatisch wird ihr Blick von der grünen Kappe angezogen. Mario. Der Kapitän der Kickers. Der beste Freund ihres Bruders. Und der Junge, in den sie bereits seit der Grundschule verliebt ist. Sie ist jetzt in der zweiten Klasse der Oberschule. Allerdings, im Gegensatz zur Grund- und Mittelschule, auf einer anderen als er. Das ist auch der Grund, weshalb Gregor ihren Brief mitnehmen und ihm überreichen musste. Einerseits ist sie froh, dass sie diese Möglichkeit hat. Auf der anderen ist sie von sich selbst enttäuscht, dass sie es bereits seit über vier Jahren nicht geschafft hat, ihm ihre Gefühle zu gestehen. Persönlich, als sie ihn noch jeden Tag gesehen und dadurch viele Möglichkeiten hatte. Dass sie ihn nun einen Brief geschrieben hat, liegt aber auch daran, dass sie es eben nie geschafft hat, es ihm direkt zu sagen. Das geschriebene Wort ist ihr Weg gewesen. Und gleich wird sie ihn das erste Mal sprechen, seit er den Brief bekommen und gelesen hat. Er wird ihr doch sicherlich eine Antwort geben, oder? Schüchtern streicht sie eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hat, hinter ihr Ohr. Sie atmet tief ein und aus, ehe sie sich auf den Weg zu der Gruppe macht. Kapitel 3: 3 ------------ Kaum, dass er Elsa erblickt hat, nimmt Marios Herzschlag zu. Wie lange ist er nun schon in sie verliebt? Gefühlt schon immer. Und er ärgert sich darüber, dass er so verdammt schüchtern ist. So gerne würde er sie einfach ansprechen, sie sogar auf ein Date einladen. Das würde er wirklich gerne. Doch das kann er nicht einfach so, vor allem nicht, wenn seine Freunde in der Nähe sind. Kevins Spruch gerade, dazu der Ellenbogencheck, das hat ihn wieder daran erinnert, was die Kickers vorher alles gesagt haben. Wie sie ihn aufgezogen haben. Ihm einen gewissen Druck gemacht haben. Und das sorgt dafür, dass sich gerade alles in ihm zusammenzieht. Dabei würde er Elsa einfach nur gerne ansehen. Sie ist so hübsch und er kann nicht genug von ihr bekommen. Sie war früher so ein süßes und hübsches Mädchen. Inzwischen ist sie gewachsen, weiblicher geworden – und für ihn einfach nur schön. Niemand kann es mit ihr aufnehmen. Als sie auf ihn und seine Freunde zukommt, wird sein Herzschlag noch schneller. Und dann bleibt sie bei ihnen stehen. Ihr blumiger Geruch, der auch ein wenig Vanille beinhaltet – und er mag Vanille –, dringt bis zu ihm vor. “Hallo ihr”, begrüßt sie sie mit ihrer melodischen Stimme leise. Ihre Augen streifen einen kurzen Moment seine, lässt sein Herz wie verrückt in seinem Brustkorb wummern. Sie hat ihn direkt angesehen – oder? Und sind ihre Wangen wirklich rot geworden? Sie wendet sich ihrem Bruder zu und wechselt mit diesem ein paar Worte, ehe sie Sascha auf eine Frage antwortet und lacht. Oh, dieser Ton! Er will sie immer lachen hören. Als er erneut einen Ellenbogencheck abbekommt, atmet Mario scharf ein. “Kevin! Verdammt, was soll das?”, zischt er seinen Freund an und sieht anschließend schnell zu Elsa hinüber, die sich soeben erneut eine Haarsträhne hinters Ohr streicht. Er will das machen. Und sie hat das gerade hoffentlich nicht mitbekommen! “Das ist jetzt deine Chance, Alter! Los, geh zu ihr und sag ihr, dass du sie magst”, flüstert ihm Kevin in dem Moment zu und schon erstarrt er. Elsa sagen, was er empfindet? Hier und jetzt? Hat Kevin sie noch alle? Er kann doch nicht einfach … Das geht doch nicht, dass … Wie soll er … “Hey Leute, ich geh mal. Kommst du mit, Sascha?” “Was? Warum denn?” “Du kommst jetzt einfach mit, Dicker! Keine Rückfragen, tu einfach, was man dir sagt!” “Aber …” “Los jetzt!” Und schon schiebt Kevin Sascha an. Ein Bild, das sicherlich lustig wäre, wenn Mario sich damit nun auseinandersetzen könnte. Sein Blick huscht zu dem Mädchen, das in diesem Augenblick auch zu ihm sieht. Erneut färben sich ihre Wangen rot. Ohne dass er es bemerkt, macht er einen Schritt auf sie zu. Sofort bleibt er abrupt stehen. Sein Herz zieht sich unangenehm zusammen und ihm bricht der Schweiß aus. Elsas Blick wirkt fragend und ihre Unterlippe landet zwischen ihren Zähnen. Abwartend sieht sie ihn an, wartet. Er öffnet seinen Mund, schließt ihn wieder. Was soll er nur sagen? Sein Blick hebt sich und er erkennt hinter ihr Sascha und Kevin, die neugierig in seine Richtung blicken. Und das gibt ihm den Rest. ~✒️~ Wird er jetzt auf ihren Brief reagieren? Auf ihr Liebesgeständnis? Ihr Herz flattert wie ein kleiner Vogel in ihrem Brustkorb, während Elsa Mario ansieht, der einen Schritt auf sie zugemacht hat. “Elsa …”, kommt es zögerlich aus seinem Mund. Auch sie tritt unbewusst näher auf ihn zu, sodass sie sich direkt gegenüberstehen. “Mario?” Sieht er ihr an, wie schnell ihr Herz schlägt? Wie aufgeregt sie ist? Seine Augen huschen hin und her, immer mal wieder bleibt er für eine Sekunde auf ihren liegen, dann huschen sie weiter. Er scheint sie nicht ansehen zu können. Elsa runzelt ihre Stirn etwas, als sie erkennt, wie er schlucken muss. “Ich … ähm …” Er greift mit einer Hand an den Schirm seiner Kappe und zieht diese im nächsten Augenblick tiefer, um ihrem Blick endgültig ausweichen zu können. Und dann versetzt er ihr einen Stoß. “Es … es tut mir leid, ich kann nicht …” Damit läuft, rennt er regelrecht an ihr vorbei. Elsa steht da wie erstarrt. Es fühlt sich an, als hätte ihr jemand in den Magen geboxt. Hat er gerade wirklich …? Sie dreht ihren Kopf, sieht über ihre Schulter in die Richtung, in die Mario gerannt ist. Dort steht er auf der Höhe von Sascha und Kevin, die beide auf ihn einzureden scheinen. Kevin wirkt aufgebracht, er schüttelt seine Fäuste in der Luft. Da dreht sich Mario noch einmal in ihre Richtung. Als er erkennt, dass ihr Blick auf ihm liegt, macht er einen Schritt nach hinten. Er sieht zu seinen Freunden, schüttelt seinen Kopf und nimmt erneut die Beine in die Hand. “Elsa.” Gregors mitfühlende Stimme zieht ihre Aufmerksamkeit auf sich. Elsa blinzelt ungläubig, ehe sie sich ihm zuwendet. In seinen Augen steht Mitleid. “Es tut mir wirklich leid. Er ist …” Er kann nicht aussprechen, da fällt ihm Elsa schon ins Wort. “Lass, Gregor. Du musst dich nicht für ihn entschuldigen. Ich verstehe schon.” Als sie merkt, dass ihre Hände zittern, ballt sie diese schnell zu Fäusten und schlingt ihre Arme um ihren Oberkörper, um sich so Halt zu geben. Ihr Bruder soll nicht sehen, wie sehr sie dieser Korb mitnimmt. Denn es war eindeutig ein Korb. Marios Antwort auf ihren Brief, ihr Liebesgeständnis. Er empfindet nicht so für sie. Nicht mehr, vielleicht auch noch nie. Und damit muss sie klarkommen. Ihr Blickfeld wird schwammig und sie spürt, dass Tränen in ihre Augen treten. “I-ich gehe nach Hause ”, presst sie hervor. Sie geht ein paar ebenso zitternde Schritte an Gregor vorbei, ehe sie in einen schnellen Gang fällt, schließlich ebenso zu rennen beginnt. Eine Hand schlägt sie vor den Mund, um das Schluchzen zu unterdrücken, das hervorbricht. “Häh?” Verwirrt sieht Gregor seiner Schwester hinterher, ehe er in die Richtung blickt, in die Mario gelaufen ist. Dort stehen immer noch Kevin und Sascha. “Na komm, Maradona.” Seufzend bückt er sich zu dem Hund, der neben ihm auf dem Boden sitzt. Gregors Hand schließt sich um die Leine. Als er mit dem Akita Inu bei seinen Freunden ankommt, wirken diese immer noch fassungslos. “Kann mir mal einer erklären, was eigentlich Marios Problem war? Das wäre jetzt doch die Chance gewesen, deine Schwester endlich um ein Date zu bitten, Gregor.” Der hebt entschuldigend die Schultern. Eigentlich würde er es ja auch gut finden, wenn sich zwischen seinem besten Freund und seiner Schwester etwas entwickeln würde. “Schade. Aber vielleicht traut sich Mario ja nur nicht.” Sascha ist inzwischen eher enttäuscht als fassungslos. “Wir haben ihm doch vorher wirklich gute Ideen und Anregungen mitgegeben. Er hätte nur eine davon probieren müssen. Wie, als ob Elsa nein gesagt hätte.” Mit dieser gegrummelten Aussage verschränkt Kevin seine Arme vor dem Oberkörper. “Vielleicht war es ja genau das.” “Häh?” “Was meinst du damit?” Zwei Blicke richten sich auf Gregor. Dieser zuckt mit seinen Schultern. “Ihr wisst, dass ihm so etwas einfach unangenehm ist. Auch vorher im Clubhaus. Er wäre am liebsten verschwunden, als ihr wieder angefangen habt, ihn auf Elsa anzusprechen. Und dann sieht er sie hier und du machst weiter, Kevin.” “Das diente doch nur der Motivation. Und dazu, ihm Mut zu machen!” “Das ist mir bewusst und ich bin mir sicher, dass das auch Mario bewusst ist. Aber von ihm zu erwarten, dass er es jetzt direkt vor unseren Augen endlich schafft, sie anzusprechen, das ist utopisch. Und ich glaube, dass ihm das zu viel war und er deshalb verschwunden ist. Er hat sich nicht getraut. Dazu noch der Druck, den ihr vorher auf ihn aufgebaut habt, auch wenn ihr das nicht wolltet, das ist mir bewusst. Trotzdem wird ihm das in diesem Moment zu viel gewesen sein. Und er hat sein Heil in der Flucht gesucht.” Kurz herrscht Stille. Kevin wirkt, als ob er etwas sagen würde. Doch dann schließt er seinen Mund. “Bin wohl mal wieder übers Ziel hinausgeschossen”, murmelt er. Sascha nickt sofort, bekommt dafür einen bösen Blick ab. Schon zieht er seinen Kopf zwischen die Schultern. “Wehe einer von euch verrät, dass ich das gerade zugegeben habe!” Ein Lachen entkommt Gregor auf diese Aussage. “Keine Sorge, Kevin. Ich halte mich zurück.” “Ich mich auch.” Sascha nickt eifrig. Gregor blickt erneut in die Richtung, in die Mario verschwunden ist. Eine seiner Hände liegt kraulend zwischen Maradonas Ohren, der neben ihm sitzt und mit dem Schwanz wedelt. “Und sonst finde ich, wir sollten Mario mal nicht zu sehr unter Druck setzen, was meine Schwester angeht. Ich bin davon überzeugt, dass die beiden das schon noch hinbekommen werden. Lassen wir ihnen einfach noch etwas Zeit.” “Wenn du meinst …” “Dein Wort in Gottes Ohr, Gregor.” Ein leises Seufzen entkommt Sascha. Kevin nickt erneut, ehe er sich mit zwei Fingern an die Schläfe tippt. “Nun gut, ich versuche sehr, mich zusammenzureißen. Aber ich werde für nichts garantieren. Aber jetzt mache ich mich auf den Heimweg.” “Ja, ich mich auch.” Auch Sascha hebt eine Hand zur Verabschiedung. Gleich darauf steht Gregor allein, mit Maradona an der Leine, im Park. Nachdenklich blickt er auf den Hund hinunter. “Tja, Maradona. Offen gesagt befürchte ich auch, dass Elsa und Mario etwas mehr Hilfe brauchen. Aber wir haben ja gesehen, wie Mario da reagiert.” Ein lautes Seufzen entkommt dem Jungen. “Na komm.” Er zieht leicht an der Leine und setzt sich in Bewegung. “Aber meinst du nicht auch, dass die beiden ein tolles Paar wären?” Und auf diese Frage gibt es nur eine richtige Antwort: “Wuff!” Kapitel 4: 4 ------------ Mai X1 Acht Monate nach dem Brief “Das kann echt nicht sein!” “Ist es aber.” Ein lautes und zufriedenes Lachen tönt durch das Clubhaus der Kickers. “Aber warum? Du siehst genauso aus wie ich. Und übrigens bin ich der Lustigere von uns beiden!” “Bitte? Überhaupt nicht! Ich bin der Lustigere!” Tommy beugt seinen Kopf zu Benjamin neben sich. “Zumindest ist das hier gerade lustig für uns.” “Ja, das schon”, wird nickend zugestimmt. “Trotzdem verstehe ich nicht, wie der es geschafft hat, eine Handynummer abzustauben.” Verwirrt mustert Tino die Zwillinge, die sich gerade um einen Zettel in Charlies Hand streiten. “Sie hat die Handynummer mir gegeben, nicht dir, Charlie!” “Vermutlich, weil sie uns verwechselt hat, Jeremy!” Da legen sich zwei Arme um die Schultern der Zwillinge. “Jungs, Jungs, streitet euch doch nicht. Aber ich glaube auch, dass das alles ein großes Missverständnis war.” “Siehst du, Jeremy? Kevin sieht das wie ich.” Zufrieden blickt Charlie seinen Bruder an. “Die Nummer war sicherlich für mich.” “Von wegen! Sie ging zielgerichtet an mich.” “Hey, hey. Wie gesagt, nicht streiten.” Kevin tätschelt die Schultern seiner Freunde nun. “Und mit Missverständnis meine ich viel mehr, dass die Nummer für mich sein sollte!” Und damit zieht er den Zettel aus Charlies Hand. “Was?” “Spinnst du?” Schon drehen sich die Zwillinge dem zwischen ihnen Stehenden zu. “Gib das sofort zurück, Kevin!” “Mensch! Das ist nicht deine Nummer!” Und schon sind Charlie und Jeremy sich wieder einig. Sie versuchen sich den Zettel mit besagter Handynummer zu schnappen, der von Kevin hin und her gewedelt wird. Mario entkommt ein Seufzen. Die Jungs sind wirklich Kindsköpfe. Sein Blick richtet sich stattdessen auf Gregor neben sich. Dieser kritzelt etwas auf dem Zettel vor sich herum. “Was machst du denn da?”, fragt er verwundert. Auf dem Zettel stehen die Daten mit ihren nächsten Spielen, die sie noch in ihren großen Kalender an der Wand eintragen müssen. “Ich überlege”, nuschelt Gregor, “ob wir vielleicht noch das ein oder andere Spiel dazwischen quetschen können. Viktor wäre sicher bereit, dass er mit den Teufeln gegen uns antritt.” “Wir haben doch einen Termin mit ihm ausgemacht.” “Ich weiß.” Gregor hebt seinen Kopf und man kann erkennen, dass seine Augen aufblitzen. “Aber jedes Spiel ist ein gutes Spiel.” Mario kann ein Schmunzeln nicht verhindern. Dass der Bruder von Connys Freundin da mitmachen würde, das kann er sich nur zu gut vorstellen. Zudem ist er auch Gregors Mentor und das bereits seit vielen Jahren. Viktors Mannschaft, die Teufel, sind zudem nicht nur ihre stärksten Rivalen, sondern auch ihre Freunde. Spaß macht es immer, gegen sie zu spielen. Und es ist jedes Mal eine große Herausforderung. “Das stimmt wohl. Aber beim besten Willen. Wir haben da echt viele Spiele ausgemacht. Da noch eines dazwischenzuschieben, das ist fast utopisch und …” Noch ehe er aussprechen kann, wird er von entsetzten Aufschreien unterbrochen. “Oh nein!” “Verdammt!” “Ach du Scheiße!” Kevin und die Zwillinge stehen schockiert da und starren auf den Boden vor den Spinden. “Was ist passiert?” Alarmiert erhebt sich Mario von der Bank, auf der er gerade noch gesessen hat. “Diesem Idioten ist der Zettel mit der Handynummer runtergefallen!” Charlie funkelt Kevin wütend an. “Und dann ist sie unter den Spind gerutscht!” Jeremys Stimme ist vorwurfsvoll. “Das tut mir echt leid! Ich wollte euch nur aufziehen.” Kevins Schuldbewusstsein ist diesem anzuhören und auch anzusehen. Mario tritt um den Tisch herum. Er bückt sich etwas, um unter den Spind zu sehen. “Da benötigt ihr etwas, um darunter zu fahren. Dann könnt ihr den Zettel vielleicht zur Seite herausschieben.” “Das ist eine gute Idee.” “So machen wir es!” “Danke, Käpt´n!” Und schon sind die drei Chaoten aus dem Raum gerannt. Als sie wieder zurückkehren, haben sie einen Meterstab dabei. Dieser wird aufgeklappt und unter den Spind geschoben. Kevin ist derjenige, der auf dem Boden kniet und das Messgerät hin und her bewegt. Dafür, dass er sonst so aufgedreht ist und nicht immer ruhig bleiben kann, behält er ein erstaunlich ruhiges Händchen. Das könnte von seinem zweiten Hobby, Angeln, kommen. “Und?” “Siehst du schon was?” “Jetzt nervt nicht!”, knurrt der Verursacher des Chaos an die Zwillinge gerichtet. “Motz nicht rum! Du bist schuld, dass du das jetzt machen musst!” “Ganz richtig. Selbst Schuld!” “Haltet endlich die Klappe!” Mit wütendem Blick funkelt Kevin seine Freunde an. “Ich muss mich konzentrieren und das geht nicht, wenn ihr mich permanent nervt!” “Kevin hat recht. Lasst ihn mal machen.” Es ist Philipp, dessen Stimme durch den Raum dringt. Kurz wechseln Charlie und Jeremy einen Blick. “Okay, wir sind ja schon ruhig.” “Ja, sind wir.” “Gut.” Dieses Wort wird von einem Knurren begleitet. Dann konzentriert sich Kevin wieder auf das vor sich Liegende. Es dauert ein paar Minuten, bis schließlich: “Hier, ich habe was. Aber … Häh?” Kevin richtete sich auf und hebt etwas Weißes und Staubiges in die Höhe. Einen Umschlag. Verwundert dreht er ihn herum und liest, was auf der Vorderseite steht. “Hey Mario, der ist für dich.” Erstaunt nimmt Mario den staubigen Brief entgegen. “Uh, ein Liebesbrief, Käpt´n?” Daniels breites Grinsen lässt den Angesprochenen innehalten. Er will nach dem Schirm seiner Kappe greifen, um festzustellen, dass er diese gar nicht aufhat. Die grüne Farbe sticht im von der Bank aus ins Auge. Dort liegt sie. Christoph zieht seine Aufmerksamkeit auf sich. “Was denn sonst? Ein Brief, auf dem Mario steht? Das kann gar nichts anderes sein. Er staubt doch eindeutig die meisten Liebesbriefe von uns ab.” “Ihr spinnt echt!”, murmelt Mario, dessen Wangen rot glühen. “Unrecht hat er damit aber nicht”, murmelt Sascha. Mario blickt kurz zu diesem. Dabei streift sein Blick Gregor. Sein bester Freund ist unnatürlich blass geworden. Und dessen Blick liegt eindeutig auf dem Umschlag in seinen Händen. “Gregor?”, fragt er verwundert nach. Dieser hebt seinen Kopf und sieht nun ihn an. “Der ist von Elsa.” Gregors Stimme ist tonlos. Trotzdem sorgt er dafür, dass Marios Blick sich ebenfalls wieder auf den Brief richtet. Seine Augen sind geweitet, sein Herz schlägt schneller. Von Elsa? “Und …” Mario sieht erneut zu seinem besten Freund. Was hat dieser nur? “Ich hätte ihn dir schon vor Monaten geben sollen … aber ich habe ihn vergessen …” “Was?” Ungläubig starrt Mario Gregor an, der in sich zusammenzusinken scheint. “Sie hat ihn mir gegeben und … ich habe es einfach vergessen. Er scheint mir ja unter den Schrank gefallen zu sein. Da war er einfach aus den Augen, aus dem Sinn …” “Das …” Mario schluckt, starrt erneut den Brief an, auf dem sein Name in geschwungenen Buchstaben steht. “Wann? Also … wann solltest du mir den Brief geben?” “Ich weiß es nicht mehr. Irgendwann letztes Jahr. Aber ich kann es dir wirklich nicht mehr sagen. Es tut mir leid, Mario.” Kapitel 5: 5 ------------ Dieser Brief ist von Elsa … Ob er wirklich das ist, was die anderen die ganze Zeit gesagt haben? Ein Liebesbrief? Mario befindet sich in seinem Zimmer. Er sitzt an der Stelle, an der er immer am besten nachdenken kann. Auf seiner Fensterbank. Die Temperaturen im Mai sind angenehm genug, dass er das Fenster geöffnet hat. In den Händen hält er den Umschlag mit seinem Namen. Früher muss dieser weiß gewesen sein. Das ist er inzwischen nicht mehr. Flecken sind zu erkennen, die Farbe ist ausgeblichen. Er lag lange im Dreck. Mario hat ihn bisher nicht geöffnet. Zwar haben die anderen ihn bedrängt, aber er wollte es nicht. Nicht vor ihnen allen. Und das ist nicht der einzige Grund, weshalb er dabei allein sein will. Elsa. Sein Blick hebt sich und er sieht aus dem Fenster, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Vor seinem inneren Auge sieht er ihr Antlitz. Er hat sie schon lange nicht mehr getroffen. Sehr lange. Immer wieder fragt er sich, ob er sie verärgert hat, als er damals einfach weggelaufen ist. Dabei ist es auch schon Monate her. Zu viele Monate. Und doch denkt er ständig an sie. Fragt sich, ob er einfach zu ihr gehen soll. Doch das traut er sich auch nicht. Stattdessen hat er gehofft, dass er sie irgendwo sehen wird und sie ansprechen kann. Vielleicht bei einem der Fußballspiele der Kickers. Doch auch dort ist sie schon ewig nicht mehr aufgetaucht. Vielleicht, sein Herz nimmt einen Schlag zu, ist ja dieser Brief eine Antwort auf seine Fragen sie betreffend. Zeigt ihm, was er tun soll. Wann sie ihn wohl geschrieben hat? Gregor hat letztes Jahr gesagt. Es müssen also schon über fünf Monate sein. Etwas in ihm hindert ihn immer noch daran, den Umschlag zu öffnen. Wenn er ihn nicht öffnet und liest, kann es ja nichts Schlimmes sein, oder? Wobei … Nein, es ist etwas anderes. Die anderen haben es gesagt: Es ist sicherlich ein Liebesbrief. Und er hofft es auch. Er wäre enttäuscht, wenn es nicht so ist. Und das ist es, was ihn hindert, den Umschlag zu öffnen. Er hat wahrlich schon viele Liebesbriefe bekommen. Aber noch nie von der Frau, die ihm etwas bedeutet. Doch er wird es nicht wissen, wenn er es nicht wagt, nicht wahr? Er muss so oft Mut beweisen, warum scheitert er hier? Er zieht die Luft tief ein und macht schnell. Wie ein Pflaster – einfach abreißen! Und so öffnet er den Brief nun doch mit einer schnellen Handbewegung. Gleich darauf hält er einen beschriebenen Zettel in der Hand. Er mag ihrer Handschrift, fällt ihm auf, während sein Blick über die Zeilen huscht, noch ohne ein Wort wirklich wahrzunehmen. Seine Hände festigen ihren Griff. Und dann liest er jede Zeile bewusst. Lieber Mario, wir kennen uns inzwischen so viele Jahre. Doch ich habe es bisher nicht geschafft, einige Dinge auszusprechen. Da ich aber will, dass du sie endlich weißt, habe ich entschieden, sie dir wenigstens aufzuschreiben. Und deshalb hältst du nun diesen Brief in den Händen. Ich will, dass du weißt, wie dankbar ich bin, dass wir damals hierhergezogen sind. Es geht uns hier gut – mir geht es hier gut. Und das liegt unter anderem an dir. Schon von Anfang an habe ich dich bewundert. Alles an dir ist unglaublich toll. Du bist es. Ich mag unsere Gespräche, dass wir über wirklich alles reden können. Ich fühle mich in deiner Nähe immer so wohl. Manchmal ärgere ich mich, dass ich die gesamte Mittelschule habe vergehen lassen, ohne dir zu sagen, was ich fühle. Ich empfinde etwas für dich. Schon sehr lange. Und es würde mich glücklich machen, wenn du auch so empfindest. Wenn du magst, würdest du dann mit mir auf ein Date gehen? Deine Elsa Marios Herz schlägt unglaublich schnell. Sie mag ihn! Sie hat Gefühle für ihn! Endorphine setzen sich in ihm frei und zaubern ihm ein Lächeln aufs Gesicht. Ein strahlendes Lächeln, das alles einnimmt. Sie mag ihn! Elsa Daichi erwidert seine Gefühle. Ein Lachen bricht aus ihm heraus. Mit leuchtenden Augen wandern seine Augen zu dem Datum, das sie in der oberen Ecke eingefügt hat. Dann verschwindet das Lächeln augenblicklich wieder und macht Bestürzung Platz. Sie hat diesen Brief Anfang September geschrieben. Nun ist Ende Mai. Das sind fast neun Monate! Es ist über acht Monate her, dass sie ihm einen Brief geschrieben und um ein Date gebeten hat. Und nicht nur das. Alles in ihm zieht sich zusammen. Das war der Zeitraum, wo er weggelaufen ist, weil seine Freunde ihn so unter Stress gesetzt haben, dass er einfach nur wegwollte. Und sie hat auf eine Antwort von ihm auf diese Worte gewartet. Das muss bei ihr doch ganz falsch angekommen sein. Er mag sie! Er erwidert ihre Gefühle! Und sie muss jetzt doch denken, dass es nicht so ist. Er muss es klarstellen! Seine Hände klammern sich um den Rand des Briefes, zerknittern ihn so. Ihm ist anders. Doch eines ist klar. Er muss zu ihr. Sofort! Er muss sich entschuldigen. Dafür, dass er damals so reagiert hat. Dafür, dass er erst heute auf ihren Brief antwortet. Auch wenn es nicht seine Schuld ist. Doch er hofft trotzdem, dass sie ihm verzeiht! ~✒️~ Außer Atem kommt Mario vor dem Haus von Daichis an. Er eilt zur Haustüre und betätigt dort die Klingel. Hundegebell erklingt, dazu ein lautes: “Aus, Maradona.” Als er die Stimme vernimmt, macht sein Herz einen Satz und die Nervosität in ihm breitet sich aus. Bis gerade konnte er all das verdrängen. Jetzt kommt es aber zurück. Doch egal wie, er kann jetzt nicht zurückweichen. Elsa hat den ersten Schritt gemacht. Sie hat ihm ihre Gefühle gestanden. Jetzt ist es an ihm, den nächsten Schritt zu machen. Und dann wird die Haustüre aufgerissen. Dort steht sie. Marios Herz macht einen Satz bei Elsas Anblick. Wie immer hat sie ihre braunen Haare zu einem hohen Zopf zusammen genommen. Ihre Augen weiten sich überrascht, als sie ihn erkennen. Dann dreht sie ihren Kopf, scheint seinem Blick auszuweichen. “Hallo Mario.” “Elsa.” Er macht einen Schritt nach vorn. Eine Hand steckt in seiner Hosentasche. Dort befindet sich ihr Brief, seine Finger darum geschlossen. “Warte kurz, ich rufe meinen Bruder.” Ehe Mario erwidern kann, dass er nicht deswegen da ist, sondern ihretwegen, hat Elsa sich schon herumgedreht und ist ein paar Schritte zurückgegangen. Sie tritt zur Treppe ins Obergeschoss und legt ihre Hand auf das Geländer. “Gregor! Mario ist für dich da! Komm runter.” Anschließend dreht sie ihren Kopf und ein Lächeln, das etwas gezwungen wirkt, erscheint auf ihrem Gesicht. “Er ist sicherlich gleich da.” Mario macht einen Schritt nach vorn, über die Türschwelle hinweg. “Nein, Elsa. Ich bin …” Noch ehe er aussprechen kann, tritt eine Person aus dem Wohnzimmer in den Flur hinein. “Hey Schatz. Wie sieht es aus? Können wir dann gleich los?” Mario erstarrt, bleibt stehen. Er blickt zu dem Jungen, dessen Aufmerksamkeit wiederum völlig auf Elsa liegt. Schatz? Und dann dreht dieser sich zu dem gerade Angekommenen. “Oh, hey.” Eine Hand wird zum Gruß gehoben. “Mario …” Elsa wirkt, als wäre ihr unwohl, ehe sie zu dem braunhaarigen Jungen tritt. Und dann ist es, als würde sich eine eiskalte Hand um Marios Herz legen und dieses zusammenquetschen. “Das ist Mamoru, mein Freund.” Kapitel 6: 6 ------------ Part 2 - keeping April X3 Zwei Jahre und sieben Monate nach dem Brief “Schwesterherz, hier rein.” Gregor hebt die Türe auf, damit seine Schwester eintreten kann. “Wir gehen gleich runter und holen die restlichen Sachen.” Mit diesen Worten ist er weg. Elsa sieht ihm noch einen Augenblick hinterher, dann trägt sie den Karton, den sie in ihren Händen hält, zu den anderen bereits hier stehenden. Kaum dass sie ihn abgestellt hat, dreht sie sich im Kreis und sieht sich in dem Zimmer um. Gregor hat nun, ein Jahr nach ihr, zu studieren begonnen. Genauer gesagt, er wird in ein paar Tagen damit beginnen. Heute zieht er in das Wohnheim seiner Universität. Das Zimmer teilt er sich mit einem anderen Studenten. Und das nicht mit irgendjemandem, sondern mit seinem besten Freund. Ein glücklicher Zufall für die beiden Fußballbegeisterten. Elsa läuft durch das Zimmer. Auf jeder Seite des Raumes steht ein Bett. Es gibt zwei schmale, hohe Schränke. Geradeaus, und in Gregors Fall von Umzugskisten verdeckt, stehen zwei Schreibtische, neben diesen jeweils ein Bücherregal. Die rechte Seite ist noch kahl, hier wird Gregor zukünftig wohnen. Sie wendet sich der linken Seite zu, wenn auch eher zögerlich. Langsam tritt sie zu dem dazugehörigen Schreibtisch, auf dem verschiedene Dinge liegen. Unter anderem Fachbücher zu Informatik. Elsa nimmt eines der Bücher hoch und blättert darin, ehe sie es zurücklegt. Ihr Blick fällt auf ein Foto in einem Bilderrahmen, das im Bücherregal steht. Kurzerhand nimmt sie auch dieses in die Hand und begutachtet es. Es zeigt ihn, Mario. Zusammen mit einer jungen blonden Frau. Seiner Freundin. Er hat seine Arme von hinten um ihre Taille gelegt und beide lächeln in die Kamera. Elsas Herz zieht sich zusammen. Schnell stellt sie den Bilderrahmen wieder ab und sieht zur Seite. Inzwischen ist es zweieinhalb Jahre her, dass sie Mario einen Brief geschrieben hat, in dem sie ihm ihre Gefühle gestanden hat. Und ebenso lange ist es her, dass er ihr gesagt, gezeigt hat, dass er diese Gefühle nicht erwidert. Es hat ihr Herz gebrochen. Inzwischen ist sie bereits seit fast zwei Jahren mit Mamoru zusammen. Er ist ein ehemaliger Schulkamerad von ihr. Sie wurden zusammen als Schülersprecher gewählt und er hatte ihr immer wieder Avancen gemacht. Schließlich hatte sie einem Date zugestimmt, sie wollte Mario einfach vergessen. Tatsächlich waren Mamoru und sie ein Paar geworden, es passte mit ihnen. Sie mag ihn, ist auch in ihn verliebt. Doch trotz dessen denkt sie immer wieder auch an Mario, sie kann es nicht abschalten. Und es ist eigentlich wichtig, dass sie das nicht tut, ihn endlich aus ihren Gedanken verbannt. Das, was sie hier gerade macht, ist dämlich. Sie dreht sich abrupt herum und bleibt dabei an dem Bücherstapel auf Marios Schreibtisch hängen, den sie daraufhin herunterreißt. “Oh verdammt”, entkommt ihr leise und schnell kniet sie nieder, um die Bücher zusammenzusammeln. Dabei rutscht aus einem von ihnen etwas heraus. Ein Zettel. Ein zerknitterter Zettel. Elsa nimmt diesen hoch und dreht ihn herum. Als sie unbeabsichtigt die Worte auf dem unteren Teil des Zettels wahrnimmt, hält sie inne. Ihr Herz beginnt schneller zu schlagen und sie rührt sich nicht. Das kann doch nicht wahr sein. Ich empfinde etwas für dich. Schon sehr lange. Und es würde mich glücklich machen, wenn du auch so empfindest. Wenn du magst, würdest du dann mit mir auf ein Date gehen? Deine Elsa Das ist ihr Brief. Der Brief, den sie ihm vor so langer Zeit geschrieben hat. Warum hat er diesen noch? Da hört sie das Geräusch der Türklinke hinter sich. Schnell schiebt sie den Brief zurück in das Buch, aus dem er herausgefallen sein muss. Sie stapelt die Bücher aufeinander und nimmt diese in die Hände. Da kommen bereits die Zimmerbewohner herein. Jeder von ihnen trägt eine Kiste mit sich. Mario hält inne, als er die Schwester seines besten Freundes vor seinem Schreibtisch auf dem Boden knien sieht. Ihre Wangen sind hochrot. Da bemerkt er erst seine Bücher in ihren Händen. Elsa springt damit auf. “Es tut mir leid. Ich wollte …” Sie hält inne. Was soll sie sagen? Soll sie etwas dazu sagen, dass sie den Brief gesehen hat? Nein, lieber nicht. Sie kennt den Grund dafür nicht, dass er ihn immer noch aufbewahrt. Und vor allem will sie nicht, dass irgendwelche Gefühle, die sie tief in sich vergraben hat, wieder hervorkommen. “Ähm, ich …” Ihr Blick fällt auf die Bücher, die sie in den Händen hält. Sie dreht sich abrupt damit herum und legt sie auf den Schreibtisch zurück, ehe sie sich eine Ausrede einfallen lässt. “Ich wollte nur einen Blick in eines deiner Informatikbücher werfen und habe den ganzen Stapel dabei umgerissen. Entschuldige bitte, Mario. Das hätte ich nicht machen sollen.” Vorsichtig blickt sie über ihre Schulter in seine Richtung und erkennt, wie nachdenklich er wirkt. Dann lächelt er und winkt ab. “Passt schon. Die liegen da ja auch sehr offensichtlich herum. Willst du noch deinen Studiengang wechseln?” “Nein, nein.” Nun ist es Elsa, die abwinkt. “Ich bin mit Eventmanagement ganz zufrieden.” “Schade. Die Frauenquote ist bei den Informatikern nicht so hoch. Wir freuen uns über jegliche weibliche Unterstützung.” “Alter, du hast eine Freundin. Ich denke nicht, dass Namiko es toll findet, wenn du jetzt die Frauen in deinem Studiengang anstarrst.” Marios Kopf fährt zu seinem besten Freund herum und sieht diesen ungläubig an. “Was? Wie kommst du denn auf diesen Mist? Das habe ich damit nicht sagen wollen!” Elsas Wangen glühen, ehe sie sich an den Jungen, vielmehr jungen Männern, vorbeidrückt. “Ich hole schnell noch die nächste Kiste und …” Gregors Hand an ihrem Arm hält sie auf. “Wir sind fertig, Schwesterherz.” “Oh, wirklich?” Mit viel zu schnell schlagendem Herzen bleibt Elsa stehen. Ihr Blick huscht zu Mario, um zu erkennen, dass auch er sie ansieht. Schnell dreht sie ihren Kopf wieder weg. Er darf auf keinen Fall bemerken, dass sie aufgewühlt ist. Der Brief – dazu noch Marios Verhalten. Nein, sie muss endlich aufhören, immer so an ihn zu denken! Sie ist mit Mamoru zusammen und noch dazu glücklich mit diesem! Sie darf nicht weiter darüber nachdenken. “Das ist natürlich gut.” Oh Gott, ihre Stimme klingt so unnatürlich. Und das bemerkt auch ihr Bruder, denn Gregor runzelt seine Stirn. Sie muss sich etwas einfallen lassen. “Hat Conny sich schon gemeldet?” Und schon hat sie ihren Bruder abgelenkt. Ein strahlendes Lächeln geht über sein Gesicht. Bereits seit der Mittelschule sind er und Conny ein Paar. Dass sie jetzt nicht zusammenziehen, liegt daran, dass sie an einer privaten Musikschule studiert und deshalb zu Hause wohnen bleibt. Er hingegen ist auf der staatlichen Universität. Viel ändern wird sich für sie beide vermutlich nicht. Es ist schön, dass die beiden sich so lieben. Und dass sie sich gefunden haben. Erneut huschen Elsas Augen zur Seite, wo Mario steht. Er steht inzwischen mit dem Rücken zu ihr vor seinem Schreibtisch. Sie erkennt, dass eine seiner Hände auf dem Bücherstapel liegt. “Conny hat vorher kurz geschrieben. Entweder will sie den Flügel verbrennen oder den Lehrer.” Ein Lachen entkommt Elsa. Sie weiß von Conny, die sie auch zu ihren Freunden zählt, dass die private Musikschule sehr streng ist. Darum beneidet sie ihre Freundin eindeutig nicht. “Ich bin mir sicher, weder das eine, noch das andere”, erwidert sie. “Ganz richtig.” Auch Gregor schmunzelt. Er hebt seinen Kopf. “Ich werde später noch mit ihr telefonieren. Und wie sieht es mit dir aus, Elsa? Mario will mir den Campus zeigen. Kommst du mit?” “Nein, ich denke nicht. Ich kenne mich hier ja aus.” Immerhin studiert sie ebenfalls hier, wenn sie auch in einem anderen Wohnheim untergebracht ist – und sie zudem den Kontakt zu Mario meidet. Seit zweieinhalb Jahren. Wieder huscht ihr Blick zu diesem, um festzustellen, dass dieser sie erneut ansieht. Ist er wirklich enttäuscht oder wirkt es nur so? Doch egal wie, Elsa wendet sich wieder ihrem Bruder zu. “Aber ich bin mir sicher, wir sehen uns die Tage wieder. Jetzt wohnen wir ja wieder ganz nahe beieinander.” “Da hast du recht.” Gregor legt ihr eine Hand auf die Schulter und drückt diese sanft. Anschließend wendet er sich den Umzugskartons zu. “Und ich versuche vorher noch, zumindest ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen.” “Das ist eine gute Idee, Brüderchen. Na gut, dann gehe ich. Dir einen guten Einstand hier.” Mit einer herzlichen Umarmung verabschiedet sich Elsa von ihrem inzwischen größeren Bruder. Sie nickt Mario zu und verlässt gleich darauf das Zimmer der beiden. Kaum dass sie im Flur des Wohnheimes um eine Ecke gebogen ist, lässt sie ihren Rücken gegen eine Wand sinken. Man sollte denken, dass sie Mario inzwischen überwunden hat, oder? Aber warum wühlt er sie dann immer noch so auf? Und warum hat er ihren Brief aufbewahrt? Kapitel 7: 7 ------------ “Danke dir, Elsa.” “Gerne doch, Brüderchen. Aber das nächste Mal denkst du einfach daran, ja?” “Immer doch, Schwesterherz.” Kaum dass sich Elsa von Gregor verabschiedet hat, macht sie sich mit einem Schmunzeln auf den Lippen auf den Weg aus dessen Wohnheim. Wie als ob er das nächste Mal an die Dinge denken würde, die er eigentlich bei ihren Eltern mitnehmen will. Diese wurden nun ihr in die Hände gedrückt, mit der Bitte, dass sie diese ihrem Bruder doch bitte bringen sollte, immerhin wohnen sie inzwischen wieder nahe beieinander. Aber was würde sie nicht alles für ihre Familie machen? Und das war nun wirklich eine Kleinigkeit. Sie öffnet die große Eingangstüre des Wohnheimes und tritt hinaus. Sie befindet sich in dem noch überdachten Teil des Gebäudes, in dem sich auch die ganzen Briefkästen befinden. Ein paar Meter vor sich, bereits im Freien, kann sie Mario erkennen. Und er ist nicht allein. Wie angewachsen, bleibt Elsa stehen. Das ist also seine Freundin. Wie hieß diese noch gleich? Doch Mario beantwortet ihr die Frage unbewusst sogleich. Das Paar ist nah genug, dass sie die Stimmen gut vernehmen kann. Noch haben die beiden sie nicht wahrgenommen. “Namiko, bitte.” “Was heißt hier bitte? Was soll das?” “Es ist doch nur ein alter Brief.” “Wenn es nur ein alter Brief ist, warum hast du ihn nicht weggeworfen?” “Weil …” Mario stockt, das kann Elsa von ihrem Platz aus erkennen. Ein Brief? Meint seine Freundin etwa … “Es ist ein Brief, Namiko. Es sind ein paar Worte auf einem Zettel.” “Es ist nicht nur ein Brief! Verdammt noch mal, es ist ein Liebesbrief! Ein Liebesbrief! Jemand hat dir damals ihre Gefühle gestanden! Und du bist mit mir zusammen! Es kann wirklich nicht zu viel verlangt sein, dass du die Liebesbriefe von Ex-Freundinnen wegwirfst!” “Sie war nie meine Freundin. Wir waren nicht zusammen.” “Dann kannst du ihn ja erst recht wegwerfen!” Namiko wirft beleidigt die Hände in die Luft, während sich Mario unwohl über den Hinterkopf streicht. Da er nicht reagiert, stemmt seine Gegenüber ihre Hände in die Hüften. “Oder empfindest du etwa doch etwas für diese Elsa?” Die gerade Genannte ist wie erstarrt. Die beiden reden wirklich über ihren Liebesbrief an Mario? Den, den er immer noch besitzt? Den er nicht weggeworfen hat? Aber … warum hat er das nicht? “Namiko. Der Brief ist schon über zweieinhalb Jahre alt. Wir sind bereits seit einem Jahr zusammen. Sollte das nicht mehr bedeuten?” “Dann wirf das Teil weg! Dann können wir uns gerne noch einmal darüber unterhalten.” “Namiko, ich bitte dich. Es ist eine Erinnerung für mich.” “Gut.” Die blonde junge Frau macht einen Schritt nach hinten und verschränkt die Arme vor dem Oberkörper. “Dann haben wir alles besprochen. Melde dich bei mir, wenn du wieder bei klarem Verstand bist!” Und damit dreht sie sich herum und marschiert davon. Mario wirkt ungläubig, während er ihr hinterhersieht. Schließlich lässt er seinen Kopf mit einem lauten Aufstöhnen in den Nacken sinken. Als er ihn wieder aufrichtet, entkommt ihm ein Seufzen. Kurz scheint er unschlüssig zu sein, ob er seiner Freundin folgen soll oder nicht. Er blickt ihr noch hinterher, ehe er in Richtung der Eingangstüre des Wohnheimes sieht – und erstarrt. Sein Blick ist fassungslos auf Elsa gerichtet, die immer noch dort steht. Mit einer Hand hat sie den Oberarm der anderen umfasst und erwidert seinen Blick unsicher. “Elsa”, entkommt ihm. “Mario.” Sie sehen einen Moment nur an, ehe Mario erneut eine Hand an den Hinterkopf führt. “Hast du gehört, was wir … was Namiko und ich …” Noch ehe er aussprechen kann, nickt Elsa. Schon laufen seine Wangen rot an. “Dann … dann hast du vermutlich mitbekommen, dass ich … deinen Brief damals … dass ich diesen immer noch habe und …” “Ich weiß.” “Was meinst du damit, dass du weißt?” Nun sind es auch Elsas Wangen, die Farbe bekommen. Schüchtern schiebt sie eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. “Ich wusste, dass du den Brief noch hast.” “Was? Wie das? Woher weißt du …?” “Als Gregor umgezogen ist, da habe ich doch aus Versehen den Stapel mit Büchern auf deinem Schreibtisch umgeworfen. Und da ist er aus einem der Bücher gefallen.” Sie hebt ihre Hände erschrocken vor sich, als ihr klar wird, wie sich das anhört. “Ich wollte nicht herumschnüffeln, wirklich nicht! Es war unbeabsichtigt.” Ein kurzes Schmunzeln huscht über Marios Züge, ist sogleich aber wieder verschwunden. “Alles gut, Elsa. Das habe ich auch nicht angenommen.” “Ich verstehe nur eines nicht …” “Was meinst du?” Elsa hebt ihren Kopf wieder, sieht ihm direkt in die Augen. “Warum hast du den Brief noch? Immerhin bist du es, der mir damals einen Korb gegeben hat. Warum also bewahrst du ihn immer noch auf?” Mario blinzelt überrascht, ehe er einen Schritt auf sie zu macht und seine Hände abwehrend vor sich hält. “Das ist ein absolutes Missverständnis, Elsa!” “Was meinst du damit? Was für ein Missverständnis?” Sie runzelt ihre Stirn verwirrt und legt dabei den Kopf etwas schräg. Mario scheint wieder unsicher zu werden. “Nun ja, dein Brief … der kam nicht bei mir an.” Der Brief kam nicht bei ihm an? Elsas Verwirrung steigt sekündlich. “Also doch, er kam schon noch bei mir an, aber erst fast neun Monate später.” “Wie? Das … kann doch nicht … Wie soll …?” Elsa schüttelt ihren Kopf, als sie die Gedanken sich in ihrem Kopf drehen. “Ich habe Gregor den Brief mitgegeben. Er sollte ihn dir doch einfach nur geben. Und auf meine Frage bezüglich des Dates hast du dich doch entschuldigt und bist verschwunden.” Sie schüttelt ihren Kopf stärker als zuvor. Es wird ihr einfach nicht klar, was er damit sagen will. “Elsa, ich hätte dir keinen Korb gegeben. Als ich den Brief bekommen habe, da bin ich gleich zu dir gerannt und …” Mario stockt, bricht seinen Satz ab. Er spürt das gleiche Gefühl wieder in sich, das damals über ihn gekommen ist, als Elsa ihm ihren Freund vorgestellt hat. “Ich war zu spät”, flüstert er leise. “Mario …” Elsa ist immer noch fassungslos, weiß nicht, was sie sagen soll. Der Mann, der vor ihr steht, derjenige, in den sie so lange verliebt war, der wollte ihr nie einen Korb geben? Das alles war ein Missverständnis? Ihr Herz schlägt unglaublich schnell und aufgeregt in ihrer Brust. Aber … Ihr Gesicht verschließt sich und sie presst ihre Lippen aufeinander. Der Herzschlag verlangsamt sich wieder. Mario hat mit seiner Aussage recht. Es ist zu spät. Sie hat Mamoru, er Namiko. Es hat eben nicht sein sollen. Ihr Gegenüber scheint ihre Gedanken erkennen zu können. Auch sein Gesichtsausdruck verändert sich. Er schiebt erneut beide Hände tief in die Hosentaschen. “Wenn es dir lieber ist, dann vernichte ich den Brief. Vielleicht wäre es angebracht.” Nicht nur bezüglich Elsa, die immerhin einen Freund hat und der er tief in seinem Inneren unangebrachte Gefühle entgegenbringt – nach all der Zeit noch. Es wäre auch Namiko gegenüber fair, oder? Den Brief vernichten? Elsa beißt auf ihre Unterlippe, ehe sie ihren Kopf schüttelt. “Mario, es ist allein deine Entscheidung, was du tun willst. Wenn du den Brief vernichten willst, dann ist es in Ordnung. Falls du ihn behalten möchtest, dann tue das. Wenn du sagst, er kann weg, dann vernichte ihn. Du entscheidest das. Nicht ich, nicht deine Freundin. Allein du.” Er sieht sie mit einem Ausdruck an, den sie nicht deuten kann. Sie macht einen Schritt nach hinten. “Nun gut, ich muss gehen. Wir sehen uns sicher wieder. Auf Wiedersehen, Mario.” Schon dreht sie sich herum und geht schnell los. Doch dann ertönt ein Satz, der sie innehalten lässt. “Es tut mir leid, Elsa. Ich wünschte mir, ich hätte damals anders reagiert, als ich einfach weggelaufen bin und dir dadurch vermittelt habe, dir einen Korb gegeben zu haben. Das habe ich nicht gewollt. Ich würde mir wirklich wünschen, es wäre anders verlaufen.” Elsas Herz schlägt unglaublich schnell. Sie steht immer noch mit dem Rücken zu ihm. Langsam dreht sie ihren Kopf zur Seite, blickt jedoch nicht über ihre Schulter nach hinten. Sie hat das Bedürfnis, ihm zu antworten. “Ich wünschte mir auch, dass es anders gelaufen wäre … denn ich habe jedes Wort ernst gemeint.” Sie bleibt noch einen Moment stillstehen, wartet, ob von ihm etwas kommt – und tatsächlich: “Und heute? Bedeuten dir deine Worte von damals heute noch etwas? Denn wenn nicht, dann bedeutet auch der Brief nichts mehr. Dann habe ich keinen Grund dafür, weiter an ihm festzuhalten.” Es herrscht Stille zwischen ihnen. Was soll sie auch sagen? “Es bist du, der den Brief festhält. Die Frage ist doch viel mehr, hältst du ihn fest, weil er nur eine Erinnerung ist? Oder … hast du einen anderen Grund dafür? Nur du kennst deine Gefühle. Die damals, die heute. Und ich … der Brief …” Elsa zieht ihre Schultern hoch. “Jedes dieser Worte war ernst gemeint. Ich kann dir nicht sagen, dass er nichts mehr zu bedeuten hat, denn das wäre gelogen.” Die letzten Worte sind geflüstert. Und dann nimmt sie ihre Schritte wieder auf und macht, dass sie wegkommt. Weg von ihm und diesen Gefühlen, die sie überkommen und die nicht gut sein können. Nicht, solange sie beide in Beziehungen sind. Kapitel 8: 8 ------------ Ich empfinde etwas für dich. Schon sehr lange. Und es würde mich glücklich machen, wenn du auch so empfindest. Mario hält Elsas Brief in den Händen, sieht immer wieder diese Zeilen an. Nicht nur sie hätte es damals glücklich gemacht. Ihn ebenfalls. Und heute? Unruhig rutschte er auf seinem Bett, auf dem er sitzt, hin und her. Er kann es nicht verleugnen, wie sollte er auch? Er hat Elsa niemals vergessen. Wie alt war er, als er sich in sie verliebt hat? Zwölf. Mit siebzehn hat er ihr diesen unbeabsichtigten Korb gegeben. Als er neunzehn war, ist er mit Namiko zusammen gekommen. Jetzt ist er zwanzig. Und tief in seinem Herzen ist da immer noch Elsa. Oder warum sonst hätte er vorher so auf sie reagiert? Warum hat er überhaupt diese dumme Frage gestellt, wie ihre Gefühle heute sind? Nein, warum hält er immer noch diesen Brief in die Hand? Warum hat er ihn nie vernichtet? Die Antwort ist klar, oder? Da wird die Türe aufgerissen. Erschrocken zuckt Mario zusammen. “Hey Alter”, stürmt sein bester Freund begrüßend herein. “Ähm, hey” erwidert Mario leise. Sein Tonfall sorgt dafür, dass Gregor beim Schuhe wechseln irritiert innehält und zu ihm blickt. “Alles okay?” Er schlüpft in seine Hausschuhe und tritt auf seinen besten Freund zu. “Was hast du denn da?” Auf dem Bett schließen sich Marios Hände erneut fester um den Zettel. Unsicher blickt er auf. Kann er einfach …? Wobei, Gregor ist sein bester Freund. Wenn er nicht mit ihm reden kann, mit wem dann? “Das ist Elsas Brief …” “Häh? Hat sie dir schon wieder einen Brief geschrieben?” “Nein. Das ist der Brief, den sie mir damals geschrieben hat. Und in dem sie mir ihre Gefühle gesteht.” “Der Brief?” Verwundert lässt Gregor seine Hand sinken, mit der gerade über seinen Hinterkopf gestrichen hat. “Den hast du noch?” “Ja.” Mit einem Seufzen wird das Gesprächsobjekt auf dem Bett abgelegt. “Namiko hat ihn gefunden und nicht so begeistert davon.” “Warum das denn? Ist doch nur ein alter Brief.” “Richtig, das denke ich auch. Sie sagt allerdings, dass ich den Brief auch einfach wegwerfen könnte, wenn es einfach nur ein alter ist.” “Unrecht hat sie damit ja nicht.” Gregor zieht sich einen Schreibtischstuhl heran und lässt sich rittlings darauf nieder. Mit den Armen stützt er sich auf der Lehne ab und sieht darüber hinweg Mario an. Da dieser nichts erwidert, hebt er seine Augenbrauen. “Aber du kannst ihn nicht einfach wegwerfen, was?” Langsam schüttelt der Gefragte seinen Kopf. “Nein. Schlussendlich ist er halt …” “Halt was?”, fragt Gregor nach einem Moment, in dem Mario seinen Satz nicht fortsetzt. Es dauert noch einen Moment, ehe Mario antwortet. “Er ist von Elsa.” Nun ist es Gregor, der nicht sofort reagiert. Erstaunt sieht er seinen besten Freund an. “Du willst mir aber nicht sagen, dass du immer noch etwas für meine Schwester empfindest”, bringt er schließlich hervor. “Ich weiß es nicht …” Mario dreht seinen Kopf und legt eine Hand auf den Brief, der neben ihm auf der Bettdecke liegt. Sein Blick mustert erneut die Worte, die dort stehen: Ich empfinde etwas für dich. Schon sehr lange. Und es würde mich glücklich machen, wenn du auch so empfindest. “Aber … du bist mit Namiko zusammen. Schon über ein Jahr.” “Ich weiß, Gregor. Ich weiß das, wirklich. Und ich bin mit ihr zusammen, weil ich mich in sie verliebt habe. Aber dennoch …” “Dennoch ist da noch Elsa …” “Ja. Weißt du …” Mit beiden Händen reibt sich Mario über das Gesicht. “Ich bin damals, als ich den Brief gelesen habe, sofort zu Elsa gerannt. Ich wollte ihr sagen, dass ich sie auch mag. Dass ich mit ihr ausgehen will. Und sie hat mir an dem Tag Mamoru vorgestellt – als ihren Freund.” “Das war …” … schlechtes Timing, will Gregor sagen, doch Mario unterbricht ihn. “Es war scheiße!” Man kann erkennen, wie Gregor regelrecht in sich zusammensinkt. “Es ist allein meine Schuld”, murmelt er. “Hätte ich dir den Brief direkt gegeben und ihn nicht vergessen, dann wäre sicherlich alles anders gekommen.” “Genau das ist es, worüber ich mir Gedanken mache. Dieses dumme was-wäre-wenn. Was, wenn ich den Brief früher erhalten hätte? Dann wären Elsa und ich doch zusammen, oder? Wir wären sicherlich glücklich, ich kann es mir nicht anders vorstellen. Sie war das erste Mädchen, in das ich mich verliebt habe. Und ich war verdammt lange in sie verliebt. Sie war schon immer meine absolute Traumfrau.” Gregor spannt sich an. Schon immer – ist sich Mario eigentlich bewusst, was er damit ausdrückt? Dass sie es immer war, sagt doch eigentlich aus, dass sie es auch heute noch ist, obwohl er in einer Beziehung ist. Und Elsa ebenso. “Du hast also das Gefühl, dass du den Brief nicht wegwerfen kannst”, tastet er sich vorsichtig ran. Erneut zögert Mario, ehe er langsam seinen Kopf schüttelt. “Nein”, flüstert er schon fast. “Das bedeutet, dass du noch etwas für meine Schwester empfindest.” Mario hält inne, erstarrt und ihm ist anzusehen, dass sein Kopf regelrecht rattert. “Das … das ist …” Er kann es doch nicht einfach laut aussprechen. Denn das würde bedeuten, dass er etwas zugeben muss. Etwas, das seiner Freundin, Namiko, gegenüber unfair ist. Und auch Elsas Freund gegenüber. Sie ist doch glücklich mit ihrem Mamoru, oder? Die Zwei sind jetzt auch schon lange Zeit ein Paar. “Mario.” Gregors Tonfall ist zwar weich, aber unnachgiebig. “Du hast immer noch Gefühle für meine Schwester. Du hast noch nicht mit Elsa abschließen können.” Erneut schießen Mario die Gedanken durch den Kopf, die er erst vorher hatte. Mit wem, wenn nicht mit seinem besten Freund, sollte er darüber reden können? Langsam nickt er. “Weiß Elsa es?” “Sie weiß, dass ich den Brief noch habe, ja.” “Nein, ich meine, ob sie von deinen Gefühlen für sie weiß.” Ein Schulterzucken folgt auf Gregors Frage. “Vielleicht vermutet sie es, ich weiß es nicht. Aber ich habe sie gefragt, ob ihr Brief für sie heute auch noch eine Bedeutung hat. Sie meinte, dass sie nicht sagen kann, dass er nichts mehr bedeutet, weil das gelogen wäre. Und dann ist sie schnell gegangen. Heißt das im Umkehrschluss nicht, dass sie auch noch Gefühle hat?” Nun ist sein Gesprächspartner verwirrt. “Häh? Wann hast du hast Elsa gesehen?” “Kurz, bevor du vorher gegangen bist. Sie stand unten vor der Eingangstüre, als ich gekommen bin und hat mitbekommen, wie sich Namiko wegen des Briefes aufgeregt hat. Als sie weg ist, hab ich Elsa entdeckt und wir haben geredet. Ich habe ihr gesagt, wie es damals wirklich war. Dass es sich um ein Missverständnis handelt und ich wirklich gerne mit ihr ausgegangen wäre. Und sie meinte dann, dass ich wissen muss, was mir der Brief bedeutet und dass ich entscheide, ob ich diesen wegwerfen oder behalten mag. Dass es meine Gefühle sind, die da entscheiden und nicht die von jemand anderen.” Mario springt auf, beginnt durch den Raum zu tigern. “Ich weiß nicht weiter, Gregor, wirklich nicht. Ich bin mir sicher, dass ich Namiko liebe. Aber Elsa … Ich würde den Brief auf der einen Seite wirklich gerne nehmen und wegwerfen, auch wegen meiner Freundin. Aber … Elsa. Ich bekomme sie nicht aus meinem Kopf!” Er bleibt stehen, sieht Gregor an, dessen Blick ebenfalls auf ihn gerichtet ist, ihm aufmerksam zuhört. “Ich kann sie nicht vergessen. Schon so lange Zeit nicht. Heißt das nicht auch etwas?” Ein Seufzen entkommt Gregor, dann steht er ebenfalls auf. Er geht zu Mario und legt diesem eine Hand auf die Schulter. “Na komm, gehen wir eine Runde Fußball spielen. Du musst dringend an etwas anderes denken. Den Kopf leer bekommen. Und erst dann kannst du versuchen, klarer zu denken.” Verwirrt sieht Mario seinem besten Freund hinterher, als dieser wieder zu seinen Schuhen geht und in seine Sportschuhe schlüpft. Anschließend ergreift er den Fußball, der daneben auf dem Boden liegt. Er dreht den Kopf nach hinten. “Kommst du, Käpt´n?” Dieser zögert noch einen Augenblick, ehe er nickt. Gregor wird recht haben. Den Kopf leer bekommen – und dann anfangen, all seine Gedanken zu ordnen. Das wird am sinnvollsten sein. Muss es einfach. Kapitel 9: 9 ------------ Juni X3 Zwei Jahre und neun Monate nach dem Brief “Na komm her!” Gregor, der auf dem Boden sitzt, fasst nach den Ohren des Akita Inus vor sich und krault diesen dahinter. Maradona lässt ein zufriedenes Schnaufen hören, ehe er sich neben sein Herrchen fallen lässt. Inzwischen ist der Hund auch schon ein Opa und dementsprechend ruhiger geworden. “Schatz.” Gregor streicht nun über Maradonas Rücken. “Schatz?” Als keine Reaktion kommt, hebt er fragend seinen Kopf. “Elsa?” Diese schreckt auf dem Sofa hoch und dreht sich zu dem neben ihr Sitzenden, der sie ein paar Mal angesprochen hat und sie nun verwundert mustert. Schnell zieht sie ihre Hand nach unten. Wie so oft, wenn sie etwas beschäftigt, hat sie auf ihrem Daumennagel gekaut. “Mamoru?” “Ich wollte dir sagen, dass ich kurz mit Kenji telefonieren müsste. Wegen unserer Partner-Hausarbeit. Aber ist bei dir alles in Ordnung? Ich hab dich jetzt mehrmals angesprochen und du hast nicht reagiert.” Sie schüttelt ihren Kopf. “Nein, nein, alles okay. Entschuldige. Ich habe nur … nachgedacht.” Mamoru wirkt, als würde er noch etwas fragen wollen, ehe er nur schief grinst. “Na gut. Aber wenn etwas ist, dann sagst du es mir, oder?” Gregor kann von seinem Platz aus erkennen, wie ein Schatten über die Augen seiner Schwester huschen, ehe sie sich zu einem Lächeln zwingt – zumindest wirkt es nicht sonderlich echt. “Natürlich. Dann geh du telefonieren.” “Mache ich. Ich hoffe, es dauert nicht zu lange.” “Es wird so lange brauchen, wie es braucht … oder du es zulässt.” “Stimmt auch wieder.” Mit einem Lachen und dem Handy in der Hand, verlässt Mamoru das Wohnzimmer der Familie Daichi, wo sich nun außer dem Hund nur noch die Geschwister aufhalten. Conny ist mit Akane Daichi, Elsas und Gregors Mutter, in der Küche, weil sie dort etwas hilft. Elsa sieht ihrem Freund noch einen Augenblick nachdenklich hinterher, ehe sie wieder geradeaus blickt. Der Fingernagel wandert erneut zwischen die Zähne. Und eigentlich starrt sie auch eher ein Loch in die Luft, denn sie visiert nicht wirklich etwas an. Gregor presst seine Lippen fest aufeinander. Unaufmerksam, nachdenklich, nicht wirklich da. Dazu trotzdem hippelig und unsicher. Dieses Verhalten kennt er. Er durfte es bereits die letzten Tage ständig beobachten. Bei seinem besten Freund. Das fing an, als dieser mit Elsa gesprochen hatte. Ob sie sich die gleichen Gedanken wie Mario macht? “Hey Elsa”, richtet er vorsichtig an seine Schwester. Im Gegensatz zu Mamoru hat er Glück, denn sie reagiert sofort auf ihn. “Ja?” Erneut lässt sie ihre Hand sinken, umfasst sie mit der anderen. “Was ist los?” Seine Frage scheint sie zu überraschen, denn ihre Augen weiten sich, vielleicht sogar ein wenig schuldbewusst? Schnell dreht sie ihren Kopf zur Seite. Anscheinend ist es ihr bewusst, dass er sie lesen kann. “Alles gut”, nuschelt sie. “Das stimmt nicht und das wissen wir beide. Ist es …” Gregor zögert. “Ist es wegen des Briefes?” So schnell, wie sich ihr Kopf zu ihm dreht, scheint er ins Schwarze getroffen zu haben. “Was?” Ihre Stimme ist hoch. Noch einmal presst Gregor seine Lippen fest zusammen, ehe er seinen Kopf leicht neigt. “Es tut mir leid, Elsa. Wirklich. Von ganzem Herzen. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich den Brief damals vergessen habe.” Sie blinzelt, ihr Mund öffnet und schließt sich ein paar Mal. “Ich habe dich nur um eine Sache gebeten”, entkommt ihr leise und mit gepresster Stimme. “Um eine Einzige.” “Ich weiß. Und ich habe es versaut. Es tut mir leid.” Reumütig senkt Gregor seinen Kopf ein Stück tiefer. “Es tut dir leid?” Nun klingt Elsas Stimme ungläubig, schon fast fassungslos. Tränen treten in ihre Augen. “Verdammt Gregor, mit `es tut mir leid´ wird das Ganze nicht ungeschehen. Ich habe meinen ganzen Mut zusammennehmen müssen! Ich habe all meine Gefühle aufgeschrieben, sie ihm gestanden. Du solltest ihm nur den Brief geben. Und du? Du vergisst ihn!” “Elsa, ich …” Doch Gregor kann nicht aussprechen, da springt seine Schwester auf. Wut blitzt in ihren Augen, ist durch die Tränen hindurch zu erkennen. Sie schwingt auch in ihrem Tonfall mit. “Deinetwegen kam es zu diesem riesigen Missverständnis! Hättest du getan, worum ich dich gebeten habe, dann wäre es sicherlich anders gekommen. Dann wäre ich nicht davon ausgegangen, dass er mir einen Korb gegeben hätte. Wir wären ein Paar geworden und glücklich miteinander. Stattdessen habe ich so viel geweint wie nie zuvor in meinem Leben. Weil du es einfach `vergessen´ hast!” Sie unterstreicht das Wort vergessen, in dem sie mit ihren Fingern Anführungszeichen andeutet. “Aber Schwesterherz. Du bist doch auch mit Mamoru glücklich, oder?” Unsicher hebt Gregor seinen Kopf. Er weiß nicht, wie er jetzt richtig reagieren soll. Und warum reagiert überhaupt sie so wütend? “Das ist egal! Es wäre alles anders gelaufen! Es wäre so gewesen, wie ich es mir immer gewünscht habe. Mario war der, den ich wollte, für den ich Gefühle habe. Und du … du bist schuld an all dem! Also nein, komm mir nicht damit, dass es dir leidtut. Spar dir dein Geheuchel einfach!” Elsas Stimme peitscht laut durch den Raum. Tränen rinnen unaufhaltsam über ihre Wangen. Und doch kann man ihr die Wut entnehmen. Sie hallt in ihrem Tonfall mit, schüttelt ihren ganzen Körper, sodass sie die Fäuste fest zusammenballen muss. Die Tränen sind zu einem Teil dieser Wut entsprungen, zum anderen dem Schmerz, der in ihr zu toben scheint. “Elsa, Gregor! Was ist hier los?” Akane Daichi kommt ins Wohnzimmer, gefolgt von Conny. Kurz darauf kommt auch Ryotaro Daichi, Elsas und Gregors Vater dazu. Die laute, wütende Stimme hat sie alle aufgescheucht. “Es ist …” Gregor erstarrt erneut. Was soll er sagen? “Gregor ist unzuverlässig, das ist los! Er macht alles kaputt!” Die Worte kann Elsa nur durch Schluchzen hervorbringen. Akane tritt zu ihr, legt einen Arm um die Schultern ihrer Tochter. “Was genau ist denn passiert? Was hat er deiner Meinung nach falsch gemacht?”, fragt sie mit sanfter Stimme. Gregor hebt seinen Kopf und erkennt, dass Conny zu ihm kommen will. Er schüttelt sanft seinen Kopf, ehe er sich erneut Elsa zuwendet. “Schwesterherz, es tut mir wirklich leid. Was kann ich tun, um das Ganze wieder aus der Welt zu schaffen?” Ihr Blick trifft seinen und sie schüttelt ihren Kopf. “Du kannst nichts mehr machen.” Ihre Wut scheint zu verrauchen, dem Schmerz zu weichen, den man ihrer fast tonlosen Stimme nun entnehmen kann. Ihre Emotionen scheinen durcheinanderzuwirbeln. “Was ist hier denn los?” Es ist Mamorus Stimme, die die angespannte Stimmung unterbricht. Elsas Freund steht in der Türöffnung und sieht sich verwundert um. “Nichts”, flüstert Elsa und befreit sich gleich darauf aus der halben Umarmung ihrer Mutter. “Aber wir gehen jetzt.” “Wie? Warum wollt ihr denn schon gehen? Wir haben Connys Kuchen noch gar nicht probiert.” Verwundert mustert Akane sie. So kennt sie ihre Tochter nicht. So aufgebracht und aufgelöst in einem. “Da hat deine Mutter recht, mein Kind”, fügt Ryotaro hinzu. “Das ist egal.” “Aber Schatz, ich hätte schon noch Lust auf Kuchen.” Mamoru lächelt seine Freundin liebevoll an, doch diese weicht seiner Kontaktaufnahme aus. “Dann bleib, wenn du noch bleiben willst. Ich aber gehe.” “Elsa!” Gregor macht einen Satz nach vorn, als diese zur Türe läuft. Doch sie schlägt einen Haken, weicht ihm aus. “Elsa”, erklingt auch Connys sanfte und liebevolle Stimme, während sie ihre Freundin besorgt mustert. Diese schüttelt ihren Kopf. “Lass es, bitte.” Und damit ist Elsa aus dem Raum verschwunden. Mamoru sieht genauso verwirrt aus, wie der Rest der Familie seiner Freundin. Doch er verneigt sich schnell und verabschiedet sich, ehe er ihr folgt. Im Flur zieht sie gerade ihre Schuhe an und greift nach ihrer dünnen Jacke sowie ihrer Handtasche. “Warte, ich komme gleich mit.” “Du kannst wirklich noch bleiben, Mamoru. Du musst meinetwegen nicht ebenfalls gehen.” “Ich will aber. Du bist meine Freundin, Schatz. Und ich bleibe an deiner Seite.” Auf seine Aussage ist Elsa kurz wie erstarrt. “In Ordnung”, flüstert sie. Und doch weicht sie seinem Blick beharrlich aus. Er darf nicht sehen, was in ihr vorgeht. “Willst du mir sagen, was gerade los war?” Sie schüttelt ihren Kopf. “Sicher? Manchmal ist es ganz gut, wenn man mit jemandem redet und …” “Ich will aber nicht reden, Mamoru. Bitte akzeptier das einfach.” Er zögert einen Moment, ehe er nickt. “In Ordnung. Wenn du das so willst. Aber ich bin trotzdem da.” “Danke dir.” Und doch ist es nichts, was sie mit ihrem Freund besprechen kann. Denn wie soll sie ihm sagen, dass sie immer noch an einen anderen denkt? Einen Jungen, der vor fast zwei Monaten alles in ihr wieder aufgewirbelt hat und Gefühle hervorgebracht, die sie schon lange verschlossen glaubte. Kapitel 10: 10 -------------- “Es geht ihr genauso wie dir.” Dieser Satz schwebt durch den Raum, in dem sich Mario und Gregor befinden. Ersterer sitzt an seinem Schreibtisch und versucht eine Hausarbeit zu schreiben. Ablenkung soll guttun, oder? Zweiterer ist vor 15 Minuten reingekommen, hat die Schuhe ausgezogen und sich kurz darauf mit dem Rücken auf sein Bett fallen lassen. Mit unter den Kopf gelegten Armen starrt er die Zimmerdecke an. Außer einem `Hallo´ hat er kein weiteres Wort mit seinem besten Freund gewechselt. Und nun das. Mario ist für einen Moment wie erstarrt. Was genau will Gregor damit sagen? Etwa dass … Abrupt dreht er sich mit seinem Schreibtischstuhl herum, richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf seinen besten Freund. Dieser sieht inzwischen auch in seine Richtung und kaum dass sich ihre Blicke treffen, spricht er weiter. “Sie fühlt wie du.” “Du meinst …” “Meine Schwester, ja.” “Aber … woher … wie …” Nun ist es Mario, der keine Worte finden kann. Seine Hände zeichnen unbeabsichtigt und nervös Kreise in die Luft. “Sie ist heute Mittag bei meinen Eltern ausgerastet. Hat mir die Schuld daran gegeben, dass ihr beide kein Paar seid. Ich meine”, Gregor zieht eine Hand nach vorn, greift seinen Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger und drückt diese zusammen, während er auch seine Augen fest zusammenpresst, “sie hat ja auch recht damit. Ich habe den Brief vergessen. Aber …”, mit einem Seufzen sinkt die Hand wieder und der Jüngere dreht erneut seinen Kopf, sodass sich sein Blick und der seines besten Freundes wieder treffen, “sie meinte, dass wenn das nicht passiert wäre, dann wärt ihr ein Paar geworden und immer noch glücklich.” Auf diese Beichte, Aussage, wie auch immer man es nennen will, herrscht Stille. Zum Schneiden dicke Stille. Mario kann nicht fassen, welche Worte gerade gefallen sind. Bedeutet das nicht, dass Elsa sich wünschen würde, dass sie beide, sie und er, ein Paar wären? “Was … bedeutet das?”, fragt er vorsichtig. “Ich weiß es nicht, Mario. Aber Folgendes weiß ich: Ihr seid beide in einer Beziehung. In jeweils einer, die schon länger als nur ein paar Monate geht. Also egal, was ihr macht, klärt das vorher.” Auf diese Antwort herrscht wiederholt Schweigen im Raum. Aber was soll Mario auch sagen? Gregor hat vollkommen recht. Er ist in Namiko zusammen. Und er liebt sie ja auch. Oder? Eine leise Stimme in seinem Inneren bringt ihn erneut zum Schwanken. Er muss nachdenken und sich seinen Gefühlen klar werden. Dringend! ~✒️~ Während sie die Treppe hinunterläuft, kramt Elsa in ihrer Tasche, ob sie alles dabeihat. Sie will zur Bibliothek, um dort zwei Bücher zurückzubringen und zwei neue auszuleihen, die sie für ihr Studium benötigt. Sie hat gerade das Wohnheim verlassen und hebt ihren Kopf, als sie wie erstarrt stehen bleibt. “Hey Elsa.” Sie braucht einen Moment, ehe sie antworten kann. “Hallo, Gregor.” Zögernd tritt sie auf ihn zu. “Du willst zu mir?” Sofort nickt er und zieht eine Hand aus der Hosentasche, mit der er durch seine Haare streicht. “Ja. Ich …”, er mustert seine Schwester, die ihn immer noch beäugt, “ich möchte mich bei dir entschuldigen. Für Sonntag. Aber auch noch mal für die Sache vor fast drei Jahren. Du hast vollkommen recht. Ich habe es wirklich versaut. Und ich kann auch verstehen, dass du mir nicht mehr vertrauen kannst.” Erstaunt sieht Elsa ihren Bruder an, ehe sie zu ihm tritt. “Gregor, es ist … ich muss mich viel mehr bei dir entschuldigen. Alles, was ich dir an den Kopf geworfen habe, das war nicht fair. Wir müssen nicht darüber reden, wie beschissen es war, dass du den Brief nicht weitergegeben hast, obwohl ich dich darum gebeten habe. Aber es ist meine eigene Schuld, dass ich es nie geschafft habe, es Mario zu sagen. Ich hätte zu ihm gehen können, schon zuvor. Oder danach noch mal das Gespräch mit ihm suchen. Ich kann also nicht dich dafür verantwortlich machen, dass ich nicht mit ihm zusammen bin. Das liegt allein in meiner Verantwortung. Es tut mir leid, dass ich so gemein war.” Überrascht lässt Gregor seine Hand sinken, ehe ein Lächeln auf seine Züge tritt. “Ach Schwesterherz. Ich hab dich lieb.” “Ich dich auch.” Die Geschwister sehen sich lächelnd an, ehe Gregor mit seinem Kinn in eine Richtung deutet. “Lust auf einen Tee? Dann könnten wir noch ein wenig reden. Also wenn du Zeit hast, natürlich nur.” Elsa hebt ihre Hand, blickt auf die schmale, silberne Uhr an ihrem Handgelenk und nickt gleich darauf. “Ja, gerne. Ich muss nachher noch in die Bibliothek, aber eine Stunde habe ich für dich.” “Weißt du was, Schwesterherz”, kurzerhand greift Gregor nach ihrer Hand, die sie gerade erst wieder hat sinken lassen und hakt sie damit bei sich ein, “dann gehen wir doch einfach in das Café im Erdgeschoss der Bibliothek. Dann ist dein Weg nachher kürzer.” ~✒️~ “Darf ich dich etwas fragen?” Erstaunt hebt Elsa ihren Kopf. Gregor rührt mit einem Löffel in der heißen Schokolade, die er sich bestellt hat. Sie selbst hat einen Tee vor sich stehen. “Natürlich.” “Gut.” Nachdenklich lässt er den Löffel sinken. “Wegen Sonntag …” Schon färben sich Elsas Wangen vor Unbehagen rot. Sie weicht Gregors Blick aus. “Ja?” Ihre Stimme klingt unsicher. Vermutet sie, was er fragen wird? “Was du da alles gesagt hast, bezüglich Mario.” “Ja …?” Doch, ihre Stimme ist eindeutig unsicher. “Es hat sich so angehört, als hättest du damit noch nicht abgeschlossen. Als hättest du mit Mario noch nicht abgeschlossen.” Auf diese Aussage, eher eine Feststellung, herrscht einen Moment Ruhe. Elsa lässt ihren Kopf etwas sinken. Sie greift nach den Zuckerpäckchen und reißt eines auf, schüttet die weißen, feinen Kristalle in den noch heißen Tee. Mit einem Löffel rührt sie sofort um, beobachtet angestrengt, wie sich der Zucker in der Flüssigkeit auflöst. Vorsichtig hebt sie ihren Kopf und erkennt, dass Gregor sie genau mustert. Schnell nimmt sie das nächste Zuckerpäckchen und verfährt damit genauso. Schließlich legt sich eine Hand auf ihre, verhindert so den Griff nach dem nächsten Päckchen. “Elsa. Ich weiß, dass du normalerweise maximal zwei Stück Zucker in deinen Tee wirfst. Im Normalfall jedoch keinen. Das hier wäre nun das sechste Zuckerpäckchen. Wenn du unsicher bist, dann erzähle es mir einfach, ja? Ich höre dir zu und bin für dich da. Ich bin es, dein Bruder. Und ich merke, dass es dich beschäftigt.” Erstaunt blickt Elsa auf die aufgerissenen und leeren Zuckerpäckchen neben ihrer Tasse. Es sind wirklich schon so viele? Das ist ihr gar nicht aufgefallen. Es war gut, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, sich keine Gedanken über das zu machen, was Gregor gefragt hat, sich stattdessen abzulenken. Sie legt den Löffel neben die Tasse, spürt dabei, wie ihre Finger zittern. “Ich … weiß nicht, was ich sagen soll”, flüstert sie, weicht seinem Blick immer noch aus. “Fang einfach von vorn an. Eines nach dem anderen. Ich stelle dir einfach mal eine Frage. Hast du immer noch Gefühle für Mario? Nach der langen Zeit?” Es dauert ein wenig und Gregor befürchtet schon, dass er keine Antwort bekommen wird. Doch dann … “Ja. Ich … denke schon.” Elsas Hände finden sich um ihre Teetasse, nutzen diese, um sich festzuhalten. “Ich konnte ihn zumindest nie vergessen. Dabei habe ich doch alles dafür getan. Ich bin ihm aus dem Weg gegangen. Habe dafür gesorgt, dass ich ihm nicht mehr begegne. Ich bin nicht mehr zu den Spielen der Kickers. Wenn ich mitbekommen habe, dass er dich besucht hat, bin ich entweder woanders hin oder ich habe mich in meinem Zimmer verschanzt. Auf diese Art und Weise hatte ich gehofft, ihn einfach zu vergessen.” “Hat wohl nicht so gut funktioniert, was?”, brummt Gregor leise, aber sanft, entlockt seiner Schwester ein leises Lachen, das im nächsten Moment unter der Träne verschwindet, die ihre Wange hinabläuft. “Überhaupt nicht. Genauer gesagt, ich war mir sicher, dass ich die Gefühle für ihn gut verdrängt und in mir vergraben habe. Und dann erfahre ich, dass er diesen Brief immer noch hat. Den Brief, in dem ich ihm meine gestanden habe, was ich für ihn empfinde. Von dem ich ausgegangen bin, dass er mir aufgrund dessen einen Korb gegeben hat, weil er meine Gefühle eben nicht erwidert. Und dann treffe ich ihn und alles in mir wird wieder aufgewühlt. Noch dazu erfahre ich ein paar Wochen später, dass dieser vermeintliche Korb ein Missverständnis war. Dass er den Brief nicht bekommen und dass er genauso für mich empfunden hat. Das hat alles mit einem Schlag zurückgebracht. Und seitdem bekomme ich diesen Gedanken nicht mehr aus dem Kopf. Was wäre, wenn es anders gelaufen wäre? Wären wir glücklich? Noch ein Paar? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nicht so wäre. Aber dann ist da auch immer wieder die Tatsache, dass es eben nicht so ist. Wir sind kein Paar. Wir sind nicht zusammengekommen. Und …” “Und du hast Mamoru.” Elsas Griffe um die Tasse herum festigen sich. “Ja”, flüstert sie. Es ist, als würde sie diesen schon allein durch ihre Gedanken betrügen. “Liebst du ihn?” Erneut zögert Elsa auf Gregors Frage, scheint genau nachzudenken. “Ja. Also … ich liebe ihn schon, denke ich zumindest. Ich habe mich damals nur auf ihn eingelassen, weil er so hartnäckig war. Und dann kam Marios Korb und um mich abzulenken, mit dieser Sache klarzukommen, habe ich schließlich zugestimmt. Und er ist ja auch nett, trägt mich auf Händen, ist immer für mich da.” “Na ja, nett ist jetzt kein Adjektiv, dass ich mir für meine Partnerin wünschen würde …” Auf den Einwand ihres Bruders hebt Elsa ihren Kopf und schüttelt diesen. “Nein, so meinte ich es nicht. Ich glaube, was ich damit sagen will ist, dass es mir leichtgefallen ist, mich auf ihn einzulassen. Und ich habe Gefühle für ihn entwickelt. Ich liebe ihn schon. Aber Mario …” “Da hat es sich anders angefühlt.” “Genau.” Gregor mustert seine Schwester genau, die inzwischen wieder auf ihren Tee hinunterblickt. Sie hebt die Tasse, führt sie zu ihrem Mund und nimmt einen Schluck, nur um im nächsten Augenblick das Gesicht zu verziehen. “Zu süß?”, fragt er und kann das Grinsen nicht unterdrücken, das über sein Gesicht huscht. Auch Elsa grinst schief, während sie zustimmend nickt. “Ja. Die vielen Zuckerpäckchen waren keine gute Idee.” Sie sehen sich an, ehe Gregor seufzt. “Weißt du, Schwesterherz, ich finde, Mamoru hat sich die letzten Jahre echt gut gemacht. Wie du sagst, er hat dich auf Händen getragen und sich viel Mühe gegeben. Ich mag ihn, er ist ein netter Kerl, ich hoffe, das weißt du. Also, dass ich ihn mag. Dass er ein netter Kerl ist, davon gehe ich aus, denn ansonsten wärst du sicherlich nicht mit ihm zusammen.” Ein sanftes Lächeln huscht über Elsas Gesicht. Ihr Bruder hat recht. Mamoru ist schon ein feiner Kerl. Aber reicht das? Das Lächeln schwindet wieder, was Gregor nicht entgeht, daher redet er schnell weiter. “Ich mag Mamoru. Aber Mario … Früher hatte ich immer gehofft, dass ihr beide zusammenfindet. Aber mir war immer klar, dass ihr das selbst schaffen müsst und ich mich nicht einmische. Umso dämlicher ist es, dass ich schlussendlich Schuld daran bin, dass dein Liebesgeständnis nicht bei ihm ankam … Wenn ihr beide ein Paar gewesen wärt, das hätte ich schon toll gefunden.” “Weil Mario auch Fußballer ist und ihr dadurch immer tolle Gesprächsthemen hättet.” “Nein. Weil Mario ein toller Typ ist. Das war er schon immer. Und dich hätte ich ihm ohne zu zögern anvertraut. Mit Mamoru musste ich erst noch warm werden.” “Mario kennst du aber auch schon viel länger.” “Das stimmt zwar, aber mit ihm bin ich von Anfang an klargekommen. Seit dem Zeitpunkt, als wir hierhergezogen sind. Also damals, in das Haus unserer Eltern.” “Ich weiß.” Elsa schmunzelt. Dass Gregor nicht die Stadt meint, in der sie wegen ihrer Studiengänge gezogen sind, ist ihr bewusst. “Ich weiß auch, dass du recht hast. Aber es ändert nichts an der Tatsache. Ich bin mit Mamoru zusammen und empfinde etwas für ihn. Mario hingegen”, sie reibt sich übers Gesicht, ehe sie seufzt, “er ist einfach meine Schwärmerei von früher.” “Ja?” “Natürlich.” Mit einem schiefen Grinsen, das ihre Augen nicht erreicht, mustert Elsa ihren Bruder. “Ich war sehr in Mario verliebt. Natürlich kommen da immer wieder `Was-wäre-wenn´-Gedanken, aber die sind meinem Freund gegenüber nicht fair. Und deshalb darf ich sie nicht zulassen. Ich habe Mamoru, er hat seine Freundin. Wir dürfen nichts riskieren. Ich darf nichts riskieren, nur weil ich so nostalgisch werde.” Wieder beobachtet Gregor seine Schwester. Die Worte, die sie ausspricht, die klingen gut überlegt. Sinnvoll. Aber ihre Augen wirken trüb. Traurig. Ob das was sie sagt, wirklich das ist, was sie fühlt? In dem Augenblick hebt sie ihre Tasse erneut zu ihrem Mund. Nach einem Schluck bemerkt sie erneut das Dilemma. Schmunzelnd schüttelt er seinen Kopf. “Na komm, Schwesterherz, bestellen wir dir einen neuen Tee.” Und damit winkt er der Kellnerin zu, die im nächsten Augenblick auf sie zueilt. Kapitel 11: 11 -------------- Part 3 - truth August X3 Zwei Jahre und elf Monate nach dem Brief “Du warst wirklich schon lange bei keinem Spiel deines Bruders mehr, nicht wahr?” Conny lehnt sich auf das Geländer vor sich, während sie über ihre Schulter hinweg ihre Freundin ansieht. Diese schüttelt ihren Kopf. Das war sie tatsächlich nicht. Und das liegt nicht daran, dass sie kein Interesse an Fußball hat. Ihr Blick richtete sich auf das Tor, in dem Gregors Torwart steht. Die grüne Kappe auf dem Kopf, die eine Art Markenzeichen zu sein scheint, ist Marios Blick auf den Fußball fokussiert, der über das Feld gekickt wird. Er ist der Grund, dass sie jedem Fußballspiel ferngeblieben ist. Und das seit bald drei Jahren. “Ich finde es schön, dass du dabei bist. Und ich bin froh, dass du und Gregor euch wieder vertragen habt. So habe ich euch noch nie erlebt.” Elsa zieht ihre Schultern ein Stück nach oben, ihren Blick immer noch auf das Spielfeld gerichtet. “Natürlich haben Gregor und ich auch schon gestritten, das ist unter Geschwistern doch völlig normal. Oder hast du dich noch nie mit Viktor gestritten?” “Doch, natürlich. Sehr häufig sogar.” Ein leises Lachen entkommt Conny. Mit einem Schmunzeln beobachtet auch sie ihren Freund, folgt ihm mit ihren Augen, wie er den Fußball über das Feld jagt. “Und ich weiß auch, dass ihr schon das ein oder andere Mal uneinig wart. Du darfst nicht vergessen, dass Gregor und ich bereits ein Paar sind, seit wir beide vierzehn waren. Es sind jetzt dann schon über vier Jahre. Aber in der all der Zeit habe ich nie erlebt, dass du so auf einen, wie du ihn nennst, normalen Geschwisterstreit reagiert hast.” Auf diese Worte tritt Farbe in Elsas Wange. “Ich weiß nicht, warum ich mich so gegeben habe. Das ist Gregor gegenüber echt nicht fair gewesen.” “Nun ja. Du kannst nichts für deine Gefühle. Und es hat dich verletzt, dass er den Brief vergessen hat.” Im ersten Moment ist Elsa wie erstarrt. Ihre Hände festigen den Griff um das Geländer vor sich. “Du weißt davon.” “Ja. Sei deinem Bruder nicht böse. Du kannst dir sicher sein, dass das, was du ihm sagst, bei ihm sicher ist. In dem Fall musste er mir nur erklären, was vorgefallen ist, dass er dich so gegen sich aufgebracht hat. Und da hat er mir dann verraten, dass er einen Brief von dir nicht weitergegeben hat, obwohl er es dir zugesagt hatte. Und dass er schuld daran ist, dass du und Mario nicht … nun ja.” Elsa ist trotz Connys sanfter und entschuldigender Stimme immer noch wie erstarrt. Doch dann entkommt ihr ein Seufzen und ihr Körper sackt ein wenig in sich zusammen. “Ich habe es ihm auch schon gesagt. Es ist ziemlich sicher nicht seine Schuld, dass sich zwischen Mario und mir nie etwas entwickelt hat. Dass sich etwas zwischen uns entwickelt, stand allein in unserem Tun. Und wir haben es nicht geschafft.” “Du sagst `wir´?” Conny mustert ihre Freundin aufmerksam. “Ja. Ich habe erst vor Kurzem mit Mario gesprochen. Es war Zufall, aber schlussendlich hat er mir gestanden, dass er damals etwas für mich empfunden hat.” “Das ist ja toll!” Elsa hebt ihre Augenbrauen und blickt neben sich, wo die Augen ihrer Freundin regelrecht leuchten. “Was soll daran toll sein? Falls du dich erinnerst, ich habe einen Freund. Und ich bin glücklich mit Mamoru. Mario ist auch in einer festen Beziehung.” “Das … ähm … das habe ich für einen Augenblick tatsächlich vergessen.” Peinlich berührt schiebt Conny eine ihrer schwarzen langen Locken hinters Ohr. Bei ihrem Anblick kann Elsa nicht anders, als leise zu kichern. “Oh man, ich wünschte mir echt, du hättest mich damals mehr anfeuern können. Vielleicht wäre ich dann zu Mario und hätte mit ihm geredet, anstatt ihm nur einen Brief zu schreiben – und diesen dann auch noch meinem Bruder anzuvertrauen.” Auch Conny kichert. “Ich wünschte, ich hätte es getan. Ich hätte es wirklich schön gefunden, wenn ihr beide damals zusammengekommen wärt.” Elsa presst ihre Lippen zusammen. “Ich auch”, flüstert sie und hält ihren Blick stur auf das Spielfeld gerichtet. Ihre Freundin sieht sie von der Seite aus an. Etwas an Elsas Ausstrahlung hat sich geändert und macht der Feinfühligeren klar, dass diese darüber nicht sprechen möchte. Sie kann es verstehen. Anscheinend beschäftigt es ihre Freundin stark, dass Marios und ihr Moment vorbei ist. ~✒️~ Drei zu eins. Ein eindeutiger Sieg für die Kickers. Und auch ein verdienter. Lächelnd sieht Elsa auf die Anzeige der Tafel, die die Tore anzeigt. “Komm mit. Gehen wir zu ihnen.” Conny zupft an dem Ärmel ihrer Freundin und läuft los. Elsa folgt ihr zögerlich. Natürlich ist sie hier, sie hat es Gregor immerhin versprochen. Doch das bedeutet, dass auch er hier ist. Und sie weiß nicht, ob sie wirklich bereit dazu ist, ihm zu begegnen. Und das wird sie unweigerlich, wenn sie nun mit zu Gregor geht. Am liebsten würde sie es wie die letzten Jahre machen und ihm aus dem Weg gehen. Das hat gut funktioniert. Bis zu diesem verdammten Zeitpunkt, als sie ihrem Bruder beim Umzug geholfen und dabei den Brief gefunden hat. Den Brief, der damals so viel verursacht hat und jetzt wieder so viel in ihr auslöst. Doch es geht jetzt nicht um sie, sondern allein um Gregor. Daher muss sie das alles nach hinten schieben und böse Miene zu gutem Spiel machen, wie es so heißt. Sie wird Mario Hallo sagen, das muss reichen. Viel zu schnell sind sie bei den Spielern der Mannschaft angekommen, bei denen Gregor bereits seit der Grundschule spielt und die all die Jahre und die Schulwechsel sowie den Beginn ins Studium oder die Ausbildung der Spieler überstanden hat. Und natürlich ist auch Mario da. Einen Moment sehen sie sich an und Unsicherheit wallt in ihr auf. Zudem steht die junge Frau von dem Foto bei ihm. Seine Freundin. Elsa nickt ihm nur kurz zu, ehe sie weiter ihrer Freundin folgt. “Schatz, ihr habt so toll gespielt!”, jubelt Conny und rennt zu ihrem Freund. “Herzlichen Glückwunsch zu eurem Sieg, Bruderherz.” Auch Elsa tritt zu Gregor und lächelt diesen aufrichtig an. Ein Strahlen liegt auf seinem Gesicht, ehe er erst seiner Freundin einen Kuss gibt und ihr einen Arm um die Mitte legt, ehe er sich seiner Schwester zuwendet. “Danke auch dir vielmals. Es freut mich, dass ihr da wart und uns angefeuert hat. Und dass du tatsächlich nach so langer Zeit mal wieder dabei warst, Elsa, macht mich echt glücklich.” Bei seinen strahlenden Augen und dem breiten Lächeln, kann Elsa gar nicht anders, als dieses zu erwidern. Jedoch nur kurz. Schon im nächsten Moment weicht es aus ihrem Gesicht. “Elsa?” “Ja?”, fragt sie und nun kommt die Unsicherheit endgültig hervor. Es ist Marios Freundin, die sie ansieht, nein, regelrecht anstarrt. “Du heißt Elsa?” “Ja.” Verwundert runzelt die Angesprochene ihre Stirn. Was will Marios Freundin von ihr? “Ist sie es gewesen?”, fragt diese nun und wendet sich an ihren Freund, zeigt dabei mit ihrem Finger auf Elsa. “Namiko, meinst du nicht …”, versucht dieser sie zu beruhigen. Namiko sieht sehr unzufrieden aus. Sein Blick huscht hin und her, von der vor ihm Stehenden zu Elsa und wieder zurück. “Lass das, Mario! Ich will jetzt sofort wissen, ob sie die Elsa ist, die dir einen Liebesbrief geschrieben hat!” Es herrscht augenblicklich Stille. Alle der Kickers blicken ungläubig ihren Kapitän an, dessen Wangen rot anlaufen. “Das ist doch schon lange her, Namiko”, murmelt er und versucht seine Freundin zur Seite zu ziehen, jedoch nicht, ohne Elsa entschuldigend anzublicken. “Du hast den Brief immer noch und kannst dich nicht davon trennen! Das bedeutet, dass du noch etwas von ihr willst!” “Das hatten wir schon. Der Brief ist ein paar Jahre alt.” “Elsa hat dir einen Liebesbrief geschrieben?”, erklingt Tinos Stimme ungläubig, unterbricht Mario, ehe der weitersprechen kann. “Wie lang ist das bitteschön her?” Christoph macht ebenfalls einen Schritt nach vorn. “Das ist schon … eine Weile her”, bringt Mario gepresst hervor, während sein Blick nun von einem zum anderen springt. Auch Elsa lässt er dabei nicht aus, die sich sichtbar unwohl fühlt. “Aber noch bevor du mit Namiko zusammengekommen bist, oder?” Charlie sieht diese an. “Natürlich. Sonst wäre er doch sicher mit Elsa zusammen”, beantwortet Jeremy die Frage seines Zwillings. “Das denke ich genauso. Ich meine, so verknallt, wie er immer in sie war.” Kevin zuckt mit den Schultern und gerade als Daniel den Mund öffnet, um etwas zu sagen, ist es Gregor, der sich laut vernehmen lässt. “Es reicht! Denkt doch bitte einmal mit, bevor ihr redet!” Der Mittelstürmer klingt alles andere als begeistert. “Was meinst du damit?”, will Sascha wissen, folgt dann Gregors Blick zu demjenigen, um den es gerade unter anderem geht. Mario hat die Lippen aufeinandergepresst und man kann erkennen, dass er sich zusammenreißen muss. Seine Hände sind zu Fäusten geballt. Und als Saschas Blick zu der anderen Person, um die es geht, weiter gleitet, merkt er, dass diese ihre Augen auf den Boden gerichtet hat. Sie scheint überall sein zu wohlen, nur nicht hier. “Oh.” “Genau: Oh. Lasst es einfach bleiben. Mario hat es ganz richtig gesagt. Es ist schon lange her. Zudem ist Namiko ebenfalls hier. Also seid ihr gegenüber nicht so unhöflich.” Gregor wendet sich ab, schnappt dabei Marios Augenkontakt auf, der ihm dankbar zunickt. “Gregor hat recht. Daher lasst es einfach gut sein.” Alle beherzigten diese Aussage. Fast alle. Denn eine Person gibt nichts darauf, dass Mario und auch Gregor dieses Thema abhaken wollen. Namiko geht direkt auf Elsa zu und bleibt vor dieser stehen, sieht sie von oben herab an. “Hab ich recht damit? Damit, dass du diese Elsa bist, die meinem Freund einen Liebesbrief geschrieben hat?” Elsas Herz hat einen unangenehmen Takt, während sie sich auf die Unterlippe beißt. “Das ist wirklich schon lange her. Noch zu Schulzeiten …”, erklärt sie leise. “Das ist völlig egal, wann es war! Mario ist mein Freund, er ist mit mir zusammen, ist dir das klar? Du wirst dich von ihm fernhalten und …” Sie kann nicht aussprechen. Eine Hand legt sich um ihren Unterarm und sie wird unangenehm nach hinten gezogen. “Namiko, es reicht!” Mario klingt ungehalten. “Es ist in der zweiten Klasse der Oberschule gewesen. Vor Jahren! Zudem hat Elsa einen Freund! Sie ist schon ein paar Jahre in einer Beziehung. Also lass es bleiben!” Er ist wütend. Auf seine Freunde, weil die solch dummen Sprüche bringen. Auf seine Freundin, weil diese so durchdreht. Ein wenig auf Elsa, dass sie nichts dazu sagt. Auf Gregor, weil dieser damals den Brief vergessen hat. Und vor allem auf sich selbst, denn hätte er Elsa damals offen gesagt, was er für sie empfindet, befänden sie sich nun nicht in dieser Situation. Und das alles macht es nicht besser. “Mario sagt das Richtige”, bringt Elsas Stimme ihn aus dem Konzept. Sie steht vor Namiko und blickt diese mit gehobenem Kopf an. “Ich habe den Brief geschrieben. Vor vielen Jahren. Inzwischen habe ich einen Freund und bin mit diesem schon einige Jahre zusammen. Also mach du dir keine Sorgen deswegen. Zudem ist es allein Marios Sache, wenn er einen Brief von früher behalten will. Da hast du nichts zu bestimmen. Er trifft diese Entscheidung. Also ruinier das, was du hast, nicht, in dem du auf etwas eifersüchtig bist, was bereits Jahre her ist. Sei froh, dass du so einen tollen Freund hast. Es gibt genug Frauen, die dich darum beneiden würden.” Elsas und Marios Blicke treffen sich. Er will gerade etwas erwidern, als sie den Blickkontakt abbricht und sich an Gregor wendet. Aber hat er es richtig erkannt, dass ihre Wangen einen roten Schimmer getragen haben? “Gregor, es war wirklich schön, dir mal wieder zuzusehen. Aber ich gehe jetzt lieber. Mamoru wartet auf mich.” “Schade. Willst du nicht noch mit uns essen gehen? Du kannst Mamoru auch anrufen, dass er dazukommen soll.” Ein Kopfschütteln ist Teil der Antwort. “Nein, lieber nicht. Es ist sicher besser so. In Anbetracht der Tatsachen.” Kurz liegt Elsas Aufmerksamkeit auf Mario und Namiko, ehe sie erneut Gregor zuwendet. “Wir sehen uns bald, versprochen.” Ein paar Minuten später hat sie sich von allen verabschiedet und läuft schnellen Schrittes davon. Sie hat da einfach wegmüssen. Von den Sprüchen der Jungs. Von dieser Tussi. Von Mario und den Blicken, mit denen er sie gemustert hat und in denen so viel mehr gestanden ist, als nur, dass es ihm leidtut. Die Sehnsucht, die sie darin zu erkennen gedacht hat. Und die das gleiche Gefühl auch in ihr ausgelöst hat. Dem Wunsch, ihm näherzukommen. Doch das ist nicht möglich. Es geht nicht. Es sollte damals nicht sein. Und auch heute nicht. Kapitel 12: 12 -------------- Es ist wie ein Déjà-vu. Elsa kommt die Treppen ihres Wohnheimes herunter, tritt durch die Haustüre ins Freie und ihr Name erklingt. Jemand wartet auf sie. Vor ein paar Wochen war es ihr Bruder, der dort stand. Der mit ihr sprechen wollte und wobei es unter anderem um denjenigen ging, der nun vor ihr steht. “Mario?”, entkommt ihr ungläubig. Dieser steht da, streicht mit einer Hand durch die kurzen Haare auf seinem Hinterkopf. Man kann seiner Geste entnehmen, dass er sich unwohl fühlt. Sie tritt ebenso unsicher auf ihn zu, bleibt einen knappen Meter vor ihm stehen. “Was kann ich für dich tun?”, fragt sie, während ihre Hände mit dem Band ihrer Tasche spielen, das über ihre Schulter hängt. “Ich …”, er lässt seine Hand wieder sinken, “ich wollte mich für Namiko entschuldigen. Das, was sie letzten Sonntag gesagt hat, war nicht sonderlich nett von ihr.” Elsas Wangen nehmen einen roten Ton an und sie schiebt sich eine Haarsträhne hinters Ohr. “Das musst du doch nicht. Du hast nichts falsch gemacht.” “Aber es ging um den Brief … Um deinen Brief.” Auch seine Wangen nehmen einen dunkleren Ton an. “Oh … ja …” Eine Hand immer noch hinter ihrem Ohr, senkt Elsa ihren Kopf und weicht seinem Blick aus. “Trotzdem ist es, wie ich es ihr gesagt habe – und dir auch schon mal. Es ist allein deine Entscheidung, was du mit diesem Brief machst. Du entscheidest, ob du ihn wegwirfst oder ob du ihn behältst. Wenn es eine Erinnerung ist, die du gerne behalten willst, dann …” “Es ist nicht nur eine Erinnerung!”, platzt es aus Mario heraus. Die Verwirrung ist Elsa anzusehen, als sie ihren Kopf wieder hebt. “Es …” Er stockt. Ihm wird klar, was er gerade gemacht hat und schluckt. Doch er ist aus einem bestimmten Grund hier und genau deshalb ist es in Ordnung, es auszusprechen. Das zu sagen, was es tatsächlich bedeutet. “Ja, es ist eine Erinnerung”, richtet er mit fester Stimme an seine Gegenüber. “Es zeigt mir, dass du genau dasselbe empfunden hast, wie ich für dich. Und dann ist es auch eine Abmahnung an mich selbst. Es zeigt mir, dass ich einen Fehler gemacht habe. Hätte ich dir einfach schon früher meine Gefühle für dich gestanden, dann wäre es nie passiert. Hätte ich mich damals nicht von meinen Freunden aufziehen lassen, wäre ich nicht weggerannt. Und dann ist da noch der Punkt …” Marios dunkle Augen liegen direkt auf Elsas hellbraunen. Der Blick aus ihnen ist ernst. “Dass ich ihn nicht wegwerfen kann. Deinetwegen. Ich kann dich nicht vergessen. Will es auch nicht. Ich bin in Namiko verliebt, ja. Ich bin mit ihr zusammen. Und doch … doch bist da immer noch du und ich kann dich nicht vergessen.” Er hat es gesagt. Das ausgesprochen, was ihn schon so lange begleitet und was er sich selbst nie so richtig einzugestehen gewagt hat. Er hat ihr die Wahrheit gesagt. Elsas Augen sind geweitet. Man kann ihr anmerken, dass sie sich überfahren fühlt. Und er kann es verstehen. Immerhin hat sie auch eine Beziehung, schon ein paar Jahre. Sie haben sich lange nicht gesehen oder sind sich aus dem Weg gegangen, da ist er sich nicht ganz sicher. Und dann ist da ein kleiner Zwischenfall, der alles wieder aufreißt. Und wegen dem sie weiß, dass er ihren Brief noch hat. “Mario … ich …”, bringt sie mit leiser Stimme und krächzend hervor. “Ich … ich weiß, du bist mit Mamoru zusammen. Und ich ärgere mich darüber, jeden Tag. Als ich damals zu dir gekommen bin, dir auf deinen Brief antworten wollte und dir sagen, dass ich genauso empfinde und mit dir ausgehen will, da … An diesem Tag hast du mir Mamoru vorgestellt, als deinen Freund. Es war für mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich war zu spät, ich war schuld, dass du …” “Mario. Du …” Elsa schüttelt ihren Kopf. Sie muss schlucken, den Kloß aus ihrem Hals bekommen, doch es funktioniert nicht. “Elsa, ich war so sehr in die verliebt. Ich wollte nie eine andere. Du hattest auch Gefühle für mich. Ich war derjenige, der es versaut hat. Aber”, Hoffnung leuchtet in seinen Augen auf, “du empfindest auch noch etwas für mich, nicht wahr?” Es dauert einen Moment, in dem Elsa nach Worten sucht, ihren Mund öffnet und wieder schließt. Doch das Einzige, was sie hervor bekommt, ist sein Name. “Mario …” “Gregor hat es mir gesagt. Dass du auch noch nicht mit mir abgeschlossen hast. Als du erfahren hast, dass er den Brief verloren hat. Du hast dich mit ihm gestritten. Wäre es dir egal, dann wäre das nicht passiert. Und du hast damals, als wir über den Brief geredet haben, gesagt, dass er dir auch noch etwas bedeutet. Dass alles andere gelogen wäre. Elsa”, er tritt direkt zu ihr, greift nach seinen Händen und hält diese fest, während sein Blick immer noch voller Hoffnung auf ihrem liegt, “bitte sei ehrlich zu mir. Was empfindest du für mich?” Elsas Herz schlägt nicht nur doppelt, sondern vermutlich zehnmal so schnell wie zuvor. Seine Worte müssen erst zu ihr durchdringen. Doch sie kann es nicht verleugnen. Etwas macht sie gerade sehr glücklich. Aber … Sie sieht sich um, beobachtet die Menschen um sie herum. Was, wenn jemand, der sie kennt, das hier sieht? Nicht, dass Mamoru etwas davon mitbekommt. Kurzerhand zieht sie eine ihrer Hände aus Marios und dreht sich herum. Die andere Hand hingegen hält sie weiterhin fest. “Komm mit. Lass uns woanders reden, wo uns nicht so viele Menschen sehen.” Und damit läuft sie los, Marios Hand fest in ihrer haltend und ihn so hinter sich herziehend. Marios Herz stockt, als Elsa ihre Hand aus seiner entfernt. Er beobachtet sie, als sie zu einer Bank läuft, die eher in einem Seitenarm des Parks steht, in dem sie sich nun befinden. Es kommt kaum jemand hier vorbei. Er versteht, warum Elsa ihn mit hierher genommen hat. Die Hände in die Hosentaschen schiebend, folgt er ihr. So langsam gewinnt die Unsicherheit in ihm, verdrängt den Mut, den er vorher noch aufgebracht hat. Er folgt ihr zu der Bank. Erst als sie mit der flachen Handfläche neben sich auf die Sitzfläche klopft, zieht er seine Hände wieder hervor und lässt sich langsam neben sie sinken. Sein Blick ist stur nach vorn gerichtet. Er traut sich nicht, sie anzusehen. Natürlich sind sie beide nun hier, aber hat das etwas zu sagen? “Ich … vermutlich wiederhole ich mich”, flüstert sie unerwartet, ist sich trotzdem sofort Marios Aufmerksamkeit sicher, “ich würde lügen, wenn ich sagen würde, da ist nichts mehr. Du …”, sie zögert erneut, überlegt, was genau sie sagen soll, kann, “warst der erste Junge, für den ich je etwas empfunden habe. Meine ganze erste Verliebtheit, das warst du für mich. Und du warst der Erste, dem ich einen Liebesbrief geschrieben habe. Auch der Einzige bisher.” “Mamoru hast du keinen geschrieben?” “Nein. Warum auch? Außerdem habe ich keine gute Erfahrung damit gemacht.” Kurz huscht ihr Blick zu ihm, nur um gleich darauf wieder nach vorn gerichtet zu werden. “Das tut mir leid.” “Muss es nicht. Du kannst nichts dafür. Und ich habe daraus gelernt.” “Gregor nichts mehr anzuvertrauen?” Ihre Mundwinkel heben sich für einen Augenblick belustigt. “Das auf jeden Fall. Zumindest so etwas.” “Auch keine Liebesbriefe mehr zu schreiben?” “Hmm … ich weiß nicht. Vielleicht irgendwann wieder. Aber bis heute will ich es nicht.” “Was hast du dann noch gelernt?” Nun dreht Elsa ihren Kopf zu ihm, um ihn anzusehen. “Das ist mir erst jetzt klar geworden. Dass ich manche Dinge direkt ansprechen muss. Denn hätte ich mit dir geredet, anstatt dir nur einen Brief zu schreiben, wäre heute alles anders. Oder?” Marios Herzschlag nimmt einen Takt zu. Ihre Worte. Diese transportieren viel mehr, als Elsa laut ausspricht. Empfindet er doch genauso. “Ja”, flüstert er mit krächzender Stimme. “Doch egal, was gewesen wäre”, sie wendet ihren Kopf wieder ab, doch Mario hat die Träne im Augenwinkel noch glitzern sehen, “heute ist es anders. Du bist in einer Beziehung, ich ebenfalls. Vielleicht sollte es einfach nicht sein.” “Denkst du das wirklich?” Marios Stimme ist herausfordernd. “Denkst du, unsere Zeit ist vorbei?” “Was?” Elsa sieht ihn verwirrt an. “Wie meinst du das?” “Denkst du wirklich, dass es das für uns war? Dass das damals, dieser Brief, dein Brief, dass der unsere einzige Chance gewesen ist? Ich meine, wir beide sind hier und wir beide spüren, dass da noch etwas ist. Anscheinend haben wir beide noch nicht miteinander abgeschlossen. Was also, wenn genau das jetzt unsere Chance ist?” Elsas Finger umfassen den Rand der Sitzfläche der Bank fester. Sagt er das gerade eben tatsächlich? “Aber …”, sie muss schlucken, “woher weißt du, dass das nicht irgendwelche alten Gedanken sind, die wir in die aktuelle Situation projizieren? Wir hatten die letzten Jahre keinen Kontakt. Dann reden wir miteinander, gerade über diesen Brief, über das, was wir damals empfunden haben. Vielleicht bilden wir uns diese Gefühle auch nur ein.” “Nein. Ich zumindest bilde mir nichts ein. Elsa, ich habe deinen Brief behalten. Weil meine Gefühle für dich immer da waren. Wenn da nichts mehr wäre, dann wäre es auch ein Leichtes für mich, den Brief einfach wegzuwerfen. Doch ich konnte es nicht.” Er streckt eine Hand aus, legt sie sanft auf Elsas Wange, dreht so ihren Kopf zu sich. Sein Daumen zieht sanfte Kreise über ihre weiche Haut. “Kannst du einfach sagen, dass da nichts mehr ist?” Sie schüttelt verneinend ihren Kopf, jedoch nur so leicht, dass seine Hand bleibt, wo sie ist. “Das kann doch nur bedeuten, dass es viel mehr ist, als nur eine Erinnerung an früher.” “Mario, das ändert nichts daran, dass du eine Freundin hast und ich einen Freund.” “Wenn wir Gefühle füreinander haben, könnte es aber etwas daran ändern.” “Und woher willst du wissen, dass diese Gefühle echt sind und eben nicht doch nur eine Erinnerung? Ein Traum, vielleicht sogar ein Wunsch, den wir früher einmal hatten?” Er hält inne, zieht sich ein wenig zurück. Ihre Worte haben anscheinend getroffen. Doch er fängt sich schnell wieder. Seine Hände suchen ihre, halten diese fest. “Elsa, ich will es nicht bereuen. Eine weitere Chance, mit dir glücklich zu werden, erneut vergehen zu lassen. Ich will es nicht noch einmal falsch machen. Und daher …” “Ja?” Er schließt einen Augenblick die Augen, atmet tief durch. Kann er das nun wirklich machen? Doch er empfindet es genauso, wie er es gerade laut ausgesprochen hat. Er will kein weiteres Mal riskieren, sie zu verlieren. “Was, wenn wir herausfinden können, ob unsere Gefühle echt und nicht nur eine Einbildung sind? Würdest du dann mit mir zusammen sein wollen? Würdest du Mamoru verlassen? Für mich? Denn … ich denke, ich werde mich von Namiko trennen.” Ihre Augen weiten sich und ihr Mund steht zu einem kleinen und lautlosen O offen. “Elsa. Geben wir uns drei Tage. Drei Tage, in denen wir uns Gedanken machen können. In denen wir überlegen, was wir wollen. Wir nehmen uns diese Zeit bewusst. Und wenn wir uns für uns entscheiden, dann kommen wir hierher. Dann treffen wir uns in drei Tagen noch einmal, genau hier, an dieser Bank. Und dann können wir zusammen sein. Wir beenden alles andere und beginnen hier neu. Zusammen. Was denkst du?” “Das …” Elsa weiß nicht, was sie sagen soll. Doch trotzdem neigt sie ihren Kopf leicht. Mario. Er ist derjenige, in den sie jahrelang verliebt war. Wie sie es vorher zu ihm gesagt hat. Ihre erste große Liebe. “In Ordnung. In drei Tagen, um diese Uhrzeit”, Mario hebt sein Handgelenk und sieht auf die Uhr daran, “um 17.10 Uhr, treffen wir uns wieder hier. Bis dahin ist uns hoffentlich klar, was wir wollen.” “Das … Und woher wollen wir wissen, ob es echt ist?” Dieser Gedanke treibt Elsa immer noch um. “Dadurch!” Und plötzlich festigt Mario seinen Griff an ihrer Wange, legt seine Zweite auch an ihre andere und beugt sich zu ihr, bis sein Atem ihre Lippen streift. “Sag mir, wenn ich es nicht tun soll”, bringt er leise hervor. Elsas Herz flattert wie ein kleiner Vogel in ihrem Brustkorb. Sie weiß, dass sie eigentlich nein sagen sollte. Aber … sie will es. Sie will es schon seit Jahren wissen. Wie fühlt es sich an, wenn Mario sie tatsächlich küsst? Kapitel 13: 13 -------------- Er hat genau das getan, was er auch zu Elsa gesagt hat. Mario hat sich die Zeit genommen, sich Gedanken gemacht. Was er will. Was sein Herz will. Und er hat sich entschieden. Selbst wenn er sich Elsa gegenüber vielleicht sehr klar angehört hat, was seine Gefühle angeht, ist es nicht so, als ob er sich diese Entscheidung leicht gemacht hat. Auch wenn sie es schlussendlich ist. Er liebt Elsa. Bereits in der Grundschule hat er sich in sie verliebt. Sein Herz gehört ihr, das hat es schon immer. Ob sie es sich bewusst ist, dass sie es schon immer in den Händen gehalten hat? Er hat alle Gefühle, Elsa betreffend, damals, als sie ihm Mamoru vorgestellt hat, in eine Art Kiste in sich eingeschlossen. Zwar hatte er immer gehofft, dass sie irgendwann doch noch einmal vor ihm stehen würde, doch das hat sie nicht getan. Zumindest nicht so, wie er es sich gewünscht hat. Sie war all die Jahre über mit ihrem Freund zusammengeblieben. Daher hatte er auch diese Kiste immer weiter nach hinten geschoben. Und dann hat er Namiko kennen und mögen gelernt. Und ihr hatte er eine Chance gegeben. Die Gefühle für sie waren jedoch nie mit denen für Elsa vergleichbar gewesen. Doch verliebt war er trotzdem. Und dann war Elsa wieder vor ihm gestanden. Und das, was er sich gewünscht hat, all die Jahre über, ist eingetreten. Sie hat ihm gesagt, dass von ihrer Seite aus noch Gefühle für ihn da sind. Gut, es ist nicht ganz so wie erhofft, denn immerhin ist sie immer noch in einer Beziehung mit ihrem Freund und er mit Namiko zusammen. Doch er weiß, was das Richtige ist. Was er zu tun hat. Deshalb ist er hier. Und obwohl er all das weiß, fühlt er sich unsicher. Oder vielleicht auch deswegen. Weil er weiß, was er jetzt tun wird. “Schatz, entschuldige bitte, dass ich so spät dran bin. Ich hab mir noch die Nägel lackiert und dann waren die nicht so schnell trocken, wie ich gehofft habe.” Namiko lässt sich ihm gegenüber am Tisch auf einen Stuhl fallen. Sie sind in der Cafeteria der Universität, in der Mario sie um ein Treffen gebeten hat. “Alles gut”, erwidert er und zwingt sich zu einem Schmunzeln, das sicher schief ausfällt. “Also, was wolltest du von mir? Du hast ja geschrieben, dass du dringend mit mir sprechen musst.” Sie greift nach der Speisekarte, die in der Mitte des kleinen, quadratischen Tisches zwischen ihnen aufgestellt ist. Ihre Augen gleiten darüber, ohne ihren Gegenüber zu mustern. Ansonsten würde ihr auffallen, dass er sich unwohl fühlt. Er schwitzt leicht, seine Finger greifen immer wieder fest um die Eiskarte, die er festhält. Nicht, weil er eines essen will, viel mehr, weil er etwas braucht, um sich daran festzuhalten. “Namiko”, stößt er hervor, nachdem er seinen Mut zusammengenommen hat. “Ja?” Fragend richtet sie ihren Blick nun doch auf ihn. “Ich muss mit dir reden, das ist richtig.” “Und worum geht es? Hast du diesen alten Liebesbrief endlich weggeworfen?” Sie lässt die Karte sinken, legt sie auf dem Tisch ab. Sie spannt sich merklich an. Anscheinend scheint sie, wenn auch noch unbewusst, zu bemerken, weshalb sie beide sich hier treffen. “Mario?” Ihre Stimme zittert leicht, klingt alarmiert. “Namiko”, auch er legt die Eiskarte zur Seite, “wir beide, wir sind schon ein Jahr zusammen. Ich habe diese Zeit auch genossen. Doch …” “Nein, sprich es nicht aus”, fährt sie ihm durch den Satz. “Namiko …” “Oh nein, Mario! Du wirst das jetzt nicht sagen! Du wirst nicht sagen, dass du unsere Zeit so genossen und du mich geliebt hast. Nicht, wenn du gerade mit mir Schluss machen willst!” “Aber …” “Nein! Das ist … du … du kannst dich nicht von mir trennen!” “Namiko.” Während sie ihn ungläubig ansieht, in ihrem Blick auch Schmerz steht, greift Mario über den Tisch nach ihren Händen und versucht sich in einem Lächeln. “Ich lüge nicht. Ich fand unsere Zeit sehr schön. Aber ich merke einfach, dass es zwischen uns nicht mehr passt.” “Nicht mehr passt?” Mit schriller Stimme zieht seine Freundin, Ex-Freundin, ihre Hände aus seinen. “Es hat gepasst. Zumindest bis …” Sie hält inne und ihre Augen weiten sich, als ihr etwas bewusst wird. “Zumindest, bis ich diesen beschissenen Liebesbrief in den Händen gehalten habe, den du so verteidigst. Hat er etwas damit zu tun? Sei ehrlich! Trennst du dich wegen des Briefes von mir?” Überrascht zuckt Mario einen Augenblick zusammen. Dass Namiko so schnell einen Zusammenhang herstellt, hätte er nicht erwartet. Wobei, er macht ja nicht wegen des Liebesbriefes mit ihr Schluss, wenn auch wegen der Verfasserin eines jenen. “Ernsthaft?” Namiko springt auf, starrt von oben herab auf ihn nieder. Ihre Augen sind zu schmalen Schlitzen zusammengepresst und sie ist wütend. “Wegen dieser Schlampe, die den Brief geschrieben hat?” “Elsa ist keine Schlampe”, knurrt Mario zurück. Namiko kann auf ihn wütend sein, das ist in Ordnung. Aber Elsa trifft daran keine Schuld. “Ich sehe unsere Beziehung nicht mehr als richtig an und deshalb beende ich sie. Nicht wegen Elsa, sondern weil ich merke, das mit uns beiden passt nicht. Nicht mehr. Und ja, vielleicht hat es mit diesem Liebesbrief zu tun. Weil du nicht akzeptieren kannst, dass ich eine bestimmte Erinnerung daran habe. Ich habe diesen Brief bereits seit einiger Zeit und bis du ihn gesehen hast, hat er, beziehungsweise Elsa, keinerlei Einfluss auf das zwischen dir und mir gehabt. Oder würdest du es anders sehen? Ich habe es dir erklärt, doch es war dir egal. Sie hat schlussendlich damit recht, dass es allein meine Entscheidung ist, was ich mit dem Brief mache. Doch du wolltest es bestimmen.” “Das … das ist schwachsinnig! Ich bin deine Freundin! Also hast du alles von anderen Frauen wegzuwerfen, ganz einfach!” “Oder du hättest genügend Vertrauen zu mir gehabt, dass du dir da keinen Kopf machen müsstest.” “Tja, anscheinend hat mein Misstrauen recht gehabt. Die Tussi taucht wieder auf und du rennst ihr sofort wieder hinterher. Ganz ehrlich? Da bin ich froh, dich los zu sein. Danke, für das verschwendete Jahr, Arschloch!” Namiko springt auf und greift nach ihrer Tasche, ehe sie nach einem weiteren, verächtlichen Blick auf Mario davon hetzt. Ihr nun Ex-Freund sieht seufzend hinterher. Mit einer Hand streicht er sich durch die kurzen Haare und lässt den Kopf in den Nacken fallen. Das hätte auch schlimmer laufen können, oder? Und obwohl er weiß, warum das sein musste, sticht es ihn ein wenig im Herzen. Er hatte schließlich trotzdem Gefühle für sie und er wünschte sich, es wäre nicht so ausgegangen. Aber sein Wunsch, einfach mit ihr zu reden und dass sie es locker flockig aufnimmt, war von vornherein unwahrscheinlich. Namiko hat ein gewisses Temperament und neigt oft dazu, eine Dramaqueen zu sein. Und daher war das hier sogar noch ein guter Ausgang. Es hätte alles anders laufen können. ~✒️~ Elsa sitzt auf ihrem Bett. Ihr Blick ist ins Leere gerichtet und ihre Finger wandern zum wiederholten Male zu ihrem Mund. Ihre Fingerspitzen streifen leicht über die Lippen und als die Erinnerung zurückkommt, schließt sie ihre Augen. Mario, der ihr näherkommt. Sein Atem auf ihren Lippen. Wie er sagt, dass sie ihn aufhalten soll, wenn er sie nicht küssen soll. Doch wie hätte sie ihn aufhalten sollen? Sie wollte ihn schon seit Ewigkeiten küssen. Wissen, wie es sich anfühlt, wenn er es ist. Ihre erste große Liebe. Und tatsächlich ist sein Kuss sogar noch schöner, als sie es sich je hat vorstellen können. Seine Lippen sind weich und fest zugleich. Sein Geschmack, sein Geruch nimmt sie ein, schwemmt alles in ihr hinfort. Da sind nur noch sie und er, sie beide. Es fühlt sich richtig an. Und sie wünscht sich, dass dieser Kuss niemals geendet hätte. Doch dann hatte sich Mario doch von ihr gelöst und geflüstert, dass sie sich in drei Tagen treffen würden. Und dass dann die Entscheidung getroffen wäre. Und seitdem ist sie überfordert. Mit allem. Vor allem mit ihren Gefühlen. Mario ist derjenige, in den sie seit der Grundschule verliebt ist. Aber dann ist da auch Mamoru. Derjenige, den sie ebenfalls liebt. Mit dem sie bereits seit über zwei Jahren in einer Beziehung ist. Es fühlt sich alles falsch an. Die Empfindungen Mario gegenüber. Die Beziehung zu Mamoru. Doch eines weiß sie. Der Kuss, den Mario ihr gegeben hat, der hat viel in ihr ausgelöst. Ihre Gefühle ihn betreffend sind nur noch mehr geworden. Bei keinem einzigen Kuss, den sie mit Mamoru ausgetauscht hat, hat sie sich so gefühlt. Doch … Mamoru – sie hat ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen. Ein wirklich schlechtes Gewissen. Das ist Betrug. Alles daran. Nicht nur der Kuss, der schon schlimm ist. Noch schlimmer ist, dass sie ihn genossen hat. Dass er mehr in ihr ausgelöst hat. Doch auch einem anderen Mann gegenüber das zu empfinden, was sie für Mario fühlt, ist Betrug. Das hat Mamoru nicht verdient. Wie auch Gregor gesagt hat: Er ist ein guter Kerl. Und er hat nichts falsch gemacht. Wäre es das wert? Alles aufzugeben, für etwas, das sie sich früher einmal gewünscht hat? Es fühlt sich falsch an. Mario hat ihr gesagt, sie soll sich Gedanken machen. Und das tut sie. Ergibt es Sinn, alles herzugeben? Ihre eigentlich gut laufende Beziehung gegen etwas einzutauschen, von dem man nicht weiß, ob es echt oder ob es doch nur Einbildung ist? Soll sie sicher gehen und bei Mamoru bleiben? Oder soll sie sich in etwas Neues stürzen? Ihren Mut zusammennehmen? Es fällt ihr schwer, eine Entscheidung zu treffen. Dabei weiß sie, dass sie eine treffen muss. Als es an der Zimmertüre klopft, zuckt sie zusammen. Doch sie rührt sich nicht. Es klopft erneut. Ein weiteres Mal. “Elsa? Ich weiß, dass du hier bist. Was ist los? Geht es dir gut?” Sie zuckt erneut zusammen. Mamoru. “Komm schon, mach auf.” Es herrscht eine Pause, in der Elsa immer noch sitzen bleibt. Sie kann nicht. Sie fühlt sich so schlecht. “Mach sofort auf! Ich mache mir ganz ehrlich Sorgen um dich. Und wenn du nicht öffnest, dann komme ich anders rein. Es macht mir Angst. Bitte mach auf!” Bei dem Lärm scheint er nun mit beiden Fäusten gegen die Türe zu trommeln. Elsas Blick legt sich auf die Holztüre. Er hat sich wirklich sehr besorgt angehört. Und er scheint es zu sein. Nicht, dass er tatsächlich noch die Türe eintritt. Schwerfällig steht sie auf und schlürft zur Türe. Sie greift nach der Klinke und zögert, drückt sie dann jedoch nach unten. Mamoru, der beide Fäuste in der Luft hebt, mit ihnen an die Türe getrommelt hat, hält erstaunt inne. Als ihm bewusst wird, dass sie tatsächlich geöffnet hat, tritt er herein. “Oh Gott, ich habe schon befürchtet, dass du zusammengebrochen bist. So kenne ich dich gar nicht, Schatz.” Er hängt seine Jacke an die Garderobenhaken, die hinter der Türe an der Wand befestigt sind. “Was ist denn los?” Er dreht sich fragend zu ihr um und erstarrt mitten in der Bewegung, als er ihre blutunterlaufenen und von Tränen aufgequollenen Augen wahrnimmt. Mit beiden Händen greift er nach ihren Schultern. “Elsa, was ist passiert?” Ein leises Schluchzen entkommt ihr. “Mamoru. Ich … ich habe etwas gemacht …” Kapitel 14: 14 -------------- Marios Blick legt sich auf seine Armbanduhr. 17 Uhr. Er ist etwas zu früh dran. Und das, obwohl er noch einen kurzfristigen und ungeplanten Zwischenstopp eingelegt hat. In seiner Hand hält er eine Rose. Eine rosafarbene. Vielleicht ist es etwas kitschig, doch als er gerade an dem Blumenladen vorbeigelaufen ist, musste er einfach eine kaufen. Und nun ist er hier. Im Park, bei der Bank, auf der er erst vor drei Tagen mit Elsa gesessen ist. Und sie geküsst hat. Das erste Mal. Ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen, als er sich daran erinnert. Es war wundervoll. Und er will es unbedingt wiederholen. Sicherlich schon in ein paar Minuten. Erneut sieht er auf sein Handgelenk. 17.03 Uhr. Gleich kommt sie. ~✒️~ 17.23 Uhr. Elsa ist spät dran. Aber es ist alles noch in angemessenen Rahmen. Vielleicht ist sie ja auch aufgehalten worden. Unruhig rutscht Mario auf der Bank hin und her. Er springt auf, läuft ein paar Schritte herum, setzt sich wieder. Dabei huscht sein Blick immer wieder durch die Gegend. Lang kann es nicht mehr dauern. Sie wird kommen, er ist sich sicher. Seine Finger schließen sich um den Stil der Rose, zucken zurück, als er einen Dorn erwischt. ~✒️~ 17.52 Uhr. Sie ist wirklich zu spät dran. Aber sie wird einen logischen Grund haben. Sie muss einen logischen Grund haben. Sie wird ihn nicht sitzen lassen, niemals. Das kann er sich nicht vorstellen. Der Griff um die Rose festigt sich, dreht sie hin und her. ~✒️~ 18.12 Uhr. Eine Stunde. Sie ist bereits eine Stunde zu spät dran. Ob ihr etwas passiert ist? Er hofft nicht. Aber sie wird kommen, davon ist er überzeugt. Sie empfindet für ihn das Gleiche, wie er für sie. Das weiß er. Gleich, nur noch ein paar Minuten. ~✒️~ 18.37 Uhr. Elsa ist noch nicht hier. Ob er ihr die falsche Uhrzeit gesagt hat? Oder hatte er es falsch im Kopf? Vielleicht hat sie ja anstatt 17 Uhr sieben Uhr und damit 19 Uhr verstanden. Doch, das muss es sein. Dann ist es ja nur noch eine knappe halbe Stunde. Marios Herz macht einen Satz. Das muss es sein. Endlich versteht er, warum sie noch nicht hier ist, bei ihm. ~✒️~ 19.22 Uhr. Sie ist nicht da. Elsa ist immer noch nicht gekommen. Aber wenn sie die Uhrzeit verwechselt hat, dann ist es noch im Rahmen, oder? Mario beißt die Zähne fest aufeinander. Er will nicht daran denken, dass sie nicht kommt. Sie wird kommen. Sie muss kommen! ~✒️~ 19.55 Uhr. Er muss es sich langsam eingestehen, oder? Doch trotzdem sträubt sich alles in Mario dagegen. Er will es sich nicht eingestehen. Und genauso wenig nimmt er wahr, dass er erneut in einen Dorn greift, der seine Haut durchbricht und dafür sorgt, dass sich ein Blutstropfen den Weg über den Finger bahnt. ~✒️~ 20.10 Uhr. Drei Stunden. Es sind drei Stunden vergangen. Elsa ist nicht gekommen. Und wieder fühlt sich Marios Herz an, als würde es brechen. In viele kleine Stücke. Wie damals, als sie ihm Mamoru vorgestellt hat. Es ist, als würde jemand sein Herz zwischen die eiskalten Finger nehmen und zusammendrücken. So stark, dass es kaputtgeht. Genauso empfindet er gerade. Wie betäubt steht er auf. Die Rose, die er bis gerade noch fest zwischen den Finger gehalten hat, lässt er einfach liegen. Sie sieht nicht mehr so schön aus, wie vorher, als er sie gekauft hat. Dort hat sie noch gestrahlt. Die Blütenblätter haben frisch und fest ausgesehen, eine wunderschöne Blüte gebildet. Der Stiel war leuchtend grün, die Blätter daran hatten sich in die Höhe gereckt. Doch davon ist nicht viel übrig geblieben. Der Blütenkopf ist gesenkt, von den kraftvollen Blütenblättern und Blättern ist nicht mehr viel zu sehen, zweiteres durch das ständige durch die Hände gerieben werden, kaputt. Der Stiel ist in der Mitte gebrochen. Doch Mario interessiert das nicht mehr, als er davonläuft. Die Blume wird nie bei der Person ankommen, für die sie gedacht war. ~✒️~ An Marios innerlicher Betäubung hat sich nichts geändert, als er beim Wohnheim ankommt. Das Einzige, das ihm durchgehend durch den Kopf geht, ist, dass Elsa sich gegen ihn entschieden hat. Dass auch die zweite Chance, die sie beide gemeinsam gehabt hätten, zerbrochen ist. Als er sein Zimmer betritt, schallt ihm schon die Stimme seines besten Freundes entgegen. “Ah, Mario, du bist wieder da. Wo warst du denn so lange?” Der Angesprochene erstarrt, doch ehe er etwas antworten kann, redet Gregor schon weiter. “Aber egal, was und wo, als ich vorher gekommen bin, ist ein Brief an unserer Zimmertüre geklebt. Für dich. Laut der Schrift dürfte es meine Schwester gewesen sein. Ich verstehe nicht, warum sie nicht auf uns gewartet hat oder …” Gregor kann nicht ausreden, da steht Mario schon vor ihm und reißt ihm den Brief aus den Händen. Der Jüngere hat recht. Das ist Elsas Schrift. Er hat ihren Liebesbrief inzwischen so oft gelesen und angeschaut, er kennt ihre Schrift in- und auswendig. Und er weiß, wie sie seinen Namen schreibt. Der Name, seiner, der ihm auf dem Briefumschlag entgegenblitzt, ist eindeutig von ihr geschrieben. Schnell öffnet er den Brief, lässt den Umschlag einfach zu Boden fallen, während er das Blatt Papier auffaltet. Mario, es tut mir leid. Aber ich kann nicht. Es ist nicht, weil da nichts mehr wäre. Ich empfinde immer noch sehr viel für dich, das werde ich vermutlich immer. Doch ich kann die Zeit mit Mamoru nicht einfach wegwerfen. Das hat er nicht verdient. Bitte denke nicht, dass ich dich deshalb vergessen könnte. Doch sicherlich wäre es besser, wenn du mich vergessen würdest. Du hast es verdient, glücklich zu sein. Ich befürchte, dass es jedoch nicht ich bin, die dich glücklich machen kann. Bitte werde glücklich. Elsa Mario starrt ungläubig auf den Brief in seinen Händen. Er versucht die Worte zu erfassen, sie aufzunehmen und zu verstehen. Erst als ein Tropfen auf das Papier fällt und die ersten Buchstaben verwischt, wird ihm bewusst, dass er weint. Und da entkommt ihm ein lauter Ton. Ein Schrei. Ehe er es sich selbst bewusst wird, zerreißt er den Brief in viele kleine Schnipsel. Er dreht sich herum, schwankt regelrecht zu seinem Schreibtisch und greift nach den Büchern dort. Mit zitternden Fingern öffnet er eines nach dem anderen. Er ist nicht in der Lage, die Titel zu lesen, der Tränenschleier behindert ihn dabei. Und dann hält er endlich das Gesuchte in den Händen. Das Buch lässt er ebenso unachtsam wie alle anderen auf den Boden fallen. Und dann beginnt er den Gegenstand in seinen Händen ebenfalls zu zerreißen. “Mario, was machst du da? Das ist doch Elsas Brief, oder?”, klingt undeutlich an seine Ohren. Entsetzt tritt Gregor neben seinen besten Freund, legt diesem beide Hände auf die Schultern. Was ist jetzt nur passiert? Und dann sackt Mario zusammen. Seine Schultern beben regelrecht. Gregors Blick landet auf den Papierfetzen auf dem Boden. Was ist mit Elsa? Was ist passiert, dass dieser Brief, den Mario jahrelang wie seinen Augapfel gehütet hat, nun dort liegt? Ihn Einzelteile zerrissen. Zerstört. Kapitel 15: 15 -------------- Part 4 - doesn't change Mai X6 Fünf Jahre und acht Monate nach dem Brief “Und damit dürfen Sie die Braut küssen.” Der Bräutigam zieht auf diese Ansage seine Braut an sich und unter dem Jubel der anwesenden Gäste, bestehend aus Familie, Freunden und teilweise auch Arbeitskollegen, küsst er sie. Der Blick des Trauzeugen hingegen liegt auf der Frau, die hinter der Braut steht. Ein Lächeln ziert ihre Gesichtszüge, lässt ihre braunen Augen strahlen. Es ist über drei Jahre her, dass er sie das letzte Mal gesehen hat. Er ist ihr bewusst aus dem Weg gegangen, wollte, konnte sie nicht sehen. Wollte sie vergessen. Und nun steht sie dort und sein Herz schlägt ihretwegen doch schneller. Sie ist so wunderschön, das hat sich nicht geändert. Er erinnert sich zu gut an das letzte Mal, an dem sie sich wirklich gesehen haben. Daran, wie sich ihre Lippen auf seinen angefühlt haben. Wie sie geschmeckt hat. Wie sie gerochen hat. Doch er erinnert sich auch daran, wie drei Tage danach seine Welt zusammengebrochen ist. Und das ist es, was ihn nicht verstehen lässt, warum ihr Anblick all die Gefühle für sie, die er loswerden wollte, wieder hervorbringt. Ob er das jemals kann? In diesem Augenblick dreht Elsa ihren Kopf und ihre Augen treffen auf seine. Mario muss schlucken, während er ihrem Blick standhält. “Seht ihr? Das ist jetzt offiziell! So richtig offiziell!”, reißt Gregor seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Sein bester Freund deutet zwischen Conny und sich hin und her, während die Gäste der beiden laut lachen müssen. So kennen sie ihn doch. Und nur, weil er heute, im Alter von gerade einmal 21 Jahren, seine große Liebe heiratet, wird sich daran sicherlich nichts ändern. Auch auf Marios Zügen erscheint ein Lächeln. Selbst wenn er sich vor fast drei Jahren dafür entschieden hat, dass Liebe nichts ist, zumindest nicht für ihn, freut er sich, dass Conny und Gregor diese ineinander gefunden haben. Doch er selbst hat der Liebe abgeschworen. Es gibt eine einzige Person, für die er jemals so tiefe Gefühle hegte. Gefühle, die selbst andere Beziehungen nicht abgeschwächt haben. Aber warum, obwohl er diese Entscheidung getroffen hat, macht allein ihr Anblick das alles wieder zunichte? Erneut sieht er Elsa an. Warum kann er sie nicht vergessen? Warum, bringt sie alles wieder zurück? ~✒️~ “Elsa.” Überrascht dreht sich die Angesprochene herum. “Mario?” Ihr Herz macht einen Satz. Sie hat ihn so lange Zeit nicht mehr gesehen. Doch auch, wenn sie es nicht hat, hat sie viel an ihn gedacht. Vielleicht sogar zu oft. Heute haben sie sich ständig gesehen. Natürlich. Sie ist Connys Trauzeugin, er Gregors Trauzeuge. Heute Morgen waren sie gemeinsam beim Standesamt, damit das Eheregistrierungsformular abgegeben werden konnte. Anschließend die große Zeremonie, bei der alle dabei waren. Dann das Fest. Aber miteinander gesprochen haben sie bisher noch nicht. Das ist nun, wenn man von einem “Hallo” absieht, das erste Wort, das sie miteinander wechseln. Er reibt sich mit einer Hand durch die Haare am Hinterkopf und Elsa sieht ihm an, dass er unsicher wirkt. Es bringt Erinnerungen an eine Situation zurück, wo er schon einmal so vor ihr stand. Sie presst ihre Lippen aufeinander und verbietet sich, weiter darüber nachzudenken. Sie hat damals eine Entscheidung getroffen, sie kann daran nichts mehr rückgängig machen. Und daher soll ihr dummes Herz aufhören, so schnell zu schlagen! “Die Braut- und Bräutigamsmütter, also auch deine, haben gesagt, ich soll dich zum Tanzen auffordern. Anscheinend gehört es sich, dass auch die Trauzeugen miteinander tanzen.” “Oh, ach so?” Überrascht dreht Elsa ihren Kopf, sucht nach ihrer Mutter. “Ich kann jedoch verstehen, wenn du nicht mit mir tanzen willst. Das ist in Ordnung”, unterbricht seine dunkle Stimme ihre Suche. Schnell richtet sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Mario. “Nein. Also, doch. Ähm”, verunsichert streicht sich Elsa eine Strähne hinter ihr Ohr, “ich will damit sagen, dass es für mich okay ist, wenn wir miteinander tanzen. Wenn es auch für dich okay ist.” “Ich hätte nicht gefragt, wenn nicht. Daher, darf ich bitten?” Mario hebt Elsa seine Hand entgegen. Sie ergreift diese und kaum dass sie sich berühren, durchzuckt es beide. Es ist wie ein Blitz, der direkt in sie hineinfährt. Elsas Augen weiten sich etwas, Mario hingegen dreht schnell seinen Kopf zur Seite, um jedem Blickkontakt auszuweichen. Sie darf ihm auf keinen Fall ansehen, dass sich seine Gefühle für sie nicht geändert haben. Denn das muss er sich eingestehen. Wäre es so, dann würde er nicht so reagieren. Er führt sie zur Tanzfläche, die das Brautpaar vorher eröffnet hat. Gregor und Conny wirbeln auch noch herum. Sie scheinen viel Spaß zu haben. Mario zieht Elsa zu sich und legt eine Hand auf ihre Hüfte, während er die andere, in der ihre Finger noch liegen, leicht anhebt. Zögernd legt sich Elsas zweite Hand auf seine Schulter. Kurz streift sich ihr Blick, wird jedoch von beiden schnell unterbrochen. Jeder sieht in eine andere Richtung, als sie ihren Tanz beginnen. Und genauso, wie sie miteinander umgehen, ist auch dieser. Hölzern, alles andere als fließend. Man merkt ihnen beiden an, dass sie sich unwohl fühlen. Elsas Finger um Marios Schultern spannen sich plötzlich an. “Ich muss mich bei dir entschuldigen”, gibt sie plötzlich von sich. Die ersten Worte, die einer von beiden von sich gibt, seit sie tanzen. “Was meinst du?” Überrascht sieht Mario sie doch direkt an. “Damals. Das war nicht in Ordnung von mir.” Ihre Worte sind zwar nur leise, doch trotzdem hallen sie in seinen Ohren. Seine Finger um ihre Hand stärken ihren Griff. Er hat eine starke Vermutung, was sie meint. Und er weiß nicht, ob er darüber reden möchte. Das hat er nicht. Mit niemandem. Gregor war damals der Einzige, zu dem er etwas gesagt hat. Danach hat er nie wieder ein Wort darüber verloren. “Ich habe dich einfach sitzen lassen, anstatt zu kommen und es dir selbst zu sagen.” “Warum nicht?” “Ich …” Elsas Finger bewegen sich unruhig in Marios. “Ich war feige. Ich habe mich nicht getraut. Und das tut mir leid.” “Was genau tut dir leid? Dass du es mir nicht persönlich gesagt hast? Oder dass du dich nicht für mich entschieden hast. Oder vielleicht sogar, dass du dich damals für deinen Freund entschieden hast?” Kaum dass er diese Frage, nein, all diese Fragen ausgesprochen hat, würde Mario sich gerne selbst in den Hintern treten. Von wegen, der Liebe abschwören und Elsa vergessen. All diese Fragen zeigen doch eindeutig auf, wie er empfindet – immer noch. Ihr Tanz hat sich geändert. Er ist fließender geworden. Sie beide harmonieren miteinander, tanzen, als hätten sie nie etwas anderes gemeinsam getan. Elsa sieht ungläubig zu ihm auf, während ihr Herz schneller schlägt. Alles, schreit es in ihr. Würde sie am liebsten laut sagen. Denn sie bereut tatsächlich alles davon. Seit diesem Zeitpunkt damals, als sie nicht zu ihm gegangen ist. Als sie ihn an der Bank hat warten lassen. Dass sie sich für Mamoru entschieden hat. Doch was ihr am schwersten auf dem Herzen liegt: Dass sie sich gegen Mario entschieden hat – obwohl sie bereits seit so vielen Jahren in ihn verliebt ist und diese Gefühle bis heute anhalten. Sie hat ihn nicht vergessen können. Ihn heute wiederzusehen, war Seelen-aufreibend. Ist es immer noch. Auch wenn sie sich die letzten Jahre immer wieder eingeredet hat, dass die Entscheidung damals sicher richtig war, bringt sein Anblick sie ins Schwanken. Wenn es richtig gewesen wäre, dann hätte sie ihn doch vergessen, oder? Gerade, als sie ihren Mund öffnet, um etwas zu antworten, schließt sich eine Hand fest und unangenehm um ihren Oberarm. Und im selben Moment wird sie unsanft aus Marios Griff gerissen. “Was soll das?” Das Knurren kommt tief aus der Kehle desjenigen, dessen Handgriff um ihren Oberarm sich wie ein Schraubstock anfühlt. “Mamoru”, bringt sie hervor und versucht, seine Hand von sich zu lösen. “Bitte, lass mich los.” “Was soll das, habe ich gefragt? Warum tanzt du mit ihm?” Mamoru ist wütend. Er spuckt Elsa diese Worte regelrecht entgegen, während seine Finger stärker zudrücken. “Meine Mutter meinte, dass die Trauzeugen miteinander tanzen sollen. Und würdest du mich jetzt bitte loslassen? Die Leute schauen schon ganz komisch.” Elsas Blick huscht hin und her. Es stimmt, alle Leute sehen in ihre Richtung. Viele haben ihren Tanz unterbrochen, um zu beobachten, was hier vor sich geht. “Und dann tust du es? Du hättest es ablehnen sollen.” “Mamoru, es ist ein Tanz. Nichts anderes.” “Ja. Aber ein Tanz mit diesem Typen. Er hat schon einmal versucht, uns auseinanderzubringen!” Okay, Mamoru erinnert sich eindeutig an ihn. Und anscheinend weiß er von dem Kuss. Anders kann sich Mario nicht erklären, warum dieser ihn so hasserfüllt anstarrt. Warum ist sie mit diesem Typen immer noch zusammen? Mamoru ist ein Arsch. “Mamoru. Ich bin mit dir hier, nicht mit ihm. Sollte das nicht genug aussagen?”, versucht Elsa diesen zu beschwichtigen. Wenigstens hat er ihren Arm losgelassen. “Du hast ihn geküsst, Elsa! Obwohl du mit mir in einer Beziehung warst! Warum also sollte ich dir vertrauen? Und wie kommst du darauf, dass ich ihm vertrauen würde? Vielleicht will er immer noch etwas von dir und probiert sein Glück gleich wieder!” Ein leises Lachen entkommt Mario auf diese Worte und sofort ist er sich der Aufmerksamkeit des Paares sicher. “Vielleicht hast du recht, Mamoru. Was ich dir sagen kann, ist, dass Elsa meine große Liebe ist. Das war sie von fast 12 Jahren. Ist sie heute immer noch. Und das wird sich vermutlich niemals ändern. Ich habe es versucht, alles dafür getan, dass es nicht so ist. Tja. Heute stehe ich hier und muss feststellen, dass ich nicht anders für sie empfinde, als bereits das letzte Jahrzehnt. Was ich wirklich nicht verstehe, ist, dass sie mit so einem Armleuchter wie dir zusammen ist. Du hast sie eindeutig nicht verdient. Und es tut wirklich weh, dass sie sich für dich entschieden hat. Sie könnte es viel besser haben.” Mario hebt seinen Kopf und sieht Elsas Freund von oben herab an. “Lass dir eines gesagt sein – wenn ich jemals noch einmal mitbekomme, dass du sie so anfasst und so mit ihr redest, dann werde ich dir das nicht mehr durchgehen lassen! Jetzt lasse ich dich nur in Ruhe, weil ich die Hochzeit meines besten Freundes nicht wegen so einem Vollidioten wie dir vermiesen will.” “Willst du mir etwa drohen?” Mamoru knirscht vor Wut mit den Zähnen und ballt die Hände zu Fäusten, als sich Mario bereits herumdreht und davongehen will. Dieser bleibt nochmals stehen und dreht seinen Kopf nach hinten. “Ich will es nicht nur, ich tue es auch.” Und das ist der Augenblick, in dem Mamoru explodiert. Mit einem lauten Aufschrei stürzt er sich auf Mario. Kapitel 16: 16 -------------- Es sind Gregor und einige der anderen Fußballer, die die sich prügelnden Männer voneinander trennen können. “Du verdammtes Arschloch!”, brüllt Mamoru, während er versucht, Kevins und Saschas Hände von sich zu schieben, um sich erneut auf seinen Gegner zu stürzen. Mario lässt die Hand seines besten Freundes, der ihn aufgehalten hat, los. Er wischt sich mit dem Handrücken über die aufgeplatzte Lippe. “Ich habe es ernst gemeint, Mamoru. Behandle Elsa gefälligst besser! Vielleicht hat sie sich damals für dich entschieden, aber du bist der Falsche für sie!” “Willst du damit etwa sagen, dass du der Richtige für sie bist?” Mario zuckt mit seinen Schultern. “Vielleicht. Besser als du allemal. Und sie wollte mir gerade sagen, ob sie es bereut, sich damals für dich entschieden zu haben. Da bist du allerdings dazwischen geplatzt. Aber vielleicht will sie es uns ja jetzt beiden sagen.” Sein Blick wandert zu derjenigen, von der er gerade gesprochen hat. Elsa ist blass und eine ihrer Hände liegt vor ihrem Mund, während die andere zu einer Faust geballt in Herzhöhe auf ihrem Brustkorb liegt. “Du verdammter …”, brüllt Mamoru erneut und macht einen Satz nach vorn. Er schafft es fast, sich aus den Griffen von Kevin und Sascha zu befreien, als seine Freundin beherzt einen Satz macht und ihm eine Hand auf die Brust legt. “Mamoru, bitte, lass es gut sein.” “Aber er …” “Mamoru.” “Du hast gehört, was er gesagt hat!” “Ich hoffe doch, dass sie es gehört hat. Und ich meine jedes Wort davon ernst, Elsa.” Sie dreht sich zu demjenigen herum, der sie angesprochen hat. “Mario …” Sie sucht die richtigen Worte, öffnet und schließt ihren Mund, ehe sie ihren Kopf schüttelt. “Geh bitte, Mario. Du machst hier alles gerade nur schlimmer.” Er will im ersten Moment etwas erwidern, ihre Bitte verweigern. Doch dann sieht er es in ihrem Blick aufblitzen. Bedauern. Schmerz. Und für einen Moment spürt er diesen herzbrechenden Schmerz von damals erneut. Mamoru. Warum ist es immer dieser verdammte Kerl? Er presst seine Lippen aufeinander und dreht sich herum, um davonzulaufen. Im Hintergrund hört er Mamoru siegesbewusst auflachen. “Tja, von wegen du. Ich bin es. Hörst du? Sie entscheidet sich für mich. Jedes Mal! Gib einfach auf!” “Mamoru, hör auf!”, zischte Elsa, doch schlussendlich ist es egal. Mamorus Worte haben getroffen. Nun presst Mario nicht nur seine Lippen, sondern auch seine Zähne knirschend aufeinander. “Hey Mario.” Einige Meter von der Tanzfläche entfernt bleibt der Angesprochene stehen. “Was?”, knurrt er. “Ist alles okay?”, fragt Gregor besorgt und tritt neben seinen besten Freund. So kennt er diesen nicht. Noch nie hat er erlebt, dass Mario so ausrastet. Er kann ihn ja verstehen. In vielerlei Hinsicht. Mamoru. Er hat ihn einmal für einen netten Kerl gehalten, doch das hat sich geändert, als sich für einen kurzen Augenblick etwas zwischen Elsa und Mario angebahnt hat. Bis heute versteht er nicht, warum sich Elsa für Mamoru und nicht seinen besten Freund entschieden hat. Seitdem wirkt sie nicht mehr glücklich. Er hat probiert, mit ihr zu sprechen, oft genug, aber sie hat es nie zugelassen. Er fragt sich bis heute, warum sie in dieser Beziehung geblieben ist, die sie scheinbar nicht glücklich macht. Weil sie Mamoru damals teilweise betrogen hat? Aufgrund eines schlechten Gewissens? Er geht davon aus, dass das vermutlich der Grund sein wird. Ihm gegenüber hat sich Mamoru geändert. Er hat ihn offensichtlich abgelehnt. Vielleicht, nein, vermutlich, weil Mario sein bester Freund ist. “Sehe ich so aus, als wäre alles in Ordnung, Gregor? Du hast es doch gerade miterlebt. Du standest doch so gut wie in der ersten Reihe.” Das Knurren ist geblieben. “Warum ist sie immer noch mit diesem Typen zusammen? Und warum sind meine Gefühle für sie immer noch so stark, obwohl sie mich augenscheinlich immer noch nicht will. Wie viele Körbe muss ich mir noch einholen, ehe mein Kopf es endlich versteht?” Und damit lässt Mario seinen besten Freund einfach hinter sich stehen und steuert schnurstracks die Bar an. Im Normalfall trinkt er sehr wenig Alkohol, aber jetzt hat er das Gefühl, dass er etwas braucht. Etwas Stärkeres als ein Bier. Er muss Elsa endlich vergessen können. “Gib mir das Stärkste, was du hast”, richtet er an den Barkeeper. “Nur dass du es weißt”, ertönt eine helle Stimme neben sich. Er dreht seinen Kopf und erstarrt im nächsten Augenblick. “Elsa?”, fragt er ungläubig und erntet ein Lachen. “Nein. Ich bin Nami, Elsas Cousine. Aber ja, wir sehen uns ähnlich. Wird uns oft gesagt.” Und das stimmt, aber nur auf den ersten Blick. Sie haben zwar das gleiche, braune Haar, doch das von Elsas Cousine hat einen anderen Schnitt. Und die Farbe ihrer Augen ist eine andere. Sie sieht Elsa zwar ähnlich, aber sie ist es nicht. Eindeutig. “Was ich sagen wollte, ist”, Nami hält ihr Glas hoch, “dass ich diesen Mamoru auch schon immer für einen Vollidioten gehalten habe. Es hat mir also sehr gefallen, als ich gerade hereingekommen bin und gesehen habe, dass du ihm eine verpasst hast. Ich weiß zwar nicht, worum es ging, aber verdient hat er es allemal” Ein Schnauben entkommt Mario, ehe er sein eigenes Glas ebenfalls erhebt. “Oh ja, das ist er. Und hat er.” Und damit setzt er das Glas an und leert es in einem Zug. ~✒️~ “Was war das da drinnen?”, zischte Elsa ihren Freund an, kaum dass sie die Hochzeitslocation verlassen haben. “Was das war? Du hast mit diesem Typ geflirtet!” “Bitte? Das habe ich überhaupt nicht!” “Habt ihr euch überhaupt gesehen? Das war offensichtlich. Zumindest für mich!” “Mamoru …” “Was, Elsa? Das ist der Kerl, den du geküsst hast. Für den du Gefühle hattest. Du hast es mir damals gebeichtet. Weil du dich für mich entschieden hast. Und dann machst du das jetzt einfach?” “Es war ein Tanz, Mamoru. Weil meine Mutter es wollte.” “Ach komm schon. Hör auf, deine Mutter vorzuschieben. Du hast ihn angehimmelt. Ich habe doch deinen Blick gesehen.” Im ersten Moment will Elsa widersprechen: Sagen, dass sie Mario nicht angehimmelt hat. Doch sie kann es nicht. Sicherlich, sie hat ihn nicht bewusst angehimmelt. Aber sie kann nicht sagen, dass sie in Marios Armen nichts empfunden hat, dass sie nichts für ihn gefühlt hat. Es wäre gelogen. Und daher hält sie den Mund. “Siehst du? Du kannst nichts dagegen sagen. Und doch hast du dich wieder für mich entschieden. Ich hoffe, das zeigt ihm, dass er verloren hat. Und das muss ihm endlich bewusst werden. Er muss seinen Platz kennen. Und der ist nicht an deiner Seite. Du bist meine Freundin. Vergiss den Typen endlich.” Elsas Herz hat sich bei den Worten ihres Freundes ein unangenehm zusammengezogen. In diesem Moment wird ihr etwas bewusst. Sie gehört sicherlich nicht an die Seite dieses Mannes. Das hat sie noch nie. Sie hat an die Seite eines anderen gehört. Schon lange. Warum wird ihr das erst jetzt bewusst? In diesem Moment? Warum hat sie diesen anderen Mann so oft verletzt? Tränen schießen in ihre Augen. Das hat er nicht verdient. Und Mamoru hat sie nicht verdient! “Ich weiß, wie wir ihm endgültig zeigen, dass er keine Chance mehr bei dir hat und dich dann endlich in Ruhe lässt.” Mit einem zufriedenen Ausdruck auf seinem Gesicht zieht Mamoru plötzlich ein kleines Kästchen hervor. Elsas Atem stockt, als sie darauf sieht. Er wird das jetzt nicht wirklich machen! Doch da öffnet er es bereits und ein silberner Ring blitzt ihr entgegen. “Heirate mich, Elsa.” Sie blinzelt und starrt den Ring ungläubig an. Da greift Mamoru nach ihrer Hand, um ihr den aus dem Kästchen genommenen Ring auf den Finger zu schieben. Doch gerade, als das kalte Metall ihre Haut berührt, kommt endlich wieder Leben in sie. Sie ballt ihre Hand zu einer Faust, macht einen Satz zurück und zieht sie dabei aus Mamorus Griff, presst sie an ihren Oberkörper. “Nein!” “Was, nein?” Nun ist es Mamoru, der ungläubig ist. “Ich sagte nein. Ich möchte dich nicht heiraten, Mamoru. Ich will auch nicht mehr mit dir zusammen sein. Nicht wegen Mario, wirklich nicht. Aber ich denke, die Entscheidung für dich war falsch. Jedes Mal. Bereits beim ersten Mal. Und auch damals, als Mario mich geküsst hat. Ich hatte dir gegenüber ein Pflichtgefühl, doch das habe ich jetzt nicht mehr. Es ist aus. Es ist besser, wenn du jetzt gehst. Hol deine Sachen aus der Wohnung und ich will dich danach nicht mehr sehen. Es ist aus.” “Elsa!” “Nein, nicht Elsa. Ich habe mich damals für dich entschieden. Und trotzdem warst du seitdem so eifersüchtig, obwohl ich dir nie wieder einen Grund dafür gegeben habe. Das weißt du. Und doch hast du nun so reagiert, nur weil ich mit Mario getanzt habe. Du hast behauptet, du hättest mir verziehen. Aber wenn du wirklich getan hättest, dann dürftest du es mir nicht mehr vorhalten. Ich hätte das hier schon früher machen müssen. Aber ich mache es jetzt. Und ich entscheide mich nicht für ihn oder für dich. Ich entscheide mich für mich und dafür, glücklich zu werden!” Und damit dreht sich Elsa herum und geht wieder hinein. Sie fühlt sich erleichtert. Als wäre eine schwere Last von ihren Schultern genommen worden. Im Inneren der Location sieht sie sich um. Wo ist Mario? Sie will es ihm sagen. Dass sie sich von Mamoru getrennt hat. Und dass sie ihnen beiden eine Chance geben will. Doch sie sieht ihn nicht. Schließlich geht sie auf ein paar seiner Mannschaftskollegen zu. “Entschuldigt. Wisst ihr, wo Mario ist?”, fragt sie. “Mario?” Erstaunt sieht Jeremy sie an. “Du willst zu ihm?”, fragt Charlie neben seinem Zwilling. Elsa will gerade etwas entgegnen, als Tinos Stimme erklingt. “Er ist vor vielleicht drei Minuten gegangen. Mit einer Frau.” Kapitel 17: 17 -------------- September X6 Sechs Jahre nach dem Brief “So, das war die letzte Blumendeko. Es sieht super aus, Elsa!” Conny, die ihrer Schwägerin bei der Vorbereitung dieses Tages hilft, tritt neben diese. “Danke für deine Hilfe.” “Ach Quatsch. Es geht immerhin um den fünfzigsten Geburtstag meines Schwiegervaters. Da helfe ich nur zu gerne. Und wie gesagt, die Deko sieht super aus.” Elsa hebt ihre Mundwinkel zu einem Lächeln. “Für etwas muss mein Studium ja gut sein. Nun gut, ich würde sagen, wir beide gehen uns umziehen, die Gäste müssten nämlich jeden Moment kommen.” ~✒️~ Elsa will gerade in den Garten ihres Elternhauses treten, in dem heute das große Fest gefeiert wird, als sie von dort aus die Stimmen ihrer Freundin und ihres Bruders vernimmt. “Gregor, du hast es ihr immer noch nicht gesagt? Das ist nicht gut!” “Ich habe einfach den richtigen Moment noch nicht gefunden, Conny.” “Der richtige Moment ist aber sicherlich nicht jetzt, Gregor! Hier sagst du es ihr und fünf Minuten später wird sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Genau deshalb hättest du es ihr schon vor Wochen, wenn nicht sogar Monaten sagen sollen! Deine Schwester hat es verdient, es zu wissen.” “Ich weiß. Aber … ach verdammt.” “Das trifft es, Gregor.” Elsa steht wie angewurzelt noch im Wohnzimmer. Ihre Finger verstärken den Griff um die Klinke der Terrassentüre, die sie gerade das restliche Stück aufziehen wollte. Was meinen die beiden da? Connys Tonfall ist vorwurfsvoll, Gregors hingegen beschämt. Und es geht um sie, warum sonst sollten sie ihren Namen mehrmals erwähnt haben? Um zu erfahren, worum es genau geht, zieht sie entschlossen die Türe endgültig auf und tritt hinaus. “Was solltest du mir sagen, Gregor?”, fragt sie laut. Sowohl Conny als auch Gregor zucken erschrocken zusammen, ehe sie schuldbewusst die Köpfe zwischen die Schultern ziehen. “Ehrlich gesagt, Elsa, geht es darum, dass …”, beginnt Gregor und kommt auf sie zu. Doch ehe er den Satz und damit das Geständnis hervorbringen kann, ertönt eine laute und helle Stimme. “Hallo miteinander.” Alle Köpfe drehen sich zu der jungen Frau, die gerade um die Ecke kommt. “Schön, dich wiederzusehen, Elsa. Gregor, Conny, wir haben uns ja erst vor ein paar Tagen gesehen.” Nami kommt vor ihrer Cousine stehen, lächelt diese strahlend an. Elsa jedoch hat nur Blicke für den Mann, der hinter ihrer Cousine in den Garten getreten ist. Seine Hände stecken in den Hosentaschen der Jeans, die er trägt. Die schwarzen Haare sind ein wenig kürzer, als sie es das letzte Mal waren, als sie ihn gesehen hat. Vor knapp vier Monaten, als er sich mit ihrem inzwischen Ex-Freund geprügelt hat. Als er ihr zuvor gestanden hat, dass er immer noch etwas für sie empfindet. Und als ihr bewusst wurde, dass auch sie immer noch Gefühle für ihn hat. Jetzt ist er hier. “Mario?”, kommt sein Name mit einem leichten Zittern über ihre Lippen. “Stimmt, du kennst meinen Freund ja auch.” Nami hängt sich kurzerhand bei Elsa ein, nimmt deren schockierten Ausdruck nicht wahr. “Mario und ich haben uns auf Connys und Gregors Hochzeitsfeier kennengelernt. Ich habe es, ehrlich gesagt, toll gefunden, dass er Mamoru eine verpasst hat. Entschuldige bitte, Elsa, aber er ist ein Idiot. Ich weiß wirklich nicht, was du an ihm findest. Ah, ist er heute auch da?” Suchend blickt sie sich um. Elsas Blick hingegen liegt immer noch direkt auf Mario, der den Blick nachdenklich erwidert. “Er … wir sind … nicht mehr … zusammen”, bringt sie auf die Frage ihrer Cousine stockend hervor. Auf diese Antwort pressen sich Marios Lippen zusammen. Hat er es etwa gewusst? Aber es würde sie nicht wundern. Er ist der beste Freund ihres Bruders. Wie als ob dieser es ihm nicht gesagt hätte. Das wiederum macht ihr etwas Weiteres klar. Er hat es gewusst und obwohl er vor vier Monaten noch groß herum getönt hat, dass sie seine große Liebe ist, hat er sich trotzdem jemand anderen gesucht. Und dann auch noch ihre Cousine. “Ach, nicht mehr? Das ist auf jeden Fall besser für dich.” Nami legt Elsa einen Arm um die Taille und zieht sie so in eine halbe Umarmung. “Ja, vermutlich.” Elsa tritt einen Schritt zur Seite und löst sich so aus der Umarmung. “Ich muss mich noch um etwas kümmern.” Ihr Blick streift Marios. Hat er sie etwa die ganze Zeit über gemustert? Vermutlich eher Nami. Seine … Freundin. Elsa kann diese Tatsache nicht fassen. Und vor allem tut es ihr unsagbar weh. Von wegen große Liebe. Tränen schießen in ihre Augen, als sich der Schmerz über diese Aussage in ihr ausbreitet. Schnell presst sie ihre Lippen aufeinander, um so die Tränen zu unterdrücken und noch schneller hat sie sich herumgedreht, um wieder im Haus zu verschwinden. ~✒️~ Es herrscht ausgelassene Stimmung. Der fünfzigste Geburtstag von Ryotaro Daichi und die Feier dazu sind ein erfolgreiches Fest. So gut wie jeder Anwesende hat eine gute Zeit. Zumindest fast alle. Elsa tut alles dafür, dass ihr Vater ein schönes Fest hat, doch ihr selbst geht es nicht gut. Sie hat den Schock, dass der Mann, für den sie etwas empfindet, in einer Beziehung ist. Noch dazu in einer Beziehung mit einer Person, die Teil ihrer Familie war und ihr früher nahestand. Sie versucht sich von Mario fernzuhalten, nicht in seine Nähe zu kommen und seinem Blick auszuweichen. Natürlich sitzt er auch noch an dem Tisch, an dem auch sie sitzt. Aber woher hätte sie auch wissen sollen, dass die Person +1, die Nami angemeldet hat, ausgerechnet er ist? Denn dann hätte sie diese beiden nicht an den Tisch von sich sowie Gregor und Conny gesetzt. Wobei, Gregor und Conny scheinen es gewusst zu haben. Natürlich, die beiden Männer sind bereits seit Jahren die besten Freunde. Und das ist auch sicherlich der Grund, dass das junge Ehepaar ebenfalls schuldbewusst ihrem Blick ausweicht. Doch das sollen sie! Dann ist da noch Nami, die aufgedreht ist und die ganze Zeit irgendwelche Dinge erzählt, kichert, sich immer wieder dem neben ihr Sitzenden zuwendet. Ihm ihre Hand auf den Arm oder das Knie legt, sich an ihn lehnt und ihn verliebt anlächelt. Genau das. Verliebt. Nami ist bis über beide Ohren in Mario verliebt, das sieht man ihr an. Doch ob es ihm ebenso geht, das kann sie nicht sagen. Sie will es nicht wissen, also betrachtet sie ihn nicht. “So, Elsa”, wendet Nami sich schließlich an diese direkt, “seit wann sind Mamoru und du jetzt nicht mehr zusammen? Und wer hat Schluss gemacht? Sag mir bitte, dass du es warst, weil du endlich zur Vernunft gekommen bist!” Elsas Hände ballen sich auf ihren Knien unter dem Tisch zu Fäusten. “Seit Gregors und Connys Hochzeit.” “Was? Bei der Hochzeit?” “Was?” Die erste ungläubige Stimme gehört zu Nami. Doch die Zweite ist es, die Elsa nun doch dazu bringt, den Mann anzusehen, der ihr schräg gegenübersitzt. Marios Augen sind ungläubig geweitet. Er ist blass und sie kann ihm ansehen, dass er zumindest das anscheinend nicht gewusst hat. “Ja.” Nun hält sie seinem Blick tatsächlich stand. “Mir ist an dem Abend bewusst geworden, dass er der Falsche war. Dass der Richtige ein anderer ist. Schon immer. Aber egal wie, das ist jetzt alles nebensächlich. Vor allem letzteres. Und jetzt entschuldigt mich, ich muss noch etwas erledigen.” Abrupt steht sie von ihrem Platz auf und zum wiederholten Male an diesem Tag läuft sie in das Haus ihrer Eltern. Schon den ganzen Abend fühlt sich ihr Herz an, als würde es jemand zusammenpressen. Doch nun, nach Marios Reaktion auf ihre Aussage, fühlt es sich an, als wäre es eine eiskalte Faust, die ihr Herz hält. Sie atmet tief ein und stößt die Luft bebend wieder aus. Mit geschlossenen Augen presst sie ihre Hände flach gegen ihren Bauch. Es sind nur ein paar Stunden. Diese wird sie herumbekommen. Ihn ignorieren. Nicht weiter darüber nachdenken, dass er nun mit ihrer Cousine zusammen ist. Sie wird sich nachher einfach zu ihren Großeltern setzen. Eine gute Ausrede, um von diesem Tisch und den daran sitzenden Personen wegzukommen. Sich dazu mit den Eltern ihrer Eltern unterhalten. Eine Win-win-Situation, oder? Und trotzdem … Erneut stößt sie die Luft zitternd aus. Auch ihre Augen presst sie fester aufeinander. Sie will nicht daran denken. Sie will es nicht wissen. Warum ist Mario mit Nami zusammen? Obwohl er doch behauptet hat, dass er sie liebt? Dass sie seine große Liebe ist und sich seine Gefühle für sie nicht geändert haben? Hat er sie angelogen? Hat er das alles nur behauptet? Hätte sie doch bei Mamoru bleiben sollen? Schlimmer als gerade könnte es ihr schließlich nicht gehen. Elsa ist so in ihren Gedanken gefangen, dass sie nicht bemerkt, dass jemand zu ihr in die Küche tritt. Es ist erneut seine Stimme, die sie zusammenzucken lässt. “Elsa?” Mit aufgerissenen Augen sieht sie ihn an. Mario tritt auf sie zu, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Schnell dreht sie sich zur Seite. Sie will ihn nicht ansehen! Im Gegenteil, sie muss ihn ignorieren! “Was willst du?”, bringt sie ablehnend hervor. “Das … also was du gerade draußen gesagt hast …”, beginnt er und fährt sich mit einer Hand unsicher durch die Haare. “Was genau meinst du?” “Dass dir an der Hochzeit klar wurde, dass Mamoru der Falsche war. Dass er das immer war und dass ein anderer der Richtige ist … Bedeutet das vielleicht, dass …” “Ich habe auch gesagt, dass das nebensächlich ist. Es ist egal. Also muss ich nicht mit dir darüber reden!” Elsas Stimme ist schneidend. Sie muss Mario klarmachen, dass sie nicht mit ihm reden will. Nicht darüber! Nie wieder. Doch ihm scheint es egal zu sein. “Das … das ist es nicht, Elsa! Denn wenn es das bedeutet, was ich denke … hoffe, dann …” “Dann was, Mario?” Mit vor Wut blitzenden Augen dreht sie sich nun doch um und starrt ihn an. Eine Hand deutet in die Richtung, in der der Garten liegt und in der sich die Feiergesellschaft befindet. “Da draußen, da sitzt deine Freundin!” Dieses Wort stößt sie giftig aus, denn es verletzt sie. “Die Person, die du an dem Tag kennengelernt hast, an dem du mir noch gesagt hast, dass ich deine große Liebe wäre. Es heißt in meiner Familie immer, dass Nami und ich uns ähnlich sehen. Bist du deswegen mit ihr zusammen? Erinnert sie dich so sehr an mich? Ist das der Grund?” Bei Elsas wütenden Worten ist Mario im ersten Moment erschrocken einen Schritt nach hinten getreten. Damit hat er nicht gerechnet. Weder damit, dass sie wütend ist, noch dass sie ihm diese Worte so gegen den Kopf knallt. Doch er tritt den Schritt wieder nach vorn und schüttelt entschieden seinen Kopf. “Das ist es nicht. Wirklich nicht, Elsa! Du bist für mich einzigartig. Niemand könnte dich jemals ersetzen. Ich habe Nami niemals mit dir verglichen.” “Und doch bist du jetzt mit ihr zusammen. Du hast mit ihr zusammen die Hochzeit verlassen. Kurz nachdem du gesagt hast, dass ich immer deine große Liebe sein werde.” Und nun kann Elsa die Tränen nicht mehr zurückhalten, die aus ihren Augenwinkeln treten. Zum Teil vor Wut, zum Teil, weil es so schmerzt, diese Tatsache auszusprechen. “Du hast dich damals für ihn entschieden, Elsa, für Mamoru. Und das zum wiederholten Male. Immer ist er es gewesen. Ich musste jedes Mal zurückstecken. An dem Abend musste ich vergessen. Und sie war da. Ja, im ersten Moment habe ich einen Moment gedacht, du stehst vor mir. Aber mir ist sofort bewusst gewesen, dass es nicht du bist. Wie gesagt, dich gibt es nur ein einziges Mal für mich, Elsa. Doch du musst nur ein Wort sagen. Nur eines. Ich würde die Beziehung zu Nami beenden und mich für dich entscheiden.” “Mario.” Mit einer Mischung aus Glücksgefühl und Unglauben schüttelt Elsa entsetzt ihren Kopf. “Das kannst du nicht ernst meinen.” “Natürlich meine ich das ernst! Elsa, ich habe nicht gelogen, als ich dich als meine große Liebe bezeichnet habe. Und habe ich dich da draußen richtig verstanden? Du hast gesagt, du hast dich von Mamoru getrennt, weil dir bewusst wurde, dass er der Falsche war. Dass er es nie war. Meintest du damit, dass ich der Richtige war? Es immer noch bin?” Hoffnungsvoll tritt Mario weiter auf Elsa zu und schließt den restlichen Abstand zwischen ihnen. Er kann etwas in ihren Augen lesen, als sie zu ihm aufblickt. Sie blinzelt, öffnet ihren Mund und wirkt, als würde sie etwas sagen wollen. Doch dann presst sie ihre Lippen aufeinander und dreht ihren Kopf zur Seite, unterbricht den Augenkontakt ein weiteres Mal. “Es ist egal, was es war, Mario. Ich habe Nami gesehen. Sie ist wirklich in dich verliebt und glücklich. Ich würde niemals etwas machen, das ihre Gefühle verletzt. Und wenn du es nur einen Moment ernst mit ihr gemeint hast, bleibst du bei ihr. Das zwischen uns … das ist nicht möglich. Nicht mehr.” Sie tritt zurück und will an ihm vorbeilaufen, um aus der Küche, von ihm wegzukommen, kommt jedoch nicht weit, denn seine Finger schließen sich um ihren Unterarm, halten sie fest. “Wie meinst du das? Dass es mit uns beiden nicht mehr möglich ist.” Als sie ihn nun doch ansieht, sieht er die Trauer in ihrem Blick, die hinter den Tränen zu erkennen ist. “Mario, du bist mit meiner Cousine zusammen. Einer Person, die mir sehr viel bedeutet. Und ich könnte sie niemals verletzen. Also würde ich niemals zu dir sagen, dass du dich meinetwegen von ihr trennen sollst. Geschweige denn, dass ich eine Beziehung mit einem Ex-Freund von ihr beginnen würde. Daher ist es wirklich nebensächlich, was einmal war, denn es ist vorbei.” Als sie sich aus seinem Griff befreit und an ihm vorbei aus der Küche verschwindet, hält er sie nicht noch einmal auf und folgt ihr auch nicht mehr. Das zwischen ihnen beiden ist vorbei. Vorbei, bevor es überhaupt einmal richtig hat beginnen können. Kapitel 18: 18 -------------- Part 5 - be happy März X7 Sechseinhalb Jahre nach dem Brief Mit einem Klemmbrett in der Hand läuft Elsa durch den Flur des Hotels, in dem die Feier stattfindet, die die Eventagentur, in der sie bereits seit über einem Jahr arbeitet, organisiert. Eine Hochzeit eines bekannten Fußballspielers, weshalb diese Feier auch von großem öffentlichem Interesse ist. Nachdem sie überprüft hat, dass in der Küche alles wie geplant läuft, macht sie sich zufrieden wieder auf den Weg zurück zum Festsaal. Aufgeregtes Stimmengewirr liegt in der Luft, als sie in den großen Raum eintritt, der mit über 300 Gästen gefüllt ist. “Die Küche liegt im Zeitplan. In ungefähr einer dreiviertel Stunde wird das Essen fertig sein. Wir können dem Bräutigamsvater also Bescheid geben, dass er seine Rede in einer Viertelstunde halten kann”, richtet Elsa an ihre Chefin und Kollegin Mizumi Akuno. “Hervorragend. Dann werde ich ihm das gleich sagen. Ihr könnt in der Zeit, nacheinander bitte, auch etwas in der Küche zu euch nehmen.” Mizumi ergänzt etwas auf ihrem eigenen Klemmbrett, ehe sie ihren Kopf hebt und ihren Blick suchend über die Gäste gleiten lässt. “Wow, was für ein Fest”, flüstert Arina, die erst vor ein paar Wochen in der Eventagentur zu arbeiten begonnen hat, neben Elsa. Unerwartet erklingt eine tiefe Stimme hinter ihnen. “Elsa?” “Das ist Viktor Uesugi!”, flüstert Mizumi neben Elsa, woraufhin diese sich erstaunt umdreht, ehe ein Lächeln ihre Gesichtszüge einnimmt. “Hallo Viktor”, richtet sie an den groß gewachsenen Mann, dessen langen schwarzen Haare über seine Schultern fallen, als er sich nach vorn beugt, um sie zur Begrüßung in den Arm zu nehmen. “Du hier?”, fragt er erstaunt, während sein Blick über sie gleitet. Ihre Wangen nehmen einen roten Schimmer an, als sie seinen zufriedenen Ausdruck wahrnimmt. “Ja. Die Eventagentur, bei der ich arbeite, organisiert dieses Fest.” “Wirklich? Ich muss sagen, das macht ihr gut. Kompliment dafür.” “Danke dir.” Elsa schmunzelt. Sie wusste dank der Gästeliste zwar, dass er da sein würde, aber bei der Menge an Gästen ist sie nicht davon ausgegangen, dass sie aufeinandertreffen würden. “Und du siehst wirklich gut aus. Meine Farben, Elsa.” Er zwinkert ihr zu, während er auf ihren Hosenanzug deutet, der einen tiefen, roten Ton hat. So wie seine Krawatte, die auf dem weißen Hemd unter dem schwarzen Anzug regelrecht leuchtet. “Danke dir.” Erneut liegt ein Schmunzeln auf Elsas Lippen. Stimmt, seine Farben. Schwarz, Weiß, Rot. So kennt sie ihn. “Du kennst wirklich Viktor Uesugi?”, flüstert Arina neben ihr. Ihr Blick liegt auf dem Torwart, der die aktuelle Nummer eins der Nationalmannschaft ist. “Ja, tun wir. Nicht wahr, Elsa?” Viktor zwinkert dieser zu, woraufhin ihr ein Lachen entkommt. “Oh ja, das tun wir.” “Wie das denn?” “Wir sind Freunde.” “Er ist der Schwager meines Bruders.” Beide antworten gleichzeitig, woraufhin Viktor seine Augenbrauen hebt und Elsa ansieht. “Ich hoffe doch auch, dass wir Freunde sind und ich eben nicht nur Gregors Schwager für dich bin!” Und wieder nehmen Elsas Wangen einen dunkleren Ton an. “Natürlich”, erwidert sie schnell. “Gut. Na dann, wie sieht es aus, Elsa? Willst du einen Wein mit mir trinken? Oder auch etwas anderes.” “Viktor, ich muss arbeiten.” “Okay, dann eben ein Wasser, kein Problem.” Elsa lacht auf und schüttelt ihren Kopf. “Was ich damit sagen wollte, ist, dass ich keine Zeit dafür habe. Tut mir leid.” “Oh, schade.” Und tatsächlich huscht ein enttäuschter Ausdruck über sein Gesicht. Doch nur für einen kurzen Moment. “Na gut, dann müssen wir uns an einem anderen Tag treffen. Was machst du morgen Abend?” “Morgen Abend?” Überrascht erwidert Elsa seinen Blick. “Ich glaube nichts.” “Okay, dann hole ich dich um 20 Uhr ab. Wohnst du noch in der gleichen Wohnung?” “Ja.” “Gut. Dann sehen wir uns morgen Abend, Elsa. Mach dich für unser Date schick.” Er sieht ihre Kolleginnen an. “Die Damen.” Und damit dreht er sich herum und mischt sich wieder unter die Hochzeitsgäste. “Ein Date?” “Du hast wirklich ein Date mit Viktor Uesugi?” Die Stimmen ihrer Kolleginnen gehen bei Elsa unter. Sie sieht Viktor ungläubig hinterher. Ein Date? Und in ihrer Brust schlägt ihr Herz verräterisch schneller. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass er sie jemals um ein Date bittet. Und sie spürt eine gewisse Vorfreude in sich. Sie kann den morgigen Abend nicht erwarten. ~✒️~ Noch einmal lässt Elsa ihren Blick über ihr Spiegelbild gleiten. In Erinnerung an die Hochzeit am Vortag und Viktors Worte trägt sie ein kurzes und ebenfalls rotes Kleid. Sie vermutet, dass es ihm gefallen wird. Kurz wandern ihre Gedanken zu Mario. Würde ihm dieses Kleid ebenfalls so gefallen wie Viktor? Schnell verbietet sie sich diesen Gedanken. Mario ist mit ihrer Cousine zusammen und das auch schon fast ein Jahr. Es ist also völlig egal, was er darüber denken würde. Jetzt geht es nur darum, wie es demjenigen gefallen wird, mit dem sie auf dieses Date geht. Sie bleibt wie angewurzelt stehen, den Blick starr auf den Spiegel gerichtet, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Der Gedanke kam ihr heute schon öfter. Ist es wirklich ein Date? Er hat es zwar so genannt, aber das könnte er auch ganz ohne Hintergrundgedanken einfach so daher gesagt haben. Vermutlich ist das gar kein richtiges Date, sondern nur ein Treffen unter Freunden und sie hat sich so herausgeputzt! Oh Gott. Sie muss sich umziehen! Elsa hat gerade den Kleiderschrank aufgerissen, als es an ihrer Wohnungstüre klingelt. Ihr Blick huscht zu der Wanduhr. Er ist pünktlich. Dann muss sie ihn bitten, noch einen Moment zu warten. Gleich darauf öffnet sie die Wohnungstüre, um Viktor hereinzulassen. “Entschuldige bitte, ich muss mich nur noch kurz umziehen und …” Sie stoppt abrupt ihren Satz und sieht ungläubig den vor ihr Stehenden an. Wie gut kann ein Mann aussehen? “Umziehen? Warum das denn? Du siehst noch besser aus als gestern, Elsa. Ich würde dich gerne so ausführen.” Elsa schließt ihren Mund, der bis gerade eben offen gestanden hat. Overdressed ist sie eindeutig nicht. Er trägt erneut einen schwarzen Anzug, dieses Mal jedoch mit einem dunkelroten Hemd darunter und einer dazu passenden, schwarzen Krawatte. Sieht er heute auch besser aus als gestern? Sie weiß es nicht. “Stimmt etwas mit dem Kleid nicht?”, fragt er und reißt sie so aus ihrem Starren. Schon färben sich ihre Wangen rot. “Ich, ähm, na ja …”, stottert sie und streicht sich unbeholfen eine Haarsträhne hinter das Ohr, “ich dachte, dass ich etwas missverstanden hätte und vermutlich viel zu herausgeputzt bin”, gibt sie ehrlich zu. “Und was, dachtest du, hättest du missverstanden?” Sicherlich werden ihre Wangen noch röter als gerade, denn sie glühen nun förmlich. “Nun ja”, murmelt sie, “dass das hier eigentlich kein richtiges Date ist, sondern einfach nur ein Treffen unter Freunden.” Sie lacht künstlich auf. “Ist ja auch doof von mir, dass ich es so verstanden habe und …” Wiederholt wird sie mitten im Satz unterbrochen. “Du hast nichts falsch verstanden, Elsa. Ich möchte wirklich mit dir ausgehen. Ich kenne dich schon einige Jahre und ich mag dich. Mit dir kann ich mich gut unterhalten, wir verstehen uns und du siehst wirklich hübsch aus, was ein netter Pluspunkt ist. Als ich gestern gesagt habe, dass das hier ein Date ist, habe ich das vollkommen ernst gemeint. Die Frage ist daher nur, willst du mit mir auf ein Date gehen? Wenn nein, sag es mir bitte. Dann können wir ein Treffen unter Freunden daraus machen. Wenn du jedoch gerne mit mir ausgehen würdest, dann würde ich mich sehr freuen. Und damit meine ich mit Aussicht auf mehr – was nicht heißen soll, dass wir heute noch miteinander im Bett landen, wobei du mich da nicht nein sagen hörst, Denn wie gesagt, ich mag dich. Du bist etwas Besonderes, Elsa. Und ich wäre gerne etwas Besonderes für dich.” Kapitel 19: 19 -------------- September X7 Sieben Jahre nach dem Brief “Verdammt, dieser Computer tut einfach nicht mehr!” Schon fast verzweifelt hackt Mizumi auf die Tastatur des Gerätes ein, das sie für ihre Arbeit benötigt und das in diesem Moment nichts mehr macht. “Genau deswegen hast du den IT-Experten angerufen. Und er sollte jeden Augenblick kommen.” “Zu einer denkbar schlechten Zeit. Ich habe gleich ein Kundengespräch.” “Und dort gehst du jetzt auch hin. Ich wiederum kümmere mich um den IT-Experten.” Elsa greift nach ihrer Chefin und zieht diese sanft, aber entschieden von dem Computer weg. Mizumi scheint erst nicht gehen zu wollen, stimmt dann aber zu. “In Ordnung. Ich schreibe noch schnell auf, was los ist. Den Zettel kannst du dem Computermann dann geben.” “Das mache ich. Und jetzt los, weg mit dir.” “Zum Glück habe ich dich, Elsa. Was würde ich nur ohne dich machen?” Ein Lachen entkommt dieser. “Merke dir das doch bitte für die nächste Gehaltsverhandlung.” “Das werde ich.” Mizumi zwinkert ihr noch einmal zu und verschwindet anschließend mit einem dicken Ordner unter dem Arm aus ihrem Büro. Elsa blickt ihr noch kurz hinterher, ehe sie mit einem Seufzen den Zettel begutachtet. Hoffentlich kann der IT-Experte mit solchen Aussagen wie: `Das Viereck ist schwummrig´ etwas anfangen. ~✒️~ “Ich hole ihn sofort ab. Vielen Dank fürs Bescheidgeben.” Elsa legt den Telefonhörer wieder auf. Gerade eben hat sich die Rezeption des Hauses, in dem die Eventagentur untergebracht ist, gemeldet, dass der IT-Experte da ist. Sie wird ihn unten abholen und ihn anschließend hier hochbringen, in der Hoffnung, dass er Mizumis Computer reparieren kann. Schnell greift sie nach ihrem Ausweis und begibt sich aus der Eventagentur, um mit dem Aufzug ins Erdgeschoss zu fahren. Sie nickt der Frau an der Rezeption zu, die sie vor wenigen Minuten angerufen hat. Diese deutet auf einen Mann, der mit dem Rücken zu ihr steht. Über der Schulter eine Tasche, zu seinen Füßen steht noch eine größere. Als Elsa ihn mustert, beginnt ihr Herz schneller zu schlagen. Die Statur, dazu die kurzen schwarzen Haare. Er erinnert sie an Mario. Für einen Moment hält sie inne. Warum bringen ihre Gedanken sie seit Jahren immer wieder zu ihm zurück? Das sollten sie nicht! Er ist mit ihrer Cousine zusammen, sie ist ebenfalls wieder in einer Beziehung. Sie beide, das sollte nicht sein. Damit muss sie endlich klarkommen. Sie presst ihre Lippen zusammen und nimmt ihren Schritt wieder auf. “Guten Tag”, richtet sie an den Mann, der sich im nächsten Moment zu ihr umdreht. Der Blick aus hellbraunen Augen treffen auf dunkle. Beide bleiben wie angewurzelt stehen, starren sich nur mit geweiteten Augen an, unfähig, sich zu rühren. “Elsa”, ist er es, der die Stille und Anspannung schließlich unterbricht. “Mario”, erwidert sie. Ihr Herz schlägt noch schneller, als es zuvor schon getan hat. Hat es ihn etwa bereits erkannt, als sie ihn nur von hinten gesehen hat? Anders erklärt es sich doch nicht. Wieder sehen sie sich nur an, bringen kein Wort hervor. Was sollen sie auch sagen? Wieder haben sie sich monatelang nicht gesehen und dann tun sie es nur einmal und alles ist wieder wie früher. Alte Gefühle werden hervorgeholt, die eigentlich nicht mehr da sein dürften. Doch sie sind es, werden vermutlich niemals verschwinden. Werden immer wieder zurückkommen. Eine laute Stimme reißt sie beide aus der Situation. “Ist alles in Ordnung?” Elsa und Mario drehen ihre Köpfe herum. Die Frau von der Rezeption mustert sie verwundert. Schnell schüttelt Erstere ihren Kopf. “Alles in Ordnung hier.” Sie wendet sich wieder an Mario. Mit einer Hand schiebt sich unsicher eine Haarsträhne hinter das Ohr. “Du bist von der IT hier?” “Ja, genau. Ich habe einen Auftrag bekommen … Dass du hier arbeitest, war mir nicht bewusst. Zwar wusste ich, dass …” Er stoppt seinen Satz abrupt. “Ähm, ja, doch. Schon eine Weile.” “Macht es dir Spaß?” Auf diese Frage huscht ein Lächeln über Elsas Gesicht. “Das tut es, ja. Und du … bist auch zufrieden?” “Ja, doch.” Wieder herrscht Stille zwischen ihnen beiden und sie scheinen nicht zu wissen, was sie nun sagen sollen. Mario bückt sich und greift nach der Tasche auf dem Boden. “Na gut, dann zeig mir doch mal den Computer, der Probleme macht.” Elsa erstarrt erneut. Stimmt, das ist der Grund, dass er hier ist. Es hat nicht mit ihnen beiden und der Sache zwischen ihnen zu tun. Sache … Nein, sie darf nicht darüber nachdenken. Sie beide, das sollte nicht sein. Sie hatten ihre Chancen und nun ist es nicht mehr machbar. Abrupt dreht sie sich herum. “Komm mit, ich zeige dir den Computer. Meine Chefin hat auch ein paar Notizen hinterlassen. Ich hoffe, du verstehst, was sie sagen will, denn ich bin damit hoffnungslos überfordert.” “Das werden wir gleich sehen. Aber noch bin ich guter Dinge.” ~✒️~ “So, damit geht alles wieder und es dürfte keine Probleme mehr geben.” Mit einer schnellen Bewegung der Maus schließt Mario die Programme, die er genutzt hat. Er ist zufrieden. Alles tut wieder, wie es sollte. “Wow. Ich hätte nicht gedacht, dass du Mizumis Aussagen verstehst. Hier zum Beispiel. Der rotgrüne Bobbel, der nicht mehr reagiert.” Elsa beugt sich nach vorn, über den Zettel, der vor Mario noch über der Tastatur auf dem Tisch liegt. Als dieser seinen Kopf dreht, bemerkt er, wie nahe sie beide sich plötzlich sind. Ihr Geruch dringt tief in seine Nase. Fein, blumig. Etwas Erdbeere. Und es erinnert ihn an ihren Kuss damals. Sein Herz schlägt schneller und der Wunsch, sie erneut küssen zu wollen, breitet sich in ihm aus. Auch sie dreht in diesem Moment ihren Kopf zu ihm und erstarrt. Sie ist ihm so nahe, kann genau in seine dunklen Augen sehen. Erkennt den goldenen Sprengel in der linken Regenbogenhaut. So stark wie ihr Herz schlägt, muss er es hören, oder? Wie lange sie beide in dieser Haltung verharren, ist ihnen beiden nicht bewusst. Als hinter ihnen jedoch die Türe schwungvoll aufgerissen wird, zucken sie zusammen und Elsa macht einen Satz nach hinten, bringt so Abstand zwischen sie beide. “Hallo, da bin ich. Na, funktioniert alles wieder?”, stürmt Mizumi in ihr Büro, den Blick auf ihren Computer gerichtet. Während Mario ihrer Chefin alles erklärt, steht Elsa im Hintergrund, presst ihre Hände auf ihr Herz und versucht wieder zur Ruhe zu finden. Wie kann es sein, dass er dieses Gefühlschaos in ihr auslöst? Sie weiß doch, dass das zwischen ihnen beiden etwas ist, das nicht mehr sein kann. Zudem sind sie beide in festen Beziehungen. Und ihre Beziehung fühlt sich richtig an, ist es auch. Zumindest dachte sie das, ehe sie Mario begegnet ist. Und nur dadurch, dass sie sich sehen, wird alles wieder in diese Unsicherheit gezogen. “Sehr schön. Wenn wieder etwas sein sollte, melden Sie sich bitte bei mir. Das ist meine Visitenkarte.” “Das werde ich. Vielen Dank, Herr Hongo.” “Gerne doch.” “Dann bringe ich dich noch raus, Mario.” Elsa macht einen Schritt auf ihn zu. “Oh, kennt ihr euch etwa?” Mizumi richtet ihren Kopf auf ihre Mitarbeiterin. Diese lächelt, wenn auch etwas gezwungen. “Ja. Wir waren zusammen in der Schule.” “Und ich bin mit ihrem Bruder befreundet.” Mizumi zieht ihre Augenbrauen nach oben, ehe sie lacht. “Oh Elsa, deine Welt ist wirklich klein. Dann wünsche ich noch einen schönen Nachmittag.” “Danke, Ihnen ebenfalls.” Gleich darauf laufen Elsa und Mario schweigend durch die Flure. Zweiterer überlegt krampfhaft, was er sagen soll, bis er schließlich das Wort ergreift. Er will nicht einfach gehen. Nicht, wenn er sie endlich wieder einmal sieht. “Wie geht es dir?” Vielleicht nicht einfallsreich, aber ein Anfang. “Gut. Und dir?” “Auch.” “Und Nami?” “Ihr auch.” “Das ist schön.” Und wieder schweigen sie. “Ich … habe zuletzt etwas bei meiner Mutter gesehen.” “Und das wäre?” Neugierig dreht Elsa ihren Kopf zu ihrem Begleiter. “Du kennst ja sicherlich solche Klatschpressezeitungen.” Kurz huscht ein Schatten über Elsas Gesicht. Die Klatschpresse. Mit dieser hat sie in den vergangenen Monaten nicht immer gute Erfahrung gemacht. “Ja, tue ich”, presst sie hervor. “Das … Nun ja, ich habe dich in ein paar davon gesehen. Zusammen mit Viktor.” Nun entkommt ihr ein leises Prusten. “Du hast Klatschpresse gelesen?” “Nun ja, du warst auf dem Cover. Und da musste ich reinlesen.” “Das glaube ich dir gerne. Aber du hast gesagt, du hast in ein paar davon reingesehen. Also Mehrzahl.” Marios Wangen nehmen einen roten Schimmer an. “Sie hatte halt mehrere. Also habe ich reingeschaut. Ich meine … Immerhin kenne ich dich. … und Viktor.” Elsa hält inne. Von ihrer ausgelassenen Stimmung ist plötzlich nichts mehr da. “Mhm”, bringt sie nur hervor. Sie weiß, worauf er hinaus will. Viktor Uesugi ist die Nummer 1 der japanischen Nationalmannschaft. Noch dazu sieht er sehr gut aus. Sie ist die Letzte, die das jemals bestreiten würde. Er ist öfter in der Klatschpresse zu finden. Und seit einiger Zeit nun nicht mehr nur er. “Also stimmt es … dass ihr beide ein Paar seid.” Unbewusst sind sie stehen geblieben und während Marios Blick ernst auf Elsa liegt, weicht diese ihm aus. Mit einer Hand streicht sie eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Sie fühlt sich unwohl. Ja, sie ist mit Viktor in einer Beziehung. Sie ist gerne mit ihm zusammen und es fühlt sich richtig an. Und doch fühlt es sich wiederum nicht gut an, es vor Mario zuzugeben. Obwohl er mit ihrer Cousine zusammen ist. Obwohl zwischen ihnen beiden so gesehen nie etwas gelaufen ist – außer diesem einen Kuss. Und doch ist da diese Anziehungskraft, die sie nicht verleugnen kann. “Ja”, antwortet sie daher nur. Was soll sie auch sonst sagen? Erneut ist es still. Mario muss erst verarbeiten, dass sie die Frage bejaht hat. Eigentlich hat er es gewusst. Auch Gregor hat einmal so etwas erwähnt. Und doch trifft es ihn. Immerhin geht es um sie. Um Elsa. Die Frau, die nur doch ihre Anwesenheit, einen Blick oder auch ihre Stimme Gefühle in ihm aufwirbelt, die er eigentlich schon lange nicht mehr haben sollte. Eigentlich … “Ich hätte damit nie gerechnet. Ich meine, ich kenne Viktor schon lange und sehe ihn als Freund an. Ich mag und respektiere ihn, wirklich. Aber … ich hätte ihn nicht an deiner Seite gesehen.” Er hält inne, ehe er schief grinst. “Entschuldige, es geht mich nichts an.” “Das ist schon okay.” Elsas Stimme ist nur ein Flüstern. Dann räuspert sie sich, ehe sie mit festerer Stimme weiterspricht. “Ich hatte es auch nicht auf dem Schirm, das kannst du mir glauben. Ich habe ihn nie so angesehen. Eigentlich habe ich mir in dieser Hinsicht nie Gedanken gemacht. Über einen anderen Mann als …” Sie stoppt den Satz abrupt, presst ihre Lippen zusammen. Mario ist mit Nami zusammen! Ihrer Cousine! Es ist hinfällig, dass sie sich über etwas anderes Gedanken gemacht hat. “Aber er hat mich um ein Date gebeten. Und es lief gut.” “Sehr gut anscheinend.” Auch Marios Stimme klingt gepresst. “Ja.” Erneute Stille. “Es scheint dir gutzugehen.” “Das tut es, ja.” “Das … freut mich.” Mario lacht leise, leicht gekünstelt. “Es hört sich vielleicht nicht so an, als würde ich es ernst meinen, doch ich tue es. Wirklich.” Elsas Blick auf ihn wirkt nachdenklich. Es scheint kurz, als wollte sie etwas sagen, öffnet den Mund und schließt ihn jedoch ohne ein Wort wieder. “Danke dir”, bringt sie schließlich doch noch hervor. Ihren Augen ist anzusehen, dass sie dieses Wort ernst meint, doch Mario ist sich sicher, dass sie eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen. Doch was? Etwas, das sie beide betrifft? Vermutlich ist es nur Wunschdenken von ihm. Gerne würde er sie fragen, was sie eigentlich sagen wollte. Doch er tut es nicht. Weil er vor einiger Zeit eine Entscheidung getroffen hat. Eine falsche. Und damit muss er nun leben. Sie beide. Kapitel 20: 20 -------------- November X7 Sieben Jahre und zwei Monate nach dem Brief “Alles Gute zum Geburtstag, Bruderherz.” Elsa schließt ihren Bruder in ihre Arme, drückt ihn fest an sich. “Danke dir, Schwesterchen.” Gregor erwidert die Umarmung nur zu gerne, während er auf seine zwar ältere, aber kleinere Schwester hinuntersieht. Bereits in der Mittelschule hat er sie größentechnisch überholt. Als die beiden sich voneinander trennen, tritt Viktor zu seinem Schwager. “Von mir auch alles Gute, Gregor.” “Danke auch dir.” Die beiden Männer schlagen ein, umarmen sich ebenfalls und klopfen sich dabei auf den Rücken. “Dann kommt mal mit rein.” Gregor nimmt die beiden Personen, die für ihn Familie sind, mit in das große und offene Wohnzimmer der Wohnung, die er zusammen mit Conny bewohnt. Dort ist bereits viel los. “Hey, Viktor!” Kevin hebt seine Hand und winkt dem Torwart zu. “Wie cool, dass du hier bist!” “Klar, das lasse ich mir doch nicht entgehen.” Viktor geht zu demjenigen, der gerufen hat und stößt seine Faust zur Begrüßung gegen dessen. “Trotzdem kaum zu glauben, dass du dich mit uns kleinem Fußvolk einlässt.” “Was soll das denn heißen? Gregor ist der Mann meiner Schwester. Der ist verschwägertes Fußvolk.” “Und nicht zu vergessen, da ist ja auch noch Elsa.” “Die zufällig Gregors Schwester ist.” Charlie und Jeremy zwinkern dieser synchron zu, was es manchmal fast unheimlich macht. Ein lautes Lachen entkommt Viktor und legt einen Arm um diejenige, um die es gerade geht. “Ach, für die zähle ich doch nicht als Fußvolk. Der Einzige, der jemanden hier zu Füßen liegt, bin ich – und das ihr. Okay, Gregor hoffentlich noch meiner Schwester. Hoffe ich für ihn.” “Mache ich!”, erklingt dessen Stimme im Hintergrund und entlockt allen ein lautes Lachen. “Gut, so sollte das sein.” Viktor grinst breit, ehe sein Blick auf der weiteren Person landet, die ebenfalls auf einem der beiden Sofas sitzt, auf denen sich unter anderem auch Kevin und die Zwillinge niedergelassen haben. “Hey Mario.” Er hebt auch diesem zur Begrüßung die Faust entgegen. “Hallo Viktor.” Mario erwidert die Begrüßung und schlägt seine Faust gegen die des Älteren, ehe sein Blick zu Elsa weiter gleitet. “Hallo Elsa”, bringt er sanft hervor. Wie immer bringt allein ihr Anblick sein Herz dazu, schneller zu schlagen. “Hallo Mario.” Sie streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Ihr Blick huscht hin und her, um ihn nicht ansehen zu müssen. “Ist Nami auch da?” Mario erstarrt für einen kurzen Augenblick, ehe er schief grinst und seinen Kopf schüttelt. “Nein, sie ist nicht da. Sie … konnte heute nicht.” “Häh? Warum sollte Nami auch hier sein?” Gregor taucht neben seiner Schwester auf. “Warum nicht?”, erwidert diese, während sie ihn mustert. “Sie ist Marios Freundin und …” Gerade als Gregor den Mund öffnet, erkennt er, dass sein bester Freund heftig den Kopf schüttelt. “Sie kann heute nicht. Sie wird sicher wieder ein anderes Mal dabei sein”, gibt er stattdessen langsam von sich. Nun nickt Mario dankbar. “Schade. Aber gut. Wo ist deine Frau?” Elsas Aufmerksamkeit liegt immer noch auf ihrem Bruder, wodurch sie nicht mitbekommen hat, was gerade vor ihr auf dem Sofa geschehen ist. “Die ist kurz im Schlafzimmer. Geh einfach rein. Sie wollte etwas suchen und da kann ich ihr, laut ihr, nicht helfen.” “Da wird sie recht haben. Aber ich vielleicht.” “Gut, dann spring schnell. Und bring sie dann her. Ich will meine Schwester auch gerne noch sehen.” Viktor gibt Elsa einen sanften Kuss auf die Stirn, die ihr ein Lächeln entlockt, ehe er sie aus seiner Umarmung befreit. Marios Blick folgt ihr, ehe er ihn wieder auf Viktor richtet. Dieser befindet sich bereits in einer angeregten Unterhaltung mit den anderen Anwesenden. Anscheinend hat er auch nicht wirklich mitbekommen, dass er Gregor gerade den Mund verboten hat – wenn man es so nennen kann. ~✒️~ Ein Lachen entkommt Elsa. Sie ist gelöst und ihre Augen strahlen. Das alles nimmt Mario wahr. Sie sitzt inzwischen neben Viktor auf dem Sofa gegenüber dem, auf dem er selbst sitzt. Viktors Arm liegt um ihre Schultern, hat sie sanft an sich gezogen. Ihre Hand befindet sich auf seinem Knie. Mario fühlt sich hin- und hergerissen. Einerseits empfindet er es als wundervoll, dass es ihr augenscheinlich so gut geht. Dass sie so lächelt und ihre Augen leuchten. Doch dann ist da auch der Punkt, der ihm ins Herz sticht. Es ist ein anderer Mann, der dafür sorgt. Es ist nicht er. Er presst seine Lippen unbewusst aufeinander und auch seine Hände ballen sich auf seinen Knien zu Fäusten. Da trifft Elsas Blick auf seinen. Es ist, als würde die Zeit für einen Augenblick stillstehen und sein Herz nimmt einen Schlag zu. Alles andere, alle Personen um sie herum, verschwimmen, geraten in den Hintergrund. Es gibt nur sie für ihn. Auch Viktor neben ihr verschwindet. Doch da wendet sie ihren Blick wieder ab. Auch sie presst ihre Lippen für einen kurzen Moment aufeinander. Sie wendet sich wieder Viktor zu. Mario unterdrückt ein Seufzen. Sie. Inzwischen ist es so lange her. Als er elf Jahre alt war, hat er sich in sie verliebt. Als er siebzehn war, hat sie ihm ihre Gefühle in diesem Liebesbrief gestanden, von dem er es bereut, dass er ihn zerrissen hat. Zwar hat er ihn erst mit achtzehn Jahren gelesen, doch trotzdem nimmt er immer diesen Zeitpunkt, als sie den Brief geschrieben hat, diesen einen Punkt in ihrem Leben, an dem es eigentlich hätte beginnen sollen. Er ist inzwischen vierundzwanzig Jahre alt, sie ebenso. Und an welchem Punkt in seinem Leben ist er jetzt? Er weiß, dass er sie liebt. Dass sie seine große Liebe ist. Und dass sie in einer Beziehung ist. Das war sie schon einmal. Doch gerade ist etwas anders. Damals, in der Beziehung mit Mamoru, da hat er diese als Fehler angesehen. Er konnte den Typen nicht leiden. Die komplette Zeit über, in der sie mit diesem zusammen war. Mamoru war nicht der Richtige für sie. Aber er, Mario, wäre es gewesen. Und das hatte Elsa ihm auch mehr oder weniger bereits einmal gesagt. Doch nun ist sie mit einer Person zusammen, die er mehr als respektiert. Viktor ist bereits früher ein Freund gewesen. Ein guter Freund, der nicht nur die Kickers, sondern auch ihn unterstützt hat. Und er sieht auch, wie Elsa neben diesem aufblüht. Wie sie lacht und strahlt. Wie ihre Augen leuchten. Wie also könnte er sagen, Viktor wäre der Falsche? Denn augenscheinlich ist er es nicht. Und das ist der Grund, weshalb er sie gehen lassen muss. Es war Elsa, die ihm vor über einem Jahr gesagt hat, dass es für sie beide keine Chance mehr geben wird. Weil er eine Beziehung mit ihrer Cousine begonnen hat. Und das hat er nur aus dem Grund, weil er dachte, dass sie sich immer für Mamoru entscheiden würde. Hätte er nur noch etwas länger gewartet an diesem Abend beziehungsweise in dieser Nacht … Charlie hatte ihm später gesagt, dass Elsa ihn gesucht hatte. Ob sie sich da schon von Mamoru getrennt hatte und sie beide doch eine Chance gehabt hätten? Doch es ist müßig, darüber nachzudenken. An Dingen, die bereits geschehen sind, kann man nichts mehr ändern. Und deswegen ist jeder Gedanke an die Vergangenheit verschwendet. Er muss nach vorn schauen. Darauf, was kommen wird. Doch auch die Zukunft wird nicht so werden, wie er es sich wünscht. Denn nun ist dort jemand anderes. An der Stelle, an der er gerne selbst wäre. Wenigstens ist es dieses Mal anscheinend der Richtige. Ein trauriges Lächeln schleicht sich auf seine Züge. Wichtig ist, dass es für Elsa passt. Und das tut es. Seine Gefühle sind in dieser Hinsicht unwichtig. Abrupt steht er auf. Er muss hier weg. Er braucht eine Pause. Eine Pause davon, zu sehen, wie sie wegen eines anderen lächelt. Kurz darauf tritt er auf den Balkon und im ersten Moment fröstelt er. Es ist November und schon sehr kühl. Doch die frische Luft tut ihm gut. Er wünscht sich, dass er auch seine Gedanken einfach drinnen hätte lassen können. Doch das ist nicht möglich. Diese begleiten ihn. Heute Abend, an dem er sie sieht, mehr als sonst. Als sich die Balkontüre hinter ihm mit einem Knirschen öffnet und wieder schließt, erstarrt er für einen Moment und Hoffnung kommt in ihm auf. Ist das etwa … “Alles in Ordnung, Mario?” Dessen Schultern sinken enttäuscht herab. Der falsche Daichi. “Wie kommst du darauf?”, fragt er, als sich sein bester Freund neben ihn stellt und mit den Händen an dem Balkongitter festhält, auf dem er selbst sich mit den Unterarmen abstützt. “Ich kenne dich, Mario. Schon eine ganze Weile. Ich habe den Ausdruck in deinen Augen wahrgenommen. Auch wenn du versucht hast, deine Gefühle zu verstecken, so hat das mit deinem Blick nicht geklappt.” “Ach ja? Und was haben meine Augen dir gesagt?” Diese sehen in dem Augenblick zum Himmel auf, anstatt den neben ihm Stehenden zu betrachten. “Dass es dich beschäftigt, vielleicht, wenn nicht sogar vermutlich, verletzt, Elsa zu sehen. Zusammen mit einem anderen Mann.” Ein trockenes Lachen entkommt Mario. “Tja, du kennst mich anscheinend zu gut.” “Zu gut würde ich das nicht nennen. War es eine dumme Idee, euch gleichzeitig einzuladen?” “Hmm … nein, eigentlich nicht. Ich meine, es ist dein Geburtstag. Sie ist deine Schwester, er dein Schwager. Ich bin nur dein bester Freund.” “Bitte. Du bist nicht nur mein bester Freund. Das ist wirklich eine dumme Aussage. Du gehörst für mich genauso dazu. Ich wüsste nicht, wie ich mich zwischen euch entscheiden sollte.” Nun lacht Mario erneut, aber dieses Mal ist es ein echtes Lachen, das tief aus seinem Inneren kommt. “Glaube mir, ich will gar nicht, dass du dich zwischen uns entscheiden musst. Und wenn doch, dann ist es die Familie, die zählt, klar?” Ernsthaft sieht er Gregor an. Dieser zuckt nur mit seinen Schultern. “Du bist doch auch fast so etwas wie Familie.” Ein Stich fährt durch Mario. Wäre er damals mit Elsa zusammengekommen und sie wären noch ein Paar, dann wären sie das doch, oder? Wären er und Elsa dann vielleicht sogar auch schon verheiratet? Dann würde dieses Wort, Familie, noch so viel mehr bedeuten. Aber auch diese Gedanken sind müßig. “Trotzdem, Gregor. Elsa ist deine wahre Familie.” “Ne. Geschwister sind die Familie, die man bekommt. Freunde die Familie, die man sich selbst aussucht.” Wieder huscht Mario ein Lächeln über das Gesicht. Gregor hat diese Art, die einen aufmuntert und aufbaut. “Dann danke.” “Nicht dafür. Und nochmals zu Elsa zurückzukommen. Es tut mir trotzdem leid, dass es dich so trifft, dass sie mit Viktor zusammen ist. Und dass du das nur so deutlich zu Gesicht bekommst, weil ich euch zur gleichen Zeit eingeladen habe. Die letzten Jahre habe ich das nicht gemacht. Und dieses Jahr habe ich ehrlich gesagt nicht darüber nachgedacht …” “Es muss dir nicht leidtun, Gregor. Und es ist gar nicht wirklich das, dass ich sie mit Viktor zusammen sehe. Es geht mehr darum”, er stockt, überlegt, wie er seine Gefühle am besten in Worte verpacken kann. “Es geht darum, dass ich nicht ganz damit klarkomme, dass es nicht ich bin, der dafür sorgt, dass sie so lächelt. Es ist ein anderer Mann. Und ich weiß ja, dass unsere Chance vorbei ist, das hat sie vor über einem Jahr klipp und klar gesagt. Trotzdem kann ich die Empfindung, dass ich es sein will, der sie so zum Strahlen bringt, nicht abstellen. Wäre ich damals nicht mit Nami zusammengekommen, würde es sicherlich anders aussehen.” “Aber das ist doch inzwischen …” “Gregor, nicht.” “Warum nicht? Ich verstehe nicht, warum Elsa das mit Nami nicht wissen darf.” “Weil sie in einer Beziehung ist, die ihr gutzutun scheint. Das war mit Mamoru nicht so. Aber Viktor ist ein toller Kerl. Und das bedeutet, dass es in Ordnung ist. Wirklich. Ich muss einfach lernen, damit klarzukommen.” “Ach Mario.” Ein Seufzen begleitet Gregors niedergeschlagene Aussage, sorgt erneut für ein leises Lachen bei seinem besten Freund. “Klingt schon melodramatisch, was? Aber keine Sorge, das wird schon. Wenn ich sie die nächsten Wochen nicht sehe, wird das auch wieder etwas besser. Das wird es immer. Es reißt mich nur dann um, wenn ich sie nach langer Zeit wiedersehe.” “Und das wiederum beweist wohl, dass deine Gefühle echt sind …” “Vermutlich.” Gerade als Gregor ansetzen und etwas Weiteres sagen will, öffnet sich hinter ihnen die Türe. Beide Männer drehen sich herum, um die Person anzusehen, die heraustritt. “Sieh mal, da kommt die Frau, über die wir gerade gesprochen haben.” Während Mario erstarrt, färben sich Elsas Wangen bei Gregors Worten rot. Ihr Griff festigt sich um die Klinke der Balkontüre. “Ich …”, bringt sie überfordert hervor. “Suchst du mich, Schwesterherz?” Gregor muss schmunzeln, als er seine Schwester so sieht. “Ehrlich gesagt … nein. Ich wollte nur kurz …” Ihr Blick huscht zu Mario, der überrascht blinzelt. “Alles gut. Dann sprecht mal miteinander.” Gregor klopft seinem besten Freund auf die Schulter, ehe er mit einem sanften Lächeln an seiner Schwester vorbei ins Innere der Wohnung tritt. Kaum, dass er dort ist, weicht sein Lächeln wieder. Er fühlt mit den beiden. Auch Elsa kann man ansehen, dass es sie mitnimmt und Mario ihr nicht egal ist. Und doch sieht man ebenso, dass Viktor sie glücklich macht. Er ist froh, nicht in der Haut von einem dieser Dreien zu stecken. Er hat seine große Liebe gefunden. Und er ist dankbar, dass er es nicht so kompliziert hatte. Er hofft, dass es sich für die drei geben wird und dass sie alle glücklich werden. “Elsa?” Mario sieht die junge Frau an, die immer noch wie angewurzelt an der Balkontüre steht, durch die Gregor gerade gegangen ist. Es dauert noch kurz, ehe sie die Türe hinter sich schließt und zu ihm tritt. Jeder ihrer Gesten kann man entnehmen, dass sie sich unwohl fühlt. Immer noch hat sie kein Wort gesagt, scheint auch nicht zu wissen, was sie von sich geben soll. Er nimmt ihr diese Entscheidung ab. “Macht er dich glücklich?” Das ist alles, was er wissen will. Was er wissen muss. Erstaunt dreht sie ihren Kopf zu ihm. Kurz huschen allerlei Emotionen durch ihr Gesicht, die schließlich alle von einem Lächeln überschrieben werden. “Ja, das macht er. Wirklich.” “Das freut mich für dich.” Mario zwingt sich zu einem Lächeln. Doch er kann Elsas Blick entnehmen, dass sie bemerkt, dass es nicht echt ist. Ja, er will, dass sie glücklich ist. Ihr Glück ist das wichtigste von allem. Doch er wünschte sich, dass er es wäre, der sie glücklich macht. Doch er kann es nicht. Nicht mehr. “Für mich ist das Wichtigste, dass du glücklich bist. Und wenn er es ist, der dafür sorgt, komme ich damit klar, Elsa. Und doch”, erneut heben sich seine Mundwinkel schief nach oben, “kannst du es vielleicht verstehen, dass es für mich hart ist, jemand anderen an deiner Seite zu sehen.” Für einen Moment herrscht Stille. Dann überrascht Elsa ihn. Sie presst ihre Lippen aufeinander und er kann Tränen in ihren Augen glitzern erkennen, als sie eine Hand nach ihm ausstreckt. Für einen flüchtigen Augenblick streifen ihre Fingerspitzen seine Wange. “Das kann ich wirklich verstehen. Manchmal würde ich es mir auch anders wünschen.” Und damit dreht sie sich herum und verschwindet wieder ins Warme der Wohnung. Marios Finger wandern über seine Wangen, wo er noch das Kribbeln spürt, das ihre Berührung hinterlassen hat. Und da wird ihm etwas bewusst. Während Viktor Elsa zum Lächeln gebracht hat, hat er dafür gesorgt, dass sie weint. Beweist das nicht, dass es genauso richtig ist, wie es aktuell ist? Mit aufeinander gepressten Lippen dreht er sich wieder zur Balkonbrüstung herum und lehnt sich dagegen. Dieser Gedanke muss einfach noch in seinem Herzen ankommen, dann wird alles gut werden. Kapitel 21: 21 -------------- Januar X8 Sieben Jahre und vier Monate nach dem Brief “Elsa, würdest du bitte kurz in mein Büro kommen?” Erstaunt hebt die Angesprochene ihren Kopf. Ihre Chefin steht in der offenen Türe zu dem Büro, in dem Elsa arbeitet. “Natürlich, ich komme sofort.” “Gut.” Mizumi dreht sich herum, während Elsa sich beeilt, die vor ihr liegenden Unterlagen zu ordnen, um sie in den Ordner zurückzuräumen, aus dem sie sie hat. Anschließend eilt sie ihrer Chefin hinterher. Diese hat sich bereits wieder hinter ihren Schreibtisch gesetzt. Kaum dass Elsa den Raum betritt, deutet Mizumi auf die Türe. “Schließ doch bitte die Türe hinter dir.” Elsas Magen zieht sich unangenehm zusammen. Die Türe schließen? Das bedeutet doch sicherlich, dass das hier ein wichtiges Gespräch ist. Eines, von dem niemand anderes etwas mitbekommen soll. Ein unangenehmes Gespräch. Hat sie etwas falsch gemacht? Hat sich einer der Kunden über sie beschwert. Noch während sie fieberhaft darüber nachdenkt, folgt sie Mizumis Handbewegung, die ihr andeutet, dass sie sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch setzen soll. “Was ist passiert? Was ist schiefgegangen? Ich verspreche, dass ich für alles aufkommen werde!”, platzt es aus ihr heraus, noch ehe ihre Chefin ein Wort sagen kann. Diese sieht sie verdutzt an, ehe sie lacht. “O Elsa, es ist nirgends etwas schiefgelaufen. Entschuldige bitte, wenn ich dich erschreckt haben sollte, dass ich dich einfach so hierher gebeten habe.” “Nicht?” Langsam lässt die Anspannung in Elsa wieder nach und sie lässt sich nach hinten sinken. “Nein. Du hast nichts falsch gemacht, ganz im Gegenteil.” “Ja?” “Oh ja. Elsa, ich bin sehr zufrieden mit dir. So zufrieden, dass ich ein Angebot für dich habe.” “Wirklich?” Die Angesprochene richtet sich wieder auf. Neugierde durchströmt sie. “Du bist aktuell als Junior Managerin bei uns angestellt und das nun schon seit einer Weile. Du machst deine Arbeit mehr als gut, sogar mehr als sehr gut. Die Kunden sind alles sehr zufrieden und ich bekomme eine große Menge an Lob für dich zu hören. Ich weiß, dass ich mit dir damals aufs richtige Pferd gesetzt habe, als ich dich nach dem Studium eingestellt habe. Ich habe es bis heute nicht ein einziges Mal bereut und das hat etwas zu heißen.” “Ich danke dir vielmals.” Mit roten Wangen verneigt sich Elsa leicht auf ihren Stuhl. Ihr Herz schlägt schnell gegen ihren Brustkorb. Das ist ein riesengroßes Lob! Und es freut sie sehr. “Das musst du nicht. Immerhin hast du dir alles selbst erarbeitet. Worauf ich hinaus will, ist etwas anderes. Wie du weißt, ist die nächste Stufe, die du als Eventmanagerin erreichen kannst, die als Senior Managerin.” Nun schlägt Elsas Herz noch aufgeregter. Eine Beförderung? “Und ich würde dich gerne dazu befördern.” “Ja, das ist wirklich toll!” Elsas Stimme ist die Begeisterung zu entnehmen, sie überschlägt sich fast. “Um den Posten als Senior Managerin zu erhalten, musst du aber noch eine Weiterbildung machen. Diese geht fünf Monate. Anschließend giltst du für sieben Monate erst einmal als Senior Managerin auf Zeit. Und danach hast du diesen Titel fest. Du weißt, mit ihm bekommst du mehr Verantwortung. Und auch mehr Geld.” “Das ist gar kein Problem für mich. Also die Verantwortung.” Elsa hält inne, ehe sie grinst. “Mehr Geld natürlich auch nicht.” Mizumi lacht, wird aber sofort wieder ernst. “Es gibt nur eine Sache, Elsa, die es zu bedenken gibt.” “Und die wäre? Ich bin mir sicher, dass es nichts gibt, was mich davon abhalten wird.” “Ich kann dir diese Weiterbildung hier nicht anbieten. Allerdings habe ich gute Freunde, die ebenfalls eine Eventagentur haben und die Weiterbildung durchführen. Das ist allerdings nicht hier. Du müsstest also für ein Jahr wegziehen.” Elsa hält inne. Ihre Stirn legt sich in Falten, als sie nachdenkt. Schließlich winkt sie ab. “Im Notfall pendle ich übers Wochenende, das bekomme ich sicher auch hin.” “Nun, mit Wochenendpendeln wird das vermutlich weniger etwas. Und hast du eventuell Französisch als Fremdsprache in der Schule? Wenn ja, solltest du die Kenntnisse auffrischen. Oder lernen, wenn du es noch nicht hattest und du das Angebot annehmen willst.” Elsas Augen weiten sich. Französisch? Doch da erhält sie schon die Antwort auf die unausgesprochene Frage. “Die Eventagentur, die die Weiterbildung anbietet, ist in Paris.” Kapitel 22: 22 -------------- Part 6 - Love in Paris Dezember X8 Acht Jahre und drei Monate nach dem Brief “Oh man, ich muss dich wirklich besuchen kommen. Paris ist doch die Stadt von jedermanns Träume.” Ein lautes Seufzen dringt durch den Hörer, den Elsa an ihr Ohr gedrückt hält. Dieser entkommt ein leises Lachen. “Oh, das ist sie wirklich. Es ist schön hier. Und jetzt, wo Dezember ist, wird es richtig weihnachtlich. Ganz anders als bei uns in Japan. Es werden gerade sogar Weihnachtsmärkte eröffnet. Und die sind viel größer als bei uns.” “Am liebsten würde ich sofort kommen und es mir ansehen. Paris, die Stadt der Liebe und das im Zeichen von Weihnachten. Aber es geht leider nicht. Ich habe aktuell zu viel Arbeit und zu viele Aufträge. Aber wäre das nicht, würde ich sofort einen Flug für mich buchen und wäre schon morgen bei dir.” “Ich hätte einen Platz in meinem Bett für dich, Nami.” Elsa lacht leise. “Meine Lust wird größer. Und du wärst die perfekte Begleitung in der Stadt der Liebe, Cousinchen.” Auf diese Aussage festigt sich Elsas Griff um den Hörer. Ein seltsames Geräusch verlässt ihre Lippen. Eigentlich sollte es erneut ein Lachen sein, doch es ist mehr ein Krächzen. “Meinst du nicht, dass du dann eher mit … mit Mario hierherkommen solltest? Ich meine, es ist die Stadt der Liebe. Was wäre da richtiger, als mit seinem … seinem Freund hier zu sein?” Auch nach der langen Zeit möchte sie eigentlich nicht darüber nachdenken. Nicht nur darüber, dass Mario eine Freundin hat, sondern auch, dass ihre eigene Cousine seine Freundin ist. Generell will sie nicht an ihn denken, denn es wirbelt ihre Gefühle jedes Mal mehr als durcheinander. Jeden Tag aufs Neue. Und seit sie hier ist, in Paris und ohne in einer Beziehung zu sein, schweifen ihre Gedanken immer häufiger zu ihm. Vermutlich, weil Paris als Stadt der Liebe bezeichnet wird. Und ihr Kopf verbindet Liebe eben mit ihm. “Elsa.” Ihr Name klingt in einem verwunderten Tonfall durch den Hörer. “Mario und ich sind kein Paar mehr. Und das seit bald eineinhalb Jahren.” Das rauschende Blut in ihren Ohren und ihr hämmerndes Herz sind das Einzige, was Elsa in diesem Moment vernimmt. Diese Nachricht trifft sie. Zu wissen, dass er mit Nami zusammen ist, hat ihn für sie unerreichbar gemacht. Und das war gut so. Dadurch konnte sie ihr Herz für Viktor öffnen. Und hatte sie nicht eine wundervolle Zeit mit diesem? War sie nicht glücklich? Musste sie in der Zeit nicht so oft lachen, wie noch nie zuvor in einer Beziehung? Beziehungsweise in der einzigen Beziehung, die sie vor Viktor hatte. Und es war für sie auch einfacher zu akzeptieren, dass sie niemals mit Mario zusammen sein kann, eben weil er in einer Beziehung mit Nami ist. Doch nun … Nun ist alles anders. Es ist wie ein Blitz, der durch sie zuckt. Sie beide sind Single. Zur gleichen Zeit. Doch das tut nichts zur Sache. Sie können niemals zusammenkommen. Zitternd stößt sie die Luft aus. “Elsa? Ist alles in Ordnung?” Namis Stimme klingt besorgt. “Ja. Ja, alles okay”, murmelt sie. Doch ihre Cousine bemerkt, dass diese Antwort nicht wahr ist. “Elsa. Warum trifft es dich so, dass ich nicht mehr mit Mario zusammen bin? Meinetwegen? Oder seinetwegen? Mach dir keinen Kopf, wir haben uns gemeinsam für die Trennung entschieden. Wir hatten eine schöne Zeit zusammen, aber es war immer nur sehr oberflächlich. Nicht von meiner Seite aus, aber ich habe bemerkt, dass da jemand anderes ist. Eine andere Frau, der sein Herz gehört. Er konnte mich nicht lieben. Nicht so, wie es in einer Beziehung sein sollte. Doch ich wünsche ihm, dass er es dieser Frau irgendwann sagen kann. Und dass die beiden miteinander glücklich werden.” Namis Worte treffen. Mario liebt eine andere Frau. Sie ist diese andere Frau. Ein lautes Schluchzen bricht aus Elsa heraus. “Elsa?” “Es … es tut mir … so leid.” Die Worte bringt sie nur unter dem Schluchzen hervor, die unaufhaltsam aus ihr herausbrechen, so wie die Tränen, die über ihre Wangen laufen. “Was tut dir leid?” “Mario … er … ich …” Und allein diese Worte reichen anscheinend aus, um Nami alles zu sagen. “Du bist die Frau! Du bist die Frau, für die Mario das empfindet, was er für mich nie empfinden konnte! Er liebt dich!” “Es … es tut mir … wirklich so … leid. Ich wollte nicht … ich …” “Elsa! Es muss dir nicht leidtun! Vielmehr sollte es ihm leidtun! Es war mir eigentlich von Beginn der Beziehung an bewusst, dass da jemand anderes sein muss. Doch ich habe trotzdem weitergemacht. Gehofft, dass ich ihn dazu bringen kann, dass er sich in mich verliebt. Aber das habe ich nicht. Und nun, wo ich es weiß, dass du es bist, finde ich das nicht einmal mehr so schade. Also, ich finde es schon schade. Aber du – wem, wenn nicht dir, würde ich es mehr gönnen, mit ihm glücklich zu werden? Nur weil er und ich nicht mehr zusammen sind und es zwischen uns nie eine wirkliche Chance gab, will ich ja nicht, dass er unglücklich ist. Ich mag ihn trotzdem sehr gerne. Und du bist meine Cousine. Ich will, dass auch du glücklich bist.” Kurz herrscht Stille, ehe ein leises Lachen durch den Hörer klingt. Es klingt traurig. “Ach Elsa. Ich hätte es mir denken können, oder? Als er damals auf der Hochzeit von Gregor deinen Freund verprügelt hat. Warum sonst, wenn nicht deinetwegen?” “Nami … das zwischen Mario und mir, das … sollte bisher nicht sein. Und es ist auch nicht mehr möglich.” “Warum sollte es nicht mehr möglich sein? Du bist Single. Wenn ich es richtig weiß, ist er auch immer noch Single. Wir haben noch Kontakt, falls du dich fragst, woher ich das weiß. Also, warum ist es deiner Meinung nach nicht möglich, dass ihr beide zusammenfindet?” Ein unterdrückter Ton erklingt. “Deinetwegen.” “Meinetwegen? Ich würde keinem von euch je im Weg stehen, Elsa.” “Aber er ist dein Ex-Freund. Der Ex-Freund meiner Cousine. Und damit ist er tabu. Ich würde nie etwas mit ihm anfangen, nachdem ihr zwei …” “Papperlapapp!”, fällt Nami Elsa ins Wort. “Das macht mir nichts aus! Ich will, dass ihr glücklich werdet. Und wenn ihr nicht zusammen seid, seid ihr unglücklich. Daher ist es doch logisch, dass ihr ein Paar werdet.” “Wäre es für dich nicht seltsam, wenn du uns zusammen siehst?” “Nicht so seltsam, wie zu wissen, dass ich zwischen euch und eurem Glück stehe. Also, was hält dich ab?” Erneut schließen sich Elsas Finger fester um den Hörer. Was hält sie davon ab? Eigentlich nichts, oder? Sie ist Single. Als ihr die Weiterbildung und der damit zusammenhängende Weiterbildung angeboten wurde, wurde ihr gleich klar, dass sie das machen will. Sagt das nicht auch schon aus, dass die Beziehung zu Viktor nicht diesen Stellenwert für sie hatte? Sie beide hatten lange miteinander gesprochen. Überlegt, wie es für sie beide weitergehen sollte, wenn sie ein Jahr lang in Frankreich wäre. Nicht nur in einem anderen Land, sondern auch auf einem anderen Kontinent. Und auch wenn Viktor meinte, dass sie sicher eine Lösung finden und ihre Beziehung auch eine Fernbeziehung überstehen würde, war sie selbst anderer Meinung. Dieser Meinung ist sie auch heute noch. Eine Fernbeziehung ist nichts, was sie will. Viktor ist als Torwart auch so genug unterwegs. Wie soll er in seinen vollen Terminkalender auch noch Treffen mit seiner Freundin einbinden, die von einem anderen Land, sogar einem anderen Kontinent kommen muss? Oder dass er nach Frankreich kommt? Dann ist da auch noch der Preis. Es kostet Geld. Ein Flug von Paris nach Tokyo ist nicht günstig. Natürlich hatte Viktor sofort gesagt, dass er das alles zahlen würde, doch das wollte sie nicht. Sie will nicht von jemand anderen abhängig sein. Und nur, weil er genug Geld verdient, heißt das nicht, dass er sie aushalten sollte. Und so hatte sie sich für eine Trennung ausgesprochen. Viktor hatte das schließlich zähneknirschend akzeptiert – aber nur unter der Prämisse, dass sie beide nach ihrer Rückkehr schauen würden, ob sie beide noch eine Chance hätten. Das hatte sie ihm versprochen. Bisher hatte sie es auch als möglich empfunden. Hatte … Doch nun … Nun ist es anders. Mario bringt einmal wieder alles durcheinander. Vor allem ihre Gefühlswelt. Wobei sich ihre Gefühle für ihn noch nie verändert haben. Da kommt ihr eines. Ihre ganzen Argumente dafür, dass sie und Viktor kein Paar sein können, während sie in Paris ist, gelten an sich auch für Mario. Eine Fernbeziehung. Das ist nicht, was sie will. Stattdessen will sie diese Weiterbildung und den Job. Zudem verdienen weder Mario noch sie genug, um sich öfter zu sehen. Davon geht sie zumindest aus. Ihre Schultern sinken herab. “Wir befinden uns auf zwei unterschiedlichen Kontinenten”, flüstert sie. “Und das ist deshalb ein Hinderungsgrund, weil …?” “Ich habe mich von Viktor getrennt, weil ich keine Fernbeziehung wollte.” “Oder vielleicht auch, weil es dir wie Mario ging? Weil dein Herz eigentlich ihm und niemals Viktor gehört hat?” Namis Worte treffen erneut. Und wieder erstarrt Elsa. Sie muss nichts erwidern. “Sag es ihm wenigstens, Elsa. Von mir aus schreib ihm einen Brief. Aber sage ihm, dass du ihn liebst, wenn es wirklich so ist. Stell dich eurem Glück nicht in den Weg. Das hat keiner von euch verdient.” Kapitel 23: 23 -------------- Elsa sitzt an ihrem kleinen, runden Schreibtisch, auf einem der beiden Stühle in ihrem Ein-Zimmer-Apartment in Paris. Es ist wirklich nicht groß. An einer Seite steht ihr breites Bett. Gegenüber des Fußendes steht ein hoher Schrank mit Schiebetüren und einem Spiegel. Ein langes und hohes Regal rechts vom Bett dient zumindest ein wenig als Sichtschutz auf den Schlafbereich. Auf der anderen Seite davon steht der Tisch, an dem sie nun sitzt. Und dann ist da noch die kleine Küchenzeile neben dem Esstisch. Und das kleine Bad, in dem sie sich gerade so herumdrehen kann. Doch es reicht gut aus und es ist gemütlich. Sie fühlt sich hier wohl. Und zudem kann man von ihrem Fenster aus ein Stück des Eiffelturms erkennen. Doch gerade … Elsas Blick ist auf das Stück Papier gerichtet, das vor ihr auf der braunen Tischoberfläche liegt. Sie will einen Brief schreiben. Ein weiteres Mal. Den Dritten, wenn sie es richtig gezählt hat. Und sie will erneut ehrlich sein. Das musste sie Nami versprechen. Sie sollte Mario sagen, dass sie immer noch etwas für ihn empfindet. Wobei sagen nicht ganz das ist, was sie nun tun wird. Sie wird ihm schreiben. Und dann wird sie weitersehen, wenn sie wieder in Japan ist. Es sind noch acht Monate und danach können sie schauen, ob sie beide doch eine Chance haben. Eine Chance, zusammen zu sein. Endlich zu ihren Gefühlen zu stehen. Elsa hatte bis vor Kurzem nicht gedacht, dass es wirklich noch eine Chance geben würde. Eine Chance für sie beide. Doch es gibt diese Möglichkeit – sie hat sie nun. Sie muss sie nur noch ergreifen. Und das würde sie machen. Ihre Finger schließen sich fester um den Stift in ihrer Hand uns sie setzt die Spitze auf dem Papier auf. ~✒️~ Elsas Augen fliegen regelrecht über das Papier. Kann sie diesen Brief so abschicken? Lieber Mario, ich weiß, dass das hier nicht der erste Brief ist, den du von mir bekommst. Die anderen sind sicherlich Erinnerungen an schlechte Zeiten. Und ich könnte verstehen, dass du deshalb diesen Brief vielleicht gar nicht lesen willst. Doch ich würde mich freuen, wenn du mir eine Chance gibst, dir zu sagen, was in mir vorgeht. Diesen Brief schreibe ich dir aus Paris. Sicherlich hast du von Gregor mitbekommen, dass ich hier aktuell eine Weiterbildung mache, um anschließend eine Stelle als Senior Managerin zu erhalten. Es ist wundervoll hier. Aber so vieles ist anders als bei uns in Japan. Im Juli komme ich zurück, bis dahin werde ich jeden Augenblick hier genießen. Paris – du weißt sicher, dass man diese Stadt auch Stadt der Liebe nennt. Ich kann dem zustimmen. Es ist wirklich romantisch hier. Ich wünschte, du könntest das alles sehen. Sicherlich würde es dir gefallen. Ich denke es zumindest. Nami hat mir erzählt, dass ihr beide nicht mehr zusammen seid. Bereits seit einiger Zeit. Ich würde dich am liebsten fragen, warum du es mir nicht gesagt hast. Doch es ist deine Sache und daher ist das so in Ordnung. Vielleicht weiß ich es auch, zumindest glaube ich, einen Grund zu kennen. Das mit uns beiden, nein, das zwischen uns beiden, das ist eine Sache, die nie enden wird – oder? Meine Gefühle für dich, die waren noch nie weg. Sie sind immer da, tief in mir. Du hast mir einmal gesagt, dass ich immer deine große Liebe sein werde. Und ich bin mir sicher, dass du immer meine große Liebe sein wirst. Nun gerade, in diesem Augenblick, sind wir beide Single. Und genau dann, wenn das so ist, bin ich in einem anderen Land. Auf einem anderen Kontinent. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das zwischen uns vielleicht nicht sein soll … Doch ich wollte es dir sagen – muss es dir sagen. Dass sich an meinen Gefühlen für dich nie etwas geändert hat. Nami meinte, ich solle uns beiden nicht im Weg stehen, glücklich zu sein. Vermutlich habe ich das getan. Teilweise auch unbewusst. Und nun tue ich es wieder, weil ich nicht in Japan bin. Mario, ich denke viel an dich. Andauernd. In der Stadt der Liebe nur noch mehr. Deine Elsa Langsam lässt Elsa ihren Brief sinken. Ihr Blick liegt auf den Worten, die gerade einfach aus ihr herausgeströmt sind. Kann sie ihn wirklich so abschicken? Und obwohl sie sich nicht sicher ist, faltet sie das Blatt Papier zusammen und steckt es in einen Umschlag. Sie hat Marios Adresse von Nami bekommen. Dieser wohnt immer noch in der Wohnung, die er nach dem Studium bezogen hat. Ehe sie sich anders entscheiden kann und der Unsicherheit nachgibt, schließt sie den Umschlag und springt auf. ~✒️~ Eine halbe Stunde später tritt sie mit schnell schlagendem Herzen aus dem Gebäude, in dem die Postfiliale untergebracht ist. Der Brief an Mario ist unterwegs. Laut dem freundlichen Mitarbeiter dauert es ungefähr zwei Wochen, dann dürfte er beim Empfänger ankommen. Wenn sie Mario nun zwei Wochen Zeit für eine Antwort und weitere zwei Wochen für den Postweg von Japan nach Frankreich gibt, kann sie vermutlich im Januar mit einer Antwort warten. Bis dahin muss sie versuchen, ihr Herz zu beruhigen. Denn wenn es die nächsten Tage so weiterhin so schnell schlägt, wird sie das nicht aushalten. ~✒️~ Es sind gerade einmal zwei Wochen vergangen, seit sie den Brief versandt hat. In wenigen Tagen ist Weihnachten. Das erste Weihnachten, das sie allein verbringen wird. Doch Elsa ist sich sicher, dass Weihnachten allein in Paris keine Strafe ist. Sie wühlt in ihrer Tasche nach ihrem Hausschlüssel, während ihre Stiefel durch den bereits vermatschten Schnee laufen. Als sie den Schlüsselbund in den Fingern hält, zieht sie ihn hervor und hebt ihren Kopf. Dort vorn ist das Haus, in dem sich ihre Wohnung befindet. Eine Person steht davor. Abwartend. Als Elsa ihn erkennt, bleibt sie wie angewurzelt stehen. Ihr Kopf weigert sich, es wahrzunehmen. Doch ihr Herz springt ihr fast aus dem Brustkorb, denn ihm ist längst klar, was das bedeutet. Kapitel 24: 24 -------------- Elsas Herz schlägt hart in ihrer Brust. Dort steht er. Und er sieht sogar besser aus als früher, da ist sie sich sicher. Seine schwarzen Haare sind unter einer Wollmütze versteckt und er trägt eine etwas dickere Jacke, schließlich ist es hier Winter. Hinter ihm liegt auf der Treppe, die zu ihrer Haustüre hinauf führt, eine Reisetasche, die ihm gehören zu scheint. “M-Mario”, kommt ihr Name stotternd über ihre Lippen. Seine Mundwinkel heben sich zu einem schiefen Grinsen, dem die Unsicherheit zu entnehmen ist. “Ich habe deinen Brief bekommen.” Ihren Brief. Er hat ihn bekommen. Und gelesen. Nun ist er hier. Ihretwegen. Und da kommt Bewegung in Elsa, als diese Erkenntnis endlich endgültig zu ihr vordringt. Sie rennt los, schlittert das letzte Stück regelrecht, bis sie vor ihm stehenbleibt. Ihr Schlüssel landet mit ihrer Tasche auf dem Boden, während sie ihre behandschuhten Hände hebt und diese an seine Wangen legt. Für einen Augenblick sehen sie sich nur an. Der Blick aus hellbraunen Augen trifft auf den aus dunklen Augen. Und da stellt sich Elsa auf die Zehenspitzen und legt ihre Lippen auf seine. Es ist, als würde die Zeit stehen bleiben. Es gibt nur noch sie beide. So hat sie schon einmal empfunden. Bei dem ersten – und auch einzigen –, Kuss, den sie beide bis dahin geteilt haben. Und so ist es auch jetzt. Seine Nähe, sein Geschmack, sein Geruch. Er nimmt sie ein, alles an ihr. Und es ist genau richtig so. Mamoru war es, mit dem sie all ihre ersten Male geteilt haben. Mit dem sie nicht nur einmal geschlafen hat, sondern in ihrer immerhin jahrelangen Beziehung häufig. Und dann war da Viktor. Für ihn waren schon sehr viel mehr Gefühle da. Es hat sich gut angefühlt, mit ihm zusammen zu sein, intim zu werden. Doch das jetzt, dieser Kuss, nicht mehr als das, löst so viel in ihr aus. Er nimmt sie mit sich und weckt in ihr den Wunsch, nie mehr an einem anderen Ort als in Marios Armen zu sein. Keiner der anderen Männer und alles, was sie mit ihnen erlebt hat, kommt auf dieselbe Stufe, wie dieser eine schon fast schlichte Kuss. Doch schließlich müssen sie sich wieder voneinander lösen. Nicht nur Elsas, auch Marios Wangen haben einen sanften, roten Schimmer angenommen. Seine Augen leuchten ebenso wie ihre, während sie sich ansehen, noch nicht ganz realisiert haben, was gerade geschehen ist. Erst jetzt dringen auch die Geräusche ihrer Umgebung wieder bis zu ihnen durch. Marios Adamsapfel bewegt sich, als er schluckt. Ein Fahrradklingeln lässt ihn einen Schritt zurück machen und Elsa mit sich ziehen. Das Fahrrad ist jedoch nicht so nahe, wie er angenommen hat, sondern fährt einen Meter vor ihnen auf der Straße an ihnen vorbei. Kurz sieht Mario diesem hinterher. Bei diesem Wetter Fahrradfahren? Wobei, es kann ihm egal sein. Seine Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf Elsa. Diese löst sich aus seinen Griffen und hebt gleich darauf ihre Handtasche und ihren Schlüsselbund auf. Als sie sich zu ihm dreht, bemerkt er, dass sie mit der Situation etwas überfordert ist. “Komm, gehen wir lieber rein”, richtet sie an ihn und geht die Stufen hinauf. Mario greift nach seiner Reisetasche und folgt ihr mit schnellen Schritten. Ein paar Minuten später stehen sie in Elsas kleinem Flur und hängen ihre Jacken dort an die Garderobenhaken an der Wand. “Es ist nicht sonderlich groß”, entschuldigt sich Elsa, während sie in das Zimmer eintritt, das gleichzeitig Wohn-, Ess- und Schlafzimmer sowie Küche darstellt. “Es wirkt trotzdem sehr gemütlich”, antwortet Mario, während er sich neugierig umsieht. Doch schnell wird sein Blick wieder von Elsa angezogen. Er muss sie einfach ansehen, sie mustern. Sich immer wieder klarmachen, dass er wirklich hier ist, bei ihr. So scheint es auch ihr zu gehen, denn wieder treffen sich ihre Blicke. “Du bist wirklich hier …”, flüstert sie, wiederholt unbewusst seine Gedanken, spricht sie laut aus. “Ja. Ich … ich hoffe, das ist in Ordnung. Als ich gestern deinen Brief bekommen habe, nein, vorgestern …” “Was? Du bist direkt gekommen?” Ungläubig wird Elsas Stimme eine Oktave höher. “Ja. Ich habe deinen Brief gelesen, danach mit meinem Chef telefoniert, Urlaub genommen und bin an den Flughafen gefahren. Dort habe ich mir ein Ticket für den nächsten Flug nach Paris gekauft. Und nun bin ich hier.” Seine Anspannung nimmt zu. “Ich hoffe, das ist für dich in Ordnung.” Müsste es, oder? Immerhin hat sie ihn geküsst, als sie ihn da draußen gesehen hat. Unbewusst wandert seine Aufmerksamkeit auf ihre Lippen, die etwas offen stehen. Sie waren so weich. Der Wunsch, sie erneut zu küssen, kommt in ihm auf. “Wie … lange wirst du bleiben?” Gerade, als Mario einen Schritt auf sie zumachen wollte, stellt sie diese Frage. Er hält in jeder Bewegung inne. “Ich habe Urlaub für eine Woche einreichen können.” “Und … wo wirst du wohnen?” Diese Frage kommt zögerlich. “Ich”, erneut kratzt er sich peinlich berührt am Hinterkopf, “habe noch nicht nach einer Unterkunft geschaut. Aber ich werde vermutlich nach einem billigen Hotel oder eine Jugendherberge schauen, wo ich für diese Woche …” “Bleib hier. Bleib diese Woche bei mir.” Mit geweiteten Augen lässt Mario seine Hand sinken, sieht die junge Frau sich gegenüber ungläubig an. “Bei dir?” “Ja.” Sie tritt auf ihn zu, hebt ihre Hand und lässt ihre Finger erneut über seine Wange wandern. Ohne die Handschuhe fühlen sich ihre Berührungen wie kleine Blitze an, die sie durch seinen ganzen Körper schicken. “Bleib bei mir. Lass uns diese Woche einfach nur uns beide sein. Du und ich. Niemand sonst. Nur wir beide. Für diese eine Woche.” Nur sie beide. Eine Woche lang. Noch ehe Mario es aussprechen kann, nickt er bereits. Seine Hände finden ihre Seiten und ziehen sie gleich daran an sich. “Ich will nichts anderes, als dass es nur uns beide gibt”, haucht er gegen ihre Lippen, ehe er diese mit seinen eigenen verschließt. ~✒️~ Es ist der nächste Morgen, als Mario bemerkt, dass sich die Matratze bewegt, ehe sich der warme Körper, den er gerade noch in seinen Armen gehalten hat, aus diesen befreit. Verwundert stützt er sich auf dem Unterarm auf und sieht mit noch vom Schlaf verhangenen Augen zu der Frau auf, die sich gerade erhebt. Sein Blick gleitet über ihren nackten Körper und er spürt, wie alles an ihm auf sie reagiert. Er streckt eine Hand nach ihr aus, will sie wieder an sich ziehen, als sie ihm ausweicht. Sein Herz stockt, als sie sich zu ihm hinunterbeugt. Ihre Lippen streichen sanft über seine und sein Herz nimmt seine Arbeit wieder auf. Als sie sich erneut von ihm löst, erkennt er ihre leuchtenden Augen, die auf ihn gerichtet sind, nimmt das sanfte Lächeln ihres Mundes wahr. “Ich muss kurz bei meinem Arbeitgeber anrufen und mich für heute abmelden.” Abrupt setzt sich Mario auf, wobei die Decke von seinem Oberkörper rutscht und auf seinem Schoß landet. Elsas Augen folgen der Bewegung, bleiben an seinem Bauch und den Muskeln dort hängen. Ihre Augen blitzen auf, was Mario ein spitzbübisches Grinsen entlockt. “Dann beeil dich, dass du schnell wieder bei mir unter der Bettdecke bist. Hier ist es wärmer.” Ein Lachen folgt auf diese Aussage. “Das stimmt wohl. Einen Augenblick.” Marios Blick folgt ihr weiter. Durch das Bücherregal hindurch kann er durch ein paar freie Stellen betrachten, wie sie zu ihrem Telefon tritt, das auf der anderen Seite steht. Kurz darauf dringen Worte an sein Ohr. Worte, die er nicht versteht, da sie in einer fremden Sprache gesprochen werden. Er versteht diese Sprache nicht – außer: “Oui.” – Ja. Ein paar Minuten später kommt Elsa um das Bücherregal herum. Ihre Augen leuchten. “Ich habe kurzfristigen Urlaub bekommen. Allerdings muss ich in sechs Tagen wieder arbeiten gehen.” “Wenn ich es richtig weiß, geht da auch mein Flug zurück.” “Lass uns nicht darüber reden. Ich will das Hier und Jetzt genießen.” “Dann tun wir das.” Mario beugt sich nach vorn, umfasst Elsas Handgelenk und zieht sie mit einem Ruck zu sich. Ein überraschter Aufschrei entkommt ihr, ehe sie lacht. Sie schmiegt sich an Mario, der sie fest in seine Arme nimmt. “Du klingst unglaublich sexy, wenn du Französisch sprichst”, haucht er in ihr Ohr. “Oh. Soll ich dir etwa mehr auf Französisch sagen?” “Ich bitte darum.” Mit einem verschmitzten Grinsen dreht sich Mario mit Elsa, sodass sie nun unter ihm im Bett liegt. Er stützt seine Arme rechts und links von ihr ab. Ihre Augen blitzen auf. “Ich bin jedoch nicht so gut darin und mein Akzent ist grauenhaft.” “Das fand ich überhaupt nicht”, haucht Mario, während er seinen Kopf senkt und sanft an der zarten Haut an ihrem Hals saugt, ihr so ein Aufkeuchen entlockt. “Je suis tellement reconnaissant que sois là.” (Ich bin so dankbar, dass du hier bist.) “Mehr.” Marios Lippen wandern tiefer. “Tu es tout pour moi.” (Du bist alles für mich.) Die Worte kommen mit einem Aufschrei aus Elsas Mund, als Mario noch tiefer wandert. “Mehr.” Die nächsten Worte schießen Elsa durch den Kopf, während ihre Finger sich in Marios Haaren verfangen, sich dort festkrallen. Sie muss es ihm sagen. Er muss es wissen. “Tu es mon grand amour, Mario. Et tu le seras toujours.” (Du bist meine große Liebe, Mario. Und du wirst es immer bleiben.) Und diese Worte stößt sie hervor, als Mario ihren Körper in Feuer setzt und Empfindungen durch diesen hindurchströmen lässt, die noch nie ein anderer auf diese Art in ihr ausgelöst hat. Sie fühlt sich angekommen. ~✒️~ “Hmm.” Elsa schmiegt sich an den neben ihr Liegenden. Die Zufriedenheit strahlt ihr aus jeder Pore, wird durch das Lächeln auf ihrem Gesicht nur hervorgehoben. Doch nicht nur bei ihr. Mit demselben Gesichtsausdruck streicht Mario ihr sanft über die nackte Schulter. Er kann kein Französisch. Doch er kennt noch ein weiteres Wort außer `Ja´. `Amour´. Er ist sich sehr sicher, dass Elsa vorher das Wort Liebe benutzt hat, als sie etwas auf Französisch zu ihm gesagt hat. Liebe. Das ist es, was sie beide verbindet. Was sie immer miteinander verbinden wird. Es ist das, was zwischen ihnen ist. Reine Liebe, nichts anderes. Und das wird sie immer sein. Und was vor 24 Stunden erst ein einziges Mal passiert war, ist für ihn inzwischen unzählbar. Er dreht seinen Kopf und greift nach ihrem Kinn, um es zu sich zu heben und sie zu küssen. Davon wird er nie genug bekommen. Kapitel 25: 25 -------------- Bisher hat er den Satz >Nur von Luft und Liebe leben zu können< für eine dumme Aussage gehalten. Doch nun, nach vier Tagen, in denen sie sich nur in Elsas Wohnung aufgehalten haben, die meiste Zeit davon nackt, kann Mario diese Aussage doch unterschreiben. Natürlich haben sie gegessen, aber sie waren nicht außerhalb der Wohnung oder haben eingekauft. Zum Glück kann man heutzutage vieles bestellen. Sogar Weihnachten haben sie hier verbracht. Es waren nur sie beide. Ganz allein. Ohne Weihnachtsbaum, ohne Weihnachtslieder, Weihnachtsessen und was sonst alles dazu gehört. Doch für sie war es perfekt. Weil sie zusammen waren. Wie die meiste Zeit liegen sie wieder in Elsas Bett. Bis vor seiner Zeit hier in Paris, hätte er nicht gedacht, dass er sie noch mehr lieben könnte. Doch ihr endlich so nahe zu sein, wie er es immer wollte, hat seine Gefühle für sie nur stärker werden lassen. Wenn man vor Glück platzen könnte, würde er es sicherlich tun. Jedes Mal, wenn sie ihn anblickt, macht ihn das glücklich. Ihre leuchtenden Augen. Ihr entzückendes Lächeln. Ihr hübsches, nein, wunderschönes Gesicht. Wie sie seinen Namen ausspricht. Wie sie ihn in den Arm nimmt. Wie sie riecht, schmeckt, sich anfühlt. Das alles macht ihn glücklich. Nein, sie ist es, die ihn glücklich macht. Da kommt ihn noch ein weiterer Gedanke und ein leises Lachen verlässt seinen Mund. “Was ist los?” Elsa dreht sich in seinem Arm, sodass sie sich mit ihren Unterarmen auf seiner nackten Brust abstützen kann. Seine Finger wandern auf ihren Rücken und fahren die Wirbelsäule nach. “Bei dem Gedanken, dich in Paris zu besuchen, habe ich auch gedacht, dass ich mehr von der Stadt der Liebe sehen würde. Denn wie oft werde ich noch nach Paris kommen? Also nicht, dass ich mich beschweren will. Auf gar keinen Fall. Ich will nirgends anders sein, als hier mit dir.” Der leicht gekräuselten Nase kann man entnehmen, dass Elsa nachdenkt. Dann richtet sie sich auf. “Nein, das können wir tatsächlich nicht so lassen. Vor allem nicht, da das heute …” Sie erstarrt, presst ihre Lippen zusammen. Sie kann und will es nicht aussprechen. Ihre gemeinsame Zeit neigt sich dem Ende zu. Sie haben noch den morgigen Tag, dann muss Mario wieder zurück nach Japan. Und sie ist noch knapp siebeneinhalb Monate hier in Frankreich. Und dann … Das Dann haben sie nicht besprochen. Es ist, als würden sie gerade in einer kleinen Blase leben. Es gibt hier nur sie. Keinen Alltag. Keine Tatsache, dass sie noch so lange nicht in Japan sein wird. Das, was sie zu Viktor gesagt hat, dass sie keine Fernbeziehung will, das hat sich ja nicht geändert. Wobei es sich nun um Mario handelt. Mit ihm ist alles anders. Das war es schon immer. Das ist es auch immer noch. Sie können es auch noch besprechen, kurz bevor er fliegt. Jetzt will sie sich über seine Abreise keine Gedanken machen. “Komm.” Sie klopft ihm mit der flachen Hand auf die nackte Brust, verlässt gleich darauf das Bett und geht zu ihrem Kleiderschrank. “Was hast du vor?” Mario hat sich im Bett aufgesetzt und beobachtet die junge Frau, die gerade in eine Jeans schlüpft. Ihr Blick landet über dem Spiegel auf ihm, ehe sie sich herumdreht, um ihn direkt zu betrachten. “Das ist doch klar. Wir sehen uns noch Paris an. Es kann wirklich nicht sein, dass du nicht mehr Erinnerungen, als die an mein Zimmer, mit nach Hause bringst.” Seine Augen werden dunkler, als er nach vorn an den Fußrand des Bettes rutscht, nach ihr greift und sie an sich zieht. “Es gibt keine schönere oder gar bessere Erinnerung als das hier, Elsa.” Seine Stimme ist tief und weich. Und sie trifft Elsa mitten ins Herz. Sie liebt seine Stimme. Sie liebt alles an ihm. Seine dunklen Augen, die immer bis auf ihre Seele zu sehen scheinen. Seine schwarzen und weichen Haare, durch die sie so gerne mit den Fingern fährt. Seine starken Arme, in denen sie sich behütet und beschützt fühlt. Das Lächeln, das seine Züge weicher werden lässt, wenn er sie betrachtet. Seine Größe, die perfekt für sie ist, gerade so, dass sie ihren Kopf an seiner Schulter anlehnen kann. Sie liebt ihn, so wie er ist. Seine Hände landen an ihren Wangen, ziehen sie zu sich herunter und küssen sie. Küssen ihre Bedenken weg. Sorgen dafür, dass es wieder nur sie beide gibt. Und zu gerne lässt sie sich darauf ein. Doch die Realität kommt zurück. “Mario”, flüstert sie an seinen Lippen. “Hmm?” “Wir gehen da jetzt raus?” “Wohin?” “Raus. Paris anschauen. Ich zeige dir meine aktuelle Heimat. Ja?” “Wir könnten aber auch hierbleiben.” Mit einem Lachen löst sie sich von ihm, zieht an seinen Händen, um ihn wieder in eine aufrechte Position zu bringen. Zumindest in eine sitzende. “Mario, ich meine es ernst. Das hier ist Paris, die Stadt der Liebe. Und ich will sie mit dir verbinden. Nicht nur dieses Zimmer, diese Wohnung. Nein, die Stadt. Genau deshalb werden wir jetzt da rausgehen und uns zusammen den Eiffelturm anschauen. Und morgen werden wir zusammen frühstücken gehen. In einem kleinen Café. Und dann werden wir ins Museum fahren, gemeinsam in den Park gehen. Wir werden Paris zu unserer Stadt der Liebe machen, dass ich sie immer mit dir verbinden werde, ja?” In ihren braunen Augen steht so viel, dass Mario gar nicht anders kann, als mit einem Lächeln zuzustimmen. “In Ordnung. Lass uns das machen.” ~✒️~ Etwas fühlt sich falsch an, als Elsas Wecker klingelt. Nicht richtig. Und da fällt es ihr auf. Die Wärme fehlt. Marios Wärme, die die letzten Tage ständig bei ihr war. Hier, in dieser Wohnung, in diesem Bett. Als sie draußen waren, ihre Hände ineinander verschlungen. Tagsüber, nachts. Durchgehend. Und nun ist sie nicht da. Zerstreut setzt sich Elsa auf, bemerkt, dass das Bett neben ihr leer ist. Es dringen keinerlei Geräusche zu ihr. In dem kleinen Raum ist es nun auch nicht sonderlich schwer, eine andere Person zu überhören oder zu übersehen. Auch aus dem Bad klingen keinerlei Geräusch – und das müsste es, wenn er dort wäre. In diesem Fall würde die Lüftungsanlage laufen, die immer ein lautes Surren von sich gibt. Mit ihrer Hand fährt sie über die Matratze neben ihm, wo nicht einmal mehr ein Abdruck zu erkennen ist. Sie ist kühl. Mario ist also schon eine Weile weg. Ihr Herz zieht sich zusammen, alles in ihr fühlt sich kalt an. Langsam steht sie auf, schlingt die Bettdecke um sich. Seine Reisetasche fehlt ebenfalls. Nun fühlt sich ihr Herz an, als würde es von einer eiskalten Faust zusammengepresst werden. Er ist gegangen? Ohne sich zu verabschieden? Wie kann er das tun? Ein paar Minuten später bemerkt sie etwas Weißes auf ihrem Esstisch. Als sie näher tritt, erkennt sie einen Brief. Ihr Name steht in einer schlichten Schrift darauf. Er ist von Mario. Von wem auch sonst? Unsicher nimmt sie den Brief an sich, um zu lesen, was er geschrieben hat. Liebe Elsa, das ist der erste Brief, den ich dir schreibe. Es tut mir leid, dass ich einfach so gegangen bin. Heute Nacht bin ich kurz nach vier Uhr aufgewacht. Ich hatte ein eigenartiges Gefühl und habe noch einmal auf mein Ticket für den Heimflug geschaut – und dabei feststellen zu müssen, dass ich nicht heute Abend um 6.30 Uhr fliege, sondern heute Morgen. Daher habe ich meine Sachen gepackt. Du sollst wissen, dass ich lange mit mir selbst gekämpft habe, ob ich dich schlafen lasse oder ob ich dich wecke. Doch mir war bewusst, dass wenn ich dich wecke und dich nur noch ein einziges Mal küssen würde, dass ich dann nicht gehen könnte. Dass ich dann bei dir bleiben will. Elsa, du bist alles, was ich je wollte und ich bin wirklich froh und dankbar, dass du mir geschrieben hast. Diese Woche mit dir war die Beste meines Lebens. Ich werde sie nie vergessen. Ich werde die Tage, in denen es nur uns beide gibt, niemals vergessen können. Danke, für diese wunderschöne Zeit. Ich werde sie immer als unsere gemeinsame Zeit in Erinnerung behalten. Dein Mario Erst als die erste Träne auf die Worte fallen und die Kugelschreibtinte verschmiert, wird Elsa bewusst, dass sie weint. Ihre Finger krallen sich um den Rand des Briefes, ehe ein Schluchzen aus ihr herausbricht. Er ist weg. Und was er da geschrieben hat – es klingt so endgültig. Hätte er mit ihr noch über sie beide sprechen wollen, wie es mit ihnen beiden aussehen, dann hätte er sie auf jeden Fall geweckt. War es das also? War ihre gemeinsame Zeit wirklich nur auf diese Woche begrenzt? Kapitel 26: 26 -------------- Part 7 - decision Mai X9 Acht Jahre und acht Monate nach dem Brief Mario eilt über den Gehweg, weicht den ihm entgegenkommenden Menschen aus, um einen Zusammenprall zu vermeiden. Er hat einen Termin, muss zu einer Firma, um sich dort um die Rechner zu kümmern. Er mag seinen Job. Zwar ist es ihm noch lieber zu programmieren, aber so hat er mehr Kontakt mit Menschen. Ein Lächeln schleicht auf seine Lippen. Das eine Mal, als plötzlich Elsa vor ihm gestanden ist. Er erinnert sich daran, dass sein Herz vor Freude und Aufregung schneller geschlagen hat. Daran, dass er sie am liebsten in den Arm genommen und sie geküsst hätte. Das Lächeln wird stärker, nimmt auch sein Herz ein. Und er erinnert sich an diese eine Woche. Als er sie im Dezember in Paris besucht hat. Als sie beide sich so nahe waren, wie er es sich sein Leben lang gewünscht hat. Nur noch knapp zweieinhalb Monate. Dann kommt sie aus Paris zurück. Dann sind sie beide hier vor Ort und können endlich ihr gemeinsames Leben starten. Damit ist all das, was bisher geschah, die Rückschläge, die vergebenen Chancen, hinfällig. Er ignoriert den Stich in seinem Herzen, der ihn daran erinnert, dass er seit seiner abrupten Abreise aus Paris nichts mehr von ihr gehört hat. Aber das wird sicherlich einen logischen Grund haben. Als er im März als Gregors bester Freund auf Connys Geburtstag eingeladen war, war auch deren Bruder da – verständlicherweise. Und Viktor hatte erzählt, dass Elsa keine Fernbeziehung wolle und die Beziehung deshalb auseinandergegangen war. Und das ist es, an dem Mario sich festhält. Dennoch ärgert er sich, dass sie beide in ihrer gemeinsamen und intensiven Zeit nicht einmal über das gesprochen haben, was zwischen ihnen ist. Darüber, dass sie beide sich lieben. Doch sie werden es, wenn sie wieder da ist. Da ist er sich sicher. Und noch während diese Gedanken wie so oft durch seinen Kopf wandern, lässt er auch seine Augen durch die Gegend wandern. Plötzlich stoppt er abrupt. Alles um ihn herum verschwindet aus seinem Sichtfeld. Er sieht nur eines. Das Cover einer Zeitschrift, die an dem Kiosk am Gehweg ausliegt, schon eher hängt. Genauer gesagt, die Person, die darauf zu erkennen ist. Elsa. Es ist Elsa. Und neben ihr Viktor. Ohne etwas um sich herum wahrzunehmen, geht Mario hölzern zu dem Kiosk. Sein Arm fühlt sich schwer an, als er nach der Zeitschrift greift. Die reißerische Überschrift trifft ihn, schneidet ihn direkt ans Herz und reißt es auseinander. >Viktor Uesugi – Comeback zwischen ihm und seiner (Ex-)Freundin<. Seine Finger zittern regelrecht, als er das Bild betrachtet. Sie sieht gut aus. Elsa lacht, ihre Augen leuchten auf dem Paparazzi-Bild. Sie sieht gelöst aus, glücklich. Und neben ihr Viktor, der, obwohl er nicht so gelöst lacht wie seine Begleiterin, ebenfalls glücklich und sehr zufrieden wirkt. Nein, die beiden wirken zusammen glücklich. Zusammen … Mit immer noch zitternden Fingern öffnet er die Zeitschrift, blättert bis zum Artikel und … “Wenn Sie die lesen wollen, dann kaufen sie die Zeitschrift”, knurrt die Kioskbetreiberin. “Was?” Aus seiner halben Ohnmacht gerissen, hebt Mario seinen Kopf. “Kaufen oder zurücklegen!” Die Frau deutet mit ihrem Kinn auf die Zeitschrift in seinen Händen. “Das … oh, natürlich.” Mario zieht seinen Geldbeutel aus der hinteren Hosentasche. Kurz darauf steht er ein paar Meter weiter am Rand. Mit immer noch zitternden Fingern, von denen er sich nicht sicher ist, ob sie jemals wieder stillhalten können, öffnet er die Zeitschrift. An der richtigen Stelle hält er inne. Seine Augen huschen über die Bilder von Elsa und Viktor. Über die Buchstaben, die immer wieder von seinen Augen verschwinden. >Das Comeback des Jahres. Unser National-Torwart Uesugi Viktor wurde gemeinsam mit seiner eigentlichen Ex-Freundin Daichi Elsa in Paris gesehen. Die Trennung der beiden wurde erst Anfang diesen Jahres offiziell bekannt, als Uesugi bei der Fußball-Gala auf das Fehlen seiner Freundin angesprochen wurde. Doch die Trennung scheint hinfällig zu sein, so wie die beiden in Paris miteinander umgegangen sind. Sie wirkten herzlich miteinander, lachten und hielten Händchen. Auch Küsse waren zu beobachten. Zudem blitzte an Daichis rechter Hand ein verdächtiger Ring auf. Dieser weißt viel mehr darauf hin, dass das Uesugi und Daichi nicht nur wieder ein Paar sind, sondern auch, dass ihre Beziehung eine weitere Stufe eingangen ist. Wir freuen uns sehr über diese Neuigkeiten und werden Sie, liebe Leser, natürlich weiterhin auf dem Weg mitnehmen und sind schon sehr gespannt, wann die Fotos der Traumhochzeit veröffentlicht werden.< Mario schnappt nach Luft. Erst jetzt wird ihm bewusst, dass er seinen Atem angehalten hat. Wieder wandert sein Blick über die Bilder. Elsa und Viktor wirken wirklich sehr vertraut. Wie sie lachen, sich ansehen. Wie er einen Arm um sie gelegt und sie an sich gezogen hat. Und auf einem Bild wird Elsas Hand vergrößert – und tatsächlich blitzt ein goldener Ring an ihrem Ringfinger auf. Haben die beiden sich wirklich verlobt? Sind sie wieder ein Paar? Ihm wird schlecht. Ist das der Grund, dass sie sich nicht mehr bei ihm meldet? Ihm kommt die Erinnerung daran, wie oft sie erwähnt hat, dass es diese eine Woche ist, in der es nur sie beide gibt. Wollte sie damit wirklich sagen, dass es für sie nur diese Woche gibt? Aber sie hat ihm geschrieben, dass er immer ihre große Liebe sein wird. Und als sie ihm damals, als sie gemeinsam im Bett lagen, auf Französisch etwas mit Liebe gesagt hat, hatte das doch sicher auch mehr zu bedeuten. Sie beide, das ist Liebe, da ist er sich sicher. Warum also …? Sein Blick wandert erneut zu dem Bild in der Mitte der Doppelseite. Viktor hat einen Arm um Elsas Mitte gelegt, sie an sich gezogen und blickt mit seinem typischen Grinsen auf sie hinunter. Elsa sieht zu ihm auf. Ein Lächeln bringt ihr gesamtes Gesicht zu strahlen und man kann sehen, wie wohl sie sich fühlt. Mario zwingt sich dazu, die Zeitschrift zu schließen. Es ist, als würde ein Stein in seinem Magen liegen und ihm ist schlecht. Vergessen ist sein nächste Termin, genauso, dass eigentlich Kunden auf ihn warten. Mit ebenso zitternden Knien wie Händen lässt er sich auf die nächste Bank sinken. Er legt die Zeitschrift neben sich ab und beugt sich nach vorn, zwischen seine Knie, während er das Gesicht in seinen Händen vergräbt. Alles, was ihn die letzten Monate regelrecht hat schweben lassen, die Gedanken an Elsa, die Erinnerung an sie, ihre Küsse, ihre weiche Haut, ihr Geschmack, ihr Geruch, einfach sie, sind plötzlich wie in Watte gepackt. Alle seine Hoffnungen, sie beide betreffend, gehen unter. Es ist, wie es vor ihrem Brief war. Zu wissen, dass er sie liebt und gleichzeitig aber auch die Tatsache, dass sie beide niemals zusammen sein können. Genauso fühlt er sich jetzt wieder. Sein Blick fällt auf die Zeitschrift neben sich auf der Sitzbank, nachdem er seinen Kopf leicht gehoben hat. Elsas glückliches Lachen sagt doch alles. Es ist Viktor, der sie glücklich macht. Das war ihm doch schon bewusst, als er die beiden das erste Mal miteinander gesehen hat. Ist es ihm auch jetzt. Vielleicht ist Viktor der bessere Mann an ihrer Seite. Langsam erhebt er sich. Immer noch liegt die Zeitschrift auf der Bank. So ist es besser, oder? Sie beide hatten diese eine Woche zusammen. Sie hatten eine Woche zum glücklich sein. Nun muss es weitergehen. Sie macht ihre weiteren Schritte – mit Viktor an ihrer Seite. Und auch er muss vorwärtsgehen. Das bedeutet ja nicht, dass er sie nicht mehr lieben darf. Es bedeutet einfach, dass er es machen muss, wie er es bereits die letzten Jahre getan hat. Seine Liebe für sie nach hinten schieben. Hat nicht erst seine Kollegin gefragt, ob er mit ihr essen gehen würde? Vielleicht sollte er das tun. Das macht es hoffentlich auch einfacher für ihn, damit klarzukommen, dass Elsa sich zum wiederholten Mal für einen anderen Mann entschieden hat. Mario ballt seine Hände zu Fäusten und läuft los. Die Zeitschrift mit Elsa und Viktor auf dem Titelbild lässt er liegen. Er will es nicht mehr sehen. Vielmehr kann es sein Herz nicht mehr sehen. Kapitel 27: 27 -------------- Juli X9 Acht Jahre und zehn Monate nach dem Brief Sie ist zurück. Und sie kann es nicht erwarten, endlich denjenigen zu sehen, dem bereits seit so vielen Jahren ihr Herz gehört. Immer wieder taucht kurz der Gedanke auf, dass sie seit seiner Abreise aus Paris nichts mehr von ihm gehört hat. Doch es ist in Ordnung. Es ist hier, in Japan, in ihrer beider Heimat, in der sie ein gemeinsames Leben aufbauen werden. Von ihren Eltern, bei denen sie aktuell untergekommen ist, hat Elsa erfahren, dass Gregor heute mit seinem besten Freund verabredet ist, deshalb will sie nun dorthin und diesen überraschen. Vermutlich wird es für alle eine Überraschung sein. Immerhin sollte sie eigentlich erst in drei Tagen aus Frankreich zurückkehren. Ihr Herz schlägt schneller bei dem Gedanken, bald wieder in Marios Armen zu liegen und ihn wieder küssen zu können. ~✒️~ “Elsa! Wie schön, dich zu sehen!” Conny schließt ihre Schwägerin fest in die Arme. “Solltest du nicht erst in drei Tagen wieder zurückkommen?” “Das stimmt. Aber ich konnte ein wenig früher abreisen und wollte euch überraschen. Daher habe ich es gemacht.” “Oh, eine Überraschung ist das wirklich. Dann komm schnell mit rein. Dein Bruder wird noch viel überraschter sein!” Finger schließen sich um Elsas Handgelenk und sie wird mit in die Wohnung gezogen. Gleich darauf treten sie ins Wohnzimmer ein. Und dort ist er. Mario steht gerade vor der offenen Küche, in der Hand ein Wasserglas und redet mit seinem besten Freund, der sich in der offenen Küche befindet und etwas zu kochen scheint. Als Elsa mit Conny eintritt, dreht sich Mario herum und ihre Blicke treffen sich. Seine Augen weiten sich ungläubig, als er sie erkennt. “Elsa!”, bricht es aus ihm heraus. “Elsa?” Auch Gregors Stimme hallt laut durch den Raum, wird von seiner Schwester jedoch gar nicht wahrgenommen. Auf Elsas Gesicht erscheint ein strahlendes Lächeln, während es nur noch sie beide gibt. Alles um sie herum wird ausgeblendet. Conny, Gregor, die Umgebung. Da sind nur noch sie und Mario. Und dann schiebt sich etwas, nein, jemand anderes in ihren Blickwinkel. Ein Arm, der sich erst um Marios Hüfte legt und dann ein Kopf an seiner Schulter. Ein Körper, der sich an seine Seite schmiegt – ein weiblicher Körper. Die Blase um sie beide platzt. Plötzlich ist alles wieder da. Conny und Gregor, der um die Küchentheke herumgelaufen ist und plötzlich vor Elsa auftaucht. Und schon wird sie in seine Arme gerissen und fest an ihn gedrückt. “Schwesterherz! Du bist hier! Du bist zurück!” Ein erstickter Laut kommt ihr, der nicht nur daher rührt, dass ihr Bruder ihr die Luft aus dem Leib presst, sondern vielmehr der Tatsache schuldet, dass Mario dort nicht allein steht. Dass es eine Frau ist, die neben ihm steht und sich an ihn schmiegt, ihn halb umarmt. Wieder dreht Elsa ihren Blick zur Seite, um denjenigen anzusehen, wegen dem sie in erster Linie hier ist. Immer noch blickt er sie ungläubig an und sie kann erkennen, wie sich seine Hand um das Glas herum anspannt. Die Fingerknöchel blitzen weiß auf. Es ist für ihn anscheinend mehr ein Schock, als eine Überraschung, geschweige denn Freude, dass sie hier ist. Da löst sich Gregor endlich wieder von ihr, seine Hände bleiben aber auf ihren Schultern liegen. “Hach, ich freue mich so sehr!” Wenigstens einer. “Ja …”, Elsa schluckt, um die krächzende Tonlage wegzubekommen, “ich mich auch.” “Dann lege ich doch gleich noch ein weiteres Gedeck auf den Esstisch. Wir kochen heute zusammen und du bist natürlich dabei. Gregor, siehst du kurz nach dem Essen?” Conny taucht neben ihnen auf und drückt Elsa ein Glas Wasser in die Hand, ehe sie in die Küche läuft, dicht gefolgt von ihrem Ehemann. Elsa sieht ihnen hinterher. Alles in ihr fühlt sich wie betäubt an und sie würde am liebsten den Jetlag vorschieben und wieder verschwinden. “Hey, du heißt also Elsa? Gregors Schwester, wenn ich das richtig verstanden habe? Ich bin Anzu.” Die Frau neben Mario, der Elsa immer noch anstarrt, lächelt der Angekommenen zu. Hübsch ist sie. Schlank, braune Haare in einem Pixiecut, auf einer Kopfseite kürzer als auf der anderen. Ohrringe blitzen in ihren Ohren. Sie sieht nett aus und sie hört sich auch nett an, schießt Elsa durch den Kopf. “Ich bin Marios Freundin.” Und kaum, dass diese Worte in Elsa ankommen, fühlt es sich an, als würde ihr jemand in den Magen boxen. Und ehe sie reagieren kann, gleitet ihr das gerade erst gereichte Glas mit Wasser aus den Händen und prallt auf den Boden. Plötzlich kommt Leben in die Anwesenden. In fast alle. Nur Elsa und Mario sehen sich an, scheinen nicht in der Lage zu sein, sich zu rühren, während die anderen drei die Scherben des zerbrochenen Glases zusammensammeln und das Wasser aufwischen. “Hast du dich verletzt?”, fragt Conny besorgt und zieht so die Aufmerksamkeit ihrer Freundin auf sich. Elsa dreht den Kopf und schafft es so endlich, den Blickkontakt zu unterbrechen. “A-alles in Ordnung. Entschuldigt bitte … ich …” Was soll sie sagen? Sie kann doch nicht zugeben, dass es die Tatsache über Marios Beziehung ist, die sie so getroffen hat. “Vermutlich der Jetlag. Ich bin noch etwas durcheinander. Ich bin erst vor ein paar Stunden gelandet und dann eigentlich fast direkt hierhergekommen. Vermutlich sollte ich einfach gehen und schlafen und …” “Nein. Es ist doch erst 17 Uhr. Wenn du jetzt hinliegst, ist der Tag morgen kaputt, weil du vermutlich mitten in der Nacht aufwachst. Außerdem kannst du nachher auch bei uns schlafen, das ist gar kein Problem”, erklärt Gregor entschieden und lässt ihr keine Möglichkeit, etwas anderes zu entscheiden. Kurzerhand schiebt er sie zum Esstisch und drückt sie dort auf einen Stuhl. “Jetlag? Wo warst du denn?”, ist es Anzus eigentlich sehr sympathische Stimme, die jedoch dafür sorgt, dass sich alles in Elsa zusammenzieht. Marios Freundin lässt sich schräg ihr gegenüber nieder. “Meine Schwester war ein Jahr in Frankreich”, ist es Gregor, der stolz antwortet. “Genauer gesagt sogar in Paris”, fügt Conny mit einem Lächeln hinzu. “In Paris? Oh, wow! Die Stadt der Liebe! Da würde ich wirklich auch gerne einmal hin. Mario, wie wäre es? Fliegen wir zusammen hin? Ich meine, es ist die Stadt der Liebe.” Anzu sieht verschmitzt grinsend zu ihrem Freund auf, der sich neben ihr auf einen Stuhl setzt und sich nun direkt der Frau gegenüber befindet, die innerlich wie erstarrt ist. “Warst du schon einmal dort? Oder sonst irgendwo in Europa?”, fragt Anzu weiter. Mario spannt sich an. Er presst seine Lippen zusammen und öffnet sie gerade, als … “Ne, war der nicht! Der ist noch nicht aus Japan rausgekommen, gell, Alter? Immerhin kennst du das Meer. Aber das auch nur, weil wir an der Küste leben.” Gregor klopft seinem besten Freund auf die Schulter, ehe er sich auf den Stuhl am Tischrand niederlässt. Verwirrt sieht Elsa zu Mario, dessen Blick nun entschuldigend wirkt. Hat er niemanden erzählt, dass er sie an Weihnachten besucht hat? Wobei, sie hat es schließlich auch niemanden erzählt. Es war ihre gemeinsame Woche. Es gab nur sie und ihn. Und sie wollte dieses Glücksgefühl, das er verursacht hatte, genießen. Langsam lässt sie ihren Kopf sinken und weicht seinem Blick aus. Mühsam unterdrückt sie die Tränen. Er soll nicht sehen, wie sehr es sie trifft. ~✒️~ Es ist spät und Elsa merkt mehr als deutlich, wie der Jetlag sie runterzieht. “Ich glaube, ich gehe lieber nach Hause”, erklärt sie und hebt gleich darauf die Hand vor den Mund, als sie gähnen muss. “Oh, du kannst wie gesagt auch hier schlafen, wenn du willst.” Gregor erhebt sich ebenfalls. “Nein, nein. Ich schlafe bei unseren Eltern. Meine Wohnung wird erst zum ersten August wieder frei.” Sie hatte diese für ihr Jahr in Paris untervermietet. “Da bin ich ja in zehn Minuten. Nein, in einer Viertelstunde eher.” “Du willst laufen?” Connys Stimme klingt besorgt. “Ja. Es ist ja nicht weit und …” “Ich fahre dich kurz rüber, Elsa”, unterbricht eine dunkle Stimme sie. Ihr Herz stockt. Langsam dreht sie ihren Kopf und das erste Mal seit dem Abendessen nimmt sie den Blickkontakt wieder auf. “M-Mario?” “Mit dem Auto bist du in ein paar Minuten dort. Und ich komme dann wieder her, das ist kein Problem.” “Ich weiß nicht …”, zögert sie. “Das klingt nach einer guten Idee”, stimmen sowohl Conny als auch Gregor synchron zu. Fieberhaft überlegt Elsa, was sie erwidern kann, um Mario davon zu überzeugen, sie doch laufen zu lassen. Doch spätestens jetzt ist ihr klar, dass sie gegen Windmühlen kämpfen muss, wenn sie sich weigern will. Denn ihr Bruder und seine Frau stehen eindeutig auf Marios Seite, was das Thema, sie nach Hause zu fahren, angeht. Und das sagt ihr, dass sie keine Chance hat, sein Angebot abzulehnen. ~✒️~ Elsas Plan war anders. Er beinhaltete, Mario zu überraschen. In seine Arme zu stürzen. Ihn zu küssen. Und ihm zu sagen, dass sie ihn liebt. Stattdessen sitzt sie jetzt auf seinem Beifahrersitz und starrt aus dem Fenster, nimmt die vorbeiziehende Umgebung gar nicht wahr. Die Stimmung fühlt sich so dick an, als könnte man sie in Scheiben schneiden. Es ist unangenehm und sie will woanders sein. Weit weg. Weg von ihm. Von demjenigen, der auf einen Brief direkt zu ihr nach Paris geflogen ist, dabei fast die halbe Welt umrandet hat, nur um bei ihr zu sein. Der gesagt hat, dass sie seine große Liebe ist. Mit der sie die schönste Woche ihres Lebens verbracht hat. Und der nun eine Freundin hat, eine andere Frau an seiner Seite. Nach nur wenigen Minuten hält Mario vor dem Einfamilienhaus ihrer Eltern. Als er den Motor ausgeschaltet hat, sitzen sie noch einen Moment schweigend im Inneren. Doch schließlich löst Elsa ihren Sicherheitsgurt. “Danke fürs nach Hause bringen”, richtet sie leise an ihren Fahrer, ehe sie nach dem Türgriff greift. “Es … ist schön, dass du wieder da bist”, hält Marios stockende Stimme sie auf. Wirklich? Er empfindet es als schön? Warum? Verwundert dreht Elsa ihren Kopf zu ihm, um festzustellen, dass er mit beiden Händen das Lenkrad fest umgriffen hat und sie nicht ansieht. Doch sie erkennt, dass sein Blick immer wieder auf ihre Hände schielt. Warum das? Erneut herrscht Stille zwischen ihnen. Elsa weiß nicht, was sie sagen, geschweige denn erwidern soll. Nervös spielt sie mit dem Band der Handtasche, die auf ihrem Schoß liegt. “Du … du hast nicht gesagt, dass du bei mir warst. Ich meine … du hast es Gregor nicht erzählt”, kommt stockend aus ihrem Mund. Die Frage brennt ihr bereits auf dem Herzen, seit es ihr klar geworden ist. Vermutlich hätte sie diese nicht gestellt, wenn sie nun nicht in dieser Situation wäre. Wieder sagt eine Weile keiner von ihnen ein Wort. “Ja. Es … ich weiß es nicht genau. Ich wollte nicht darüber reden. Irgendwie … es hat sich angefühlt, dass wenn ich darüber rede, es jemanden erzähle, dass ich dann einen Teil der Erinnerung hergebe. Aber das wollte ich nicht. Ich wollte, dass es vollständig bleibt. Ich wollte es nicht vergessen. Niemals. Will ich immer noch nicht.” Elsas Herzschlag nimmt zu. Das, was er gerade gesagt hat … “Du hast es anscheinend auch nicht erzählt. Zumindest nicht deinem Bruder oder Conny.” Ein langsames Kopfschütteln ist Teil der Antwort, die leise, fast unhörbar ausgesprochen wird. “Ich glaube, da fühle ich wie du.” Sie fühlt mehr, als er es tut. Denn ihre Gefühle für ihn sind nicht auslöschbar. Nicht überschreibbar. Und auch wenn er ihre gemeinsame Woche in Paris anscheinend wie sie empfindet, ist darüber hinaus in seiner Welt anscheinend kein Platz für sie. Denn sonst hätte er keine Beziehung begonnen, sondern darauf gewartet, dass sie zurückkommt, um dann mit ihr zusammen zu sein. Dessen ist sie sich sicher. Plötzlich kommt Hektik in sie. Sie umgreift ihre Handtasche fest und öffnet ungeschickt die Autotüre. “Danke fürs Fahren”, presst sie noch hervor, ehe sie aus dem Auto springt und die Autotüre schließt. Er soll nicht sehen, dass ihr die Tränen in den Augen stehen. Er soll nicht mitbekommen, dass sie seinetwegen weinen muss. Schnell eilt sie auf das Gartentor ihrer Eltern zu. “Elsa”, erklingt ihr Name hinter ihr. Abrupt bleibt sie stehen, dreht ihren Kopf ein wenig und erkennt über ihre Schultern, dass er das Fenster auf der Fahrerseite geöffnet hat. “Ich gratuliere dir noch. Ich wusste immer, dass Viktor dich glücklich machen wird. Er hat dich damals glücklich gemacht und dein Lachen zu sehen, wenn du mit ihm zusammen bist, sagt mir alles. Ich will nichts anderes, als dass du glücklich bist. Das ist alles, was ich mir für dich gewünscht habe. Und wenn er dich glücklich macht, ist es für mich in Ordnung. Daher freue ich mich, dass ihr wieder zusammengefunden habt. Du und Viktor. Ich denke, ihr beide gehört zusammen. Bisher habe ich dich nur zum Weinen gebracht – er hingegen bringt dich zum Lächeln. Es ist genau so, wie es sein soll.” Wie angewurzelt sieht Elsa zu, wie Mario davonfährt. Viktor? Was meint er damit? ~✒️~ Auch diese Nacht hatte sich Elsa anders vorgestellt. Anstatt hier in dem schmalen Bett bei ihren Eltern zu schlafen, hatte sie gedacht, in Marios Armen zu liegen. Vermutlich nackt und seine Nähe und Wärme genießend. Stattdessen liegt dort eine andere Frau. Es ist, als wäre ihr ganzer Körper wie betäubt. Die Tränen haben inzwischen nachgelassen, die stundenlang aus ihren Augen gequollen und ihre Wangen gelaufen sind. Dafür hat nun dieses taube Gefühl eingesetzt. Das Einzige, was es nicht betäubt, sind ihre Gedanken, die sich pausenlos um ihn drehen. Um Mario. Seine Worte und Blicke. Die Erinnerung an ihre gemeinsame Zeit in Paris. Und dann kommt die Vorstellung auf, wie er mit Anzu zusammen ist. Dass diese beiden zusammen in Paris sind. Die Stadt, die doch eigentlich ihre und Marios Stadt der Liebe ist. Mühsam presst Elsa erneut ihre Augen aufeinander. Bei Gregor wäre sie vorher fast eingeschlafen, da sie vom Jetlag so müde ist. Und nun liegt sie bereits seit Stunden hier und findet einfach nicht in den Schlaf, der wenigstens diese Schmerzen von ihr nehmen, sie zumindest für ein paar Stunden vergessen lassen würde. Kapitel 28: 28 -------------- “Oh wow, hat dich der Jetlag so erwischt oder wirst du krank?” Connys Tonfall klingt schockiert, als sie ihre Freundin und Schwägerin zu Gesicht bekommt. “So wird man doch gerne begrüßt.” Mit einem trockenen Lachen öffnet Elsa die Türe ganz und lässt Conny eintreten, ehe sie selbst direkt ins Wohnzimmer geht. Conny ist mit ihrem Bruder bereits seit über zehn Jahren in einer Beziehung, sie wird den Weg also selbst finden. “Deine Eltern sind arbeiten?”, fragt die Jüngere neugierig, als auch sie in den Raum tritt, wo Elsa sich auf einem Sofa niedergelassen und die Beine angezogen hat. “Ja”, antwortet diese knapp. “Gut.” “Gut? Warum das?” “Dann können wir beide uns offen unterhalten.” Nun wirkt Elsa verwirrt. Offen unterhalten? Tun sie das nicht immer? Sie hat Conny noch nie wirklich etwas vorenthalten. Das liegt aber auch daran, dass man ihr nichts vorenthalten kann und … oh. Und dieses “Oh” spricht sie überrascht laut aus. “Genau, oh.” Auch Conny setzt sich auf ein Sofa, das quer zu Elsas steht. “Als du gestern bei uns aufgetaucht bist, hast du so glücklich ausgesehen. Regelrecht voller Vorfreude. Und als du dann Mario gesehen hast, war es vorbei. Danach hast du nur noch gewirkt, als würdest du jeden Augenblick weinen müssen. Und er war, bis du aufgetaucht bist, auch gut gelaunt. Soweit man das von den letzten Monaten überhaupt behaupten kann.” Elsa ist wie erstarrt. Wieder einmal hat Conny mit wenigen Blicken viel zu viel erfasst und es direkt ausgesprochen. “Was meinst du damit? War er die letzten Monate nicht gut gelaunt?” Conny zupft an dem Rock ihres luftigen und lockeren Sommerkleides, das sie heute trägt. “Es war irgendwie seltsam. Es muss Ende letzten Jahres etwas vorgefallen sein, weshalb er richtig gut gelaunt war. Ich habe ihn nur noch lächeln sehen. Weißt du, ein solches Lächeln, das einfach da ist, nicht mal bewusst hervorgeholt. Seine Augen haben durchgehend geleuchtet. Und vor zwei, vielleicht drei Monaten, muss etwas vorgefallen sein. Sein Lächeln war wie weggewischt. Und dann ist er vor ein paar Wochen mit Anzu aufgetaucht. Sie ist wirklich super nett, wirklich. Ich verstehe mich gut mit ihr und auch Mario tut das, natürlich. Sie scheinen ganz gut zusammenzupassen. Doch dieses Leuchten in seinen Augen ist weg. Dabei sollte man denken, dass das in einer Beziehung normal ist, oder?” Connys dunkelbraune Augen liegen auf Elsa, mustern diese, nehmen jede ihrer Regungen genau wahr. Wie diese mit ihren Fingern spielt, auf ihrer Unterlippe kaut. Die Anspannung ihres Körpers. “War es für dich so schlimm, ihn gestern zu sehen?”, fragt sie leise, woraufhin Elsa zusammenzuckt. Langsam schüttelt diese ihren Kopf. “Nein. Es war mehr, dass … also …” “Seine Freundin?” Und wieder trifft Conny direkt ins Schwarze. Erneut zuckt Elsa zusammen und ihre Finger verkrampfen sich umeinander. Vorsichtig hebt sie ihren Kopf und als sie den mitleidigen Blick wahrnimmt, treten erneut Tränen in ihre Augen. Das Mitleid in Connys Augen verschwindet. Schnell springt diese auf und setzt sich gleich darauf neben ihre Freundin, der sie einen Arm um den Rücken legt. “Hey”, gibt sie leise von sich, während sie über Elsas Rücken streicht. “Warum habt ihr es mir nicht gesagt? Dass er eine Freundin hat?” “Ich gestehe, daran habe ich nicht einen Moment gedacht. Bereits seit Jahren haben wir es so gehalten, dass wir dir gegenüber kein Wort erwähnen, was ihn betrifft. Und genauso haben wir es mit Mario gehandhabt. Wir wissen doch, was das mit euch beiden ist. Und dass es nicht sein soll. Wir wollten euch beide schützen, indem wir eben nicht von euch vor dem anderen reden. Und bisher war es für dich ja auch genau richtig so, oder?” Elsa presst ihre Lippen noch fester aufeinander. Das stimmt. Was hatte sie auch erwarten sollen? Conny hat ja recht. “Es tut mir leid”, flüstert sie. “Was genau meinst du?” “Dass ihr beide, du und Gregor, immer so zwischen den Stühlen steht. Das ist sicherlich alles andere als einfach.” “Ach Elsa. Natürlich wäre es schöner, wenn es anders wäre. Doch wir müssen mit dem umgehen, wie es ist. Du und er, ihr beide. Es ist schade, dass ihr es nicht geschafft habt. Als Paar.” Und schon schießen die Tränen in Elsas Augen, laufen nun unaufhaltsam über ihr Gesicht. Sie schlägt beide Hände vors Gesicht und schluchzt laut. Mario und sie haben es wirklich nicht miteinander geschafft. Es sollte anscheinend nicht sein. Dabei war ihre Hoffnung nach ihrer Woche in Paris auf eine gemeinsame Zukunft so groß. Sie ist davon überzeugt gewesen, dass sie nach Japan zurückkehren würde und stattdessen ist da plötzliche eine andere Frau. Aber … Diese macht ihn nicht glücklich, oder? Hat Conny das nicht gesagt? Er war anscheinend, nachdem sie beide zusammen waren, gut gelaunt und wirkte glücklich. Und dann plötzlich nicht mehr. Sie hebt ihren Kopf abrupt, als ihr eine Erinnerung an gestern kommt. Was hat Mario gestern plötzlich mit Viktor gemeint? “Mario hat mich gestern auf Viktor angesprochen. Als er mich nach Hause gefahren hat. Und daran, dass dein Bruder mich glücklich macht. Was meint er damit? Weißt du etwas, Conny?” Diese neigt ihren Kopf irritiert zur Seite. “Auf meinen Bruder? Ich weiß es nicht. Außer, er hat die Klatschzeitschriften angeschaut. In denen kursieren bereits seit Monaten wieder Gerüchte über dich und Viktor.” Nun ist es Elsa, die verwirrt ist. Die Tränen sind bereits versiegt und für einen Moment übertüncht das Gefühl der Verwirrung den Schmerz in ihrem Inneren. “Gerüchte?” Ein lautes Seufzen entkommt Conny. “Ja. Viktor hat dich in Paris besucht, oder? Und da wurdet ihr beide wohl gesehen. Und prompt hieß es: Viktor Uesugi und seine Ex sind wieder ein Paar. Oh, das kam in so vielen Zeitschriften. Natürlich mit Fotos von euch beiden. Aber das größte Gerücht von allen, halte dich fest, Elsa – du und Viktor – ihr seid verlobt! Und ihr werdet heiraten! Sicherlich schon bald. Ganz bald.” Sie verdreht genervt ihre Augen. “Sag mir bitte Bescheid, wenn es so weit ist. Dann kann ich mir noch ein neues Kleid besorgen.” Elsa ist wie erstarrt, plötzlich klärt sich etwas in ihr. Marios Gratulation. Die Aussage, dass sie und Viktor wieder zusammengefunden hätten. Und auch seine Blicke zu ihren Händen. Langsam senkt sie ihren Kopf. Der goldene Ring an ihrem rechten Ringfinger. Es ist an sich ein schlichter, goldener Ring, der aus ineinander geflochtenen Strängen besteht. Sie hat ihn auf einem Kunsthandwerkermarkt in Paris gesehen, sich darin verliebt und ihn gekauft. Da es in Paris aber so ist, dass der Verlobungsring im Gegensatz zu Japan an der linken Hand getragen wird und sie daraufhin angesprochen wurde, hatte sie begonnen, ihn an der rechten Hand zu tragen. Hat Mario deshalb gedacht, dass sie und Viktor tatsächlich verlobt sind? Hat er diesen Gerüchten wirklich Glauben geschenkt? Wie das? Ist die Woche, die sie beide nur zu zweit verbracht haben, in der sie endlich die Nähe zueinander hatten, die sie sich schon immer gewünscht hat, nicht Wahrheit genug für ihn gewesen? Sie hat ihm den Brief geschrieben. Er ist ihretwegen nach Paris geflogen. Er hat ihr gesagt, dass sie seine große Liebe wäre. Sie hat es ihm ebenfalls gesagt. Okay, auf Französisch. Aber sie hat es ihm auch geschrieben. Er weiß es! Warum also glaubt er diese Lügen der Klatschpresse? Warum hat er nicht genug Vertrauen in sie? Soll das mit ihnen beiden also wirklich nicht sein? Vermutlich. Sie beide sind einfach nicht füreinander bestimmt. Zwar lieben sie sich, aber ein gemeinsames Leben ist für sie wohl nicht vorgesehen. Und während Connys Hand sanfte Kreise über ihren Rücken ausübt, zieht Elsa ihre Beine an und schlingt ihre Arme darum. Ihre Stirn liegt auf ihren Knien, während sie Tränen der Verzweiflung weint. Kapitel 29: 29 -------------- “Mama?” “Ja, Elsa?” Akane Daichi dreht sich herum und mustert ihre Tochter, die hinter ihr im Ess-Wohnzimmer auftaucht, wo sie selbst gerade Wäsche bügelt. “Du”, etwas unsicher verlagert Elsa ihr Gleichgewicht von einem Bein auf das andere, “du hast doch, als ich damals mit Viktor zusammengekommen bin, aus Spaß die Klatschzeitschriften gekauft, wenn ich da drinnen vorgekommen bin.” Ein Prusten entkommt Akane. “Oh ja, das habe. Es war immer wieder interessant zu lesen, wie oft du schon schwanger warst.” Die Augen ihrer Tochter verdüstern sich. Sie hat das noch nie lustig gefunden. Doch darüber will sie eindeutig nicht reden. “Hast du denn auch die gekauft, die in den vergangenen Monaten erschienen sind?” “Natürlich. Dafür, dass es jetzt ein paar Monate ruhig war, ist euer großes Comeback in aller Munde.” Akane klingt amüsiert, Elsa erwidert kein Wort. Sie folgt nur ihrer Mutter, die zu einem Schrank an der Seite tritt. Mit nur wenigen Handgriffen drückt diese ihrer Tochter einen Stapel Zeitschriften in die Hände. Einen großen Stapel. Ungläubig sieht Elsa diesen an. “Wirklich? So viele?” Akane nickt und folgt ihr zum Esstisch, auf den Elsa die Zeitschriften legt und sich gleich darauf setzt. “Ja. Seit Mai seid ihr wieder regelmäßig ein Thema hier in Japan.” Mit wenigen Handgriffen hat Elsas Mutter eine Zeitschrift hervorgezogen und legt diese oben auf den Stapel. “Das hier war der erste Artikel, der kam. Und jetzt viel Spaß.” Elsa sieht ihrer Mutter hinterher, die sich wieder ihrer Wäsche widmet und diese bügelt, ehe sie sich der Zeitschrift widmet. Bereits auf der Titelseite sind Viktor und sie zu erkennen. Sie erinnert sich an diesen Tag. Die japanische Nationalmannschaft hatte ein Spiel gegen die französische bestritten. Und in diesem Rahmen hatte Viktor sie besucht, wenn sie beide ja schon im selben Land waren – so seine Worte. Und sie hatte sich sehr darüber gefreut. Sie beide sind im Guten auseinandergegangen. Sie werden sich in ihrem Leben noch regelmäßig sehen, immerhin sind ihre Geschwister miteinander verheiratet. Das hat es Elsa wichtig gemacht, dass sie sich weiterhin verstehen werden. Der Tag war wundervoll gewesen. Viktor und sie haben das geschafft, was sich viele Paare, die sich trennen, sicher wünschen würden. Sie sind Freunde geblieben. Gute Freunde. Ihr Blick wandert über das Bild auf dem Cover. Dazu die reißerische Überschrift >Comeback des Jahres<. Mit einem Augenverdrehen öffnet sie die Zeitschrift und blättert bis zu der Doppelseite, an der wieder ein ziemlicher Schwachsinn geschrieben steht. >Das Comeback des Jahres. Unser National-Torwart Uesugi Viktor wurde gemeinsam mit seiner eigentlichen Ex-Freundin Daichi Elsa in Paris gesehen. Die Trennung der beiden wurde erst Anfang diesen Jahres offiziell bekannt, als Uesugi bei der Fußball-Gala auf das Fehlen seiner Freundin angesprochen wurde. Doch die Trennung schein hinfällig zu sein, so wie die beiden in Paris miteinander umgegangen sind. Sie wirkten herzlich miteinander, lachten und hielten Händchen. Auch Küsse waren zu beobachten. Zudem blitzte an Daichis rechter Hand ein verdächtiger Ring auf. Dieser weißt viel mehr darauf hin, dass das Uesugi und Daichi nicht nur wieder ein Paar sind, sondern auch, dass ihre Beziehung eine weitere Stufe eingegangen sind. Wir freuen uns sehr über diese Neuigkeiten und werden Sie, liebe Leser, natürlich weiterhin auf dem Weg mitnehmen und sind schon sehr gespannt, wann die Fotos der Traumhochzeit veröffentlicht werden.< Ein lautes und verächtliches Schnauben entkommt Elsa. Verlobt? Traumhochzeit? Wie kann man auf so etwas kommen? Okay, wenn sie ehrlich ist, sehen sie und Viktor auf den Bildern schon so aus, als würden sie sich sehr nahestehen. Tun sie auch, das kann sie nicht verschweigen. Wobei sie das freundschaftlich tun. Sie haben sich umarmt, ja. Viktor hat einmal ihre Hand genommen, um sie mit sich zu ziehen. Sie hatte sich bei ihm eingehakt, in Ordnung. Das kann man sicher missinterpretieren. Aber Küsse? Wann sollten diese stattgefunden haben, dass man sie hätte beobachten können? Viktor und sie haben sich nicht geküsst! Und ihr Ring … Genau das, was sie erst gestern vermutet hat. Vermutlich sollte sie den Ring hier in Japan wieder an der linken Hand tragen. So würde hoffentlich keiner denken, dass es ein Verlobungsring ist. Wobei, das Schnauben, das sie nun ausstößt, klingt noch lauter als zuvor, dann würde man denken, es ist nun der Ehering und sie ist verheiratet. Nein, Viktor und sie wären verheiratet. “Was ist los, Elsa? Schreiben sie einen solchen Schwachsinn?” Akane hat den Kopf zu ihrer Tochter gedreht, das Bügeleisen vorsorglich zur Seite gestellt. “Oh ja. Verlobt? Traumhochzeit? Glaub mir, Mama, davon stimmt nichts.” “Das dachte ich mir.” “Ja? Hast du nicht einmal gedacht, dass es der Wahrheit entstammen könnte, was hier steht?” “Nein, nicht eine Minute. Du bist meine Tochter, Elsa. Du hast uns noch nie angelogen und immer offen über alles mit uns gesprochen. Wenn du wirklich verlobt wärst, hättest du uns das schon längst erzählst. Ganz zu schweigen davon, wenn du wieder mit Viktor zusammen wärst. Und daher habe ich kein Wort davon für bare Münze genommen.” Ein Lächeln huscht über Elsas Züge. “Und doch hast du all diese Zeitschriften gekauft.” “Natürlich. Immerhin ist meine Tochter eine Berühmtheit. Das musste einfach sein.” Nun muss Elsa lachen. Das ist eindeutig ihre Mutter. “Keine Sorge, wenn es jemals dazukommen wird, dass ich mich verlobe, dann wirst du es erfahren.” “Das hoffe ich doch sehr, junge Dame. Aber ein wenig schade ist es schon. Du und Viktor, ihr habt wirklich gut zusammengepasst. Er hat dir gutgetan.” Bei Akanes letztem Satz ist Elsa erstarrt. Sie und Viktor. Hat nicht auch Mario vor zwei Tagen erst zu ihr gesagt, dass in seinen Augen Viktor der Richtige für sie ist? Der sie glücklich macht und sie lächeln lässt? Im Gegensatz zu ihm, der sie zum Weinen bringt? Ihr Herz zieht sich zusammen. Leider hatte er damit recht. Sie hat für nichts und niemand anderen so viele Tränen verdrückt, wie wegen Mario. So auch die letzten Tage. Hat er vielleicht recht? Wäre Viktor der Richtige an ihrer Seite? Sie war wegen ihm niemals unglücklich und sie hatte Gefühle für ihn. Sie war aufrichtig in ihn verliebt. Auch wenn sie die ganze Zeit über einen anderen geliebt hat. Ihre Gedanken wandern zu dem Tag zurück, an dem sie sich mit Viktor in Paris getroffen hat. Ihr Blick landet auf dem Cover der Zeitschrift, dessen Bild an diesem Tag entstanden ist. Und ihre Gedanken landen an dem Abend. Daran, dass Viktor sie groß zum Essen ausgeführt hat. Und auch an seinen Blick. Die fast schwarzen Augen, die sie zugleich sowohl ernsthaft als auch liebevoll angesehen hatten. Und dazu seine Worte. “Ich vermisse dich, Elsa. Jeden Tag. Und nicht nur das. Meine Gefühle für dich haben sich nicht geändert. Ich will wieder mit dir zusammen sein. Lieber heute als dann, wenn du wieder nach Japan zurückkommst. Doch es sind ja nur noch knapp drei Monate, dann bist du wieder da. Meinst du nicht, dass wir in dieser kurzen Zeit eine Fernbeziehung schaffen?” Viktor liebt sie noch. Und sie – sie liebt einen anderen. Der wiederum hat nun eine Freundin. Und hat Mario sie nicht zu Viktor geschickt? Hat er ihr nicht klar gesagt, dass Viktor besser zu ihr passen würde? Dass er wollte, dass sie mit ihm zusammen ist? Unbewusst umklammern ihre Finger das Papier der Zeitschrift vor sich. Das Papier zerknittert und reißt an einer Stelle sogar ein. Und dann schiebt sie ruckartig den Stuhl nach hinten, während sie aufsteht. “Ich muss noch wohin, Mama. Ich weiß nicht, wann ich wiederkomme.” Akane sieht sie überrascht an, ehe ein Lächeln auf ihren Zügen erscheint. “In Ordnung.” Kapitel 30: 30 -------------- Ob sie das wirklich machen soll? Elsa weiß es nicht. Ihr Blick liegt auf dem Gebäude, von dem sie sich sicher ist, dass Viktor dort gerade trainiert. Seine Mannschaft zumindest. Vielleicht sollte sie ihn erst anrufen und mit ihm sprechen. Aber dann verlässt sie vielleicht wieder der Mut. Und deshalb hält sie direkt auf das Gebäude zu und tritt ein. Sie kommt nicht weit, da wird sie mit einem lauten Ruf aufgehalten. “Junge Frau.” Sofort bleibt sie stehen und ihre Aufmerksamkeit legt sich auf den Mann, der auf sie zukommt. Der Uniform kann man entnehmen, dass er zum Sicherheitsteam gehört. “Sie haben hier keinen Zutritt. Ich will Sie bitten, das Haus direkt wieder zu verlassen.” Elsas Herz schlägt unangenehm in ihrer Brust. “Entschuldigen Sie bitte. Ich müsste mit Uesugi Viktor sprechen.” “Ach ja? Und Sie denken, Sie können hier einfach einmarschieren und dann wird das passieren? Wo kommen wir denn hin, wenn das jeder machen würde? Lassen Sie die Fußballer in Ruhe. Die sind normale Menschen und wollen nicht von Fans belagert werden. Zudem ist das, was sie hier tun, verboten.” “Nein, das ist es nicht! Viktor und ich, wir kennen uns und …” “Ja, ja. Vermutlich sind Sie beide tief verliebt und können nicht ohneeinander. Bitte verlassen Sie sofort das Gebäude, sonst hole ich die Polizei.” “Nein, das …” Aus den Augenwinkeln erkennt Elsa eine Frau, die gerade vorbeilaufen will. Diese hält inne, mustert sie und plötzlich: “Ed!” Schon steht die Frau, die vermutlich ein wenig älter als ihre Mutter ist, neben dem Sicherheitsmann und betrachtet Elsa ganz genau. Diese fühlt sich unter dem Blick unwohl. Das hier war anscheinend wirklich eine sehr dumme Idee. Sie wird Viktor heute Abend einfach anrufen. Ihre Hand umfasst das Band ihrer Handtasche fester. “Entschuldigen Sie bitte die Störung”, presst sie hervor. “Ich werde gleich gehen.” “Sie sind die Verlobte von Uesugi, nicht wahr?”, platzt es da aus der Frau heraus. Elsa ist wie erstarrt und ihr erster Gedanke ist es, alles abzustreiten, doch dann kommt ihr etwas anderes in den Kopf. “Ja. Ja, genau”, antwortet sie schnell, überschlägt sich in ihren Worten fast. “Wusste ich es doch! Sie wollen sicher zu Ihrem Verlobten.” “Verlobte?” Der Sicherheitsmann klingt zweifelnd. “Ja, natürlich. Hast du das gar nicht mitbekommen, Ed?” “Ehrlich gesagt, nein …” Der Zweifel scheint nicht zu weichen und erneut sieht Elsa ihre Chance, Viktor zu sehen, davon fließen. Schnell reißt sie ihre Handtasche aus und holt heraus, was sie vorher noch eingepackt hat. Sie hält die Zeitschrift hoch, auf der sie und Viktor abgebildet sind. Die Augen des Sicherheitsmannes weiten sich überrascht. Er sieht vom Cover zu Elsa, wieder zurück und erneut zu Elsa. Er mustert alles genau, ehe er überrascht nickt. “Oh, tatsächlich. Dann entschuldigen Sie bitte, gute Frau.” “Schon in Ordnung.” Elsa steckt die Zeitschrift zurück, während sie lächelt. Doch das Lächeln fällt sehr schief aus. “Ich kann es verstehen, dass Sie so gehandelt haben. Das ist schließlich ihr Job und den machen Sie wirklich vorbildlich.” Das Lob scheint zu helfen, denn die Schultern des Sicherheitsmannes straffen sich. “Ich kann sie mitnehmen und Uesugi Bescheid geben.” “Ach, ich gebe Uesugi Bescheid, dann kann er euch entgegenkommen. Ist das für sie in Ordnung, Miss …” “Daichi.” “Miss Daichi. Also?” “Das wäre wundervoll.” Elsa nickt dankbar und findet sich gleich darauf in Begleitung der älteren Frau, die viele Fragen stellt, denen sie so gut es geht, auszuweichen versucht. ~✒️~ Elsa sitzt in einer Art Besucherzimmer auf einem gemütlichen Sessel. Von hier aus kann man durch eine hohe Glasfront direkt auf das Fußballfeld blicken, auf dem Viktors Mannschaft trainiert. Doch er selbst ist nicht zu erkennen. Durch seine langen schwarzen Haare fällt er immer auf. Sie stechen heraus. Doch nicht nur diese. Er ist einfach eine Erscheinung, die Haare sind da nur das i-Tüpfelchen. Nervös hat Elsa begonnen, an ihrem Ring zu drehen. Als sie das bemerkt, hält sie inne. Sie sollte den Ringfinger noch wechseln, oder? Denn nur weil sie ihn an der rechten Hand trägt, ist ja das Gerücht mit der Verlobung aufgetaucht. Gerade, als sie den Ring von ihrem Finger ziehen will, öffnet sich hinter ihr die Zimmertüren. Sofort ist das Schmuckstück vergessen und sie springt auf. Viktor betritt den Raum und seine Ausstrahlung nimmt alles ein. Er hat dieses gewisse Extra. Seine fast schwarzen Augen richten sich auf sie und er tritt zu ihr. Seine Hände legen sich auf ihre Oberarme. Seine Stimme kann streng klingen, hart, amüsiert und normalerweise hat sie immer einen leicht belustigten Unterton. Doch gerade ist sie sehr sanft. So hat Elsa ihn tatsächlich nur mit seiner Schwester und Mutter oder auch mit ihr sprechen hören. “Elsa? Mir wurde gesagt, dass du hier bist. Ist etwas passiert?” Die Angesprochene schüttelt ihren Kopf und tritt einen Schritt zurück, um sich aus seinem Griff zu lösen. Sie dreht sich herum, um an ihre Handtasche zu gehen. Gleich darauf wendet sie sich erneut ihm zu und hebt die mitgebrachte Zeitschrift mit dem Cover in die Höhe. “Ich bin deswegen hier!” Verwundert liegt seine Aufmerksamkeit für einen kurzen Augenblick auf dem Bild von ihnen beiden, ehe er Elsa wieder ansieht. “Aha, okay. Früher hattest du damit auch keine Probleme.” “Ja. Da waren wir ja auch wirklich zusammen!” Als Viktor nichts sagt, sondern weiterhin nur abwartend dasteht, runzelt Elsa ihre Stirn. “Warum hast du das nicht klargestellt?” “Warum sollte ich?” Viktors tiefe Stimme lässt sie zusammenzucken. Ihre Augen weiten sich überrascht. “Warum du …?” Sie blinzelt, bis sie ihre Stimme wieder findet. “Weil wir kein Paar sind, Viktor! Anscheinend sind diese Gerüchte ja schon im Umlauf, seit wir uns in Paris getroffen haben. Das sind fast drei Monate. Und du lässt das einfach so laufen?” Und nun kommt er auf sie zu und nimmt ihr die Zeitschrift aus der Hand, die er achtlos auf den tiefen Couchtisch wirft, der vor den Sesseln steht. Wieder überrascht er Elsa. “Warum sollte ich, Elsa?”, wiederholt er seine Aussage von zuvor. “Weil … weil das doch nicht stimmt, was da steht. Und auch das mit der Verlobung!” Jetzt wird ihr wieder bewusst, was sie machen wollte, gerade als Viktor in das Zimmer kam. Mit einer schnellen Handbewegung zieht sie den Ring von ihrem rechten Ringfinger und steckt ihn gleich darauf auf dem linken. Ihr Gesprächspartner folgt der Bewegung interessiert und mit einem gewissen, amüsierten Ausdruck. “Was?”, fragt Elsa unwirscher, als sie eigentlich will. Sein Grinsen breitet sich aus und die Augenbrauen wandern nach oben. “Nun werden sie denken, wir haben geheiratet.” Sie erstarrt. Deshalb hat sie lange überlegt, ob sie den Finger ändern will. Ihr Blick wandert auf den Ring. Langsam greift sie danach, zieht ihn wieder nach oben und hält erneut inne. Soll sie den Ring ganz wegtun? Dabei mag sie ihn eigentlich. “Mach es genauso, wie du es magst, Elsa. Lass die Zeitschriften reden, was sie wollen. Und die Leser denken, wie sie meinen, dass es ist. Du solltest dich davon nicht beeinflussen lassen. Genau das hatten wir schon so gesprochen, falls du dich erinnerst.” Nickend lässt Elsa ihre Hände wieder unverrichteter Dinge sinken. Er hat ja recht. Genau diesen Satz hat Viktor zu ihr gesagt, als die ersten Berichte in der Klatschpresse aufgetaucht sind. Er hat ihr sogar die Entscheidung gelassen, ob sie mit ihm zusammen sein will, immerhin steht er in der Öffentlichkeit und so wird auch sie zu einem Objekt des Interesses. Doch sie hatte sich damals für ihn entschieden, daher war es in Ordnung. Doch jetzt sind sie nicht zusammen und vermutlich hat so ein Artikel dafür gesorgt, dass Mario davon ausgeht, dass sie nicht nur mit ihm zusammen, sondern tatsächlich auch verlobt ist. “Elsa”, dringt Viktors tiefe Stimme erneut zu ihr, “ich habe keine Probleme mit diesen Artikeln und dem, was darin steht. Ich habe es dir gesagt, als wir in Paris miteinander essen waren. Ich liebe dich immer noch und ich will wieder mit dir zusammen sein. Daher können diese Zeitschriften das gerne alles bringen. Sie schreiben ja nur das, was ich mir wünsche. Ein Comeback zwischen uns beiden. Also vielleicht geben die ja nur meine Wünsche und Sehnsüchte von sich.” Bei Viktors belustigtem Tonfall und seinem Augenzwinkern muss Elsa leise prusten. Oh, er ist zu einhundert Prozent er. “Viktor.” Sie schüttelt schmunzelnd den Kopf. “Hast du die etwa beauftragt, so etwas zu schreiben?” “Klar. Geld genug habe ich ja dafür.” Mit einem noch breiteren Grinsen lässt er sich auf einen der Sessel fallen und deutet ihr an, sich neben ihn auf den zweiten Sessel zu setzen. Kaum dass sie das getan hat, beugt er sich zu ihr und nimmt ihre linke Hand in seine. Mit dem Daumen fährt er Kreise über ihre Haut. Und auch über den Ring, der nun dort am Ringfinger sitzt. “Elsa, ich möchte dich zurück. Du hast gesagt, dass wir uns wieder eine Chance geben, wenn du zurück bist. Also? Du bist wieder da. Meine Gefühle ebenfalls beziehungsweise immer noch. Wie sieht es bei dir aus?” Sie ist wie erstarrt, kann sich nicht rühren. Es ist nicht zu leugnen, dass ihr Herz schneller schlägt, seit er ihre Hand so in seiner hält. Dass seine Berührungen etwas in ihr auslösen und auch seine Worte. Sie reagiert auf ihn. Und sie hat auch Gefühle für ihn. Andere, als für Mario. Doch der … Mario hat zu ihr gesagt, dass Viktor der Richtige für sie ist. Er scheint also keine Chance für sie beide zu sehen. Vielleicht hat er deshalb auch eine Freundin. Und Viktor … Sie blickt auf, diesem direkt in die Augen, erkennt die Hoffnung darin. Er möchte sie zurück. Er zeigt es ihr, sagt es ihr. Und er bringt sie zum Lachen. Im Gegensatz zu Mario. Vielleicht hat dieser recht. Und obwohl etwas in ihr sich nicht richtig anfühlt, nickt sie schließlich. Im nächsten Augenblick wird sie in Viktors Arme gerissen und sein Mund senkt sich besitzergreifend auf ihren. Und während er sie so küsst, bricht Elsas Herz ein weiteres Mal. Sie hat sich gewünscht, wenn sie zurückkehrt, in den Armen eines Mannes zu liegen und so geküsst zu werden. Doch der Mann war ein anderer. Kapitel 31: 31 -------------- Part 8 - Still you September X10 Zehn Jahre nach dem Brief “Viktor und Elsa! Schauen Sie hierher. Bitte in die Kameras!” Ein lauter Ruf richtet sich an das Paar und die Kameras darauf. Elsa zwingt sich zu einem Lächeln. “Gleich sind wir hier weg”, flüstert Viktor an sie gerichtet, während er einen Arm um sie legt und sie an sich zieht. Mit seinem typischen und breiten Grinsen sieht er in die Richtung der Reporter, die hier sind. Auch Elsa hält ihr gezwungenes Lächeln. Inzwischen ist sie schon wieder über ein Jahr mit Viktor zusammen. Sie sollte sich doch daran gewöhnt haben, dass dort, wo er hingeht, Kameras auf ihn gerichtet sind. Und oft auch nur auf sie. Als Spielerfrau ist das Leben nicht immer einfach. Vor allem als eine Spielerfrau, die eigentlich ihr privates Leben behalten will. Doch egal, wie oft sie schon in dieser Situation war, sie kann sie nicht ausstehen. Nach nur wenigen Minuten, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt haben, treten Elsa und ihr Begleiter endlich in das große Konzerthaus ein, in dem sich schon viele Menschen tummeln. Frauen in hübschen und teilweise herausstechenden Kleidern, Männer in Anzug oder Smoking. Heute findet ein großes Konzert statt, zu dem einige bekannte Prominente eingeladen wurden. Viktor ist einer davon. Das aber aus einem besonderen Grund heraus: Conny ist eine der Pianistinnen, die an diesem Konzert teilnehmen. Auch während ihres Musikstudiums hat sie nie aufgehört zu spielen und sich ihren Ruf erarbeitet. Es ist eine große Ehre, hier spielen zu dürfen. Doch sie alle sind überzeugt davon, dass das genau richtig so ist – und das sagen sie Conny auch immer wieder. Sie hat es verdient, heute hier zu sein. Elsa hat ihre eigene Einladung erhalten – und das nicht als Viktors Partnerin. Sie ist Connys Freundin. Das ist der Grund, dass sie hier ist. Auch nicht, dass Conny die Frau ihres Bruders, und damit ihre Schwägerin, ist. Und doch muss sie, eben weil sie die Frau an der Seite des Nationaltorwarts ist, durch so etwas wie diese Aktion am Eingang gerade durch. “Hier, Elsa.” Mit einem Lächeln reicht Viktor seiner Freundin ein Glas Champagner, das er gerade einem vorbeilaufenden Kellner vom Tablett genommen hat, ehe er ihr zwinkernd mit seinem eigenen Glas zuprostet. “Danke.” Elsa hebt auch ihr Glas. Während Viktor etwas trinkt, sieht sie sich um. Die vielen berühmten Leute schüchtern sie immer noch ein, auch wenn sie inzwischen teilweise in solchen Kreisen verkehrt. Sie ist eben immer noch ein normales Mädchen. Zumindest fühlt sie sich so. “Weißt du, wo wir nachher hinmüssen?”, richtet sie an Viktor. “Ähm, joa. Irgendwo da lang.” Er winkt mit seiner freien Hand in die Richtung, in der der Festsaal liegt. Ein Lachen entkommt Elsa. “Bei der Ansage vermute ich eher, dass wir wieder auf dem Parkplatz landen.” “Hmm …” Ein anzügliches Grinsen erscheint auf seinen Gesichtszügen, während er sie mit hochgezogenen Augen von oben bis unten mustert und sie augenscheinlich vor seinem inneren Auge auszieht. “Gar keine schlechte Idee. Mir würde da schon etwas einfallen lassen, was wir in der Zeit tun könnten, bis die hier fertig sind.” Mit einem ebenso amüsierten Ausdruck verdreht Elsa ihre Augen. “Viktor, sei mir nicht böse, aber es gibt dafür angenehmere Orte als dein Auto. Das haben wir schon herausgefunden.” “Ach komm. Die Sitze sind doch bequem.” “Bequem wofür?” Ein spitzer Schrei entkommt Elsa und sie verschüttet etwas von dem Champagner, als sich plötzlich ein schwarzer Haarschopf zwischen sie und Viktor schiebt. Mit einer auf ihr Herz gelegte Hand mustert sie ihren Bruder ungläubig. “Gott, Gregor! Erschreck mich doch nicht so.” Dieser reibt sich verlegen über den Hinterkopf, während er sie entschuldigend anblickt. “Entschuldige, Elsa. Das wollte ich nicht”, spricht er passend zu seinem Blick aus. “Das weiß ich doch, hallo Bruderherz.” Und damit tritt Elsa, wieder lächelnd, einen Schritt nach vorn und umarmt ihn. “Hallo ihr zwei. Und bitte sagt mir doch noch, wofür sind deine Autositze bequem, Viktor? Wollt ihr wegfahren? Eine Reise machen? Da wären bequeme Sitze schon angenehmer.” “Ne, das meinte ich eindeutig nicht, Gregor.” “Echt nicht? Was dann?” Nachdenklich zieht Gregor seine Augenbrauen zusammen, während Elsas Wangen sich rot färben. “Ach, das ist doch völlig egal”, versucht sie ihn abzulenken. “Gregor, mein Lieber”, Viktor scheint egal zu sein, was sie will, “ich wollte darauf hinaus, dass Elsa und ich den, sagen wir doch mal, Rücksitz meines Autos jetzt auch für gewisse Dinge nutzen könnten, die Mann und Frau gerne machen. Man braucht nicht immer ein Bett. Siehst du das nicht auch so, Mario?” Mario? Elsas Augen weiten sich und das Glas rutscht aus ihren kraftlosen Händen, während sie sich gleichzeitig abrupt herumdreht. Und tatsächlich, dort steht er und sieht sie an. In seinem Blick steht undefinierbares. Ein Mischmasch aus verschiedenen Gefühlsregungen. Doch Schmerz ist eine Sache, die sie eindeutig erkennen kann. Da wird ihr bewusst, dass er sie mit diesem Blick schon sehr häufig gemustert hat. Eigentlich jedes Mal, wenn sie sich sehen – außer damals in Paris. Sie bekommt kein Wort hervor, ist unfähig, etwas zu erwidern, geschweige denn, sich zu rühren. Aus diesem Zustand wird sie gerissen, als Viktor sie plötzlich zur Seite zieht. “Elsa, hast du dich verletzt? Ist alles in Ordnung?” Die Besorgnis spiegelt sich nicht nur in seinen Augen, sondern auch in seinem Tonfall. “W-was?”, bringt sie hervor und fühlt sich an, als wäre sie aus einer Blase gerissen worden. Eine Blase, in der es nur sie und Mario gab. “Das Glas, das dir heruntergefallen ist, ist zersplittert. Hast du einen Splitter abbekommen?” Überrascht dreht Elsa ihren Kopf. Erst jetzt nimmt sie wahr, dass ein paar Mitarbeiter dort herumturnen, wo sie gerade noch gestanden hat. Sie blinzelt, ehe sie ihren Kopf schüttelt. “Nein, nein. Alles okay”, antwortet sie leise, während ihr Blick noch einmal kurz zu Mario huscht. Seine Hände stecken in den Hosentaschen, während er zur Seite sieht, Leute beobachtet, die, anhand der Kleidung zuzuordnen, wohl ebenfalls als Konzertbesucher da sind. Er sieht gut aus. Der Anzug steht ihm. Elsa schluckt, ehe sie schnell ihren Kopf zur Seite dreht. Was ist das denn schon wieder? Warum reagiert sie immer noch so auf ihn? Warum kann ihr Herz ihn nicht endlich abhaken? Er hat eine Freundin, sie ist bereits wieder über einem Jahr mit Viktor in einer Beziehung. Eine glückliche Beziehung … oder? Doch, sie und Viktor verstehen sich gut, sie fühlt sich bei ihm wirklich wohl und sie muss mit ihm viel lachen. Er hat sie zumindest noch nie unglücklich gemacht. Das Einzige, das sie unglücklich macht, ist, dass er nicht der Mann ist, den sie sich eigentlich an ihrer Seite wünschen würde. Doch genau dieser Mann, wieder huscht ihr Blick zu Mario, ist es, der ihr gesagt hat, dass Viktor der Richtige für sie ist. Er will nicht mit ihr zusammen sein. Daher hat sie der Vernunft, ihrer beider Vernunft, nachgegeben, und hat diese Beziehung wieder aufgenommen. Ihre Gefühle für Mario jedoch scheinen nicht vernünftig zu sein. Obwohl ihre gemeinsame Zeit in Paris in drei Monaten auch schon zwei Jahre her ist, kann sie sie nicht vergessen. Sie zehrt regelrecht aus ihnen. Erinnert sich noch an alles. Jeden Kuss, jede Berührung. Jedes Mal, wenn sie beide eines geworden sind. Und an seinen Geschmack, seinen Geruch. Daran, wie er sie angesehen hat. Das Lächeln, das allein ihr galt. Wie soll sie ihn jemals vergessen können? Doch ihr ist klar, dass sie das irgendwann muss. Denn wenn sie es nicht macht, wird sie unglücklich werden. Und ist es Viktor gegenüber nicht unfair, dass sie einen anderen liebt? Immer noch? Nein, sie muss aufhören, diese Gedanken zuzulassen. Schnell presst sie ihre Augen und auch ihre Lippen fest aufeinander. Sie darf nicht mehr an ihn denken! Sie muss Mario endlich vergessen. Und noch während sie das denkt, ist ihr bewusst, dass das niemals passieren wird. Wie auch? Er ist ihre große Liebe. Bereits seit so vielen Jahren. Wie als ob sich das irgendwann ändern würde. Nicht, wenn es sich bis heute nicht geändert hat. Als Elsa ihre Augen wieder öffnet, erkennt sie, dass nun Marios Blick auf ihr liegt. Auch er hat die Lippen aufeinandergepresst. Ob er genauso empfindet wie sie? Ob er gerade auch so durcheinander und überfordert ist? Immerhin hat er auch schon oft genug gesagt, dass sie seine große Liebe ist … “Bereitet sich Conny schon vor oder können wir sie noch sehen, bevor es losgeht?” Viktors Stimme ist für Elsa zwar wahrzunehmen, doch bei ihr kommt nicht wirklich an, was er sagt. Es ist mehr wie in einer Wattewolke. Alles, was sie wirklich wahrnimmt, das Einzige, was es gerade für sie gibt, sind die dunklen Augen, die direkt auf sie gerichtet sind. Aus dem Schmerz ist etwas anderes geworden. Sehnsucht. Und sie spürt, wie sich diese auch in ihr ausbreitet. “Elsa?” Erst die zart über ihren Rücken streichelnden Finger bringen sie wieder zurück ins Hier und Jetzt. “Was?” Röte breitet sich auf ihren Wangen aus, als sie ihre Aufmerksamkeit endlich von Mario reißen kann und stattdessen ihren Freund ansieht. Ihr Herz schlägt unangenehm in ihrem Brustkorb, passend zu dem schlechten Gewissen, das in ihr tobt. Ist ihm bewusst, was in ihr vorgeht? Anscheinend nicht … Denn sonst würde er das jetzt nicht tun. “Gregor meinte, dass ich noch kurz bei Conny vorbeischauen könnte. Jedoch nur ich. Ich würde ihr jedoch sehr gerne noch viel Glück wünschen. Ist es für dich in Ordnung, wenn ich kurz mit deinem Bruder mitgehe?” “Das … natürlich. Wünsch ihr auch alles Gute von mir, ja?” Ein sanftes Lächeln erscheint auf ihren Zügen. Auch sie würde ihre Freundin noch gerne für einen Augenblick sehen, aber es ist vollkommen in Ordnung, dass es Viktor ist, wenn nur noch einer zu ihr darf. Er ist ihr älterer Bruder und er liebt Conny. Es ist immer wieder schön zu sehen, wie nahe die beiden sich stehen. Und auch, wie sich Viktors Wesen ändert, wenn es um seine Schwester geht. “Gut, dann warte du mit Mario hier. Wir kommen sicherlich bald zurück.” Viktor drückt Elsa noch einen schnellen und sanften Kuss auf die Lippen, ehe er mit Gregor davoneilt. Und nun steht sie hier. Allein mit dem Mann, dem sie bereits seit so langer Zeit wieder bewusst aus dem Weg geht. “Ist Anzu auch da?”, bringt sie zögerlich hervor, da es so seltsam ist, einfach nur still voreinander zu stehen. Doch ihn anzusehen, bringt sie nicht wieder übers Herz. Was, wenn dann Viktor zurückkommen würde? Könnte er ihrem Blick nicht eindeutig entnehmen, was sie für Mario empfindet? “Nein. Sie … kann heute nicht.” War da nicht ein Zögern in Marios Stimme? Eine kurze Pause? Nun dreht Elsa ihren Kopf doch zu ihm. Sein Blick flackert eigenartig, sodass sie ihren Kopf in seine Richtung dreht. Das kommt ihr bekannt vor. Dieser Tonfall, die Art, wie er es ausspricht und … “Mario”, bringt sie krächzend hervor, woraufhin auch er sie wieder anblickt. “Bitte … lüg mich nicht noch einmal an. Verschweige mir nichts mehr, nicht so wie bei Nami. Bist du noch mit ihr zusammen? Mit Anzu.” Er sieht sie immer noch an, unterbricht mit einer Kopfdrehung schließlich den Blickkontakt. “Nein”, antwortet er tonlos. “Warum?” Eigentlich will sie diese Frage nicht stellen, doch sie platzt aus ihr heraus. Ein kurzes Schmunzeln huscht über sein Gesicht, das alles andere als strahlend wirkt. Elsa kann es von ihrem Standpunkt aus erkennen. “Weil es nicht fair wäre, ihr gegenüber.” “Was?” Wieder ist ihre Stimme zittrig und sie hasst es. Ein leises, trockenes Lachen entkommt Mario. “Elsa, lassen wir es einfach. Es schmerzt. Und wenn ich deinen Blick richtig wahrgenommen habe, schmerzt es auch dich.” “Du meintest, dass Viktor der Richtige für mich ist …” “Ja.” Seine Hände ballen sich zu Fäusten, ehe er sie schnell wieder in die Hosentaschen schiebt. “Das … denke ich auch immer noch. Er ist ein guter Typ. Ich mag ihn, er ist ein Freund, den ich sehr schätze. Wenn ich dich an der Seite eines anderen Mannes sehen muss, dann an seiner.” “Aber …” Es fühlt sich erneut so an, als würde ihr Herz brechen. Mario zieht eine Hand wieder aus der Hosentasche, fährt sich damit durch die Haare, ehe er sie einfach neben sich hängen lässt. “Elsa. Es … ich habe es dir schon gesagt. Ich bringe dich immer wieder zum Weinen, er dich zum Lachen. Also ist er derjenige, der besser an deine Seite passt, meinst du nicht auch?” In seiner Stimme klingt dieser Schmerz mit. Sein Gesichtsausdruck und auch seine Augen wirken, als dass er unter dem Schmerz fast zusammenzubrechen scheint. Das ist es, was Elsa nach vorn treten lässt. Unbewusst. Als ihr auffällt, dass sie ihre Hand nach ihm ausstreckt, will sie in der Bewegung noch innehalten, doch es ist zu spät. Ihre Fingerspitzen treffen auf seine, da sie ihre Hand in seine schieben wollte. Es ist eine kleine, minimale Berührung … und sie lässt Blitze durch ihren ganzen Körper schießen. Ein Keuchen entkommt ihr. Auch Mario entfährt ein Laut. Wie erstarrt stehen sie beide da, ihre Blicke auf ihre Hände gesenkt, die sich so wenig berühren und doch eine solch große Auswirkung haben. Es ist nur eine kleine Handlung, die Mario ausübt, doch da schieben sich seine Finger schon zwischen ihre. Als Elsa ihren Kopf hebt, treffen ihre Augen auf seine. Er sieht sie direkt an. Und da ist die Sehnsucht wieder. Sie nimmt alles ein, verdrängt alles. Jeden Gedanken, jeden Wunsch, jedes Gefühl. Jedes Wissen darüber, wie es aktuell aussieht. Dass Elsa einen Freund hat. Dass Mario denkt, dass er nicht gut für sie ist. Es gibt nur sie beide. Bis … “Da sind wir wieder. Oh, wow, Conny sieht einfach nur so unglaublich gut aus. Wartet nur, bis ihr sie seht.” Gregors aufgedrehte Stimme dringt an ihre Ohren, reißt sie aus diesem Moment, in dem es nur sie gab. Erschrocken macht Elsa einen Satz nach hinten, zieht ihre Hand aus Marios. Dieser schiebt seine sofort wieder in seine Hosentasche, tritt ebenfalls nach hinten. Weg von ihr. Panik breitet sich Elsa aus, als Viktor zu ihr tritt. Hat er es bemerkt? Kurz hält sie in ihren Gedanken inne. Will sie es? Dass er es merkt? Oder lieber nicht? Sie weiß es nicht. Doch es scheint nicht so, denn er legt einen Arm um ihre Mitte, zieht sie an sich. “Dein Bruder ist zwar befangen … aber er hat recht. Meine Schwester ist wunderschön.” Elsas Herz schlägt wieder unangenehm in ihr. “Dann bin ich mal gespannt”, bringt sie hervor. Ein lauter Gong ertönt, der alle Gäste an ihren Platz bittet. Viktor läuft direkt los, nimmt sie mit sich. Sie sieht noch einmal über ihre Schulter, kann es nicht unterdrücken. Marios Blick liegt direkt auf ihrem Rücken. Ist intensiv und spiegelt immer noch diese Sehnsucht. Als sie ihren Kopf wieder nach vorn dreht, bemerkt Elsa, wie Gregor sie nachdenklich mustert. Soll das etwa bedeuten, dass er es gesehen hat? Und dass es ihm bewusst ist? Dass ihm bewusst ist, was sie und Mario füreinander empfinden? Immer noch? Trotz dessen, wie es ist? Und das, obwohl es besser wäre, wenn es nicht so wäre. Oder? Kapitel 32: 32 -------------- “Du warst großartig, Conny!” “Ja, du warst die Beste.” “Deine Musik war wundervoll.” Die Wangen der Angesprochen leuchten rot – vor Freude über all das Lob, aber auch vor Aufregung über das, was geschehen ist. Dass sie gespielt hat. Hier, in dieser Halle. Vor all diesen Menschen. Dass sie ein Teil von so etwas Großem sein durfte. Elsa mustert ihre Freundin lächelnd. Viktor und auch Gregor hatten recht. Sie sieht wirklich wundervoll aus. Ein wundervolles Kleid, die schwarzen Locken aufgesteckt, ein paar sanfte Haarsträhnen kunstvoll ums Gesicht herum drapiert. “Wir wollen diesen Abend noch mit euch feiern!” Connys Stimme ist das Adrenalin zu entnehmen, das gerade vermutlich durch ihren Körper peitschen muss. “Daher laden wir euch jetzt alle zu uns nach Hause ein.” “Genau. Wir haben etwas zu essen bestellt und freuen uns, wenn ihr dabei seid. Unsere Eltern und ein paar Freunde kommen auch dazu.” Gregor, der neben seiner Ehefrau steht und dieser einen Arm um die Mitte gelegt hat, grinst breit. Auch er ist aufgeregt und voller Adrenalin. Es ist immer wieder schön mitzuerleben, was für ein tolles Paar die beiden sind. Elsa öffnet gerade den Mund, um zu erwidern, dass sie gerne kommen, als Viktor sie überrascht. Auch sein Arm legt sich um sie und zieht sie an seine Seite. “Danke für eure Einladung. Elsa und ich haben allerdings noch etwas vor. Aber ich denke, wir kommen später nach. In ein paar Stunden.” Erstaunt hebt Elsa ihren Kopf. “Was hast du geplant?”, fragt sie neugierig. “Lass dich überraschen. Und Süße, ich will auch gar nicht drängen, aber wir müsen direkt los.” Ein eigenartiges Gefühl beschleicht Elsa für einen kurzen Augenblick, das sie jedoch sogleich wieder nach hinten drängt. Es fühlt sich nicht gut an, dass sie nun vor Marios Augen mit Viktor verschwindet. Wobei ihr das egal sein sollte. Sie ist mit Viktor zusammen. Weil Mario es so wollte. Ihr Blick huscht, ohne dass sie es eigentlich möchte, zu demjenigen, der sie immer noch so durcheinander bringt. Auch Mario sieht sie an, seine Lippen wieder aufeinandergepresst. Ihm scheint es auch nicht zu gefallen. Aber es ist egal, denn es ist, wie es ist. Er selbst sagt, dass sie an Viktors Seite gehört. “Können wir?”, fragt der in dem Moment. Schnell wendet sich Elsa wieder ihrem Freund zu und nickt. “Ja.” ~✒️~ Es ist ein teures Restaurant, in das Viktor sie ausgeführt hat. Die Art von teuer, dass es nur kleine Portionen gibt, davon jedoch mehrere Gänge hintereinander. Stäbchen, sowie verschiedene Gabeln und Messer neben den Tellern. Unterschiedliche Gläser für Weiß- und Rotwein. Wobei Viktor sich an Wasser hält. Immerhin ist er der Fahrer. Elsa fühlt sich unwohl. Sie hat Angst, eine falsche Bewegung zu machen, sodass alle Blicke plötzlich auf ihr liegen. Okay, das tut es jetzt schon. Wenn Viktor Uesugi einen Raum betritt, dann liegen alle Blicke automatisch auf ihm – und damit auch auf ihr als seiner Begleitung, als die Frau an seiner Seite. Er weiß, dass das hier nicht ihres ist, weshalb er sie im Normalfall auch davon fernhält. Warum also ist er heute mit ihr in so ein feines Restaurant gegangen und … oh. Ihre Augen weiten sich für einen Augenblick und sie senkt ihren Kopf. Er wird doch nicht etwa … Nein, das kann sie sich nicht vorstellen. Sie beide haben nie darüber gesprochen. Über heiraten, Familienplanung … Das ist ein Thema, das sie bisher gut umschifft oder immer nur sehr oberflächlich darüber geredet hat. Sie weiß auch, warum. Weil ihr Herz immer noch jemand anderem gehört. Und das ist der Grund, weshalb sie hofft, dass das hier einfach nur etwas Besonderes ist und keinen bestimmten Grund hat. Trotzdem wird sie bei jedem Gang angespannter. “Elsa, Süße, ist alles in Ordnung? Warum bist du denn so angespannt?” Natürlich fällt es Viktor sofort auf. Er bemerkt immer sehr viel. Warum also ihre Gefühle für Mario nicht? Elsa setzt ein Lächeln auf, das vermutlich genauso falsch ausfällt, wie es sich anfühlt. “Ach, ich bin einfach nur …” Oh Gott, was ist die richtige Antwort? Sein leises Lachen reißt sie aus ihren Gedanken, die sie gerade nur noch fertiger machen. “Du vermutest sicher schon etwas.” Ja, das tut sie. Aber bitte nicht … Doch da zieht Viktor bereits ein kleines samtüberzogenes Kästchen aus seiner Hosentasche und stellt es auf den Tisch. Wie immer liegt ein breites Grinsen auf seinen Zügen. “Eigentlich wollte ich damit bis zum letzten Gang warten. Aber ich nehme dir deine Anspannung lieber. Nicht, dass du mir noch umfällst.” Die Anspannung nehmen? Das Gegenteil passiert. Sie nimmt eher noch zu. Schnell zieht Elsa ihre Hände unter dem Tisch auf ihre Knie und ballt sie dort so stark zu Fäusten, dass die Fingernägel in die Handballen schneiden. Viktor steht auf und nimmt das Kästchen in die Hand, um um den Tisch herumzulaufen und sich neben Elsa auf ein Knie niederzulassen. In ihr wallt Übelkeit auf. Da öffnet er bereits das Kästchen. Ein silberner Ring mit einem großen Diamanten blitzt auf. “Daichi Elsa. Ich liebe dich. Und ich bin so dankbar dafür, dass du uns beiden letztes Jahr noch einmal eine Chance gegeben hast. Ich will mein restliches Leben mit dir verbringen und daher: Willst du mich heiraten, Elsa?” Die Übelkeit in ihr nimmt zu. Sie kann das nicht! Das wird ihr in dem Augenblick klar. Das hier, das ist so falsch. Sie kann Viktor nicht heiraten, doch nicht nur das. Er kniet vor ihr, strahlt sie mit einem herzlichen Lächeln abwartend an. Ihr Blick huscht weiter, über die anderen Menschen hier im Raum, die alle ebenso abwartend und neugierig zu ihnen beiden blicken. Die Kellner, die schon im Hintergrund warten. Tief in ihr ist Elsa die Antwort auf Viktors Frage mehr als klar. Doch sie kann sie nicht aussprechen. Nicht hier, wo jeder es mitbekommt. Es bleibt ihr also nur eines übrig. “Ja”, bringt sie mit kratziger Stimme hervor. Kann er diesem einen Wort entnehmen, wie viel Kraft es sie gekostet hat, es auszusprechen? Nein, anscheinend nicht. “Oh Elsa.” Sein Lächeln nimmt zu, soweit das überhaupt noch möglich ist. Er zieht den Ring aus der Schatulle und stellt diese auf den Tisch, ehe er ihre rechte Hand anhebt und dort den Ring an den leeren Ringfinger steckt. Ihren Paris-Ring trägt sie schon lange nicht mehr. Er hat sie doch viel zu häufig an Mario erinnert. Dazu die aufgekommenen Gerüchte. Das sind die Gründe, dass er nun in ihrem Schmuckkästchen liegt. Viktor legt seine Hände an ihre Wangen und zieht sie zu sich herunter, um sie zu küssen. Sie schließt ihre Augen, versucht den Kuss zu genießen, doch er fühlt sich nicht mehr so an, wie die davor. Alles in ihr scheint ihn abzustoßen. Nicht den Kuss, nein, alles an dem Mann, ihr gegenüber. Als er sich wieder von ihr löst, tauchen die Kellner mit Champagner hinter ihnen auf und laute Glückwünsche erfüllen das Restaurant. Elsa zwingt sich wieder zu einem Lächeln. Sie muss das hier nur hinter sich bringen. Und während sie das restliche Essen regelrecht herunterwürgt, nichts davon schmeckt, fühlt sich der Ring an ihrer Hand schwer an. Schwer und falsch. Kapitel 33: 33 -------------- Elsas Blick liegt auf dem Ring an ihrer rechten Hand. Ihre linke wird von Viktor gehalten, der seinen Sportwagen steuert, mit dem sie auf dem Weg zu Conny und Gregor sind. Alles in ihr fühlt sich an, als wäre es zusammengezogen, regelrecht zusammengeschnürt. Alles abgestumpft. Sie hat das restliche Essen nicht einmal mehr geschmeckt. Sie wollte nur noch raus, hat auf Viktors Fragen nur noch einsilbig geantwortet. Doch er hat das mit einem Lachen der Aufregung zugeschoben. Seine Stimme erklingt ebenso aufgeregt neben ihr. Er hört sich glücklich an. “Ich kann die Blicke der anderen nicht erwarten! Was sie wohl dazu sagen werden? Ich meine, seit Conny und Gregor geheiratet haben, werde auch ich ständig von aller Verwandtschaft darauf angesprochen. Und du weißt auch, wie sehr die Klatschpresse ständig darauf hinausgeht, dass wir beide endlich heiraten müssen. Also nicht, dass ich es derentwegen mache und …” Elsas Hals schnürt sich weiter zu. So sehr, dass sie keine Luft mehr bekommt. Krampfhaft versucht sie, tief einzuatmen, doch es geht nicht. Röchelnd beugt sie sich nach vorn, umschließt mit beiden Armen ihren Oberkörper. Nicht gut. Gar nicht gut. “Elsa?” Nun klingt Viktors Stimme angespannt. Das Glück ist daraus komplett verschwunden. “Fahr … links … ran …”, bekommt Elsa heraus. Kaum dass er das getan hat, reißt sie die Türe auf und versucht den Sicherheitsgurt zu lösen. Das macht schlussendlich Viktor, als er bemerkt, dass sie es nicht hinbekommt. Sofort stolpert Elsa aus dem Auto. Hier draußen geht das Atmen besser. Immer noch krampfhaft strömt die Luft in ihre Lungen. Sie stützt sich mit beiden Händen auf ihren Knien ab und unterdrückt erneut die aufkommende Übelkeit. Doch das Gefühl des Eingeschnürrtseins schwindet nicht. Ebenso das schwere Gefühl an ihrer rechten Hand, von dem alles andere auszugehen scheint. Der Ring – der Verlobungsring. Und so sehr es ihr Herz schmerzt, ist ihr bewusst, was sie zu tun hat. Und dieser Gedanke lässt sie schlussendlich ruhiger werden. “Elsa, Liebes.” Viktor kommt an ihre Seite und stützt sie, streicht über ihren Rücken. “Was ist los? Hast du das Essen nicht vertragen? Sollen wir ins Krankenhaus fahren?” Die Sorge steht ihm ins Gesicht geschrieben. Langsam schüttelt Elsa ihren Kopf, während sie sich wieder aufrichtet. Von Sekunde zu Sekunde wird alles in ihr noch ruhiger. “Das ist es nicht, Viktor.” “Was dann, Elsa? Ich mache mir wirklich Sorgen um dich. Was kann ich tun, dass es dir besser geht?” Seine Fürsorge treibt Elsa Tränen in die Augen. Viktor ist ein toller Mann. Und er hat jemanden verdient, die ihn wirklich liebt. “Es … es tut mir leid”, flüstert sie, als die Tränen in ihre Augen treten. “Was genau meinst du damit, Elsa? Was …” Viktor stockt mitten im Satz, als er beobachtet, wie sie den Verlobungsring von ihrem Finger zieht. “Elsa?” Ihre Hand schließt sich um das Schmuckstück, das eigentlich glücklich machen sollte. Doch nun macht es eher unglücklich. Von wegen, sie muss mit Viktor nie weinen. Nimm das, Mario Hongo! Und schon springen ihre Gedanken zu demjenigen, der Grund für all das hier ist. Für den Schmerz, der in ihrem Herzen tobt. Und auch für den, der nun Viktor trifft. Elsa hält inne. Nein, das ist falsch. Sie kann Mario nicht die Schuld dafür geben, dass sie mit Viktor zusammen ist und auch nicht, dass sie nun dessen Antrag ablehnt. Es war und ist alles ihre eigene Entscheidung. “Es tut mir leid, Viktor, aber ich kann das nicht”, flüstert sie, während sie dem Älteren den Ring entgegenhält, ohne ihn dabei ansehen zu können. “Wie …? Warum …?” Viktor blinzelt verwirrt, nimmt den Ring aber an sich. Nun sind es seine Finger, die sich hart darum schließen. “Ist dir hier draußen gerade der Gedanke gekommen, dass du mich nicht heiraten kannst?” Sie schüttelt ihren Kopf. “Während der Autofahrt?” Wieder ein Kopfschütteln. “Wann dann? Warum gibst du mir den Ring zurück?” “Viktor …” Sie beißt sich auf die Lippen. Sie ist es ihm schuldig, dass er die Wahrheit kennt. Und auch weiß, dass er nicht schuld ist. An nichts von all dem. “Vorher, als du gefragt hast, ob ich angespannt bin … Ich war es tatsächlich, weil ich befürchtet habe, dass du mir einen Antrag machen wirst …” “Befürchtet.” Keine Frage. Einfach nur eine tonlose Wiederholung. “Ich hatte Angst davor, dass du es tun würdest. Denn es war mir bewusst, dass ich ihn nicht annehmen könnte.” “Aber du hast ihn angenommen.” Immer noch dieser tonlose Tonfall. “Ja. Da waren so viele Menschen. Ich habe mich nicht getraut, abzulehnen. Ich wollte nicht, dass es dann direkt morgen in der Zeitung steht.” “Das wäre weniger schlimm für mich gewesen, als das hier jetzt”, presst Viktor zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor. Elsa hält inne. Erst jetzt wird ihr das bewusst. Hätte sie sofort nein gesagt, wäre es vielleicht bereits morgen in der Zeitung gestanden. Aber … so hat sie Viktor erst glücklich gemacht, um ihn dann in ein Loch zu stürzen. Ihr Atem kommt stockend hervor. Sie ballt ihre Hände zu Fäusten, um so das Zittern ihrer Finger zu verbergen. “Sag mir wenigstens warum, Elsa. Warum kannst du meinen Antrag nicht annehmen und mich nicht heiraten?” Der Moment der Wahrheit. Und sie muss ehrlich sein. Zu ihm – und auch zu sich selbst. “Es ist …” Welche Worte sind die richtigen, um so etwas zu erklären? Ihr ist bewusst, was diese Worte für eine Auswirkung auf ihre Beziehung haben werden. “Ich weiß, dass wir schon eine Weile zusammen sind und ich habe auch Gefühle für dich, Viktor. Aber … mein Herz gehört jemand anderem.” Sein Blick verdüstert sich. Seine ganze Haltung ändert sich. Von dem bis gerade noch enttäuschten und in sich eingesunkenen zu diesem ablehnenden Ausdruck. Doch ihr ist bewusst, dass er das nur macht, um sich zu schützen. “Hast du etwas mit einem anderen am Laufen? Hast du mich betrogen?” Schockiert macht Elsa mit vor sich abwehrend gehobenen Händen einen Schritt nach hinten. “Nein! Das habe ich nicht, könnte ich auch niemals!” “Aber du sagtest gerade, dass …” Schon dreht sie ihren Kopf wieder und ein trauriges Lächeln erscheint auf ihren Zügen. “Ich habe gesagt, dass mein Herz jemand anderen gehört. Und das schon sehr lange. Doch es ist dir gegenüber nicht fair, wenn ich nun so weitermache und dich sogar heirate. Meine Gefühle für dich und die für ihn … die sind nicht miteinander zu vergleichen.” “Du sagtest … schon sehr lange. Das bedeutet …” “Viele Jahre, Viktor. Aber das zwischen ihm und mir … das konnte nie sein. Es kam immer etwas oder jemand dazwischen.” “Aber du sagst, du empfindest etwas für ihn. Empfindet er nichts für dich?” “Ich … weiß es nicht. Ich denke schon, ja … aber es sollte eben nicht sein.” “Du … Elsa … Willst du mir ernsthaft sagen, dass du bereits über ein Jahr mit mir zusammen bist und dabei eigentlich die ganze Zeit über einen anderen Mann liebst? Sogar schon, als wir das erste Mal ein Paar waren? Ist das dein Ernst?” Bei Viktors Tonfall, der immer lauter wird, zuckt die Angesprochene zusammen. Sie kann verstehen, dass er so reagiert. Und das ist in Ordnung. Trotzdem … “Viktor … ich … Es tut mir leid und ich kann es nicht oft genug sagen.” “Bringt mir nur nichts, oder? Elsa, du hast gesagt, es war mir gegenüber nicht unfair. Aber das war es dem anderen Mann auch nicht, oder? Wenn er dich liebt. Und du ihn, warum seid ihr dann nicht zusammen? Warum bist du stattdessen mit mir eine Beziehung eingegangen? Eine, die anscheinend niemals eine Zukunft hatte!” Auch ihr wird es in diesem Augenblick bewusst. Doch soweit hat sie niemals nach vorn geschaut. Sie hat immer nur für den Augenblick gedacht. Vielleicht, weil tief in ihr noch die Hoffnung war, dass sie und Mario doch irgendwann zueinanderfinden würden. “Es tut mir wirklich leid.” “Wenigstens das.” Mit einem Stöhnen, das tief aus Viktors Innerem kommt, legt er seinen Kopf in den Nacken und fährt mit der freien Hand durch seine Haare. Er sieht aus, als hätte sie ihn geschlagen. So gesehen hat sie ihn das auch, oder? Sie hat ihm eine verpasst, dorthin, wo es wehtut. Ins Herz. “Elsa. Ich kann es nicht fassen. Wirklich nicht. Warum bist du mit mir zusammen, wenn du einen anderen liebst? Warum hast du uns beiden das angetan? In dem Glauben, dass dir das hier nicht vollkommen egal ist.” “Ist es nicht, wirklich nicht. Das musst du mir glauben.” Tränen laufen über Elsas Wangen. “Es ist nur … Als wir das erste Mal zusammengekommen sind, da war auch er in einer Beziehung. Und es war klar, dass das zwischen uns nicht mehr möglich ist. Und dann kamst du an und hast mich um ein Date gebeten. Ich mag dich, das habe ich schon immer. Mein Herz hat bei der Vorstellung schneller geschlagen und ich dachte, du bist derjenige, der mich vielleicht über ihn hinwegbringen könnte. Doch das war es nicht. Und dann … ich habe mit ihm geredet, als ich von Paris zurückgekommen bin. Und er meinte, dass ich zu dir zurücksollte, da du mich zum Lachen bringst – im Gegensatz zu ihm, da ich seinetwegen ständig weinen musste. Dann bin ich zu dir wegen der Zeitungsartikel, und da hast du mir erklärt, dass du mit mir zusammen sein willst. Er hingegen war in einer Beziehung, dazu hat er mich ja zu dir geschickt … da dachte ich eben, wenn mich jemand glücklich machen kann in der ganzen Situation, dann du. Aber heiraten … Das ist etwas, das ich nicht kann. Das ist mir vorher klar geworden. Und als ich aus dem Auto gestiegen bin, ist es mir endgültig bewusst gewesen. Wir beide, soviel ich auch für dich empfinde, es reicht nicht. Es wird niemals reichen können. Die Verliebtheit für dich ist nicht mit der …, mit der Liebe für ihn zu vergleichen. Und es bricht mir das Herz, dir das jetzt anzutun.” “Ja …” Viktors fast schwarze Augen liegen auf ihr, ehe er sein Gesicht verzieht. Der Schmerz wird noch deutlicher. “Elsa, ich kann so nicht weitermachen. Nicht damit”, er hebt ihr den Verlobungsring entgegen, “denn das war immer mein Wunsch. Heiraten und eine Familie gründen. Und ich kann und will daran nichts ändern. Das ist nun einmal mein Traum. Und das bedeutet …” “... dass wir beide nicht mehr zusammen sein können.” Elsa lächelt traurig, ehe sie nickt. “Das war mir bewusst, Viktor. In dem Moment, als ich entschieden habe, dir endlich die Wahrheit zu sagen.” “So sehr ich dich auch liebe, Elsa. Ich komme nicht damit klar, dass du die Gefühle, dich ich für dich habe, einem anderen entgegenbringst. Daher …” Er muss es nicht aussprechen. Sie versteht ihn. Eine weitere Träne läuft über Elsas Wange. “Meinst du, wir können Freunde bleiben?” Viktor hält inne, ehe er mit den Schultern zuckt. “Ich hoffe es. Aber lass mir Zeit. Ich muss damit abschließen. Aber es wäre mir wichtig, dass wir miteinander auskommen, vielleicht sogar Freunde bleiben. Denn unsere Geschwister sind verheiratet und dadurch werden wir miteinander verbunden bleiben.” “Ja. Ich danke dir.” “Dafür nicht. Nun gut”, ein tiefes und zittriges Seufzen entkommt Viktor, ehe er sich zum Auto dreht. “Kommst du? Willst du noch zu Conny und Gregor oder nach Hause? Ich fahre dich schnell.” “Ehrlich gesagt”, Elsas Blick fällt über ihre Schulter, während sie mit einer Hand eine Haarsträhne hinter ihr Ohr streicht, “ich würde noch da rein wollen.” Sie deutet auf den Park hinter sich, vor dem Viktor geparkt hat, als er so abrupt stehen geblieben ist. “Da?” Viktor blickt ebenfalls in die Richtung. Er kennt den Park. Sie alle kennen ihn. Als Schüler sind sie dort oft gewesen. Seine Grundschule, die Nanyo, ist gar nicht so weit weg. Und Elsas Grundschule, die Kitahara ebenfalls nicht. Bei der Erinnerung kommt ihm etwas Weiteres und seine Aufmerksamkeit legt sich wieder auf sie. Elsas Gesicht ist verweint, ihre Augen leicht angeschwollen und gerötet. Dazu die Lippe, auf der sie anscheinend herumgekaut hat. “Du bist dafür nicht passend angezogen, oder? Außerdem wird es bereits dunkel.” “Das ist egal. Ich will einfach nur … Ich brauche ein wenig Zeit. Ich werde einfach da hochgehen und so weit von hier ist meine Wohnung ja auch nicht entfernt.” Viktor will erneut etwas einwerfen, ihr Abendkleid und ihre High Heels betreffend. Doch er entscheidet sich dagegen. Es ist nun nicht mehr seine Sache. Sie sind kein Paar mehr. Er presst seine Lippen aufeinander. “Willst du das wirklich?” “Ja. Geh du nur, Viktor. Du musst nicht nach mir schauen.” “In Ordnung. Aber ruf mich an, wenn etwas ist, ja?” “Natürlich.” Und damit dreht Elsa sich herum und geht davon. Entfernt sich von Viktor und auch dem, was einmal zwischen ihnen war. “Elsa”, ertönt ihr Name hinter ihr noch einmal und sie dreht sich herum, um zu Viktor zu sehen, der bereits an sein Auto getreten ist und die Türe geöffnet hat. “Wer ist es?”, fragt er. Und obwohl er wirklich fertig aussieht, sind seine Augen abwartend auf sie gerichtet, lassen erkennen, dass er es wissen will. Mit geweiteten Augen erwidert sie seinen Blick, öffnet ihren Mund und schließt ihn unverrichteter Dinge wieder. “Dann frage ich anders, Elsa. Kenne ich ihn?” Ihr schuldbewusster Gesichtsausdruck sagt ihm alles. Daher nickt er nur und dreht sich herum. “In Ordnung. Aber auch wenn das zwischen uns jetzt zu Ende ist, ruf mich an, wenn etwas ist, ja? Ich bin trotzdem für dich da.” Elsas Blick verfolgt ihrem nun Ex-Freund, der in sein Auto steigt und davonfährt. In ihrer Seele schlagen zwei Herzen. Das eine trauert. Um die Beziehung mit Viktor, die wirklich schön war und in der sie sich geborgen gefühlt hat. Und das andere ist voller Hoffnung, dass nun vielleicht doch etwas anderes möglich ist. Etwas, das sie sich lange verboten hat, zu denken. Kapitel 34: 34 -------------- Es waren mehrere Versuche gewesen, die Mario ausgeführt hatte. Doch keiner von ihnen hat den gewünschten Erfolg gebracht. Und deshalb sitzt er in diesem Moment immer noch auf dem Sofa von Conny und Gregor, umgeben von weiteren Freunden. Dabei hat er keinen anderen Wunsch, als von hier zu verschwinden, ehe Elsa mit Viktor an ihrer Seite zusammen zurückkommt. Sie heute wiederzusehen, hat wie jedes Mal etwas in ihm aufgerissen. Und als sie dann plötzlich direkt vor ihm stand und ihn berührt hat. Er musste mit sich selbst kämpfen, dass er sie nicht einfach in seine Arme gerissen und sie geküsst hat. Vermutlich war es gut, dass Viktor in dem Augenblick zurückkam. Und dann sind die beiden gemeinsam gegangen. Elsa schien auch nichts von dem gewusst zu haben, was ihr Freund vorhat. Und er will nicht dabei sein, wenn sie davon erzählt, vielleicht sogar schwärmt, was Tolles war. Doch egal, wie oft er versucht hat zu verschwinden, welche Ausreden er vorgebracht hat, Gregor hat keine davon durchgehen lassen. Vielleicht, weil diesem bewusst ist, warum er wegwill. Sein bester Freund kennt ihn zu gut. Auch wenn dieser bis heute nichts davon weiß, dass er Elsa kurzfristig in Paris besucht hat und sie eine ganze Woche nur zu zweit verbracht haben – und das hauptsächlich nackt. Vielleicht versucht er es ein weiteres Mal, zu verschwinden, ehe Elsa da ist. Und daher steht er auf, trägt sein Glas zur Theke der offenen Küche und stellt es dort ab. “Nun gut, dann mache ich mich jetzt mal auf den Weg. Danke fürs …” “Setz dich hin, Alter.” “Aber …” “Ich sagte, setz dich hin. Was willst du jetzt trinken?” Gregor ist vor Mario aufgetaucht und sieht diesen zwischen schmalem Augenschlitzen hindurch an. Noch kurz zögert sein Gegenüber, ehe er seufzt. Keine Chance. “Eine Cola bitte”, murmelt er und lässt sich gleich darauf wieder aufs Sofa sinken. Vielleicht wäre Alkohol besser, aber er will lieber nüchtern bleiben. Wer weiß, auf was für dumme Ideen er sonst noch kommt. Er will lieber nichts riskieren. Die Arme verschränkt er vor dem Oberkörper und verzieht missmutig das Gesicht. Er wäre wirklich lieber verschwunden. Da wird ihm schon das gefüllte Glas entgegengehalten. “Da. Und jetzt bleib gefälligst einfach hier! Du hast schon andere Herausforderungen gemeistert, du wirst also nicht wieder wegrennen. Das hat das Ganze ja erst ausgelöst”, flüstert Gregor die letzten Worte zu seinem besten Freund. “Ne, das warst du”, knurrt Mario zurück, während er das Glas in die Hand nimmt. “Du hättest mir Elsas Brief einfach geben sollen!” Sofort bereut er diese Worte wieder, denn ein schuldbewusster Ausdruck breitet sich auf Gregors Gesicht aus. Schnell winkt er ab. “Natürlich nicht! Es ist meine Schuld. Ich habe mich in Elsa verliebt, als ihr hierhergezogen seid. Ich hätte sie einfach ansprechen sollen, waren ja genug Jahre Zeit dafür. Und in dieser Hinsicht, okay, ich renne nicht weg. Auch wenn es hart ist, sie mit Viktor zusammen zu sehen. Er macht sie glücklich und das ist das Wichtigste für mich. Aber mitbekommen muss ich es deshalb trotzdem nicht.” Der Jüngere hebt eine Hand und legt diese auf die Schulter seines Gegenübers. “Du bist ein guter Kerl, wirklich, Mario.” Und damit geht er davon. Der Blick seines besten Freundes folgt ihm noch, ehe er seufzt und das Glas fest mit beiden Händen umschließt. Ist er das? Das Gefühl hat er nicht. Er hat bisher alle seine Beziehungen in den Sand gesetzt, da es für ihn nur eine Einzige gibt. Und mit dieser scheint er nicht zusammen sein zu können. Die Woche in Paris, das war es für sie beide. Und er wird diese Zeit nie vergessen. Ein Klingeln an der Wohnungstüre lässt ihn zusammenschrecken. Sind sie das? Kommt sie nun? Seine Griffe um das Glas festigen sich. Und tatsächlich dauert es nicht lange, als Viktor eintritt. Er sieht … fertig? aus. Die Augen liegen in tiefen Höhlen und seine sonst so große Statur ist irgendwie eingesunken. Was ist mit ihm los? Doch die Antwort bekommt nicht nur Mario, sondern alle Anwesenden schnell. “Hey, wo hast du meine Schwester gelassen?”, fragt Gregor seinen Schwager. Der verzieht sein Gesicht. “Wir haben uns getrennt.” Auf diese Aussage herrscht Stille im Raum. Alle sehen Viktor ungläubig an. Getrennt? “Was? Wie konnte das passieren?” “Nicht dein Ernst.” “Du verarschst uns doch, Alter!” Nur drei Personen im Raum reagieren nicht. Zwei davon pressen ihre Lippen aufeinander und sehen einander kurz an, ehe sie ihre Aufmerksamkeit auf Viktor richten. Conny und Gregor. Und der Dritte ist Mario. Seine Augen sind geweitet und auch sein Mund steht etwas offen. Elsa hat sich von Viktor getrennt? Verschiedene Gefühle kommen in ihm auf. Die Frage nach dem Warum beherrscht ihn genauso wie die Hoffnung, die ihn einnimmt. “Es hat seine Gründe. Oder auch nur einen. Doch da es ihrer ist, steht es mir nicht zu, ihn euch zu sagen.” Erneut spannt sich Mario an, als Viktors Blick während dessen Worten auf ihm landet. Meint er mit Grund ihn? Hat Elsa Viktor etwas gesagt? Weiß er mehr? “Aber so ist das manchmal eben. Manchmal verliert man, manchmal gewinnt man. Nicht wahr, Mario?” Okay, das war eindeutig an ihn gerichtet. Er schließt seinen Mund und schluckt, doch da dreht sich Viktor bereits herum. “Ich geh auf den Balkon. Mario, kommst du mit? Wir können uns mal wieder ein wenig unterhalten, haben wir schon lange nicht mehr.” “Das … ähm … ja.” Verunsichert erhebt sich Mario und folgt dem Älteren, der die Türe des großen Balkons öffnet und hinaustritt. Dabei trifft sein Blick auf Gregors, der ihn verwundert mustert. Als Mario auf seiner Höhe ist, legt sein bester Freund ihm erneut für einen kurzen Moment die Hand auf die Schulter. “Das wird schon werden, Mario.” Verwundert sieht der Angesprochene ihm hinterher, als Gregor davongeht. Anscheinend ist er nicht der Einzige, der davon ausgeht, dass Viktor etwas von dem weiß, was zwischen Elsa und ihm ist. Auf dem Balkon angekommen, überlegt er sich, ob er die Türe offen lassen soll, falls er flüchten muss und … Stopp, was sind das für dämliche Ideen? Egal, was passiert, Viktor ist sein Freund und ihm setzt die Trennung von Elsa eindeutig zu. Daher dreht Mario sich herum und schließt die Türe. Als er sich wieder Viktor zuwendet, hält er ungläubig inne. Dieser hat gerade ein Päckchen Zigaretten aus seiner Hosentasche gezogen, die eindeutig angebrochen ist. Gleich darauf steckt schon einer der Glimmstängel zwischen Viktors Lippen. “Viktor, seit wann rauchst du? Du weißt, dass das ungesund ist!” Mit eiligen Schritten tritt Mario zu seinem Freund. Diesem entkommt ein trockenes Lachen. “Ja, das weiß ich, stell dir vor. Aber gerade brauche ich es irgendwie. Vorher, nachdem Elsa sich von mir getrennt hat, da hatte ich das Verlangen danach. Und daher bin ich zu einem Konbini gefahren und hab da welche gekauft.” Im nächsten Moment leuchtet das Feuer des Feuerzeugs auf und die Luft wird tief eingezogen. Etwas später stößt Viktor eine Rauchwolke aus. Mit beiden Armen stützt er sich auf dem Geländer ab, führt immer wieder seine Hand mit der Zigarette zum Mund, um einen Zug zu nehmen. Mario steht ein Stück daneben und versucht, die Rauchschwaden nicht mit einer Hand zu vertreiben. Viktor hat ihn sicherlich nicht mit hier heraus gebeten, wenn nicht etwas wäre, über das er mit ihm sprechen will. Ungeduldig und angespannt ballt er seine Hände immer und immer wieder in seinen Hosentaschen zu Fäusten. Es vergeht noch eine Weile, ehe Viktor das Wort ergreift. Doch zuerst wirft er den Zigarettenstummel der abgerauchten Zigarette auf den Boden und zerdrückt sie mit dem Fuß. “Bist du es?”, durchdringt seine tiefe Stimme die bis dahin dichte Stille und bringt Mario zum Zusammenzucken. “W-was genau meinst du?”, fragt er stotternd. “Der Kerl, den Elsa bereits seit so vielen Jahren liebt. Für den sie Gefühle hat und der wohl Gefühle für sie hat. Und der Kerl, der dafür verantwortlich ist, dass sie meinen Antrag abgelehnt hat.” Auf Viktors Worte verschluckt sich Mario an seiner eigenen Spucke und beugt sich hustend nach vorn. Viktors große Hand trifft ihn ein paar Mal auf den Rücken. Als Mario sich wieder im Griff hat, sieht er ungläubig zu dem Größeren auf. “Antrag? Du hast Elsa …” “Ja, ich habe sie gefragt, ob sie mich heiraten will.” Mit einem Grinsen, das alles andere als glücklich wirkt, zieht Viktor eine weitere Zigarette aus dem Päckchen und steckt sie sich an. “Sie hat sogar Ja gesagt. Und mich wirklich glücklich gemacht. Nur, um das wenig später wieder rückgängig zu machen.” “Das heißt, dass sie … also dass sie nicht …” Auf das Stottern des neben ihm Stehenden stößt Viktor schnaubend den Rauch aus. “Sie hat mir den Ring zurückgegeben und mir erklärt, dass sie mich nicht heiraten kann. Weil ihre Gefühle nicht mit denen vergleichbar sind, die sie für den anderen Mann empfindet. Für den Mann, den sie liebt. Und da dachte ich an dich. Also, Mario? Bist du der Grund dafür, dass meine Freundin sich nicht nur gegen den Antrag, sondern auch gegen mich entschieden hat?” Nun ist es Mario, dessen Gesicht sich ebenso anspannt wie Viktors. Seine Kieferknochen treten stark hervor. Er hebt sein Kinn leicht, während er ins Dunkle vor sich schaut. “Ich weiß es nicht”, antwortet er. “Aber ich hoffe es, Viktor. Das bedeutet nicht, dass ich es gut finde, dass sie deinen Antrag, dich, abgelehnt hat. Aber es weckt in mir die Hoffnung, dass sie und ich … Egal.” “Nein, nicht egal. Alles andere als egal. Du liebst Elsa. Meine Freundin. Nein, meine Ex-Freundin. Seit wann?” Das leise Lachen, das aus Mario herausbricht, klingt verzweifelt. “Seit wann ich sie liebe? Seit ich sie kenne. So ungefähr zumindest. Ich habe mich in der Grundschule in sie verliebt. Und die Gefühle wurden immer nur stärker.” “Und warum ist aus euch nie ein Paar geworden? Wenn du sie doch schon seit – was? Sechzehn Jahren? – liebst?” “Weil”, ein höhnisches Lachen von Mario, “ich ein verdammter Schisser war. Weil ich es nicht geschafft habe, ihr zu sagen, was ich empfinde.” “Aber ihr scheint inzwischen ja mehr zu wissen.” “Ja.” Für einen Augenblick schließt Mario die Augen, um seine aufgewühlten Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Als er sie wieder öffnet, wirken sie ein wenig dunkler. “Sie hat mir im zweiten Jahr der Oberschule einen Liebesbrief geschrieben und mir ihre Gefühle gestanden.” “Und du hast es versaut?” “Und wie. Aber nicht so, wie du denkst. Der Brief … ging verloren. Ich habe ihn erst neun Monate später bekommen. Und als ich direkt zu ihr bin, hatte sie ihren Freund. Und dann war da immer etwas. Entweder war sie in einer Beziehung oder ich … Es war, als gäbe es keine Möglichkeit für uns. Es hat eben nie gepasst.” “Kacke.” “Jap.” “Der Ex – das war dieser komische Kerl, mit dem sie so lange zusammen war? Und mit dem du dich auf Connys und Gregors Hochzeit geprügelt hast?” “Ja, genau der.” “Hmm … Du hättest besser zu ihr gepasst.” “Das glaube ich auch.” Mit einem Seufzen lehnt sich auch Mario gegen das Balkongitter, den Blick vor sich ins Dunkle gerichtet. “Aber? Warum seid ihr nie zusammen gewesen, gekommen, was weiß ich. Warum hat sie gesagt, dass du ihr gesagt hast, dass sie mit mir zusammen sein soll? Was soll es heißen, dass ich sie zum Lachen bringe, du sie aber zum Weinen?” Mario erstarrt bei Viktors schon fast harschen Worten. Aber er hat Verständnis dafür. Wie sollte er freundlich zu jemandem sein, der Schuld daran ist, dass die eigene Beziehung zerbrochen ist? Erneut presst er seinen Lippen zusammen. “Weil”, beginnt er nach einer kurzen Pause schließlich, “es doch so ist. Meinetwegen musste sie ständig weinen. Erst, weil ich es mit dem Brief versaut und ihr unbewusst einen Korb gegeben habe. Als wir uns wiedergetroffen haben. Als ich sie dazu bringen wollte, ihren Ex für mich zu verlassen. Als wir uns an der Hochzeit wieder getroffen habe. Als ich mit ihrer Cousine zusammengekommen bin. Und auch, als sie aus Paris zurückkam. Sie hat wieder geweint. Und als sie mit dir zusammen war … Ihr beide seid für mich ein tolles Paar. Sie hat immer gelächelt und gestrahlt, wenn sie mit dir zusammen war. Ihr habt euch ergänzt. Mir war bewusst, dass zwischen Elsa und mir nichts sein kann. Und da warst du. Du bist jemand, den ich mag und respektiere. Ich konnte mir euch beide als Paar vorstellen. Und dann ihr Lächeln. Daher habe ich gesagt, ihr sollt es probieren. Als sie in Paris war, habe ich die Zeitungsartikel gesehen, dass ihr wieder ein Paar seid. Daher habe ich gesagt, sie soll bei dir bleiben.” Ein lautes Lachen erklingt neben ihm, das depressiv klingt. “Mario, du bist so ein Idiot! Elsa und ich sind uns in Paris nicht wieder näher gekommen. Wir haben uns so getroffen, weil ich ein Spiel in Frankreich hatte. Und wir sind Freunde, so sind wir auch auseinandergegangen. Und weil eine dumme Zeitschrift solche Lügen verbreitest, schickst du die Frau, die du liebst, zu mir? Bist du dumm, oder was?” Mario ist wie erstarrt. “Ihr … ihr seid nicht …?” “Nein. Ich habe ihr in Paris zwar gesagt, dass ich gerne wieder mit ihr zusammen wäre, aber sie hat abgelehnt. Vermutlich deinetwegen. Obwohl …” Viktor runzelt die Stirn. “Warum hast du vorher gesagt, dass ihr nie zusammen sein könntet?” “Weil Nami, ihre Cousine, und ich ein Paar waren. Und Elsa hat damals gesagt, dass das zwischen uns nun keine Chance mehr hat, da sie nie mit dem Ex-Freund ihrer Cousine zusammen sein könnte.” “Und trotzdem ist das zwischen euch so stark, dass sie meinen Antrag abgelehnt hat. Warum das? Lief zwischen euch wirklich niemals etwas.” Mario schluckt und Trauer steigt in ihm auf. “Sie hat mir einen Brief geschrieben. Als sie in Paris war.” “Okay. Und dann?” Erneut ein Lachen, dieses Mal leise. Nicht höhnisch, nicht belustigt. Eher als eine schöne Erinnerung. “Ich habe sofort Urlaub eingereicht, bin zum Flughafen gefahren und habe mich in den nächsten Flieger nach Paris gesetzt.” Es herrscht Stille und ein kurzes Lächeln huscht über Viktors Gesicht, das sofort wieder verschwindet. “Und dort?” “Dort haben wir eine Woche miteinander verbracht. Die schönste und glücklichste Woche meines Lebens. Es gab nur Elsa und mich.” “Und dann?” “Dann bin ich wieder abgereist. Und ich habe darauf gehofft, dass sie wieder zurückkehrt – und wir dann endlich wirklich zusammenfinden.” “Doch stattdessen hast du diesen Kackartikel gelesen.” Mario nickt. “Du bist dumm.” “Ich weiß. Aber das bin ich schon viele Jahre. Elsa und ich sind nun 27. Ich war elf, als ich sie das erste Mal gesehen habe. Mit zwölf habe ich mich in sie verliebt. Und das hat gehalten. Ich bin so dumm. Mehr als dumm. Fünfzehn Jahre.” “Mario, du bist so ein Vollidiot. Wie kannst du so eine Frau nur gehen lassen? Das frage ich mich gerade, obwohl ich weiß, dass sie mich nicht liebt. Dass sie mich verlassen hat, weil sie Gefühle für dich hat.” “Zumindest dieses Mal”, murmelt der Jüngere. “Was willst du damit sagen?” “Ach.” Mario streicht sich mit einer Hand durch die Haare am Hinterkopf. “Dass ich zweimal dachte, sie würde sich für mich entscheiden. Und dann ist sie doch bei Mamoru geblieben. Diesem Arsch.” “Dieses Mal nicht, Mario.” Viktor zieht eine weitere Zigarette hervor. “Dieses Mal ist die Entscheidung für dich gefallen.” “Meinst du? Vielleicht ist es auch ein anderer Kerl, den sie …” “Boah, halt die Klappe. Natürlich bist du gemeint! Und auch, wenn ich dir eigentlich gerne eine reinhauen würde …” “Mach, wenn du magst”, unterbricht Mario ihn. Zwar zieht Viktor seine Augenbrauen nach oben und überlegt für einen Moment, ehe er mit der Hand, in der er die Zigarette festhält, abwinkt. “Würde ich gerne, aber was könnt ihr für eure Gefühle? Ich meine, fünfzehn Jahre soll es nicht sein. Und fünfzehn Jahre lang kommt ihr trotzdem nicht voneinander los. Also hör auf, zu jammern und schau lieber, dass das endlich was wird.” “Wie?” Mario reißt ungläubig seinen Kopf herum. “Wie? Hingehen. Ihr sagen, dass du sie liebst. … glücklich werden.” Die letzten Worte entkommen Viktor, während er genau wie das Gegenteil davon wirkt. Unglücklich. Ein Seufzen entkommt ihm. “Mario, hör zu. Es trifft mich. Das alles, das ist heftig. Ich liebe Elsa. Und sie liebt dich. Du sie ebenfalls. Daher ist die Sache doch eindeutig. Geh also zu ihr und sprecht endlich miteinander. Sagt euch, was ihr füreinander fühlt. Und dann werdet wenigstens ihr beide glücklich miteinander.” Kapitel 35: 35 -------------- Es ist schon spät, als Mario die Treppen zu dem Platz hinaufläuft, auf dem die Kickers früher trainiert haben. Es fühlt sich gewohnt an, auch wenn es schon lange her ist. Er kann nur hoffen, dass Elsa noch hier im Park ist. Und vor allem, dass sie hier ist, an diesem Platz. Auch dieser ist eine Erinnerung für ihn – daran, dass er auch vor so vielen Jahren seinen Mut nicht hat aufbringen und ihr sagen konnte, was er für sie empfindet. Viktor hat Elsa vor inzwischen fast eineinhalb Stunden am Park allein gelassen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sie wirklich noch hier ist. Doch er hofft es. Ansonsten muss er zu ihrer Wohnung gehen. Doch egal, wo sie ist, er muss zu ihr, mit ihr reden. Ihr endlich sagen, was er immer noch für sie empfindet – und sie dieses Mal nicht mehr gehen lassen. Und dann erblickt er sie von der Treppe aus. Sie ist tatsächlich noch da! Elsa sitzt auf der niedrigen Umrundung, die das Plateau umgibt. Sie trägt noch das gleiche Kleid, das sie heute Nachmittag bei Connys Auftritt getragen hat. Sie ist barfuß, ihre Schuhe liegen neben ihr auf dem Boden. Sein Herz schlägt schneller und alles in ihm zieht zu ihr. Er will bei ihr sein – für immer. Sein Schritt nimmt zu. Gleich. ~✒️~ Elsas Blick liegt auf der erleuchteten Stadt zu ihren Füßen. Die Stadt erstrahlt regelrecht. Und sie wünscht sich, dass all dieses Leuchten ihre Gedanken und Gefühle mit sich nehmen würde. Viktor und sie, das ist Geschichte. Sie verurteilt sich dafür, was sie ihm angetan hat. Von all ihren Freunden, okay, es waren nur zwei, war er mit Abstand der Beste. Er war wundervoll. Und vor allem war er nicht nur ihr Partner, sondern auch ihr bester Freund. Sie haben sich so gut verstanden. Waren füreinander da. Und er hat sie wirklich geliebt, so sehr, dass … Unbewusst ballt sie ihre rechte Hand zur Faust. Die Hand, wo vor wenigen Stunden unerwartet ein Ring gesessen hat. Wenn auch nur für wenig Zeit. Trotzdem scheint ein Nachhall da zu sein. Das Gefühl, dass sich an ihrem Finger immer noch ein Ring befindet und sie runterzieht. Wobei es jetzt nicht mehr dieses eingebildete, schwere Gewicht ist, sondern ihr schlechtes Gewissen. Das Wissen, einen wundervollen und guten Menschen verletzt zu haben. Doch sie kann nichts ändern. Nicht an ihren Gefühlen. Diese halten nun schon so lange. Sie hat Mario noch nie aus ihrem Kopf bekommen und noch weniger aus ihrem Herzen. Die Woche in Paris hat die Empfindungen ihm gegenüber nur noch zunehmen lassen. Und nun sitzt sie hier. Hat einen Mann verlassen, der sie wirklich geliebt hat, für einen, mit dem sie vermutlich nie zusammen sein kann. Sie beide, Mario und sie, sie hatten genügend Chancen. Doch es sollte nicht sein. Ein leises Schluchzen entkommt ihr, ehe sie die Hand auf den Mund schlägt. Trotzdem war es so richtig. Sie hätte es Viktor nicht länger antun können. Vorgeben, es wäre zwischen ihnen beiden alles richtig. Wenn es nun bedeutet, dass sie für immer allein bleiben wird, ist das in Ordnung. Wichtig ist nur, dass Viktor jemanden findet, die ihn und niemand anderen liebt. Sie presst ihre Lippen aufeinander, erstickt so das nächste Schluchzen. Nein, es war richtig so. Und der Rest … der würde sich geben. Vielleicht könnte sie mit Mizumi sprechen. Eventuell ist in Paris eine Stelle frei, die sie annehmen könnte und dann … dann nach Paris zurückgehen. Nein, das geht nicht. Paris ist die Stadt der Liebe. Sie war dort mit Mario. Paris und er gehören für sie nun untrennbar zusammen. Aber vielleicht … “Der Ausblick ist wunderschön.” Die dunkle und zugleich weiche Stimme hinter ihr lässt Elsa zusammenzucken. Mit aufgerissenen Augen dreht sie sich herum. Mario steht nur wenige Schritte hinter ihr. Die Hände stecken in seinen Hosentaschen, die schwarzen Haare wirken durcheinander, obwohl sie so kurz sind. Sein Blick liegt auf der erleuchteten Stadt vor ihnen. “M-Mario”, bringt sie seinen Namen ungläubig hervor. Daraufhin richtet sich sein Blick doch auf sie. Ein sanfter Ausdruck liegt darin. “Weißt du, welcher Tag heute ist?”, fragt er und auch seine Stimme klingt so, wie seine Augen wirken. Als sie das Datum nennt, vertieft sich sein Lächeln und er zieht die Hände aus den Taschen, lässt sie einfach neben sich herunterhängen. “Genau. Und vor genau zehn Jahren hast du mir einen Brief geschrieben. Darin hast du mir deine Gefühle gestanden. Mir gesagt, was du für mich empfindest. Und ich wünschte nicht nur, ich hätte den Brief gleich bekommen, ich wünsche mir vor allem, dass ich es dir schon längst gesagt hätte, was ich für dich empfinde. Ich hatte schon über fünf Jahre davor Zeit. Und heute sind wir hier. Zehn Jahre nach deinem Brief. Über fünfzehn Jahre, nachdem wir uns kennengelernt haben. Und ich mich in dich verliebt.” Immer noch sieht Elsa ihn ungläubig an. In ihrer Brust flattert ihr Herz, scheint aus ihrem Brustkorb ausbrechen zu wollen. Was tut er hier? Warum sagt er das alles? Bedeutet das … “Elsa, du hast einmal gesagt, nein, geschrieben, dass du willst, dass ich glücklich werde. Was ich dir sagen kann, ist, dass ich am glücklichsten war, als wir beide die Woche zusammen in Paris verbracht haben. Nur du und ich. Nie war ich glücklicher als damals. Und ich bin davon überzeugt, dass du mit meinem Glück zusammenhängst. Nur du kannst mich glücklich machen.” Seine Stimme trifft tief in ihr Inneres. Er spricht aus, was auch sie empfindet. “Du bist auch der Einzige, der mich glücklich machen kann”, flüstert sie leise. “Aber ich habe dich immer nur zum Weinen gebracht …” “Nein. Was mich zum Weinen gebracht hat, ist, dass wir nicht zusammen sein konnten. Dass wir es nicht waren. Obwohl wir uns doch lieben. Oder?” Der letzte Teil, ihre Frage, kommt unsicher aus ihrem Mund. Erneut umgreifen die Finger rechts und links die Stange, auf der sie sitzt, fester. Mario nimmt ihre angespannte Stimmung wahr und kommt zu ihr. Langsam lässt er sich neben ihr nieder, schließt seine Hände ebenfalls um die Stange unter ihnen. Seine Handseite streift ihre. “Das tun wir, ja. Und ich wünschte, wir hätten nicht diesen Umweg gehen müssen.” “Du nennst es Umweg?” Ein leises Lachen entkommt ihm, sein Blick nach vorn auf die Stadt gerichtet. “Ja, das tue ich. Auch wenn ich ihn mir gerne gespart hätte. Ich hätte uns beiden zu gerne all diese Wirrungen und Verletzungen und Herzschmerzen erspart. Aber weißt du, was das Schöne daran ist?” Nun dreht er seinen Kopf, sieht Elsa wieder an und lächelt erneut sanft. Mit großen Augen schüttelt Elsa vorsichtig ihren Kopf. Darauf bedacht, dass sich ihre Blicke nicht trennen. “Auch Umwege kommen zum Ziel, Elsa. Und jetzt sind wir beide hier. An dieser Stelle. Ich hoffe, dass wir nach zehn Jahren Umweg endlich das Ziel erreicht haben.” Sie blinzelt überrascht und dann erscheint ein strahlendes Lächeln auf ihren Zügen. Es vertieft sich sogar noch, als seine Hand sich über ihre schiebt und seine Finger zwischen ihre greifen, ihre Hand so festhält. “Ich liebe dich, Elsa. Ich habe dich nicht nur die letzten zehn Jahre geliebt, sondern bereits, seit ich dich kennengelernt habe. Ich liebe dich jetzt gerade und ich weiß, dass ich dich immer lieben werde. Mein ganzes Leben. Unser Leben, wenn du es auch willst.” Das Lächeln auf Elsas Gesicht wird tiefer und Tränen erscheinen in ihren Augen. Sofort erstarrt Mario. Er hebt seine zweite Hand und wischt mit dem Daumen sanft die Träne weg, die über ihre Wange herunterläuft. “Ich sage doch, ich bringe ich dich immer zum Weinen.” Seine Stimme klingt gepresst und sein Ausdruck wird finster. Doch das ändert sich im nächsten Augenblick. Elsa zieht ihre Hand unter seiner hervor und mit einem Lachen legt sie beide Hände auf seine Wangen. “Du Dummerchen”, flüstert sie. “Das sind Tränen des Glücks, Mario. Dich sagen zu hören, dass du mich liebst und dass du noch mit mir zusammen sein willst, das ist alles, was ich mir je gewünscht habe. Ich liebe dich auch. Und ich will, dass wir unsere Leben in Zukunft zusammen verbringen. Ich will mein Leben mit dir verbringen, mit dir an meiner Seite!” Auch Mario lächelt und seine Augen leuchten. Langsam beugt er sich zu ihr hinunter. “Du bist mein Glück, Elsa. Und du wirst es immer bleiben.” Damit schließt er den restlichen Abstand zwischen ihnen und endlich berühren sich ihre Lippen wieder. Ihnen beiden ist klar, dass das hier sie immer glücklich machen wird. Epilog: Love Letter - after Years --------------------------------- Mit einem Seufzen schließt Elsa die Türe zu ihrer Wohnung auf. Es ist dunkel, niemand begrüßt sie. Als sie die Türe hinter sich wieder schließt, unterdrückt sie ein Gähnen. Es ist spät – beziehungsweise früh. Sie war heute auf einem Event, das unter ihrer Leitung sowohl entstanden als auch stattgefunden hat. Und es hat bis in die frühen Morgenstunden angedauert. Dann noch das Aufräumen überwachen. Alles, was sie jetzt will, ist in ihr Bett zu fallen. Doch zuvor tritt sie in ihr Wohn-Esszimmer ein. Es fühlt sich alles so leer an, trotz der Möbel, die hier stehen und den Drucken an den Wänden. Doch es sind ja immer die Menschen, die eine Wohnung mit Leben füllen. Sie presst ihre Lippen für einen Moment aufeinander. Sie ist froh, dass dieses Event endlich durchgeführt ist. Es hat die letzten Monate sehr ausgefüllt und je näher es kam, desto mehr musste sie arbeiten. Nun hat sie endlich wieder Zeit für anderes. Doch jetzt ist das Bett das nächste Ziel, nachdem sie im Bad gewesen ist. Als sie in diesen Raum betritt, findet sie am Waschbecken einen Zettel, der in der Mitte zusammengefaltet ist. Ihr Name prangt auf der Vorderseite. Ein Lächeln zupft an ihren Mundwinkeln, als sie ihn öffnet und liest. ~✒️~ Es ist etwas später, als Elsa endlich in ihr Schlafzimmer tritt. Dort schleicht sie im Dunkeln zu ihrem Bett, hebt die Bettdecke an und legt sich hinein. Es vergehen keine fünf Sekunden, ehe sich etwas neben ihr bewegt. Im nächsten Augenblick legt sich ein Arm um ihre Mitte und sie wird an einen warmen und festen Körper gezogen. Sofort kuschelt sie sich an ihn. Hier ist der für sie liebste Ort und sie gehört nirgends anders hin. “Es tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe”, flüstert sie. “Muss es nicht”, murmelt die weiche und dunkle Stimme, die für sie die allerschönste der Welt ist. “Ich habe dich halt vermisst. Wie sollte ich also weiterschlafen können, wenn du endlich da bist?” Seine Lippen gleiten sanft über ihre Schläfe. “Ich habe übrigens deinen Liebesbrief bekommen”, haucht sie ihm entgegen. Inzwischen bekommt sie sehr häufig Liebesbriefe. Vor allem an den Tagen beziehungsweise den Nächten, in denen sie getrennt voneinander ins Bett gehen. Sie beide schreiben sich häufig Liebesbriefe. Um den Ersten, der damals zu spät angekommen ist, mit schöneren zu ersetzen. “Das hoffe ich doch.” Seine Stimme klingt trotzdem schläfrig und während er spricht, streifen seine Lippen jedes Mal ihre Schläfe, entlockt ihr so eine wohlige Gänsehaut. “Du hast ihn gut platziert.” “Ich habe ihn vor allem vor Ayumi und Masaru schützen müssen. Aber das habe ich gut hinbekommen.” Ein Kichern entkommt Elsa. “Danke dafür. Und natürlich gehe ich morgen sehr gerne mit dir auf ein Date, Mario.” “Das hoffe ich. Ich glaube, zehn Jahre zusammen zu sein ist eine größere Feier wert, als es nach zehn Jahren endlich zu schaffen, zusammenzufinden.” Wieder lacht Elsa leise. “Was hast du damals gesagt? Trotz der Umwege sind wir am Ziel angekommen. Und ich liebe dieses Ziel. Dich, unsere Kinder, unser Leben. Schlussendlich sind wir genau dort angekommen, wo wir hingehören. Zusammen.” Sie hebt ihre Hand und streicht mit ihrer linken Hand über Marios Gesichtsseite. Durch das Mondlicht, das durch die Rollladenschlitze hereinscheint, glitzert der goldene Ehering an Elsas Ringfinger. “Du bist jeden Umweg wert gewesen”, murmelt Mario, während er ihre Hand zu seinem Mund zieht und sie sanft darauf küsst. Erst den Handrücken, dann drückt er einen sanften Kuss auf die Handinnenfläche. Und danach suchen seine Lippen ihre. In diesem Kuss gefangen, schlingt Elsa ihre Arme um ihren Ehemann. Gerne hätte sie auf jeden einzelnen dieser Umwege verzichtet. Doch schlussendlich war das Ziel wichtig. Und das haben sie erreicht. Sie sind hier. Zusammen. Und glücklich. ~Ende~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)