Besucher und Beobachter von KiraNear ================================================================================ Kapitel 1: Besucher und Beobachter ---------------------------------- Langsam öffne ich meine Augen. Mein Schlaf war lang und mein Traum so tief, so lebendig und farbenfroh – und doch kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Mein Zuhause, mein neues Zuhause, welches ich mir erst vor kurzem erwählt hatte, war zum erneuten Male in Unruhe geraten. Ein weiteres Mal kommt es zu einem Beben. Vor mehreren Tagen gab es bereits eine heftigere, längere und unheimlichere Kette an Erschütterungen. Dieses Beben ist kürzer, gleichmäßiger. Trotzdem versuche ich meine Atmung zu beruhigen, wie auch mein kleines, hämmerndes Herz. Nach wie vor konnte ich die Ursache der Beben nicht ausmachen und da ich mit meinem Umzug meine Familie hinter mir gelassen hatte, konnte ich mich mit niemanden darüber austauschen. Ich konnte mit niemandem meine Theorien und Überlegungen teilen. So nahm ich mir meine Ration, die ich mir zurechtgelegt hatte und füllte damit meinen Magen. Das Beben hat aufgehört. Die Luft ist deutlich abgekühlt, wie so oft in letzter Zeit, das Wetter hatte wohl einen Umschwung. Doch da mein Zuhause keine Fenster hatte, konnte ich es nicht sehen. Da ich am Wetter nichts ändern konnte, konnte ich nur damit leben. Kein Grund, sich über derartige Dinge Gedanken zu machen. Müde streckte ich meine Glieder in alle Richtungen, bevor ich mir einen gemütlichen Schlafplatz suchte. Es dauerte nicht mehr lange, bis ich in die sanfte Umarmung voller wundervoller Träume fiel …   ~   Als ich erwache, ist alles anders. Nichts von dem, was meine Augen erblicken, kommt mir bekannt vor. Alles um mich herum ist fremd, hell und unheimlich. Die Kälte war ebenfalls verschwunden, dafür war es wärmer, viel wärmer als zuvor, als ich eingeschlummert war. Ahnungslos darüber, was nach dem Aufwachen passieren würde. In der Nähe ertönten merkwürdige Geräusche, die ich nicht zuordnen konnte. Es gab nur zwei Informationen, die mein Gehirn zu verarbeiten schien. Zum einen hatte ich mein nagelneues Zuhause verloren. Zum anderen war ich nun in einer Welt gefangen, die kein Ende nahm. Fremde Gerüche, fremde Farben, ein fremder Boden unter meinen Füßen – all das sorgte für ein unruhiges Gefühl in meiner Magengegend. Dazu noch die unheimlichen Geräusche … Ich begann, die Beine anzuziehen und so gut es mir möglich war, mich zusammenzurollen. Das hatte ich bereits früher oft gemacht, es war eine fast schon automatische Reaktion, die ich nicht verhindern konnte. Diese neue Welt macht mir Angst. Ich will mein Zuhause zurück, ich will meine Vorräte zurück! Doch ein Gefühl sagt mir, dass ich beides wohl nie wieder sehen werde. Ich könnte mich umsehen, herausfinden, wo ich mich befand und wie weit weg mein Heim von mir ist. Doch es hat keinen Sinn, diese Welt ist viel zu groß, um sie komplett erfassen zu können. Wo auch immer ich nun war, ich war gefangen. So rolle ich mich noch weiter ein und hoffe darauf, dass es sich dabei nur um einen merkwürdigen Albtraum handeln würde.   ~   Zwei Augen sehen mich an. Es ist ein Blick, den ich nicht allzurecht deuten kann. Sie sind so weit weg und doch so groß, größer als ich selbst. Ich versuchte mich nicht zu bewegen und dank meiner Erfahrung aus früheren Tagen gelingt es mir. Dennoch, ich wurde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Und sobald mein Beobachter weg ist, kann ich mich auf die Suche nach meinem Haus machen! Ist mein Beobachter der Dieb? Was hat er davon, mir meine Heimat zu stehlen? Er sieht nicht aus, als könnte sie selbst darin leben, das war absolut nicht möglich. Schließlich geht mein Beobachter endlich weg; ein lautes Seufzen entweicht meinem Mund. Für einen kurzen Augenblick musste ich an die vielen gierigen Blicke denken, die ich stets gespürt habe. An eine Zeit, bevor ich meine eigene Heimat gefunden hatte. Bevor mir ein fast unendliches Festessen zu Füßen lag. Ein Festessen, von dem mich irgendjemand oder irgendwas getrennt hatte. Meine Freude war jedoch zu früh gewesen, mein Beobachter kehrt wieder zurück. Etwas langes, warmes nähert sich meinem Körper und beginnt, ihn langsam auf eine glatte Oberfläche zu rollen. Ich verstehe nicht, was mein Beobachter damit beabsichtigt. Zumindest scheint es sich um keinen Fressfeind zu handeln, sonst wäre ich längst in einem Magen gelandet und damit nicht mehr am Leben. Doch was soll nun mit mir geschehen? Wieder ein Beben, wieder so sanft und rhythmisch wie vor kurzem. Wie lange war das nun her? Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Schließlich hört das Beben auf. Der Beobachter sieht mich mit seinen merkwürdigen Augen an. Was hat er mit mir vor? Was findet er daran so interessant, meinen zusammengerollten Körper zu bestaunen? Eine Frage, die sich die Kreatur nach einer sehr kurzen Zeit wohl selbst zu stellen beginnt, denn sie entfernt sich von mir. Kehrte noch einmal zurück, bevor sie mich endgültig in Ruhe lässt. Zumindest ist das meine hoffnungsvoller Annahme. Stattdessen bewegt sich der seltsame Boden, mit einem weiteren Beben, welches jedoch sehr, sehr leicht ist. Ein Beben, dass dem Boden offenbar nicht gut zu tun schien. Langsam erhebt sich eine Seite und ich falle langsam, aber unbeschädigt auf einen anderen Boden. Er fühlt sich kühler an als der letzte, doch das stört mich nicht. Werde ich wieder beobachtet? Warum bin ich so interessant? Ich bin doch nichts Besonderes, dass man immer wieder und wieder studieren müsste? Oder liegt es daran, dass ich so klein bin, im Gegensatz zu meinem Beobachter? Vielleicht hatte er Nachwuchs, der mit Sicherheit auch deutlich größer als ich war. Vielleicht hatte er diesen verloren und sah in mir nun ein weiteres, eigenes Kind? Ich erinnerte mich vage an Geschichten, wie meine Mutter sie meinen Geschwistern und mir oft erzählt hatte. Nun bekomme ich Mitleid mit meinem Beobachter. Er sah mich an, laute Geräusche kamen aus seinem Mund, doch ich kann ihn nicht verstehen. Wenn er etwas leiser reden könnte, dann … doch mein Gefühl sagt mir, dass er das nicht kann. So werden wir uns nie austauschen können. Zumal ich nicht vorhabe, länger als nötig zu bleiben. Ich muss mir nur noch eine Strategie überlegen!   ~   Wie viel Zeit vergangen war, konnte ich nicht sagen. Zumindest gab es keinen Tageswechsel, dennoch dauerte es lange, bis mein Beobachter wieder zu mir zurückkehrte. Ich hatte die Abwesenheit genutzt, um ein wenig meinen Magen zu erleichtern. Anschließend strecke ich mich so gut ich es konnte und beginne, meine nähere Umgebung in Augenschein zu nehmen. Der letzte Untergrund, auf welchem ich gelegen war, hatte keine Wände besessen. Diese Wände hier, die ich mich nun gefangen halten, sind dagegen kühl und glatt. Egal, in welcher Richtung ich es versuche, immer wieder verliere ich meinen Halt oder mein Gleichgewicht. Egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich falle immer wieder von den glatten Wänden herunter. Egal, ob ich es langsam oder schnell versuche, es gibt für mich kein Entkommen. Als wäre das Ganze nicht schon peinlich genug, ist mein Beobachter zurückgekehrt. Erkenne ich da Neugier oder gar Überraschung in diesen Augen? Auf jeden Fall ist es kein scharfer Blick, wie ihn mir meine Feinde immer zuwerfen. Die Befürchtung, dass mein Beobachter mich aufessen will, habe ich bereits abgeschüttelt wie alte Erde. Hätte er das tun wollen, hätte er das sicherlich gemacht. Die Zähne, die so viel größer sind als meine Eigenen, hätten mir sofort den Garaus gemacht. Stattdessen sieht er mir zu, wie ich immer wieder und wieder verzweifelt versuche, meinem glatten Gefängnis zu entkommen. Ich probiere es immer wieder und wieder und wieder, doch es will mir nie so recht gelingen. Einen kurzen Blick riskiere ich in die Richtung meines Beobachters, dieser hat das Starren beendet und scheint wieder etwas zu sagen. Spricht er zu mir? Zu sich selbst oder jemand anderem? Ich kann es beim besten Willen nicht sagen. Und mit diesem Rätsel lässt mich mein Beobachter wieder allein, nur um dann eine sehr kurze Zeit später wieder zu kommen. Ich sehe, wie er eine merkwürdige Bewegung macht, ich verstehe nicht, was es bedeutet … wieder rolle ich mich zusammen und bewege mich kein Stück, in der Hoffnung, dass er endgültig an mir sein Interesse verlieren würde. Ein weiteres Mal begann der Boden unter mich zu schütteln. Es ist fast genauso lang wie das vorletzte, nur genauso erträglich wie das danach. Abwechselnd wurde es dunkel und hell, doch ich versuche keinen Gedanken daran zu verschwenden. Mein Beobachter sprach wieder zu mir, nach wie vor kann ich seine Worte nicht verstehen. Warum bemerkt er das nicht? Erwartet er denn überhaupt von mir, dass ich ihn verstehe? Oder versucht er er mich nur beruhigen? Immerhin spricht er nun leiser als zuvor. Ich hoffe nur, dass das Wackeln irgendwann ein Ende finden würde. Ob mich mein Beobachter zu meinem Zuhause zurückbringt? Auch das kann ich nicht sagen. Schließlich scheinen wir unser Ziel erreicht zu haben, denn das Beben stoppt abrupt. Dennoch blieb ich regungslos liegen, wusste ich, dass es jederzeit weitergehen kann. Bekannte Gerüche kamen in meine Nase und ich kämpfte ein wenig gegen die Hoffnung an, die sich in meinem Magen anstaute. Hat mich der Beobachter wirklich an einen guten Ort gebracht? Ich spüre, wie sich der Boden unter mir verschiebt, ich versuche erst gar nicht einen Halt zu finden, als er immer weiter kippt. Ich stelle mich darauf ein, in ein tiefes, dunkles Loch zu fallen, wo ich den Rest meines Lebens fristen müsste… doch ich falle nicht tief. Anstatt eines glatten, seltsamen Untergrunds spüre ich vertraute Erde unter mir. Auch wenn es nicht um die Erde handelt, auf welcher ich aufgewachsen war, so ist mir das hier trotzdem mehr als recht. Im Augenwinkel kann ich meinen Beobachter sehen. Was erwartet er von mir? Will er sehen, wie ich auf die Umgebung reagiere? Immerhin hat diese keine Wände mehr wie die letzte. Nein, ich muss nach wie vor vorsichtig sein. Mein Beobachter ist ein seltsames Wesen, das ich nicht so richtig deuten kann. Wenn ich lang genug warten würde, würde er wieder gehen und mich in Ruhe lassen. Er sagte etwas zu mir, Geräusche, die in meinen Ohren keinen Sinn ergaben. Der Ton war allerdings freundlich, das war er die ganze Zeit. Mein Beobachter wollte offenbar, dass ich lebe.   Schließlich sehe ich, wie er sich von mir entfernt. Ob er zurückkommen würde? Wo würde er hingehen? Geduldig warte ich, während mein kleines Herz für mehrere Momente laut schlägt. Bin ich nun frei? Ich habe zwar mein erstes Zuhause verloren, nach gerade mal einer Woche, doch wenn ich dafür die Freiheit bekommen habe, ist mir das recht. Mein Beobachter kommt nicht wieder, doch ich weiß, er hat die Tendenz dazu, irgendwann zurückzukehren, nur, um mich dann wieder anzustarren. Ich muss die Gelegenheit nutzen! Wieder strecke ich alle Glieder von mir und versuche, ein Bild von meiner Umgebung zu bekommen. Erde und Pflanzen, in Hülle und Fülle. Eine völlig fremde Umgebung, in welcher ich mich noch orientieren muss, doch die Zeit werde ich mir bald nehmen müssen. Nachdem ich zwischen mir und meinem Beobachter mehrere Meter Distanz gebracht hatte. So nehme ich meine Beine in die Hand und verkrieche mich immer tiefer in das angenehm duftende Grün. Ein neues Zuhause würde sehr schnell gefunden werden, dessen war ich mir bewusst. Aber ich würde mich auch vor Fressfeinden schützen müssen. Hatte mich mein Beobachter deshalb hierhergebracht? Weil Vögel hier nicht gut durch die dichten Pflanzen hindurchsehen können? Neugierig betrachte ich meine Umgebung, während ich mich weiter in ihre schützende Tiefe krieche. Nein, an diesem Ort ist definitiv nichts, was ich von früher kenne. Es war die perfekte Gelegenheit für einen Neubeginn. Und das ist vollkommen in Ordnung für mich. Das Leben da draußen wartet auf mich, ich muss nur seinem warmen Ruf folgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)