Falling Angels von Sussy-chan (Noisy (Sex Machineguns) x Joe (Dasein)) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- "Hey Joe..." Gedankenverloren betrat Noisy das Studio, in dem Dasein im Moment ihre neue Platte aufnahmen. Eigentlich interessierte er sich überhaupt nicht für die kreativen Ergüsse, die Joe und Ricky wieder einmal auf die Menschheit loslassen wollten, aber in seinem eigenen Studio hatte er es nicht mehr ausgehalten. Er hatte nämlich Streit mit seiner neuen Punkband, die sich knallhart geweigert hatte, den Bandnamen "Noisy und die Anderen" zu akzeptieren. Beleidigt schob Noisy die Unterlippe vor. Wer dachten diese No-Name-Menschen eigentlich, wer sie waren? Schließlich war er der Einzige von ihnen, der wirklich bekannt war, also was fiel diesen Unwichtigen ein, Ansprüche zu stellen? Und als sie sich dann auch noch gegen seinen Alternativ-Bandnamen "Noisy und die Gartenzwerge", eine Anspielung auf das Aussehen der anderen Mitglieder, ausgesprochen hatten, war es Noisy zu blöd geworden. Verachtungsvoll hatte er seinen Bass in die Ecke geknallt und war wütend aus dem Studio gerannt. Wer glaubten diese Hohlköpfe eigentlich, wer sie waren? Demnächst würden sie ihm noch verbieten, Leadsänger zu werden! Vor dem Studio hatte Noisy sich zuerst einmal dafür entschieden, jemanden von seinen Freunden anzurufen und sich aufbauen zu lassen. Doch leider hatte er niemanden erreicht - Sussy war verreist, Himawari hing auch noch immer in Amerika herum und Anchang und Panther waren sehr beschäftigt mit Promotionterminen für ihre Soloplatten. Also war Noisys Entschluss, seinen Freund Joe in seinem Studio zu besuchen, gewachsen. Wenn man Ricky und Joe besuchte, war die Chance, dass man sie bei ernsthafter Arbeit störte, nicht gerade groß, denn die beiden machten größtenteils Blödsinn und die Supporting Members durften dann die ganze Arbeit erledigen. Bis jetzt hatte Joe seinen Gruß noch nicht erwidert. Erstaunt sah Noisy sich im Studio um und merkte, dass die zwei Typen, die in der Ecke saßen, gar nicht Joe und Ricky, sondern die Supporting Members waren. Peinlich berührt schüttelte Noisy den Kopf. Vielleicht hätte er doch lieber seine Brille aufziehen sollen? Während er noch darüber nachgrübelte, hoben die beiden Typen den Kopf. "Hey, das ist doch Noisy!" "Hi," sagte Noisy schüchtern. Es wunderte ihn ein wenig, dass die beiden Typen hier so konzentriert um ihren Synthesizer herumsaßen und ernsthaft arbeiteten. Am Ende waren Dasein heute gar nicht da? "Wo, äh, sind denn Joe und Ricky?" "Ach, die!" Einer der Typen machte eine abwehrende Handbewegung. Er hieß Jun, das konnte Noisy sich gerade noch so merken, denn das war ja auch Himawaris wirklicher Name. "Die sind da drüben in dem Zimmer und unterhalten sich!" "Ach, so nennt man das jetzt also!" meinte Noisy dreckig grinsend. Jun sah ihn irritiert an. "Ich sagte, sie UNTERHALTEN sich. Du kannst da ruhig reingehen, du störst sie bei nichts. Denk' doch nicht immer so versaut, Mensch!" Noisy lief rot an und eilte schnell auf die Tür zu. Doch bevor er die Hand auf die Klinke legen konnte, hörte er von innen Rickys wütende Stimme: "Schlag' dir das mal aus dem Kopf! Was denkst du eigentlich, wer du bist, da mach' ich auf gar keinen Fall mit!" Noisy schreckte zurück. Versaut oder nicht, es war wohl wirklich besser, jetzt nicht zu stören, denn das klang verdächtig nach Streit. "Aber warum denn nicht, Ricky?" hörte er nun Joes verzagte Stimme. "Es ist doch nichts Schlimmes... und du würdest mir wirklich einen großen Gefallen tun..." "Ach, scheiß' doch auf den Gefallen! Ich hab' dir schon einen Gefallen getan, indem ich dich aus deiner blöden Metal-Band rausgeholt hab'! Was willst du eigentlich noch alles, du arroganter Depp?" Noisy wand sich vor Verlegenheit. Eigentlich... eigentlich ging ihn das ja alles gar nichts an und er wollte nicht lauschen. Aber andererseits wollte er schon ganz gerne wissen, worüber Ricky sich so aufregte. Was war das überhaupt für ein unverschämter Typ? Blöde Metal-Band? Der Kerl hatte wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank! "Na, was denn nun?" Die Supporting Members waren aufgestanden und sahen ihn fragend an. "Warum gehst du nicht rein?" "Ich," sagte Noisy nur, doch im selben Moment öffnete sich die Tür und ein zorniger Ricky kam herausgestürmt. Ohne Noisy oder die Supporting Members zu bemerken, rannte er an ihnen vorbei aus dem Studio. Noisy glotzte ihm besorgt hinterher. Au weia, der war ordentlich geladen. Nun erschien Joe in der offenen Tür. Grausam: er trug ein grün-gelb gestreiftes Hemd, mit dem er schon zu Sex Machineguns - Zeiten wie aus dem Obstkorb gefallen ausgesehen hatte. Aber das schien nicht Joes Problem zu sein, er hatte offenbar andere. "Oh nein! Was mache ich denn jetzt nur?" jammerte er und kürmmte sich vor Verzweiflung. Hilflos sah er die Supporting Members an. "Äh, hi..." machte Noisy. "Ich bin auch noch da..." "Noisy, du?" Joe drehte sich zu ihm um, Überraschung im Blick. Noisy nickte und winkte Joe höflich zu. Gerade wollte er zu einer Erklärung ansetzen, warum er gekommen war, da fiel ihm auf, dass Joe ihn noch immer höchst genau betrachtete. Seine Augen schienen sich richtig in ihm verhakt zu haben. Noisy fing fast schon an, sich ein wenig zu fürchten, da schrie Joe plötzlich los: "ABER JA! DAS IST DIE LÖSUNG!" Er packte den vor Schreck fast taub gewordenen Noisy am Arm und zerrte ihn zurück in das Zimmer, dann knallte er die Tür wieder zu. Total verunsichert ließ Noisy sich auf den kleinen Tisch in der Mitte des Zimmers sinken. So ganz verstand er noch nicht, was hier eigentlich abging. Es kam selten vor, dass Leute ihn ansahen und dann bemerkten, dass das die Lösung war. Was also war mit Joe los? Dieser trat gerade auf ihn zu und betrachtete ihn mit einem Grinsen. "Noisy-chan... hättest du nicht Lust, mir einen Gefallen zu tun?" Bei diesen Worten wurde es Noisy himmelangst. "Um was geht es denn?" fragte er zaghaft. Er malte sich bereits Schreckliches aus - womöglich war Ricky ausgestiegen und Joe wollte ihn nun bequatschen, dessen Platz einzunehmen. Oder schlimmer noch - war Joe notgeil? Noisy rechnete wirklich mit einigem. Joe sah ihn an. "Du kennst meinen Bruder, nicht wahr?" Noisy nickte. "Taskeshi, na klar." "Nun ja..." Joe machte ein außerordentlich verlegenes Gesicht. "Mein Bruder, also Takeshi... der heiratet demnächst, und zwar die Sängerin von Omnyouza..." Noisy machte ein erstauntes Gesicht. "Herzliche Grüße an das Brautpaar!" meinte er dann. Wo in aller Welt lag das Problem? "Na ja, also..." Joe vergrub mit besorgtem Gesicht die Hände in den Hosentaschen. "Nächstes Wochende ist das schon... hier in Tokio heiratet der... das wird 'ne ganz lustige Feier, mein Bruder verdient ja durch seine Filme ziemlich viel Geld... jedenfalls gibt es gutes Essen und so..." "Klingt doch alles total super!" meinte Noisy überzeugt. "Ja, das Problem ist nur..." Joe war wirklich verlegen. "Ricky will da mit mir nicht hingehen! Er meint plötzlich, meine Familie wäre ihm total egal und er hätte keinen Bock mehr, mich ständig zu irgendwelchen Familienfeiern zu begleiten... so eine Gemeinheit... nur, weil meine Großtante ihm letztes Mal frittierte Frösche aufgetischt hat!" Noisy musste grinsen. Kein Wunder, dass dem verwöhnten Ricky ein solches Essen nicht passte! Klar, es war gemein von Ricky, Joe einfach so hängen zu lassen... aber eigentlich war es jetzt auch wieder kein Beinbruch, denn so würde Joe sich schon um 50 % weniger blamieren! "Aber, Joe, so schlimm ist das doch jetzt auch wieder nicht!" meinte er. "Dann gehst du eben ohne Ricky, ob der Blödm... gute Mann jetzt dabei ist, ist doch wirklich total wurscht!" "Schon, abaaaaa..." Auf Joes Stirn erschienen Schweißperlen, besorgt sah er seinen Freund an. "Es ist doch nur so... ich habe doch allen schon gesagt, dass Ricky mitgeht! Takeshi kennt ihn noch nicht... ich habe ihm so wahnsinnig von Ricky vorgeschwärmt, jetzt wollen ihn alle unbedingt sehen... und wenn mein Bruder heiratet, kann ich da doch nicht ohne Begleitung hingehen... das ist ja total peinlich. Oh Mann, Ricky ist so ein verdammter Spielverderber!" Mit einem Mal verstand Noisy. Die Situation war wirklich gräßlich für Joe. Er hatte es auch schon ein paar Mal erlebt, dass er mit anderen ausgegangen war, die alle ihre Partner dabeigehabt hatten, und für ihn war der Abend dann nicht so toll gewesen. Gut, soooo oft war das jetzt auch noch nicht passiert... vielleicht so zehnmal in einem halben Jahr... aber trotzdem konnte Noisy sich gut in Joes Problematik hineinversetzen. Kein Wunder, dass er vor seinem berühmten und bei den Frauen offenbar durchaus erfolgreichen Bruder nicht wie ein Depp dastehen wollte, vor allem wenn er Ricky schon angekündigt hatte. Gedankenverloren sah Noisy auf den Boden, auch Joe schwieg. Einige Minuten waren sie beide ungewohnt ruhig, dann hob Noisy wieder den Kopf. "Und wenn ich noch mal mit Ricky rede?" "Das bringt doch nichts..." sagte Joe lahm. "Wie kann ich dir denn dann helfen?" Noisy stützte den Kopf auf die Hände. Er wollte Joe wirklich gerne helfen, wenn er auch nicht so genau wusste warum - schließlich hatte Joe sie verlassen, was sollten sie dem noch helfen? Trotzdem fühlte Noisy sich noch immer sehr zu Joe hingezogen, sie waren in der ersten Zeit der Sex Machineguns ein gutes Team gewesen, denn Anchang und Sussy hatten sich irgendwie immer über andere Themen als sie beide unterhalten. Ohne es richtig zu realisieren, hatte Noisy wieder den Kopf gehoben und starrte direkt in Joes Gesicht. Dieses veränderte sich wie in Zeitlupe, Joes Augen begannen langsam zu glänzen... dann sprang er auf. "Du!" schrie er. "Das ist es! Du musst mir helfen! Du, Noisy, du... gibst dich als Ricky aus!!" "Was??" Noisy blieb fast die Spucke weg. Fassungslos starrte er Joe an. "Ich als Ricky??? Forget it!" sagte er mit Entschiedenheit. "Aber warum nicht?" Joe war von seiner Idee total begeistert. "Du bist auch blond... wenn du dich etwas bunter anziehst, deine Brille aufsetzt, dir eine andere Frisur machst, dir eine andere Stimme und einen anderen Gang angewöhnst, andere Wörter benutzt und dich anders anziehst, siehst du Ricky wirklich zum Verwechseln ähnlich! Oh ja... du musst unbedingt mitmachen, Noisy, das wird total super! Niemand, absolut niemand wird den Unterschied bemerken..." Na, ob das so schmeichelhaft war... Noisy schwirrte der Kopf. So war das mit dem Helfen doch eigentlich nicht gemeint gewesen! Er wollte doch nicht als Ricky in der Gegend herumlaufen, und dann auch noch auf einer Hochzeit... er konnte doch nicht allen Ernstes für einen ganzen Tag Member von Dasein spielen! Nein, Joe in allen Ehren und Ricky gleich dazu, aber so hatte er sich das nicht gedacht! So toll fand er Ricky nicht, dass er sich als dieser ausgeben wollte. Aber... aber andererseits... wenn er Joe damit wirklich so einen großen Gefallen tun würde... vielleicht würde Joe ihm ja auch mal einen Gefallen tun müssen? Wissen konnte man es nicht. Aber trotzdem... ein ganzer Abend als Ricky... so erstrebenswert war das nicht. "Darüber muss ich nachdenken!" gab er sich schließlich halbwegs geschlagen. "Wann ist das noch mal... nächstes Wochenende..." "Genau, am Samstag!" nickte Joe hilfreich. "Da hab' ich Probe mit meiner Punkband..." Während Noisy diese tatsächlich wahre Ausrede noch vorbrachte, verzog er auch schon das Gesicht. Diese Blödmänner, eigentlich hatte er gar keinen Bock, mit denen zu proben. Wenn sie schon wegen dem Bandnamen schon so ein Theater veranstalteten, konnte das ja echt heiter werden in Zukunft! "... aber eigentlich können die mich mal!" beendete er also den Satz. "Das bedeutet also, du machst mit?" hakte Joe nach. Noisy hörte ihm nicht so richtig zu, da er in Gedanken immer noch bei seiner untreuen Band war, aber als er Joes begeisterte Jubelschreie hörte, wurde ihm bewusst, dass er offenbar genickt hatte. Frustriert seufzte Noisy auf, während Joe ihm glücklich um den Hals fiel. "Danke, Noisy-chan, das vergesse ich dir nie!" Leicht verärgert rieb Noisy sich die Stirn, während Joe ihm ausführlich den Ort der Hochzeit zu beschreiben begann. So hatte er sich das alles wirklich nicht gedacht! Aber jetzt musste er wohl gute Miene zum bösen Spiel machen... das würde er Joe lange nicht verzeihen... aber na ja, vielleicht gab es ja wenigstens gutes Essen und gute Musik oder so... Der Gedanke an die Musik brachte ihn auf eine Idee. "Joe... wie wäre es, wenn ich mit meiner Punkband auf Takeshis Hochzeit auftreten würde?" "Das wäre keine so gute Idee, Noisy!" Joe grinste, und Noisy ärgerte sich ein wenig. Das würde ja wirklich noch sehr heiter werden!" "Du willst als WER da hingehen??" "Mann, Anchang, jetzt hör' auf, mir ein schlechtes Gewissen einzureden!" Mit genervtem Gesicht bearbeitete Noisy seine Haare mit Haarspray und Bürste. "Ich habe Joe versprochen, dass ich mich für einen Tag als dieser blöde Ricky ausgebe, und jetzt werde ich das auch tun! Hör' bloß auf, mich deswegen fertigzumachen!" Anchang konnte sich nur schwer ein Lachen verbeißen. Es war Noisy sowieso gar nicht recht, dass auch Anchang auf Takeshis Hochzeit gehen wollte, aber Anchang kannte ja immer Gott und die Welt, so kannte er natürlich auch die Sängerin von Omnyouza und war selbstverständlich eingeladen. Das alles passte Noisy wirklich überhaupt nicht, es reichte schon, dass er sich vor dem Rest von Joes Familie zum Affen machen musste! Er fühlte sich unglaublich unwohl in den bunten poppigen Ricky-Klamotten und mit der mehr als komischen Frisur, er hatte die ganze Zeit das Gefühl, einen Bobtail auf dem Kopf sitzen zu haben. Und er trug auch seine Brille so selten, dass es einfach ein komisches Gefühl war. Kurz gesagt, Noisy kam sich etwas komisch vor, wenn er in den Spiegel guckte. Anchang stellte sich neben Noisy und verschränkte die Arme vor der Brust. Nach einem Blick in den Spiegel grinste er zufrieden, und Noisy konnte sich denken warum. Anchang trug schließlich keine bunten kurzen Klamotten. Durch sein Spiegelbild freundlich gestimmt fragte Anchang: "Und was bekommst du von Joe für die Stunden als Ricky?" "Weiß ich nicht. Ich hab' nicht gefragt." "Wie, der gibt dir nicht mal Geld dafür?" Anchang starrte ihn fassungslos an. "Du machst diesen ganzen Quatsch umsonst mit? Ich kann dich nicht verstehen, Noisy! Warum um alles in der Welt machst du das?" "Weil ich es Joe versprochen habe," wiederholte Noisy. "Ach! Und wie war das damals, als Joe uns versprochen hatte, er würde niemals die Band verlassen?" setzte Anchang sarkastisch hinzu. Noisy schüttelte unwillig den Kopf. "Gehört das hierhin? Wenn ICH es ihm versprochen habe, mache ICH es auch. Was Joe uns versprochen hat, spielt überhaupt keine Rolle, zumindest nicht heute!" "Ist ja gut!" meinte Anchang genervt. "Warum verteidigst du ihn eigentlich ständig?" Das Gleiche fragte Noisy sich im selben Moment allerdings auch. Da ihnen beiden keine zufriedenstellende Antwort einfiel, zuckten sie mit den Schultern und verließen dann Noisys Wohnung, um zusammen zum Haus von Joes und Takeshis Eltern zu fahren. In Anchangs Auto klappte Noisy zuerst einmal den Spiegel herunter und überprüfte kritisch seine neue Frisur. Sie gefiel ihm einfach nicht, sie brachte sein hübsches Gesicht überhaupt nicht richtig zur Geltung! "Die Frisur steht mir nicht, oder, Anchang?" fragte er frustriert. Aber Anchang antwortete ihm nicht, er war selbst gereizt, weil er mehr oder weniger allein auf der Party erscheinen musste. Sowohl Sussy als auch Himawari und Panther hatten sich nämlich geweigert, ihn zu begleiten, und irgendwie hatte er es auch nicht geschafft, eine Frau aufzugabeln. Für Anchangs miese Laune hatte Noisy nun aber gar kein Verständnis - wollte ER vielleicht als Ricky durch die Gegend laufen? Etwa zwanzig Minuten später erreichten sie das Haus der Eltern von Takeshi und Joe, welches in einem gutsituierten Neubaugebiet gelegen war. Die beiden stiegen aus, holten ihre Geschenke aus dem Kofferraum und klingelten dann. Wenige Sekunden später riss Joe die Tür auf. "Hallo, Anchang! Noisy, du siehst toll aus! Wirklich, genau wie Ricky!" "Das ist jetzt aber ein Widerspruch, Joe!" machte Anchang säuerlich, denn er war beleidigt, weil Joe nicht auch sein Aussehen gelobt hatte. Joe ignorierte ihn und grinste nur. Noisy musste ebenfalls grinsen, als er sich seinen Kumpel genauer ansah. Zum Glück hatte Joe auf das grün-gelb gestreifte Hemd verzichtet, aber dafür trug er einen schwarzen Anzug, der ihm mehrere Nummern zu klein war und vermutlich in Wirklichkeit jemand anderem aus seiner Familie gehörte. Dazu hatte er seine Haare ebenfalls mit jeder Menge Haarspray bearbeitet. Anchang blickte von Noisy zu Joe und schüttelte grinsend den Kopf. Noisy bedankte sich mit einem finsteren Blick. Joe bekam davon gar nichts mit, er klatschte in die Hände und rief: "Nun lasst uns mal reingehen! Alle warten schon!" Brav stolperten Noisy und Anchang hinter ihm her ins Haus. Die Hochzeit von Takeshi und seiner Braut sollte im Garten stattfinden, aber Joe führte seine Gäste trotzdem zuerst einmal in die Küche, wo sich der Rest der Gesellschaft aufhielt. Mehrere Cousins von Joe stürzten sofort auf Anchang zu und begannen auf ihn einzuquatschen, sie schienen sich alle zu kennen, denn wie gesagt, Anchang kannte ja jeden. Noisy stand etwas verloren daneben. Joe war irgendwohin verschwunden, und Anchang unterhielt sich eifrig mit den Verwandten von Joe und Takeshi. Nervös steckte Noisy die Hände in die Hosentaschen und kaute unruhig auf seiner Unterlippe herum. Er fühlte sich ziemlich ausgeschlossen, weil keiner mit ihm redete, und dann auch noch das blöde Outfit... kein Wunder, dass sich keine von Joes Cousinen für ihn interessierte! Lediglich eine ältere Frau in einer weißen Bluse betrachtete ihn begütigend und meinte: "Du bist doch der kleine Ricky, nicht wahr? Nett, dich mal wiederzusehen!" "Äh, ja, ganz meinerseits," stotterte Noisy. Die alte Frau runzelte die Stirn. "Deine Stimme klingt heute so anders!" stellte sie fest, und Noisy schwitzte Blut und Wasser. "Hast du dich etwa erkältet? Dann will ich doch mal hoffen, dass es dir bald wieder besser geht. Joe und du, ihr müsst unbedingt mal wieder zu uns zum Essen kommen. Ihr wart schon lange nicht mehr da." "Wir kommen bestimmt bald wieder vorbei!" brachte Noisy gerade noch heraus. Diese Frau musste Joes Großtante sein, die Ricky frittierte Frösche aufgetischt hatte! Noisy konnte wirklich nur hoffen, dass er wirklich nur für diesen Tag und nicht noch für ein Essen in nächster Zukunft Rickys Rolle spielen musste! Joes Großtante lächelte zufrieden, und im selben Moment kam Joe zurück in die Küche und musterte seine Verwandte und Noisy, der wegen Joes Anblick nun auch lachen musste, überrascht. "Was ist denn so lustig?" fragte er misstrauisch. "Ach, ich muss Ricky und dich mal wieder zum Essen einladen!" lachte die Großtante dröhnend. Auf Joes Gesicht erschien ein diebisches Grinsen. "Aber sicher doch, Ricky und ich kommen gerne!" verkündete er und zwinkerte Noisy zu. Ob dieser Einladung wurde Noisy ganz anders zumute. "Aber das ist doch nicht nötig..." versuchte er sich mit schleppender Stimme zu retten. "Nur keine falsche Bescheidenheit, Ricky!" Wieder lachte die Großtante dröhnend und kniff ihn in die Wange, woraufhin Noisys Gesicht sich mit leicht rosa Farbe überzog. Das brachte die alte Frau noch mehr zum Lachen. "Wirklich ein lieber, herziger Junge!" meinte sie zu Joe gewandt. "Da hast du dir wirklich einen schönen Geliebten ausgesucht!" GELIEBTEN?? Moment mal!! Noisy stand hastig auf. "Joe... ich würde mich ganz gerne mal mit dir unterhalten!" "Aber natürlich doch!" Verlegen spielte Joe mit seinen Händen. "Du entschuldigst uns doch kurz?" wandte er sich schnell an seine Tante, bevor Noisy ihn aus dem Zimmer zerrte. Im Flur funkelte er ihn wütend an. "WAS hat sie da eben gesagt? GELIEBTER?? Ich dachte, ich soll Ricky spielen, aber jetzt soll ich auch noch deinen GELIEBTEN spielen??" "Aber Noisy, beruhige dich doch!" bat Joe verlegen. "Die denken doch, du bist Ricky... na ja, und ich hab' ihnen allen eben erzählt, Ricky und ich wären ein Paar..." "Seid ihr ein Paar?" schrie Noisy. "Quatsch! Schön wär's... aber du weißt doch, jetzt, wo mein Bruder heiratet... und nur immer ich als ewiger Single, das ist doch total peinlich... und da hab' ich ihnen das halt erzählt..." Joe wand sich hin und her, aber Noisy hatte nicht wirklich Mitleid und schnaubte nur. Worauf hatte er sich da nur eingelassen! So hatte er sich das echt nicht gedacht... doch Joes besorgte Augen rührten ihn dann doch ein bisschen. "Noisy-chan? Du lässt mich doch nicht auffliegen?" Resignierend schüttelte Noisy den Kopf. Er hatte Joe ja trotz allem ganz gern, und er hatte es versprochen... auch wenn er so etwas nie wieder machen würde! Aber gut, würde er heute eben trotz allem gute Miene zum bösen Spiel machen. "Aber vor allen anderen an die Wäsche gehen muss ich dir nicht, oder?" fragte er kritisch. "Ach was!" Joe wirkte erleichtert. "Hauptsache, du verpfeifst mich nicht... und wer weiß, vielleicht erkennst du ja auch noch den Spaß an der Sache!" "Spaß?" unterbrach Noisy ihn kritisch. "Warum soll mir das denn bitte Spaß machen?" "Wenn die anderen denken, kommt wenigstens keine meiner Cousinen auf die Idee, dich anzumachen!" Joe grinste. "Wäre doch nicht schlimm!" Noisy erinnerte sich an die Cousinen, mit denen Anchang sich vorhin unterhalten hatte. "Die scheinen doch alle ganz okay zu sein." Joe verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. "Du hast meine Cousine Charlie noch nicht kennengelernt, oder?" Noisy war sich nicht so sicher, aber offenbar nicht. Gerade wollte er Joe fragen, was an der denn so schlimm sein sollte, da kamen auf einmal Takeshi und seine Braut den Gang entlanggefegt und Noisy konnte ihnen endlich einmal zu ihrer Hochzeit gratulieren. Takeshi nahm die Glückwünsche herablassend zur Kenntnis und sprach ihn natürlich ständig mit Ricky an. Doch daran hatte Noisy sich inzwischen mehr oder weniger gewöhnt. Auch Takeshis zukünfige Frau bedankte sich bei Noisy für die Glückwünsche, dann eilte das Paar weiter den Gang entlang. Joe nahm Noisy am Arm. "Komm' jetzt, die Trauung fängt an." "Schon?" Noisy wand sich aus Joes Armen, irgendwie war ihm das nun auch wieder unangenehm. "Wo ist überhaupt Anchang?" "Weiß ich doch nicht. Los, komm' mit!" Kurz darauf befanden sich alle Gäste im Garten vor einem kleinen Pavillion, in dem das Brautpaar und der Pfarrer standen. Es war wirklich ein schöner warmer sonniger Tag, so dass einer Hochzeit im Garten absolut nichts im Weg stand. Noisy musste natürlich neben Joe stehen, immerhin hatte sich auch Anchang wieder bei ihnen eingefunden. Dieser bekam aber von einem Großonkel Joes Prügel angedroht, weil er die ganze Trauung über mit Joes Cousinen quatschte. Die Hochzeitszeremonie war richtig romantisch. Noisy hatte mit solchem Kitsch eigentlich gar nichts am Hut, aber irgendwie berührte es ihn dann doch. Der Pfarrer hielt eine mitreißende Predigt, die Sängerin von Omnyouza vergoss beim Ringtausch jede Menge Tränen und wurde von ihrem frischgebackenen Ehemann mit einem Kuss getröstet. Noisy war fasziniert. Vielleicht sollte er auch heiraten... nur, wen denn? Unwillig drehte er den Kopf zu Joe, um sich wieder etwas aufzuheitern. Doch er war vollkommen erschrocken, als er sah, dass Joe ebenfalls dicke Tränen über die Wangen liefen. Freute er sich für seinen Bruder? Oder weinte er aus Eifersucht? Beruhigend legte Noisy ihm die Hand auf den Arm. Joe drehte sich mit nassen Augen zu ihm um. "Ach Noisy," schluchzte er, "ich wünschte, Ricky wäre jetzt hier!" Zuerst wollte Noisy empört sein, dann konnte er Joe aber doch ein wenig verstehen. Es musste Joe sehr weh tun, dass sein Super-Bruder jetzt geheiratet hatte und ihm selbst war es nicht gelungen, Ricky für sich zu gewinnen. Sanft streichelte Noisy über Joes Arm, und er wollte auch noch etwas Tröstendes sagen, doch da setzte eine donnernde Orgel ein und alle sangen das Schlusslied. Danach kam Leben in die Gesellschaft! "Wir sind verheiratet!" jubelte das Brautpaar begeistert. "Herzlichen Glückwunsch!" rief Anchang laut und wollte die Braut küssen, aber Takeshi stieß ihn hart zur Seite. "Finger weg, sie gehört zu mir!" Dann wurde der Brautstrauß geworfen. Fast alle Gäste boxten und schubsten sich gegenseitig, um die begehrten Blumen zu erhaschen. Noisy befand sich mitten im Getümmel, lachte sich aber innerlich schlapp über das Gequetsche. Das musste von außen ein Bild für die Götter sein! Eigentlich war er gar nicht so scharf darauf, das Gemüse zu fangen, solange er noch nicht einmal jemanden zum Heiraten hatte, machte es ja keinen Sinn. Als er aber sah, wie Anchang sich nach vorne drängelte, um die Blumen zu fangen, erwachte Kampfgeist in Noisy, und kurzerhand warf er sich auf seinen Freund. "Bist du verrückt, du Blödmann?" fluchte Anchang und stieß Noisy in die Seite. Noisy ließ das natürlich nicht auf sich sitzen und schubste Anchang zurück, und im allgemeinen Gerangel gerieten sie ganz auf die Seite der Gruppe. Den Brautstrauß fing schließlich Charlie, eine von Joes Cousinen. Noisy drehte sich nach ihr um. Charlie hatte er bis jetzt noch gar nicht bemerkt, denn ihre seltsame Frisur hätte ihm eigentlich in Erinnerung bleiben müssen. Eigentlich sah die junge Frau aber ganz nett aus. Sie machte ein triumphierendes Gesicht, als sie die Blumen gefangen hatte. "HA! Ich werde als Nächste heiraten!" "Hast du denn überhaupt schon jemanden zum Heiraten, Charlie?" erkundigte sich ein Typ aus Joes Verwandschaft. "Noch nicht, aber was nicht ist, kann ja noch werden!" meinte sie und warf provozierende Blicke um sich. Noisy wollte ihr gerade zulächeln, da nahm Joe ihn am Arm. "Lass' dich bloß nicht von Charlie einwickeln, du wirst es bereuen. Komm' jetzt, lass' uns gehen." "Warum denn? Sie sieht doch echt sympathisch aus!" protestierte Noisy. "Die tut nur so. Glaub' es mir, Noisy-chan, ich kenne Charlie schon sehr lange - schließlich bin ich ja mit ihr verwandt, ne!" Joe lachte dröhnend, wurde aber sofort wieder ernst. "Nach außen hin wirkt sie sehr nett, aber in Wirklichkeit ist sie eine Furie. Sie ist fast so schlimm wie unser schlimmstes Groupie! Du verstehst, was ich meine?" Oh ja, er verstand. Mit leichtem Schaudern erinnerte Noisy sich an das schlimmste Groupie der Sex Machineguns, welches in ausgewählten Kreisen nur "the unamable" oder "das Ding aus dem Sumpf" genannt wurde. Uuuaaaah! "Aber so schlimm sieht sie doch gar nicht aus!" versuchte er es noch einmal, aber Joe winkte nur ab und zog Noisy unerbittlich mit sich ins Haus. Dort war inzwischen das Festessen angerichtet worden. Alle Gäste nahmen an der Tafel Platz und Joes und Takeshis Vater hielt eine Rede. Noisy wachte erst wieder auf, als alle klatschten. Danach verteilte die Mutter der beiden endlich das Essen, Spanferkel mit Karotten. Da Joe bei seiner Familie saß, unterhielt sich Noisy die meiste Zeit über mit Anchang, auch wenn es ihn ein wenig irritierte, dass Anchang die Karotten prinzipiell quer aß. Aber davon abgesehen war das Essen sehr lecker, ebenso der Nachtisch, Ananas aus der Büchse. Alles ging gut, bis jemand bemerkte, die Ananas wäre bereits abgelaufen. Daraufhin wurde Takeshi ausgesprochen schweigsam! (Insider-Witz) Nach dem Essen wollte Noisy sich eigentlich wieder zu Joe setzen, denn inzwischen war auch er die Auffassung, dass er sich als Pseudo-Ricky mehr um seinen Freund kümmern sollte. Allerdings wurde Joe von seiner Mutter in die Küche zitiert, um beim Abwasch zu helfen. Er warf Noisy noch einen gernervten Blick zu, bevor er verschwand. Noisy seufzte ebenfalls und sah sich dann nach anderen Gesprächspartnern um, doch Takeshi und seine Frau saßen mit Freunden zusammen, Anchang war zum Rauchen weggegangen und bisher noch nicht wiedergekommen und die anderen kannte Noisy alle nicht. Etwas verloren setzte er sich aufs Sofa und spielte mit seinen Händen. "Hey, Ricky!" Als Noisy die Stimme hörte, fühlte er sich zunächst gar nicht angesprochen. Erst als eine Hand begann, penetrant vor seinem Gesicht herumzuwedeln, wurde ihm bewusst, dass er ja eigentlich Ricky war oder es zumindest sein sollte, und er kehrte in die sogenannte Wirklichkeit zurück. "Ähhh... ja?" Es war Charlie, Joes Cousine, die sich mit einem höflichen Grinsen neben ihm auf dem Sofa niederließ. "Ich störe dich doch nicht?" "Ach was," meinte Noisy heiter. Er war ja ganz froh, wenn er mal etwas Gesellschaft hatte, außerdem konnte er sich nicht vorstellen, dass Charlie wirklich so gräßlich war wie ihr Cousin behauptet hatte. Joe reagierte da bestimmt nur etwas extrem. Sie war doch eigentlich schön anzusehen, wie sie sich neben ihn setzte und elegant die Beine übereinanderschlug. Höflich lächelte Noisy sie an. "Du bist also Joes Freund Ricky," begann sie. "Sehr nett, dich endlich mal kennenzulernen. Joe hat uns schon sehr viel von dir erzählt, wir wissen eigentlich alles über dich. Also ist es schon interessant, dich mal zu sehen - bisher kennen wir dich ja nur aus dem Fernsehen..." Und trotzdem fiel ihr nicht auf, dass er gar nicht Ricky war? Noisy runzelte die Stirn. So ganz helle schien sie dann ja nicht zu sein - aber andererseits war das hier noch niemandem aufgefallen. Charlie begann mit einschläfernder Stimme über irgendwelche TV-Sendungen, in denen Dasein schon aufgetreten waren, zu reden, und Noisy lehnte sich entspannt zurück. Am liebsten hätte er jetzt ein wenig geschlafen, aber das war unhöflich, auch wenn ihn das Thema nicht interessierte. Vielleicht konnte er das Thema unauffällig wechseln... vielleicht konnte er Charlie von seiner Punk-Band erzählen! Aber er durfte sich ja nicht als Noisy outen! Während Noisy noch über die Durchsetzung dieser Aktion nachdachte, hatte Charlie plötzlich selbst das Thema gewechselt. Mit ihren stark geschminkten Katzenaugen sah sie Noisy lasziv an und meinte: "Stehst du eigentlich nur auf Joe, Ricky?" "Wie... wie meinst du das?" stotterte Noisy erschrocken. Er stand eigentlich überhaupt nicht auf Joe, warum kapierte das nur keiner? "Nun ja... ich habe ja den Brautstrauß gefangen..." Charlie rückte näher, während Noisy fast erstarrte. Doch dann war es zu spät. Noisy hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie wenigstens noch ihren Satz beenden würde, aber diesen Gefallen tat Charlie ihm nicht, sie küsste ihn gleich. Noisy erstarrte nun völlig. Es war kein schöner Kuss, fordernd zwängte sich ihre Zunge durch seine Lippen und gleichzeitig nahm sie seinen Kopf in ihre Hände und stach ihm ihre unechten Fingernägel in die Wangen. Der Schmerz trieb Noisy die Tränen in die Augen. Heute war einfach ein bescheuerter Tag! Erst musste er als dieser vermaledeite Ricky durch die Gegend laufen und dann wurde er auch noch von Joes Cousine fast vergewaltigt! Oh, warum nur war er nicht zuhause im Bett geblieben? Verzweifelt versuchte Noisy sich freizustrampeln, und nach einigem Gekämpfe ließ Charlie ihn auch gewähren. Trotzdem sah sie ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Ärger an. "Was ist, warum stellst du dich so an?" Verlegen wischte Noisy sich über die Lippen, er hatte das Gefühl, Schnecken im Mund gehabt zu haben. Er musste auf jeden Fall verhindern, dass sie ihn ein zweites Mal küsste. Die beste Lösung war - weglaufen! Aber das ging ja nicht, er hatte Joe versprochen, ihm heute einen Gefallen zu tun. Noisy ärgerte sich über seinen Gerechtigkeitssinn, aber er wollte Joe ja wirklich helfen. Also musste er sich für die zweitbeste Lösung entscheiden und eben doch das Thema wechseln. Vielleicht würde das sogar ganz gut klappen! "Sag' mal, kennst du eigentlich ,Noisy und die anderen'?" fragte er sie. "Häh? Wer soll denn das sein?" maulte Charlie. Klar konnte sie die nicht kennen - wenn die anderen Gruppenmitglieder ja noch nicht einmal den Bandnamen akzeptiert hatten! Noisys Wut auf seine Kollegen wuchs wieder. "Aber Noisy kennst du, oder?" fragte er Charlie. "Noisy?" Charlie schien zu überlegen. "Ist das nicht der Hässliche von den Sex Machineguns?" fragte sie dann schlechtgelaunt. "Aber nein!" protestierte Noisy. "Das ist der Schöne von den Sex Machineguns!" "Kann ja gar nicht sein!" Charlie zeigte auf Anchang, der gerade wieder zur Tür hereinkam. "DAS ist doch der Schöne von den Sex Machineguns!" Es half alles nichts, Noisy musste hier weg, bevor er vor Wut platzte. Zudem schien auch Charlie wieder auf andere Gedanken zu kommen. "Komm' schon, Ricky, lassen wir das Thema," schnurrte sie und glitt wieder näher, "küssen wir uns lieber wieder!" Nein, nicht noch einmal! Noisy würgte. "Bitte entschuldige mich, ich muss mal kurz was mit Anchang besprechen," murmelte er, stand auf und eilte in Richtung Tür. Anchang musste ihn retten, er musste sich jetzt mit ihm unterhalten und ihn vor Charlie beschützen! Leider bekam Anchang von der bedenklichen Situation nichts mit und verschwand in Richtung Toilette, noch bevor Noisy ihn erreicht hatte. Nun war Noisy wirklich verzweifelt. Er konnte nicht mehr umdrehen, er spürte Charlies bohrende Blicke im Rücken, also entschied er sich kurzerhand anders und rettete sich in die Küche. Lieber mit Joe Geschirr spülen als sich weiter mit Charlie abgeben! Doch das Geschirr war längst gespült. Joe und seine Großtante saßen am Tisch und blätterten lachend in einem Fotoalbum. Neugierig spähte Noisy über Joes Schulter. "Was guckt ihr denn da an?" "Setz' dich nur zu uns, Ricky," forderte die Großtante ihn auf, und Noisy setzte sich brav neben die beiden und betrachtete das Foto auf der aufgeschlagenen Seite genauer. Das Bild zeigte ein niedliches Baby mit dichtem schwarzen Haar, großen Kulleraugen und einem Schnuller im Mund. Wirklich herzig! Noisy musste unwillkürlich lächeln. Einfach süß! Ob das Takeshi war? Joes Großtante kicherte. "Süß, nicht wahr, Ricky? Da staunst du, wie dein Joe als Kind ausgesehen hat!" "Joe?" stotterte Noisy. "Das bist du?" "Ja!" sagte Joe brav. Jetzt war Noisy aber wirklich erstaunt... richtiggehend begeistert! Er studierte das Baby auf dem Foto etwas genauer. Warum nur hatte er Joe nicht gleich erkannt? Eigentlich konnte man Joe immer ganz gut an seinem Katzenmund erkennen... aber auf dem Foto war der ja vom Schnuller verdeckt! Jaaa, das war es gewesen! Noisy grinste und betrachtete das Foto weiterhin, es faszinierte ihn, es war so niedlich. Ja, Joe war wirklich ein süßes Baby gewesen... schade, dass davon nicht viel übrig geblieben war... Er hob den Kopf, sah Joe an und erkannte, dass er sich geirrt hatte. Wenn man Joe genau betrachtete... konnte man noch immer die Gesichtszüge und den niedlichen Gesichtsausdruck des Kindes auf dem Bild erkennen. Es war alles noch da. Noisy war baff. Meine Güte, dachte er, ich glaube, die vielen Jahre mit Joe haben mir total den Blick verklärt. Jahrelang hab' ich ihn nie wirklich angeguckt, er war einfach da. Und wenn ich ihn jetzt mal so bewusst angucke... dann wird mir plötzlich klar, WIE er eigentlich aussieht, dass er eigentlich immer noch schnuckelig ist, wie auf dem Foto... Noisy war fasziniert. Doch bevor er sich entscheiden konnte, ob er Joe seine Gedanken mitteilen sollte oder nicht, riss Takeshi die Tür zur Küche auf und rief: "Jetzt wird die Torte angeschnitten!" "GEILO!" brüllte Joe und war sofort aus der Küche gerannt. Seine Großtante lachte, klappte das Album zusammen und verließ zusammen mit Takeshi die Küche. Wie ein Schlafwandler tapste Noisy ihnen hinterher. Freilich kam er nicht weit! Im Flur lief er geradewegs Charlie in die Arme. "Huhuuu Ricky!" flötete die blöde Kuh auch prompt und umkreiste ihn. "Was fällt dir nur ein, mir einfach wegzulaufen? Aber jetzt bleibst du hier bei mir!" "Bitte nicht!" Noisy sah sich panisch um, ob ihn jemand vor Charlie retten konnte, doch es befand sich niemand mehr im Flur, alle waren bereits ins Wohnzimmer gerannt, wo die Torte angeschnitten wurde. Also musste Noisy sich wohl allein befreien. "Bitte, Charlie..." versuchte er es auf die vernünftige Tour. "Wir kennen uns doch kaum, und ehrlich gesagt möchte ich dich auch gar nicht näher kennenlernen. Ich bin sehr, äh, glücklich mit, äh, Joe, und deswegen will ich nichts von dir!" "Aber Ricky..." Charlie machte große Augen. Langsam platzte Noisy aber wirklich der Kragen! "Hör' endlich auf mit dem dummen ,Ricky'!" fauchte er. "Sieht denn hier wirklich kein Schwein, dass ich Noisy bin?" Kaum eine Sekunde später bereute er sein Outing auch schon unendlich. Oh nein! Er hatte Joe doch versprochen, den ganzen Tag Ricky zu spielen, und nun verriet er sich ausgerechnet vor dieser dämlichen Cousine... Doch Charlie schien nichts zu raffen oder vielleicht war es ihr auch einfach nur egal, jedenfalls lachte sie kurz auf und wollte dann wieder beide Arme um Noisy legen. Hektisch entwischte Noisy ihr und rannte den Flur entlang, doch Charlie nahm sofort die Verfolgung auf. Nun geriet Noisy wirklich in Panik. "Verstehst du denn nicht, ich will nichts von dir!" rief er verzweifelt. "Ich bin doch mit Joe zusammen!" Es war, Ricky hin oder her, eine absolute Lüge, aber Charlie lachte sowieso nur dröhnend und folgte Noisy weiterhin. Panisch raste Noisy weiter den Flur entlang. Irgendwo musste es doch mal eine Tür zum Entwischen geben! Endlich tauchte in der Ferne die Tür zur Küche auf, denn der Flur führte einmal rund durch das Haus. Mit einem Satz rettete Noisy sich in die Küche und knallte die Tür hinter sich zu. Ob es hier einen Schlüssel gab? Er fand keinen, also presste Noisy sich mit dem Rücken gegen die Tür, hinter der er Charlies sich nähernde Schritte hörte. Ängstlich spähte er in der Küche umher, auf der Suche nach Hilfe. Doch alles was er sah war Joe, der pfeifend in einer Schublade kramte. "Joe!" zischte Noisy. Überrascht drehte Joe sich um. "Noisy, du? Ich suche gerade ein Messer, damit wir endlich die Torte anschneiden können... aber was machst du hier? Haben die anderen dich geschickt, weil mir keiner zutraut, dass ich allein das Messer finde?" "Das Messer? Du hast echt Nerven!" Stöhnend presste Noisy das Ohr gegen die Tür. Er hörte keine Schritte mehr, aber das musste gar nichts heißen, vielleicht lauerte Charlie ja irgendwo. "Deine Cousine verfolgt mich und will mich abknutschen! Kannst du mich nicht retten, nachdem ich schon den ganzen Tag diesen Ricky-Hampelmann für dich spiele?" "Wie soll ich dich denn retten?" fragte Joe naiv. Noisy wusste keine Antwort. Doch als er erneut sein Ohr gegen die Tür presste, durchfuhr ihn der nächste Schreck. Charlie war wieder da! Ganz deutlich hörte er ihre Stimme vor der Tür und dann wieder Schritte. In diesem Moment klinkten bei Noisy alle Sicherungen aus. Panisch rannte er zu Joe und klammerte sich an ihm fest. "Gib' mir 'nen Kuss!" zischte er. "Was??" fragte Joe doof. "Gib' mir 'nen Kuss, aber schnell!" "Na gut," murmelte Joe, dann murmelte er noch irgend etwas anderes und senkte dann den Kopf, um Noisy auf die Lippen zu küssen... ... so hatte Noisy sich das zumindest gedacht. Aber Joe schien etwas anderes im Sinn zu haben als nur einen sanften Schmatz auf den Mund. Zuerst wollte Noisy empört sein, als er Joes Zunge in seinem Mund und Joes Hände um seine Taille fühlte. Er wollte schreien, zetern, um sich schlagen... aber nach wenigen Sekunden wollte er es einfach nur genießen. Noisy war vollkommen verblüfft - aber Tatsache, Joe küsste sehr gut, und wie von selbst erwiderte Noisy den Kuss und begann nun seinerseits Joe zu umarmen. Das war für Joe natürlich ein Grund, nicht mit dem Kuss aufzuhören, sondern seine Lippen weiterhin gegen Noisys zu pressen. Ja ja, dieser Katzenmund... wäre Noisy nicht so beschäftigt mit Küssen gewesen, hätte er fast gelacht. Oh mein Gott, hier stehe ich und küsse Joe, dachte er. Jahrelang waren wir in der gleichen Band, und ich hab' nie gewusst, wie toll er küssen kann... unser Joe! Mann, was hab' ich da verpasst... Mit einem Ruck sprang die Tür auf. Joe und Noisy fuhren blitzschnell auseinander, auch wenn das ja gerade so nicht gedacht gewesen war. Doch herein kam nicht etwa Charlie, wie sie ja vermutet hatten, sondern Takeshis Braut. "Lasst euch nicht stören," meinte sie, auch wenn sie nicht wissen konnte, was vorgefallen war. "Ich wollte nur das Messer selbst holen. Joe kriegt das ja doch nicht auf die Reihe." Sie holte das Messer aus der Schublade und verließ die Küche wieder, und Joe wandte sich mit einem triumphierenden Grinsen an Noisy. "Das war aber nicht Charlie!" Noisy wurde puterrot. Nun wirkte die ganze Situation natürlich so, als hätte er nur so getan, als ob Charlie ihn verfolgt hatte. "Konnte ich ja nicht wissen!" meinte er aufsässig. Joe grinste zurück. "Na, dann lass' uns auch mal ins Wohnzimmer gehen und die Torte probieren!" Einträchtig verließen sie die Küche und spazierten nebeneinander den Flur entlang. Doch auf einmal blieb Noisy wie erstarrt stehen. "Joe, hörst du das auch?" Wie auf Kommando blieb Joe ebenfalls stehen und spitzte die Ohren. Ganz deutlich hörten sie Schritte im Gang. Wenn das nun wieder Charlie war! Noisy begann zu zittern. Joe spähte um die Ecke und zog dann schnell den Kopf zurück. "Und?" fragte Noisy ängstlich. Joe nickte. "Charlie." "Nun..." Noisy zögerte. "Du weißt, was das bedeutet?" "Allerdings," nickte Joe. Beide grinsten sich noch einmal ein wenig dümmlich an, aber dann fielen sie sich wieder in die Arme und küssten sich ein weiteres Mal. Oh wowwww... Joes Vater lief pfeifend an ihnen vorbei, einen Fotoapparat in der Hand. "Lasst euch nicht stören," meinte er zwinkernd und war schon um die Ecke verschwunden. Puterrot wand sich Noisy aus Joes Armen. "Joe," meinte er gespielt vorwurfsvoll, "das war nicht Charlie!" "Oh, nicht?" machte Joe dümmlich grinsend. "Ist mir doch gar nicht aufgefallen!" Grinsend puffte Noisy ihn in die Seite, und dann betraten sie endlich das Wohnzimmer. Dort waren Takeshi und seine Braut gerade unter großem Jubel damit beschäftigt, die Torte anzuschneiden. Doch das Erste, was Noisy und Joe auffiel, als sie den Raum betraten, war Charlie, die in einer Ecke lehnte. "Charlie!" riefen sie wie aus einem Mund. "Na endlich!" rief Joe. "Na endlich!" echote Noisy. Und dann umarmten sie sich ein weiteres Mal und küssten sich erneut. Großer Jubel brandete wieder auf, und dieses Mal fiel der Kuss so heftig aus, dass Joe und Noisy den Halt verloren und geradewegs in die gerade angeschnittene Torte fielen! Die beiden ließen sich davon allerdings gar nicht stören, sie konnten einfach nicht genug von den Lippen des anderen bekommen. Oh mein Gott, dachte Noisy nur immer wieder, während er es einfach genoss, oh mein Gott... Irgendwann bekam Joe aber einen Lachanfall, so dass sie mit dem Knutschen aufhören mussten. Irgendwer wollte sie aus der Torte zerren, aber die beiden kicherten so sehr, dass sie nicht aufstehen konnten. Aus den Augenwinkeln beobachtete Noisy, wie Charlie empört auf sie zustürzte und schrie: "Nein, das glaube ich einfach nicht! Das ist ja unerhört!" Neben ihr stand Anchang, der ein wahnsinnig dämliches Gesicht machte, während Takeshi und seine Braut applaudierten und Joes Vater grinsend nach seinem Fotoapparat griff und auf den Auslöser drückte. Noisy wurde erneut rot, und Joe lächelte ihn an und strich ihm sanft über die Haare. "Herrlich!" trompetete die Großtante. "Ich wusste schon immer, dass ihr füreinander geschaffen seid, Joe und Ricky!" Mit einem Ruck zog Joe Noisy aus der Torte und erhob sich ebenfalls. "Das ist nicht Ricky," sagte er würdevoll zu der Gesellschaft, "das ist Noisy." ~ the end ~ © by me ~ 2003 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)