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K.O.N. - Take Two

The One, who Strikes the Knights
von

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"Sir, das Projekt C 15 ist vorbereitet."

"Ausgezeichnet, dann kann die Startphase ja eingeläutet werden."

"Sind sie sich ganz sicher, dass die Polizei kein Problem darstellen wird?"

"Du weißt, ich arbeite dort! Mit den richtigen Mitteln und Verbindungen kann gar nichts schief laufen. Nein, vor der Polizei brauchen wir wirklich keine Angst zu haben. Aber ist gibt ein noch viel größeres Problem."

"Was meinen sie?"

"Kuramoto könnte die K.O.N. rufen."

"K.O.N.? Eine Spezialeinheit?"

"Ha, ja so könnte man das auch nennen. Die K.O.N. - die Knights of Night - sind die letzte, sagen wir, Hoffnung für die Polizei. Sie sind Gesetzlose, unterliegen nicht dem Polizeihandbuch und sind so die einzigen, die uns wirklich gefährlich werden können. Es sind ein Scharfschütze, eine Schwertkämpferin, ein Werwolf, ein Cyborg und ein Hacker. Und sie sind gnadenlos. Um C 15 erfolgreich beenden können, müssen wir verhindern, das sie gerufen werden."

"Oder sie zerschlagen."

"Das werdet ihr nicht schaffen!"

"Gebt mir alle Informationen über die K.O.N. und ich werde sie uns aus dem Weg räumen."

"Du bist ein Narr!"

"Vielleicht. Aber ich bin ein reicher Narr und kein Verräter so wie sie."

Stage 1 - Children of the Death

Es war ein warmer Tag im Frühling. Ein junges Mädchen in einer lila Schuluniform ging durch die Straßen Neotokyos. Sie kam gerade von der Schule und trug in der einen Hand ihre Schultasche. In der anderen Hand hielt sie den Griff eines Schwertes, das an ihrem Rock befestigt war. Sie war Rumiko Sasagawa, die Schwertkämpferin der K.O.N.. Als sie an einem leeren Parkplatz vorbeikam, stoppte das Mädchen. Sie schien kurz zu überlegen, bevor sie den Platz betrat. Rumiko legte ihre Schultasche weg und zog das Schwert aus der Scheide. Langsam hob sie die Waffe, hielt es vor sich und umfaßte den Griff mit beiden Händen. Dann begann sie das Schwert zu schwingen. Rumiko sprang nach Vorne und ließ es dabei durch die Luft sausen. Einen Zentimeter über dem warmen, grauen Asphalt blieb die Klinge stehen. Rumiko verharrte eine Sekunde, bevor sie zurücksprang und mit einer unglaublichen Leichtigkeit das Schwert herum riß. Dann drehte sie sich zur Seite und schwang die Klinge so knapp über den Boden, dass sie fast den Asphalt streifte. Mit einer einzigen Bewegung drehte sie ihr Schwert und stach damit neben ihr nach hinten. Langsam zog Rumiko die Waffe wieder nach vorn. Kurz wartete sie und atmete tief durch, bevor sie sich blitzschnell auf die Knie fallen ließ und das Schwert zwei- dreimal über ihrem Kopf kreisen ließ. Dann hielt sie die Waffe senkrecht vor sich, die Spitze zum Boden und beide Hände auf den Griff gelegt. Langsam erhob sich Rumiko wieder. Als sie wieder stand, warf sie das Schwert hoch. Der glänzende Stahl kreiste in der Luft und sauste nun mit der Klinge auf Rumiko zu. Das Mädchen konnte die Waffe fangen, aber nicht, ohne dass die Klinge vorher ihre linke Hand streifte. Rumiko steckte das Schwert wieder zurück, als wäre nichts passiert und wollte wieder den Parkplatz verlassen. Doch gerade als sie ihre Schultasche aufgehoben hatte, hörte sie eine bekannte Stimme, die sehr enttäuscht klang: "Wie, du hörst jetzt schon auf?"

Rumiko sah nach oben, auf eine Mauer, die den Parkplatz umrandete. Auf dieser Mauer saß ein junger Mann, mit blonden Haaren, einem roten Kopftuch und weißen Flügeln, die er hinter seinem Rücken zusammen gefaltet hatte.

"TATSUYA!" rief Rumiko, wütend und überrascht, "was...?"

"Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du hier trainierst?" fragte der Scharfschütze, "Dann wäre ich schon früher gekommen."

"Genau deshalb hab ich nichts davon erzählt," entgegnete Rumiko kalt und wand Tatsuya den Rücken zu.

"He! Hör doch noch nicht auf! Wenn du so rum hüpfst und rum wirbelst fliegt dein Rock immer so..."

Das war das letzte, was Tatsuya sagen konnte, bevor er von Rumikos Schultasche ins Gesicht getroffen wurde und von der Mauer fiel.

Rumiko verließ unberührt den Parkplatz und ging weiter. Sie ging an der Mauer vorbei, auf der Tatsuya gesessen hatte und die Straße weiter, in Richtung Lost Fortress, das Haus, in dem die K.O.N. lebten.

"Warte, Rumiko!" rief Tatsuya, nachdem sie schon an ihm vorbeigegangen war. Der junge Mann sprang auf, schnappte sich die Schultasche und lief zu Rumiko, welche einfach weiter ging.

"Las mich in Ruhe!" meinte das junge Mädchen, während sie kühl neben Tatsuya weiter ging.

"Tut mir Leid, aber wir haben zufällig das gleiche Ziel," entgegnete dieser, "und außerdem hat sich meine Lieblingsschwertkämpferin bei ihrem Training verletzt."

Rumiko blieb stehen und sah Tatsuya genervt an. Doch anstatt des erwarten Grinsen, war Tatsuyas Gesicht ruhig und ernst. Vorsichtig nahm er ihre linke Hand in seine und hob sie zu seinem Mund. Sanft pustete er über die Wunde und sah Rumiko dann wieder an. Das Mädchen errötete, tat aber nichts.

"Und dann auch noch ausgerechnet die Linke," flüsterte Tatsuya leise. Er schloss die Augen, näherte sich mit seinen Lippen dem Schnitt und küsste die blutende Wunde. Rumikos Gesicht nahm eine tiefere Rotfärbung an. Ungefähr zwei Sekunden, nach dem Tatsuyas Lippen ihre Hand berührt hatten, spürte das Mädchen seine rechte Hand unter ihrem Rock, an der Hinterseite ihres Oberschenkels.

Rumiko schrei auf und verpaßte Tatsuya eine schallende Ohrfeige, bevor sie ihm die Schultasche aus der Hand riß und schnellen Schrittes zum Lost Fortress ging.
 

Tatsuya folgte ihr und versuchte Rumiko einzuholen, was ihm allerdings erst wenige Hundert Meter vor dem Wohngebäude der K.O.N. gelang.

"Warte doch, Rumiko," sagte er, als er es endlich geschafft hatte neben ihr zu stehen, "Das war doch nicht böse gemeint."

"Ich hasse dich, du perverses Schwein," knurrte Rumiko nur, ohne den Scharfschützen anzusehen. Neben der Eingangstür der ausrangierten Lagerhalle sahen die beiden eine schlanke eindeutig weibliche Gestalt. Obwohl Tatsuya und Rumiko sie nicht genau erkannten wußten sie, dass es sich um den Cyborg No. 6 handelte. Ihr fuchsroten Haare, ihr buschiger Schwanz und die Fuchsohren waren ebenso unverkennbar, wie auch ihr komplett mechanischer rechten Arm.

"Hey, Sexy Sixy! Alles klar bei dir?" rief Tatsuya, worauf er von No. 6 nur einen ausgestreckten Mittelfinger als Antwort bekam. Rumiko grinste kurz, bevor sie den Cyborg fragte: "Was machst du den hier draußen?"

"Warten," war ihre kalte Antwort, "Warten, das Kawada-san mit dem Schwachsinn aufhört."

"Osamu?" fragte Tatsuya überrascht, "Was ist den mit dem? Vollmond, oder was?" No.6 schüttelte den Kopf.

"Nein," gab sie zu verstehen, "Er macht das Essen!" Tatsuya und Rumiko schienen nicht zu verstehen, was bei dieser Tatsache No. 6's Problem war.

"Was hast du denn? Das kann er doch recht gut," meinte Rumiko.

"Was ich habe? Das kann ich dir sagen," rief der Cyborg, so aufgebracht wie sie Rumiko und Tatsuya in den drei Monaten, seit sie erbaut wurde noch nicht erlebt hatten, "Er macht Fisch! Und ich HASSE Fisch!"

Die beiden anderen schwiegen. Sie wußten, dass Fisch, in jeder Variation Osamus Lieblingsessen war und wohl das Beste, was er zubereiten konnte. Alle der K.O.N. mochten Osamus Fischgerichte... außer No. 6, wie sie jetzt merkten.

"Ähm..." meinte Rumiko, "Ich gehe jetzt rein... Ich mag Osamus Fisch und außerdem habe ich Hunger."

"Wie immer..." flüsterte Tatsuya und fing sich so noch eine Beule ein, bevor Rumiko in das Haus ging.
 

Im Wohnraum des Lost Fortress merkte Rumiko, warum No. 6, die Fisch anscheint wie die Pest hasste, es drinnen nicht aushielt. Es roch überall noch dem Bratfisch, den Osamu in der Küche zubereitete. Rumiko ging zur Küchentür und klopfte an.

"Klopf, Klopf," sagte sie, bevor sie die Küche betrat. Osamus schwarze wilde Mähne war mit einem Haargummi zusammengehalten. Er trug eine alte, verwaschene Blue Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Als Rumiko die Küche betrat, drehte er sich zu ihr um.

"Hi, wie war der Tag?" fragte Osamu mit lässiger Stimme. Rumiko zuckte mit den Schultern.

"Och, das Übliche," meinte sie und setzte sich auf einen leeren Küchenschrank. Osamu sagte nur "Aha" und wandte sich wieder dem Kochen zu.

"Bis darauf, dass mich ein geflügelter Lustmolch vom Training abgeholt hat," fügte Rumiko hinzu. Auch diese Bemerkung schien Osamu egal zu sein. Rumiko blieb noch kurz sitzen, bevor ihr langweilig wurde. Sie seufzte und sprang vom Küchenschrank hinab.

"Ich mach jetzt meine Hausaufgaben," sagte sie, bevor sie die Küche verließ.

In ihrem Zimmer warf sich das Mädchen auf ihr Bett. Die Schultasche warf sie einfach in eine Ecke und ihr Schwert hängte sie an den dafür angebrachten Griff an der Wand. Sie sollte wirklich lieber ihre Hausaufgaben mache. Ein langer Aufsatz über die Geschichte Japans, Anfang des Zwanzigsten Jahrhundert der letzten Zeitrechnung und dazu zwei Seiten Bruchrechnungen. Gelangweilt stand Rumiko auf und ging zu dem Regal, in dem ihre Mangas standen. Gelangweilt sah sie sich das Regal an. Ihr Blick fiel auf die Mangaserie "Wildrose".

"Band sechzehn müsste schon erschienen sein," dachte sich Rumiko. Sie nahm ihr Portemonnaie und zählte ihr Geld. Es reichte um sich zwei bis drei neue Mangas zu kaufen und vielleicht noch für ein gutes Mittagessen im Restaurant "Fire River". Grinsend schnappte sich Rumiko ihr Schwert und lief zu Osamu in die Küche.

"Falls Tatsuya mich sucht, ich bin in meinem Zimmer und schlafe," meinte sie.

"Okay, und was machst du wirklich?" fragte Osamu, der gerade die Soße probierte, die er zubereitet hatte. Rumiko hob ihr Schwert hoch.

"Trainieren," log sie. Osamu sah das Mädchen an.

"Ohne vorher was zu essen? Sieht dir ja gar nicht ähnlich," sagte er. Rumiko knurrte wütend.

"Überlass' das Knurren den Wölfen," meinte Osamu ruhig, "Wir wissen doch alle ganz genau, dass du gerne isst."

"Na und?" fuhr ihn Rumiko an und griff ihr Schwert fester.

"Will ja nichts gesagt haben," sagte Osamu unberührt und drehte sich wieder dem Essen zu. Rumiko schwieg. Sie wußte ganz genau, dass Osamu Recht hatte, auch wenn sie es nicht zugeben wollte.

"Oder hat dich No. 6 auch schon so weit, dass du meinen Fisch nicht mehr essen willst?" fragte Osamu.

"Was? Nein! Ich muss nur ähm... meine Wut rauslassen," behauptete das Mädchen.

"Oh, muss ja echt übel sein, was Tatsuya angestellt hat," meinte der Mann, "Was meinst du, ist die Soße gut so?" Rumiko probierte die Soße.

"Hmm, noch ein bißchen Pfeffer," meinte sie, "Aber ich geh jetzt lieber Mal!"

"Okay, aber ich warne dich," sagte Osamu ernst, "Ich heb dir was vom Essen auf." Rumiko grinste.

"Das solltest du auch tun, wenn du weißt, was besser für dich ist!"

Mit diesen Worten verschwand sie aus der Küche und ging wieder in ihr Zimmer, wobei sie darauf achtete nicht von Tatsuya gesehen zu werden. Angekommen verschloß Rumiko hinter sich die Zimmertür. Dann nahm sie sich ihre Tasche, öffnete das Fenster und kletterte nach draußen. Dann ging sie los, Richtung Stadtmitte.
 

Seit langem war Rumiko nicht mehr allein einkaufen gewesen. Früher, als ihre Eltern noch lebten, war es ihre Lieblingsbeschäftigung gewesen. Aber seit sie nun zu den K.O.N. gehörte, hatte Rumiko kaum mehr Zeit dazu. Seit ungefähr einem Monat war Rumiko nicht mehr in der Stadt gewesen. Sie wahr froh, endlich wieder allein hier zu sein.

Während das Mädchen in ihren Erinnerungen schwelgte, ging sie zu einem kleinen Mangageschäft in der Nähe, wie sie es früher immer gemacht hatte. Zu ihrer Freude bemerkte Rumiko, das der Laden nicht umgeräumt worden war und so ging sie schnurstracks durch den Laden zu einem Regal, über dem groß "KCC-Art" stand. Vor dem Regal stand ein Mädchen mit einem blauen chinesischen Kleid, das gerade einen Manga in der Hand hielt und auf der ersten Seite las, worum es ging. Rumiko beachtete sie nicht weiter und überflog mit den Augen das Regal, bis sie auf einem Rücken las: "Wildrose 16". Es war nur noch ein einziger Band da und deshalb nahm Rumiko ihn sich schnell aus dem Regal. Auf einmal fiel ihr ein Manga mit dem deutschen Titel "Schlagring". Rumiko hatte von diesem Manga noch rein gar nichts gehört, aber er war von KCC-Art. Wer oder was KCC-Art war, wußte niemand, es gab die wildesten Gerüchte um diesen Namen. Aber Rumiko war sich sicher: Es gab keinen schlechten Manga von KCC-Art. Sie nahm sich den Manga aus dem Regal. Das chinesische Mädchen neben ihr schlug ihren zu und Rumiko sah, dass es sich dabei auch um "Schlagring" handelte.

"Worum geht's?" fragte Rumiko sie. Das Mädchen sah verwirrt zu ihr und sagte:

"Äh... weiß ich nicht genau. Ich hab das Vorwort nicht ganz verstanden." dann lächelte sie und fügte hinzu: "Aber ich werde ihn mir auf jeden Fall kaufen! Was von KCC-Art ist..."

"...kann gar nicht schlecht sein," vervollständigte Rumiko grinsend den Satz. Die beiden Mädchen mussten lachen. Dann hielt die Chinesin Rumiko die Hand hin und sagte:

"Ich heiße Lin Xian."

"Sasagawa Rumiko," sagte Rumiko und schüttelte Xians Hand, "Lernst du Leute immer so schnell kennen?"

Die Chinesin grinste etwas verlegen.

"Naja, ich bin neu hier und kenne noch gar niemanden. Und weil du auch KCC-Art magst dachte ich..."

"Ja, schon okay. War ja nicht böse gemeint, war nur irgendwie verwundert," meinte Rumiko, "Ich kaufe mir jetzt die beiden hier. Wir können ja danach zusammen zu FR gehen und ein bißchen quatschen. Was meinst du?"

"FR?" erkundigte sich die junge Chinesin verwirrt.

"Fire River," sagte Rumiko, "Das ist ein Restaurant hier ganz in der Nähe. Nicht besonders groß, aber das Essen ist einfach klasse und außerdem nicht so teuer."
 

Gesagt, getan. Wenig später saßen die beiden Mädchen in dem kleinen Restaurant am Stadtrand. Rumiko hatte einen Teller Ramen bestellt und Xian aß eine Portion Oden. Dazu hatten beide eine Tasse Kirschblüten Tee. "Und, was denkst du?" fragte Rumiko, "Wer oder was steckt hinter KCC-Art?" Xian schluckte ihr Essen herunter.

"Die Drogen-Mafia," sagte sie, als wäre das die einzige Möglichkeit.

"Meinst du das ernst?"

"Naja, das ist wohl eine der wenigen Sachen, die noch nicht im Gespräch waren!" Die Chinesin grinste. Rumiko grinste ebenfalls.

"Stimmt," pflichtete sie Xian bei, "Das hat wirklich noch niemand behauptet."

"Sag ich ja!" Xian trank einen Schluck aus ihrer Tasse. "Der Tee hier ist wirklich gut," meinte sie, "Ich liebe Tee."

"Wirklich?" fragte Rumiko und ass etwas.

"Ja," meinte Xian, "Ich sammle Tee. Das habe ich wohl von meinen Eltern, die haben das auch schon gemacht."

Die beiden Mädchen saßen noch eine Weile zusammen im Restaurant, aßen und unterhielten sich. Als sie fertig waren, verabschiedeten sie sich von einander. Rumiko nannte Xian den Namen ihrer Schule und die beiden Mädchen beschlossen sich am nächsten Tag nach dem Unterricht vor der Schule zu treffen. Dann gingen sie.
 

Rumiko machte sich wieder auf den Weg zum Lost Fortress. Doch sie kam nicht weit. Kaum war sie aus dem Restaurant gegangen und in eine Seitenstraße eingebogen hörte sie eine Stimme hinter sich.

"Trainieren, hm?"

Blitzschnell zog Rumiko ihr Schwert und wirbelte herum. Hinter ihr stand Osamu, an die Wand gelehnt und wie üblich eine Zigarette im Mund.

"Osamu?" fragte Rumiko, teils erschrocken, teils wütend, "Was machst du hier?"

"Ich wollte mein suizidgefährdetes Lieblingsschulmädchen vom Training abholen," meinte der Schwarzhaarige und fügte dann hinzu: "Willst du das Ding nicht mal wieder einstecken?"

Rumiko wurde rot und schob ihr Schwert zurück in die Scheide. Osamu stieß sich mit dem Rücken von der Wand ab und ging auf das Mädchen zu.

"Warum hast du nicht die Wahrheit gesagt?" fragte er ruhig, aber eindeutig vorwurfsvoll. Rumiko wurde wütend. Was dachte er sich dabei? Durfte sie nicht machen, was sie wollte?

"Ich bin fast achtzehn! Ich kann für mich selbst entscheiden," fuhr sie Osamu an.

"Du bist ein Teil der K.O.N., Rumiko," sagte der Werwolf mit gelassener, aber ernster Stimme.

"Niemand hat mich gefragt, ob ich das sein will!" schrie Rumiko.

"Du hast es dir doch selbst ausgesucht." Immer noch war Osamu völlig ruhig. "Ich habe dich nicht dazu gezwungen. Und du weißt, ich werde dich nicht festhalten, wenn du gehen willst." Rumiko stockte.

"Aber solange du zu uns gehörst, musst du akzeptieren, dass du kein normales Mädchen bist. Du bist einer von uns. Rumiko Sasagawa, Schwertkämpferin der Knights of Night."

"Osamu," fragte Rumiko leise, "Wer sind wir eigentlich? Also, ich meine, die K.O.N.?"

Osamu seufzte. Er zog an der Zigarette, warf seine Haare in den Nacken und lächelte.

"Ich dachte schon, das wäre euch allen egal," sagte er, "Wir sind eine Gruppe von Irren, die für die Polizei die bösen Buben verkloppen, right? Aber warum sind wir die K.O.N. und nicht jemand anderes? Zufall? Schicksal? Weißt du was, Rumiko, es gibt eine Sache, die wir alle gemeinsam haben: Den Tod. Ich habe bereits getötet, bevor das hier anfing, und selbst habe ich dem Tod auch schon oft ins Auge geblickt. Das Gleiche ist auch bei Mr. Playboy so gewesen. Bei dir... muss ich ja nicht mehr erwähnen, No. 6, tja auch nur knapp dem Tod entronnen."

"Und Junichi?" fragte Rumiko neugierig.

"Schlimme Sache mit dem Kleinen. Seine erste große Liebe, sie war ein Cyborg. Vor seinen Augen wurde sie von so'n Paar Anti-Cys gekillt. Regelrecht zerstückelt haben die das Mädel. Dann sollte Junichi dran sein. Klar, war halt ihr Freund. Er hat's überlebt, hat dem Chef von den Anti-Cys mit der eigenen Machete den Schädel gespalten. Die anderen haben sich verkrümelt. Als dann wer zu dem Schlachtfeld kam, sah der das dann so: Junichi hat die beiden anderen gekillt. Und so fing Junichis Weg zu uns an," berichtete Osamu. Dann zog er an seiner Zigarette, ließ sie auf den Boden fallen und trat sie aus.

"Das... das wußte ich ja gar nicht," flüstere Rumiko.

"Nee, woher auch? Juni-chan hat's ja auch nur mir erzählt," meinte Osamu, "Tja, wir sind halt alle irgendwo Kinder des Todes. Und jetzt komm, fahren wir nach Hause. Hab das Motorrad dabei. Es wartet ein Fisch auf dich."

Stage 2 - The only Freedom

Am nächsten Morgen wartete Rumiko die ganze Zeit nur auf das Ende ihres Schultages. Die letzte Stunde hatte bereits angefangen. Englisch. Rumiko paßte nicht auf, während eine ihrer Klassenkameradinnen die Hausaufgaben vorlas. Ihren rechten Ellenbogen hatte die Schwertkämpferin auf dem Tisch gestützt und hielt ihren Kopf mit der rechten Hand, während sie mit links ein kleines Bild in ihr Heft malte. Hin und wieder warf Rumiko einen Blick aus dem Fenster auf die grauen Straßen Neotokyos. "Kinder des Todes" hatte Osamu die K.O.N. genannt. Vielleicht wäre das ein passender Name gewesen als Knights of Night. Es war ein sonniger, sehr warmer Tag.

"Viel zu warm zum Trainieren," dachte sich Rumiko. Dann grinste sie und zeichnete der kleinen SD-Figur in ihrem Englischheft ein Paar weißgefiederte Flügel.

"Sasagawa!" Rumiko zuckte zusammen und sah auf. Direkt vor ihr stand ihr Lehrer und sah sie wütend an.

"Sasagawa, die Hausaufgaben!" sagte er wütend.

"Oh, äh... ja, natürlich! Ich meine, Yes!" stotterte Rumiko. Das Mädchen stand auf und begann ihren Aufsatz zum Thema Drogen vorzulesen. Es war ein drei Seiten langer Text und Rumiko wünschte sich, sie hätte nicht Osamu um Hilfe gebeten. In diesem Moment sehnte sie sich mehr nach dem Ende der Schule, als jemals zuvor.
 

Auch wenn ihr der Rest der Stunde wie eine kleine Ewigkeit vorgekommen war, endete die Stunde für Rumiko. Sie lief sofort zu ihrem Lehrer und ließ sich ihr Schwert geben, das sie während den Stunden immer abgeben musste. Dann rannte sie die Treppen hinab durch das Gebäude, stieß einen Mitschüler um, der gerade einen Stapel Blätter unter ihrem Arm trug, und verließ die Schule. Am Tor lehnte Xian. Sie hatte wieder ihr blaues Kleid an und ihre Haare waren zu zwei Zöpfen gebunden. Ihren Kopf hatte sie abgewandt und sie schien sich mit jemanden zu unterhalten, der für Rumiko hinter der Mauer stand, die den Schulhof eingrenzte.

"Xian!" rief Rumiko glücklich und lief zu ihr. Doch kurz bevor sie die Chinesin erreicht hatte, stoppte sie. Es stimmte, Xian hatte sich wirklich mit jemanden unterhalten. Ein junger Mann, mit dunkelblonden Haaren, einem roten Kopftuch und weißen Schwingen.

"Nihao, Rumiko!" sagte Xian begeistert.

"Hy," meinte Tatsuya und lächelte.

"Tatsuya? Was machst du hier?" fragte Rumiko fassungslos.

"Na, was wohl? Dich abholen natürlich," meinte der Scharfschütze.

"Tut mir Leid, aber ich komme nicht mit," entgegnete das Mädchen scharf. Tatsuya beugte sich leicht zu Rumiko nach Vorne.

"Es wird jemanden geben, der davon gar nicht begeistert ist," sagte er leise mit zusammen gebissenen Zähnen.

"Und weißt du was? Das ist mir so was von egal!" rief Rumiko wütend, "Er weiß, was ich denke, ich habe es ihm gestern klar und deutlich gesagt! Sag ihm das!"

"Wenn du meinst..." meinte Tatsuya und zuckte mit den Schultern, "aber ich sag dir, das ist Selbstmord."

"Naja, so lang du es ihm sagst und ich nicht da bin..." Anstatt weiter zu sprechen grinste Rumiko nur. Tatsuya schüttelte den Kopf und seufzte. Dann verabschiedete er sich freundlich von Xian und ging ohne ein weiteres Wort an Rumiko. Diese seufzte kurz und drehte sich dann zu der Chinesin.

"Tut mir Leid," meinte Rumiko verlegen grinsend.

"Ach, ist doch schon okay," winkte Xian ab. Dann gingen die beiden Mädchen neben einander los.

"Wo gehst du eigentlich zur Schule?" fragte Rumiko.

"Gar nicht", gab Xian als Antwort, "Ich bekomme Privatunterricht."

"Du hast's gut," meinte das andere Mädchen seufzend.

"Ich weiß nicht," murmelte die Chinesin und fügte dann mit normaler Stimme hinzu:

"Rumiko, hast du dich wegen mir mit deinem Freund gestritten?"

"Mein WAS?" Rumiko blieb stehen und sah Xian fassungslos an, "Tatsuya? Er ist nicht mein... hat er etwa gesagt... Den bring ich um!"

"Nein, nein, er hat das nicht gesagt," meinte ihre Freundin schnell, "Ich dachte nur, er wollte dich abholen, und verwand seid ihr ja auch nicht..." Die Chinesin errötete.

"Tut mir leid," sagte sie. Rumiko seufzte und ließ ihren Kopf nach vorne fallen. Dann sah sie wieder auf und lächelte Xian an.

"Ist schon okay," meinte das Mädchen freundlich und ging wieder weiter neben Xian her, "Ich dachte nur, er würde irgendwelche Lügen über uns verbreiten. Er ist nicht mein Freund, nur... nur ein Freund. Verstehst du?" Xian nickte.

"Er ist sehr nett," flüsterte sie mit gesenktem Gesicht.

"Nett?" erkundigte sich Rumiko, "Reden wir hier vom selben Tatsuya? Also da sieht an, dass du ihn gar nicht richtig kennst! Er ist ein schrecklicher Macho. Und ich hasse Machos."

"Ich weiß nicht," flüsterte Xian. Dann atmete sie durch und sprach wieder mit normaler Stimme: "Und was lässt du jetzt wegen mir ausfallen? Ich meine, wo wolltet ihr jetzt hin?"

"Nur nach Hause," meinte Rumiko nebensächlich.

"Sind deine Eltern sehr streng? Ich meine, das klang ja ebenso als dürfest du nicht..."

"Meine Eltern sind tot," unterbrach sie ihre Freundin.

"Was?" rief Xian erstaunt und sprach dann wieder ruhiger weiter: "Also, es tut mir natürlich Leid. Ich meine nur... also... na ja, ich bin auch Waise."
 

"Ich sehe dich," flüsterte Osamu mit ruhiger, bedrohlicher Stimme, in der ein triumphierender Ton lag.

"Ach ja?" entgegnete Junichi, "Und wo..."

"Du entkommst mir nicht," fügte Osamu mit der immer noch gleichen Stimmlage hinzu. Schüsse waren zu hören, dann ein erstickter Schrei.

"Player Three killed!" hörte man eine männliche Stimme aus dem Lautsprecher.

"Fast hätte ich ihn," meinte Osamu und ließ das Kontroll-pad, das er in den Händen hielt, sinken, "Vielen Dank, Mädel"

Osamu, Junichi und No. 6 saßen zusammen aus dem Boden von Junichis Zimmer vor dem Fernseher. Jeder von ihnen hielt ein Kontroll-pad in der Hand, während auf dem Bildschirm ein Egoshooter zu sehen war.

"He, he, No. 6 und ich sind halt ein klasse Team," meinte Junichi grinsend, aber ohne seine Augen vom Fernsehbildschirm abzuwenden.

Erneut waren die Schüsse und ein weiterer Schrei aus den Lautsprechern zu hören.

"Player One killed!" verkündete die Stimme, "Player Two wins!"

Junichi sah irritiert auf das Pad in seinen Händen, dann auf den Bildschirm und als nächstes zu No. 6, die lächelnd neben ihm saß.

"Ja, ein tolles Team seid ihr," grinste Osamu.

"Tut mir Leid, Junichi," sagte der Cyborg zu dem Jungen, der sie immer noch entgeistert ansah, "Aber Ziel dieses Spiel ist es zu gewinnen."

No. 6, die auf dem Boden saß, krabbelte auf allen Vieren zu Junichi und küsste ihn auf die Stirn. Der Junge legte seine Arme um ihren Hals, seine Hände in ihrem Nacken und begann die Cyborgfrau sanft zu kraulen. No. 6 entwich aus der Umarmung, rollte sich neben Junichi zusammen und legte ihren Kopf auf deinen Schoß, damit er sie weiter kraulen konnte. Als er das tat, schloß sie die Augen und lächelte zufrieden. Osamu schüttelte den Kopf.

"Junichi und sein Cyborg," meinte er. Dann stand er auf, streckte sich und nahm sich eine Zigarette aus der Packung.

"Ich lass euch beiden dann wohl besser alleine," sagte er und entzündete die Zigarette, "oder darf ich eine Revanche fordern?"

Junichi blickte No. 6 an und auch sie sah zu ihm hinauf. Dann sagten beide wie aus einem Mund: "Okay!"

No. 6 rappelte sich auf und setzte sich zwischen Osamu und Junichi.

Gerade als die drei dabei waren ihre Spieler und Waffen zu wählen, hörten sie die Tür zum Lost Fortress. Es war Tatsuya, der wieder angekommen war. Niemand achtete sonderlich darauf, denn sie kannten Tatsuya gut genug, um zu wissen, dass er früher oder später sowieso in Junichis Zimmer kommen würde, um den anderen beim Spielen zuzusehen und blöde Bemerkungen zu machen. Inzwischen hatten Junichi, No. 6 und Osamu ihre Wahlen getroffen. Gerade als das Bild der düsteren, großen Lagerhalle sich aufgebaut hatte, betrat Tatsuya den Raum.

"Hey, Tatsuya," sagte Osamu ohne ihn anzusehen, "Nicht dabei Rumiko zu belästigen? Was ist den heute mit dir los?"

"Sagen wir's so..." antwortet Tatsuya, ging hinter den drei Zockenden vorbei und ließ sich quer auf Junichis Bett fallen, so dass seine Füße noch auf dem Boden standen. "Ich hatte keine Lust ihr Schwert in meinem Hals zu haben."

Osamu ließ das Kontrol-Pad sinken.

"Sie ist nicht mitgekommen?" fragte er und in der Kälte seiner Stimme war ein bedrohlicher Unterton.

Eine kurze Zeit breitete sich etwas Unbehagliches, fast sogar Gefährliches in dem Raum aus.

"Was ist daran so schlimm?" erkundigte sich No. 6, " Ich meine, warum sollte Rumiko nach der Schule sofort hier her zurück kommen?"

"War diese Chinesin bei ihr?" fragte Osamu Tatsuya ohne auf die Frage von No. 6 zu achten.

"Hm? Ach, du meinst Xian," meinte der Gefragte.

"Das ist wohl ein ja..."

Osamu stand auf, zog an der Zigarette und drehte sich zur Tür. Den Rücken den Anderen zugewand sagte er: "Zu eurer eigenen Sicherheit solltet ihr mich jetzt erst einmal nicht stören..."

Mit diesen Worten verließ er den Raum.

Tatsuya sah ihm ohne aufzustehen hinterher.

"Was hat der denn?" fragte er, nachdem Osamu den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte.

"Ein Wolf sieht es nicht gerne, wenn jemand in sein Rudel eindringt", meinte No. 6 mit einer leicht ironischen Stimmlage.

"Denkt ihr, Osamu will einfach nicht, das wir andere Leute kennenlernen?" fragte Junichi misstrauisch.

"Scheint so", antwortete No. 6 mit einem verächtlichen schnauben, doch Tatsuya setzte sich nun auf und schüttelte den Kopf.

"Ich glaube nicht, das er uns hier einsperren will. Wölfe sind frei, sie hassen Käfige", erklärte Tatsuya, doch dann fügte er nachdenklich und wie zu sich selbst hinzu: "Und doch würde kein Wolf jemanden aus seinem Rudel ziehen lassen."

"Ich würde sagen, er wird einfach zu machtsüchtig", meinte No. 6 und stand auf.

"Hey, Sixy, du kennst den guten, alten Osamu nicht so gut wie ich! Er würde nie hier den Chef markieren," entgegnete Tatsuya. Dann ließ er sich wieder auf das Bett fallen.

"Ach? Und was soll das mit Rumiko?" fragte No. 6 scharf. Dann begann sie mit ihrer linken Hand an ihrer mechanischen Rechten herum zu drehen.

"Ich bin sicher, er weiß was er tut," meinte Tatsuya.

Ein leises Klicken des Handgelenkes von No. 6 war zu hören.

Junichi drehte sich erschrocken zu der Cyborg-Frau, die hinter ihm stand, und bemerkte wie sie nach hinten umkippte.

"NEIN! NO. 6!!" schrie er und stürzte zu ihr.

Tatsuya setzte sich hin und sah wie Junichi neben der anscheint ohnmächtigen No. 6 kniete und ihre rechte Hand in seinen Händen hielt.

"Was is'n jetzt passiert?" fragte der Scharfschütze verdutzt.

"Sie... sie hat sich kurz geschlossen..." meinte Junichi mit Tränen in den Augen.

Für einige Sekunden schwieg Tatsuya, dann zeigte sich ein Grinsen auf seinen Lippen. Junichi wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und schluckte. Dann starrte er Tatsuya wütend an.

"Grins nicht so blöd, hilf mir lieber sie auf's Bett zu legen!" fauchte er.

"Na na", meinte Tatsuya und stand auf, ging zu Junichi und No.6 und kniete sich zu ihnen.

"Hat sie das mit Absicht gemacht?" fragte er, als er das friedliche Gesicht mit den geschlossenen Augen sah.

Junichi zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht," sagte er kurz.

Zusammen trugen Tatsuya und Junichi den bewegungslosen Cyborg auf das Bett. Der 16jährige setzte sich neben sie und öffnete den Verschluss ihres Tops, der hinter ihrem Hals war. Tatsuya hatte sich ebenfalls hingesetztet und sah Junichi aufmerksam zu.

"Du kannst gehen", sagte Junichi mit einer befehlenden Stimme.

"Ich bin sicher, du brauchst meine Hilfe noch", meinte Tatsuya mit breitem Grinsen, "Du begibst dich nämlich gerade auf mein Fachgebiet!"

"Verschwinde!" schrie Junichi.

Seufzend stand Tatsuya auf. "Ich geh ja schon," meinte er und verließ das Zimmer. Auf dem Weg hinaus sagte Tatsuya: "Ich kann Junichi nicht verarschen und Rumiko nicht auf die Nerven gehen! Aaach, solche Tage hasse ich!" Dann ging er in sein Zimmer, holte sein Präzisonisgewehr und verließ das Lost Fortress.
 

"Salina und Nobu? Nee, dann doch eher Kirigawa!"

Rumiko und Xian saßen sich gegenüber in einer Eisdiele, die sich auf dem Dach eines großen Einkaufsgebäudes Neo Tokyos befand. In dem warmen Licht der Sommersonne sah die ganze Stadt friedlich und unbekümmert aus. Ganz so, als gäbe es keine Untergrundorganisationen, keine Drogenmafia und keine erbitterten Straßenschlachten, die nicht selten sogar mit dem Tod endeten. Xian rührte mit einem kleinen Löffel ihren Capuccino um und trank einen Schluck, bevor sie antwortete.

"Warum? Ich finde die beiden passen gut zusammen. Kirigawa ist doch sowieso schon so gut wie tot!"

Rumiko sah Xian in die Augen, welche daraufhin lächelte.

"Kirigawa ist nicht so gut wie tot! Kirigawa ist viel zu cool und gutaussehend um schon zu sterben!" entgegenete Rumiko, "Und außerdem, bin ich sicher, dass Kirigawa der eigentliche Besitzer der Wildrose ist!"

Xian trank einen weiteren Schluck, dann sah sie lächelnd in Rumikos Gesicht.

"Na, da hat jemand Band Neun aber nicht gründlich gelesen!"

"Band Neun? Hmm, ach du meinst den Kampf von Kraft und Go-chan? Naja... vielleicht hat sie auch was damit zu tun", gab Rumiko zu und löffelte sich etwas Eis aus ihrem Eisbecher.

"Go-chan ist die Wildrose! Ganz sicher", sagte Xian.

"Nie im Leben! Wenn das so ist, dann kommen Salina und Kraft im nächsten Band zusammen zu den Ruinen von Firuelingo und... hmmm..." meinte Rumiko und dachte kurz nach, bevor sie grinsend hinzu fügte: "... und treffen da KCC-Art persönlich!"

Dann lachten die beiden Mädchen. Der Tag schien wie in einem Bilderbuch zu sein. Eins der alten Bilderbücher, in denen noch nicht immer alle Probleme der Gesellschaft offengelegt wurden. Es kam beiden vor, als wären sie gar nicht mehr in diesem Neo Tokyo, dieser Stadt der Gewalt, der Intoleranz, des Hasses. Es war, als wären sie in die Welt ihrer Mangas eingetaucht. Eine Welt, in der man Gut und Böse noch unterscheiden konnte und in der die Guten gewannen, zumindest meistens.

Da betrat ein Junge, etwa achtzehn Jahre alt, das Dach. Sofort heften sich Rumikos und Xians Blicke an ihn. Er hatte Schwarze Haare und die Hälfte seines Ponies war sehr hell blondiert. Er hatte eine schwarze Sonnenbrille auf und trug trotz der Hitze einen langen, schwarzen Mantel. Unter dem Mantel trug er ein dunkelblaues T-Shirt mit aufgedrucktem Tigerkopf und eine graue Hose. Eine Bedienung kam zu ihm um seine Bestellung anzunehmen. Er bestellte etwas und die Bedienung ging wieder davon. Rumiko und Xian sahen sich nur kurz an und schon wußten beide, das der andern dieser Junge genauso gut gefiel. Die Mädchen grinsten nur kurz und sahen wieder zu ihm. Er sah sich kurz um, als hätte er Angst, jemand könne ihn verfolgen. Als er sich versichert hatte, das dies nicht der Fall war, nahm der seine Sonnenbrille ab und schob sie hoch in seine Haare. Noch einmal sah er sich um und warf dabei auch einen Blick zu Rumiko und Xian. Als die beiden Mädchen seine Augen sahen, erstarrten sie. Es waren Cyberaugen. Der eigentlich weiße Anteil war schwarz, die Iris war metallisch grau und die Pupillen leuchteten rot.

Als er sich endgültig sicher war, das es für ihn sicher war legte er seinen Mantel ab.Sein T-Shirt war ärmellos und an den Armlöchern ausgefranst. Um seinen linken Oberarm schlangen sie drei dicke Kabel, die an seiner Schulter entsprangen und etwa an seinem Ellenbogen wieder unter seiner Haut verliefen. Sein rechter Ellenbogen war ein Metallscharnier, das mit einem roten Tuch umwickelt war. Wahrscheinlicher war er ein Straßenkämpfer, kämpfte entweder für Geld, Drogen, einfach nur aus Spaß oder um zu überleben. Einer seiner Freunde, aus der Gruppe, mit der er durch die finsteren Gassen Neo Tokyos ging, hatte ihn wahrscheinlich wieder zusammen geflickt. Und dieser Verletzungen stammten sicher von verschiedenen Kämpfen. Als Rumiko darüber nachdachte, erinnerte sie sich an Osamu, der auch einer dieser Straßenkämpfer gewesen war. Früher.

"Er ist ein Cyborg" flüsterte Xian.

Dieser Satz von ihrer Freundin riss Rumiko in aus ihren Gedanken. Sie nickte nun und sagte leise: "Ja, und Straßenkämpfer... vermutlich."

"Er... er tut mir irgendwie Leid..." murmelte die Chinesin.

"Warum?" fragte Rumiko mit immernoch gedämpfter Stimme, "Weil er Cyborg ist, oder weil er Straßenkämpfer ist?"

Xian zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht... beides, glaub ich..."

"Ich kenne jemanden, der Cyborg ist. Sie kommt damit ziemlich gut zu Recht. Ich kenne aber auch andere Cyborg. Killermaschinen, verstehst du? Ihr einziger Lebenssinn ist kämpfen, töten und... naja, eigentlich nicht und, kämpfen und töten halt. Aber solche Cyborgs sind zu teuer für einfache Straßenkämpfer, also glaube ich, dass er nicht so einer ist. Man sieht aber, dass er nicht von einem professionellen Cyborgenchaniker gebaut wurde. Vielleicht hat er sich sogar freiwillig vercybern lassen... um stärker zu werden... oder für Geld, als Versuchskaninchen. Aber ich will ja keine Leute beurteilen, die ich nicht kenne."

Xian antwortete nicht auf Rumikos Ausführung und so fügte diese noch dazu: "Aber, es stimmt schon, als Cyborg hat man's in Neo Tokyo nicht immer einfach..."

"Du weißt wirklich sehr viel darüber," meinte Xian bewundernd.

Rumiko zuckte mit den Schultern. "Ich wohne mit einem Cyborg und einem Mechaniker zusammen in einer Art WG. Da erfährt man sowas halt... ob man will oder nicht."

Dann wandte sie sich wieder ihrem in der Wärme der Sommersonne schmelzenden Eis zu und ass weiter davon.

"Ich beneide dich, Rumiko!"

"Hm?" Rumiko sah auf, ihren Eislöffel im Mund.

"Naja, du lebst zusammen mit Mechanikern, Cyborgs... und Tatsuya, Du besuchst eine öffentliche Schule, du trägst immer dein Schwert mit dir herum... Du bist schlau und hast bestimmt viele Freunde!"

"Sag das nicht, Xian!" meinte Rumiko ernst, "Freunde habe ich nur die, mit denen ich lebe und dich... und auch die anderen Sachen, die du beneidest würde ich am liebsten gegen ein... normales Leben enttauschen. Doch ich kann es nicht ändern, ich bin dazu verdammt so zu leben. Aber ich weiß, dass ich nichts dafür kann, dass ich nicht gefragt wurde... und das ist für mich die Einzige Freiheit..."

"Rumiko..." flüsterte Xian, "Es... es tut mir Leid... ich..."

Rumiko lächelte ihre Freundin an. "Kein Problem, du wußtest es ja nicht! Du kennst mein Leben nicht!"

Die beiden Mädchen sprachen nicht mehr über dieses Thema. Xian trank ihren Cappoccino zu Ende und Rumiko ass das Eis. Dann verabschiedeten sie sich voneinander und Xian verließ das Dachcafé. Rumiko blieb noch sitzen. Erneut sah sie zu dem Cyborg, der inzwischen beddient worden war. Das Mädchen erinnerte sich an einen Satz, den Osamu einmal gesagt hatte:

"Für einen Straßenkämpfer ist jeder Tag der Letzte... bis er stirbt." Dann hatte Osamu sie angesehen und sein typisches, müdes aber aufrichtiges Lächeln gezeigt und hinzu gefügt: "Oder bis er die KON gründet!"

Stage 3 - The Innocent Wings of Guilt

Während die beiden Freundinnen noch im Café saßen und sich über die Mangas unterhielten, war Tatsuya auf einem alten Militärtrainigsgelände nicht weit außerhalb von Neo Tokyo angekommen. Das Lager war nun seid sieben Jahren geschloßen. Hier hatte Tatsuya seine ersten drei Jahre des Militärtrainings absolviert. Diese drei Jahre, die zur Grundlage seines Lebens wurden. Seine Karriere als Soldat, als Scharfschütze und jetzt als Gesetzloser bei den KON... alles das hatte einmal hier begonnen und noch imme kam Tatsuya oft zum Trainieren

hier her, obwohl der Zutritt eigentlich streng verboten war. Dennoch kehrte er zurück an den Ort, der für ihn den Ausschluß aus den KON und somit den Tod bedeuten konnte. Das Gebiet war von einem hohen Stacheldrahtzaun eingekreist, der jedoch für den geflügelten Scarfschützen kein Problem war. Die Gebäude auf dem Gelände waren größten Teils aus Sicherheits gründen abgerissen worden und nun zierten Graffitis, die hauptsächlich Kritik an der Politik aussagten oder die Zeichen verschiedener Straßenbanden Neo Tokyos zeigten, die Trümmer. Tatsuya kannte sich hier bestens aus und wußte genau, wo er hin wollte. Sein Ziel waren die Reste der Halle, in der er zum Scharfschützen ausgebildet worden war.

Dort angekommen, ließ er sich in der vertrockneten Krone eines umgestürzten Baumes nieder, der neben den Trümmern der Halle lag. Dann nahm er seine Waffe und lud sie mit Übungsmunition. Tatsuya drehte sich nun der Halle zu. An der 150 Meter entfernten, hinteren Wand, oder dem, was davon noch übrig war, befand sich ein ein grünes Auge, durch das sich ein purpurroter, flammenden Blitz zog. Das Logo einer Gang. Daneben stand in schwarzer Schrift: "Blame God for sending us."

Tatsuya kniete nieder. sein Ziel war ein Einschußloch in der Mitte des Grafittis, das er selbst einmal geschossen hatte. Langsam und behutsam faltete Tatsuya seine Flügel über den Rücken, wobei er versuchte möglichts wenige Zweige des Baumes zu streifen. Ruhig atmend wanderte sein Blick zu dem Graffitti. Das Fadenkreuz zitterte nur leicht, während der Scharfschütze es aus das Ziel richtete. Angst hatte er nicht, nervös war er längst nicht mehr. Dennoch hatten seine Hände ein leichtes Zittern. Tatsuya verlangsamte seine Atemung. Ein leichter Windstoß ließ das trockene Laub um den Scharfschützen herum rascheln und Tatsuya zögerte.

"Was ist denn mit dir heute los?" fragte er sich selbst tonlos, "Warum schießt du nicht einfach? Das kannst du doch."

Ein Schuß. Der Hall klang nicht lange nach, dazu gab es zu wenig Möglichkeiten ihn zurück zu werfen. Tatsuya stand auf und breitete seine Flügel aus. Dann sah er sich kurz um, bevor er zu dem Graffitti, seiner Zielscheibe, ging. Er hatte getroffen, wenn auch nicht ganz so sehr in die Mitte, wie er es sich gewünscht hätte. Der Schuß war knapp ein, zwei Millimeter unter dem letzten gelandet. Tatsuya seufzte und schlug mit zwei Mal mit den Flügeln, um sich auf das letzte Stück der Wand zu setzen. Wenn jemand auf das abgesperrte Gelände kam, hätte er den Scharfscützen sofort sehen können, der dort saß, mit seiner Waffe, wie ein Geist aus der Zeit, als dieses Lager noch in Betrieb war. Doch Angst hatte Tatsuya nicht. Er wußte, dass es für jeden Anderen hier genau so gefährlich war sich hier zu zeigen. Außer er wäre von der Polizei... ein Wächter des Geländes... Aber wenn dies der Fall wäre, würde Tatsuya schon dafür sorgen, dass er niemandem von diesem Treffen erzählen würde.

Die Gedanken in Tatsuyas Kopf überschlugen sich. Er erinnerte sich an den Moment, als er Xian gesehen hatte. Die junge Chinesin stand an die Schulmauer gelehnt und wartete. Dass sie auf Rumiko wartete hätte Tatsuya nie gedacht. Hin und wieder warf das Mädchen einen erwartungsvollen Blick auf den Schulhof. Ihr blaues Kleid schimmerte im Licht der Sonne. Kein einziger Mensch außer ihr war zu sehen. Natürlich zog dieses junge Mädchen Tatsuyas Augen auf sich. Das seitlich offene Kleid lenkte die Blicke des Scharfschützen auf ihre glatten, hellen Oberschenkel. Langsam schlenderte er zu der Chinesin und lehnte sich neben ihr an die Mauer.

"Hi," sagte Tatsuya und setzte sein übliches Flirt-Lächeln auf.

Xian zuckte kurz zusammen. Anscheint hatte sie ihn gerade erst bemerkt. Kurz blickte sie ihn mit ihren dunkeln, fast schwarzen Augen verwirrt an, doch dann legte sich auch in die sanften Züge der jungen Chinesin ein zartes Lächeln.

"Hallo," antwortete sie.

In seinem Kopf hatte Tatsuya seine Liste an Flirtsprüchen durchgesehen, doch fand er nichts, was in dieser Situation passend gewesen wäre. Doch er hatte nichts gefunden. Diese Mädchen war anders als alle, die er kannte.

"Müsstest du nicht da drinnen sein?" fragte der Scharfschütze und machte eine lässige Kopfbewegung zur Schule hin.

Xian schüttelte ernergisch den Kopf und ihre Zöpfe flogen im Wind.

"Nein, ich gehe nicht auf diese Schule," erklärte sie, "Ich warte auf jemanden."

Mit diesen Worten, schien es für Tatsuya klar, dass sie auf ihren Freund wartete. Das hieß für ihn, die Zeit drängte, wenn er keinen Ärger bekommen wollte.

"Wie heißt du eigentlich, Kleine?" fragte er und beugte sich zu der Chinesin vor.

"Ich heiße Lin Xian," stellte sich Xian mit einer Verbeugung vor, "Und du?"

"Kanai Tatsuya," antwortete Tatsuya lächelnd, "Dein Name ist schön. Das passt. Ein schöner Name für ein hübsches Mädchen."

Xian lächelte ein wenig verlegen und der Scharfschütze fügte als Absicherung hinzu: "Dein Freund kann glücklich sein!"

"Mein... oh, ich habe keinen Freund," stammelte das Mädchen schüchtern und sah verlegen zu Boden.

Tatsuya war erstaunt, aber auch erleichtert. Das verschaffte ihm mehr Zeit um Xian wenigstens zu einem Kuß zu überreden.

"So ein zauberhaftes Mädchen und hast noch keinen Freund?" fragte er, "Und auf wen, wenn man fragen darf, wartest du?"

"Auf eine Freundin," lächelte Xian glücklich, "Sasagawa Rumiko."

Jetzt war Tatsuya endgültig verwirrt.

"Sasagawa... Rumiko?" erkundigte er sich, "Etwa so groß wie du, dunkelbraune Haare und schleppt immer ihr Schwert mit sich rum?"

"Ja." Xian nickte erstaunt, "Du kennst sie?"

Tatsuya grinste. "Ob du's glaubst, oder nicht: Wir warten auf die gleiche Person."

Dann unterhielten sie sich über dies und das. Neo Tokyo, in dem Xian neu war; Faunoiden - Tiermenschen, wie Tatsuya es war; das Wetter und Schule. Bis dann Rumiko kam...

Tatsuya seufzte. Der Wind strich durch seine Flügel, während er auf der Mauer saß und nachdachte. Xian war nett und hübsch. Und außerdem Rumikos Freundin, was Tatsuya gut gefiel, denn so würde er sie öfters sehen. Aber was war mit Osamu? Weshalb wollte er nicht, das Rumiko sich mit Xian traf? Hatte vielleicht No. 6 sogar Recht und Osamu wurde zu machtsüchtig? Nein, das konnte Tatsuya nicht glauben. Es musste doch noch einen anderen Grund geben... Vielleicht war doch bald Vollmond und das war alles. In diesm Moment riß eine leise Stimme Tatsuya aus den Gedanken. Der Scharfschütze sprang von der Mauer und nahm seine Waffe. Das Fadenkreuz wanderte suchend am Horizont entlang. Ein Gesang... leise und eine andere Sprache... Chinesisch? Es war eine Mädchenstimme... Tatsuya zuckte zusammen. Xian? Hier? Nein, das konnte nicht sein. Oder... Die Stimme näherte sich. Dann sah er sie. Das blaue Kleid, auf dem das Licht der Sonne reflektierte, die sanften Beine, die jeder Schritt erneut freilegte, die geflochtenen Zöpfe... Xian. Verwirrt setzte Tasuya seine Waffe ab. Was machte die Chinesin hier? Er zögerte. Was sollte er tun? Zu ihr gehen, sie ansprechen? Oder sich versteckt halten? Tatsuya entschied sich für zweiteres. Er durfte kein Risiko eingehen, denn selbst das junge Mädchen konnte seinen Tod bedeuten. Er nahm die Waffe wieder vor sein Gesicht und zielte auf das Mädchen. Wenn sie ihn entdecken würde, hätte er keine andere Möglichkeit als zu schießen.

"Warum, Xian?" fragte er im Gedanken.

Plötzlich stoppte das Mädchen und sah sich nervös um.

"Hallo?"fragte sie vorsichtig.

Sie hatte ihn entdeckt? Wie war das möglich? Tatsuya war ein Experte, wenn es darum ging sich zu verstecken und unauffällig zu verhalten, geduldig zu sein und seine Opfer aus dem Hinterhalt zu erschießen. Wie konnte Xian, ein einfaches Mädchen, ihn bemerkt haben? Tatsuyas Hände begannen zu zittern.

"Reiß dich zusammen!" sagte er im Gedanken zu sich selbst, "Du kennst sie doch gar nicht. Und vielleicht sieht sie dich gar nicht."

Doch Tatsuya wußte, dass das nicht stimmte. Sie würde ihn sehen und er musste jetzt schießen, denn wenn er ihr Gesicht sehen würde, würde er es nicht mehr übers Herz bringen. Zu spät.

"Ta... Tasuya?" Die junge Chinesin sah den Scharfschützen erschrocken an. Sie zitterte und ihre Augen waren aufgerissen. Tatsuya zuckte zusammen.

"Hoffentlich ist sie wenigstens vernünftig," dachte er sich und legte die Waffe nieder. Dann stand Tatsuya auf.

"Hi!" meinte er und lächelte das verwirrte und verängstigte Mädchen an, "Auch hier?"

Langsam schien sich Xian wieder zu beruhigen, aber sie zitterte immernoch als sie Tatsuya als Antwort zunickte.

"Ich hoffe, du weißt, dass dieser Ort streng verboten ist." Auch als der Scharfschütze das sagte lächelte er, was ziemlich paradox aussah. "Als Soldat darf ich hier sein... aber soweit ich weiß, hast du keine Erlaubnis dich hier aufzhalten."

"Du... Oh, Tatsuya, bitte... bitte... du darfst niemandem davon erzählen!" Xians Angst war in Verzweiflung umgeschlagen. Eine Träne glitzerte in ihrem Auge.

Tatsuya zögerte. Er hatte Xians Leben in der Hand. Sie wußte nicht, dass es für ihn den Tod bedeuten würde, wenn sie ihn verraten würde. Das Einzige, was sie wußte, dass sie eine Strafe bekommen würde. Er konnte nun alles mit ihr machen... Er könnte...

Tatsuya schüttelte den Kopf.

"Nein, Xian," sagte er mit seinem Lächeln, "Ich verrate dich nicht! Einem so süßes Mädchen wie dir darf doch nichts getan werden!"

Kaum hatte Tatsuya diesen Satz gesagt, breitete sich ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht der jungen Chinesin aus.

"Domo Arriato!", rief Xian, "Vielen, vielen Dank, Tatsuya!"

Mit einer einzigen, schnellen Bewegung sprang sie zu Tatsuya und warf ihre Arme um seinen Hals. Der Scharfschütze zuckte überrascht zusammen, aber nur kurz, dann lächelte er wieder und legte seine Arme um den schmallen, warmen Mädchenkörper. Xian so nah zu spühren hatte er sich schließlich gewünscht...

Langsam ließ Tatsuya seine rechte Hand über den glatten, seidigen Stoff des chinesischen Kleides fahren, hinab zu Xians freiliegenden Oberschenkel. Er spürte ihre warme, weiche Haut unter seinen Fingern und Xian zarte Hände in seinem Nacken. Jetzt zögerte Tatsuya. Wieso tat die Chinesin nichts? Hatte sie nichts dagegen, das er ihr so nah kam?

Als könne sie Gedanken lesen, sah Xian genau in diesem Moment zu Tatsuya hoch. Der Scharfschütze blickte in die dunklen, schönen Auen des Mädchens. Er war nicht in der Lage den Blick zu deuten und war sich auch gar nicht sicher ob der das wollte. Ohne eine Sekunde darüber nachzudenken, küsste Tatsuya die junge Chinesin auf die zarten Lippen... Und Xian küsste ihn zurück...
 

"Was soll ich nur mit dir machen?" meinte Junichi seufzend.

No. 6 lag bewusstlos auf seinem Bett. Ihr Top und ihre Handschuhe hatte der Junge ihr ausgezogen und ihr Cyberimplantat, das sich an ihrem Brustbein befand, hatte Junichi zum Teil aufgeschraubt. Die Augen des Cyborg waren geschlossen und nur ein schwaches Atmen verriet, dass No. 6 überhaupt noch am Leben war. Aus dem offenen Implantat auf ihrer Brust sickerte ein rotes Rinnsal des HTB, High Technology Blood, der Flüßigkeit, welche das Blut eines Cyborgs war. Junichi warf immer wieder besorgte Blicke zu No. 6, während er damit beschäftigt war an einem herrausgenommenen Stück des Implantats herum zu schrauben. Seine Hände waren vom HTB rotgefärbt und seine Augen waren gerötet von den längst getrockneten Tränen. Seine Mütze hatte Junichi ausnahmsweise abgesetzt, ihm war heiß. Er schraubt das Metallteil nun wieder zusammen und war bereit es wieder an No. 6 einzubauen.

"Meine Schöne, du musst jetzt stark sein," flüsterte er dem Cyborg zu, "Ich bin mir sicher, es wird ziemlich weh tun."

Vorsichtig schob er etwas Gewebe, das zum Teil über dem Implantat lag, zur Seite und schob das bearbeitete Metallteil unter No. 6's Haut. Die Lippen des Cyborg zogen sich zusammen und No. 6 ließ ein leichtes Stöhnen hören. Mit besorgtem Blick sah Junichi in das Gesicht des Cyborgs.

"Ganz ruhig, No. 6," flüsterte er, "Gleich geht es dir wieder besser."

Dann nahm der Junge einen Schraubenzieher und begann das Implantat fest zu schrauben. Nun atmete No.6 stoßartig und Schweiß trat auf ihre Strin. Ein schwaches Stöhnen entfuhr ihr. Junichis Blick wurde angestrengter und neben der Schraube, die sich immerweiter in das Implantat drehte, trat HTB hervor. Mit dem Handrücken seiner rechten Hand wischte sich Junichi über die Stirn. Nachdem er das Implantat festgeschraubt hatte, sah der junge Techniker dem Cyborg in das schöne, aber schmerzverzehrte Gesicht.

"Ich weiß, dass das sicher schrecklich war,"flüsterte er mich heiserer Stimme, "Aber es ist bald vorbei... hoffe ich."

Dann nahm Junichi ein großes silbernes Pflaster, das stark magnetisch geladen war, und klebte es über das reparierte Implantat. Nachdem er überprüft hatte, ob es richtig saß, nahm er No.6's Cyberhand und drehte sie mit wenigen kurzen, aber kräftigen Bewegungen.

Plötzlich schlug No.6 ihre Augen auf und schrie laut und schrill auf. Die Tränen floßen in Strömen aus ihrem rechten Auge.

"Ganz ruhig, Schöne, beruhig dich!" versuchte Junichi den Cyborg zu beschwichtigen. No. 6 jedoch konnte ihre Gefühle, ihre Angst, ihren Schmerz, nicht verbergen. Sie warf ihre Arme um Junichi und weinte.

"Ju... Junichi..." schluchzte sie unter Tränen, "Es... es... Ich habe... habe alles gespürt... konnte mich nur nicht bewegen... es... war..."

"Ich weiß. Du musst nichts sagen, No. 6" meinte Junichi leise. Der Junge hatte seine Arme um den schmalen, nackten Oberkörper des Cyborgs gelegt. und strich mit seinen HTB-beschmierten Händen über No. 6's weichen Rücken.

"Es tut mir Leid, es war meine Schuld," fügte Junichi flüsternd, beschämt hinzu, "Ich hätte die Hauptstrom Leitung anders mit dem HTB Versorgungsnetz verbinden sollen. Ich hätte keine empflindlichen Teile an dein Handgelenk bauen sollen... Es tut mir so Leid." Und wieder traten ihm Tränen in die Augen.

Eine Weile blieben sie so sitzen, engumschlungen, beide weinend. Dann langsam, sehr langsam beruhigten sich die Beiden und lösten sich von einander. No. 6 verwischte ihre Tränen mit der linken Hand un blickte ihren Techniker an. Mit ihrer rechten, meschanischen Hand strich sie durch sanft seine Haare, die so oft unter der Mütze versteckt waren.

"Ich mag deine Haare," flüsterte sie.

Junichi lächelte. Dann nahm er No.6's linke Hand und legte sie auf das magnetische Pflaster.

"Hier muss ich dir wieder eine Hautschicht drüber wachsen lassen," meinte der Junge leise, denn für ihn war der Cyborg noch nicht außer Gefahr, "Und an deiner Hand muss ich auch noch was machen, bevor so etwas wieder passiert. Vielleicht ein Paar magnetische Streifen in dem Handschuh..."

No. 6 wollte davon nichts hören. Sie hatte ihre linke Hand von dem Pflaster genommen und sie sanft auf Junichis Mund gelegt.

"Nicht jetzt, Junichi," bat sie flüsternd. Und noch bevor Junichi widersprechen konnte hatte sie ihre sanften Lippen auf seinen gelegt. Die rechte Hand hatte der Cyborg in Junichis Nacken gelegt und das Halstuch gelöst. Junichi lächelte.

"Ich weiß genau, was du vor hast," sagte er, "Meinst du nicht, dass es dafür noch ein bißchen zu riskant ist. Mit der Verletzung, meine ich."

No. 6 lächelte ebenfalls, während sich ihre Hände behutsam zu Junichis Gürtel tasteten. "Aber die neue Sicherung muss doch mal auf Brauchbarkeit in Extremsituationen getestet werden, bevor du noch mehr an mir rumschraubst," flüsterte sie.

"Ich glaube, da hast du Recht," entgegnete Junichi und ließ sich neben No.6, die nun seinen Gürtel geöffnet hatte, auf das Bett fallen.
 

Tatsuya und Xian saßen nebeneinander auf einer Mauer. Die Sonne neigte sich als roter Feuerball dem Horizont zur, während die beiden da saßen und sich unterhalten. Die Chinesin hatte ihren neugierigen, unschuldigen Blick fest auf das Gesicht des Scharfschützen gerichtet, welcher sie nicht ansah, sondern einfach nur geradeaus blickte.

"Und du bist also Soldat, hm?" fragte Xian.

"Jup," Tatsuya nickte. Er wollte nicht in die dunklen, friedlichen Augen des Mädchens links neben ihm sehen. Tatsuyas Gedanken drehten sich in rasender Geschwindigkeit in seinem Kopf. Auf der einen Seite war da dieses hübsche, wundervolle Mädchen neben ihm, das ihn wirklich zu mögen schien und etwas über ihn erfahren wollte. Auf der anderen Seite, und das war ihm fest in seinen Kopf gebrannt, war er einer der KON. Er durfte nichts über sich verraten, wenn er nicht riskieren wollte von Osamu umgebracht zu werden. Offiziell gibt es keine KON und nie dürfen sie an die Öffentlichkeit geraten.

"Und Rumiko auch?" erkundigte sich das Mädchen weiter.

"Hm? Wie kommst du darauf?" Der Scharfschütze war darauf bedacht lässig zu klingen. Es war nur eine harmlose Unterhaltung, aber jedes falsche Wort konnte die Situation völlig anders aussehen lassen.

"Naja, ihr wohnt doch zusammen..." meinte Xian lächelnd.

"Hat sie dir das erzählt?" Tatsuya zuckte innerlich zusammen. Wenn Rumiko ihrer Freundin etwas von den KON erzählt hätte, dann wären alle in Gefahr. Besonders Rumiko selbst, weil Osamu die Geheimhaltung der KON extrem wichtig war.

"Naja, nicht direkt," sagte die junge Chinesin und fügte stolz hinzu: "Ich bin selbst darauf bekommen."

Bei diesen Worten strahlte Xian Tatsuya mit geschlossenen Augen an und streckte ihm ihre linke Hand mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger entgegen. Das V-Zeichen für Victory. Tatsuya schaffte es nicht mehr den Blick von dem Mädchen abzuwenden und sah direkt in ihr fröhliches Gesicht. Er muss nun auch lächeln. Was könnte dieses Mädchen tun? Nichts was gefährlich werden könnte. Xian öffnete ihre Augen und zog die Hand zurück.

"Was ist?" fragte sie leicht verwirrt und legte ihren Kopf schief. Der Scharfschütze sah das Mädchen mit einem warmen ruhigen Lächeln an.

"Ich überlege mir gerade, was wir heute abend noch machen könnten," sagte er mit unveränderten Gesichtsausdruck. Das entsprach jedoch nicht ganz der Wahrheit, denn eigentlich wußte Tatsuya genau, was er erreichen wollte. Wahrscheinlich hätte er es auch jeder anderen Frau, jedem anderen Mädchen auch direkt ins Gesicht gesagt, mal davon abgesehen, dass die meisten die Andeutung verstanden hätten. Doch Xian war anders. Es war fast, als wäre sie nicht von dieser Welt. Und doch rutschte sie näher zu Tatsuya und lehnte sich vorsichtig an seine Schulter und schloß ihre Augen.

"Du bist sehr nett, Tatsuya," flüsterte Xian, "Es ist schön, bei dir zu sein. Ich würde mich gerne öfters mit dir treffen."

Sie gähnte und hielt dabei ihre linke Hand vor den Mund. Langsam legte Tatsuya seinen linke Arm und seinen linken Flügel um die Chinesin, welche sich nun etwas mehr an den Scharfschützen kuschelte. Seine weichen, weißen Federn schmiegten sich an ihren zarten Körper. Die Flügel schienen viel besser zu ihr zu passen, die so unschuldig war und nicht zu Tatsuya, der sooft tötete und lügen müsste. Es waren die unschuldige Flügel der Schuld, der Schein, der über das hinweg täuschte, was wirklich war.

"Es ist schön, bei dir zu sein," wiederholte das Mädchen leise, "Ich... ich mag dich wirklich sehr... sehr gerne..."

Stage 4 - The Teddy-Bear Principle

Rumiko schlug schwungvoll die Tür des Lost Fortress auf. Es war ungefähr die Zeit, als sich auch Tatusya und Xian wieder begegneten. Leise summte sie eine spontane Melodie. Sie war immer noch gut gelaunt und wollte jetzt in ihren Mangas einige Szenen nachschlagen, über die sie sich mit Xian unterhalten hatte. Doch gerade als sie die Tür öffnen wollte, hörte sie eine düstere, kalten Stimme hinter sich.

"Wieder da?"

Rumiko zuckte kurz zusammen. Sie wußte genau, dass es Osamu war. Seine Stimme war immer emotionslos und gefährlich, doch dieses Mal klang sie gefährlicher als sonst.

"Osamu?" Langsam drehte sich Rumiko um. Der Werwolf stand hinter ihr und in seinen Augen stand die zornige Kälte seiner Wolfsgestalt. Sein Hals und seine Schläfen waren mit dem grau-schwarzen Fell bedeckt.

"Sorry," meinte er und beim Sprechen konnte Rumiko die etwas spitzeren Zähne erkennen, "Ich wollte mich beruhigen, bevor wir miteinander sprechen, doch irgendwie hat es nicht funktioniert."

"Was soll das?" fragte Rumiko verwirrt, aber auch ein wenig wütend.

"Kann ich reinkommen?" fragte Osamu und deutete mit dem Daumen auf Rumikos Zimmertür.

"Das ist keine Antwort," fauchte das Mädchen, "Was ist los?"

"Bitte, Rumiko," meinte Osamu und seine Stimme klang nun eher kalt als ruhig, "Tu mir einen Gefallen: Reiz mich nicht!"

Die Schwertkämpferin zuckte kurz zusammen. Sie kannte diesen Ausdruck in Osamus Augen, auch wenn er sie noch nie so angesehen hatte. Es war dieser Blick der sagte: "Pass auf, oder ich könnte dich ausversehen ziemlich übel zurichten." Osamu war kein gewaltätiger Mensch, im Gegenteil, er war eher ruhig. Aber er war ein Werwolf und hatte sich nicht immer völlig unter Kontrolle. Zaghaft nickte Rumiko öffnete die Tür, ohne ihren Blick von Osamu, der Halb in menschlicher, Halb in Werwolfsgestalt war und anscheint versuchte sich zu beruhigen.

"Wir müssen nicht rein, wenn du nicht willst," fügte er dann hinzu, "Ich wollte nur eine Entscheidung hören."

"Nein, nein, schon okay," meinte Rumiko und betrat ihr Zimmer. Osamu folgte ihr. Das Mädchen setzte sich auf ihr Bett und sah den Werwolf an.

"Okay, worum geht's?" fragte sie und versuchte ruhig zu klingen, obwohl sie ebenfalls wütend und auch ein wenig ängstlich war.

"Das weißt du doch ganz genau,"entgegnete Osamu.

"Xian," sagte Rumiko fest. Der Mann nickte, woraufhin die Schwertkämpferin innerlich zusammen zucke.

"Was ist mit ihr?" fragte das Mädchen scharf.

Osamu atemete tief druch. Langsam nahmen die Wolfsmerkmale in seinem Gesicht und an seinem ganzen Körper ab.

"Es ist..." begann er, "Ich will nicht, dass du dich mit ihr triffst."

"Was?" Rumiko sprang auf. Sie hatte zwar geahnt, dass Osamu etwas in der Art sagen wollte und sie wußte auch, dass Osamu Sachen direkt auf den Punkt brachte. Aber dennoch war es ein merkwürdiges Gefühl die Wahrheit so ins Gesicht gesagt zu bekommen. Merkwürdig und verletzend. Und zwar so sehr das Rumiko all die Vorsicht, die sie sich über die Jahre hinweg im Umgang mit Osamu angeeignet hatte, vergaß.

"Warum?" rief das Mädchen wütend.

"Ich habe meine Gründe, Rumiko!" Osamu blieb ruhig, auch wenn man merkte, das es ihm schwerfiel.

"WARUM?" schrie Rumiko.

"Du würdest es nicht verstehen!" versuchte der Werwolf zu erklären.

"Bist du eifersüchtig auf sie? Denkst du ich verlasse die KON, weil ich Freunde finde? Weil wir, sie und ich, uns ähnlich sind? Warum, Osamu? Sag mir warum!" Die Schwerkämpferin war zornig. Sie wollte den Grund wissen, warum Osamu sie von Xian, ihrer einzigen Freundin fernhalten wollte.

"Es ist ja nicht so, dass ich nicht will, dass du Freunde findest. Nein, aber muss es den dieses Mädchen sein?" Osamu nahm sich eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an.

"Wieso? Was hast du gegen Xian?" rief die Schwertkämpferin immer noch zornig. Osamu lehnte sich gegen die Wand.

"Es ist eine lange Geschichte," meine er, "Du, wie gesagt, du würdest es nicht verstehen... Nicht jetzt, nicht, wenn du so wütend bist. Vertraue mir einfach."

"Vertrauen? Wenn ich dir vertrauen soll, kannst du wenigstens versuchen mir zu erklären was du gegen sie hast! Ich hatte dir vertraut, damals, und ich weiß bis heute nicht, ob es richtig war!"

Osamu stieß sich mit dem Rücken von der Wand ab und begann in Rumikos Zimmer auf und ab zu gehen. Dabei schwieg er und genau das war es, was Rumiko noch aggressiver machte.

"Ich wünschte ich hätte dir damals nicht vertraut!" schrie sie wutentbrannt, "Ich wünschte, ich wäre nie zu den KON gekommen!"

Ruckartig drethe sich Osamu zu Rumiko. Whärend dieser halben Drehung seines Kopfes, hatte sich Osamu fast vollständig in die Wolfsgestalt verwandelt.

"Ich auch," knurrte er und ein irres Funkeln war in seinen wütenden Augen, "Dann hätten wir jetzt diese Probleme nicht!"

Einen Moment lang hatte Rumiko die Gewissheit nun zu sterben. Für diese Sekunden, in denen sie direkt in Osamus goldene, zornerfüllte Wolfsaugen sah. Doch dann drehte sich der Werwolf um und verließ wortlos das Zimmer. Rumiko zitterte. Alles drehte sich in ihrem Kopf. Osamu... er bereute, dass er Rumiko damals angesprochen hatte, er bereute, dass er ihr das Leben gerettet hatte. Wäre es ihm lieber, sie wäre nicht mehr am Leben? Rumiko respektierte Osamu, sie mochte ihn.

Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu dem Schwert, das neben ihr auf dem Bett lag.
 

Osamu ging in sein Zimmer und ließ die Tür hinter sich zufallen. Die Zigarette, die er sich in Rumikos Zimmer angezündet hatte, hatte er, als er sich in seine Wolfsgestalt verwandelte, aus dem Mund genommen und mit der rechten Pranke zerdrückt. In seinem Zimmer ließ er den zerbröselten Rest in den Mülleimer fallen und zündete sich eine weitere Zigarette an. Dann nahm er seine schwarze Lederjacke vom Kleiderhaken und nahm ein Paar lederne, fingerlose Handschuhe. Der Werwolf hatte inzwischen wieder seine menschliche Gestalt angenommen. Nun zog er sowohl Jacke als auch Handschuhe an und ging in die Garage um sein Motorrad zu holen. Wohin er fahren wollte, wußte er nicht genau. Hauptsache weg vom Lost Fortress. Osamu fuhr los, Richtung Stadtmitte Neotokyos, die untergehende Sonne im Rücken.
 

Mit dem Zeigefinger fuhr Junichi No. 6 durch das Gesicht, an der Linie, an der ihre Haut und das Metall ihres Implantats sich trafen. Der Cyborg hatte die Augen geschlossen, whärend sie auf der Seite lag, neben Junichi in seinm Bett.

"Du bist wunderschön," flüsterte Junichi und No. 6's Lippen formten ein zartes friedliches Lächeln.

"Die schönste Frau auf der ganzen Welt," fügte er hinzu. No. 6 schlug ihre Augen auf und legte Junichi ihre rechte Han in den Nacken.

"Obwohl ich ein Cyborg bin?" fragte sie leise, doch Junichi kam nicht zu einer Antwort.

"Warum?" Rumikos Stimme klang durch das Lost Fortess. Junichi und No.6 stockten.

"Osamu," vermutete No.6 leise, "Mit Tatsuya würde sie anders sprechen."

Junichi nickte. Den Rest der Diskussion verstanden die beiden nicht, nur dass es dann plötzlich still war. Es dauerte nicht lang, keine drei Minuten und sie hörten, wie Osamu sein Motorrad startete und losfuhr.

"Das klang gar nicht gut," meinte Junichi. No. 6 nickte und sagte: "Wir sollten besser nach Rumiko sehen."

Die beiden standen auf, zogen sich schnell an und liefen zu Rumikos Zimmer. No. 6 rieß die Tür auf und sie und Junichi erstarrten kurzeitig.

Rumiko stand in der Mitte des Zimmers, der Tür den Rücken zugewand und ihr erhobenes Schwert in den Händen. Sie zitterte, aber nur leicht. Dann gescah alles auf einmal. Das Schwert, das sich Rumiko in den Bauch rammen wollte. Junichi, der, immer noch wie gelähmt, aufschrie. No. 6, die sich wieder fasste, zu Rumiko stürzte und mit ihrer rechten, mechanischen Hand die Schwertklinge umfasst und von Rumiko wegriß.

"Rumiko, was...?" rief der Cyborg geschockt. Das Mädchen sah sie mit leerem, traurigem Blick an und Tränen standen in ihren Augen.

"Osamu," flüsterte sie, "Er... er hat sich gewünscht, dass ich nicht mehr lebe..."

"Was?" fragte No. 6 und Junichi, der sich nun wieder gefasst hatte, meinte:

"Das ist doch Unsinn. Du weißt doch, dass er ein Werwolf ist. Da passiert schon mal, dass man... ähm... schnell aggressiv wird und Sachen sagt, die man nicht so meint."

"Außerdem hat er dich viel zu gern," meinte No. 6 und ließ das Schwert los, "Du bist für ihn sowas wie eine kleine Schwester oder eine Tochter... obwohl das nicht ganz hinhauen würde mit dem Alter."

Rumiko lächelte ein wenig und wischte mit dem Rücken ihrer rechten Hand die Tränen aus ihren Augen, während sie mit der linken Hand ihr Schwert hielt.

"Danke," flüsterte sie.

"Danke? Wofür?" meinte No. 6, "Weißt du was, wir gehen jetzt zusammen in Junichis Zimmer und gucken uns ein Paar Filme an!"

"Und ich mach Kaffee!" rief Junichi begeistert.

"Bestimmt haben wir auch noch ein Paar Chips, oder sowas," meinte No. 6 voller Enthusiasmus, "Oh ja, das wird ganz sicher total toll!"

Junichi verschwand aus dem Raum in Richtung Küche.

"Komm, wir gehen und suchen uns 'nen Film aus," sagte No. 6.

Rumiko steckte ihr Schwert zurück in die Scheide und stellte es neben ihr Bett.

"Geh schon mal vor," meinte sie, "Ich zieh mich nur schnell um. Und außerdem kannst du davor das Zimmer noch mal durchlüften."

"Öhm, naja, wenn du meinst," meinte der Cyborg und kratzte sich grinsend am Hinterkopf. Dann drehte sie sich um und wollte gehen. Noch ein letztes Mal sah sie zu Rumiko zurück.

"Und es ist auch wirklich okay?" erkundigte sie sich. Rumiko nickte.

"Solang ihr genug Filme mit Vincent Ferris habt..."sagte das Mädchen und grinste.
 

Inzwischen war Osamu im Zentrum Neo Tokyos angekommen. Er fuhr durch die Straßen, ohne festes Ziel. Die Sonne war nun schon untergegangen. Die bunten Leuchtschriften begleiteten, verfolgeten Osamu durch die Straßen. Es waren immernoch Menschen unterwegst, aber nicht mehr viele, nicht hier. Inzwischen hatte der Werwolf eines der düstersten Viertel der Metropole angekommen. Die Leuchtschriften hier versprachen Mädchen, versprachen Blut, versprachen Drogen, Waffen und Gewalt. Sinyato, die Unterwelt Neo Tokyos traf sich hier, die Reichen, die Armen. Die die ihr Geld ausgeben wollten, die die hofften welches zu bekommen, auf welche Weise auch immer. Doch niemand dem der nächste Tag wirklich wichtig war, verschlug es hierher.

Vor einer mittegroßen Kneipe deren Name, Armageddon, in roten Leuchtbuchstaben über der Tür blinkte, stoppte Osamu das Motorrad und stieg ab. Er aktivierte die Sicherung, die Junichi in wochenlanger Arbeit extra für Osamus Motorrad entwickelt hatte. Aber es hatte sich gelohnt und es gab nur zwei Möglichkeiten, diese Sicherung zu überwinden. Die erste wäre extrem viel Glück und für die zweite bräuchte selbst ein begabter Mechaniker und Hacker wie Junichi fast sieben Stunden. Und niemand, nicht einmal in Sinyato war so lebensmüde solang an einem Motorrad herumzuarbeiten, vor allem nicht, wenn dies einem Werwolf gehörte. Dann betrat Osamu die Kneipe.

Drinnen war es verraucht, stickig, der Geruch von Zigarette, Blut, Pulver, Feuer und Alkohol lag in der Luft. Ein trübes, graues Licht erfüllte den Raum. An den wenigen, schmutzigen Tischen saßen verschiedene Gestalten, Männer, Frauen, die vom Schicksal, vom Leben im Abfall der Metropole, vom Leben in Sinyato, gezeichnet waren. Es gab Menschen, die hier lebten, obwohl sie es nicht wollten. Menschen, die sich an eine ungschriebene Ausgangsperre hielten und dennoch lang wach lagen, dem Lärm von Straßenkämpfen und illegalen Rennen lauschend, nur mit der Hoffnung, den nächsten Tag noch zu erleben. Osamu achtete nicht auf diese Menschen, die in der Kneipe saßen und ging geradewegs zum Thresen, hinter dem ein großer, braunhaariger Barkeeper stand. An seiner Haut konnte man erkennen, dass er kein Mensch, sondern ein Androit war. Es hätte sich wohl kaum ein Mensch, Cyborg oder Faunoide für diesen Job gefunden.

"Was soll's sein?" fragte der Androit mürrisch. Osamu hatte sich hingesetzt, den rechten Ellebogen auf den Thresen gestemmt und seine Stirn in die Hand gelegt.

"Keine Ahnung," meinte Osamu, "Irgendwas, dass die ganze Scheiße rückgangig macht, die ich heute gemacht habe!"

"Was meinste, wie oft ich das höre," knurrte der Barkeeper.

"Oft genug um zu wissen, was du mir bringen musst," erwiderte Osamu und legte einige Scheine hin. Der Barkeeper nahm das Geld und wand Osamu den Rücken zu. Auch Osamu drehte sich um, legte die Ellebogen auf den Thresen hinter ihm und zündete sich eine Zigarette an.

"Hi." Osamu hörte links neben sich eine weibliche Stimme.

"Nein," antwortete er mit abweisend, bevor er sich umdrehte um die neben sich anzusehen.

Es war eine junge Frau, sogar fast noch ein Mädchen, mit langen, glatten, blondierten Haaren. Sie trug ein sehr knappes, rosafarbenes Träger-Top, dessen linker Träger an ihrem Oberarm soweit herunter gerutscht war, dass man gerade erkennen konnte, das sie nichts darunter trug. Dazu trug sie einen sehr kurzen, enganliegenden gelben Rock. An ihren Beinen trug sie weiße Nylonstrümpfe, die ihr bis zu den Obrschenkeln reichten. Das Gesicht des Mädchens war stark mit geschminkt und sie lächelte Osamu an.

"Dich habe ich hier noch nie gesehen," sagte sie. Osamu antwortete nicht, sondern nahm das Getränk, das ihm hingestellt wurde und trank daraus. Das Mädchen blickte ihn an.

"Wenn's nach mir ginge wäre das auch jetzt nicht der Fall," murmelte er.

"Was meinst du damit?" fragte die Blonde.

"Ich bin keiner von denen, die mit Mädchen wie dir zu tun haben," antwortete Osamu, trank einen weiteren Schluck und fuhr fort: "Du kannst also ruhig wieder gehen."

Das Mädchen lächelte.

"Du bist süß," meinte sie, "und außerdem so nett."

"Bist du irgendwie verrückt oder sowas?" fragte der Werwolf, "Wie alt bist du?"

"Immer so alt wie du willst," flüsterte das Mädchen und wollte ihre Hand auf Osamus Wange legen.

"Wenn du das tust, bist du diese Hand los," antwortete dieser ruhig, "Also, überleg's dir gut, ich mein's ernst!"

"Was ist los?" fragte die Blonde, die ihre Hand zurückgezogen hatte.

"Kleine, bei mir kriegst du nichts, kapier's einfach," sagte Osamu und trank den Rest des Getränkes aus. Das Mädchen stand wortlos auf. In ihrem Gesicht war ein Ausdruck, der nicht zu deuten war.

"Obwohl, Moment," hielt Osamu sie noch einmal an, "Vielleicht kannst du dir doch was verdienen."

"Wirklich?" Das Mädchen drehte sich zu dem Mann um. Zwar lag ein Lächeln auf ihren Lippen, aber in ihren Augen war immernoch dieser Ausdruck, den kein Mensch zu deuten vermochte.

"Du kennst dich hier sicher aus," sagte Osamu. Das Mädchen nickte.

"Ich kenne alle Plätze, an denen..."

"Nein, nein, darum geht es mir nicht!" unterbrach er sie, "Ich will wissen, ob hier irgendwo Geld zu verwetten ist. Schlägereien, du verstehst. Ich denke, von dir gibt's Insider Infos."

Das Mädchen schien verwirrt zu sein. "Ich weiß nicht, äh, ich..." stotterte sie verstört.

"Doch ich denke, das weißt du," meinte Osamu, holte einige Geldscheine aus dem Portemonaie und hielt sie dem Mädchen hin.

Die Kleine sah sich nervös um, neigte sich dann zu Osamu vor und flüsterte ihm ins Ohr:

"Drei Straßen weiter, links, direkt neben der 'Venusperle', in einer Seitengasse ist heute ein Spiel. Es ist allerdings privat und ich glaube nicht, dass man sie mitbieten lassen wird."

Osamu grinste. "Keine Sorge, Kleine," meinte er und stand auf, "Das hatte ich gar nicht vor!"

Dann verließ er ohne ein weiteres Wort die Kneipe, setzte sich auf das Motorrad und fuhr zu dem Ort, von dem das Mädchen ihm erzählt hatte.

Die Venusperle war ein großes Bordell und in ganz Neo Tokyo bekannt. Es war kaum zu verfehlen, den das rote und rosa Licht der Neonschrift war schon von weitem zu sehen. Osamu blieb nicht stehen, sondern bog in eine Seitengasse ein. Kaum war er wenige Meter gefahren, war das Licht verschwunden und die Geräusche waren verstummt. Das einzige, was zu hören war, war der Motor von Osamus Maschine. Er fuhr weiter durch die dunkle, schmutzige Seitengasse, bis einige leise Stimmen an sein Ohr drangen. Osamu hielt an und stieg ab. Er schaltete die Sicherung an, überprüfte seine Waffe und entzündete sich eine Zigarette. Dann ging er los, in Richtung der Stimmen.

Ein Klirren war zu hören, als Osamu um eine Ecke bog. Vor ihm lag ein mittelgroßer Hof, der auf zwei Seiten durch einen hohen Maschenzaun abgegrenzt war. Auf einer Seite, hinter dem Zaun, standen einige Kisten, auf denen ein mittelalter Mann, grinsend, mit schwarzem Anzug gekleidet und Zigarre im Mund. Neben ihm saßen auf jeder Seite ein Mädchen in einem edelnem, sehr freizügigem Satinkleid. Ein weiteres, ebenso gekleidetes Mädchen saß zu seinem Füßen. Das Klirren war das Geräusch eines Jugendlichen, der gerade gegen den Zaun geschleudert geworden war. Er war etwa sechzehn Jahre alt, hatte mittellange schwarze Haare und ein dunkelblaues Kopftuch. Er trug kein Oberteil, sondern nur eine kurze Jeans, die bis zu den Knien reichte. Seine rechte Schulter war zerissen und der Knochen schien zwischen den blutigen Haut und Fleischfetzen hervor. Aus seinem Mundwinkel lief ebenfalls Blut, seine Knie waren aufgeschlagen und seine Brust war mit blutigen Kratzern übersäht. Sein Gegner war älter als er, etwa neunzehn. Seine rotblonden Haare standen wild von seinem Kopf ab und man konnte seine Ohren gut erkennen, die weiter oben am Kopf waren, als bei normalen Menschen und das rötliche Fell um sie herum. Er trug ein ärmelloses, beige farbenes T-Shirt und eine lange, zerissene, braune Hose. Außerdem trug er sogenannte "Cat Claws"; Handschuhe, an deren Rückseite sich Killernieten befanden, Killernietenarmbänder, die rundeherum mit den spitzen Dornen gespickt waren und drei etwa zehn Zenitmeter lange Metallklauen, deren Spitzen leicht gebogen waren. Seine Finger hatten keine Fingernägel, sondern ausfahrbare Krallen, wie bei einer Katze. Seine Stirn war blutig aufgekratzt und leuchtend roter Blutfleck war an seinem linken Knie zu sehen. Auf den Seiten neben den Kämpfenden standen die Gangs der beiden. Jeweils etwa zwölf Jugendliche im Alter zwischen 14 und 23, die beide einen der beiden anfeuerten. Der Verletzte versuchte wieder aufzustehen, in dem er sich mit dem linken Arm am Gitter hinter ihm hochzuziehen versuchte. Der Katzenjunge grinste.

"Oh, nein, Freundchen!"sagte er, sprang zu seinem Gegner und schlug ihm mit voller Kraft die Krallen in den Bauch.

Der Angegriffene schrie auf und sackte wieder zusammen. Von der rechten Seite kam ein lauter Ruf:

"Cat Claw, hör auf damit! Mach ihn endlich kalt!"

"NEIN!" schrie eine weibliche Stimme aus der anderen Gruppe, "Lass ihm am Leben! Ich muss ihn noch vercybern können!!"

"Was denn nun?" fragte der Katzenjunge, Cat Claw ein bißchen verwirrt.

"Töte ihn," sagte der reiche Mann, der in Sicherheit hinter dem Zaun saß, und grinste.

Doch noch bevor Cat Claw angriff, war ein Schuß zu hören. Alle erstarrten und blickten dorthin, woher das Geräsch kam. Osamu stand da, den Kopf gesenkt. Die linke Hand hatte er an seiner Zigarette und in der rechten hielt er seine erhoben Pistole.

"Wer bist du? Was willst du hier?"

Wütende und erstaunte Rufe waren zu hören, die sich alle an Osamu richteten.

"Was ich hier will?" fragte dieser, nahm seine Pistole wieder runter und sah auf, "Wahrscheinlich das gleiche wie Mr. Ich-hab-das-Geld,-Ich-hab-die-Frauen-Ich-bin-so-toll dahinten. Meinen Spaß."

Lässig deutete er mit der Pistole auf den Mann hinter dem Gitter.

"Was soll das?" rief dieser wütend und doch war ein Wenig Furcht in seiner Stimme zu hören, "Tötet ihn! Ich bezahle extra für seinen Kopf."

"Das würde ich nicht tun," sagte Osamu ruhig und ließ seine Waffe eine Runde entlang der Straßenkämpfer wandern.

"Macht schon, ihr verfluchten Bastarde," schrie der Mann, außer sich vor Angst und Wut, "Oder der Deal ist geplatzt!"

Ein junges Mädchen, etwa 14 Jahre alt, stolperte aus der Gruppe, zu der Cat Claw gehörte. Sie war ängstlich und verwirrt, anscheint hatte sie jemand nach vorne gestoßen. Ihre langen schwarzen Haare waren zu einem Perdeschwanz gebunden, sie trug eine dunkelblaue Schuluniform und hatte ein Nunchakku in der Hand. Trotz ihrer deutlich sichtbaren Angst begann sie die Waffe zu schwingen und näherte sich Osamu leicht gebückt.

Ein Schuß ertönte. Der Klang schallte von den Wänden wieder, genau wie der schmerzerfüllte Schrei des Mädchens. Sie war zu Boden gestürtzt und hatte ihre Arme um den Bauch geschlungen. Ihr Gesicht war schmerzverzehrt und Tränen liefen aus ihren geschlossenen Augen. Blut sickerte zwischen ihren Armen aus der Schusswunde in ihrem Bauch und bildete sehr schnell eine Lache auf dem dreckigen grauen Asphalt. Ein Junge, der nur wenig älter als die Verwundete war und ebenfalls schwarze Haare und eine dunkelblaue Schuluniform trug, schrie entsetzt auf und rannte zu ihr. Er kniete sich neben sie und nahm sie in den Arm.

"Bruder... ich..." flüsterte das Mädchen, bevor sie das Bewusstsein verlor. Der Junge drückte sie an sich und presste sein Gesicht an ihre Schulter. Zwar konnte man so seine Tränen nicht sehen, aber es war deutlich, dass er weinte.

"Willkommen in Neo Tokyo," meinte Osamu und lud seine Waffe nach, "Wer hier das Geld hat, hat auch die Macht. Die Macht über Leben und Tod."

Wieder hob Osamu die Waffe. Sein Blick war zu Boden gerichtet und ein weiterer Schuß fiel, gefolgt von einem schrillen Schrei. Nun verlief alles blitzschnell. Eines der Mädchen im Satinkleid war wie gelähmt als der Körper des reichen Mannes in sich zusammensackte, die anderen beiden jedoch reagierten in Windeseile und fischten aus dem Jackentaschen des Toten sämtliche Wertsachen hervor und liefen davon.

"Unser Geld!" schrie einer der Straßenkämpfer. Von beiden Gruppen liefen einige Kämpfer zum Gitter und kletterten hinüber während eine allgemeines Durcheinander entstand. Doch eine Sache wurde in diesem Durcheinander sehr deutlich: Hass gegenüber Osamu, da dieser den Mann, der sie bezahlen wollte getötet hatte. Von allen Seiten umringten nun die beiden Gruppen den Mann. Es waren viele Straßenkämpfer, einige vercybert, fast alle bewaffnet.

"Muss das sein?" fragte Osamu, warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus. Dann begann er sich zu verwandeln. Die Straßenkämpfer wischen einen Schritt zurück, als sie merkten, was hier vor sich ging. Osamu, der nun völlig in seiner Wolfsgestalt war, drehte sich nun wieder um, um zu gehen.

"Warum hast du das gemacht?" rief eine Stimme aus der Gruppe, "Wir brauchen das Geld um zu leben!"

"Damit eins klar ist," meinte der Werwolf ruhig, "Ich hab das nicht gemacht, weil ich euch das Geld nicht gönne. Ich wollte hier mitmachen, aber ich kann es nicht ab, wenn Menschen, die überhaupt keine Ahnung haben, einfach über Leben und Tod entscheiden. Das Spiel ist kein sinnloses Morden. Es ist ein Kampf, der den Tod zur Folge haben kann, nicht muss. Wo wir vom Tod sprechen, die Kleine ist nicht tödlich verletzt. Ich hoffe ihr habt einen guten Mechaniker."

Mit diesen Worten ging Osamu.
 

In der Nacht hatten sich dunkle Regenwolken über Neo Tokyo zusammengezogen. Es war gerade so, als hätten die Differenzen zwischen den KONs das Wetter beeinflußt.

Tatsuya erwachte früh am Morgen durch einen leichten Schmerz im rechten Flügel. Es war kälter als am vorigen Abend, aber nicht viel. Der Scharfschütze lag im Gras des Trainingsgelände, unter dem umgestürzten Baum. Sein T-Shirt diente ihm als Kissen und neben ihm lag Xian. Der Kopf des Mädchens lag auf Tatsuyas rechten Arm und Flügel und ihre feine, rechte Hand lag auf Tatsuyas unbekleideten Oberkörper. Sie war mit dem Mantel des Scharfschützens zugedeckt.

Tatsuya drehte seinen Kopf und sah Xian in das ruhige, sanfte Gesicht, das von ihren offenen, langen Haaren umrahmt war.

"Hey, Kleines, wach auf," flüsterte er und versuchte seinen Flügel unter der Chinesin hervorzuziehen. Das Mädchen murrte und kuschelte sich näher an Tatsuya.

"Xian, aufwachen," sagte dieser nun ein wenig lauter. Dann drehte er sich zu ihr und ab der jungen Chinesin einen Kuss auf die Nase.

"Sofort schlug sie ihre Augen auf und lächelte Tatsuya an.

"Guten Morgen!" sagte sie leise mit hellwacher Stimme.

"Hey, sag mal, du warst doch nicht schon wach, oder?" fragte Tatsuya leicht verwirrt und mit einem Grinsen auf den Lippen. Xians Antwort war nur ihr übliches Lächeln. Dann richtete sich das Mädchen auf, wobei Tatsuyas Mantel hinunter rutschte und Xians Oberkörper, der nur mit einem weißen BH begleidet war, freilegte. Tatsuya sprang mit einer einzigen, fließenden Bewegung auf. Er streckte sich und schlug ein Paar mal mit seinen Flügeln. Xian zog sich inzwischen ihr Kleid wieder an und versuchte mit ihren Fingern die zerzausten Haare zu ordnen. Tatsuya sah zum Himmel.

"Sieht nicht gut aus," murmelte er, dann drehte er sich zu Xian und fragte sie lächelnd: "Sag mal, gibt's nicht Ärger von deinen Eltern, wenn du die Nächte bei fremden Männer verbringst, anstatt nach Hause zu gehen?"

"Meine Eltern sind tot," flüsterte Xian mit gesenktem Blick, "sie wurden getötet."

"Oh, äh, Tut mir Leid," meinte Tatsuya und setzte sich neben das Mädchen, welches nur den Kopf schüttelte.

"Du kannst doch nichts dafür," meinte sie und versuchte zu lächeln, "und außerdem lebe ich jetzt bei sehr netten Menschen, die mich genauso behandeln, als wäre ich ihre Tochter. Ich bin sehr glücklich bei ihnen und sie sind überhaupt nicht streng. Trotzdem wünsche ich mir manchmal..."

Tränen stiegen in Xians Augen und sie drückte sich an Tatsuya.

"Warum mussten sie streben?" schluchzte das Mädchen und Tatsuya strich mit seiner Hand über ihren Rücken.

"Du sagst, deine Eltern seien getötet worden... war das hier in Neo Tokyo?" fragte Tatsuya beunruhigt.

Xian schüttelte den Kopf. "Wir waren erst wenige Tage hier in Japan. Meine Eltern wollten nicht nach Neo Tokyo. Sie sagten, es wäre zu gefährlich. Wir haben in einer kleinen Stadt auf Hokkaido gelebt."

"Und weißt du, wer sie ermordet hat?" fragte Tatsuya, der nun ein Weniger beruhigter war. Hokkaido, dort war er zwar geboren, aber er war schon sein rund zwanzig Jahren nicht mehr dort gewesen, weder als Soldat nocht als Mitglied der KON. Xian schüttelte den Kopf.

"Wenn... wenn du es wissen würdest... was würdest du tun?" erkundigte er sich weiter, "Dich rächen?"

Wieder schüttelte das Mädchen mit dem Kopf. "Ich weiß es nicht, ich weiß es einfach nicht... "

Noch eine Weile saßen die beiden schweigend da.

"Tatsuya... flüsterte Xian auf einmal, "Wenn sie hierher kommen, um mich auch zu töten, würdest du mich beschützen?"

"Natürlich," antwortete der Scharfschütze.
 

Rumiko saß am Tisch in der Küche des Lost Fortress. Sie trug ihre Schuluniform und war gerade dabei Milch in ihr Müsli zu schütten. Ihre Augen hatte das Mädchen noch halbgeschlossen, als sie auf einmal Osamus Stimme hörte.

"Hi, Rumiko," sagte er und setzte sich auf den Stuhl an der rechten Seite des Tisches.

"Morgen," erwiderte das Mädchen ohne Osamu anzusehen.

"Tut mir Leid wegen gestern abend," meinte der Werwolf ruhig.

"Nicht so schlimm," murmelte Rumiko und stellte die Milch hin, "Du bist ein Werwolf, du kannst nichts dafür."

Osamu lächelte trocken.

"Schade, dass das nicht ganz das ist, was du wirklich denkst," sagte er.

"Oh, doch ist es," antwortete das Mädchen ungerührt und nahm ein Löffel von ihrem Müsli.

"Weißt du,"fuhr sie mit vollem Mund fort, schluckte und sagte dann: "Also, natürlich weißt du es. Manche Leute denken, Lykantrophie wäre eine Krankheit."

"Ja, und es gibt Werwölfe die sich aufgeben und dass dann als 'Heilung' bezeichnen," meinte Osamu mürrisch, "Aber reden wir nicht darüber, ich bin dir noch eine Erklärung schuldig."

Rumiko ass ihr Müsli weiter und nickte nur stumm. Osamu zündete sich eine Zigarette an und begann zu erzählen:

"Ich bin mir sicher, dass du noch nie etwas davon gehört hast und das ist auch durchaus verständlich. Das, was mich an diesem Mädchen beunruhigt nennt sich das 'Teddybär-Prinzip'. Geprägt wurde der Begriff zur Zeit des Neoismus. Damals wurden Teddybären oft als Waffen oder Spionagemittel verwendet. Teddys sind so niedlich und harmlos... so unschuldig und könnten nie jemandem etwas tun, right? Tja, und genau dieses Denken wird bei Teddybär-Prinzip ausgenutzt. Es gibt Menschen, die wirken, als können sie keiner Seele etwas zu Leide tun... zum Beispiel deine Freundin. Solche Menschen gibt es nur sehr selten. Und aus diesem Grund, dass sie diese Ausstrahlung besitzen, sind sie gefährlich. Sie werden von verschiedenen Menschen angeheuert und werden für ihre Arbeit gut bezahlt. Einschleichen, Vertrauen gewinnen, vernichten. Und ich weiß, wovon ich spreche, ich habe es erlebt. Ist zwar 'ne längere Geschichte, aber ich werde mich kurzfassen und solange du isst, kann ich's dir ja noch erzählen. Damals, vor KON, hatte meine Gang mal'n Problem mit einem ziemlich reichen Kerl. Ging um Geld, das wir auf nicht ganz rechtmäßige Weise von ihm bekommen hatten. Er war... ziemlich wütend deshalb. Wir dachten, er könne uns nichts tun und kümmerten uns nicht weiter darum. Eines Tages, nicht viel später, kam ein kleiner Junge zu uns... Dreizehn, höchstens Vierzehn. Reiche Kleidung und sah extrem harmlos aus. Er sagte, er wolle zu uns, bei uns einsteigen. Natürlich nahm ihn keiner ernst und lachten ihn aus. Naja, er wirkte irgendwie sehr hilflos. Irgendwer sagte ihm, er solle nach Hause gehen, aber er wollte nicht und bettelte uns regelrecht an. Alle fanden ihn sehr witzig und keiner dachte auch nur daran ihn anzugreifen. Warum auch? Es wäre viel zu einfach gewesen. Ein Paar Mädchen aus der Gang hätten ihn am liebsten wirklich aufgenommen, weil er so süß war. Naja, durch sowas wird man schnell unvorsichtig. Plötzlich zieht der Kleine ein Wurfmesser und schmeißt das einem der anderen in den Schädel. Sofort tot. Die anderen sind erst mal wie erstarrt und bevor man irgendwas tun kann sind zwei weitere tot. Ich konnte nichts machen, war festgekettet, wie immer. Man darf Werwölfe auf Drogen halt nicht freirumlaufen lassen. Sie kamen nicht dazu mich freizumachen. Der Junge hat mit vier Wurfmessern neun aus der Gruppe gekillt. Dann ist er abgehauen, nie wieder gesehen. Der Junge war echt gut."

"Und du denkst, Xian ist auch so?" fragte Rumiko.

"Möglich wär's" meinte Osamu und zog an seiner Zigarette.

"Glaub ich weniger," entgegenete das Mädchen. Sie hatte ihr Müsli inzwischen fertig gegessen und stellte die leere Schüssel in die Spühlmaschine, "Schließlich habe ich sie angesprochen und nicht sie mich. Also kann das gar nicht sein. Und jetzt muss ich langsam mal in die Schule. Ciao!"

Rumiko schnappte ihr Schwert und ihre Schultasche, die am Tisch gelehnt hatten und verließ das Lost Fortress.

Intermission

"Und wie weit sind sie mit dem - wie nannten sie es? - 'Zerschlagen' der KON?"

"Sie erwarten, dass ich eine Gruppe, die Jahre Zeit hatte zusammenzuwachsen, innerhalb vier Tagen zerschlage? Ich brauche noch etwas Zeit."

"Und wissen sie was? Das ist genau das, was wir nocht haben: Zeit. Die Startphase läuft erfolgreich, geradezu perfekt. Wenn Kuramoto nun die KON ruft..."

"... wäre alles zu Nichte, ich weiß ich weiß."

"Warum tun sie dann nichts?"

"Ich strenge mich doch an. Schöpft Kuramoto verdacht?"

"Ich weiß nicht. Dieser Mann ist schwer zu durchschauen."

"Nun gut, starten sie ruhig die zweite Phase. Ich kümmere mich um die KON."

"Sind sie sicher?"

"Ja, die zweite Phase des Projektes C 15 kann beginnen. Hoffen wir nur, das Lin Xian nichts merkt."

"Dieses Mädchen scheint ihr größtes Problem zu sein."

"Sie weiß nicht warum sie noch lebt... und wenn sie es erfährt, kann das genau so schlimme Folgen haben wie ein Eingriff der KON."

Stage 5 - The Blood-Splattert Skirt

"Heute müssen wir aber echt das ganze Zeug kaufen, No. 6," erklärte Junichi dem Cyborg. Der Junge saß auf seinem Bett, No.6 kniete davor, hatte ihr Kinn auf Junichis linkes Knie gelegt und sah ihn an.

"Kann das nicht noch warten?" fragte sie mit bittendem Blick.

"Du hast Angst davor, dass ich an dir arbeite, oder?" fragte der Junge mit einen Lächeln auf seinen Lippen. No. 6 schüttelte den Kopf.

"Nein, das ist es nicht, Juni," sagte sie, "Das hieße ja, ich würde dir nicht vertrauen. Es ist nur... Muss es wirklich heute sein?"

"Je schneller, desto besser,"entgegnete der Junge. No. 6 schien zu überlegen.

"Kannst du das nicht alleine machen?" fragte sie vorsichtig, "Ich hab doch sowieso keine Ahnung von dem Zeug, dass du da kaufst..."

"Was?" rief Junichi, "Was hast du den heute, No. 6? Das Zeug ist doch alles für dich! Ich denke, dass wir beide nicht wollen, dass sowas wie gestern nochmal passiert."

"Ja, ich weiß..." meinte No. 6, "Aber heute... Muss das denn wirklich heute sein?"

In diesem Moment klopfte es an die Tür und sie öffnete sich gleich darauf.

"Hey, Sixy, ready?" fragte Osamu, der nun da stand, eine Zigarette im Mund und sich am Türrahme anlehnte.

Junichi und No.6 sahen zuerst zu Osamu und blickten sich danach wieder gegenseitig an.

"Was hat das zu bedeuten, No. 6?" fragte Junichi mit einer wütend ruhigen Stimme.

"Juni, das wollte ich dir ja sagen..." meinte No. 6, "Heute ist der große Preis des Moto GPs... Heute entscheidet sich, ob Vincent Ferris Weltmeister wird..."

"Aha, deshalb wolltest du nicht mit," entgegnete Junichi, wobei man deutlich merkte, wie der Zorn in ihm hochstieg. Er schob No.6's Kopf von seinem Knie und stand auf.

"Das Rennen ist dir natürlich wichtiger... Ich glaub, du verstehst gar nicht, wie ernst die Sache ist! Es geht hier um deine Leben!" sagte der Junge, wobei seine zornige Stimmer immer lauter wurde, bis er den letzten Satz schrie.

"Jetzt übertreibst du aber," meinte Osamu ruhig.

"Du, halt dich da raus!" schrie Junichi weiter.

"Hab nichts gesagt," entgegnete Osamu und hob abwehrend seine Hände.

No. 6 saß mit angewinkelten Beinen auf dem Boden des Zimmers und schwieg.

"Gut, No. 6, dann bleib halt hier! Hoffentlich gefällt's dir!" rief Junichi sarkastisch, "Auf jeden Fall gehe ich jetzt einkaufen! Ich lass dich hier nicht verrecken, auch wenn du's anscheint so willst!"

Wütend nahm Junichi sich eine gelbe Jacke, ging an Osamu vorbei aus dem Zimmer und verließ das Lost Fortress ohne ein weiteres Wort.

"Willst du nicht lieber mitgehen?" fragte Osamu, "Ich kann das Rennen ja aufnehmen."

No.6 schüttelte den Kopf und stand auf.

"Nein," antwortete sie trotzig, "Ich bin ein Cyborg, von mir aus sogar sein Cyborg, und nicht sein Spielzeug!"

"Das habe ich auch nicht so gemeint," sagte Osamu ruhig, zog an seiner Zigarette und fuhr fort: "Aber du bist seine Freundin."

"Na und?" Osamu seufzte.

"Bin ich froh, dass ich diese ganzen Probleme nicht habe," meinte er, "Naja, let's go."
 

Die Wolken wurde immer dunkler, als Junichi die Straßenbahn im Zentrum Neo Tokyos in der Nähe des Stadtteils Nanayami verließ. Er war wütend und konnte nicht verstehen, dass No. 6 das Rennen wichtiger war als ihre Gesundheit... Naja, Osamu hatte Recht, ihr Leben hing nicht davon ab. Es war sicher, solang sie nicht wieder ihre Hand überstrapazierte und das würde sie nachdem was am vorigen Tag passiert war ganz bestimmt nicht wiederholen. Eigentlich waren das auch nicht die wirklichen Gründe für seine Wut. Junichi war enttäuscht, dass No. 6 sich lieber ein Rennen ansah als etwas mit ihm zu unternehmen. Während er weiter versuchte, die Gedanken, die sich in seinem Kopf drehten, zu konzentrien, die Wut, die Enttäuschung und auch die Sorge zu ordnen, setzte ein milder Regen ein. Er musst nicht mehr weit laufen, bis er zu seinem Ziel kam. Ein nicht besonders großes Geschaft mit dem Namen "Freeman's". Der Junge öffnete die Tür und betrat den Laden. Der Verkaufsraum war fensterlos und mit metallenen, bronzefarbenen Reaglen eingerichtet. An der Decke drehte sich schwerfällig ein großer Ventilator. Hinter den dicken Glasscheiben vor den Regalen lagen verschiedene Cyberimplantate. Mechanische Arme, Hände, Augen, Knie, eigentlich alles. Dazu kleinere Implantate, die überall am Körper eingesetzt werden konnten. Zum Teil gab es auch Waffen, welche in die Implantate intergriert waren und nur mit diversen Waffenscheinen und erlaubnissen gekauft werden durften, die Junichi nicht hatte. Die Sachen, die er suchte, lagen ohnehin nicht in den Regalen. Das hatte Junichi auch gar nicht anders erwartet. Er ging zur Kasse, hinter der ein junger Mann, wenig älter als 20, auf einem gekippten Stuhl saß. Er hatte kurze schwarze Haare und trug Jeans, ein schwarzes T-Shirt mit dem dem Aufdruck "Gravity" und eine Sonnenbrille. Seinen Kopf hatte er in den Nacken gelegt und er blickte zur Decke.

"Hi," sagte Junichi und lehnte sich auf den Tisch.

Der Verkäufer blickte ihn an, ließ den Stuhl wieder nach Vorne auf alle vier Beine kippen, nahm seine Sonnebrille ab und grinste Junichi an.

"Hey, Kleiner, kann's sein, das du im falschen Geschäft bist?" fragte er, "Hier gibt's keine Videospiele."

Junichi sah ihn kurz schweigend an, dann sagte er: "Ich hatte auch nicht vor sowas hier zu kaufen. Ich brauche eine HTB-Batterie, 2 oder nein, 3 Magnetstreifen E 7,5, dann noch 2 Meter Stabilkabel für Stoffverbindungen, eine 2er Falsche Siliziumlösung und 50 Gramm Healsalt, mindestens 57 Prozent. Da fällt mir ein, habt ihr neues 23er Eyelash in der Farbe silbergrau12?"

Wieder entstand ein kurzes Schweigen, doch dieses Mal war es Junichi, der grinste. Der Verkäufer sah zu erst verwirrt aus, doch dann wechselte sein Gesichtsausdruck in Wut.

"Siehst du das Zeug hier irgendwo? Nein! Also hau ab! Sowas verkaufen wir nicht! Vor allem nicht an Babys wie dich!" rief der junge Mann wütend, "Es ist verboten Rohmaterialien zu verkaufen! Was willst du damit?"

"Meinen Cyborg reparieren!" antwortete Junichi gereizt, "Ich bin kein Kind mehr! Rufen sie Mr. Freeman!"

"DEIN Cyborg?" schrie der Verkäufer Zorn erfüllt, "Ist er dein Privateigentum? Cyborgs sind auch..."

"Was soll das, Kenji?" hörten sie da die ruhige Stimme eines älteren Mannes aus den Hinterraum des Geschäftes.

"Ähm, Chef hier ist so ein Kind, das..." begann Kenji, der Verkäufer, der sich zur hinteren Tür gedreht hatte, aus der jetzt gerade der Besitzer des Geschäftes trat. Seine trüben, alten Augen hellten sich auf, als er Junichi sah und so unterbrach er den jungen Mann an der Kasse einfach.

"Mihara!" rief er und lief zu ihm.

"Junichi, das habe ich doch schon Tausendmal gesagt, Goro," meinte Junichi grinsend.

Goro Freeman war ein älterer Mann, Anfang Fünzig. Seine gewellte, ehemals schwarzen Haare reichten ihn bis zu den Schultern und waren bereits mit vielen grauen Strähnen durch zogen. Sein sonnengebräuntes Gesicht war von tiefen Falten durchzogen und in der Mitte saß die relativ große, runde Nase des Mannes. Freemann trug eine braune Lederhose, die mit vielen Flecken übersät war. Dazu trug er ein graues T-Shirt mit langen Ärmeln und darüber eine gelb-beige farbene Weste.

"Nein, Junge, für mich wirst du immer Mihara sein," meinte Freeman kopfschüttlend, "Sie hat dich Junichi genannt."

"Verstehe," Junichi nickte. Er wußte, wer mit "sie" gemeint war: Sakura, seine erste Freundin... Freeman hatte sie damals, noch bevor Junichi sie kannte, vercybert. Auch noch nach ihrem Tod waren Junichi und Freeman Freunde, obwohl sie sich durch den Cyborg kennengelernt hatten und gegenseitig die schmerzhaften Erinnerungen wieder hervor riefen. Nach dem kurzen, betroffenen Schweigen, wobei auch Kenji schwieg, allerdings eher aus Verwirrung, fragte Freeman:

"Na, heute ohne No. 6?" Junichi schnaubte verächtlich.

"Nein," sagte er mit bissiger Stimme, "Sie wollte nicht mitkommen, obwohl sie sich gestern kurzgeschlossen hat. Heute ist nämlich ein wichtiges Rennen des Moto GP..."

"Die schöne Frau hat sich kurzgeschlossen?" fragte Freeman, mit einer Mischung aus Entsetzen und Verwunderung, "Warum?"

"Naja, sie war aufgeregt... hat ausversehen die Hand überdreht... du weißt doch, da verläuft die Strom-HTB-Verbing zum Hauptzentrum," meinte Junichi etwas verlegen, "Ich weiß, ich hätte den Verlauf anders legen sollen..."

"Gib dir nicht die Schuld, du kannst es ja verbessern," antwortet Freeman mit ruhigem, aufmunterndem Lächeln, "Hmm... dazu brauchst du Stabilkabel, oder? Auf Natura-Basis, wenn ich mich richtig erinnere."

Junichi nickte. "Ja, 2 Meter. und E 7,5 Magnetstreifen... 3 Stück... ach was soll's? Ich nehm 4. Und einen neue HTB-Batterie. Dann Healsalt, 50 Gramm und eine 2er Siliziumlösung. Ja... ich glaub, das war's... Nein, moment habt ihr neues Eyelash? Ich bräuchte 23er in der Farbe silbergrau12."

"Oh je..." meinte der Mann und runzelte die Stirn, "daran kann ich mich doch nicht alles erinnern. Kenji, du hast gehört, was Mihara gesagt hat! Geh ins Lager und hol die Sachen!"

"A... aber, Mr. Freeman... das... das," stotterte der junge Mann verwirrt.

"Keine Sorge, Kenji," meinte Freeman mit einem freundlichen Lächeln, "Ich kenne diesen Jungen schon lange. Ihm kann man vertrauen."

Kenji nickte unsicher, stand auf und ging in das Hinterzimmer des Geschäftes.

"Wer ist das?" fragte Junichi, "Oder besser warum abreitet er hier?"

"Maeda Kenji, mein erster und einziger Mitarbeiter. Er arbeitet hier, weil seine Eltern ein 'Schon Okay' nicht akzeptiert haben," erklärte Freeman.

"Kannst du mir näheres erzählen?"fragte Junichi und beugte sich auf den Tisch.

"Er wollte Selbstmord begehen, hat sich vor ein Auto geworfen, warum weiß ich nicht," flüsterte Freeman, "Er wäre gestorben, wenn ich ihn nicht vercybert hätte."

"Das wollte er doch auch," murmelte der Junge.

"Niemand der die Chance auf ein Leben hat will sterben," entgegnete der ältere Mann.

"Er sieht nicht aus wie ein Cyborg," meinte Junichi.

"Tja, mit dem T-Shirt merkt man das nicht. Fast sein ganzer Oberkörper ist vercybert," erklärte Freeman.

Dann kam Kenji zurück. In einer Plastiktüte hatte er Die Sachen dabei, die Junichi kaufen wollte. Missmutig stellte er die Tüte auf dem Tisch.

"Hier," murmelte er, "Dürfte alles da sein."

Mit einem breiten, überlegenem Grinsen, nahm Junichi die Tüte.

"Danke," sagte er und fragte Freeman dann: "Wieviel macht das?"

"Hmmm, lass mal gucken..." antwortete der Mann, "Dürften 370.000 Yen sein, würde ich sagen."

"Okay, und 3.000 Yen extra, weil ich das alles nie gekauft habe," meinte Junichi und legte das Geld auf den Tisch.

Plötzlich war ein Donnern von draußen zu hören. Freeman seufzte.

"Das war's also mit dem schönen Wetter," murmelte er, während er das Geld in der Kasse verstaute.

"Naja, ich geh dann mal wieder, bevor das Wetter noch schlechter wird," meinte Junichi.

"Ja, okay," sagte Freeman, "grüß No.6 von mir. Und komm bald wieder, Mihara!"
 

Ein lautes Donnern erschall über dem Lost Fortress. No. 6 zuckte zusammen. Osamu, der neben ihr saß, blickte sie besorgt an, schwieg aber. Das Motorradrennen war beendet und Vincent Ferris war Weltmeister. Vor einer Weile war Tatsuya kurz in das Lost Fortress gekommen, hatte geduscht, sich mit No.6 und Osamu unterhalten und war wieder gegangen. Nun saßen Osamu und No. 6 zusammen in Junichis Zimmer. Der Cyborg hatte sich ein Kissen genommen, es fest an sich gedrückt und ihr Gesicht darin verborgen.

"Sixy, du solltest dich irgendwie ablenken," meinte Osamu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. No. 6 schüttelte den Kopf.

"Nein, ist schon okay," flüsterte sie mit zitternder Stimme, "Es kann ja gar nichts passieren."

"Du lügst," meinte Osamu seufzend und nahm die Hand wieder zurück, "Jeder würde merken, dass du Angst hast. Komm schon, 'ne Runde zocken kann dich bestimmt ablenken."

Der Werwolf stand auf und schaltete ein Rennspiel an. Dann warf er No.6 einen der beiden Kontroller hin. Der Cyborg blickte vom Kissen auf und sah zu Osamu. Er saß auf dem Boden, mit einer Zigarette im Mund und dem anderen Kontroller in der Hand. In seinem Gesicht war dieses merkwürdige Mischung aus Müdigkeit eines, der zu viel erlebt hat und einem sanften Lächeln zu sehen. No.6 zuckte innerlich zusammen und nahm mit zitternder Hand den Kontroller.

Das Spiel, das Osamu ausgewählt hatte, war ein futuristischer Motorrad-Racer, namens "CyMoto 5000". Es gehörte zu No.6's Lieblingsspielen, da es die beiden Genres Racer und Shooter verband. Außerdem konnte man, im Gegensatz zu den meisten "realistischen" Racern auch Cyborg und Faunoiden spielen, denen eigentlich die Teilnahme an solchen Rennen verboten war.

"Ready?" fragte Osamu und No.6 nickte.

"CyMoto 5000. Choose your Player!" klang es aus den Lautsprechern des Fernsehers.

Fast eine Stunde spielten die beiden das Spiel, wobei No.6 kein einziges Mal gewann. Die Stimmung war nicht fröhlich und gelassen, wie sonst immer, und auch nicht eine durch das Spiel angespannte Atmosphäre. Es war die drückende Atmosphäre von Angst und Sorge. No. 6's Gedanken waren bei dem Unwetter, dass draußen wütete und obwohl Osamu sie beruhigen wollte, konnte er nichts an ihrer inneren Anspannung lösen. Nach dieser Stunde wurde das Spiel der beiden durch das Klingeln des Telefons unterbrochen. Osamu warf einen Blick zu No.6, die das Klingeln anscheint gar nicht bemerkt hatte. Die Augen des Cyborgs waren gerade und ausdruckslos nach vorne gerichtet, ohne etwas wirklich anzusehen und ihr Fuchsohr, sowie ihr Schwanz zuckten in unregelmäßigen Abständen nervös. Osamu unterbrach das Spiel.

"Das Telefon schreit," meinte er und stand auf. In der Tür blieb er noch einmal stehen und blickte No. 6 an.

"Kommst du klar?" fragte er besorgt. Der Cyborg wandte den starren Blick vom Bildschirm ab und sah Osamu an. Dann nickte sie.

"Junichi kommt bestimmt gleich," meinte No. 6 mit einem leichten, ängstlich-hoffnungsvollen Lächeln. Der Werwolf hob seine Augenbrauen, bevor er das Zimmer verließ und zum Telefon ging.

"Kawada Osamu," meldete er sich.

"Kawada, ich brauche ihre Hilfe," klang die Stimme des Polizeichefs Kuramoto aus dem Telefonhörer.

"Ach, das ist aber eine Überraschung." Osamu setzte sich auf dem Stuhl und legte seine Beine hoch. "Worum geht's?"

Kuramoto zögerte kurz, bevor er sagte: "Leider kann ich ihnen das nicht genau sagen."

"Was soll das heißen?" fragte Osamu. Er hatte den Telefonhörer mit der Schulter fixiert und zündete sich eine Zigarette an.

"Seit fünf Tagen läuft eine Gruppe schwerbewaffneter Männer durch Neo Tokyo," erklärte Kuramoto.

"Bewaffnete Männer in Neo Tokyo?" wiederholte Osamu mit sarkastischer Stimme, "Oh, das ist natürlich ein Fall für die KON."

"Sie verstehen nicht, Kawada," Ein leicht verzweifelter Unterton war in Kuramotos Stimme zu hören. "Ich muss sie einsetzen, ich vermute einen Verräter."

"Ein Verräter in Neo Tokyos Polizei? Sind sie sich da sicher?" fragte Osamu mit der gleichen Stimmlage wie zuvor.

"Ich empfehle ihnen diesen Auftrag ernst zu nehmen! Wer auch immer dahinter steckt, er weiß. was er tut!"

"Und er ist in der Lage ihre Männer so zu manipulieren, dass sie nichts von der ganzen Aktion mitkriegen wollen, weil das gesünder oder ertragreicher für sie ist," vermutete der Werwolf. Nachdem Kuramoto keine Antwort gab, fügte Osamu hinzu: "Sie sind so leicht zu durchschauen, Kuramoto."
 

Junichi hatte die Tüte fest an den Körper gedrückt, damit es nicht hinein regnen konnte. Der milde Schauer hatte sich in einen gewaltigen Regenguss verwandelt. Junichi beeilte sich, damit er schneller in der Nanayami-Halle ankam, in der seine Bahn fuhr. Die Nanayami-Halle war ein weiträumiger, dreistöckiger Komplex mit einer Vielzahl verschiedener Geschäfte und einen Bahnhof Halle, in der man Anschluß an jede Bahn und jeden Bus Neo Tokyos erhalten konnte. Sie befand sich am Rand der City Neo Tokyos, der Innenstadt, in der kaum jemand lebte, weil es zu teuer war. Hauptsächlich fand man in der City öffentliche Einrichtungen. Gleich neben ihr begann der Stadtbezirk Nanayami. Als Junichi in der Nanayami-Halle ankam war er völlig durchnässt. Leise fluchtend stellte der Junge die Tüte neben sich auf den Boden, setzte seine Mütze ab und schüttelte seine nassen Haare.

"Na, Junichi, nass geworden?" hörte der Junge eine spöttische Stimme neben sich. Er kannte diese Stimme und er kannte auch das schadenfrohe Grinsen, das er sehen würde, wenn er sich zur Seite wenden würde. Junichi drehte sich genervt um.

"Halt die Klappe, Tatsu..." begann er mit entnervter Stimme, doch dann stoppte er. Natürlich war es Tatsuya, der nun vor ihm stand, aber er war nicht allein. An seiner Seite stand ein junges Mädchen, mit langen dunklen Haaren, die zu kunstvollen Zöpfen geflochten waren, und einem roten chinesischem Kleid.

"Hey, starr mir meine Freundin nicht so lüsternd an!" sagte der Scharfschütze und legte seinen Arm um die Schultern des Mädchens, während er Junichi immernoch angrinste.

"Normaler Weise bin ich es, der das sagt," meinte Junichi perplex, "Tatsuya, ist das...?"

"Jep! Das hübscheste und liebste Mädchen auf der ganzen Welt," antwortete Tatsuya. Xian verbeugte sich leicht vor Junichi.

"Hallo, ich bin Lin Xian,"sagte sie und fügte hinzu: "Du musst ein Freund von Tatsuya sein."

Junichi nickte nur, dann wandt er sich wieder an Tatsuya und sagte mit zusammengebissenen Zähnen: "Könnte ich dich vielleicht unter vier Augen sprechen?"

Tatsuya zuckte mit der Schulter. "Kleines, macht's dir was aus?" fragte er Xian, welche nur den Kopf schüttelte.

Junichi und Tatsuya stellten sich einige Meter weiter weg und Xian begann sich die Filme im Schaufenster eines nahen Geschäftes anzusehen.

"Tatsuya, sag mal, bist du total verrückt?" rief Junichi gereizt.

"Wenn du weiter so rumbrüllst, hätte Xian auch direkt neben uns stehen können," meinte Tatsuya wesentlich leiser.

"Ja... okay... aber du bist dir doch im Klaren, dass du mit der Kleinen ziemliche Probleme kriegen kannst," entgegnete der Junge, jetzt auch leiser.

"Falsch, nicht mit ihr, sondern wegen ihr," bemerkte der Scharfschütze ruhig.

"Du nimmst die Sachen nicht ernst genug," meinte Junichi, "Osamu bringt dich um!"

"Nur wenn er davon erfährt," sagte Tatsuya unbesorgt.

"Und das wird er." Kaum hatte Junichi diesen Satz gesagt, packte Tatsuya ihn an den Schultern und sah ihm eindringlich in die Augen.

"Los, erzähl's ihm," flüsterte der Scharfschütze mit bedrohlicher Stimme, "Das wäre mein Tod. Aber deiner auch."

Junichi rieß sich los und sagte: "Ich hatte nicht vor ihm davon zu verraten."

Tatsuya antwortet nicht und Junichi fuhr fort: "Aber du kennst Osamu. Er..."

"... ist ein machtgeiler Irrer, der uns vom schlechten Einfluss dieser... was auch immer fernhalten will," unterbrach Tatsuya ihn, "Hey, Junge mach doch mal die Augen auf. Was kann Xian schon schlimmes machen?"

Junichi warf einen Blick zu der Chinesin, die sich interessiert die Filmbilder im Schaufenster betrachtete. Sie wirkte so unschuldig als wäre sie nicht von dieser Welt, zumindest nicht aus dieser Zeit der Angst und des Hasses. Und sie war hübsch, sehr hübsch sogar.

"Anscheint verstehst du, was ich meine." Tatsuyas Worte rissen Junichi aus den Gedanken.

"Ja, schon," murmelte er und fügte dann etwas selbstsicherer hinzu: "Aber ich bin sicher, Osamu hat seine Gründe, ihr nicht zu trauen."

"Er hat Angst vor netten Menschen! Das zerstört sein 'Alle-sind-schlecht'-Weltbild," sagte Tatsuya schulterzuckend.

Langsam breitete sich ein breites, ziemlich fieses Grinsen auf seinen Lippen aus.

"Wo wir grad vom Werwolf sprechen," sagte Tatsuya, "Sag mal, findest du dass okay, Sexy Sixy einfach so bei ihm zu lassen? Ich mein, bald haben wir dann bestimmt jede Menge Welpen."

Ein lautes Donnern ertönte.

"No. 6!" rief Junichi erschroken. Ihm war erst in dieser Sekunde bewusst geworden, dass der Cyborg panische Angst vor Gewittern hatte.

Mit wenigen Worten verabschiedete sich der Junge, schnappte seine Tüte und rannte zum Bahnhof.
 

Den Weg von Haltestelle Oniyama bis zum Lost Fortress rannte Junichi durch den strömenden Regen. Atemlos und vollkommen durchnässt riß er die Tür zum Lost Fortress auf. Osamu saß hinter dem Tisch, die Beine hochgelegt und eine Zigarette im Mund.

"Du bist spät," murmelte er, "Sixy braucht dich!"

Junichi nickte nur kurz, ließ die Tüte fallen und lief in sein Zimmer.

No. 6 saß völlig apathisch auf dem Bett. Die Beine hatte sie angewinkelt und an den Körper gedrückt. Der Kontroller lag neben ihr und auf dem Fernsehbildschirm war immer noch das Spiel, das Osamu vor ungefähr einer dreiviertel Stunde angehalten hatte. Ihren Kopf hatte No. 6 mit dem Gesicht nach unten auf ihre Knie gelegt und ihr ganzer Körper zitterte. Sie schluchzte und murmelte mit zitternde Stimme leise, sich wiederholende Worte, die Junichi erst bei genauem Hinhören als seinen Namen und einige Entschuldigungen erkannte. Junichi fühlte sich wie versteinert. Die Wut, die er noch vor kurzer Zeit auf No. 6 verspürt hatte, war wie weggeblasen.

"No. 6!" rief Junichi. Am liebsten wäre er zu dem Cyborg gerannt, doch irgendetwas in seinem Innern hinderte ihn dran. No. 6's Fuchsohr zuckte kurz, sonst schien sie Junichi, der nun langsam zu ihr ging, gar nicht bemerkt zu haben. Vorsichtig setzte der Junge sich neben sie und legte vorsichtig seine Hand in ihren Nacken. No. 6 zuckte zusammen und sah dann vorsichtig auf. An ihrem Gesicht konnte man deutlich erkennen, dass sie geweint hatte.

"Junichi..." flüsterte sie mit erstickter Stimme. Der Junge nickte. No. 6 warf ihre Arme um Junichi und drückte ihn an sich.

"Junichi..." wiederholte sie und begann erneut zu weinen, "Ich..."

"Es ist okay, Schöne, es ist schon in Ordnung," sagte Junichi leise, während er merkte, dass ihm auch Tränen in die Augen stiegen, "Wir haben beide Fehler gemacht."

Ein weiteres Donnern war zu hören und wieder zuckte No. 6 zusammen. Junichi streichelte leicht ihren Nacken und flüsterte:

"Keine Angst, Schöne, ich bin bei dir. Ich beschütze dich für immer. Versprochen!"
 

Es war dunkel, als Rumiko sich langsam auf den Weg zum Lost Fortess machte. Sie hatte lange Unterricht gehabt und außerdem keine wirkliche Lust zum Lost Fortress zurück zu gehen. Sie war wütend auf Osamu und nicht in der Stimmung Tatsuya zu sehen um seine nervigen Komentare über sich ergehen zu lassen. Nachdenklich ging Rumiko nun schon seit einigen Stunden, durch die verregneten Straßen. Ihre Schuluniform und ihre Haare klebten durchnässt an ihrem Körper, denn trotz des Regens hatte sich das Mädchen keinen Platz zum Unterstellen gesucht. Ihre Schwert trug sie offen in der linken Hand, was eher eine Warnung war als die Absicht es auch wirklich einzusetzten. Rumiko war zu diesem Zeit Punkt zu nachdenklich und nervös um zu kämpfen. Sie hatte zwar kurz trainiert, denn sie liebte es im Regen zu kämpfen, aber sie hatte sich nicht gut konzentrieren können. Eigentlich hatte Rumiko noch gar keine Lust nach Hause zu gehen, doch sie hatte ein Wenig Angst nachts alleine und mit Schuluniform durch Neo Tokyo zu gehen. Sie kannte die Gründe für ihre Furcht. Rumiko hatte sich als sie gerade einmal fünfzehn Jahre alt war, zwei Monate lang auf den Straßen Neo Tokyos durchschlagen müssen. Sie wußte nur zu gut, wie schwer das Leben auf der Straße war, vor allem für ein junges Mädchen. Doch diese Gedanken, diese Sorgen wurde nahezu verschwindend klein, wenn sie an ihre Gesamtsituation dachte. Xian... Osamu... Nein, er konnte einfach nicht Recht haben... Aber genau dieses Gefühl war ja der Grundstein des Teddybär-Prinzips... Gefangen in diesem Kreis der Gedanken ging Rumiko durch die verregneten Straßen des abendlichen Neo Tokyos, bis sie plötzlich eine Stimme aus einer kleinen Seitengasse hörte.

"Hey, komm schon, Kleine. Stell dich nicht so an."

Rumiko griff ihr Schwert fester. Sie wußte, dass diese Angelegenheit, die sich dort einige Meter von ihr entfernt in der Seitengasse nicht ihre Sache war. Täglich wurden Mädchen, die auf der Straße lebten, vergewaltigt. Rumiko hatte es selbst am eigenen Leib erfahren müssen. Und das war auch der Grund, warum sie es nicht einfach so geschehen lassen konnte. Langsam schlich sich das Mädchen zu der Seitengasse und warf um die Ecke einen vorsichtigen Blick hinein. Sie wollte zu erst die ganze Lage analysieren, um weder sich, noch das Mädchen in Gefahr zu bringen.

Der Mann war allein mit seinem Opfer. Er hatte kurze, schwarze Haare, die sehr ungepflegt aussahen, war ungefähr dreißig Jahre alt und ein leichter Geruch von Alkohol und Schweiß umgab ihn. Der Mann trug einen schmutzigen, grauen Anzug, den er anscheint seit einigen Tagen nicht mehr gewechselt hatte und seine beiden Hände hatte er links und rechts vom Kopf seines Opfers gegen die Wand gestemmt.

"N... nein... bitte..."

Rumiko zuckte zusammen. Diese Stimme... das Mädchen... Xian!? Nein, unmöglich. Osamus Stimme erklang in ihrem Kopf: "Einschleichen, Vertrauen gewinnen, vernichten... - Und du denkst, Xian ist auch so? - Möglich wär's."

Rumiko zitterte. Was, wenn Osamu recht hatte? Was, wenn sie wirklich nur Opfer des Teddybär-Prinzips geworden war? Jetzt war der Zeitpunkt, an dem Rumiko es herausfinden konnte. Bei diesem Gedanken verspührte das Mädchen einen stechenden Schmerz in der Brust. Wie konnte sie das tun? Vorsichtig sah Rumiko weiterhin um die Ecke, um sofort eingreifen zu können, wenn Xian sich nicht wehrte. Sie war sich sicher, dass ihre Freundin sie nicht sehen konnte, da sie die Szene nur sehr unauffällig beobachtete und zu dem stand der Mann so vor seinem Opfer, dass es für sie kaum eine Möglichkeit gab an ihm vorbei zu sehen. Xian war mit dem Rücken an die kalte schmutzige Wand gedrückt, leise schluchzend verzweifelte Worte flüsternd, die Rumiko nicht verstand. Aber sie tat nichts, rührte sich nicht einmal. Die Schwertkämpferin wurde unruhig und zweifelte immer mehr an Osamus Vermutung. Langsam senkte der Mann seine rechte Hand und öffnete seine Hose.

"Nein!"

Rumiko sprang auf und rannte mit erhobenem Schwert zu den beiden. Verdutzt drehte der Mann der Kopf, doch kaum hatte er Rumiko gesehen, hatte sie ihm bereits das Schwert in die Stirn gebohrt. Langsam verdrehten sich die weitaufgerissenen Augen des Mannes, bevor er mit einem erstickten Stöhnen zu Boden fiel.

"Xian, geh," flüsterte die Schwertkämpferin, während sie mit vor Zorn glühenden Augen auf den Mann niederblickte. Langsam kamen in ihr alle Erinnerungen wieder hoch. Der Schmerz, die Hilflosigkeit, die Angst, die Demütigung... alles was sie damals hatte erleiden müssen. Zorn und blanker Haß erfüllten Rumiko. Dieser Mann hatte alles das ihrer Freundin zufügen wollen. Mit einem leichten Ruck zog das Mädchen ihr Schwert aus dem Schädel des Mannes. Dnn senkte sich ein roter Schleier vor ihren Blick. Wie in Trance schlug sie immer und immer wieder auf den am Boden liegenden Körper ein. Schon bald hatte das Blut den dunklen Asphalt bedeckt und Rumikos Kleidung durchtränkt. Der rote Schleier lichtete sich, so dass das Mädchen wieder klar sehen und denken konnte. Sie sah sich in der Gasse um. Xian war nicht zu sehen. Anscheint hatte sie auf Rumiko gehört und war gegangen. Erleichtert atmete die Schwertkämpferin auf, denn sie war froh, das ihre Freundin nicht gesehen hatte, wie sie der Blutlust verfallen war. Rumiko wischte die blutverschmierte Klinge ihres Schwertes mit einem dafür vorgesehenen Lappen ab, bevor sie es in die Schwertscheide zurückschob. Dann drehte sie sich um und trat wieder aus der Seitengasse heraus. Doch plötzlich erstarrte Rumiko. Xian stand nicht weit entfernt von ihr und starrte sie mit einer bizarren Mischung aus Dankbarkeit und Entsetzen an. Auch Xians Kleid hatte Blutspritzer abbekommen, auch wenn es weitaus weniger waren als bei Rumiko. Schweigend sahen sich die beiden Mädchen an.

"Alles Okay?" unterbrach Rumiko die Stille, während sie sich dachte: "Osamu hat sich geirrt."

Xian nickte zitternd.

"Tut mir Leid," sagte Rumiko und blickte an ihrem Kleid hinunter, "Ich habe irgendwie die Kontrolle über mich verloren."

Doch dann fügte sie mit einem Lächeln hinzu: "Aber ich bin froh, dass dir nichts passiert ist."

Xian lächelte nicht. Rumikos Worte schienen das verstörte Mädchen in keiner Weise zu beruhigen.

"Rumiko..." flüsterte sie mit zitternder Stimme, als ob sie die ganze Situation nicht richtig begreifen könnte, "Was..."

Das Lächeln schwand von Rumikos Lippen.

"Xian..." meinte die Schwertkämpferin leise und mitleidig, "So läuft es hier in Neo Tokyo. Willkommen in meiner Welt. Ich wünschte, du hättest sie nie kennengelernt."

Tränen sammelten sich in den angstvoll geweiteten Augen der Chinesin.

"Warum?" fragte sie leise, "Warum, Rumiko? Warum passiert so etwas?"

Dann begann Xian zu weinen. Rumiko ging zu ihr und legte tröstend ihre Arme um ihre Freundin. Noch eine Weile standen die beiden Mädchen im schwachen Abendregen in Neo Tokyo. Als sich Xian einiger Maßen beruhigt hatte, gingen die Freundinnen zur nächsten Bushaltestelle. Anfangs liefen sie nur schweigend neben einander her, dann begannen sie langsam über irgendwelche Nichtigkeiten zu reden. Am Ende, als sie an ihrem Ziel angekommen waren, hatte Rumiko es sogar geschafft Xian wieder ein Lächeln über die Lippen huschen zu lassen.

Die Station Oniyama, die sem Lost Fortress am nächsten war , kam vor den Station, an der Xian aussteigen musste. So stieg Rumiko vor ihrer Freundin aus.

"Wenn du mal wieder Zeit und Lust hast, kannst du mich ja wieder mal von der Schule abholen," sagte Rumiko, bevor sie sich endgültig auf den Weg zum Lost Fortress machte.
 

"Rumiko, Blut klebt an deinem Rock."

Rumiko zuckte zusammen, als sie Osamus Stimme hörte. Sie hatte noch nicht einmal den halben Weg zum Lost Fortress zurück gelegt und die Dunkelheit der Nacht war herein gebrochen.

"Und das meine ich nicht metaphorisch," fügte der Werwolf, der nun in menschlicher Gestalt aus dem Schatten getreten war, hinzu, "Du siehst echt schlimm aus."

"Was machst du hier?" fragte Rumiko verwundert.

"Wollte dich suchen," antwortete Osamu, "Keiner hat dich den Tag über gesehen. Als dann Tatsuya eben kam und auch nicht wußte wo du bist, hab ich mir ernsthaft Sorgen gemacht. Wegen gestern, you know."

Rumiko nickte und meinte dann: "Gehen wir. Es ist ja niemandem was passiert."

Osamu blickte Rumikos blutbeschmierte Schuluniform hinab, sah dem Mädchen dann in die Augen und hob eine Augenbraue.

"Naja, Zumindest niemanden, der es nicht anders verdient hätte," ergänzte Rumiko ihre Aussage, "Und, Osamu, dieser blutbespritzte Rock ist der Beweis dafür, dass du dich in Xian geirrt hast."

Stage 6 - She

Am nächsten Morgen war einer der wenigen Tage, an denen die KON zusammen frühstückten. Rumiko hatte einen Tag schulfrei bekommen. Es würde heißen sie wäre zwei Tage krank gewesen, da nicht einmal ihre Lehrer von der Existenz der KON wußten, ganz zu schweigen davon, dass Rumiko zu ihnen gehörte. Das Einzige, was die Lehrer über sie wußten, war, dass das Mädchen unter dem Schutz der Polizei stand. Natürlich vermuteten viele Lehrer bereits, dass dieses Fehlen nicht wirklich krankheitsbedingt war, aber niemand sagte etwas. Über Rumiko zu sprechen war tabu, weil niemand in einen Konflikt mit der Polizei geraten wollte. Dem Mädchen selbst war diese Sache egal. Für sie war es einfach ein freier Tag, dessen Hausaufgaben sie nachholen musste und an dem sie mit den anderen einen Auftrag erledigte.

Wenn man davon absah, dass es sich um die Knoghts of Night handelte, war es eine ganz gewöhnliche Frühstückssituation. Rumiko trug heute Ausnahms Weise nicht ihre Schuluniform, sondern eine schwarze Jogginghose und ein kurzes schwarzes T-Shirt. Vor ihr stand eine große Schüssel Müsli und ein Tasse Kaffee, den Junichi gemacht hatte. Normaler Weise trank sie zum Frühstück immer Kakao, aber wenn sie die Möglichkeit hatte Kaffee zu trinken sagte sie nicht nein. Junichi trug ein weites T-Shirt mit schwarzem Gürtel und eine weite graue Hose. Im Normalfall trank er nur seinen Kaffee, da er nach eigenen Angaben sonst am Tag überhaupt nichts zu Stande bringen würde. Heute jedoch, da alle zusammen frühstückten, hatte Osamu Pfannkuchen gemacht, von denen Junichi auch ass. No. 6's Frühstück bestand aus Tee, Toast mit Honig und ebenfalls den Pfannkuchen. Sie trug ihre Alltagskleidung: Rotes Top und blaue aus Jeansstoff bestehende Hot Pants. Tatsuya war als letzter aufgestanden, wasman ihm auch deutlich ansehen konnte. Seine Haare hatte er noch nicht gekämmt und die Federn seiner Flügel standen zum Teil in alle Himmelsrichtungen ab. Er hatte sich nur flüchtig ein Ärmelloses dunkelrotes T-Shirt und eine kurze graue Hose angezogen. Sein Frühstück war wie das von No. 6, nur dass er Marmelade anstatt Honig auf dem Toast hatte. Osamu trank ebenfalls Tee. Er trug ein schwarzes T-Shirt und wie immer ausgetragene Jeans. Er ass nichts, da er schon vor den anderen gefrühstückt hatte. Die Gespräche, falls welche stattfanden waren mit wenigen Sätzen abgefertigt, bis Rumiko die entscheidende Frage stellte:

"Also, was ist den nun der Grund, dass ich nicht in die Schule muss? Oder besser wie lautet der Auftrag?"

Osamu nickte. Er hatte noch nicht gesagt, dass es sich um einen Auftrag handelte, sondern nur dass er sie alle sprechen wollte.

"Was? Ein Auftrag?" fragte Tatsuya und gähnte, "Och nee, müssen wir jetzt darüber sprechen? Lasst mich doch erstmal wach werden."

"Und so einer will Soldat sein," meinte Osamu, "Keine Disziplin, just like me. Und ich war so ziemlich das Gegenteil von einem Soldaten."

"Ich war Soldat," bemerkte Tatsuya, wobei seine Betonung auf dem "war" lag, "Was meinst du, warum ich's nicht mehr bin?"

"Auch wieder wahr," meinte Osamu schulternzuckend.

"Was ist denn jetzt mit dem Auftrag?" erkundigte sich No. 6.

Tatsuya stemmte seine Hände auf den Tisch und erhob sich. "Wenn das hier ein längeres Gespräch wird, dann mach ich erst mal meine Haare und Flügel. Ich fühl mich wie ein Penner."

"Pass auf was du sagst," meinte Osamu warnend aber nicht wütenden.

"Du weißt, was ich meine," sagte Tatsuya und streckte sich.

Dann drehte er sich um und ging zum Bad. Rumiko sah ihm hinterher. Als die Tür hinter dem Scharfschützen ins Schloß fiel, schüttelte das Mädchen den Kopf und wandt sich wieder den anderen zu.

"Ich wußte ja schon immer, dass er ein Macho ist, aber für so eitel hab ich ihn nicht gehalten," sagte Rumiko, bevor sie ihr Müsli weiter ass.

"Naja, aber es stimmt schon," meinte No. 6 schulternzuckend, "So sieht er echt scheiße aus."

"Das hab ich gehört!" kam Tatsuyas Stimme aus dem Bad.

"Und das íst auch gut so!" rief No. 6 zurück.

"Komm schon Sixy, lass dem Jungen doch sein Ego," meinte Osamu und trank einen Schluck Tee, "Das ist schließlich alles, was er hat."

"Und eine Sniper-Riffle," fügte Rumiko hinzu.

"Und ein Aussehen, mit der er fast jede Frau Neo Tokyos rumkriegen könnte," ergänzte Junichi.

Osamu grinste.

"Junichi, du bist doch nicht etwa eifersüchtig, oder so?" erkundigte sich der Werwolf.

"Was? Auf den? Nee!" rief Junichi, "Außerdem hab ich schließlich die beste Freundin Neo Tokyos. Warum sollte ich dann eifersüchtig sein?"

No. 6 lächelte leicht verlegen.

"Okay, bin fertig," meinte Tatsuya, der jetzt gerade aus dem Bad kam und dabei sein Kopftuch band, bevor er sich wieder auf den Stuhl setzte, "Worum geht's?"

Osamu, der gerade die Tasse an den Mund gehoben hatte sah auf. Dann trank er den Tee aus, stellte die Tasse kraftvoll auf den Tisch und sagte mit verheißungsvoller Stimme:

"Leute, Neo Tokyo braucht uns."

"Nein, echt?" riefen Rumiko und Tatsuya mit dem gleichen ironischen Tonfall.

"Doch, wirklich," beteuerte Osamu mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus in der Stimme, "Unsere unfehlbare Polizei hat ein Problem. Vermutlich einen Verräter oder so. Aber es kommt noch besser: Kuramoto hat mir mitgeteilt, dass sich bewaffnete Männer in unserer ach so friedlichen Stadt herumtreiben!"

"Bewaffnete Männer in Neo Tokyo?" wiederholte No. 6 und Junichi fügte hinzu: "Ja, das ist auf denen Fall ein Grund die KON zu rufen!"

Osamu nickte. "Das gleiche habe ich Kuramoto auch gesagt," meinte er, und seine Stimme war wieder ernst, "Aber er besteht darauf, das wir den Job machen. Irgendwas muss da dran sein, was er uns wieder mal verschweigen will."

Junichi grinste. "Ich könnte mich mal schlau machen!" meinte er, "Irgendwo auf dem Polizeirechner wird schon was darüber zu finden sein!"

"Und was genau sollen wir jetzt machen?" fragte Rumiko, "Aufklärungsarbeit?"

Tatsuya grinste. "Yeah, das wär' doch mal was! So richtig schön anspruchslos!"

"Wenn Kuramoto sowas sagen würde, müsste man eher einen Anschlag auf uns vermuten," sagte Osamu, "Nee, wir dürfen schon töten." Dann hob er seine Tasse hoch, bemerkte, dass sie bereits leer war, stellte sie wieder hin und fügte dann etwas leiser hinzu: "Auch wenn wir auf mein geliebtes Massaker verzichten müssen."

"Willst du damit sagen, wir müssen irgendwie planen?" fragte Junichi missmutig.

"Doch, ich befürchte, so sieht's aus!" meinte Osamu, "Ich mach mir noch 'nen Tee, dann fangen wir an zu... 'planen'."

Mit diesen Worten stand der Werwolf auf und begann sich erneut Teewasser aufzusetzen.

"Sollte Juni sich davor nicht erst mal schlau machen?" fragte Tatsuya und füte dann grinsend hinzu: "Falls das bei dem überhaupt möglich ist."

"Nenn mich nicht Juni!" knurrte Junichi gereizt während der Scharfschütz ihn provokant angrinste, "Oder..."

Eigentlich hatte sich der Junge gar nichts bei der Drohung gedacht, doch Tatsuyas Grinsen wisch einem düsteren, drohendem Blick. Jetzt erst erinnerte sich Junichi, was er gegen Tatsuya in der Hand hatte.

Zufriedend grinsend sagte er: "Oder... ich lösche deine gesamte Porno-Sammlung, die du auf meinem Computer gespeichert hast!"

Tatsuyas Gesicht lockerte sich. Er hatte verstanden, dass Junichi ihn nicht verraten wollte... oder dass er einfach noch weiter leben wollte.

"Hey, wenn du dass machst... dann..." entgegnete Tatsuya wieder grinsend, "dann mach ich auch irgendwas!"

"Keine Sorge, Tatsu," meinte Osamu, der mit dem Rücken zu den anderen stand, "Junichi guckt die sich doch selbst immer viel zu gerne an."

"Gar nicht wahr!" verteidigte sich Junichi trotzig.

"Stimmt, in denen ist einfach zu wenig Cyber für einen technophilen Jungen wie dich!" gab Tatsuya immernoch grinsend zurück.

Rumiko ließ ihren Löffel in die inzwischen leere Müslischüssel sinken und stand auf.

"Ich geh in mein Zimmer," sagte sie kalt, "Wenn das Gespräch wieder um unseren Auftrag geht oder wenigsten wieder Nivau hat, könnt ihr mich rufen."

"He, warte, Rumiko!" rief Tatsuya ihr hinterher, "So war das natürlich nicht gemeint! Du bist sowieso das süßeste Mädchen der Welt!"

Ohne sich umzudrehen oder stehen zu bleiben, hielt das Mädchen ihre Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger hoch und sagte: "Träum weiter, Wichser!"

"Ja, ich liebe dich auch," gab der Scharfschütze zurück.

"Leck mich!" Damit warf Rumiko ihre Zimmertür hinter sich zu.

"He, Kleines," rief Tatsuya und wollte der Schwertkämpferin folgen, doch Osamu hielt ihn zurück.

"Ich würde das sein lassen," meinte er ruhig, "So 'nen guten Scharfschützen wie dich findet man nicht sooft! Wäre schade, dich zu verlieren!"

Tatsuya seufzte.

"Warum nimmt Rumiko mich eigentlich nicht ernst?", fragte er mit einem betrübtem Blick in seinen Tee.

"Gegenfrage," sagte Osamu, trank einen Schluck und fuhr fort: "Meinst du es denn ernst?"

"Der ärgert sich doch nur, dass Rumiko die einzige ist, die nicht auf sein Machogetue reinfällt," meinte No. 6, "Das ist nicht gut für sein Ego."

Der Scharfschütze sah auf und grinste sie an.

"Was soll das?" fragte der Cyborg misstrauisch.

"Ich wußte doch, dass du auf mich stehst!" sagte Tatsuya.

"Was?" riefen No. 6 und Junichi wie aus einem Mund und auch Osamu blickte den Scharfschützen fragend an.

"Hast du eben selbst gesagt, Sixy," während er sich breit grinsend zu der jungen Frau beugte, "Wenn Rumi-chan die Einzige ist, die zu Unrecht nicht gemerkt hat, was für'n Traumtyp ich bin, dann bist du auch schon meinem übermenschlichen Charme erlegen."

"Der einzige, der dich für einen Traumtyp hält, bist du selbst," entgegnete No. 6 gereizt.

"Ach, auf einmal," sagte Tatsuya, "Eben klang das noch ganz anders."

Der Scharfschütze stellte die Ellenbögen auf den Tisch und legte seinen Kopf in die Hände. Mit sanftem Blick sah er No. 6 tief in die Augen, ein weiches, warmes, aber dennoch ernst wirkendes Lächeln lag auf seinen Lippen.

"Sei ehrlich, Liebes," sagte er sanft und mit einer fast magischen Ruhe in seiner tiefen Stimme, die No.6's Fuchsohr kurz zucken ließ, "Du musst es nicht verleugnen, um den kleinen Jungen zu schonen. Alle wissen, was zwischen uns ist, selbst er."

Ein stechender Schmerz und brennender Zorn durchzuckte Junichi. Ihm war zwar durchaus bewusst, dass nichts von dem, was Tatsuya sagte, wahr war, aber dennoch stieg eine tiefe Eifersucht in ihm auf. Junichi hatte etwas gegen Tatsuya in der Hand. Er war in der Lage sein Todesurteil zu unterzeichnen und er war bereit es tun.

Doch dazu kam er nicht, den grade als er diesen Gedanken gefasst hatte, hatte No.6 auch schon Tatsuya eine schallende Ohrfeige mit ihrer mechanischen rechten Hand, verpasst.

Tatsuyas linke Hand wanderte langsam auf die getroffene Wange, während er seinen Kopf wieder zu No.6 drehte.

Sie war aufgesprungen und hatte ihre Hände auf den Tisch gestämmt. Ihr goldfarbenes Fuchsauge funkelte wutentbrannt.

"Du verdammter..." knurrte No.6 wütend, während ihr Fuchsschwanz aufgeregt zuckte.

"Hey, Sixy, beruhig dich," sagte Osamu.

Er trank noch einen Schluck Tee, dann stand er auf und ging zu No.6. Der Werwolf legte seine Hände vorsichtig auf ihre Schultern.

"Weißt du, was du jetzt brauchst? Eine Runde durch die City," sagte Osamu mit beschwichtigender Stimme.

Langsam beruhigte sich No.6 wieder und stellte sich gerade hin. Dann seufzte sie und nickte.

"Junichi, darf ich deine Freundin auf'ne Tour durch Neo Tokyo mitnehmen?" fragte Osamu.

Der Junge nickte gedankenverloren. Ihm war bewusst, dass No.6's Ohrfeige Tatsuyas Leben gerettet hatte. Hätte Tasuya weiter mit No. 6 geflirtet, dann hätte Junichi ihn verraten. So weit war es zum Glück nicht gekommen.

"Ich sollte jetzt erst mal Infos sammeln," murmelte der junge Hacker, leiser, als er wollte und stand auf.

"Junichi? Alles Klar?" fragte No.6 besorgt. Der Junge schüttelte den Kopf.

"Ja, ja, alles klar, geht schon!" meinte er und lächelte dem Cyborg in das bekümmerte Gesicht, "Hab nur grade worüber nach gedacht!"

"Und worüber?" No.6's Besorgnis schlug blitzschnell in Neugierde um, als sie merkte, das Junichi wirklich keine Probleme hatte.

"Das... äh... sag ich dir, wenn du wieder zurück bist," meinte Junichi hastig.

No. 6 lächelte verständnisvoll. Sie verstand, dass das, was Junichi ihr sagen wollte nicht für die Ohren aller Anwesenden bestimmt war.

"Na gut, aber wenn ich wieder da bin, erzählst du's mir!" forderte der Cyborg.

Junichi nickte und sagte leise: "Ich liebe dich."

No.6 beugte sich zu dem Jungen vor und die beiden küssten sich leidenschaftlich.

Als sie fertig waren, meinte Tatsuya: "Hey, Sixy, ich liebe dich auch! Wo bleibt mein Kuss?"

Mit einem wütenden Funkeln in den Augen, sah No.6 den Scharfschützen kurz an, bevor sie ihm den Rücken zu drehte.

"Gehen wir," knurrte sie mit kalter Stimme zu Osamu, "Weg von hier, bevor es zum Blutvergießen kommt!"

Der Werwolf seufzte und fragte Tatsuya: "Das hättest du jetzt nicht sein lassen können, was?"

Tatsuyas einzige Antwort war sein breites Grinsen.

So trennten sich die KONs ohne ein weiteres Wort. No.6 und Osamu gingen in die Garage, wo Osamus Motorrad stand und fuhren dann zusammen in die in die Stadt. Junichi ging in die Werkstadt um sich am Computer Infomationen über die Geschenisse in Neo Tokyo zu holen, die Kuramoto ihnen verschwiegen hatte und Tatsuya begann den Frühstückstisch abzuräumen.
 

Für Junichi war es die einfachste Sache der Welt sich in fremde Rechner einzuloggen. Es gab kaum eine handelsübliche Sicherheitssoftware, die der junge Hacker nicht umgehen konnte. Die Rechner großer Unternehmen, Banken, Polizei und Militär waren natürlich besser gesichert, aber Junichi hatte längst die wichtigsten Codes geknackt und hatte quasi freien Zugang auf die Daten der Polizei Neo Tokyos. Doch selbst die besten Tricks schienen bei dieser Mission nicht viel weiter zu helfen. Es gab einen Verräter in den Reihen der Polizei, der wahrscheinlich mit allen Mittel versuchte, die Angelegenheit für seine Kollegen schwieriger zu gestalten und die Spuren zu verwischen. Dazu kam noch, das Junichi nicht einmal genau wußte, was er suchte. Bewaffnete Männer in Neo Tokyo gab es wie Sand am Meer. Was war daran, weshalb Kuramoto es für einen Auftrag für die KON hielt? Junichi begann die Polizeiberichte der letzten Tage durchzusehen. Nichts davon war wirklich interessant. Eine Gruppe Straßenkämpfer, die in der City von Neo Tokyo randaliert hatten, mindestens zum tausendsten Mal las Junichi einen Bericht in dem eine solche Situation geschildert wurde. Ein Mord an einem Geschäftsmann aus dem Stadtteil Tsukiko, bei dem es um Geld ging... Auch nichts Neues. Dies waren die üblichen, alltäglichen Verbrechen, deren Berichte sich glichen wie einem Ei dem anderen. Junichi hatte zwar nicht erwartet, das "Geheimnis" des Auftrages auf einem goldenen Tablett präsentiert zu bekommen, aber dennoch entmutigte ihn die anscheind sinn- und ziellose Suche langsam. Der Verräter wußte, wie man ein Verbrechen tarnt, damit die Kollegen es nicht zu sehr beachteten. Doch Junichi wußte, dass irgendwo etwas zu finden sein müsste. Und sei es nur eine Zeile, die das Abhanden kommen geheimer Waffen auch nur im entferntesten andeutete. Es dauerte zwar eine Weile, doch letztendlich wurde Junichi doch fündig. Und zwar in größerem Maße, als er sich er dacht hatte. In einem Bericht, der sicherverwahrt zwischen anderen abgeschlossen Berichten ruhte, entdeckte er eine trockene Abhandlung über die Männer, die schwerbewaffnet durch die City Neo Tokyos zogen. Der Bericht war in einer der üblichen Weisen geschrieben und abgeschlossen mit den Worten: "Nicht wert, dass sich die Polizei darum kümmert - Spezialeinheit der NTA." Darunter waren fünf bestätigende Unterschriften verschiedener Polizei Agents.

Junichi musste grinsen. Der Verräter wußte was er tat. Hätte er allein unterschrieben, wäre seine Tarnung viel zu schnell aufgeflogen. Wahrscheinlich war seine Unterschrift gar keine der fünf angegebenen. Aber Junichi hatte gefunden, was er suchte. Und sogar noch mehr, denn neben dem Bericht waren drei ordentlich archvierte Fotos der Männer, die als Spezialeinheit der NTA, der Neo Tokyo Army, getarnt waren. Es waren nicht viele Männer, ungefähr 5 oder 6, die man nicht auseinander halten konnte. Sie trugen alle die gleichen Uniformen, die sie wirklich als Mitglieder einer Spezialeinheit der NTA auszeichneten. Das NTA-Logo war auf jedem Helm und jedem Anzug und auch die Waffen die sie trugen waren eindeutig der NTA vorbehalten. Die Armee war nicht Junichis Fachgebiet, aber erwußte genau, an wen er sich richten konnte.
 

Tatsuya lag rücklings auf seinem Bett und war damit beschäftigt, gelangweilt Dartpfeile an die Dartscheibe, die an seiner Tür angebracht war, zu werfen. Zwischen seinen Fingern hielt er locker einen der kurzen Pfeilen und zielte auf den roten Mittelpunkt der Scheibe, in dem bereits nebeneinander zwei Pfeile steckten. Ein dritter stecke etwas weiter außen. Tatsuya atmete ein, schloß die Augen und warf den Pfeil locker auf die Scheibe. Als er das leise, dumpfe Geräusch hörte, an dem er erkannte, dass der Pfeil die Scheibe getroffen hatte, öffnete er die Augen wieder und sah dass, auch dieser in der Mitte getroffen hatte. In diesem Moment klopfte es an der Tür. Tatsuya achtete nicht darauf, sondern nahm einen der beiden Pfeile, die noch neben ihm langen, in die Hand. Er zielte wieder und achtete auch weiterhin weder auf das Klopfen noch auf Junichis Stimme, die ihn nun um Erlaubnis bat in das Zimmer kommen zu dürfen.

Während Tatsuya zielte, sagte er: "Kannst reinkommen!"

Junichi öffnete die Tür. Für weniger als eine Sekunde sah er Tatsuya, der auf dem Bett lag und den Pfeil losfliegen ließ. Für diese Bruchteile einer Sekunde dachte der Junge, Tatsuya würde auf ihn zielen und war vor Angst wie erstarrt. Der Pfeil blieb allerdings mit einem dumpfen Geräusch in der Dartscheibe hängen, die keinen Halben Meter von Junichi entfernt war. Tatsuyas schadenfrohes Lachen holte Junichi wieder aus der Starre zurück.

"Dieser Blick war echt unbezahlbar," meinte Tatsuya lachend und setzte sich an die Bettkante, "Ach ja, der Tag wird doch noch schön!"

Junichis Schock verwandelte sich nun in Wut und Scham.

"Was hast du dir dabei gedacht?" schrie er mit errötetem Gesicht, "Ich würd das an deiner Stelle lassen! Du weißt, was ich weiß!"

Immer noch grinsend antwortete der Scharfschütze: "Jetzt stell dich nicht so an. War doch nur'n Gag. Aber jetzt mal Ernst bei Seite: Was willst du von mir?"

"Achso, ja stimmt," Junichi beruhigte sich wieder, als er sich daran erinnerte, das er eigentlich Tatsuyas Hilfe brauchte, "Ähm, ich brauche die Hilfe von einem Soldat!"

Zu Junichis Verwunderung, sprang Tatsuya plötzlich auf, stellte sich grade, mit angelegten Flügeln hin, die Fersen zusammen, Blick starr nach Vorne, ohne jede Spur eines Grinsens und salutierte. In dieser Stellung blieb er ungefähr zwei Sekunden, bevor er sich wieder enspannte, die Flügel leicht öffnete und seinen üblichen lächelnden Blick wieder erlangte. Mit einem etwas stärkerem, ironischen Grinsen und einem Anflug von Spott in der Stimme, sagte er dann: "Scharfschütze Kanai meldet sich zum Dienst, Sir."

Junichi sah den Scharfschützen verwirrt an, dann schüttelte er den Kopf.

"Kaum zu glauben, dass du früher wirklich auf Komando so pariert hast..." meinte Junichi, "Aber egal, um so besser... du musst dir mal was angucken."

"No Problem," grinste Tatsuya und folgte Junichi, der das Zimmer verließ.

Wieder der Werstatt angekommen, in der sich das Computersystem von Junichi befand, setzte sich der Junge sofort auf den drehbaren Schreibtischstuhl vor dem Monitor und vergrößerte die Fotos, die er gefunden hatte.

"Was kannst du mir dazu sagen?" fragte Junichi, und drehte sich zu Tatsuya, der hinter ihm stand. Der Scharfschütze sah sich die Bilder genauer an.

"Nett," sagte er ernsthaft beeindruckt, "Man könnte fast denken, die wären echt von der NTA."

"Sind sie nicht?" erkundigte sich Junichi.

Tatsuya schüttelte den Kopf. "So eine Einheit gibt's da nicht! Vor allem würden die keine Jungs mit Vollkopfhelm nach Neo Tokyo in die City schicken ohne Kuramoto-chan Bescheid zu sagen," erklärte er, "Und was hätte der für einen Grund uns gegen eine NTA Special Unit zu schicken?"

"So was habe ich mich auch gedacht," meinte Junichi und nickte zustimmend, "Aber warum werden dann wir gerufen und nicht die echte NTA? Wäre doch eher was für die!"

Tatsuya antwortete nicht. Anscheint hatte er etwas auf dem Foto entdesckt, dass ihm sehr interessant vor kam.

"Die Waffe, von dem da hinten... zoom da mal ran!" forderte er Junichi auf. Der Junge tat was von ihm verlant wurde.

Nach wenigen Sekunden schweigen, sate Tatsuya leise: "Oh, scheiße... Dragonflies!"

"Was?" fragte Junichi.

"Dragonflies," wiederholte der Scharfschütze, "Granatwerfer, die erstens verboten und zweitens lebensgefährlich, wenn man sie falsch anwendet! Die haben so'nen Rückschlag... sagen wir's so, damit du's auch verstehst, wenn du die abfeuerst, reißt dir das die Hände weg. Sieht nicht schön aus, kann ich dir sagen!"

"Also handelt es sich hier um Leute, die zu allem entschloßen sind," kombinierte Junichi, "Oder um Androiden oder Cyborgs."

"Oder sie haben keine Ahnung, wie gefährlich ihre Spielsachen sind," fügte Tatsuya hinzu.

Junichi nickte nachdenklich. "Sag mal, hat die NTA Dragonflies?" erkundigte er sich.

"Jep," antwortete der Scharfschütze, "Aber keine NTA Special Unit würde damit durch Neo Tokyo rennen."

"Das hab ich mir auch weniger gedacht," meinte Junichi, "Ich glaube nur, dass der von Kuramoto so gefürchtete Verräter gute Connections hatte."

"Das hieße also, dass irgend so'n Knlich hier Polizei und NTA untergräbt und sozusagen dann als Beweis seine Leute durch die City schickt und zeigen will: 'Seht her, seht her, ich bin ja so toll!'?" erkundigte sich Tatsuya ungläubig.

"Wäre doch möglich," meinte Junichi.

"Bis auf die Tatsache, dass die Jungs bei der NTA nicht so unterbezahlte Weicheier sind wie unsere Polizei," erläuterte Tatsuya mit leicht überheblichem Unterton, "Die kann man nicht so einfach bestechen oder bedrohen."

"Okay, was würdest du sagen, Soldat?" fragte Junichi genervt.

"Was weiß ich? Ist mir um genau zu sein auch ziemlich egal," sagte der Scharfschütze uninteressiert, "Ist ja auch nicht unsere Aufgabe das rauszufinden."

"Bist du nicht wenigstens ein bißchen neugierig?" forschte Junichi nach.

Tatsuya zuckte mit den Schultern. "Neugierde ist in so einem Fall nur was für kleine Jungs, die Detektiv spielen wollen. Auftrag ist Auftrag. Wir sollen nicht Kuramotos Probleme lösen, wir sollen diese Leute töten."

Dann grinste er und fügte hinzu: "Hör auf darüber zu viel nach zu denken. Du kommst sowieso nicht auf die Lösung. Da musst man nämlich nachdenken, Juni!"

Damit ging Tatsuya.
 

Der Rest des Tages verlief normal für die KON. Noch einmal setzten sie sich zusammen und besprachen den Einsatz, den sie am nächsten Tag durchführen würden. Da eigentlich keiner Lust auf eine große Planung hatte, ließ sich der Plan am Ende von Osamu so zusammenfassen: "Jeder ist morgen, an seine Platz, Junichi schließt die Bahn kurz, in die die Jungs eingestiegen sind und dann starten wir ein kleines Massaker."
 

"Und dann, weißt du, dann hat Nagashi Fukada-chan geküsst!"

"Was? Nagashi? Der Nagashi aus der 6D?"

"Nein, nicht der! Nagashi Kantaro, aus der 3A."

"Aber der ist doch fast zwei Jahre jünger als sie!"

Die Mädchen kicherten. Sie waren zu viert und trugen die lila Schuluniformen der Hitujiyama Hochschule im NeoTokyoter Stadtteil Higugawa auswies. Der Unterricht der vier Schulmädchen war gerade zu Ende und nun waren sie auf den Weg zur U-Bahnstation Hitujiyama um entweder nach Hause oder zum Einkaufen in das Stadtzentrum Neo Tokyo zu fahren.

"Habt ihr eigentlich schon von Hitomis Geheimnis gehört?" fragte eines der Mädchen, während sie leichfüßig die Treppe hinunterhüpften.

"Nein, bitte, Ayumi!" rief eine andere der Freundinnen dazwischen, "Bitte, sag es nicht!" Bei diesem Mädchen handelte es sich um eine bebrillte Eichhörnchenfaunoide, deren dichten, schwarzen Haaren zu zwei dicken, vom Kopf abstehenden Zöpfen geflochten waren.

"Ach, komm schon, Hitomi!" meinte ein anderes der Mädchen, "Wir sind doch Freundinnen! Uns kannst du doch alles sagen."

"Ich muss hab auch noch was zu erzählen!" rief die Vierte und dämpfte ihre Stimme, "Über Sasagawa."

"Sasagawa?" flüsterte Ayumi, "Die Psychopathin? Erzähl!"

Die Schulmädchen waren inzwischen auf dem unterirdischen Bahnsteig angekommen und sahen sich nun vorsichtig um, als befürchteten sie, verfolgt zu werden. Ihre Blicke fielen auf einen jungen Mann, der einen langen, eleganten schwarzen Mantel und eine dunkle Sonnenbrille trug. Es handelte sich um einen Vogelfaunoiden, um genau zu sein um Tatsuya. Anders als sonst immer trug er Kleidung, die ihn wie einen reichen, eleganten Mann aussehen ließen. Unter dem fast Knöchellangen Mantel trug er eine schwarze Hose und eine weinrote Bluse mit braunen Knöpfen. Das einzige, das sich nicht verändert hatte war sein dunkelrotes Kopftuch, unter dem wie immer sein langer, blonder Pferdeschwanz heraus hing. Als Tatsuya merkte, dass ihn die Mädchen ansahen, schob er die Sonnenbrille nach unten und schickte den Mädchen sein bezauberndes, strahlendes Lächeln zu. Natürlich verfehlte dieser Blick seine Wirkung nicht, und die Mädchen begannen zu kichern und zu tuscheln, bevor sie sich mit schnelleren Schritten zu einer der stehenden Bahnen bewegten. Der Scharfschütze grinste und setzte seine Sonnenbrille wieder auf.

"So was sollten wir öfters machen, hm?" hörte er neben sich auf einmal Rumikos trockene, verächtliche Stimme, "Ist ja anscheint gut für dein Ego."

Ohne sich nach dem Mädchen umzudrehen, antwortete Tatsuya frech: "Eifersüchtig, was?"

"Vergiss es, du blöder Macho," knurrte Rumiko, "und halt einfach deine Klappe, wenn du nicht willst, dass mir mein Schwert ausrutscht."

"Ich glaub nicht, dass Osamu das gefallen würde," meinte Tatsuya ruhig.

"Nein, aber mir," gab die Schwertkämpferin bissig zurück.

Dann standen die beiden einfach nur eine Weile schweigend nebeneinander, bis der Bahnhofslautsprecher das Kommen der "Murai 7", der Bahn, die durch ganz Neo Tokyo fuhr ankündigte.

"Unser Zug," meinte Rumiko woraufhin Tatsuya nickte und hinzu fügte: "Eigentlich schon, aber von..."

Den Rest des Satzes sprach er nicht aus, den genau in diesem Moment kamen sieben Personen in merkwürdigen NTA-Uniformen und mit Vollkopfhelmen, mit getönten Visieren, durch die Menge. Sie liefen einheitlich nebeneinander und Rumiko und Tatsuya waren erstaunt, dass das so gut möglich war in diesem Gedränge, das immer auf den großen Bahnhöfen NeoTokyos herrschte.

"Das sind keine Menschen," murmelte Tatsuya, "Unmöglich!"

Rumiko, die sich an eine Säule gelehnt hatte, stieß sich mit dem Rücken ab.

"Das werden wir ja sehen," sagte sie, nach dem Schwertgriff greifend, fügte sie hinzu, "Ich muss meine Bahn kriegen."

Damit ging das Mädchen los und Tatsuya sah, wie sie in der Masse verschwand.

Zur gleichen Zeit, saß Junichi im Lost Fortress. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe, während seine Augen zwischen einem kleinen Bildschirm links neben ihm und dem Bildschirm vor ihm hin und her sprangen. Auf dem linken Bildschirm sah Junichi die "Live-Übertragung" der Sicherheitskamera, die den Bahnsteig filmte, an dem Tatsuya und Rumiko waren. Auf dem anderen Bildschirm hatte Junichi ein kompliziertes, vierfarbiges Netz aus Zahlen, Buchstaben und Zeichen, das keinen erkenntlichen Sinn ergab. In seiner rechten Hand, hielt der Junge eine Kaffeetasse, die neben der rechts Tastatur stand. Er war zu nervös, um zu trinken, aber der Geruch und die wärme des Getränkes beruhigten ihn. Seine Aufgabe war wichtig und würde er einen Fehler machen, wäre das Scheitern gewiss. Im Normalfall hätte Junichi kein Problem, einen Zug kurz zuschließen, schließlich hatte er es schon vor Jahren, als er auf der Straße lebte, aus Spaß gemacht. Aber nun hatte Junichi, obwohl er nicht an seinem Können zweifelte, ein flaues Gefühl in der Magengegend. Wenn etwas passieren würde, und dass war bei einem für sie typischen Massaker immer möglich, konnte er nicht helfen. Zwar wusste Junichi, dass sein Fachgebiet, seine Begabung, mit der er den Knights of Night half, technischer Natur war, aber dennoch, war er bisher eigentlich immer dabei gewesen. Vor allem hatte er Angst um No. 6. Vor seinem inneren Auge sah Junichi Sakura. Oder besser: dass was damals von ihr übrig war. Ihr Kopf, mit den angstvoll aufgerissenen Augen, mitten in einem Schrei erstarrt. Doch dort, wo ihr Hals seinen sollte, war die linken Hand einer ihrer Mörder. In der rechten Hand hielt der Mann eine Machete und grinste diabolisch. Dann warf er den Kopf des toten Cyborgs auf den Boden und hob seine Waffe... NEIN! Junichi schüttelte die Gedanken an den grausamen Tod seiner Ex-Freundin aus dem Kopf und sah wieder auf den linken Monitor. Zu seinem Glück fuhr der Zug gerade an und Junichi musste nur warten, bis er komplett im Dunkeln war.

Währendessen saß No.6 in der Murai 7 und ahnte nichts von Junichis Gedanken. Gerade war der Zug losgefahren und ihr Blick hatte längst einen der angeblichen NTA-Soldaten, in ihrer Nähe, fixiert. Sie hatte ein freudig nervöses Zucken in ihrer Schwanzspitze und wartete nur noch ungeduldig darauf, dass Junichi die Bahn zum halten brachte. Plötzlich ertönte ein schrill-quietschender Laut. Das Licht in der Bahn erstarb und sie blieb stehen. Ein missmutiges Murmeln ging durch die Menschen. Trotz der Dunkelheit konnte No.6 erkenne, dass sich der "Soldat" nicht rührte. Als hätte er gar nichts gemerkt. Es dauert nicht lange und das schwächere Notstromlicht der Bahn wurde angeschaltet. Durch einen Lautsprecher klang schwach eine verzerrte Stimme: "Liebe Fahrgäste. Wir entschuldigen uns für diesen Zwischenfall. Durch einen Computerfehler wird die Bahn auf ungeklärte Zeit nicht in der Lage sein sich fortzubewegen. Wir danken für ihr Verständnis." Dann verstummte der Lautsprecher, nur vom Verständnis der Fahrgäste war nichts zu merken. Im Gegenteil, die meisten äußerten fluchend ihren Missmut. Einige rüttelten an den Türen, die allerdings fest verschlossen waren. Nur die "Soldaten" rührten sich nicht und No.6 kamen Zweifel, ob es sich bei ihnen wirklich um Menschen handelte. Plötzlich war ein merkwürdiges Krachen, Brechen und Knirschen vom Dach des Wagons zu hören. No. 6 sah zwar nicht, was dort passierte, aber sie konnte es sehr genau ahnen und ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Die Menschen, über denen diese Geräusche waren, drückten sich ängstlich zur Seite. Auf einmal wurde ein Loch in das Metall des Zugdaches gerissen. Schreie waren zu hören und Panik drohte auszubrechen. Als sich dann noch ein schwarzer Wolfskopf durch dieses Loch schob und der Ruf "Werwolf!" erklang, war das Chaos perfekt. Für No.6 und Rumiko war dies jedoch das Signal zum Angriff. Doch vorher schlugen sie jeweils ein Fenster ein, um den unschuldigen Menschen eine Möglichkeit zur Flucht zu bieten.

Osamu hatte inzwischen das Loch in der Decke soweit aufgebogen, dass er in die Bahn springen konnte. Die Menschen gerieten jetzt erstrecht in Panik und versuchten zu den von Rumiko und No.6 geschlagenen Fluchtwegen zu kommen.

Als Tatsuya, der immer noch am Bahnsteig stand, die ersten panisch fliehenden Menschen die Bahngleise entlang laufen sah, war auch der Zeitpunkt für seinen Einsatz. Er riss seinen Mantel vom Körper und lief zu den Bahngleisen. Sein Scharfschützengewehr trug er in zwei Teilen auf dem Rücken, die er jetzt erst zusammen baute. Dann sprang er auf die Schienen und lief, bis er zu dem haltenden Zug kam. Dort zielte er auf die hintere Scheibe und schoss. Das Glas zersprang klirrend, doch weitaus lauter waren die Schreie der Menschen, die nun auch in ihrer panischen Verzweiflung aus diesem Fenster kletterten. Mit Zwei Flügelschlägen, war Tatsuya in der Bahn und sah einen der angeblichen NTA-Soldaten, unberührt von der Situation in mitten des Chaos stehen. Langsam drehte er seinen Kopf zu Tatsuya und erhob seine Waffe, den tödlichen Dragonfly Granatwerfer. Tatsuya rührte sich nicht, aber auch sein Gegenüber schien nicht die Absicht zu haben seine Waffe abzufeuern.

Osamu war inzwischen durch die Menschenmenge weiter gelaufen, vorbei an No. 6, die in einen Kampf mit dem "Soldaten" verwickelt war. Er hatte einen anderen der Männer entdeckt, der sich mit einer ruhigen Sicherheit zwischen den aufgebrachten Mengen weiter nach vorne arbeitete. Es schien als, hätte er ein bestimmtes Ziel und fast sogar so, als wolle er Osamu dorthin führen. Denn immer wenn der Werwolf sein Opfer in der Menge verloren glaubte, tauchte er wieder auf. Mit seinen Pranken schob Osamu die Menschen, die in seinem Weg standen zur Seite. Bald hatten seine Krallen die rote Farbe des Blutes derer angenommen, die er während der Verfolgung verletzt hatte. Doch mit der Zeit waren es weniger Leute, die ihm im Weg standen, denn die Passagiere des hinteren Teiles des Waggons waren inzwischen alle bereits nach Vorne geflüchtet. Und je weniger Menschen ihm im Weg standen, desto siegessicherer wurde Osamu, bis er am Ende allein mit dem Soldaten ganz am Ende des Waggons stand.

"Na?" erkundigte sich der Werwolf grinsend, und kniete sich auf den Boden, bereit loszuspringen.

In diesem Moment nahm der Soldat seine Waffe, hielt sie direkt gegen die Wand und drückte ab. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb die Zeit für Osamu stehen. Wie in Zeitlupe breitete sich ein blendend weißes Licht aus. Der Werwolf drehte seinen Kopf zur Seite, riss seinen Arm hoch und hielt ihn schützend vor die Augen. Dann schien alles um ihn herum zu explodieren. Die Trennwand zwischen den Waggons zersprang in brennende, zum Teil messerscharfe Metallteile, die in alle Richtungen durch die Abteile flogen. Das Licht war blendend hell und der Lärm der Explosion war ohrenbetäubend. No. 6 und Rumiko, die jeweils im Kampf mit den angeblichen Soldaten verwickelt waren, stoppten zwar kurz, versuchten danach allerdings sofort wieder den Kampf aufzunehmen, was allerdings in No.6 Fall wesentlich einfacher war, da sie ihren Gegner schon stärker verwundet hatte, als Rumiko. Auch Tatsuya wurde von der Explosion abgelenkt, jedoch war es in seiner Situation weniger gravierend als in der von Rumiko und No.6.

Osamu öffnete langsam wieder seine Augen. Scharfe, glühende Metallteile hatten brennende, rote Streifen in den schwarzen Pelz geschnitten. Der Werwolf sah sich um. Überall lagen die Teile der zersprengten Wand und auch der Soldat war in seine Teile zerfetzt. Allerdings war er, wie auch Tatsuya schon erahnt hatte, kein Mensch gewesen, sondern ein Androit. Osamu erhob sich langsam und sah durch das Loch in den nächsten Wagon. Die Menschen saßen und standen bewegungslos und angstvoll dort. Dann nach den Schocksekunden, brach auch hier die Panik aus. Für einige Menschen, jedoch würde je Hilfe zu spät kommen. Getroffen und tödlich verletzt von den Metallteilen lagen sie am Boden, teilweise noch am Leben und weinten. Osamu hatte kein Mitleid für diese Menschen. Er hatte zu viel Leid und Tod in seinem Leben gesehen um noch solche Gefühle haben zu können. Sein Blick galt einzig und allein einem Mädchen. Xian, die auf einem der Sitze saß und auch ihm mit Angst erfüllten Augen direkt ins Gesicht sah. Während nun die Menschen an ihm vorbei strömten war Osamu wie erstarrt. Doch plötzlich sprang er auf und sprintete los. Mit der Menschenmenge in die Richtung, in der er die anderen drei KONs treffen würde. Es war eine unbestimmte, pure Panik, die ihn jetzt wie von Sinnen zurücktrieb. Er wusste nicht warum, doch der Anblick der Chinesin verwirrte ihn. Noch nie in seinem Leben hatte er solch eine Unschuld und Reinheit gesehen. Sie schien fast eine biblische Gestalt zu sein, vielleicht sogar ein Engel. Doch sein wölfischer Instinkt sagte ihm, dass dort mehr war. Der Blick in den dunklen Augen des Mädchens drückte das Gefühl aus, für das er unempfänglich geworden war: Mitleid. Mitleid und Angst. Mehr noch: Todesangst. Sie schien aus einer Welt zu kommen, in der es so etwas wie Leid und sinnlose Gewalt nicht gab. Sie wirkte wie ein Relikt aus alter Zeit, eine Porzellanpuppe in der Hand eines Kindes, dass nicht wusste, wie einfach dieses vermeintliche "Spielzeug" zerbrechen konnte. Und dieses Kind war die Gesellschaft Neo Tokyos.

"Osamu!" hörte der Werwolf No. 6's Stimme.

Er drehte sich um und sah den Cyborg, der ihn besorgt ansah. Neben ihr am Boden lag der Soldat, mit welchem sie gekämpft hatte.

"Ist alles in Ordnung?" fragte sie weiter. Osamu nickte nur hastig.

"Wir müssen hier weg! Schnell!" rief er, "Nimm den Typ mit. Androit."

Dies waren seine einzigen Worte, während er weiterlief. Auch Rumiko, auf die er nach kurzer Zeit traf hatte ihren Gegner niedergerungen und folgte Osamu, der ihre nur die Worte: "Raus hier!" zurief. Tatsuya hingegen stand immer noch dem Soldaten gegen über, der seine Waffe auf ihn gerichtet hatte, während die Menschenmassen zwischen en beiden hindurch fluteten. Plötzlich sah Tatsuya für den Bruchteil einer Sekunde hinter dem Soldaten den silbernen Stahl einer Schwertklinge aufleuchten, bevor er zu Boden fiel. Tatsuya wusste genau, zu wessen Schwert die Klinge gehört und hielt Ausschau nach Rumiko. Doch statt ihr sah er Osamu, der ihm ein Zeichen gab, ihm zu folgen.

Zusammen flohen die vier aus der Bahn. Draußen liefen sie allerdings nicht mit der Menschenmenge weiter, nicht wieder zurück zum Bahnsteig. Ihr Weg war entlang der Bahn, durch der schmale Zwischenraum zwischen den Wagen und der Betonwand, bis sie zu einer Eisentür kamen, die eigentlich dem Bahnhofspersonal vorbehalten sein sollte. Osamu, der als erster in der Reihe lief, riss die verschlossene Tür mit den letzten Kraftreserven in seinem Werwolfkörper auf und die KONs traten nacheinander durch die Tür.

Sie befanden sich nun in einem kleinen, schmutzigen und einfachen Raum. Das Einzige, was sich außer ihnen und dem Androiden, den No. 6 mitnehmen sollte, in diesem Raum befand, war eine dunkelgrünlackierte Metalltreppe, deren Farbe schon großflächig abbröselte und den Blick auf das nackte, rostige Metall erlaubte. Eine Weile sagte niemand etwas und Osamu nahm seine menschliche Gestalt wieder an.

"Was war'n los?" fragte Tatsuya, der sich auf die Treppe gesetzt hatte, und unterbrach damit die Stille. Alle Augen richteten sich auf Osamu, der auf dem Boden saß und, ohne das Verbotsschild an der Wand zu beachten, dabei war, sich eine Zigarette anzuzünden. Als er es geschafft hatte, lehnt er sich gegen die Wand und begann zu lachen. Es war kein fröhliches, oder erleichtertes Lachen, sondern ein irres Lachen. Ein Lachen, das puren Wahnsinn zu offenbaren schien.

"Die Jungs haben uns erwartet," begann er, immer noch lachend, "Oder vielleicht nicht uns, aber irgendjemanden, der sie versucht aufzuhalten, was weiß ich! Auf jeden Fall sind die hier," Osamu klopfte gegen den Helm des Androiden, "nur dazu gemacht, um draufzugehen. Und noch was. Sie wollten uns was zeigen. Eine Person in dieser Bahn. Fragt mich nicht, warum, aber dafür hat sich der eine hochgejagt. Mit der Dragonfly. Übrigens wirklich sehr geile Waffen, Tatsuya!"

Die anderen sahen Osamu an, der nun wieder einem Lachanfall unterlegen war. So hatten sie den Werwolf noch nie erlebt. Rumiko hatte sogar angstvoll den Griff ihres Schwertes umklammert.

"Osamu, was genau ist passiert?" fragte No.6 mit fester, aber vorsichtiger Stimme.

"Panische Kurzschlussreaktion, als ich sie gesehen haben," meinte Osamu, als er sich wieder beruhigt hatte.

"Wen ,Sie' "? fragte No. 6 weiter und Osamu antwortete mit eiskalter Stimme: "Rumikos Freundin, die kleine Chinesin."

"XIAN?" riefen Tatsuya und Rumiko wie aus einem Mund und der Scharfschütze sprang auf.

"Sie wollen Xian töten," schrie er, "Ich muss zu ihr!"

"Auch wenn sie das vor hatten, was ich nicht glaube, jetzt werden sie dass nicht mehr tun. Es ist keiner mehr da," entgegnete Osamu, immer noch so emotionslos wie vorher. Er wusste zwar genau, dass nicht alle der Androiden vernichtet worden waren, aber er wollte nicht mit Tatsuya streiten.

"Was soll das heißen, du glaubst es nicht?" fragte Rumiko, "Denkst du immer noch an dein dämliches Teddybär-Prinzip?"

Osamu schüttelte den Kopf und stand auf.

"Ich weiß nicht was ich über dieses Mädchen denke, sie ist zu unschuldig. Aber eins ist klar: Sie war hier, das kann kein Zufall sein."

Stage 7 - Feeding the Bloodhounds

Am nächsten Morgen stand es auf der Titelseite jeder Zeitung: "Terroristen überfallen die Murai 7 - NeoTokyos meistbefahrene Bahn." Die Angaben von Toten, Verletzten und Sachschäden schwankten, nur in zwei Punkten waren sich alle Zeitungen sicher: Erstens: Die Terroristen hatte feige im Hinterhalt gekämpft und einen Werwolf dabei gehabt. Und Zweitens: Wäre nicht zufälliger Weise eine Sondereinheit der NTA in der Bahn gewesen, hätten die Ausmaße noch schrecklicher sein können.

"Terroristen, Kawada?" Kuramoto war außer sich. Nachdem er die dickgedruckte Überschrift auf seiner Tageszeitung gelesen hatte, rief er sofort im Lost Fortress an, um den vermeintlichen Fehlschlag rechtfertigen zu lassen.

"NTA, Kuramoto?" Osamu blieb gelassen. Er fühlte sich keineswegs verantwortlich für das Geschehene. Schließlich hatten die KON nur ihren Auftrag erledigt.

"Was meinen sie damit?" rief Kuramoto, der immer noch in Rage war. Osamus Ruhe heizte es eher noch an, als in ebenfalls zu beruhigen.

"Wie sollen wir denn einen Auftrag vernünftig ausführen, wenn wir keine genauen Angaben bekommen? Diese Männer waren schließlich nicht nur schwer bewaffnet, sondern trugen dazu noch Uniformen der NTA. Und ich dachte, die würden auch auf der Seite des Gesetztes stehen." Osamu hatte nicht vor, Kuramoto auch nur anzudeuten, dass Junichi sich vor dem Auftrag darüber informiert hatte. Schließlich hatte der Polizeichef selbst viel mehr verheimlicht.

"Ich habe ihnen gesagt, was notwendig war," meinte Kuramoto, obwohl er insgeheim zugeben musste, dass Osamu schon recht hatte mit dem was er sagte, "Und außerdem wussten sie ganz genau, dass dieser Auftrag kein sinnlose Massaker mit möglichst vielen Toten sein sollte. Oder kann man so etwas von ihnen nicht erwarten?"

"Nun, es war nie die Rede davon, dass wir so etwas geplant hatten. Aber ich glaube, sie sind noch nie mit der Murai 7 gefahren, nicht wahr? Es ist nahezu unmöglich darin zu laufen, ohne jemanden zu verletzen."

"Ich habe ihnen nie gesagt, sie sollen die Männer in der Murai 7 bekämpfen," entgegnete Kuramoto, "Denn ich weiß selbstverständlich, dass dies nahezu unmöglich ist, ohne erhebliche Schäden anzurichten."

"Okay, das stimmt," gab Osamu zu.

"Und wie erklären sie so eine leichtsinnige Aktion?" forschte Kuramoto nach, "Wollten sie damit nur zeigen, dass sie zu nichts anderem als taktiklosem Schlachten fähig sind? Oder wollten sie Wahnsinniger einfach nur ihren kranken Blutdurst befriedigen?"

"Wäre es das gewesen, Kuramoto," sagte Osamu mit einem düsteren Unterton, "hätte es keine Überlebenden gegeben."
 

Zur gleichen Zeit Junichi saß auf einem Stuhl in der Werkstatt. Links neben ihm ein kleines Tischchen, von dem er gerade mit der linken Hand eine Tasse Kaffee hochhob. In der rechten Hand hielt Junichi eine Zeitung und las die Titel-Story... eine der zahllosen Abhandlungen des gestrigen Einsatzes. Auf dem Boden lag der Androit, den No. 6 vom Schlachtfeld mitgenommen hatte. Der Cyborg saß neben ihm und kontrollierte die Anschlüsse der Kabel, mit denen der Androit an verschiedenen Computern angeschlossen war. Ein ständiges Summen der Computer war die Geräuschuntermalung dieser Szene.

"Okay, Sixy, was sagst du dazu:" fragte Junichi, stellte seine Kaffeetasse wieder zur Seite und begann eine Stelle aus dem Artikel vorzulesen: "'Genaue Angaben über die Terroristen sind nicht bekannt. Sie konnten, trotz des Eingreifens der NTA, nicht gefasst werden. Augenzeugen zu Folgen handelte es sich jedoch um ungefähr sieben, schwerbewaffnete Cyborgs, die den Einsatz auf tödlichste Weise genau geplant hatten. Weshalb die rettende NTA-Einheit sich in der Murai 7 befand ist ebenfalls unbekannt und auch Kinoshito Toshio, Pressesprecher der NTA, wollte darüber keine Angaben machen.' Ich find das irgendwie unfair! Über mich schreibt keiner was..."

No.6 sah zu Junichi auf und lächelte.

"Hätte es dir besser gefallen, hätten sie darüber geschrieben, dass zur Durchführung des Terroraktes die Murai 7 von einem Hacker, der sich in das Regionalsystem der Bahnnetze eingeloggt hatte, der komplette Strom ausgeschaltet wurde? Die denken doch wahrscheinlich immer noch, es war nur ein Fehler im System!"

Junichi grinste und trank einen weiteren Schluck Kaffee.

"Weißt du, was ich mich frage, No. 6, " begann er dann nachdenklich, "Haben wir jetzt dem Kerl wirklich geschadet, oder vielleicht sogar geholfen... Ich meine nachdem, was Osamu gesagt hat... Und was hat die NTA jetzt wirklich damit zu tun? Und Xian..."

No.6, die sich wieder den Kabelanschlüssen gewidmet hatte, antwortete ohne aufzusehen: "Ich glaube, du machst dir zu viele Gedanken darüber. Das ist nicht unsere Angelegenheit... Aber irgendwie hast du ja schon Recht... ich würde auch gerne wissen, womit wir es hier zu tun haben."

Sie blickte auf den Computer und stecke ein weiteres Kabel in das linke Auge der Roboter. In diesem Moment ertönte ein schriller Pfeifton. No.6 zuckte schreiend zusammen und presste ihre Hände auf die Ohren. Junichi sprang auf und lief zu einem der Computermonitore, auf dem sich langsam ein Gewirr aus Zahlen Buchstaben und verschiedenen Schriftzeichen auflistete.

"Wir haben ihn!" rief der Junge begeistert und drückte sehr schnell mehrere Knöpfe auf den Keyboards, "Mal sehen, was wir darin erkennen..."
 

Tatsuya hingegen war schon früh am Morgen aus dem Haus gegangen. Er hatte seine Sniper dabei und ging nachdenklich über das Militärtrainingsgelände. Er war unvorsichtig und hatte auch einfach keine Lust, aufzupassen. Seine gesamten Gedanken drehten sich um Xian...

"Wenn sie hierher kommen, um mich auch zu töten, würdest du mich beschützen?"

Hatte er Xian im Stich gelassen? Hatte er sein Versprechen gebrochen? Und vor allem, was wollten diese Männer von Xian?

"Ach, Fuck!" rief Tatsuya verzweifelt und wütend auf sich selbst. Er nahm einen Stein, der vor seinen Füssen lag und warf ihn mit voller Wucht gegen eine Wand. Dann ließ er sich auf den Rücken ins Gras fallen.

"Du bist einer der besten Scharfschützen NeoTokyos... nein, ganz Japans..." sagte er zu sich selbst, "Du bist ein gewissenloser, gut aussehender Killer, für den Regeln nur existieren um gebrochen zu werden... Und jetzt wirst du hier zum... Beschützer der Witwen und Waisen, nur wegen diesem Mädchen, oder was?"

Dann verschränkte er die Arme, faltete seine Flügel vor seinem Oberkörper zusammen und dachte sich: "Hoffentlich ist ihr nichts passiert!"

Nachdem er eine Weile so lag, tauchte plötzlich über ihm Xians Kopf auf.

"Hi!" sagte sie und lächelte freundlich.

Im Bruchteil einer Sekunde war Tatsuya aufgesprungen und hatte Xian fest an sich gedrückt.

"Xian. Meine süße Xian!" flüsterte er und merkte, das ihm Tränen in die Augen stiegen, "Dir ist nichts passiert!"

"Was meinst du?" fragte Xian verwundert und Tatsuya liess das Mädchen langsam wieder los.

"Du warst doch gestern in der Murai 7..." meinte der Scharfschütze.

Die Chinesin legte ihren Kopf schief.

"Ja... aber woher weißt du das?" fragte sie mit unschuldiger Neugier.

"Ein Freund von mir... nein, eigentlich kein Freund... ein Kollege hat dich gesehen," sagte der Scharfschütze und fuhr sofort weiter, damit Xian diesbezüglich keine Fragen stellte: "Ich hatte ja solche Angst um dich. Du hast anscheint wirklich Glück gehabt."

Die junge Chinesin senkte ihren Blick und nickte zaghaft.

"Ja... wahrscheinlich hatte ich das..." flüsterte sie.

Dieses Zögern in Xians Stimme, erweckte Tatsuyas Aufmerksamkeit.

"Was meinst du mit wahrscheinlich? Natürlich hattest du Glück, was könnte es sonst gewesen sein, " sagte er mit einem scharfen Unterton, der Xian zusammenzucken ließ.

"Ich meine..." flüsterte Xian nun kaum hörbar, "Ich... ich habe ihn gesehen... den Werwolf... Er... er..."

Dann wurde die leise Stimme des Mädchens nur noch zu einem unverständlichen Murmeln. Tatsuya seufzte. Dann legte er seinen Arm um Xians Hüfte und drückte sie sanft an sich.

"Es tut mir Leid, dass ich so gereizt war..." meinte er nun in sanftem Ton und mit einem aufmunternden Lächeln auf den Lippen, während seine Gedanken nur darauf fixiert waren mehr zu erfahren, "Ich bin nur so erleichtert, dass du lebst!"

Xian drückte sich fest an Tatsuya, als sie unter Tränen zu reden begann: "Ich hatte solche Angst. Ich dachte, ich würde sterben. Dieses Wesen hat mich so... so kalt angesehen. Überall waren verletzte Menschen... Menschen, die wegen ihm sterben würden. Ich habe noch nie etwas so grausames gesehen... Und das Einzige, was er gemacht hat war mich anstarren... Doch dann... ist er plötzlich davon gerannt... Fast so... als hätte er Angst vor mir... Tatsuya, was bin ich? Warum flieht so ein schreckliches Wesen vor mir?"

Tatsuya schwieg. Er wusste keine Antwort, aber er musste an das denken, was Osamu gesagt hatte... "Ich weiß nicht was ich über dieses Mädchen denke, sie ist zu unschuldig. Aber eins ist klar: Sie war hier, das kann kein Zufall sein."

"Glaubst du nicht, dass böse Wesen auch Angst vor den guten haben?" fragte er leise, fast unbewusst.

Einst hatte er den Satz zu seiner kleinen Schwester Eri gesagt, als sie ihm sagte, sie hätte Angst vor bösen Menschen.

Xian sah ihn nun an. In ihren Augen lag Angst, aber auch eine Spur von Hoffnung.

"Du... du denkst ich bin ein guter Mensch?" fragte sie vorsichtig.

Tatsuya nickte. "Natürlich bist du das", meinte er mit einem sanften Lächeln, "Und gute Menschen gibt es nur sehr wenige auf dieser Welt."

Noch während er den Satz sagte, wusste Tatsuya nicht genau, ob er die Wahrheit sagte, oder nicht. Er wusste nicht mehr, was er über Xian denken sollte und genau dieses Gefühl verwirrte ihn. Tatsuya spürte eigentlich kein Misstrauen dem Mädchen gegenüber, dass ihn so unschuldig ansah, allerdings war genau dieses Vertrauen, das für ihn so untypisch war, ein Anlass für ihn vorsichtig zu sein.

"Aber du bist auch ein guter Mensch", sagte Xian und drückte sich wieder an ihn.

"Nein, das bin ich nicht", flüsterte Tatsuya, während er Xian über den Kopf strich.
 

Osamu saß in seinem Zimmer. Wie fast immer war es sehr dunkel, kein Licht hatte er angeschalteten, die Fenster waren von innen mit schwarzer Farbe gesprayt worden. Auch die Wände waren in dunklen Farben gestrichen, doch wiesen sie tiefe Kratzer auf, durch die der heller Beton zu sehen war. In der hinteren, rechten Ecke des Raumes lag ein pechschwarzer Futon, der mit blutroten Wölfen bestickt war. Der Werwolf saß unter einem Fenster auf dem Boden und lehnte sich an die Wand. Die Augen hatte er geschlossen, im Mund hatte er eine Zigarette. Dann klopfte es an der Tür und Osamu hörte No. 6's Stimme: "Osamu? Hast du Zeit? Junichi und ich haben den Code geknackt."

Osamu stand auf, legte seine rechte Hand und drehte den Kopf, so dass sein Nacken knackte. Dann ging er zur Tür, und öffnete sie.

"Na dann lass mal sehen, " meinte er.

Zusammen gingen der Werwolf und der Cyborg in die Werkstadt, in der Junichi immer noch vor den Computern saß und in wahnsinniger Geschwindigkeit auf der Tastatur herum tippte. Er schien nicht zu merken, dass No. 6 und Osamu den Raum betraten, so beschäftigt war er. Der schrille Pfeifton war abgeklungen, aber in regelmäßigen Abständen war ein kurzes Piepen zu hören. Osamu und No.6 stellten sich links und rechts hinter Junichi und sahen über seine Schultern auf das unübersichtliche Gewirr von Zahlen, Zeichen und Buchstaben. Nachdem er es sich eine Weile angesehen hatte, meinte Osamu: "Aha... interessant. Und kann mir das jemand übersetzen?"

"Das sind die Codes, die wir aus dem Androiden rausholen", antwortete Junichi, ohne seine Augen von den Monitoren abzuwenden, "Darin stehen unter anderem Erbauer, Entstehungsdatum und die Grundprogrammierungen. Das heißt, wir können damit höchstwahrscheinlich raus finden, woher er kam und was er in der Murai 7 tun sollte."

Junichi sprach sehr schnell, fast so schnell wie er tippte.

"Aha, und was weißt du bis jetzt?" fragte Osamu und zog an seiner Zigarette.

"Noch gar nichts genaues, " sagte Junichi, "Ich hab keine Zeit das alles zu lesen, sonst könnte was verloren gehen. Muss erst mal alles gespeichert werden, dann enkodiert und modifiziert und dann kann ich anfangen das zu lesen."

Noch eine Weile standen No.6 und Osamu hinter Junichi, während dieser weiter arbeitete. Dann seufzte Osamu und drehte sich um.

"Na ja, sagt mir Bescheid, wenn ihr fertig seid, ich zocke CyMoto 5000, " meinte Osamu und verließ das Zimmer.

"CyMoto? Warte, Osamu, ich komm mit!" rief No.6 und folgte dem Werwolf.

Er grinste. "Ich wusste ganz genau, dass man dich so ködern kann."
 

Xian ließ Tatsuya plötzlich los.

"Ich muss gehen, " sagte sie schnell, "Seit dem Anschlag auf die Murai 7 darf ich nicht mehr so lange raus."

"Kann ich verstehen, " meinte Tatsuya, "aber ein bisschen länger hast du doch noch Zeit für mich, oder?"

Xian schüttelte energisch den Kopf und sah den Scharfschützen dann mit traurigen Augen an.

"Leider nicht, " murmelte sie betrübt, "Ich muss zurück. Tut mir Leid."

Dann küsste sie Tatsuya rasch auf die Lippen und lief davon.

"Wir können uns morgen wieder hier treffen", rief Xian, bevor Tatsuya sie aus den Augen verlor. Dieser blickte ihr noch nach, als sie nicht mehr zu sehen war. Xian lebend wieder gesehen zu haben war wie ein wundervoller Traum gewesen, fast zu schön um wahr zu sein. Und doch fühlte sich Tatsuya unsicher.
 

"Das macht irgendwie gar keinen Spaß, " meinte No. 6 und lehnte sich auf Junichis Bett zurück.

Osamu saß neben ihr auf dem Boden und sah sie an.

"Wir können ja auch was spielen, wo du nicht immer gewinnst", meinte er, "Ich glaub, auf Dauer macht das so keinem von uns beiden mehr Spaß."

"Aber CyMoto ist so toll!" entgegnete No. 6 mit beleidigtem Unterton in der Stimme.

"Eben hast du doch selbst... ach, was soll's? Noch 'ne Runde?" fragte Osamu.

No.6 setzte sich wieder aufrecht hin, bereit ein weiteres Mal gegen Osamu zu gewinnen, doch genau in diesem Moment kam Junichi in das Zimmer. Ein freudiges Strahlen war in seinen Augen.

"Ich hab's!" rief er begeistert, "Ich hab alles gelesen, was es zu lesen gab!"

"Nett," meinte Osamu, "Und was wissen wir jetzt?"

Junichi nahm seinen Schreibtischstuhl, drehte die Sitzfläche zu sich und setzte sich verkehrt herum darauf.

"Also, " begann er, "Die Jungs wurden von jemandem gebaut, der echt Ahnung hatte. Sein Name ist Dr. Yahagi Akira. Wo der ungefähr ist, als zumindest wo der Junge, den's zerlegt hat herkam, weiß ich jetzt auch! Aber was wohl grad interessanter ist, ist wohl, was der da wollt. Nun, auch das kann ich auch sagen..."

"Na, dann lass mal hören Juni!" hörten sie Plötzlich Tatsuyas Stimme hinter sich. Der Scharfschütze stand hinter ihm in der Tür, an den Türrahmen gelehnt.

Junichi zögerte, bevor er fort fuhr: "Nun... es war eigentlich nur eine Erkundigungsfahrt. Anscheint haben sie damit gerechnet, dass wir früher oder später eingreifen. Es klingt so, als wäre dies schon die zweite Phase irgendeines Planes... wahrscheinlich eines Planes zu Ergreifung der Macht über NeoTokyo... Anscheint haben wir es mit irgendeinem machtgeilen Irren zu tun. Aber das interessanteste ist..." Junichi stoppte, sah kurz zu Tatsuya und sagte dann mit leiser Stimmer: "Ich habe auch etwas über Lin Xian gelesen."
 

"Idiot! Ist ihnen klar, wie sehr sie das Projekt gefährdet haben?"

"Es war von Anfang an ein Risiko, das wir eingegangen sind."

"Aber sie... sie... Yahagi, das was sie getan haben war unverantwortlich! Der verlorene Soldat wird sie direkt zu uns führen!"

"Sie unterschätzen mich, Akamatsu! Schließlich weiß ich, was ich tue!"

"Nein, das wissen sie nicht! Sie sind nicht in der Lage ihre Fähigkeiten richtig einzusetzen. Wissen sie überhaupt, worum es mir geht? Verstehen sie den nicht, wie wichtig diese Aktion für NeoTokyo ist?"

"Natürlich verstehe ich, was auf dem Spiel steht. Ich erkenne durchaus, wie viel ihnen an dieser Aktion liegt."

"Mir? Yahagi, ich tue das nicht für mich! Ich tue es für NeoTokyo! Für diese Stadt, die im jetzigen Zustand dem Untergang geweiht ist! Sehen sie es nicht? Die Straßen NeoTokyos sind schmutzig. Gewalt, Korruption, Verbrechen soweit das Auge reicht. Ich wurde Polizist um dies zu ändern, doch auch dort ist die Situation nicht anders!"

"Und das haben sie sich zu nutzen gemacht."

"Natürlich, man muss Feuer mit Feuer bekämpfen. Und die Brandstifter müssen ihm giftigen Qualm ersticken. Kuramoto und Präsident Miyazaki sind schwach. Sie haben sich längst in dieses Gefüge hineinbegeben... versuchen nicht mehr es zu ändern. Sehen sie sich die KON an... die letzte Hoffnung der Polizei sind Gesetzlose, Straßenkämpfer, Zu Tode Verurteilte. NeoTokyo kann so nicht besser werden. Ich bin kein Neoist... ich bin nicht gegen die Technisierung, nicht gegen Faunoiden und nicht einmal ernsthaft gegen Werwölfe... Aber in einem Punkt muss ich den Neoisten Recht geben: Man muss die Straßen reinigen. Straßenkämpfer, Illegale... dieser ganze Abschaum der Gesellschaft... sie müssen fort. Und wenn der Polizeichef und der Präsident nicht schaffen, dann braucht diese Stadt einen neuen Herrscher."

"Sie."

"Ja, denn ich weiß, was diese Stadt braucht. Nun, die KON sind wahrscheinlich schon auf dem Weg hierher. Na ja, dann soll es wohl so sein! Zumindest wissen wir davon. Es wird Zeit, die Bluthunde zu füttern. Yahagi, sie müssen alles vorbereiten."

"Wie sie meinen."

Final Stage: Somebody had to die

"Was? Was hast du über Xian gelesen?" Tatsuya trat aus der Tür zu Junichi und sah ihn fest an. In seinem Blick langen Wut, Neugier und Furcht gleichermaßen.

Erneut machte Junichi eine kurze Pause.

"Sie ist," begann er dann, "ein Cyborg."

In das Schweigen der anderen hinein, berichtete er dann, was er gelesen hatte, wobei seine Stimme immer schneller wurde: "Und nicht nur das, sie ist ein besonderer Cyborg. An ihr sind Unmengen chemische Mittel, Enzyme und so was an gewand worden. So ist sie sozusagen zum perfekten Mädchen geworden. Diese Stoffe sind es, die sie so unschuldig wirken lassen... so perfekt."

Die anderen drei schwiegen.

"Das kann nicht sein!" unterbrach Tatsuya die Stille, "Warum hatte es dann keine Wirkung auf Osamu?"

"Weil ich kein Mensch bin," entgegnete der Werwolf.

"Ich bin auch kein Mensch!" rief der Scharfschütze wütend.

Osamu schwieg kurz bevor er sagte: "Dann liegt es wohl an den Drogen in meinem Blut."

"Und was sollen wir jetzt machen?" fragte Junichi und No. 6 fügte hinzu: "Rumiko wird nicht begeistert sein das zu erfahren."

"Können wir irgendetwas daran ändern?" entgegnete Osamu kalt. Mit diesen Worten richtete er sich auf, warf die Haare in den Nacken und stecke sich eine Zigarette in den Mund. Den anderen den Rücken zu gewand fragte er: "Junichi, wo ist das Versteck von den Jungs?"

"Hinter dem Trainingsgelände von Oniyama," meinte Junichi, "Was genaueres weiß ich nicht."

Tatsuya zuckte innerlich zusammen. Sein Trainingsgelände, deshalb hatte er Xian dort so oft getroffen.

"Okay," meinte Osamu, "ich würde sagen, wir sollten unseren Auftrag beenden! Ihr geht zusammen dahin, ich denke Tatsuya wird den Weg kennen. Inzwischen hole ich Rumiko von der Schule ab."

Keiner sagte ein Wort, weder der Zustimmung, noch der Ablehnung. Es wurden auch keine Worte erwartet, den Osamu hatte keine Frage gestellt, sondern einen Befehl erteilt.
 

"Zu Ende der neuen Renaissance waren Archäologen schon soweit in der Lage für uns heute alltägliche Gegenstände wie das Internet oder Bahnen zu entwickeln. Damals war allerdings noch nicht die heutige Entwicklung abzusehen. Die damaligen Menschen hatten eine neoistische Grundeinstellung und standen der Technik und den ,neuen Rassen' skeptisch gegenüber. An menschenähnliche Roboter wie die heutigen Androiden zu denen galt als höchste Ketzerei gegen die Menschheit. Der schwedische Professor Sören Svenson, der, wie vielleicht bekannt ist, starker Verfechter Technisierung war, wurde durch ein internationales Komitee zum Tode verurteilt. Wir werden uns nun mit den Anklagepunkten befassen. Schlagen sie bitte Seite 174 im Buch auf."

Nur unwillig folgte Rumiko der Aufgabe ihres Lehrers. Geschichte zählte zwar zu ihren Lieblingsfächern, .dennoch wusste sie, dass eine Diskussion über Schuld und Unschuld Svensons wieder in neoistischen Parolen und Beschimpfungen der faunoidischen Schüler und Schülerinnen enden würde.

Noch während die Schüler lasen, ertönte das Motorengeräusch eines Motorrades. An sich war das nichts besonderes, doch dieses Motorrad schien mitten auf dem Schulhof zu halten. Ein unruhiges, neugieriges Murmeln erfüllte die Klasse. Plötzlich ertönte ein wolfsähnliches Jaulen... Ein Geräusch, das Rumiko nur zu gut kannte. Es war das Jaulen eines Werwolfes, der sich in seiner menschlichen Gestalt befand. Nun siegte die Neugier der Schüler. Sie sprangen auf und liefen an die Fenster, die zum Schulhof zeigten.

Von unten ertönte eine laute Männerstimme: "Ich suche Sasagawa Rumiko!"

Alle Augen richteten sich auf Rumiko, die bis eben sitzen geblieben war. Langsam erhob sich das Mädchen und ging zum Fenster, wo ihr die Anderen bereits einen Platz frei gemacht hatten. Unten auf dem Schulhof befand sich Osamu auf seinem Motorrad. Wie fast immer trug er Jeans und ein schwarzes T-Shirt und hatte eine Zigarette im Mund. Sein Blick wanderte die Fensterreihen entlang, an denen die Schüler standen. Rumiko öffnete das Fenster.

"Hier bin ich, Osamu!" rief sie dem Werwolf zu. Dieser lies wendete den Blick zu ihr. Als er das Mädchen erkannte, glitt ein Lächeln über seine Lippen.

"Hey, was machst du den da oben?" fragte Osamu.

Rumiko streckte ihre Zunge heraus, obwohl sie ziemlich sicher war, dass Osamu es nicht sehen konnte und antwortete: "Na was wohl? Lernen!"

"Lernen? Wer braucht'n so was?" Der Werwolf warf verächtlich seinen Kopf in den Nacken. "Ich habe es auch ohne einen einzigen Tag Schule soweit gebracht. Und jetzt ist dass einzige, was ich zum Glück noch brauche ein Schulmädchen, mit dem ich ein bisschen Spaß haben kann."

"Spaß? Na, das klingt interessant! Ich werde mal gucken, ob ich dir da behilflich sein kann."

Mit diesen Worten drehte sich Rumiko um. Ihr Lehrer hatte bereits das Schwert in der Hand und hielt es dem Mädchen hin. Wortlos und mit einem breiten Lächeln auf den Lippen nahm sie die Waffe und lief ohne sich zu verabschieden aus dem Raum, die Treppen hinunter auf den Schulhof. Dort angekommen, schwang sie sich auf Osamus Motorrad und die beiden fuhren los.
 

Schweigend gingen Tatsuya, No.6 und Junichi über das Trainingsgelände. Sie schwiegen nicht deshalb, weil sie unauffällig sein wollten, sondern einfach nur, weil es nichts zu reden gab. Solche Situationen gab es nicht oft bei den KON, vor allem nicht, wenn Tatsuya und Junichi zusammen waren. Doch Tatsuya wollte nicht reden. Die Gedanken über Xian, die sich in seinem Kopf überschlugen, lähmten ihn förmlich. Seine innere Anspannung war für die anderen nur allzu deutlich zu spüren. In diesem Schweigen erreichten sie dann auch ihren Bestimmungsort. Es war ein neu aufgebauter Bunker, ähnlich wie die, die hier standen, als das Gelände noch in Betrieb war. Die Fenster waren groß und in 1,5-Meter Höhe angebracht. Sie waren dunkel getönt, sodass man von innen zwar nach außen sehen konnte, aber nicht anders herum. Das Gebäude war etwas niedriger als zwei Meter, schien aber noch einen großen Raum unterirdisch einzunehmen. In sicherer Entfernung blieben No.6 Tatsuya und Junichi stehen und gingen hinter einem kleinen zusammengefallenen Gebäude in Deckung, dass früher einmal ein Schuppen gewesen war. Junichi trug ein elektronisches Fernglas um den Hals, das er nun abnahm und No.6 reichte.

"Ich hasse gespiegeltes Glas," murmelte er dabei.

"Warum diese Vorsicht?" fragte Tatsuya dann, während No.6 mit dem Fernglas versuchte durch die Fenster in das Gebäude hinein zu sehen.

"Was soll das heißen?" gab Junichi bissig zurück.

"Ich mein ja nur, die wissen bestimmt schon, dass wir auf dem Weg sind. Diese Jungs sind keine Trottel," meinte Tatsuya, "Vielleicht sind wir ja längst von meinen Kollegen umstellt."

"Scharfschützen?" Junichi runzelte die Stirn und sah sich um. Er war sich nicht sicher, in wie weit Tatsuya seine Bemerkung ernst gemeint hatte, aber dennoch stimmte sie ihn nachdenklich. Vielleicht hatte er ja sogar ohne es zu wissen recht.

"Nix zu sehen", meinte No.6 seufzend und gab Junichi das Fernglas zurück, "Keine Chance. Der Brechungswinkel ist zu groß. Da kann selbst ich nicht rein gucken."

"Okay, Ersatz-Osamu, und jetzt?" fragte Tatsuya spöttisch.

Junichi wollte nicht weiter auf diese Bemerkung eingehen, doch ein Gedanke dazu ließ ihn nicht los.

"Wenn ich wirklich Osamu wäre," dachte er halblaut, "würde ich jetzt einfach ein Massaker starten."

"Gut," meinte Tatsuya, der bis eben auf dem Boden gehockt hatte und erhob sich, "Und warum tun wir's dann nicht?"

"Weil ich nicht Osamu bin!" fuhr Junichi ihn an, "Und ich will, dass wir hier lebend rauskommen!"

"Jetzt hör mal zu, Junichi," sagte Tatsuya mit kalter Stimme, "Tu nicht so als hättest du irgendwas zu sagen. Und tu nicht so, als wärst du der Ober-Retter. Wir sind die KON. Wir kämpfen nicht für Recht oder aus Spaß, nicht für Geld oder Rache. Wir kämpfen um unser Leben. Wir kämpfen, weil wir kämpfen. Und es ist bereits klar, dass wir eines Tages im Kampf sterben und nicht friedlich in unseren Betten. Aber ich denke mal, dass ein naiver Junge wie du das nicht sieht. Du erkennst nicht, auf was du dich eingelassen hast, als du zu uns kamst. Und du siehst immer noch nicht, dass du deine Seele verkauft hast."

Nun richtete sich auch Junichi auf und sah Tatsuya starr in die Augen.

"Tut mir Leid," begann er giftig, "tut mir Leid, dass du dich aufgegeben hast. Aber das ist nicht meine Schuld. Es ist nicht meine Schuld, dass dir dein Leben nichts wert ist. Und das mit Xian ist auch nicht meine..."

Junichi brach mitten im Satz ab, als er das wütende Funkeln in Tatsuyas Augen bemerkte und sah, dass er seine Waffen fester gepackt hatte.

"Jungs, hört auf," fauchte No.6 "Ihr verhaltet euch wie kleine Kinder!"

Sie sah abwechselnd Junichi und Tatsuya in die Augen und ihre eigenen funkelten wutentbrannt.

"Junichi, du musst verstehen, dass du ein Theoretiker bist. Es wird nicht immer so einfach sein, wie du denkst. Es wird nicht immer richtige und logische Erklärungen geben. Es wird nicht immer einen Schuldigen geben, weder Tatsuya, noch dich, noch Osamu oder sonst wenn."

Ein kurzes Schweigen folgte, während No.6 Junichi immer noch wütend in die verwirrten Augen sah. Es war das erste Mal, dass der Cyborg seinen Erschaffer auf diese Weise ansah. Junichi wusste keine Antwort und senkte seinen Blick zum Boden. Dann wand No.6 sich Tatsuya zu.

"Und du, Tatsuya, du musst einsehen, dass du nicht einfach lachend in den Tod rennen kannst, solang wir da sind. Wir alle wissen, dass du lieber ein Einzelgänger bist. Aber wir sind nicht alle wie du, wir haben keine Soldatentrainings absolviert, die uns unempfänglich für Gefühle machen sollten. Wir sind ein Team, wir sind die KON. Und keiner von uns wird einen anderen in sein Verderben schicken. Außerdem kannst du mir glauben, es ist echt scheiße tot zu sein."

Im Gegensatz zu Junichi hatte Tatsuya diesen stechenden Blick des Fuchscyborgs schon öfters gespürt. Auch sein mangelndes Teamverhalten war ihm schon oft vorgehalten worden als er noch Soldat war. Dennoch hatte man ihm damals gesagt, wenn er nicht es lernen würde, wäre das sein Todesurteil.

"Okay, Sixy, was schlägst du vor?" fragte Tatsuya ruhig.

"Auf jeden Fall kein Massaker... noch nicht," sagte No.6, ohne eine Sekunde zu zögern, "Wir müssen ihnen das Gefühl geben unterlegen zu sein. Wenn sie wissen, dass wir nur zu dritt sind, wäre das unser Tod. Wir müssen immer dran denken, dass wir es nicht mit Straßenkämpfern zu tun haben. Diese Leute sind durchorganisiert und haben vermutlich ein Ziel, dass sie nicht aufgeben wollen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie Feinde erwarten, ist extrem hoch, deshalb haben wir keine Zeit für einen lange ausgetüftelten Plan. Wahrscheinlich sind sie auch schon aufgerüstet und bereit uns zu empfangen, also wäre ein Massaker für uns drei tödlich. Osamu ist nicht da, deshalb wird es nicht die übliche Schocksekunde geben, ganz zu schweigen davon, dass er unser stärkster Kämpfer ist."

"Also?" fragte Junichi.

"Wir sollten uns verteilen, verstecken und irgendwie die Jungs hier aus dem Gebäude locken. Junichi, ich bin sicher, du hast deine Knarre dabei... beziehungsweise die von Osamu. Gut, dann bräuchte ich noch was."

Junichi zog wortlos zwei Schusswaffen auf seinem Gürtel und hielt eine No. 6 hin.

"Oh, das ist ja toll!" freute sich No. 6 und nahm die Waffe an sich. Kurz wog der Cyborg das Gewicht ab und zielte dann in die Luft.

"59er Hawk-Gun, gleiches Modell wie das von Osamu," erklärte Junichi leise.

"Perfekt," meinte No.6. Dann zog sie den Handschuh über ihrer mechanischen Hand aus und begann an ein paar Stellen das Implantat aufzuklappen.

"Was... was machst du da?" fragte Junichi entsetzt.

No.6, die nun die Pistole in die Hand regelrecht einsetzte, schwieg bis sie fertig war. Dann blickte sie Junichi frech grinsend an: "Eine HG 59 lässt sich perfekt in mein Implantat einsetzen. Haben Osamu und ich beim Training an der Waffe durch einen Unf... äh... Zufall herausgefunden. Wusstest du selbst nicht, was?"

Als sie Junichis überraschtes Gesicht sah, grinste No. 6 und streckte ihm die Zunge raus. Dann wurde sie wieder ernst.

"Das wichtigste ist jetzt, dass wir genügend Munition haben und uns ständig in Bewegung halten. Und versteckt, das ist sogar noch wichtiger. Tatsuya, du solltest vielleicht lieber einfach nur versteckt bleiben. Wichtig ist, dass du Sicht auf die Tür hast. Wenn einer von den Jungs rauskommt, gehört er dir. Junichi, wir müssen, wie schon gesagt, in Bewegung bleiben. Unsere Aufgabe ist es, an verschiedene Stellen auf das Gebäude zu schießen. Möglichst so, dass sie nicht merken, dass wir nur zu zweit sind. Wird schwierig, vielleicht ist es sogar unmöglich. Aber trotzdem müssen wir unser bestes tun. Und eins ist noch wichtig: Kein Massaker bevor Osamu da ist. Verstanden?"

Tatsuya und Junichi nickten. No. 6 nahm ihre Waffe schussbereit.

"Na dann los," sagte sie und lief los. Bevor Junichi ebenfalls, allerdings in die andere Richtung, loslief, hielt Tatsuya ihn zurück.

"Immer noch die Theoretikerin, unsere Tsuyako, was?" fragte der Scharfschütze mit einem Grinsen.

"Tsuyako ist tot," antwortete Junichi kalt, "Und wenn du No.6 so nennst, könntest du das auch bald sein." Dann lief er los.
 

Der Raum war hell, fast weiß wegen des strahlenden Lichtes, das durch die großen Fenster am oberen Rand des Raumes fiel. In einer Reihe standen 37 Androiden im Ruhezustand, um genau zu sein waren es die gleichen NTA-Roboter, gegen die die KON auch schon in der Murai 7 gekämpft hatten. Zehn von ihnen trugen die Dragonfly-Granatwerfer, die restlichen waren mit verschiedenen schweren Schnellfeuerwaffen ausgerüstet. Neben den Soldaten standen mehrere Computer, auf denen man die Zustände der Roboter ablesen konnte. An den Robotern arbeiteten 4 Gestalten in weiß-grünen Overalls. In einer Ecke des Raumes stand ein großer Käfig mit sieben Bloodhounds, kalbsgroße Bestien mit schwarzer Haut und rollenden roten Augen. Diese Wesen hatten Kiefer, mit denen sie Metall beißen und einen Menschen in der Mitte durchreißen konnten. Sie gaben fauchende, knurrende Geräusche von sich, welche nur sehr entfernt an Hunde erinnerten. Vor dem Käfig stand eine weitere Gestalt in einem weiß-grünen Overall, die versuchte die aufgeregten Kreaturen zu beruhigen. An drei weitern Computern saßen drei weiter Menschen. Zwei von ihnen trugen grüne Overalls, der letzte, ein etwa 47 Jahre alter Mann, dessen schwarze Haare bereits angegraut waren, trug einen weißen Arztkittel und eine Brille. Gegenüber dieser Computer waren acht weitere Gestalten in der uniformen Arbeitskleidung damit beschäftigt einen weitern Androiden zusammen zu bauen. In der Mitte des Raumes war ein Mann, etwa 33 Jahre alt. Seine pechschwarzen, mittellangen Haare waren an seinem Hinterkopf zu einem kurzen Zopf gebunden. Er trug einen schwarzen Anzug mit einer roten Krawatte und lief nervös und ungeduldig im Kreis, die Hände hinter seinem Rücken verschränkt.

"Akamatsu-sama, wir haben sie," sagte einer der Personen am Computer.

"Na endlich!" rief der Anzugträger, Akamatsu, erleichtert und lief zu den Computern.

"Aber es sind nur drei... Der Werwolf und das Mädchen fehlen..." entgegnete der Mann im Arztkittel.

Akamatsu sah ihn scharf an. "Das ist also das Zerschlagen, von dem sie gesprochen haben, Yahagi?"

Yahagi entgegnete den Blick nicht. "Ich wünschte, ich könnte ihnen dabei zustimmen," sagte er, den Blick auf die thermographische Karte der näheren Umgebung geheftet, welche auf dem Monitor zusehen war.

"Können sie sich das erklären?" fragte Akamatsu scharf.

"Ich bedaure, nein. Zumindest bei dem Werwolf wundert es mich, genau so wie es mich wundert, dass der Scharfschütze dabei ist."

"Was meinen sie damit?"

Doch Yahagi gab keine Antwort.

Noch immer waren die Wärmepunkte auf der Thermo-Karte unbewegt in ihrem Versteck.

"Was machen sie da?" fragte Akamatsu mit unverändert aggressiver Stimme.

"Das kann ich ihnen nicht sagen," gab Yahagi ruhig zurück, "Vielleicht warten sie auf die anderen, vielleicht planen sie den Angriff... ich weiß nicht..."

"Planen? Ha! Die KON sind eher Terroristen als Soldaten, Yahagi. Sie planen nichts!" Akamatsu drehte sich um und ging wieder in die Mitte des Raumes, "Die KON greifen an und versuchen mit Einsatz ihres Lebens soviel Schaden wie möglich zu machen... Der Tod von Zivilisten ist ihnen egal, ebenso wie Sachbeschädigung, mutwillige Zerstörung und alle anderen Formen von Regelverstößen. Sie sind Killermachinen..."

"Sie bewegen sich," rief die Person, die neben Yahagi saß.

Akamatsu stürmte zu dem Computer. Zwei der Punkte begannen sich um das Gebäude zu bewegen. Dann fiel ein Schuss.

"Nicht reagieren!" schrie Akamatsu, "Sie wollen uns verwirren."

Ein zweiter Schuss fiel und kurz darauf ein weiterer.

"Was tun sie da?" fragte Yahagi.

Akamatsus Antwort klang gleichzeitig ungläubig und anerkennend. "Eine Technik zur Verwirrung übermächtiger Gegner... eine der grundlegenden Techniken aus dem Polizeihandbuch."

"Anscheint planen die KON mehr als sie dachten, Akamatsu," gab Yahagi zurück.
 

Rumiko hielt sich an Osamu fest, schweigend. Der Werwolf hatte ihr in wenigen, aber deutlichen Worten die Lage erläutert. Das Mädchen wusste nicht, was sie fühlen oder denken sollte. In ihr war Trauer, ihre Freundin zu verlieren, Wut, weil Osamu recht hatte und trotzdem dieses seltsame Gefühl, die merkwürdige Vorfreude auf den Kampf. Während der gesamten Fahrt wurde kein einziges Wort gesprochen, außer Osamus kurzer Lagezusammenfassung. Erst als sie auf das Militärgelände einbogen, fragte Osamu: "Rumiko, wirst du sie töten können, wenn sie vor dir steht?"

"Nein," antwortete Rumiko wahrheitsgemäß und ohne nachzudenken. Sie hatte sich die Fahrt über diese Frage gestellt und war zu diesem eindeutigen Ergebnis gekommen. Osamu seufzte.

"Dann hoffe ich nur, dass sie nicht auftaucht..."
 

Xian indessen wusste nichts von dem, was ihretwegen passierte. Sie lag in ihrem Zimmer auf ihrem Bett, hörte Musik und las. Sie tat das was viele normale Mädchen in ihrem Alter auch tun würden. Ihr Zimmer lag fast direkt neben der Halle, in der sich Akamatsu und Yahagi befanden, dennoch hatte sie diesen Raum noch nie gesehen und wusste nicht einmal, dass er existierte. Der andere Teil, des unterirdischen Komplexes, der Teil, den Xian kannte, war wie eine gewöhnliche Wohnung aufgebaut. Man hatte Xian erklärt, dies sei zu ihrer Sicherheit geschehen und Xian hatte keinen Grund Akamatsu-Oto-san und Yahagi-Oji-san zu misstrauen.
 

Währenddessen kniete Tatsuya versteckt zwischen den Trümmern und hielt seine Sniper auf die Tür des Gebäudes gerichtet, bereit einen einzelnen, tödlichen Schuss abzugeben. Er hört die Schüsse von Junichi und No. 6, sah sie gelegentlich auch, aber realisierte es nicht. Sein Kopf war leer, seine Gedanken auf die Aufgabe fixiert. Er stellte sich keine Fragen, dachte nicht nach, nichts. Sein Atem war ruhig und gleichmäßig, seine Flügel hatte er glatt angelegt.

"Scharfschütze Kanai, erstatten sie Bericht," hörte er eine Stimme hinter sich. Es dauerte eine Weile bis Tatsuya merkte, dass er angesprochen wurde und noch einige Sekunden mehr, bis er Osamus Stimme erkannte.

"Frag nicht mich, frag Tsuyako," murmelte Tatsuya ohne aufzusehen.

"Tsuyako?" fragte Rumiko, "Sixy? Was?"

"Sixy verhält sich wieder wie ein wandelndes Polzeihandbuch," meinte Tatsuya.

"Und was genau machst du hier?" erkundigte sich Osamu.

"Das, was Sixy zu meiner Aufgabe gemacht hat," antwortete Tatsuya, "Warten."

"Na, dann ändere ich deine Aufgabe mal: Mach dieses Fenster da soweit kaputt, dass ich da rein kann," meinte Osamu, der gerade dabei war sich in seine Wolfsgestalt zu verwandeln, und deutete auf eines der großen Fenster.

Jetzt erst wendete Tatsuya seinen Blick zu Osamu und sagte grinsend: "Ich bin so froh, das du da bist!"

Osamu, der nun fast komplett seine Wolfsgestalt angenommen hatte, grinste ebenfalls, wobei man seine spitzen Reißzähne sehen konnte. "Let's rock."
 

No. 6 während dessen blühte in ihrer Aufgabe geradezu auf. Sie wusste nicht, dass sie sich genau an die polizeilichen Vorschriften hielt und auch nicht wie sie auf diese Idee gekommen war. Ihr war nicht klar, dass dies die festen Strukturen ihres Lebens als Tsuyako Kuronaga waren. Strukturen, die fest in ihr verwurzelt waren und von denen sie sich niemals lösen konnte. Doch sie spürte eine ungewohnte Freiheit und Freude in sich. Etwas, das ihr so fremd, so neu und doch so bekannt war. Auch No. 6 dachte nicht nach. Es war wie eine Instinkthandlung, es war etwas, dass sie schon so oft getan hatte. Es war wie eine Reise in eine andere, eine vergangen Zeit. Ein plötzlicher Schuss riss sie zurück in die Realität. Es war der Schuss eines Scharfschützens... Tatsuya."Idiot," fauchte sie und eine brennende Wut stieg in ihr auf. Wie konnte er gegen den Plan, gegen die Vorschriften verstoßen? Erst als sie diesen Gedanken fertig gedacht hatte, wurde ihr klar, dass es nicht allein sie, No.6, war, die das dachte. Es war auch diese Frau, die sie einmal gewesen war. Sie versuchte diese Gedanken zu verdrängen, als sie zu Tatsuya lief.
 

"Sie haben ihre Strategie geändert!" meldete eine der Personen, die am Computer saß.

"Das habe ich selbst gemerkt, sie Vollidiot!" schrie Akamastu ihn an, dann fügte er für Yahagi hinzu: "Es ist der Werwolf. Er ist der Anführer und hat das Kommando."

"Sie meinen, er gibt den Befehl zum Massaker?" fragte Yahagi und Akamatsu nickte.

Dann rief er den Männern zu: "Haltet die Soldaten bereit, gleich kann es hier ziemlich hässlich werden."

Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, zersprang das dicke Glas des Fensters und durch dem glitzernden Scherbenregen sprang die dunkle Gestalt eines Werwolfs in den unterirdischen Raum. Wenige Sekunden verharrte Osamu auf dem Boden kniend und ließ seine bernsteinfarbenen Augen durch den Raum wandern.

"Ich glaube, das kann lustig werden," sagte der Werwolf leise, dann jaulte er. Fast war es, als hätte das Jaulen die Androiden erweckt, doch jede Person im Raum wusste, dass es nicht so war, als sich 37 Roboterköpfe zu Osamu drehten. Die Arbeiter zogen sich zurück an die Computer. Osamu richtete sich inzwischen auf und zeigte seine ganze, beeindruckende Werwolfgestalt. Natürlich waren die Androiden kein bisschen beeindruckt, ebenso wenig wie die Bloodhounds, welche die angespannte Atmosphäre witterten, die sie aufreizte und fast verrückt werden ließ. Dann sprintete er los, direkt an der geschlossene Reihe der Androiden vorbei zu dem geschlossenen Käfig der Bloodhounds. Jetzt begannen auch die Soldaten sich in Bewegung zu setzen. Ihre Waffen hatten sie auf den Werwolf gerichtet und mit schnellen Schritten folgten sie ihm. Dann eröffneten sie das Feuer. 27 Waffen, keine der Dragonflys, feuerten gleichzeitig auf den Werwolf, während dieser auf den Käfig der Bloodhounds sprang und sich an das Gitter drückte. Das Knurren und Fauchen der Bestien wurde immer stärker, während sie nach dem Werwolf schnappten, der sich über ihnen befand. Unbemerkt von denen, die sich im Raum befanden, schlängelte sich ein dunkelbraunes Seil durch das Fenster. Immer noch unbeobachtet rutschten Rumiko und No.6 an diesem Seil hinunter und landeten auf dem Boden des Raumes. Die Androiden hatten nun Osamu, der immer noch auf dem Käfig lag, eingekreist. An seinen Oberarmen hatte der Werwolf bereits breite Schusswunden, aus denen das Blut auf die bereits vom Mordfieber gepackten Bloodhounds tropfte. Ein kaum sichtbarer, silberner Schimmer war für wenige Sekunden zu sehen, die tödliche Refelxion auf Rumikos Klinge. Ein Androide brach zusammen. Ein weiter direkt daneben ebenfalls, nach dem No.6 ihre metallene Hand um seinen Hals geschlossen hatte.

"Das Mädchen und der Cyborg!" schrie Akamatsu wutentbrannt ohne die beiden wirklich gesehen zu haben, "Tötet sie!"

Einige seiner Arbeiter schienen Angst zu bekommen und flohen heimlich aus dem Gebäude. Doch die kamen nicht weit, den Tatsuya befolgte wieder den Befehl, den No.6 ihn gegeben hatte: "Wenn einer von den Jungs rauskommt, gehört er dir."

Junichi saß auf einer Mauer. In seinen Händen hielt er ein kleines mechanisches Gerät mit leicht bläulich leuchtendem Monitor. Es war ein funkgesteuertes Hackertool, mit welchem er sich versuchte in die Computer, die sich im unterirdischen Raum befanden einzuhacken.

In diesem Raum war inzwischen das eingetreten, was Osamu als seinen Lieblingsteil des Auftrags bezeichnen würde: Ein wildes, nahezu aussichtslos wirkendes Massaker. Rumikos Klinge tanzte geschmeidig und zerstörerisch durch die Reihen, die elegante Gestalt des Fuchscyborg verwandelte sich in eine tödliche Killermaschine und Osamu ließ lachend seine Werwolfkrallen durch die Reihen der Androiden fahren. Dann schnappte er sich einen der Feinde, die eine Dragonfly hielten. Seine Klauen legte der Werwolf genau auf die Roboterhände und ließ den Lauf der Waffe auf den Käfig der Bloodhounds zielen, welche sich zum Teil bereits selbst zerfleischten. Dann drückte Osamu ab. Der Rückstoß ließ den Werwolf einen Schritt zurück taumeln. Die Explosion hinterließ nichts an dieser Stelle, wie es vorher war. Die Bloodhounds waren schwarz verbrannt, unkenntliche Reste brennenden Fleisches, von welchen ein bissiger Geruch hinauf stieg. Die drei Androiden, die dort standen waren nur noch glühende Metallteile und ein großes Stück der metallenen Wand war heraus gebrochen, so dass man in den Gang vor dem Raum sehen konnte.
 

Ein unglaublicher Lärm riss Xian aus ihrem Buch. Sie kannte diesen Lärm, wusste dass es der Lärm einer Explosion war... Es war genau wie zuvor in der Murai 7. Panik ergriff das Mädchen. Was war bloß in ihrem Leben auf einmal passiert? Und warum passierte es ausgerechnet jetzt? Ängstlich ging sie aus ihrem Zimmer. Als sie den Eingangsbereich betrat schrak sie zusammen. Ein Loch war in der vormals sauberen, weißen Wand und schwarzer Rauch stieg auf, vermischt mit einem so widerwärtigen Geruch, das Xian würgen musste. Außerdem hörte Xian noch weitere Geräusche: Schüsse, Schreie... die Geräusche von Kampf, Tod und Zerstörung. Dennoch trieb eine innere Kraft Xian in dieses Chaos. Es war wie ein Mechanismus, gegen den sie nicht ankämpfen konnte. Doch was das Mädchen dort sah, war noch schlimmer als sie es sich vorgestellt hatte. Sie sah das Schlachtfeld, die toten Bloodhounds fast die direkt vor ihr. Zu ihrer Rechten war eine Reihe von Computern. Dort standen Akamatsu-Oto-san und Yahagi-Oji-san, die Menschen, die sie aufgezogen hatten und einige andere Personen die sie nicht kannte. Der Rest des Raumes war übersät von Metallteilen und in diesem Chaos sah sie die Kämpfer: Ein Werwolf, ein Cyborg und... Rumiko. Ein entsetzter Schrei entfuhr der Chinesin.

"Xian!" riefen Yahagi und Rumiko wie aus einem Mund.
 

"Lin Xian..." murmelte Junichi, der inzwischen Zugriff auf das Computersystem hatte, während er eine Datei über den Cyborg entschlüsselte. Plötzlich weiteten sich seine Augen.

"Hey, Tatsuya," sagte er und winkte den Scharfschützen zu sich, "Ich hab hier was für dich: Xian weiß nichts über sich. Sie weiß nicht, dass sie ein Cyborg ist. Wir können sie vielleicht für uns gewinnen."

Tatsuya war mit einem Flügelschlag bei ihm.

"Meinst du wirklich?" fragte er misstrauisch. Junichi nickte.

"Wir müssen ihr nur..." begann er, wurde jedoch unterbrochen, von einem Schrei auf welchen der Ruf "Xian!" antwortete. Ohne seinen Satz zu vollenden, lief Junichi zu dem zerbrochen Fenster und setzte sich.

"Lin Xian!" rief er laut, "Ich habe dir etwas wichtiges zu sagen."

Bis auf die Androiden und Osamu wendeten nun alle ihre Blicke zu dem Jungen, der da im Fenster saß. Tatsuya setzte sich neben ihn, seine Waffe schussbereit.

"Es ist die Geschichte über ein Mädchen, deren Eltern getötet wurden, weil das Mädchen etwas besaß, das in der Welt selten geworden ist: Unschuld und ein reines Herz..." begann Junichi.

"Oh nein..." sagte Akamatsu leise, dann schrie er: "Tötet dieses Kind! Tötet ihn!!" Doch niemand folgte den Befehl, den jeder wusste, dass dieser Scharfschütze dort jeden Versuch diesen Befehl Folge zu leisten verhindern würde.

"Dieses Mädchen wurde danach von den Mördern ihrer Eltern aufgenommen und wusste nicht, was sie mit ihr vorhatten. Sie wusste auch, was sie bereits mit ihr getan hatten. Das Mädchen war, ohne es zu wissen, vercybert worden. Sie war ein Cyborg und noch dazu einer, der dazu gemacht war, um zu töten..." fuhr Junichi fort, "... und dieses Mädchen, Xian Lin, bist du..."

"Glaub ihm kein Wort, Xian!" rief Yahagi, "Er lügt. Sie sind hier um dich zu töten, sie sind die Mörder deiner Eltern."

"Wenn wir vorhätten das zu tun, hätten wir es schon längst getan!" schrie Rumiko.

Xian begann zu weinen. Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und die Tränen liefen ihr aus den Augen. In der letzten Minute hatte sich ihre ganze Welt, alles, an was sie glaubte, aufgelöst. Sie wusste nicht, was die Wahrheit und was eine Lüge war. Alles um sie herum und alles in ihr schien zu zerbrechen. Langsam und ohne zu wissen, was sie tat, liess Xian ihre Hände in ihren Nacken wandern.

"Nein!" schreien Yahagi und Akamatsu wie aus einem Mund, synchron mit ihnen schrie Junichi: "Raus!"

No.6 rannte zum Seil, das noch immer aus dem Fenster hing und kletterte hinauf. Rumiko lief zu Osamu, der sich gebückt vor das Fenster gestellt hatte und sprang auf seine Schultern und als er nach oben schnellte, sprang sie von ihm aus durch das Fenster. Osamu packte mit den Krallen den unteren Rand des Fensters und wollte sich hochziehen. Doch das war nicht nötig. Die Druckwelle aus dem inneren des Gebäudes katapultierte den Werwolf einige Meter durch die Luft, bevor er hart auf dem Boden aufschlug.

Das Gebäude war in sich zusammen gefallen, ohne Rauch, ohne Qualm, ohne Staub. Das Gras direkt um die frischen Trümmer war gelb, fast weiß, ausblichen, verdorrt. Die KON hatten es geschafft sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, niemand war in diesem Bereich zurückgeblieben.

"Xian!" schrie Rumiko und rannte zu der Ruine. Tränen standen in ihren Augen, als sie verzweifelt die Trümmer zur Seite räumen wollte. Als das Mädchen sie berührte, verbrannte sie sich die Hände. Auch wenn man es ihnen nicht ansah, waren die Trümmer glühendheiß, was die verzweifelte Rumiko nicht davon abhielt, darin herumzuwühlen, das Unmögliche hoffend.

"Was war das?" fragte No.6 und Junichi antwortete mit leiser, bitter Stimme: "... Ein Cyborg um zu töten. Ein Cyborg, der selbst eine mächtige Waffe war, ohne es zu wissen. Ein Kamikazekrieger gegen den eigenen Willen."

"Wir hätten sie retten können, ja?" schrie Tatsuya den Jungen an, mit einer Stimme, die vor Zorn zitterte, "Wir können sie für uns gewinnen, ja?"

Auch in den Augen des Scharfschützen glitzerten Tränen, während er sich wütend vor Junichi stellte. Der Junge schwieg.

"Du verdammter Lügner!" schrie Tatsuya und wollte auf Junichi losgehen, wurde jedoch von No. 6 aufgehalten.

"Ich bring dich um!" Eine einzelne Träne lief über Tatsuyas Gesicht, während er sich aus dem Griff des Cyborgs befreien wollte, was ihm nicht gelang.

"Tatsuya, beruhig dich," sagte Osamu. Er hatte sich inzwischen wieder in seine menschliche Gestalt zurück verwandelt und schritt nun, mit einer Zigarette im Mund, zu den anderen.

"Irgendjemand musste sterben," fuhr er fort, "Das war von Anfang an klar. Und lieber sie als wir."

Tatsuya begann sich zu beruhigen, während No.6 ihn weiterhin festhielt.

"Gehen wir," meinte der Werwolf und drehte sich zu seinem Motorrad, "Unsere Aufgabe ist hier erledigt."

Rumikos Tränen fielen auf die glühenden Trümmer und verdampften sofort.

Credits

Die Monate vergingen und die Bäume NeoTokyos trugen nun ihr feuerfarbenes Herbstgewand. Die Sonne glänzte auf den regennassen Blättern und Straßen. Der Wind war aufgefrischt und die Röcke der Schulmädchen wurden länger.

"Tadaima!" rief Rumiko als sie das Lost Fortress betrat. Sie war dabei ihren Schal auszuziehen, als Osamu auf sie zukam. Zwischen Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand hielt er einen weißen Umschlag.

"Rumiko, du hast Post," meinte er und wedelte mit dem Umschlag, "Aus Tibet."

"Post?" Rumiko traute ihren Ohren nicht, "Aus Tibet?"

Osamu nickte, und reichte ihr den Umschlag. "Junichi hoffte es wäre für ihn, als er sah, dass es aus Tibet ist und das mit deinem Namen wäre nur Zufall. Aber der Absender bestätigt, dass es für dich ist."

Rumiko nahm den Umschlag und sah auf den Absender. Ein kurzes Zucken ging durch ihren Körper, als sie den Namen las: "Lin Xian."

Der Auftrag war nun schon Monate her. Die ersten zwei Wochen war die Stimmung im Lost Fortress getrübt. Dann normalisierte sich das Leben der KON wieder. Über den Auftrag, über Xian wurde nie gesprochen und auch nur sehr wenig nachgedacht. Rumiko starrte nun auf den Umschlag und sie wusste nicht, was sie denken sollte. Xian lebte noch? Das war unmöglich! Fragend blickte sie Osamu an.

"Ich denke, du weißt noch von wem dieser Brief ist," meinte der Werwolf.

"Natürlich!" sagte Rumiko schnell.

"Dacht ich mir," nickte der Werwolf, "Bei Tatsuya wäre ich mir da nicht so sicher. Lies den Brief. Man bekommt nicht sooft Post von Toten."

Rumiko nickte schweigend und ging in ihr Zimmer. Dort setzte sie sich auf ihr Bett, öffnete den Umschlag und begann den Brief zu lesen:

"Liebe Rumiko.

Sicher bist du überrascht einen Brief von mir zu bekommen. Ich weiß nicht genau, was passiert ist, damals. Aber ich glaube es ist meine Schuld und es tut mir Leid. Ich wurde repariert. Es ist merkwürdig das zu schreiben. Es ist merkwürdig zu erfahren, dass man schon Jahre lang ein Cyborg ist. Ich lebe jetzt in Tibet in einem Kloster. Ich weiß nicht, ob du davon gehört hast, aber hier in Tibet leben Mönche im Einklang mit Cyborgs und Androiden. Sie reparieren sogar die, die man für zerstört hält." An dieser Stelle machte Rumiko eine Pause und lächelte. Natürlich wusste sie über die tibetanischen Mönche Bescheid. Fasst jeder, der nur einiger Maßen Allgemeinbildung hatte wusste es. Xian durfte es wahrscheinlich wissen. Sie hatte nichts gelernt, was ihre Traumwelt zerstört hätte. "Ich kam, wie man mir erzählte, über einen Schrotthändler hier her. Es ist kaum zu glauben... ich war tot.

Ich wollte dir schreiben, Rumiko, weil du die einzige Freundin bist, die ich je in meinem Leben hatte. Ich wollte dir sagen, dass ich lebe, weil ich sehr oft an dich denke. Ich wollte, dass du weißt, dass ich lebe und dass es mir gut geht. Bitte erzähle Tatsuya nichts davon. Er war der Erste und vermutlich der Einzige, den ich je geliebt hatte. Aber er soll mich vergessen, damit es leichter für ihn ist. Wir werden uns nie wieder sehen.

Das war alles, was ich dir schreiben wollte. Ich wünschte es wäre alles nicht so gekommen, aber das ist nun mal der Lauf der Dinge. Nun kenne ich sie, die Welt in der du lebst. Und ich wünschte ich hätte sie nie kennen gelernt.

Leb wohl, Xian."

Rumiko legte sich zurück und drückte den Brief gegen ihre Brust. Xian... sie hatte ihren Glauben an das Gute nicht verloren. Tatsuya dachte bestimmt schon lange nicht mehr an sie und auch Rumiko hätte sie wahrscheinlich mit der Zeit vollkommen vergessen. Doch das war der Lauf der Dinge. Sie gehörten zu den KON, einer Gruppe von Gesetzlosen, von Mördern, die in ihren Herzen kein Platz für Trauer hatten. Rumiko stand auf, steckte den Brief in den Umschlag und legte ihn zu ihren Mangas. Vielleicht würde sie nicht mehr an Xian denken, aber dank des Briefes würde sie sie auch nie ganz vergessen. Dann ging Rumiko aus ihrem Zimmer in die Küche um mit den anderen zu essen.
 

~Ende~
 

Soooo, damit ist KON - TT beendet! Ich danke allen, die es gelesen haben vor allem Mekura und natürlich gaaanz besonders Pri *umknuffzundniemehrloslass*! Ich hoffe es hat euch gefallen! Wenn ja, schreibt Kommis und empfehlt es euren Freunden weiter. Und seid euch sicher: KON goes on! Der nächste Teil (KON - Undercover) ist bereits in Planung!
 

Vielen, lieben Dank für's Lesen!

T-Chan!



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Kommentare zu dieser Fanfic (27)
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Von:  Glasschmetterling
2006-08-27T21:27:57+00:00 27.08.2006 23:27
So... nach EWIGKEITEN hab ich hier mal das Ende gelesen... *g*

Also... s gefiel mir recht gut, allerdings fand ichs n bisschen schade dass niemand von der KON gestorben is... erinnert mich irgendwie an die Heldenunsterblichkeit in Star Wars und so...

Naja, an deinem Schreibstil könntest du auch noch n bisschen arbeiten, und die Sache mit dem Präsidenten und so hat mich total verwirrt (das kann aber au sein, weils so lange her is, dass ich die Teile vor dem Ende gelesen hab *hust*), aber alles in allem hats mir recht gut gefallen... und ich warte auf den nächsten Teil

Darky
Von: abgemeldet
2006-04-09T16:30:12+00:00 09.04.2006 18:30
KON zu Ende! *schniff* Aber es hat mir sehr gut gefallen!KON ist toll und ich freu mich auch schon auf den nächsten Teil!
Tut mir leid, dass ich's erst jetzt gelesen habe, aber irgendwie bin ich zuerst nicht dazu gekommen und dann hatte ich's fast vergessen. (Wie konnte ich bloß! >_<)
Übrigens: Dieser Präsident Miyazaki heißt so wie mein Japanischlehrer! XD
Ciao!
Deine Mekura
Von: abgemeldet
2006-04-08T11:51:57+00:00 08.04.2006 13:51
KON TT ist zu Ende... ;___;
Mir hat der Schluss total gut gefallen, aber das weißt du ja schon. ^^ Ich werde KON Undercover und alles was danach kommt natürlich auch lesen...
Mach weiter so! *umknuff*
-Pri ^^
Von: abgemeldet
2005-09-06T19:30:56+00:00 06.09.2005 21:30
Ich find' s super! Du solltest schnell weiterschreiben!
Ich bin schon gespannt, ob Tatsuya und Junichi sich prügeln oder ob Osamu rechtzeitig auftaucht und das verhindert! XD
Deine Mekura
PS: Hast du irgendwas von KON- T- Shirts gesagt?????*lechz*
*Groupie bin*
Von: abgemeldet
2005-09-04T09:42:31+00:00 04.09.2005 11:42
Endlich gibts wieder was von KON zu lesen... ^^
Jup, viel kann ich wohl noch nicht dazu sagen, da es ja nur 30% sind *gg*, aber was ich bisher gelesen hab fand ich sehr gut. Wie du schon weißt hat mir das mit dem Lehrer und dem Schwert gefallen. Das hat mich an nen Takahashi Manga erinnert... ^^ Und Junichi macht endlich mal Tatsu fertig... das hat er auch nicht anders verdient...
Naja, wenn das Kapitel ganz da ist werde ich warscheinlich noch was schreiben, deswegen reicht das jetzt erst mal. ^^
Von: abgemeldet
2005-06-04T20:38:06+00:00 04.06.2005 22:38
So, habs endlich geschafft das Kapitel zu lesen und ich kann mich Mekura nur anschließen. Ist wirklich spannend. Beim schreiben hast du dich wieder mal selbst übertroffen ^^

Das war auch total der hammer:
"Natürlich, man muss Feuer mit Feuer bekämpfen
.....
dann braucht diese Stadt einen neuen Herrscher."

Also ich meine diesen ganzen abschnitt (den er sagt). /hab jetzt natürlich net alles kopiert/ Total cool... wie das geschrieben ist mein ich.
Sowas bekomm ich nie so gut hin... gefällt mir echt ^^

Hoffentlich gehts bald weiter. ^^
-Pri

DAISUKI
Von: abgemeldet
2005-05-29T17:19:17+00:00 29.05.2005 19:19
YIPPIIEH! Das neue Kapitel ist da! =)
Oooh, das wird ja immer spannender! Schreib bitte schnell weiter! Ich muss wissen, wie's mit Tatsuya und den anderen K.O.N weitergeht.
Deine Mekura
Von:  Glasschmetterling
2005-03-29T18:48:22+00:00 29.03.2005 20:48
jaha, weiterschreiben, weiterschreiben *g*

*riesengroßes schild hochhalt und anfleh* büdde...

ach ja, was ich vielleicht noch gerne gehabt hätte wär ne genaue beschreibung, was eigentlich ein android ist... oder kam des scho ma vor und ich kann mich nimmer erinnern?

darky
Von: abgemeldet
2005-03-29T07:11:23+00:00 29.03.2005 09:11
Mir gefällt das Kapitel wieder mal total gut! Tatsuya ist noch cooler als sonst und es war total spannend, als Osamu plötzlich abgehauen ist. Will wissen, wie's weitergeht! *plärr* Du musst ganz schnell weiterschreiben, jawohl! Bitte, bitte!
Ciao
Deine Mekura
Von: abgemeldet
2005-03-28T13:21:19+00:00 28.03.2005 15:21
So, nun hab ich auch den zweiten Teil des Kapitels gelesen. Ist dir wirklich super gelungen. Ganz besonders der Schluss mit dem Titel hat mir gefallen (hab ich dir ja schon gesagt). Tatsu war ja total cool. Hab mir das mit dem Mantel richtig gut vorstellen können *ggg*
Bin schon gespannt auf das nächste Kapitel ^^


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