Revanche.com von Avis_Callaina ================================================================================ Prolog: Logg in --------------- Es gibt Tage an denen man nicht aufstehen sollte. Tage, an denen man nicht mal das Haus verlassen sollte. Für Lin Shen Tai war jeder Tag ein solcher Tag. Sie wachte auf und starrte auf die Holzlatten über ihrem Kopf. Dorthin wo ihre Eltern schliefen. Die Matratze ruckelte. Angewidert drehte sie sich zur Seite. Nach einer Weile zwängte sie sich ganz aus ihrem "Bett" und stand auf. Sie hatte es satt. Schlafen konnte sie eh nicht. Sie zog sich an und verliess bereits um vier Uhr morgens das Haus. Sie hatte heute ehrlich gesagt keinen Bock zu arbeiten oder zu lernen. Nichts von beidem. In sich versunken ging sie durch die dunklen Strassen ihres Bezirkes und kam bald schon in die alte Gasse. Die Stadt renovierte wohl, alles war mit Holzlatten zugenagelt. Zerrissene Poster von längst vergangenen Filmen und irgendwelchen Wahlen hingen noch daran. Gelangweilt schlenderte Lin Shen weiter. Es windete stark. So sehr, dass die verwelkten Blätter auf den Boden fielen und kleben blieben. Der unebene Plattenboden war nass. Ob es geregnet hatte? Lin Shen blieb zwanzig Minuten später vor einer Glastür stehen. Wieder diese Poster. Die meisten waren schon verblaut und zeigten irgendwelche verblichenen Urlaubsorte und übertrieben lächelnde Menschen. Wie unnatürlich - wie erlogen. Typisch Mensch. Sie betrachtete das vergilbte Schild an der Türe mit dem roten Geschmiere "geschlossen". Er hatte wohl vergeblich versucht Kalligraphie auszuüben. Himmeltraurig. Lin Shen Tai trat ein. Kein Schild der Welt würde sie JETZT da raushalten. Der Herr sah auf. "was machst du um 5 Uhr morgens hier??" fragte er verwirrt. Er wirkte verschlafen. "frag nicht, schließ einfach den Hinterraum auf." Erwiderte sie gereizt. Schlechte Laune. Oder einfach auf Entzug. "Kleines, so früh am Morgen schon vor dem Bildschirm, das macht dich noch kaputt!" "Quatsch nicht. Ich bezahl dich wohl hoch genug. Also lass mich selbst entscheiden wann und wie lang ich das Teil benutz." Eigentlich wollte sie gar nicht so schroff sein. Sie verstand selbst nicht was mit ihr los war. Noch nicht. Der kleine glatzköpfige Mann tabbste mit einem leisen Grummeln zur Hintertür und schloss sie auf. "ich hab dich gewarnt." Sagte er leise und ging wieder seiner Arbeit nach. Lin Shen betrachtete den noch dunklen Raum mit dem alten doch wahnsinnig schnellen PC darin. Sie zog die Disc aus ihrer Manteltasche und schloss die Tür. Ihre Finger kribbelten. Endlich würde sie wieder untertauchen. Sie fuhr den PC hoch und startete die Disc... "was ist das?" fragte Hin verwirrt, als er auf die silberne Disc starrte. "DAS ist die beste Lösung aus dieser Scheisswelt raus" erwiederte Shin, sein Zwillingsbruder. Hin begutachtete das Ding. "Revenche.com ^^ das beste RPG auf Erden" "ich weiß nicht recht...." Murmelte Hin, dem diese RPG-Geschichte sowieso nicht so ganz geheuer war. "ach komm schon" ermunterte ihn Shin auf seine aufdringliche Art und Weise. "probieren bringt dich nicht um" Hin warf ihm einen giftigen Blick zu. Genau dasselbe hatte er vor drei Jahren bei was anderem auch gesagt... Damals hätte er seinetwegen fast das Leben verloren. Aber er gab nach - wie immer. So war das nun mal bei den zweitgeborenen: immer gaben sie nach - dachte jedenfalls Hin. Er legte die Disc in seinen Laptop und sah sich im Café etwas um. "ist es etwas was ich in der Öffentlichkeit öffnen kann?" fragte er misstrauisch, immerhin kannte er Shin lang genug. Shin hob seinen Daumen. Hin nickte und machte einen Doppelklick auf das Geometrische Symbol was auf seinem Bildschirm erschienen war. Hätte er gewusst, wohin ihn das bringt, hätte er niemals damit angefangen... Kapitel 1: Game Loading... -------------------------- Lin Shen öffnete ihre Augen und sah direkt in den Bildschirm. Sie konnte auf der "anderen Seite" ihr ausdrucksloses reales Gesicht sehen. Sie hasste es. Diese knochigen Wangen, die Schlitzaugen mit den grünen Augen, die viel zu dünnen Augenbrauen und diese bleiche Haut. Sie hasste einfach alles daran. Wie schon gesagt: DAS hier, war ihre einzige Hoffnung auf ein neues Leben - auf einen neuen Anfang. Sie würde ihre Fehler nicht mehr begehen. Keinen mehr. Sie stand auf. Wie beim jeden Logg-in war sie überrascht wie real es sich anfühlte.... Der schwere Samt drückte auf ihre elfenbeinfarbene weiche Haut. Lin Shen liebte das Knistern des teuren Stoffes wenn sie sich bewegte. Auch so eine Sache. Ohne einen Blick auf den sich verdunkelnden Ausstieg zu werfen, ging sie auf die mit gold verzierte Holztür zu und verließ den sonst so leeren und faden Raum. Ein zarter duft von Jasminblüten schlug ihr entgegen. Lächelnd betrat sie den Raum der Wahrsagerin, die wie immer nicht anwesend war. Sie liebte es sich hier aufzuhalten. Der viel zu reale Geruch des alten Holzes, der Baumwollduft der farbigen Teppiche auf dem Boden, auch das Gefühl Barfuss darauf zu gehen und jeden einzelnen Knoten an ihren hier so empfindlichen Fußsohlen zu fühlen. Es war sagenhaft. Das musste das Leben sein, nicht das, was sie auf der anderen Seite führte. Nicht das, was sie dort empfinden musste. Nichts von dem. Lin Shen strich durch ihre so weichen kastanienbraunen Haare. Das Gefühl diese schönen Haare Faser für Faser zwischen ihren Fingern zu fühlen war das Größte. Nicht zu vergleichen mit ihren strohigen Chinesenhaaren. Ja, am liebsten würde sie für immer hier bleiben. Aber ihr sinnloser blöder Körper hinderte sie daran. Ob das Paradies aussah wie das hier? "Ah, Shen, du bist aber früh heute" flüsterte eine bekannte Stimme. Lin Shen lächelte. "nein." Erwiderte sie liebevoll mit ihrer sanften Stimme. "du bist spät. ^^ wie immer." Beide lachten. Kuren trat lächelnd aus dem Schatten. Sein verziertes Baumwollhemd schmiegte sich eng um seinen jungenhaften aber leicht muskulösen Körper. Die Lederhose schnürte sich an seinen Seiten hoch. Das Hemd steckte locker darin. Kurens stechendblaue Augen starrten sie verbittert an, obwohl sein ganzes hübsches Gesicht, welches von seinen braunblonden nackenlangen Haaren umflossen wurde, vor Freude strahlte. Ihm ging es im echten Leben wohl nicht anders wie ihr... nichts hatte Sinn, oder irgendeinen plausiblen Grund es weiterzuführen. "hattest du wieder Ärger" fragte er sanft. Lin Shen brauchte nicht zu antworten. Diese stand ja schon fest, sonst wäre sie nicht hier. Sie wandte sich ab und verließ schweigend den Schrein. Kuren folgte ihr. Nebeneinander marschierten sie dem Kiesweg entlang durch den Wald. Vögel zwitscherten. Der Waldboden roch nach frischem Laub. Viel realer als in der echten Welt. Es durchdrang einen regelrecht. Suchte sich Wege durch die Nase, durch sämtliche Geruchsnerven, trat mit dem Atem wieder aus und kehrte im nächsten wieder in den Körper zurück. Und die Nerven würden diesen Geruch immer aufnehmen, ohne abzustumpfen. Ohne sich an den Geruch zu gewöhnen und als "irrelevant" zu ignorieren. Es gab nichts Irrelevantes auf dieser Welt. Nichts, was durch "gewöhnen" nutzlos wurde. Darum war es auch so anders hier. So.... lebenswert. Eine silbern glühende Pflanze wuchs Blitzschnell vor ihnen und blühte auf. Die beiden blieben verwundert stehen. "eine Nachricht?" fragte Kuren verwirrt. Lin Shen beobachtete lieber das Schauspiel. Sie beobachtete wie die Blume aufblühte, ihre vollen wie Feenstaub glitzernden Blätter zeigte und langsam wieder zerfiel - nein, zerfiel war das falsche Wort. "Zerfließen" traf es besser. Beide starrten gespannt auf die silberne Pfütze in welcher sich ihr unreelles Spiegelbild wiedergab. Warum sah es bloß so echt aus? Worte bildeten sich auf der Oberfläche. Eines nach dem anderen. Ihr nächster Auftrag. Kuren lächelte. Hin wachte auf. Er lag in einem wohlduftenden Bett. Das weiche weiße und vor allem schön kühle Laken schmiegte sich um seinen viel zu warmen Körper. Wo war er? Vor allem, WER war er? Er richtete sich auf. Das Laken strich langsam an seinem Körper hinunter. Es fühlte sich gut an. Warum war es bloß so weich? So real? Vorsichtig sah er sich in seinem "Zimmer" um. Es erinnerte stark an eine Holzhütte, welche er mit seinem Zwilling vor langer Zeit gebaut hatte. Nur gemütlicher. Ein blauroter Teppich lag auf dem Boden, kleine schlichte Holzmöbel standen an der Wand, kleinere Gegenstände auf ihnen. Das fade Waldlicht erhellte das Zimmer. Es wirkte so naturverbunden, so kindlich. Hin fühlte sich glücklich. Endlich wagte er auch einen Blick auf sich selbst. Es dauerte ein paar Sekunden bis er sich seiner Situation bewusst wurde (es lag wohl eher an ihm als am Laufwerk seines Mac) und schrie. Viel länger und vor allem sehr viel schriller als normal... Shin war sofort auf den Beinen. Das glaubte er einfach nicht. Wie schaffte es Hin nur immer bereit in den ersten Spielminuten ärger zu machen? Er riss die Tür auf und blieb doch ziemlich verwundert im Türrahmen stehen. "wo ist Hin?" fragte er sehr verwirrt und wandte sich höflichst mit einem Rotschimmer von diesem bombenscharfen und vor allem nackten Frauenkörper ab. "ich bring dich um Shin!!!!" fauchte Hin und stürzte sich auf ihn und riss Shin zu Boden. Shin lachte. "Warum bin ich eine Frau??? Du A...loch!!!" Shin grinste. "genau dasselbe wollte ich dich auch gerade Fragen. ^^ übrigens, bist richtig hot, Süße!" Hin ballte die Faust und schlug ihn. Seltsamerweise tat es ihr sehr viel mehr weh als ihm. Schmollend hielt sie ihre Hand. "au, jetzt hasu mir wehgetan...." "ich DIR?? Du hast doch zugeschlagen!" "na uuund?" "mach mich nicht fertig Süße" "halt die klappe. Und wehe du nennst mich noch mal Süße. Ich bin ein Kerl." "ja das seh ich" Shin glotzte auf ihre großzügige oberweite und grinste. "wo starrst du hin he??" "was denn? Ich kann nix für! Ich bin halt IMMERNOCH ein Kerl. Im Gegensatz zu gewissen Zwillingsschwestern." "hörst du jetzt damit auf? Ich hab doch gewusst dass du mich wieder übers Ohr haust..." knurrte sie sauer. "zieh dir lieber was an. ^^ wenn du so auf die Straße gehst, kriegst du richtig ärger." "ach halt die klappe Shin." Eine Stunde später (Frauenklamotten sind schwieriger als sie aussehen) verließen die beiden das Haus und marschierten in den Wald. Hin hatte ihre rostroten Locken in Ruhe gelassen. Sie wusste nicht wie man mit so langen Haaren umging. Das Seidenkleid fühlte sich gut an. Es verwunderte sie doch ziemlich warum das Kleid bloß die ganze Zeit über so schön kühl blieb. Sie sah zu Shin. Wie sie ihn momentan hasste. Am liebsten würde sie ihn unter Wasser drücken und ertränken. Shin war ein gut gebauter Muskulöser Mann. Viel zu perfekt proportioniert als er hätte real sein können. So etwas gab es nicht. Und wie sehr man sich auch anstrengte, man würde es nicht sein. Niemals. Das brachte Hin wieder auf seine Wahrnehmungstheorien. "wir gehen jetzt erstmal auf Algeta." Brach Shin die Stille. "wohin?" Hin sah auf. "in die nächste Stadt. ^^ dort werden wir erstmal ein paar Items besorgen, bevor wir aufbrechen." Hin schwieg eine Weile. "worum geht es hier eigentlich?" fragte er schließlich. "Eigentlich etwas ganz einfaches..." murmelte Shin lächelnd und ging weiter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)