Urlaub und andere Grausamkeiten von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: ----------- URLAUB UND ANDERE GRAUSAMKEITEN - 2 Bei Tageslicht betrachtet sah es nicht ganz so schlimm aus, aber ich war dennoch froh, als wir uns endlich in Richtung Strand bewegten. "Vielleicht war es doch eine Kateridee, hierher zu fahren", unkte Mama. Würde ich so etwas sagen, würden gleich alle behaupten, ich hätte keine Spur von Optimismus und Lebensfreude in mir. Tja, so war das eben. Der Strand war nicht gerade sensationell, recht schmal und bereits zu so Früher Stunde - wir hatten erst neun Uhr morgens - zu zwei dritteln mit Badetüchern, Luftmatratzen und riesigen Gummitieren belagert. Ach ja, nicht zu vergessen die windschiefen Strohschirme, die wenigstens etwas Schatten spenden sollen. Meine Mutter war gerade dabei, ihren Badeanzug unter ihrem Rock hochzuziehen, da baute sich vor unseren Augen auch schon ein paar männlicher Beine auf, in alten Joggerschuhen ohne Schnürsenkel, wie ich es von meinen herzallerliebsten Klassenkameraden kannte. Lakritzebraun und mit fast genau so vielen Schrammen wie ekelhaften schwarzen Haaren ausgestattet. Ich verspürte nicht die leiseste Neugier herauszufinden, was zu diesen FC-Mailand-Beinen noch so dazugehörte. Wenn jemand eklige Beine hatte interessierte mich der oberste Stock schon gar nicht. "Hey, Laydies, you must pay", sagte er kurz und bündig in furchtbarem Englisch und wedelte dabei mit einem schweinchenrosa Zettel vor unserer Nase herum. Na toll, da wurde ich im Ausland auch schon für ein Mädchen gehalten und das auch noch am ersten Tag! Wie aufmunternd. "Pay what?", wollte Mama wissen, nachdem sie sich in ihre Träger gewurstelt hatte - zum Glück hat sie sich gegen ihren Bikini entschieden - in ebenso abartigem Englisch. "Ombrella", kam die unfreundliche und ungeduldige Antwort. "Quanto?", fragte meine Mutter während sie nach ihrem Geldbeutel sucht. Die Antwort des braungebrannten Hünen bekam ich nicht mit, mich beschäftigte viel mehr das azurblaue Meer, das in seichten Wellen zum Strand rollte. Erst das entrüstete "Sechs Euro? Das zahle ich nicht!" meiner Mutter brachte mich wieder in die Realität zurück. Der Adonis-Verschnitt rang die Hände und palaverte irgend etwas auf italienisch, was ich nicht verstand und meiner Mama offensichtlich völlig schnuppe war, denn sie meinte nur: "Komm, lass uns woanders hin gehen!" Wohin war allerdings nicht so klar. Mittlerweile gab es so gut wie kein freies Plätzchen Strand mehr. Der Mafioso - so wie der sich verhält war ich mir da absolut sicher - schoss noch ein paar Wörter hinter uns her und ich war mir sicher, dass die nicht zu einer Liebeserklärung gehörten. Wir gingen ein Stück den Strand entlang und meine Mutter schimpfte noch etwas von einem gierigen Halsabschneider vor sich hin. Schließlich entdeckten wir ein altes Ruderboot mitten auf dem Sand und entschlossen uns, dort zu bleiben. Eine Zeitlang lagen wir stumm nebeneinander, genossen die Sonne und den Geruch des Meeres. Bis meine Mutter dann meinte, ihren dämlichen Bikini anziehen zu müssen. Das war mir dann echt zu peinlich. Wie das aussah! Weiß mit rosa und lila Blümchen und dann war sie auch noch so käsig. Echt furchtbar. "Ich geh ins Wasser!", meinte ich nur und verschwand auch schon. "Schwimm nicht so weit raus", rief sie mir - sorgenvoll? - hinterher. Als ob ich was von schwimmen gesagt hätte! Das Wasser sah nicht ganz so klar aus, wie ich es gerne hätte, war aber angenehm warm. Mit mir tummelten sich noch eine Millionen Kleinkinder im seichten Wasser. Ich watete bis zu den Knien ins Wasser, wahrscheinlich musste man noch zig Kilometer in Richtung Elba latschen, bevor es wirklich tief wurde. Oder lag dort Sardinien? Meine Erdkundekenntnisse lassen zu wünschen übrig, aber es interessierte mich eh nicht. Da ich vergessen hatte, mich mit Sonnenschutzcreme einzuschmieren und ich schneller einen Sonnenbrand bekam als mir lieb ist, verzichtete ich darauf, meine Shorts und mein T-Shirt auszuziehen. Es war ein angenehmes Gefühl, das Wasser um die Beine streichen zu spüren und ich watete noch ein Stückchen weiter hinaus, bis ich bis zur Hüfte von seichten Wellen umgeben war. Ich legte mich rücklings aufs Wasser und ließ mich treiben. Wahrscheinlich wäre ich eingeschlafen, wenn mich nicht ein Schrei in die grausame Wirklichkeit zurückriss. "Ma~andy!!!!" Nee, konnte man denn nirgends seine Ruhe haben? Und überhaupt, wie konnte sie es wagen *so* nach mir zu brüllen? Ich bin schließlich kein Kleinkind mehr, auf das man ständig acht geben musste. Grummeln richtete ich mich auf und drehte mich zu Strand herum. Ich sah Mama bis zu den Knien im Wasser stehen und sich nach mir suchend umzusehen. Wahrscheinlich dachte sie schon, ich sei ertrunken oder sonst was. Ich winkte ihr kurz zu, damit sie wusste, dass ich noch am Leben war und begann langsam in ihre Richtung zu waten. Ich hatte absolut keine Lust, jetzt schon aus dem Wasser zu gehen. Den nächsten Schritt bereute ich die ganze Woche über, denn kaum hatte ich den Fuß aufgesetzt durchfuhr mich ein stechender Schmerz und ich kippte einfach ins Wasser. Bei jedem anderen hätte ich gelacht, aber das fand ich nun echt nicht komisch. Meine Mutter war noch etwa zwanzig Meter von mir entfernt, als schon jemand anderes vor ihr neben mir war, mir unter die Arme griff und nach oben zog. Ich merkte erst, dass mir Schmerzenstränen in den Augen standen, als ich realisierte, warum ich die Umgebung so verschwommen sah. Als ich wieder aufrecht stand - auf einem Bein - legte dieser Jemand sich meinen Arm um den Hals, hob mich einfach so hoch und lief in Richtung meiner Mutter. Diese redete aufgeregt auf mich ein, was ich nur am Rande mitbekam und mir auch völlig egal war. Ich wollte mich nur noch hinsetzen, oder besser hinlegen, denn mittlerweile war mir ganz schön schwummrig. Irgendwie kam ich mir vor wie der letzte Idiot. Der Typ, der mich bis zum Strand getragen hatte und mich dort nun vorsichtig absetzte beugte sich über mich und besah sich meinen Fuß. "I'm Pietro", sagte er und tippte sich dabei bekräftigend auf die behaarte Brust, als hätte er es mit einem zurückgebliebenen Kleinkind zu tun. Ich konnte ihn nicht leiden. Meine Mutter und er beugten sich gemeinsam über meinen schmerzenden Fuß und ich konnte zwei schwarze Stachel knapp unterhalb der Zehen ausmachen. Als dieser Blödmann daran tippte, war ich drauf und dran abzuheben vor Schmerz. Sofort fing er an, meiner Mutter alles zu erklären: "Bad fish, lies under sand and..." Auf Englisch kam er nicht mehr weiter also fing er gestenreich an, in seiner Muttersprache zu reden. Mama nickte nur und lächelte ihn strahlend an, bedankte sich zig mal. Überhaupt, die zwei schienen sich blenden zu verstehen, während ich hier schwerverletzt und halb weggetreten im Strand saß und auf den Abtransport in Form eines Rettungshubschraubers wartete. Zudem begann mein blöder Fuß auch noch anzuschwellen. Da zerrte mich auch schon dieser Grobian hoch, nahm mich auf die Arme und sagte zu meiner Mutter: "We take her to the doctor." Bumm. Das saß. Waren hier denn alle bescheuert? Ich trug ein *weißes* völlig *durchnässtes* T-Shirt und er hielt mich trotzdem für ein Mädchen? Wie blöd kann man eigentlich sein ohne das es weh tut? Mama schien davon nichts zu merken, sie lächelte Pietro immer noch strahlend an. Sie lief neben uns her bis ihr einfiel, dass unsere Sachen noch unbewacht beim Ruderboot lagen und sie kehrtmachte. Mein 'Retter' lief meilenweit mit mir über den Sand. So sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte nirgends ein Hospital oder ähnliches sehen. Wahrscheinlich würden wir hier kläglich in der Hitze verdursten und als Abendessen für irgendwelche Geier dienen - wo auch immer die dann her kamen. Zig Leute kamen uns entgegen, die meisten betrachteten uns neugierig. Es war mir verdammt unangenehm, von einem *Kerl* durch die Gegend getragen zu werden, aber was blieb mir im Moment anderes übrig. Pietro roch nach unangenehm viel Aftershave gepaart mit Sonnenöl und mit jedem seiner Schritte wurde ich fester an seine behaarte Brust gedrückt. Hab ich schon mal erwähnt, dass ich Brustbehaarung ekelhaft fand? Na ja, wäre ich nicht auf ihn angewiesen gewesen, hätte ich bestimmt was in diese Richtung zu ihm gesagt, aber so... Nach Stunden - wie es mir jedenfalls vor kam, in Wahrheit waren es nur zwanzig Minuten - stießen wir endlich auf ein weißgetünchtes Strandhäuschen mit einem unübersehbaren Roten Kreuz. Und einem braungebrannten Sanitäter. Meine Notoperation geschah auf einem wackligen Holzstuhl, bei dem ich hätte schwören können, dass er jeden Moment einkrachen könnte. Dabei lachten die beiden Idioten und erzählten sich - für mich unverständliche - Witze. Ohne auf mein schmerzerfülltes Aufstöhnen zu achten zog dieser Sanitäter mir die Haifischzähne aus dem Fuß. Ein Sado - als er sie mir auf seiner Handfläche unter die Nase hielt lachte er immer noch. Noch nie war ich so erleichtert, als meine Mutter endlich kam. Sie bedankte sich mindestens hundert mal bei dem Sanitäter und Pietro, was diese aber als Selbstverständlichkeit abwehrten. Pietro hätte mich sogar wieder zu unserem Platz zurückgetragen, aber so schlecht ging es mir nicht mehr, als das ich das zugelassen hätte. Ich zog es vor, einbeinig humpelnd zwischen den beiden zu gehen. Während sich die beiden angeregt über meinen Kopf hinweg unterhielten überlegte ich mir, was ich alles in den nächsten Tagen machen sollte. Großartig bewegen konnte ich mich ja nicht, ich musste also einen anderen Weg finden, die Zeit totzuschlagen. Wenn wenigstens Karsten hier gewesen wäre. Mit ihm hätte ich bestimmt auch so einiges machen können! Als wir an 'unserem' Platz angekommen waren ließ ich mich ächzend in den warmen Sand fallen und Pietro schob mir Mamas Badetasche mit der Erklärung, ich müsste mein Bein jetzt eine Zeit lang hochlegen, unter. Dann entfernte er sich zum schwimmen. Ich hasste das Meer. Ganz besonders dieses, wo massenweise Ungeheuer wie dieses nur so darauf warteten, das ich mich hinein begab! "Armes Spätzchen, tut's noch sehr weh?" Ich machte mir nicht die Mühe zu antworten. Da versuchte man jahrelang seine Selbstständigkeit durchzusetzen und zu beweisen und dann reichten ein paar jämmerliche Sekunden um mich wieder völlig ins Kleinkindalter zurück zu katapultieren. Aus und vorbei mit meiner Eigenständigkeit bis mindestens Weihnachten. "Ich sag's ja immer: kaum lässt man dich mal für ein paar Sekunden aus den Augen, passiert dir auch schon etwas", sagte Mama, doch dann fesselte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit. Ich folgte ihrem Blick. Aha. Pietro. Pietro und eine ansehnliche, braungebrannte Blondine in schwarzem Bikini mit beträchtlicher Oberweite. "Ein netter Mann, er hat gesagt, er hätte einen Motorroller, mit dem könnte er dich zu unserem Bungalow fahren", erzählte Mutter in Gedanken. Gerade wollte ich dagegen protestieren, als auch schon Pietro strahlend auf uns zu lief, sein Körper vom Schwimmen feucht glänzend. Er schüttelte sein schwarzes Haar, zog den Bauch ein und streckte die Brust raus als er sich abtrocknete - die typische Latin-Lover-Pose um den Frauen zu imponieren. 'Ah, was für ein Schöner. *Würg*' Aus den Augenwinkeln beobachte ich Mama und musste feststellen, dass unser Schönling sie nicht unberührt ließ, eher im Gegenteil. Gut, vom Alter her lag er zwischen uns, so um die Anfang dreißig, schätzte ich, aber das konnte mir ja schließlich völlig schnuppe sein. Schließlich hatte ich keine Ambitionen in *diese* Richtung, auch wenn ich letzte Nacht sehr *eindeutige* Träume hatte. Aber das war sicher nur so eine Phase, nichts weiter. Ohne mich noch groß zu fragen wurde ich von den Beiden zu einem Motorroller mitgeschleppt und ehe ich mich versah saß ich schon hinter Pietro. "Und halt dich ja gut fest", wiederholte Mama noch einmal und sagte in Richtung Pietro etwas, wie das sich anhörte wie: Mandy denkt immer erwachsen zu sein und dann passieren solche Sachen. Ich hätte sie lynchen können! *** Später beim Essen meinte Mama dann ganz beiläufig: "Ob er wiederkommt?" "Ob wer wiederkommt?" "Du weißt schon wer, tu doch nicht so. Pietro natürlich." "Ach der." So, so, unsere Urlaubsbekanntschaft hatte also gehörigen Eindruck auf Mama hinterlassen. "Wo ist er denn langgefahren? Hat er noch etwas gesagt?" "Pff. Was man halt so sagt. Ich hab nicht darauf geachtet." Pietro hat zwar wirklich die ganze Zeit irgend etwas auf Englisch und Italienisch vor sich hin gebrummelt, aber das war mir total egal. Das Einzige, was mich interessiert hatte, war, wie schnell ich an unserem Bungalow war und meinen Fuß hochlegen konnte. "Fünf ganze Tage", seufzte Mama. "Ich hätte richtig Lust, mal wieder tanzen zu gehen." "Und ich will nur auf einem Liegestuhl liegen." Was war nur mit Mama los? Sooo groß konnte Pietros Eindruck nun auch nicht sein. Oder? 'Und überhaupt, so toll sah der behaarte Lackaffe nun auch nicht aus. Sogar Lucas sieht noch viel besser aus.' Ups, hatte ich das gerade wirklich gedacht? Wie komm ich jetzt bloß auf den Widerling? Ich glaub, ich hab auch noch einen Sonnenstich, sonst würde ich ja nie auf solche Gedanken kommen. Mama unterhielt sich gerade mit einem Ehepaar vom Nachbartisch. Mann, der Typ labert ja auch bloß Stuss vor sich hin. Ich hörte ein Weilchen zu bis mir beinahe der Kragen platzte. Wie kann eine einzige Person nur so viel Stumpfsinn verzapfen? So von wegen Killeralgen und so? Noch ein Wort und ich kipp ihm sein Glas Rotwein in die Visage. Sieht dann vielleicht sogar schöner aus. Also verabschiedete ich mich schleunigst von den drei und ging zurück zu unserem Apartment - mit Ratschlägen meiner Mutter zur Versorgung meines Fußes bewaffnet. *** Ich bekam nicht mit, wie meine Mutter ins Zimmer kam - ein kaltes Handtuch wirkte wunder und ich war fast sofort eingeschlafen. Als ich von ein paar Sonnenstrahlen im Gesicht geweckt wurde, war von meiner Mama nichts zu sehen und nichts zu hören. Ächzend stand ich auf und humpelte zum Tisch, auf dem ich einen Zettel entdeckt hatte. "Guten Morgen Mandy. Bin schon am Strand zum Schwimmen. Warte mit dem Essen nicht auf mich, ich gehe anschließend direkt zum Speisesaal. Mach's dir bequem, Mama." Toll, bequem machen. Und wo denn, bitteschön? Etwa auf dem abgeblätterten Liegestuhl draußen etwa? Ich bewegte mich Richtung Bad und ärgerte mich. Über mein Gehumpel, über Mama, über das Meer, über dämliche Touristen mit Killeralgen und über meine unangenehmen Träume, die leider immer deutlicher wurden. Solche Augenblicke waren für mich gefährlich. Um so viel Ärger abzubauen musste ich etwas tun, etwas Destruktives, etwas Negatives. Zum Beispiel meine Fingernägel so kurz schneiden, wie es nur ging. Oder auf meine Haare losgehen. Gut, dass ich vor Reiseantritt noch ein paar Haarfärbemittel in verschiedenen Farben eingekauft hatte. Hmm, rot, lila, schwarz oder blau? Ich entschied mich für lila. *** Weitaus besserer Laune saß ich eine Stunde später mit intensivlila Haaren und einer Igelfrisur im Speisesaal und machte mich über mein Frühstück her. Ich sah Mama schon von weitem und musste mir ein Grinsen verkneifen, als sie in Anbetracht meiner Haarfarbe die Augen entsetzt aufriss. Sie verbarg es gut und fiel nicht gleich über mich her. "Hast du noch Schmerzen?", wollte sie wissen. Auf sinnlose Fragen gebe ich keine Antwort. Natürlich hatte ich noch Schmerzen, was glaubte die denn? Das sie nach einer Nacht voller *Alpträume* einfach so verschwinden? "Wo warst du bloß so lange?", landete ich also eine Gegenfrage. "Och, am Strand, im Wasser, in einer Bar..." Sie lächelte glücklich. "In einer Bar??" "Ja genau, in einer schnuckeligen kleinen Strandbar." "Allein?" "Nein, nicht allein. Mit Pietro. Er kam vorbei und lud mich dann ein, etwas mit ihm zu trinken." Aha. Da hatten wir's ja! Das verschlug mir jetzt irgendwie die Sprache. Ich lag hier einsam und verlassen in einem Land, dessen Sprache ich nicht beherrsche, leide qualvolle Schmerzen und meine Mutter ließ sich von so einem bescheuerten Möchtegern-Provinz-Casanova anmachen?! "Du scheinst überrascht zu sein?" "Kein bisschen", log ich. "Ich hab mich nur gefragt, wo du so lange bleibst." "Dann kannst du jetzt ja verstehen, wie mir immer zumute ist, wenn du nicht rechtzeitig zu Hause bist." Oho, das hatte sie schlau angestellt. "Und worüber habt ihr euch so lange unterhalten?" "Ach, über alles. Über alles, was das Leben halt so ausmacht: Beruf, Geld und Familie." "Aber du kennst ihn doch gar nicht", sagte ich, "und da redet ihr schon über so persönliche Dinge." "Na und? Tut ihr jungen Leute doch auch." "Quatsch! Bevor ich jemanden mal was über mich erzähle! Da müsste schon jemand ganz Besonderes kommen!" "Ist er doch auch!" Platsch! Ich dachte, mich knutscht ein Elch. "Wenn das Papa hören würde", versuchte ich Mama von ihrem Trip runterzuholen. Sie tat so als hätte sie mich nicht gehört. "Ich meine - welcher junge Mann hilft einem schon sofort, wenn es darauf ankommt?" "Wahrscheinlich ist er eh nur von der Heilsarmee", sagte ich grob. Meine Laune war wieder gesunken, das eigentlich recht appetitliche Frühstück blieb mir auf einmal im Hals stecken. Wenn ich es recht besah, war ich einfach nur gnadenlos neidisch auf meine Mama. Ich brauchte immer ewig, bis ich mit jemandem Kontakt aufnahm und sie machte das einfach so mal eben. Ich hätte das aber nie zugegeben, also ging ich mit ihr zusammen zu unserem Apartment zurück und beobachtete sie dort, wie sie sich zurecht machte. Sie zog einen verdammt knappen Mini an - für eine Frau von fast fünfzig, wohlgemerkt. Dann kämmte sie sich ihre Pagenfrisur so gegen den Stich, dass alle Haare aufgeplustert vom Kopf abstanden und es einen irgendwie an eine Löwenmähne erinnerte. Als sie dann zu ihrem Make-up griff, hielt ich es nicht länger aus. "Sag mal, hast du heute noch etwas besonderes vor, oder warum putzt du dich so raus?" "Oh, du weißt es ja noch nicht. Pietro hat uns zum Mittagessen eingeladen. Also mach dich bitte auch fertig." Oh Mann, der Typ macht mich fertig. Was fiel dem eigentlich ein. Er konnte doch nicht so einfach eine *verheiratete* Frau so blöd anmachen! "Ich überleg's mir noch, mir ist noch nicht so ganz wohl", gab ich Bescheid. "Ach was, natürlich kommst du mit! Du kannst doch nicht den ganzen Tag hier alleine rumsitzen." "Du bist ja ganz aufgeregt!" Diese boshafte Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen. "Bin ich nicht, Mandy. Keineswegs." Oh ja, das klang natürlich richtig glaubhaft! Seufzend kramte ich nach ein paar Klamotten im Schrank und entschloss mich, morgen Postkarten zu kaufen und Mark und Karsten eine zu schicken. Die würden nämlich übermorgen wieder zu Hause sein und wussten ja noch nichts von meinem spontanen Urlaubsglück. Ich entschied mich für eine schwarze, eng anliegende Samthose und ein weiches, ebenfalls schwarzes T-Shirt aus dem selben Stoff. Während ich mich umzog sah ich, wie Mama sich ihrem Finish zuwandte: Ohrringe, Kette, Armreif und natürlich ihr Make-up. Ich war echt sprachlos. Noch nie hatte sich meine Mutter so aufgestylt. Gut, was die konnte, konnte ich schon lange. Ich schnappte mir also ihren schwarzen Kohlkajal und zog mir gnadenlos einen breiten Strich unter die Augen, was diese zu meinem Leidwesen eher betonte als irgendwie abschreckend zu wirken. Ich hatte das von ein paar Jungs aus der Klasse über mir gesehen, einer Gruppe Raver, die jeden Tag so gestylt rumliefen. Während ich mein Gesicht nun so im Badezimmerspiegel betrachtete, schwor ich mir, mich heute nicht mehr aus der Fassung bringen zu lassen. Weder von Macho-Italiener oder Mama. "Bis du endlich so weit?" "Ja, ja, ich komme sofort." Mit einem letzten Blick in den Spiegel löschte ich das Licht und trat ins Zimmer. Gerade als wir das Apartment verließen kam Pietro auch schon um die Ecke, ein breites Grinsen im Gesicht. Fröhlich begrüßte er uns und erklärte, dass er heute mit Daddys Auto hier sei, schließlich konnte man zu dritt nicht auf dem Motorroller fahren. Das Restaurant in das er uns brachte war klein und gemütlich. "Baby is okay?", fragte er mich, nachdem wir uns gesetzt und bestellt hatten. "Sonja was so worried about you." Bumm. Ich hörte wohl nicht richtig. Baby?? Und Mama hat ihm ihren Vornamen verraten? "My name is Mandy", klärte ich ihn auf. Von wegen Baby. Pietro lachte auf eine einnehmende, sympathische Art, so dass man seine strahlen weißen Beißerchen sehen konnte und zog etwas aus der Hosentasche. "For your little leg", erklärte er und schob es mir zu. Das Geschenk sah ganz nach Apotheke aus. "Nun sieh mal, wie lieb er an dich gedacht hat", strahlte Mama. "Ja, ganz im Gegensatz zu dir, die die essigsaure Tonerde vergessen hat." "Oh, das tut mir leid." Mama machte ein schuldbewusstes Gesicht. Zum Glück kam da unser Essen und unser Gespräch wurde unterbrochen. Das schmeckte wirklich vorzüglich und ich übersah deshalb großzügig die schmachtende Blicke, die Pietro mir zuwarf und die den selbigen anstrahlende meiner Mutter. Die beiden unterhielten sich über alle möglichen Dinge ihrer Gesammelten Erwachsenenerfahrung und irgendwann schaltete ich ab. Ich hasste Gespräche, bei denen ich nicht mitreden konnte und driftete deshalb in meine Fantasie, um erst wieder aufzutauchen, als ich etwas über moderne Tänze hörte. "Do you like dancing?" wollte Pietro wissen. Wahrscheinlich fühlte er sich jetzt dazu verpflichtet, mit mir zu reden, nachdem bis jetzt nur Mama dran war. Aber ich hatte keine großartige Lust, ihn über meine Leidenschaften aufzuklären, ernsthaft interessierte es ihn ja eh nicht. "Es geht, aber am liebsten tanze ich eh alleine", erklärte ich ihm also. Daraufhin schien Pietros Interesse auf jeden Fall geweckt. Er musterte mich von Kopf bis Fuß und wollte dann doch ernsthaft wissen, ob ich ein normales *Mädchen* sei und ob das Schwarz etwas zu bedeuten hatte. Ich konnte ihn schlecht vor all den Leuten hier anbrüllen, obwohl ich nichts lieber als das getan hätte. Also klärte ich ihn darüber auf, dass das Schwarz nichts zu bedeuten hätte und das ich ein völlig normaler *Junge* sei. Pietro sah nach dieser Offenbarung etwas verwirrt aus, brachte nicht mehr als ein "Oh!" raus. Meine Mutter merkte das und warf Gott sei Dank ein: "Die jungen Leute haben ein total verändertes Lebensgefühl. Die Welt ist in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden. Die Technik, der Verkehr,..." Pietro hatte seine ganze Aufmerksamkeit wieder Mama gewidmet, sah sie aus haselnussbraunen Augen an und nickte verständnisvoll. Er hielt sie wohl für sehr schlau. Wenn der wüsste! Mama hatte inzwischen ihr zweites Glas Rotwein geleert und bekam schon rosige Wangen. Sie machte Anstalten auf die Toilette zu gehen und Pietro nahm seine Hand von ihrer. Er sah ihr hinterher, wie sie in ihrem engen, kurzen Rock durch den Raum ging. "Do you want another 'Angelo', Mandy?" Aha, Angelo hieß wohl dass Getränk mit der Orangenscheibe und dem Zuckerrand. Ich schüttelte nur den Kopf. Daraufhin fuhr er mir mit der Hand vorsichtig über die Stacheln an meinem Kopf, so als würden sie kaputt gehen, wenn er zu stark zulangte. Plötzlich legte er seine Hand auf meine. "Deine Mutter ist eine sehr charmante Frau", erklärte er mir überraschend auf Deutsch, "aber du bist ein schöner Junge." Hilfe!! Was ging den jetzt ab? Hat den irgendetwas gebissen? Bekam ihm der Alkohol nicht? Mir begann ein Brummkreisel im Kopf zu drehen und auch mein Magen entschloss sich zu einer atemberaubenden Achterbahnfahrt, während ich nicht wusste, wohin ich gucken soll. Er machte mich verlegen und ich musste an meine Träume der vergangenen Nächte denken. Was hatte das nur zu bedeuten? Meine Fantasie war mächtig am rotieren, aber da kam zum Glück Mama zurück und rettete mich. Pietro wandte seine Aufmerksamkeit wieder ihr zu und sie verabredeten sich für den übernächsten Abend. *** Es war schon halb eins, als wir endlich in unserem Apartment ankamen. Pietro hatte uns nach dem Essen noch ein wenig die Sehenswürdigkeiten der Umgebung gezeigt und war noch mit in einer Strandbar. Kurz gesagt, ich hatte an diesem Tag mehr Alkohol getrunken als in meinem ganzen bisherigen Leben und dementsprechend fühlte ich mich auch morgens, als ich so gegen zehn - alleine - aufwachte. Die Nacht war furchtbar, Mama und ich hatten beide schlecht geschlafen. Der Versuch, sich an der Außenkante des schmalen Bettes fest zu halten war immer wieder fehlgeschlagen und so fanden wir uns mehrmals Seite an Seite schwitzend und schimpfend in der Bettmitte wieder. Das Frühstück war ebenfalls furchtbar, es war wirklich kein guter Start in den Tag. Mama und ich beschlossen also, diesen Tag in der Stadt zu bummeln und einzukaufen. Ich humpelte zwar noch immer, aber ich hatte noch weniger Lust, den Tag ganz allein zu verbringen und mich zu langweilen. Die Einkaufsmeile wirkte nicht gerade sehr belebt. Nur ein paar Touristen, die vor den Cafes saßen und sich hinter Zeitungen versteckten oder Ansichtskarten schrieben. 'Eigentlich total langweilig hier. Kaum Jugendliche in meinem Alter. Zum Glück bleiben wir nur noch zwei Tage, länger würde ich es hier wahrscheinlich nicht aushalten.' Mama entdeckte einen Laden mit Hüten und musste natürlich unbedingt nach einem passenden suchen, während ich Ausschau nach ein paar Ansichtskarten hielt. Schließlich fand ich welche und kaufte zwei, die nicht ganz so scheußlich waren. "Findest du, der passt zu mir?", fragte Mama und drehte sich wie eine Mannequin vor mir, um mir einen Hut zu präsentieren. Hüte interessierten mich nicht besonders, aber es gab weitaus schlimmere als den, den meine Mutter trug. Nachdem sie ihn dann tatsächlich gekauft hatte und wir eine Zeitlang vor einem Cafe Milchshake geschlürft hatten, gingen wir wieder in unsere Behausung zurück. Mama bekam Bauchkrämpfe und überlegte, ob ihr niedriger Blutdruck oder das drückende Wetter daran schuld war. Sie schluckte ein paar Tabletten und lag im Bett. Ich nutzte die Zeit, nur mit Shorts bekleidet auf der Terrasse zu sitzen und die Ansichtskarten für Mark und Karsten zu schreiben. Zum Abendessen wollte Mama dann auch nicht. "Soll ich versuchen, Cola und Salzstangen für dich aufzutreiben?" wollte ich wissen, doch sogar das lehnte sie ab. Schade. Mit hatten Cola und Salzstangen schon unzählige Male das Leben gerettet. Also ging ich allein zum Abendessen und fand, dass ich das auch hätte ausfallen lassen können. Es gab verkochten Fisch mit ebenfalls verkochten Bohnen und es schmeckte mal wieder überhaupt nicht. *** "So weit von zu Hause kommen einem schon manche Gedanken", sagte Mama, nachdem ich wieder da war. Das hörte sich schicksalsträchtig an. "Wenn ich daran denke: Papa auf der einen Seite des italienischen Stiefels und ich gleichzeitig auf der anderen..." Oh je, mir schwante Schreckliches. Mama war im Begriff, mich als Therapeuten zu benutzen und ihr Seelenleben auszuquetschen, etwas, dem ich im Moment absolut nicht gewachsen war. Also startete ich ein Ablenkungsmanöver indem ich sie auf den morgigen Abend mit Pietro ansprach: "Ich weiß gar nicht, was ich morgen zu dieser Gala anziehen soll." Es klappte. "Hmm, daran hab ich auch noch nicht gedacht. Lass doch mal sehen, was du alles dabei hast." Ich räumte also den gesamten Inhalt meines Schrankes aus und präsentierte ihn. Leider - oder zum Glück - war nichts passendes dabei. *** Mama und ich erlebten wieder mal eine Horrornacht. Wenn sie nicht gerade auf dem Klo saß, rollte sie in die Mitte des verfluchten Bettes, wo ich schon lag und keine Macht der Welt konnte uns aus dieser verhassten Lage befreien. Und jedes Mal, wenn ich kurz davor war, vor Erschöpfung einzuschlafen, versuchte ein verdammter Moskito in meinem Gesicht zu landen. Kein wunder also, das diese Nacht meine Alpträume um einiges deutlicher waren als jemals zu vor und die Kerle mir sogar alle bekannt vor kamen. Am Morgen fühlte ich mich wie zerschmettert. Mama saß auf der Bettkante und starrte mich an. "Und?", fragte ich. "Beschissen", antwortete Mama und es musste ihr wirklich schlecht gehen, wenn sie solche Ausdrücke der Vulgärsprache verwendete. "Wirst du zum Frühstück gehen?" "Werd ich wohl. Ich brauch Wasser, Wasser, Wasser", klagte sie. "Das wird schon wieder", versuchte ich sie aufzumuntern, aber in Wirklichkeit wünschte ich mir, wir hätten diese Reise nie unternommen. Aber auch nach dem Frühstück heiterte sich ihre Begräbnismiene nicht auf. "Hör zu, dir ist wohl klar, dass sich meine Aktivitäten heute auf eine einzige beschränken werden." Mir war klar was sie meinte. Wow, sie besaß auch noch in der Situation Galgenhumor. "Und was wirst du tun?" Gute Frage. Ich dachte nach. Mein Fuß schmerzte kaum noch, nur wenn ich mein ganzes Gewicht auf ihn verlagerte. "Vielleicht ans Meer gehen oder mich umschauen. Was weiß ich." Mama vertiefte sich wieder in ihr Lieblingsbuch, Portrait einer Leidenschaft. Ich hatte mal reingeschnuppert, weil ich unbedingt wissen wollte, was daran so interessant war. Es war ein ziemlicher Mist, fand ich. Es ging da um eine Schauspielerin, die vor einem Theaterdirektor strippen und dann im Evakostüm auf dem Tisch tanzen musste. Ich war einigermaßen erstaunt, dass meine Mutter so etwas las, schließlich war sie ja Deutschlehrerin. Und ich überlegte damals auch, ob Frau Seibold, die uns mit der Jungfrau von Orleans und dem Prinz von Homburg triezte, auch wie Mama im Urlaub einen satten Porno verschlang. "Nur um das Thema zu beenden", sagte Mama, als ich gerade gehen wollte, "mit dem geplanten Ausflug heute Abend wird es wohl nichts, jedenfalls so weit es mich angeht." "Okay, mach dir keine Gedanken, ruh dich lieber aus." "Und du solltest es dir auch noch mal überlegen", rief sie mir hinterher. Alles klar. Wenn sie nicht darf, darf ich auch nicht. Aber ich würde mich davon nicht beeinflussen lassen, wenn ich Lust drauf hätte, würde ich heute Abend auf jeden Fall ausgehen. Ich lief also in Richtung Strand, genoss die warme Luft und den Geruch nach Meer. Ein krebsrotes Alfacoupe fuhr haarscharf an mir vorüber und die vier Typen, die drin saßen fanden das offenbar lustig. Einer von der Rückbank drehte sich sogar noch nach mir um und warf mir eine Kusshand zu. Idiot. Allerdings verwehte der Wind seine Haare so, dass ich unwillkürlich an Lucas denken musste, der sich seine langen Stirnfransen in auf die gleiche Art nach hinten strich. Immer wenn ich an ihn dachte, gab es in meinem Inneren einen Ruck. In meinen Träumen geschah so alles Mögliche: wir gingen über einen einsamen Strand im Sonnenuntergang, befanden uns auf einer friedlichen Lichtung mitten im Wald oder fuhren mit unseren Rädern am Fluss entlang. Und anderes, woran ich nicht mal denken möchte! 'Mandy, was ist nur mit dir los?' Ich musste zu Hause unbedingt mit Karsten darüber reden. 'Oder vielleicht doch nicht!', dachte ich in anbetracht an den Traum, den ich gestern hatte. Ich setzte mich in den warmen Sand und dachte nach. Konnte es wirklich sein, dass ich schwul war? Ich hatte mich zwar nie wirklich für Mädchen interessiert, aber trotzdem. Nein, das lag bestimmt an irgend etwas anderem, dass ich solche Träume hatte. Aber warum, verdammt noch mal, stellte ich mir dann dauernd vor, wie es wohl wäre, wenn Lucas mich küssen würde? War es einfach nur Neugier oder steckte doch mehr dahinter? Aber warum hab ich es dann nicht schon viel früher gemerkt? "Scheiße, das darf doch alles nicht wahr sein!" Frustriert schlug ich mit der Faust in den Sand. War wohl doch keine so gute Idee, allein was zu unternehmen. So musste ich ja unwillkürlich *darüber* nachdenken. *** Kaum war ich wieder bei meiner Mutter und hatte mir den Sand vom Körper gewaschen, als auch schon Pietro vor der Tür stand. Mann, und in Schale war der! Blütenweiße Hose und blütenweißes Hemd, garantiert neuestes Armani-Design. Mama erklärte ihm gerade, dass es ihr schlecht ging und sie unmöglich ausgehen konnte, heute Abend. Er wirkte sehr enttäuscht, hatte er doch Karten für ein ganz bestimmtes Ereignis, zu dem die ganze Stadt angeblich unterwegs sei. Dann blieb sein Blick an mir hängen und hellte sich wieder etwas auf. Ob ich denn nicht mit wolle. Tja, neugierig gemacht hatte er mich schon. Also sagte ich kurzerhand ja, schnappte mir ein paar Klamotten und zog mich ins Badezimmer zurück. Ich hatte zwar nicht so edle Kleider wir er, aber was machte das schon. Zehn Minuten später kam ich in violetter, weiter Samthose und einem gleichfarbigen Hemd - passen zum lila meiner Haare - aus dem Bad, meine blauen Augen wurden wieder mit schwarzem Kohlkajal betont. Statt wie sonst in Form von Stacheln in alle Richtungen abstehend ließ ich meine Haare dieses Mal ungegelt, so dass sie mir weich ins Gesicht fielen - ich war nämlich doch nicht mehr beim Frisör gewesen. Mamas Miene zu meinem Outfit übersah ich geflissentlich, wünschte ihr einen guten Abend und machte mich mit Pietro auf den Weg. So ausgegangen bin ich noch nie, schon gar nicht mit einem Kerl, deshalb wusste ich auch gar nicht, was ich mit ihm reden sollte. Normalerweise wäre es mir sicher peinlich gewesen, aber 1. war mir einfach danach zu Mute, 2. hatte ich eh nichts besseres vor und 3. kannte mich hier ja eh keiner. Er legte seinen Arm um meine Schulter und ich könnte schwören, dass er mindestens eine halbe Flasche Eau de Toilette verwendet hatte. Überhaupt duftete der ganze Mann wie ein Douglas-Laden. Mit der Unterhaltung haperte es weiterhin, er stellte auch nicht gerade sehr intelligente Fragen. "Wie alt bist du?" und "Wie alt ist Sonja?", "Hast du eine Freundin?" und "Ist dein Fuß okay?" Dann erzählte er mir, dass ich ihn an ein Mädchen von früher erinnern würde, an Franca, und er betonte jeden Buchstaben ihres Namens so, als wäre es eine Liebeserklärung. "What a sexy girl!", sagte er und deutete in Richtung einer Rothaarigen mit großer Oberweite und zu knappen Klamotten. "Like you!" Arschloch! Leider fiel mir nichts besseres ein, als ihn schnippisch daran zu erinnern, dass ich *kein* Mädchen sei, worauf er nur lachte. Jetzt fehlte ja nur noch, dass er meine Oma auch noch sexy fand, aber leider hätte er ja eh keine Gelegenheit, sie kennen zu lernen, weil sie schon tot war. Dann wollte dieser eingebildete Schnösel auch noch wissen, ob ich etwa eifersüchtig sei. Was glaubte der denn? Ich war schließlich nur zum Tanzen mit. Allerdings fragte ich mich bereits ernsthaft, ob ich diesen Abend je überleben würde. Schließlich blieben wir vor einem Glitzerpalast stehen, der nicht gerade so aussah, als könnte sich ein normalsterblicher mehr als eine Cola leisten. Das hier war mit Abstand der größte Discoclub, den ich je gesehen hatte, oben offen mit tollem Blick auf den Sternenhimmel. Ein livrierter Portier nahm uns die Eintrittskarten ab, die sicher ziemlich teuer gewesen sind. Als wir uns gerade an einen kleinen Tisch mit Windlichtern setzten wollten, traf Pietro auch noch Bekannte. Einen Mann, mindestens so alt wie Papa und eine Frau mit Doppelkinn unter welchem ein riesiges Diamantenkollier hervorlugte. Ob das überhaupt echt war? Die Dame musterte mich nur kühl und dann gingen die beiden ihres Weges. Pietro sagte irgend etwas zu mir, aber ich hörte gar nicht zu, war viel zu sehr damit beschäftigt, alles genau anzuschauen. Die meisten kleinen Tische waren schon besetzt und ich konnte nur die Leute in unmittelbarer Nähe erkennen. Jede Menge Paare und eines aufgemotzter als das andere. Pietro bestellte Alkohol vom Feinsten und prostete mir mit einem Augenzwinkern zu. Ich sah nur wenige Leute in meinem Alter, die meisten schienen so alte Angeber wie der Typ vorhin zu sein, die mit ihren Damen hier zu sein schienen. Alkohol vertrage ich nur schlecht und dieser hier schlug ein wie ein Blitz. Und dann auch noch diese Musik, zuerst fetzige Gassenhauer zum Warmwerden, so laut, dass ich die Bässe und Drumms in meinem Magen spüren konnte. "You like to dance?" Pietro zog meinen Kopf zu sich herüber um mir diese Frage ins Ohr hauchen zu können und ich spürte, wie eine Gänsehaut über meinen Körper schoss. Tanzen? Klar, Mann, wozu waren wir denn sonst hier, auch wenn die Band und dieser rose glitzernder Sänger einem fast das Gehirn aus dem Kopf pusten konnte bei dieser Lautstärke. Besonders gut tanzen konnte ich zwar nicht, vor allem nicht zu zweit, aber das war mir im Moment völlig schnuppe. Genau so wie die Tatsache, das wir beide männlich waren. Pietro zog mich näher an sich, erzählte mir irgend etwas davon, dass ich sehr gut tanzen könnte. Das konnte man von ihm auf jeden Fall auch behaupten! Wie dieser Mann tanzen konnte! Unglaublich. Pietro probierte alle möglichen tänzerischen Kunststückchen mit mir aus, hatte aber auch keine Probleme, sich mal mir anzupassen. Nach was weiß ich wie vielen Tänzen und Liedern verstummte die Band und sie machten ihre wohlverdiente kurze Pause. Pietro hatte einen Arm um mich gelegt und bevor ich mich setzt hauchte er mir noch einen kurzen Kuss auf die Wange. Mir wurde warm im Bauch und die Wärme stieg durch meinen ganzen Körper bis hin zu den Haarwurzeln. Wahrscheinlich hatte ich jetzt so widerlich rote Backen wie ein Alete-Baby. Aber das schien den Italiener in keinster Weise zu stören, der war irgendwie voll abgedreht, er bekam schon solche unbeschreiblichen Augen. Glücklicher Weise sagte nun eine elegant gekleidete Dame irgend etwas in ein Mikrofon und Pietro konzentrierte sich darauf. Oh Mann, worauf hatte ich mich da nur eingelassen? *** Ende Teil 2 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)