19X99 von Kijuri (Erddrachen Story) ================================================================================ Kapitel 6: Folge 1, Teil II: A Dream - Kindertränen --------------------------------------------------- "Was wollt ihr noch von mir, ich hab alles gesagt!" Wütend drehte das kleine Mädchen sich um und stürmte die Treppe hinauf. Ihre Eltern blieben zurück, stumm und verzweifelt. Wie oft schon hatten sie diese Szene erlebt? Sie liebten ihr Kind, doch konnten sie es ihm nicht zeigen. Die Tür knallte laut, die Bilder im langen, dunklen Hausflur erzitterten bedrohlich als sich das Mädchen auf ihr Bett schmiss. Sie weinte nicht, das hatte sie sich schon abgewöhnt, denn es änderte eh nichts, niemand würde ihre Tränen sehen. Ihre Eltern hatten ihr Zimmer schon eine Ewigkeit nicht mehr betreten. Sie wusste nicht, wie lange sie so da gelegen und die Zimmerdecke angestarrt hatte, doch irgendwann hörte sie durch das halb geöffnete Fenster das Anspringen des Automotors, ihre Eltern fuhren wieder. Wieso sollten sie auch dieses Mal bleiben, das taten sie schließlich nie. Doch irgendwie hatte das Mädchen gehofft, dass es anders sein würde als sonst. Wie töricht und dumm sie doch war! Trotzig sprang sie vom Bett und durchquerte ihr Zimmer. Dabei vermied sie es jedoch tunlichst, einen Blick nach draußen in den Hof zu werfen, sie wusste schließlich, dass er leer war. Leise öffnete sie die Tür und spähte nach unten. Alles war still. Mit einem leichten, fast verzweifelten Seufzer schlich sie die Treppe hinunter. Dem besorgten Blick der Haushälterin, die in der Küche das Abendessen zubereitete begegnete sie gleichgültig und wandte sich schließlich von ihr ab. Die frische Abendluft tief einatmend ging sie durch den großen Garten, ihr Lieblingsplatz, hier war sie so frei wie der Wind. "Wohl wieder dicke Luft zu Hause?" riss sie eine Stimme aus ihren Gedanken. Das Mädchen nickte nur schüchtern. Nur selten hatte sie den Mann bis jetzt gesehen, denn er verirrte sich nicht oft in diese Gegend. Sie wusste nur, dass er mit seiner Mutter früher einmal hier irgendwo gewohnt hatte. "Komm, ich zeig dir was." Die meisten Leute erinnerten sich nicht mehr an ihn, doch die, die es noch taten, hielten ihn für seltsam und mysteriös. Sie wollten nichts mit ihm zu tun haben und er anscheinend auch nicht mit ihnen, wo er doch jetzt angeblich in Tokio lebte. All dies kreuzte die Gedanken des Mädchens als es neben ihm her lief. Rosa Blütenblätter zierten den schmalen Weg, auf dem die beiden nun gingen. Das Mädchen hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten und klammerte sich deshalb an seinem langen schwarzen Mantel fest. Endlich hielt er an. Vor ihnen ragte ein alter, knorriger Baum in die Höhe und schien für das kleine Mädchen unerreichbar fern zu sein. Die letzten Blüten des Baumes wehten im Wind um sie herum und leuchteten fast Blutrot in der Dämmerung. Keiner von ihnen sprach ein Wort, doch das Mädchen spürte deutlich die Blicke des Mannes im Nacken. Eine seltsame Stimmung überkam sie. All diese verdrängten Gefühle, der Ärger, die Einsamkeit und Traurigkeit der letzten Monate, ja sogar Jahre, schienen wieder neu in ihr aufzubrodeln, zu viel für das junge Gemüht. Zitternd stürzte sie zu Boden, direkt vor die Wurzeln des alten Baumes, und brach in Tränen aus. Ihre Eltern waren wieder weg, ließen sie wieder allein, allein in diesem riesigen Haus, dass sie noch nie gemocht hatte! Wieder waren sie im Streit gegangen, wieder hatte eine Kleinigkeit alles ausgelöst. War es ihre eigene Schuld? War sie ein böses Kind, das ihren Eltern nur Kummer bereitete? Sie wollte das Alles nicht! Sie liebte doch ihre Eltern, sie waren die einzigen Menschen, die das Mädchen hatte! Wieso nur ließen sie sie immer allein? Bittere Tränen weinte sie und schlug dabei immer wieder verzweifelt gegen den Baum, der ihren Schmerz geduldig zu ertragen schien. Sie hatten nichts gesagt, ihre Eltern, alles nur schweigend hin genommen, wie zwei leblose Puppen hatte das Mädchen sie angeschrieen, ihnen wieder gesagt, wie einsam sie doch war, gebettelt, dass sie doch bleiben sollten, doch niemand hatte ihr geantwortet, niemand hatte sie verstanden... Sachte spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Der Mann kniete neben ihr und blickte hinauf in den Baumwipfel. "Irgendwann wirst du verstehen..." meinte er, ohne das Mädchen anzublicken, "...und bis dahin wird er für dich da sein, dir Trost spenden. Seine Wurzeln geben dir Halt, seine Blüten geben dir Mut, denn in ihnen wirst du das Leben vergangener Zeiten sehen. Sakura bedeutet Leben, Sakura bedeutet Tod..." Er richtete sich auf und ging. Die 8järige Kijuri blickte ihm noch lange hinterher. Das war der Tag, an dem sie das aller letzte mal geweint hatte, der Tag an dem ihre Tränen versiegten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)