Fatal Frame Gaiden von Zuckerfee (the chosen ones) ================================================================================ Chapter 3 || it's a fright wide night tonight ~the emperor~ (1 von 3) --------------------------------------------------------------------- Fest hielt sie die Hand umschlossen. Nie mehr lasse ich die los., dachte die junge Frau und schloss für einen Moment die Augen. Wie schön wäre es jetzt zu Hause, in einem riesigen Berg Kissen. Liegen. Lachen. Lesen. Gemeinsam... Sie senkte den Blick und starrte auf ihre dreckigen Stiefel, deren schwarzes Leder schon nicht mehr zu erkennen war. "Mi?" Jin strich sich eine Haarsträhne nach hinten. Sie war etwas verunsichert, denn sie wusste, welche Kräfte ihre Haare entwickeln konnten, wenn sie nicht gebändigt und zu einem Zopf geflochten waren. Miyako lächelte und wischte ihrer Freundin etwas Schmutz von der Wange. Sie war froh, die Chinesin wieder bei sich zu haben. Dieser Tag war einfach furchtbar gewesen. Aus ihrer Tasche holte Miyako die Jacke von Jin, die sie aufgehoben hatte, als ihr kalt war. "Ich glaube, das ziehst du lieber an, eine Erkältung können wir grade echt nicht brauchen.", meinte sie und legte Jin die Jacke um. "Ich finde, wir sollten eine Quelle finden oder so etwas, irgendwo muss man sich doch waschen können!", sprach die Chinesin mit heiserer Stimme. Sie fühlte sich immer noch etwas unwohl, denn was dort gerade passiert war... Mit diesem Monster, da hatte sie... sie hatte es mit ihren Augen geschmolzen! Ich bin ein Freak. Ein megamäßig freakiger Freak! Sie sah Miyako von der Seite an. Ihre Freundin hatte einige Schrammen an Ellbogen und im Gesicht. Aber abgesehen von den Schrammen, der leicht zerfetzten Hose und dem Schlamm und Staub überall war noch alles an der jungen Japanerin dran. Gut, dass ihr nichts passiert ist. Ich hatte echt kein gutes Gefühl, als ich dort drüben war. Beide marschierten weiter durch die Straßen. Links und rechts türmten sich zwischen den Hausmauern Trümmerhaufen auf und große Steine standen hie und da etwas deplatziert in den Zwischenräumen. Im Großen und Ganzen konnte man aber noch sehen, wie die Stadt einmal aussah. Jin erinnerte sich daran, wie sie die Stadt in ihrer Blütezeit gesehen hatte. So etwas um diese Zeit war einfach... prächtig. Viel zu prächtig. Irgendwas hatte die Chinesin beunruhigt, als sie dort drüben gewesen war. "Ich möchte bloß wissen, was das für ein Ding war.", warf die Japanerin plötzlich ein. Jin runzelte die Stirn. "Vielleicht weiß mein Buch etwas da drüber. Aber ich möchte mich jetzt wirklich gerne mal waschen!", quengelte sie. Nach längerem Suchen erreichten die Beiden endlich ein großes Becken, dass mit Steinen umrandet war. Vor dem Wasserbassin führten ein paar Stufen hinauf, die in den Felsen geschlagen worden waren. Erhöht lag nun das Becken, in welchem sogar noch Wasser war und zur Verwunderung der beiden Mädchen rann immer noch ein dünner Strang den Felsen hinab, der das Becken abschloss. Jin hielt prüfend eine Hand ins Wasser - und zog sie wieder heraus. "Wa....Warm!", rief sie ihrer Freundin erfreut zu, die ihr den Rücken zugedreht hatte. Isamu, Isamu... Isamu. Was machen wir nur? Wie soll es weiter gehen? Nachdenklich sah sich Miyako um. Die Häuser hatten auch hier fast faustgroße Löcher in ihren Wänden, doch die Statik der Gebäude war trotz den Löchern immer noch in einem guten Zustand. Verwunderlich, wenn man bedenkt, wie die Leute damals Häuser errichtet haben, mit Lehm und Ziegeln. Doch das hier, das ähnelt eher einem Betonbunker. "Miihiii?" Jin's Tonfall wurde ungeduldiger. Sie hatte sich in der Zwischenzeit aus ihren Kleidern geschält und stand nun in Unterwäsche frierend vor dem Becken. "Kommst du oder soll ich zum Eisblock werden?", rief sie energisch. Miyako drehte sich endlich um und lächelte ihrer Freundin zu. "Ja doch! Ich hab mir nur die Häuser angesehen." "Wir sind aber nicht auf einer Sight-Seeing-Tour, sondern wir versuchen zu ÜBERLEBEN, falls du es noch nicht weißt!" Jin stieg murrend ins warme Wasser, welches der Chinesin fast bis zu den Oberschenkeln reichte. "Ahhh....schöööön!", säuselte sie, während sie sich bückte um sich im Becken niederzulassen. Sie stellte fest, dass dieses künstlich angelegte Wasserbassin auch am Boden und an den Seitenwänden mit glatten Steinen bepflastert war. Keine Gefahr also, sich irgendwas in den Fuß zu rammen oder sich auf einen spitzen Stein zu setzen. Miyako lächelte ihre Freundin an. Dann zog sie sich ebenfalls die dreckigen Sachen vom Körper und stieg zu Jin ins warme Wasser. "Ist witzig oder? Das ist eine heiße Quelle - mitten in einem verfluchten Dorf!" Jin planschte begeistert herum. Sie hatte sich wohl schon sehnlichst ein Bad gewünscht. Während Miyako ihrer Freundin zuhörte, versuchte sie, sich etwas zu entspannen. "Ich weiß nicht.", warf sie ein. "Ich finde das hier gerade mehr als makaber. Wir könnten jede Minute von irgendwas angefallen werden und trotzdem sitzen wir hier fast nackt und baden!" Die Japanerin warf einen kurzen Blick auf die kleinen Häufchen neben dem Becken. Dort, in ihrer Tasche, war das Buch des Folkloristen. Und wartete darauf, gelesen zu werden. "Was ist jetzt eigentlich passiert?" Sie wandte den Blick wieder ab und fixierte Jin, die immer noch mit den Händen kleine Wellen fabrizierte. Sie brannte darauf, zu erfahren, was ihrer Freundin passiert war. Diese war plötzlich verschwunden und nun war sie wieder da, aus heiterem Himmel vernichtete sie mal eben eine furchteinflößende Kreatur und tat fast so, als wäre sie nie weg gewesen. Jin rubbelte an ihren Unterarmen um den Schweiß und Dreck etwas abzubekommen. "Hmm....ich war im Jahre Meiji 4... Äh, so um den Dreh. Und im Körper eines Mädchens, das der Zadru wohl verschlungen hat... Also ihre Seele, mein ich. Sie hieß Megumi und, naja es war sehr verwirrend, ich wachte auf und da waren diese Jungs und ich dachte ich bin im falschen Film." Sie lächelte, als sie von ihrem Abenteuer erzählte. Miyako hörte gespannt zu. Jin berichtete von dem Dorf, als es noch stand, von den vielen Leuten und von Megumi, die mit Yamato verlobt war. Und dass sie einen Bruder hatte. Jin schwieg kurz, dann begann sie weiter zu erzählen. "Da war allerdings etwas, das mich immer unruhiger werden ließ. Obwohl alles so schön hergerichtet war, die Fackeln und der ganze Kram, und obwohl alle Leute so feierlich angezogen waren, ich fühlte mich eher wie bei einer Beerdigung, oder bei einer Exekution. Alle schienen sich vor irgendwas zu fürchten... Ich weiß auch nicht..." Sie starrte in die Luft. Der Himmel über den Mädchen war wie immer: grau und undurchdringlich. Jin sorgte sich um die Zukunft. Würden die Mädchen wohl je wieder da raus kommen? Und wie war es mit Nahrung? Zwar reichte das Essen in Miyako's großer Tasche noch ein, zwei Tage, aber dann? Und Wasser? Wer wusste schon, ob das Wasser hier nicht verseucht war. Es musste sogar verseucht sein, hier waren Leichen herum gelegen... "Jin?", kam eine leise Stimme von rechts. Die Chinesin zuckte zusammen. "E...entschuldige, ich hab mich nur grade gefragt, wie zur Hölle wir hier wieder rauskommen sollen." Sie seufzte und erzählte weiter. "Da war ein kleines Mädchen. Die war vielleicht drauf! Rennt die doch einfach von ihrem Kindermädchen oder so weg und direkt in den Tempel rein! Kannst du das glauben? Mit vielleicht vier Jahren! Ich dachte mich kickt ein Pferd! Ich ihr natürlich nach und dachte halt, vielleicht finde ich meinen so genannten 'Bruder', Makoto... Jedenfalls..." Jin gestikulierte heftig im Wasser, so dass sich immer mehr Wellen bildeten. Miyako wurde stutzig. "Makoto? Äh....du, Jin ich glaub...", murmelte sie. Doch diese hatte sich richtig in Fahrt geredet und erzählte weiter. "Maaaaann... ich sag dir! Und dieses Gör läuft einfach weiter und weiter und ich halt hinten nach. Und der Tempel... Oh, der wär' was für dich gewesen! Der war sooo hammergenial schön! Und als ich den kleinen Giftzwerg endlich hatte, nimmt die sich doch glatt noch nen Souvenir mit! Ich dachte, ich werd nicht mehr. Und dann fällt sie auch noch fast hin, weil ihr die Schachtel natürlich zu schwer war und dann..." Jin's Redefluss fand ein jähes Ende. Sie erinnerte sich an den Moment, als sie die Kamera in den Armen hielt. Sie schluckte hart und setzte dann, etwas weniger laut und theatralisch, fort. "Da war eine Kamera drin. Eine, wie deine. Ich dachte ich krieg zu viel... Ja und dann war ich da. Die Kleine ist verschwunden und ich glaube sogar, sie wollte, dass ich die bekam... Mi?" Jin drehte sich um. Miyako war aus dem Becken gestiegen. Dampfende Schlieren aus Wasser rannen ihren nackten Körper hinab und malten feine Linien über ihren Rücken, ihre Brüste und ihre Beine. Sie hockte sich vor das Häufchen an Kleidung, dass ihnen gehörte und wühlte in der Tasche herum. Da war es! Die Japanerin nahm das Foto mit und stieg langsam wieder ins Becken. "Die Kamera Obscura, ich weiß, ich hab sie schon sehen können, als du wieder da warst.", erwähnte sie beiläufig am Rückweg zur heißen Quelle. "Aber... sieh dir das mal bitte an." Sie hielt ihrer Freundin das Foto hin, welches sie gemacht hatte. Jin nahm es mit nassen Händen entgegen. "Nein!" Jin starrte beinahe entsetzt auf das Bild, dass auf dem Papier zu sehen war. Sie schaute Miyako unheilvoll an. Ihre Freundin legte nur den Kopf in den Nacken und stöhnte. Sie wusste, irgendwas an dem Bild war komisch gewesen. Zumal im Hintergrund auch eine Frau zu sehen war, zwar verschwommen aber man konnte den hellen, gemusterten Kimono ausmachen. "Das..." Jin legte sich eine Hand vor den Mund, sie zitterte mittlerweile, obwohl es so warm im Becken war. "Ich bin da drauf!", meinte sie dann tonlos. "Und das ist Makoto, Megumi's Bruder", setzte sie noch hinzu. Miyako setzte sich schlagartig in Bewegung. "Wo? Wo bist du?" Sie glitt durchs Wasser hinüber zu Jin und hielt neben ihr an. Die junge Frau tippte mit einem Finger auf den verschwommenen Kimono. "Den hatte ich an! Aber das heißt... Megumi muss hier noch wo sein..." Miyako legte eine Hand auf die Schulter ihrer Freundin. "Du machst dir aber grad mehr Gedanken über Makoto, hm?" Sie konnte die Unruhe in Jin förmlich schmecken. Die Chinesin nickte nur leicht, dann wischte sie das vom Dampf angelaufene Foto ab und legte es an den Rand des Beckens. Schnell wusch sie sich und stieg dann aus dem Becken. Draußen neben dem Bassin, dort wo die Kleiderhäufchen lagen, fing Jin an zu fluchen. "Sieh dir das bloß an! Alles dreckig! Nein, so laufe ich sicher nicht rum! Niemals!", zeterte die Chinesin und stieg schnell die paar Stufen hinab, um ihre Sachen kurzerhand in das heiße Quellbecken zu werfen. Dann hockte sie sich an den gemauerten Rand und wusch energisch ihre Sachen. Während sie dies tat, stieg auch ihre Freundin aus dem gemütlichen Bassin um ebenfalls ihre dreckigen Kleider zu holen und sie zu waschen. So kauerten Beide eine Weile am Rand des schönen großen Beckens und schüttelten ihre Sachen im Wasser hin und her, damit sich der Schlamm davon löste. Miyako verzog nach einer Weile das Gesicht zu einem Lächeln. Angesichts des Drecks, der nun das Wasser bräunlich färbte meinte sie: "Ich denke mal, das hatten die Sachen Not. Ich hoffe nur, dass die noch eine Weile halten, denn meine - äh deine Klamotten sind sehr in Mitleidenschaft gezogen, so wie ich das sehe." Sie fuhr mit einem Finger in ein beachtliches Loch an der Bauchseite ihres Shirts. Nach einer Weile waren die Sachen der Mädchen wieder einigermaßen sauber und die Beiden suchten etwas Holz zusammen, um ein Feuer zu machen. "Sonst sterben wir an Erfrierung. Angesichts dieses grusligen Dorfes mit all seinen Geistern wäre das doch peinlich oder?", lachte Jin dann. Gut, ihre Laune ist wieder etwas besser. Ich dachte schon , das mit Makoto würde ihr noch zu schaffen machen. Miyako raffte ihre Kleidung zusammen und wrang sie kräftig aus, während Jin in Unterwäsche versuchte, das Feuer zu entfachen. Nach ein paar Versuchen, schaffte sie es dann endlich, das Holz zum Qualmen zu bringen. Wenig später brannte ein kleines Feuer, das sie ununterbrochen beobachtete und mit weiterem Holz fütterte. Die Japanerin gesellte sich zu ihr und legte ihre Kleidungsstücke neben die von Jin auf den Steinboden, damit diese auch trocken wurden. Das Feuer mit seiner Wärme, ganz in der Nähe, würde sein übriges dazu tun. "Aaaah...." Mi räkelte sich dem Feuer entgegen. "Hey! Willst du etwa reinkrabbeln oder was? Ich meine, etwas Farbe könnte dir nicht schaden, aber...", flachste Jin. Miyako stieß sie leicht in die Seite. Doch dann erinnerte sie sich an Isamu Fukada, den Folkloristen. "Oh... ich hab vergessen was zu erzählen!", rief sie und stand beschwingt auf um leichten Schrittes Richtung Tasche zu gehen. Dann kam sie mit einem zerfledderten, in Leder eingebundenen Büchlein wieder. "Das hab ich gefunden... Na ja gefunden stimmt nicht ganz. Er hat es mir gegeben." Jin schielte neugierig auf das Buch. "Gegeben? Wer hat es dir gegeben?" Sie runzelte die Stirn und ihre Augenbrauen bildeten fast einen umgekehrten Pfeil dabei. "Äh... versteh mich nicht falsch, aber ich dachte, hier wären alle tot, oder etwa nicht?". Die Chinesin betrachtete das Buch, das Miyako in der Zwischenzeit aufgeschlagen hatte. Neugierig lugte sie ihrer Freundin über die Schulter. "Du sag mal, du meinst doch nicht etwa diesen Untoten mit seinem Schwert oder? Hat er dich etwa verfolgt?" Miyako vernahm diese Frage und wurde rot. "Ja... Aber das war nicht meine Schuld, ehrlich! Ich ging da so durch das Dorf, war grade am großen Platz da hinten," Sie deutete über einige kaputte Dächer hinweg, "und wollte in eine Hütte um es mir gemütlich zu machen. Da knistert es plötzlich und hinter mir steht so ein Zombie von Samurai, der mich beschuldigt ich habe seine Frau zerstückelt. Das stimmte aber nicht, denn als mich ein Arm der Frau festhielt, konnte ich ihre Erinnerung spüren. Er hat sie zerstückelt und na ja... Jedenfalls haben mich die Beiden ganz schön in Schach gehalten und ich bin froh, dass du dann da warst, sonst hätte der mich wohl auch zerstückelt." Nach diesem Redeschwall konnte Jin nur nicken und ihre Freundin wendete die Kleidungsstücke, damit diese gleichmäßig trocken wurden. "Und wegen Isamu... äh Herrn Fukada. Also ich war gerade am großen Platz, dort hinten und er ist mir erschienen. Ich hab mich natürlich zu Tode erschrocken." Miyako riss die Augen auf, als sie sich an diese erste Begegnung erinnerte. "Doch er ist nicht böse oder so was. Als er weg war, bin ich gestolpert und das Büchlein lag vor meiner Nase. Und stell dir vor, er hat auch versucht, eine Lösung zu finden und hier raus zukommen. Das hab ich dort drin lesen können..." Sie tippte darauf und schlug es dann an einer anderen Stelle auf, um Jin darin lesen zu lassen: 16.09.1956 == Gestern Nacht habe ich eine weitere Entdeckung gemacht. In der unscheinbaren Kammer war so etwas wie ein Lager. Oder auch ein Ort für wichtige Dokumente. Bücher liegen herum, sie sind von den morschen Bücherregalen heruntergefallen. Insgesamt scheint es mir als wäre hier eine Art Erdbeben vorüber gegangen. Aber die unteren Räume hat dies wohl nicht beeinträchtigt. In dem Raum sind zeremonielle Gewänder aufgehängt worden, ich kann noch die Muster auf den Kutten ausmachen. Wirklich prächtige Gewänder. Ich vermute, sie wurden nur zu ganz speziellen Anlässen verwendet. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Während Jin diese Zeilen las fühlte sie, wie ihr ein kalter Schauer den Rücken hinunter lief. Was immer Fukada da entdeckt hatte, es bereitete ihr auf unerklärliche Weise Unbehagen. "Ich frage mich...", begann sie, brach dann aber wieder ab. Nein, bei solchen Dingen war es besser, sie nicht zu hinterfragen. Das wäre ein Akt, den das Schicksal selbst herausforderte und für den Augenblick hatte sie wahrlich genug Aufregung gehabt. "Wenn das so weiter geht, krieg ich noch vor meinem 20er graue Haare...", murmelte die 17-jährige etwas abwesend. Miyako verzog ihren Mund, als hätte sie etwas Bitteres gegessen. "Hmm... das hab ich mir auch schon gedacht." Die Japanerin prüfte die Kleidung nach Trockenheit und drehte sie ein weiteres Mal um. "Jedenfalls, ich denke, mit dem, was da drin steht, kann man Einiges machen. Weißt du, ich glaube sogar, wir finden hier auch raus, wenn wir das Geheimnis lüften. Zumindest können wir es versuchen." Miyako legte das Buch auf die Seite und stocherte mit einem Ast etwas im Feuer herum. Jin seufzte. "Ob wir hier jemals wieder rauskommen?" "Ich weiß es nicht." Miyako seufzte auch. Die Chinesin wandte sich vom Feuer ab und hielt ihm nun ihren Rücken und - was noch wichtiger war - ihr nasses Haar entgegen. Nachdenklich fuhr sie sich mit den Fingern durch die schwarze Masse und stutzte. Unruhig fingerte sie eine Strähne und beäugte sie. "Ich kann mich irren, aber... Sind meine Haare länger geworden?", fragte sie Miyako, die sich gerade ebenfalls umgedreht hatte. Diese nahm eine weitere Strähne ihrer Freundin zwischen drei Finger und betrachtete diese. Jin's Haare glänzten noch feucht vom Wasser und waren von so einem satten Schwarz, dass man glauben hätte können, die Chinesin würde sich die Haare färben. Doch Miyako wusste, dass dies ihre Natur-Haarfarbe war. Eine Weile noch hielt sie die Strähne in ihrer Hand. "Kann sein, irgendwie sind sie wirklich länger geworden. Aber was spielt das jetzt für eine Rolle?", fragte die Japanerin verwirrt. Jin seufzte abermals. "Naja, ich glaub, das ist noch ein Rest 'Megumi' in mir. Die hatte nämlich sehr lange Haare weißt du?" Die Chinesin drückte das Wasser aus der nassen Masse. "Hast du eine Idee wo wir anfangen könnten? Es hört sich wahrscheinlich blöd an aber: Du bist schon länger in diesem Dorf als ich..." Die junge Frau nahm das Büchlein zur Hand und blätterte etwas darin. Dann fing sie von Neuem an zu sprechen. "Ich denke mal, wir klappern alles ab, was Fukada da aufgeschrieben hat. Ich hab auch schon feststellen können, dass es eher im Zentrum diese ganzen durchlöcherten Wände gibt, und dort hat er auch vieles erforscht. Jedenfalls... Hmm..." Sie las sich eine andere Passage noch einmal durch. "Ich möchte diesen Garten besuchen, von dem er hier schreibt. Dieser 'Weiße Garten' mit den Kirschbäumen. Ich möchte den zuu gerne sehen.", lächelte sie. Jin drückte immer noch das Wasser aus den nassen Haarsträhnen. "Weißt du auch, wie wir dort schnellstens hinkommen? Ich hab nämlich keine Lust die Gegend zu erforschen und dann von irgend einem Geist oder sonstiger Kreatur durch die Gegend gejagt zu werden um am Ende mal wieder in einer Sackgasse zu stehen..." Miyako schüttelte den Kopf, während sie in dem Buch weiter las. "Keine Angst, ich denke, wir kriegen da schon einen Weg raus. Es ist nämlich so, dass das Dorf wie eine Art Stern angeordnet ist, deren Mitte der große Tempel bildet. Von dem aus führen überall Wege hin zu einzelnen Schreinen und noch weiter zu vielen Gebäuden die auch alle genau gleich stehen... Mir ist aufgefallen dass der Tempel auf einem Hügel steht und wenn du dann in eine Richtung blickst, sieht es aus wie der Strahl einer Sonne, alles in einer Reihe." Sie blätterte weiter. "Wir finden den Weg sicher schnell wenn wir vom Tempel aus starten.", meinte sie dann. "... Der Tempel...", murmelte Jin, doch bevor sich die Gedanken aus der Vergangenheit in ihrem Kopf breitmachen konnten, schob sie diese wieder zur Seite. "Gut, dann lass uns dort anfangen... Aber erst, wenn wir wieder trocken sind... So sexy wir auch in nasser Unterwäsche oder in am Körper klebenden Sachen aussehen mögen, bei den ansässigen Dorfbewohnern kann ich ehrlich gesagt darauf verzichten, dass die mir hinterher laufen." Sie grinste schief und wickelte dann ihre Haare nach vorne über ihre Schulter. Miyako lächelte bei der Vorstellung. "Hmm... Was wollen wir so lange tun? Mir ist nämlich nicht so wohl bei dem Gedanken hier zu sitzen und nicht flüchten zu können, sollte was sein." Sie ging zurück zu ihrer Umhängetasche und kramte erneut darin. "Wie wärs, wenn wir endlich mal da weiter lesen?", meinte sie kurz darauf und fächelte mit dem Buch von Dr. Aso in der Luft herum. Im Schneidersitz ließ sie sich vor dem Feuer nieder und schlug das Buch an einer beliebigen Stelle auf. Dann kratze sie sich am Kopf. "Äh... da... da stehen nur so komische Zeichen.", murmelte sie. "Oh klasse... weißt du vielleicht was das hier ist?" Mi reichte das Buch nach hinten zu Jin. Diese wandte sich wieder dem Feuer zu und beugte sich konzentriert über die aufgeschlagene Passage. "Lass mal sehen... Hm... Naja, das eine oder andere Wort kenne ich aber... leider keine Zusammenhänge... Ich glaube, dass ist Alt-Japanisch, oder ein Dialekt davon...", erklärte sie, während sich ihre Augenbrauen in Konzentration zusammenzogen als sie versuchte, die Zeichen zu entschlüsseln. Schließlich hörte Miyako einen tiefen Seufzer ihrer Freundin. Diese schüttelte den Kopf. "Nein, tut mir leid... Keine Chance... Da müssen wir wohl einen Experten fragen..." Mit diesen Worten gab sie das Buch zurück. "Blöd. Jedenfalls, soviel hab ich darin schon gelesen: Lass dich nie von einem Geist berühren, dass tut nämlich saumäßig weh! Das ist wie ein Herzinfarkt oder in eiskaltes Wasser geschubst werden. Also egal was passiert, versuch dem Ding auszuweichen! Außerdem sagte Aso, viele Geister wissen nichts davon, dass sie schon tot sind. Und so gehen sie Gewohnheiten nach oder sie wollen sich vielleicht für irgendwas rächen, oder sie halten dich für eine andere Person, da ihr Bewusstsein eingeschränkt ist, sie können ja nicht mehr denken." Miyako prüfte ihre Kleidung und stellte erleichtert fest, dass diese trocken war. Kurzerhand hob sie das Sweatshirt auf und streifte es sich über den Kopf. Danach folgte die schwarze Hose und zum Schluss Socken und ihre schwarzen Lederstiefel, die sie auch geputzt hatte. "Ich habe nicht vor mit Begegnungen mit Geistern herum zu experimentieren...", gab Jin zurück, während ihr ein weiterer Schauer über den Rücken lief. "Da kämpfe ich lieber gegen diese komischen Viecher! Da weiß man wenigstens woran man ist und mit dem Buch weiß ich auch, was ich gegen sie tun kann." Sie erhob sich und schlüpfte ebenfalls in die nun endlich trockenen Kleidungsstücke. Obwohl die Jacke noch etwas feucht war, beschloss sie, trotzdem aufzubrechen und band sich diese um die Hüften. "Na dann, es ist mal wieder Zeit, sich durch die Gegend jagen zu lassen.", gab sie mürrisch von sich. Miyako dämpfte das Feuer mit einigen Händen voll Wasser ab und stakste die Steinstufen hinab. "Stimmt das Buch! Du wolltest doch noch nach dem Samurai-Zombie schauen...", sagte sie aufgeregt. Am Fuße der Treppe blieb die Japanerin plötzlich stehen. Unruhig fixierte sie einen Punkt nicht weit weg von den beiden Mädchen. Jin, die hinter ihr war und nicht verstand, was los war, wollte schon fragen, doch dann sah sie den Grund für Miyako's Verhalten: Ein Geist. Schon wieder. Die junge Frau nahm die Kamera zur Hand und schoss ein Foto. "Zuff!" Nachdem sie es aufgehoben hatte, schlenderte sie beinahe glücklich über das kurze Stück gepflasterten Weg hin zu dem Geist. "He,", flüsterte Jin aufgeregt. "ich dachte man soll nicht auf Geister zulaufen!" Sie blieb zurück und krampfte ihre Finger zusammen. Nachdem sie gehört hatte, was Geister anrichten konnten, zog sie es vor, erst mal hier zu warten. Hier schien sie in Sicherheit. Aber mulmig war ich trotzdem. "Das ist Isamu Fukada.", kam es von Miyako, die weiter auf den Geist zulief. "Isamu" drehte sich um und ging ein paar Schritte über den Hügel und blieb dann kurz vor einem kleinen Haufen stehen, der aus Holz und Steinen war. Er wartete. Jin biss sich auf die Lippen. Auch wenn Miyako erzählt hatte, dass dieser Mann, der er einmal war, friedfertig schien, sie traute der Sache nicht. Zögernd folgte sie ihrer japanischen Freundin in nicht ganz so schnellem Tempo. Fukada streckte einen Arm aus und deutete auf den Haufen. "Soll... Soll ich ein Foto machen?", fragte Miyako unsicher. Isamu nickte unmerklich, dann war er verschwunden. Miyako erkannte jetzt, dass sich genau dort, wo der Haufen war, etwas bewegte. Erschrocken trat sie ein paar Schritte zurück. Doch es passierte nichts weiter. Beim genaueren Betrachten stellte sich heraus, dass sich die Luft bewegte, wie ein Flimmern und hin und her Wiegen sah es aus. Das muss wohl so eine Raum-Zeit Verschiebung sein, von der ich in Dr. Aso's Buch mal kurz was gelesen hab., stellte Miyako dann fest. Sie betätigte erneut den Abzug der Kamera. Wieder ein lautes Geräusch, ein helles Licht und ein weiteres Foto lag auf dem Boden. Miyako staunte. "Das ist ein Symbol!", rief sie und winkte Jin zu sich heran. Beide betrachteten das Bild: Auf der glänzenden Seite konnte man ein kleines Häuschen sehen. Das Dach war mit typischen japanisch gebogenen Querbalken gebaut worden und an den Schrägseiten blitzen viele bläuliche Keramikziegel. Das Holz war dunkel gebeizt und wirkte auf die Beiden sehr edel. In dem Häuschen, in dem es anstatt einer Eingangstür nur eine große Steinstufe gab, war ein Schrein aufgebaut, verziert mit Blumen und Papierlaternen. Mitten auf dem Tisch war eine große Schatulle mit blauen Ornamenten. Und einem Schriftzeichen mitten darauf, welches aus Stein gefertigt worden schien. "Wasser" Jin staunte. "Ein beeindruckendes Häuschen. Ein Schrein nehme ich mal an?" Sie tippte auf die Schatulle. "Was ein Aufwand, ich wette da ist sicher was sehr wertvolles drin! Wenn die schon aus Stein ein Schriftzeichen fertigen." Die Chinesin betrachtete das Bild aufmerksam. Die Schreine waren ihr bei ihrem "Besuch" in der Vergangenheit gar nicht so aufgefallen. Desto mehr wünschte sie sich beim Anblick dieses Fotos, die kleinen schmucken Gebäude in Natura gesehen zu haben. "Aber was hat das eigentlich zu bedeuten?", fragte Jin während sie beiläufig in Miyako's Tasche nach ihrem dicken Magie-Buch suchte. Sie erstarrte. "Verdammter Mist nochmal!" Suchend wühlte sie in der Tasche, so heftig dass ihre Haare wild durch die Gegend flogen und Miyako durch Jin's Wackelei bedrohlich schwankte. "He! Was ist denn?", brummte sie und stellte die Tasche auf den Boden, Jin suchte natürlich emsig weiter. "Mein Buch! Es ist nicht mehr da drin! Wenn ich es verloren habe, bin ich so gut wie tot!" "Aber was denn? Das Buch ist doch hier drin." Seelenruhig ließ sich Miyako nieder und warf einen prüfenden Blick hinein. Schock. Das Buch war nicht mehr da. "Oh... Oh oh. Ich äh..." Jin schob ihre Freundin erneut zur Seite und wühlte weiter in der Tasche herum. "Es ist nicht drin!", rief sie panisch. Miyako zog ein ärgerliches Gesicht und schüttelte energisch den Kopf. "Das kann aber nicht sein, ich hatte es beim Zadru entdecken wieder eingepackt! Das heißt... Oh nein." "Was? Was oh nein?!" Jin schüttelte die Tasche durch, ebenso machte sie es mit ihrer Freundin. Das Buch war ein Familienerbstück, wenn ihre Eltern mitbekämen, dass sie es verloren hatte! "Ich glaube als der Samurai angriff, da fiel ich hin,weil mich das Bein der zerstückelten Frau getreten hat. Vielleicht ist es da rausgefallen... Das war echt ein harter Kampf und ich musste mich winden und konnte mich nicht befreien." Ratlos sahen sich die Mädchen um. "Aber wo könnte es jetzt liegen?" Miyako versuchte zu bestimmen, von welcher Richtung sie gekommen waren. Jin fuhr sich verzweifelt mit beiden Händen durch die Haare. "Das darf doch alles nicht wahr sein! Wie beschissen kann ein Tag eigentlich noch werden?! Ich muss dieses Buch wieder finden, verdammt noch mal!" Fluchend stand sie auf und lief mehrere Male hin und her. Bis Jin sich wieder beruhigt hatte, kaute Miyako fiebernd an ihren Nägeln und dachte angestrengt nach. Wo war das Buch? Jin blieb plötzlich stehen und man sah, dass ihr Gesicht einen Ausdruck von Entschlossenheit annahm. "Ich finde dieses Buch! Und wenn ich jeden einzelnen Stein in diesem Kaff umdrehen muss!", murmelte sie eisern und ballte dabei ihre Fäuste. Sie fixierte Miyako. "Du hast gesagt, vom Tempel aus haben wir den besten Überblick. Wir sind also praktisch da! Nun, weißt du wo du gewesen bist? Ich brauche dieses Buch! Wenn ich es nicht finde, dann..." Sie drehte sich ruckartig um und schrie in einen Teil des Dorfes hinein. "Dann sollten diese Kreaturen BETEN, dass sie mir nicht über den Weg laufen!" In Jin's Augen funkelte etwas Furcht einflößendes. "Jetzt beruhige dich!" Miyako packte ihre aufgebrachte Freundin bei den Schultern. Sie versuchte Jin zu besänftigen. "Also pass auf, wir kamen von der Quelle... Das ist dort." Sie deutete hinter sich und Jin folgte ihrem Fingerzeig. "Den Weg den wir gegangen sind als wir die Quelle gesucht haben war von..." Miyako sah sich um. "Da. Da hinten sind wir her gekommen.", meinte sie und deutete nach rechts. Die Chinesin setzte sich schlagartig in Bewegung und Miyako trottete hinterher. Jin's Schritt war schnell und entschlossen. Ihre Freundin seufzte lautlos. "Hmm....warte kurz!", bat sie die Chinesin, die sich ungerne stoppen ließ. Doch Jin blieb einige Meter entfernt dann doch stehen und drehte sich genervt um. Miyako stand vor einem weiteren kleinen Haufen aus Schutt und Holz. Auch hier bewegte sich die Luft, es waberte auffällig je näher man dem Häufchen kam. Man konnte sogar den Umriss des Gebäudes, dass dieser Haufen mal gewesen war, ausmachen. Sie betätigte den Auslöser der Kamara. Auf dem Bild, dass sie kurz darauf in den Händen hielt, war wieder ein Schrein abgebildet. Diesmal war alles in einem gräulichen, hellen Ton gehalten, auf der Schatulle, die auf dem dortigen Tisch stand, waren alle Ornamente und Beschläge aus Eisen. "Metall" stand auf der großen Holzkiste. "Hmm... Der Boden dort war so hart, und so viele Steine standen auch rum. Ich glaube wir sind auf dem richtigen Weg." Miyako packte das Foto und die Kamara ein und folgte Jin. Entschlossen bahnte sich Jin ihren Weg nach vorne. Was nicht so schwer war, denn die gepflasterten Wege ließen keine Form von hoch stehendem Unkraut zu, im Gegensatz zu den Zwischenräumen außen am Weg oder zwischen den Gebäuden. Jin betrachtete wütend ihre Umgebung. Sollte bloß etwas auftauchen, sie wusste genau, was sie mit so einer Kreatur im Moment machen würde: rösten. Ihr seid schuld, wenn mein Buch weg ist! Ack!, fluchte sie innerlich und stapfte ihrer Freundin nach vorbei an den Hausmauern und an den Felsblöcken dazwischen. Kurz darauf blieb Jin an einem eher größeren Gebäude stehen. Die Löcher dort waren so groß, man konnte problemlos ins Innere blicken. Als die Chinesin sich gegen die Wand dort lehnte spürte sie zu ihrem Missfallen, dass die Mauer nachgab! "Woah!" Schnell sprang sie zurück. Staub wirbelte auf und ein lautes Klackern und zermürbendes Krachen war zu hören. Beide Mädchen husteten. Als sie wieder sehen konnten, kam hinter der eingestürzten Mauer ein Amboss zum Vorschein, ein Werkzeug dass man einst zum Schmieden von Werkzeugen, Waffen, Schildern und Rüstungen verwendete. Miyako hustete stark und blinzelte Jin etwas sauer an. "Wir waren grade sauber!", beschwerte sie sich und schüttelte sich den Staub vom Sweatshirt. "Lass uns weiter gehen... Aber vielleicht können wir das da drin noch brauchen.", meinte die Japanerin dann und klopfte sich den Staub von der Hose. Kurz darauf erreichten sie einen kleinen Platz um den ein paar Häuser standen. "Okay, hier hast du mich gefunden. Da hinten lag ich.", stellte Miyako fest und ging zu dem Platz. Man konnte noch ein paar Spuren der verfaulten Leichenteile ausmachen, doch der Geruch war Gott sei Dank schon verflogen. Miyako ging in die Hocke und suchte den Boden nach etwas Buch-ähnlichem ab. Jin tat es ihr gleich und suchte ebenfalls die Gegend ab, doch sie konnte beim besten Willen nichts finden. Verzweifelt begann sie tatsächlich auch einige Steine auf die Seite zu räumen, obwohl sie innerlich froh war, nichts darunter finden zu können. Nach einer Weile ließ sie sich auf den Hintern fallen und hielt den Kopf zwischen den Händen. "Wenn das meine Verwandten erfahren.", stöhnte sie. "Die wollten schon immer das Buch in ihrem eigenen Besitz wissen... Jetzt haben sie ja den Beweis, dass ich nicht darauf aufpassen konnte." "Mach dir nichts draus... Vielleicht finden wir es ja wo anders, es kann ja überall liegen. Wegkommen tut es sicher nicht. Wer soll es bitte aus dem Dorf mitnehmen?" Die letzten Worte betonte Miyako um Jin klar zu machen, dass sie die Einzigen hier waren. "Lass uns wieder zurückgehen, ich glaube Fukada möchte, dass ich noch mehr von diesen Haufen knipse." Mit diesen Worten nahm sie ihre Freundin bei der Hand und schleifte sie hinter sich her. Jin gefiel das zwar gar nicht, aber Mi hatte recht: Dem Buch würde vorläufig nichts passieren. Denn Geister können ja nichts tragen. Oder? "... Scheint als müsste ich bald wirklich jeden Stein umdrehen...", meinte Jin schließlich mit einem erzwungenen Lächeln. Sie hoffte wirklich, dass sie das Buch wieder beschaffen konnte, sonst würde sie sich für das nächste Familientreffen eine WIRKLICH gute Geschichte einfallen lassen müssen. "Tut mir wirklich schrecklich leid, aber ich hab das Buch in der Vergangenheit verloren als ich von unzähligen Bestien verfolgt wurde", würde ihr wohl kaum einer abnehmen - obwohl es der Wahrheit entsprach. Mit einem schweren Seufzen folgte sie ihrer Freundin. "Woher weißt du eigentlich so genau wo du hin musst?", fragte sie nach ein paar Minuten. Miyako lächelte wissend. "Hast du nicht gesehen oder? Je näher ich den Haufen komme, desto sichtbarer wird eine Art Verschiebung in der Raum-Zeit Darstellung. Dr. Aso hat das kurz erläutert, sehr wissenschaftlich und hochgestochen allerdings. Es ist für den Betrachter ein Hinweis, dass sich hinter dem Gegenstand, den man betrachtet, noch ein anderes Bild verbirgt. Die Dinge scheinen nicht immer die zu sein, die man auf den ersten Blick sieht. Die Haufen waren Schreine, und dass wollen sie auch mitteilen. Irgendwie seltsam, aber es ist wohl so." Miyako kratzte sich kurz am Nacken. "Das Buch des Völkerforschers ist außerdem eine große Hilfe. Mit den Aufzeichnungen weiß ich, was sich wo befindet, zumindest ungefähr, weißt du? Du solltest es wirklich mal lesen, in Ruhe... Dann kannst du mir sicher besser folgen." Jin lächelte. Mi hatte Recht. Etwas unlogisch und kompliziert schien ihr das Ganze schon. "Mal sehen, man hat ja Zeit.", witzelte sie leise. Miyako nickte belustigt. "Ich werde jetzt mal weiter solche Verschiebungen suchen und abfotografieren. Das sind immerhin nützliche Hinweise. Wenn ich das gemacht hab, werd ich mir Notizen in meinem Buch machen.", verkündete sie stolz. Sie war noch nicht dazu gekommen, das was sie erlebt hatte, aufzuzeichnen. Doch sie fand, jetzt war der perfekte Zeitpunkt um das Buch, dass ihr Jin geschenkt hatte, einzuweihen. Beide gingen wieder in Richtung des Tempels und diesmal umrundeten sie ihn fast ganz. Miyako nahm sich nach und nach alle kleinen Gebäude rund um den Hügel vor. Und tatsächlich, dort verschwamm die Luft, als wäre ein durchsichtiger Schleier über dem Haufen. Jin war fasziniert. "Cool!", meinte sie nur. Insgesamt fünf Fotos zählte Mi später, als sich die Beiden auf einer Steinbank niederließen. "Wasser, Metall, Holz, Erde und Feuer." Miyako breitete die Bilder auf ihrem Schoß aus. "Darum heißt es wohl Yósomura. Die legen wohl Wert auf die Elemente?" Jin kratzte sich nachdenklich. Nach einem Moment der Pause fügte sie dann hinzu: "Ich wusste gar nicht, dass der fünf-Element-Glaube in Japan vertreten war... Allerdings wenn wir dem Glauben schenken dürfen, dann... Moment, wir kamen von der Quelle, als dieser Fukada das erste Mal aufgetaucht ist ja? Und wir haben den Wasserschrein fotografiert, der lag in der selben Richtung. Das heißt... Dieser Garten von dem du gesprochen hast, der müsste dann logischerweise entweder bei Erde oder bei Holz liegen..." Sie blickte ihrer Freundin in die Augen und stemmte schließlich die Hände in die Hüfte. "Also? Wohin gehen wir zuerst?" Im Augenblick konnte sie nicht wirklich etwas tun, um ihr Buch wieder zu finden. Also konzentrierte sie sich jetzt umso mehr auf dieses Dorf. "Ääääh.... Holz.", bestimmte Miyako. Sie legte die Bilder in ihr Buch und notierte sich kurz, wie das Dorfzentrum angeordnet war, damit sie nachher nicht den Überblick verloren. "Dann wissen wir ja, wohin wir gehen müssen.", lächelte sie. Die Chinesin stand auf und ging in Richtung eines kleinen Schreins, dessen milchig grüne Ziegel einen Haufen vor dem Altar bildeten Viele waren zerkratzt, staubig oder in winzige Teile zerbrochen. Aber sie waren grün. Wie die Blätter eines Baumes. Holz... "Let's go! Auf zum Garten!" Jin sprühte vor Energie. Jetzt war es an der Zeit sich dieses alte Dorf mal näher anzusehen, soviel stand fest. Beide marschierten den Hügel hinunter und bogen gegenüber des "Metall"-Pfades ein. Man konnte sofort erkennen, dass es sich hier um die richtige Richtung handelte: überall seitlich waren Holzbegrenzungen, die den gepflasterten Weg von den vielen Gartenfeldern trennten. Sie wirkten etwas vermodert, aber waren doch recht gut erhalten. In den vielen Abteilungen, die die Mädchen als große japanische Gartenanlage deuteten, mussten früher viele Pflanzen gewachsen sein, alles war japanisch getrimmt gewesen, das Gras war kurz und saftig, die Blüten bunt, die Bäume groß und schattenspendend gewesen. Da und dort entdeckten die Mädchen zwischen Unkraut und überwucherten Büschen umgestürzte Steinlaternen, die wohl Abends ein wunderschönes Licht über den Weg verbreitet hatten. Jetzt war jedoch alles überwuchert, abgesehen von den Steinplatten, doch selbst die waren mit Moos bewachsen, einige besonders starke Pflänzchen bohrten sich durch die feinen Ritzen zwischen den Tuffsteinen hindurch. Jin betrachtete diese ganze unruhige Vegetation und trottete weiter. Miyako fühlte, dass ihre chinesische Freundin so schnell wie möglich des Rätsels Lösung finden wollte, also hatte sie keine Zeit sich umzusehen." Sind wir bald da?", fragte sie Miyako über ihre Schulter hinweg. "Naja, das weiß ich nicht so genau. Aber ich glaub nicht mehr lange." Kaum hatte sie diesen Satz gesagt, standen die beiden Mädchen vor einem großen, schmiedeeisernen Tor. Kunstvoll verziert mit kleinen Jadesteinen baute es sich vor ihnen auf. Am Boden lag, wie Fukada beschrieben hatte, die zerbrochene Steintafel. "...Das Schild an dem schweren Eisentor ist heruntergefallen und zerbrochen, aber ich kann dennoch lesen, was darauf steht. Dies ist der "weiße Garten". Er ist wirklich wahrlich ein wunderschöner Garten. Zwar sieht man auch hier Spuren der Verwüstung, doch die Bäume sind wie durch ein Wunder erhalten geblieben..." Die Mauern links und rechts neben dem Tor waren aus grob behauenem Basaltsteinen, gebettet in hellem Lehm. Sie glänzten feucht, als hätte es eben erst geregnet. An vielen Steinen wuchsen Moose und Flechten in allen Farben und Mustern, sie überwucherten die Mauer an einigen Stellen fast gänzlich, während sich am Fuße der Mauer Gräser, einen halben Meter hoch, unbändig erhoben und den Boden überwucherten. Zögerlich öffnete Jin die Tür, indem sie sich gegen sie lehnte. Hinter dem Tor waren schöne, große flache Steine in den Boden eingearbeitet worden. Wie ein kleiner Weg führten sie tief in den großen Garten hinein. Die Steinplatten, ebenfalls überwuchert führten über einen kleinen Hügel, von dem man etwas weiter hinten eine Wolke aus undurchdringlichem weiß, fast wie Zuckerwatte, sehen konnte - die Kirschbäume. Die Mädchen gingen ein Stück voran. Links und rechts neben ihnen wuchs alles durcheinander, Moose, Farne, Sträucher. Azaleen und Trauerweiden wiegten sich leicht im Wind und überall standen große Felsen, die bewachsen wurden von grünen Moosen und silbernen Flechten. Zwischen drin standen ein paar Steinlaternen aus Granit, gesprenkelt und auch bewachsen. Die jungen Frauen standen außerhalb der Steinplatten, die etwa 50 cm groß sein mussten, fast knietief in der Vegetation. "Wow... Soviel zum weißen Garten." Jin bahnte sich einen Weg durch das hohe Gras, langsam erreichten sie die Spitze des Hügels. Vor ihnen erstreckte sich der Weg, bis hin zu einem kleinen Haus. Es war heruntergekommen und man konnte nur noch erahnen dass es auf Stelzen stand, so hoch waren die Büsche dort gewachsen. Zwischen ihnen und dem Häuschen wiegten sich die Kirschbäume im Takt des Windes. "... Die Kammer ist wie ein kleiner Schrein, der auf Stelzen steht. Es scheint mir fast wie ein Gefängnis, denn ich kann keine Fenster ausmachen..." Die Mädchen wussten jetzt, wieso dieser Garten "Shiori Garten" genannt wurde. Blütenblätter wurden vom Wind davongetragen und hüllten alles in ein wunderschönes Weiß, schöner als jeder Schneefall es könnte. Der Boden war übersät von den kleinen herzförmigen Blättern und auch die Steinplatten waren dort kaum auszumachen. Im Gegensatz zum übrigen Garten wirkte dieser Bereich jedoch nicht verwildert. Das Gras sah aus, als wäre es frisch geschnitten, und auch die Sträucher und Büsche wirkten gepflegt. Ganz so, als wäre die Zeit stehen geblieben. Miyako's und Jin's Augen glänzten bei diesem märchenhaften Anblick. Der Garten war nicht so groß, wie es die wuchtigen Mauern zunächst vermuten ließen, doch er machte dies durch seine Vielfalt an Pflanzen wieder wett. Die Kirschblüten regneten unaufhörlich und die Äste knarrten leicht im Wind. Fast wie ein Lachen lag etwas hier über dem Kirschbaumwald, durch den der Pfad aus Tuffsteinen führte. "Wie schööööön..." Miyako breitete vor Begeisterung die Arme aus, um einige Blütenblätter zu fangen. Der weiße Regen deckte fast den gesamten Boden ein. Doch nach ein paar Schritten fühlte sie eine unheimliche Kälte aufsteigen. "Es ist wie in dem einen Film, den ich mal gesehen hab, wo die Leute andauernd Halloween feiern und alles so schaurig schön ist.", flüsterte sie. Die Bäume strahlten etwas Totes aus, obwohl sie in voller Blüte standen, oder gerade deshalb? Unter den Bäumen war es merklich dunkler geworden, daher nahm Jin ihre Taschenlampe aus Miyako's Tasche und leuchtete den Weg ab. Hin und wieder wehte eine Brise und Kirschblüten schwebten vorbei. Während sie dem kleinen Gebäude immer näher kamen, merkte Miyako, dass die Kirschblüten nun immer zahlreicher von den Bäumen herabsegelten, als wollten sie verhindern, dass es weiter ging. Die Sicht verschlechterte sich zusehends und man konnte kaum atmen, ohne Kirschblüten in Mund oder Nase zu bekommen. Jin zog ihr T-Shirt hoch und verdeckte sich damit Nase und Mund. Dann bedeutete sie ihrer Freundin, das selbe zu tun. Kaum hatten sich beide von der Kirschblütenattacke geschützt, war es ihnen, als würde jemand mit ihnen gehen. Sie erstarrten. Über Jin's Nacken lief ein eisiger Schauer der sich bald über ihren ganzen Rücken ausbreitete. Miyako atmete leise und starrte angestrengt durch das dichte Weiß in der Luft. "Wa... rum...?", röchelte es hinter ihnen. Jin wagte nicht sich umzudrehen. Doch links und rechts von ihrem Gesicht glitten langsam zwei durchsichtige Arme an ihr vorbei, die Arme wiesen Kratzspuren, Verbrennungen auf. Man konnte sogar sehen, dass teilweise Fleischstücke herausgerissen waren. Ein schauriger Anblick. "...Ich fühle mich immer mehr beobachtet. Manchmal bekomme ich solche Angst, dass ich am liebsten davon laufen würde.... Es ist seltsam..." "JIN!", schrie Miyako panisch und wühlte in der Tasche nach ihrer Kamera. Wieso hatte sie sie auch abgelegt?! Dies löste die Erstarrung der Chinesin. In letzter Sekunde duckte sie sich unter den Armen hindurch, die sie von hinten umarmen wollten. Jedoch wurde sie dennoch vom Körper des Geistes gestreift. Ihr Atem stockte und sie hörte ihren eigenen Pulsschlag und den des Geistes in den Ohren, während es sich gleichzeitig anfühlte als würden ihr Blut zu Eis gefrieren. Mit einer Hand über ihrem Herzen stolperte sie zu Boden und rang nach Luft, immer noch den Herzschlag in ihren Ohren hörend, der langsam in ein Rauschen überging. Hinter ihr ging das erste Blitzlicht los, gefolgt von einigen anderen. Immer wieder schrie der verstorbene Mann auf. Es war ein unmenschlicher Schrei der durch Mark und Bein ging, doch letztendlich begann auch er sich aufzulösen. Kaum war der Geist weg war Miyako auch schon an Jin's Seite und half ihr wieder auf die Beine. "Wie geht es dir?", fragte sie besorgt. "I-Ich hasse... G-Geister...", brachte die Chinesin Zähne klappernd hervor. Als sie wieder auf ihren Füßen stand begann das Gefühl zu verschwinden, genau so verklang das Rauschen in ihren Ohren - doch sie würde dieses Erlebnis definitiv nie mehr vergessen können. Miyako hielt das Foto in Jin's Licht und Beide mussten beim ersten Anblick schockiert wegsehen. Im fahlen Licht war der Geist nicht so gut zu erkennen gewesen, doch jetzt war deutlich erkennbar dass der Mann nicht nur längliche Streifen Fleisch herausgerissen worden waren, sondern dass er regelrecht zerfleischt worden war. "Bestrafter Gärtner", lasen die Beiden am unteren Bildrand. Miyako erschauderte. Der Blütenregen hatte mittlerweile nachgelassen, zum Glück. Sie schluckte ihren Ekel hinunter und steckte das Foto zwischen die Seiten ihres Buches, dort wo auch die bisher gemachten Bilder ruhten. Auch Jin hatte sich inzwischen wieder gefangen und schüttelte sich die Blütenblätter aus den Haaren. Der Wind rauschte durch die Verästelung der japanischen Kirschbäume. Es tat fast weh in den Ohren, so heftig stieg das Geräusch plötzlich an. Miyako nahm Jin bei der Hand. Sie fühlte, wie ihrer Freundin jetzt zu Mute sein musste. Diese Erkenntnis über den Schmerz, den der Geist hervorrief, den der Geist auch empfand und weitergab beim Kontakt mit ihnen, die ruhte jetzt tief in Jin's Inneren. "Geht es wieder?", fragte sie vorsichtig. Jin nickte tapfer. Ihr tat immer noch der Brustkorb weh. Aber was jetzt langsam noch mehr herausstach, war die Traurigkeit, die sie überfiel. Der Mann tat ihr leid. Sie schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals hinunter und ging weiter in Richtung der Kammer. Beide Mädchen fieberten dem Ende des gepflasterten Weges entgegen. Das, was Fukada über die Kammer geschrieben hatte, hallte in Miyako's Kopf nach. "...Es scheint mir fast wie ein Gefängnis, denn ich kann keine Fenster ausmachen... Wenn ich sie betrete fühle ich mich seltsamerweise sicher. Obwohl es keinen Grund gibt, denn manchmal da...höre ich ein Wispern, ein Kichern..." Im selben Moment hörten die Beiden ein leichtes Kichern. Es war hoch und hell, wie das eines Kindes. Die Mädchen fuhren erschrocken herum. Doch da war nichts. Jin kramte in Miyako's Tasche nach "ihrer" Kamera, denn sicher ist sicher. Das Kichern war aber so plötzlich wieder weg, wie die jungen Frauen es vernommen hatten. Sie gingen weiter. Vor ihnen war nun die Kammer. Fukada hatte recht: Keine Fenster, nur eine Tür, doch diese war mit einem großen schweren Schloss versiegelt. Das Weiß der Kammer war mittlerweile ergrünt, von Schimmel und Moosen aller Art. Und doch, sie strahlte Ruhe aus. In mitten dieses Urwaldes, wo alles durcheinander war, schien dieses kleine Gebäude das Einzige zu sein, das wirklich die einstige Sanftheit und die Schönheit des Gartens widerspiegelte. Miyako stieg die Holztreppe hinauf. Diese knarrte und ächzte unter dem Gewicht der Japanerin. "Sei vorsichtig, die ist morsch!", wies Jin sie an. Ihre Freundin lehnte sich unten an die Leiter, um eventuell, sollte Mi stürzen, da zu sein um sie auffangen zu können. Miyako studierte das Schloss der Tür und stellte fest, dass dieses geöffnet war. Zögernd gab sie der aus feinen Holzbrettern genagelten Tür einen Schubs. Die Tür quietschte laut, die Scharniere waren ziemlich rostig. Im Inneren war es dunkel. Einen Moment lang fühlte das Mädchen eine Aura ganz nah vor ihr. Als würde sie jemand betrachten, genau so wie Miyako den Raum betrachtete. Dann war die Aura weg. "Gib mir mal Licht.", bat Mi ihre Freundin. Jin reichte die Taschenlampe hoch und sah sich dann immer wieder, wie ein Bodyguard, genau um, betrachtete jeden Winkel des Gartens um rechtzeitig reagieren zu können, sollte irgendjemand, irgendetwas auftauchen. Miyako leuchtete in die dunkle Kammer hinein. Innen drin war alles ausgepolstert, die Wände, der Boden sogar die Decke. Und Fukada hatte nicht gelogen. Die Wände und die Decke waren mit Seidenstoff bezogen, auf denen silberne Schriftzeichen eingestickt waren. Bannsprüche, ganz offensichtlich. Doch Miyako konnte hinten in der Kammer ein kleines, mit einem weißen Gitter versehenes, Fenster ausmachen, von etwas Licht der Dämmerung hereinfiel. In der Kammer lagen noch einige Kissen herum, große flache Sitzkissen, die mittlerweile aber vergammelt waren. Eine Schale, die wohl eine Trinkmöglichkeit war, ein kleiner niedriger Tisch, auch in weiß mit Stoff bespannt und ein Futon, auch weiß mit Satin und silbernen Stickereien befanden sich auch in dem kleinen Raum. Alles wirkte rein, unschuldig, ganz so wie eine Braut an ihrem Hochzeitstag. Miyako nahm in der Kammer Platz und fühlte sich mit einem Mal sicher. Sie vernahm ein Wispern, ein leichtes Gurgeln, doch es machte ihr keine Angst. "Shen... mi... tsuya... bo...ku...", flüsterte es links neben ihr. Miyako rollte ihre Augen nach rechts. Da saß ein Kind! Miyako kreischte auf. "Was ist?", kam es draußen sofort von Jin. Die Chinesin schlüpfte ebenfalls in die Kammer. "Shhh...." Miyako legte einen Finger auf ihre Lippen und bedeutete Jin, nicht laut zu sein. Im Licht der Taschenlampe konnte die junge Frau nur ihre japanische Freundin sehen, doch hielt sie die Taschenlampe weg, war da noch jemand. Ein Kind! Jin riss ihre grünen Augen auf, fast wäre sie aus der Kammer gepurzelt, stand sie ja noch halb auf der Holzstiege. Miyako saß lächelnd auf ihren Fersen, das Kind neben ihr, auf einem imaginären Kissen gebettet, tat das selbe. Es hatte die Augen geschlossen und trug nichts weiter als einen einfachen weißen Kimono. Die Haare des Mädchens waren schwarz und wiegten sich leicht hin und her. Miyako empfand jedoch keine Furcht. "... Wenn ich sie betrete fühle ich mich seltsamerweise sicher. Obwohl es keinen Grund gibt..." "...Doch, es gibt einen Grund. Hier drin ist alles gut. Hier drin kann niemandem etwas passieren.", setzte Miyako den Gedanken von Fukada fort. Jin begriff langsam. Dieses Kind hatte sich hier drin so wohl gefühlt, es war als Geist hier her zurückgekehrt. Das Mädchen öffnete nun seine Augen. Sie waren glasig grün, so hell und leuchtend, dass sie wie der Schein des Mondes wirkten, der mittlerweile aufgegangen war. Das Mädchen stand auf. Im Gegensatz zu den beiden jungen Frauen konnte es hier aufrecht stehen und wanderte zum kleinen Tisch hinüber. Das plötzliche Aufflattern eines verschreckten Vogels zerriss dieses seltsam idyllische Szene mit einem Mal. Das Kind war weg und Miyako saß alleine in der kleinen Kammer. Unruhig suchte sie die Wände ab, aber nichts war zu sehen. Etwas enttäuscht über die Kürze dieses magischen Momentes seufzte sie und Jin schüttelte den Kopf. "Mi, so gern ich dich hab, aber du bist manchmal echt nicht ganz koscher.", lächelte sie in den Raum hinein und leuchtete die Wände mit der zweiten Stablampe ihrerseits ab. Als der Lichtkegel der Taschenlampe jedoch auf den niedrigen Tisch traf, rief Miyako laut "Halt!" Sie krabbelte dorthin und sah angestrengt unter der Holzplatte nach. "Ha!" kam es Sekunden später und Jin fragte sich, welches gruselige Ding Mi jetzt wieder ausgemacht hatte. Die junge Japanerin zog stolz ein zerschlissenes Stück Papier hervor. "Was'n das?" Jin leuchtete auf das Papier und Miyako las leise vor, während sie sich wieder auf ihre Fersen setzte. "...20. Mai, Meiji 3. Heute soll ich in der Kammer übernachten. Aber ich habe Angst. Hier drin soll es dunkel sein und die Kinder im Dorf erzählen viele Gruselgeschichten darüber. Der Gärtner ist aber nett, er lächelt immer so freundlich, wenn er im Garten die Büsche schneidet. Ich mag ihn, auch wenn er sehr alt ist und nicht so schön. Jetzt sitze ich doch in der Kammer. Diese ollen Priester haben mich hierher gebracht und essen darf ich auch nichts. Sie sagen, hier wird meine Seele gereinigt und ich soll mich auf morgen vorbereiten um meiner Aufgabe, dem Dorf Wohlstand zu bringen, entgegen zu treten. Ich hätte gerne noch Oma und Opi-chan besucht, aber das geht ja jetzt nicht mehr. Ich wollte noch ein Räucherstäbchen anzünden und für sie beten. Wahrscheinlich schauen sie mir jetzt vom Himmel aus zu. Hmm... Langsam wird es hier immer gemütlicher, seltsam, als ich drin war hatte ich noch Angst. Es ist schön hier. Aber dunkel. Aber der Gärtner ist ja da, vielleicht frage ich ihn um etwas zu trinken..." Die Japanerin ließ das Blatt sinken. "Eine Notiz von einem Kind, dass hier drin war." Sie kletterte langsam wieder aus der Kammer heraus. Schlagartig verließ sie die innere Ruhe und sie hörte wieder die unheimlichen Geräusche der Nacht begleitet vom Rauschen der Kirschbäume, die im Wind hin und her schaukelten. "Hmm... Ich denke mal, dass sie zum Friedhof wollte. Aber wo ist der?", folgerte Jin nach einer Weile, als sie schon beinahe wieder aus dem wundervollen weißen Garten hinausgegangen waren. "Willst du denn zum Friedhof?" Miyako war erstaunt. Normalerweise war Jin sehr skeptisch gegenüber neuen Wegen und plötzlichen Planänderungen. "Naja, wenn die Kleine jetzt da hinlaufen könnte, würde sie es doch tun oder? Also laufen wir da hin und suchen das Grab. Ja... nur welches?" Jin verstrickte sich immer mehr in Vermutungen, so dass sie es lieber vorzog, erstmal angestrengt nachzudenken. Miyako tätschelte die Hand ihrer Freundin. "Denk mal nach. Wo kann man einen Friedhof finden. Und was ist ein Friedhof?" Sie stupste Jin in die Seite. "Ich weiß nicht... Vielleicht... Ah! Erde!" Jin's Augen leuchteten angesichts des gelösten Rätsels. "Auf zum Friedhof, vielleicht liegt da ja auch mein Buch rum! Wehe wenn ich das nicht wieder finde!", zeterte sie und marschierte siegessicher voran. Miyako band ihre Haare zu einem Zopf zusammen und bettete die Notiz des Kindes sicher zwischen die Seiten ihres Buches. Kurz darauf waren die zwei Mädchen wieder mitten im Dorf, am Tempelgebäude. Miyako warf einen kurzen Blick in das purpurfarbene Buch und deutete dann auf den Weg neben dem Metallpfad. "Erde" wiederholte sie nochmal und die jungen Frauen stapften vorbei an einem Schutthaufen, der am kleinsten von den fünf war. Das Häuschen hier stand noch fast vollständig, wie durch ein Wunder. Man konnte sehen, dass es sehr schlicht war, in verschiedenen braun- und cremetönen gehalten und mit dunklen Keramikziegeln geschmückt war. Die Reise ging also weiter. Und langsam dämmerte es Jin, wo sie diese Umgebung schon mal gesehen hatte. "Hey, kommt dir das nicht auch bekannt vor?", murmelte sie und Miyako nickte stumm. Aus dieser Richtung waren sie hier ins Dorf gelangt. An einer der Steinbänke machte Miyako halt um sich umzusehen. Definitiv, hier hatte die zerdrückte Frau eine "Rast" eingelegt. Nach weiteren zehn Minuten Fußmarsch durch das zerstörte Dorf hatten sie dessen Ende beinahe erreicht. Und Beiden fiel diesmal auf, dass, je weiter sie nach außen gingen, desto weniger Schaden trugen die Häuser und deren Mauern. Seltsam. Kurz darauf hielt Jin vor einem Wegweiser, der in der Nähe eines kleinen Steinwalls stand, an. Der Wegweiser war aus einem Granitpfahl, den man tief in die Erde getrieben hatte. Da er sehr weit außerhalb stand, schien er nicht einen Kratzer abbekommen zu haben. Lediglich die Holztafeln waren sehr morsch und die eingebrannten Zeichen darauf schwer zu entziffern. "Zum göttlichen Dorf", las Jin laut vor. Darunter war ein anderes Holzbrett in einen Steinrahmen eingefasst. Dieser war pfeilförmig und zeigte in eine andere Richtung: "zum Friedhof der elementaren Ruhe", entzifferte sie mit Mühe. Noch ein Schild darunter, dass in etwa in die selbe Richtung zeigte, las die Chinesin: "Zaòmura" Bei Miyako klingelte es. "Zaòmura ist das Nachbardorf von Yósomura!", rief sie erfreut über diese Erkenntnis aus. "Also gut, dann auf zum Friedhof." Jin setzte sich in Bewegung, mit Taschenlampe und einer gehörigen Portion Entschlossenheit ausgestattet trottete sie über den Lehmweg. Miyako folgte ihrer Freundin etwas unschlüssig. Doch schließlich wollten sie ja vorwärts kommen. "Scheiße!!!" hörte die Japanerin es plötzlich von vorne. Jin hatte sich schon einige Meter entfernt und kam jetzt wieder zurückgelaufen. "OH VERDAMMT!!!", brüllte sie und Miyako erkannte den Grund ihrer lauten Flucherei: Hinter ihr stand... Ein... Felsen. Ein Felsen?! Wahrhaftig, ein großer Klotz mit Armen und Beinen, alles aus einem riesigen Block Granit. Ein Golem, wie man sie aus Fantasy Romanen kannte. Jedoch hatte dieser Block nichts friedfertiges an sich. Jin zerrte Miyako heftig am Arm, riss sie mit sich. Beide Mädchen rannten was das Zeug hielt und schlugen einen weiten Bogen Richtung Wald ein. Der Granitfelsen kam allerdings immer näher und brüllte laut hinter ihnen nach. "Und ich hab mein Buch nicht dabei, so ein verdammter Mist! Mi! Was sollen wir machen?!" Miyako schrie zurück: "Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht!" Beide stolperten durch den Wald, ein paar Mal blieb Jin mit ihrer Hose an Dornenranken hängen, doch es reichte jedes Mal um rechtzeitig dem Golem zu entkommen. "Was ist das für ein Ding? Was will es denn von uns?" In Miyako's Stimme breitete sich panische Verzweiflung aus. Jin stützte ihre Freundin, die beinahe zusammengebrochen wäre, so gut es ging. "Wenn ich golemisch könnte, würde ich ja fragen!", schrie sie in den Wald hinein. Man hörte das Knacken von Holz. Der Granitklotz bahnte sich unbarmherzig seinen Weg durch den Wald, in dem sich die Mädchen befanden. Er knickte einen Baumstamm nach dem anderen um und ließ sein tiefes hohles Gelächter erklingen. Miyako rannen Tränen über die Wangen, aus Angst und Verzweiflung nahm sie einzelne Holzstücke, die am Boden lagen und warf sie nach dem Monster. "Geh weg! Geh weg!!!" Hysterisch schluchzend warf sie dem Granitblock alles entgegen, was der Waldboden herzugeben hatte. "Lass mich!" Jin stieß Miyako zur Seite und rannte todesmutig auf das Felsenmonster zu. Mit einem unsanften Ruck riss sie sich den Haargummi aus ihren schwarzen dichten Haaren und baute sich vor dem Granitfelsen auf. "So du mutierter Wetzstein, jetzt zeig ich dir mal was ich von deinem Auftritt halte!", brüllte sie den Granitfelsen an, der sich bedrohlich über sie gebeugt hatte und mit einem seiner Arme nach ihr ausholte. "JIN!!!" Miyako brüllte wie am Spieß. Jin würde zerschmettert werden, wenn sie nicht auswich... Ein wuchtiges Geräusch erfüllte den Wald, ein schrilles Lachen, gefolgt von einem Schrei. Dann hörte man ein unmenschliches Brüllen. Miyako wagte nicht die Augen zu öffnen, doch ihre Neugierde und ihr Drang zu Überleben waren größer. Doch was sie dort sah, ließ sie erneut in Tränen ausbrechen. Laut hallte der angsterfüllte Schrei der jungen Frau durch den dunklen Wald... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)