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Feuerdämon

Was wurde eigentlich aus dem Stier?
von

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Taur

***
 

Feuerdämon - geschrieben von Purple_Moon mit Unterstützung von Furu. Ich weiß schon gar nicht mehr, wer die ursprüngliche Grundidee hatte. Kann auch sein, dass unsere verwirrten Geister gleichzeitig darauf gekommen sind... Wir haben festgestellt, dass wir beide *Das letzte Einhorn* lieben. Dann bemerkten wir, dass es dazu leider kaum Fanfictions gibt. Ha! Eine Marktlücke! Aber wir mögen Shounen-Ai, also was tun? Lest selbst, was unsere kranken Hirne ausgetüftelt haben.
 

Diese Story soll Shounen-Ai enthalten. Mir ist klar, dass der Zeichenstil von "Das Letzte Einhorn" nicht gerade dazu passt, weil die meisten Leute doch ziemlich große Nasen haben und so... Stellt euch die Mitwirkenden doch einfach im Stil von z.B. Weiß Kreuz vor. Furu meint, dann würde Lír aussehen wie Schuldig, nur blond. Ich weiß ja nicht... sie ist halt ein Fan von Schuldig.
 

Für diese Geschichte habe ich extra noch mal das Buch gelesen, nach dem der Film entstand. Mehrere Dinge aus dem Buch, die im Film keine Erwähnung fanden, werden hier berücksichtigt. Beispiele:

-Der rote Stier ist blind, kann aber trotzdem Einhörner aufspüren. Er ist älter als das Einhorn.

-Es gibt ein Dorf in der Nähe von Haggards Schloss, Hagsgate. Hagsgate war verflucht, mit Haggard unterzugehen, aber bis dahin Wohlstand zu haben. Einer der ihren sollte das Verderben über sie bringen, deshalb entschieden die Bewohner, keine Kinder mehr zu bekommen. Das schien 50 Jahre lang zu klappen. Aber Lír (21) stammt von dort...

-Haggards vier Männer in Waffen, die man im Film nie zu Gesicht bekommt, tauchen im Buch tatsächlich auf. Sie sind alt, werden aber auf wundersame Weise verjüngt, als die Einhörner befreit werden, und schwören ihrem neuen König, Lír, die Treue.

-Lír hat gelobt, erst ein Schloss für sich zu bauen, wenn Hagsgate wieder aufgebaut ist. Es wurde nämlich von den Einhörnern niedergetrampelt, aber die Leute haben sie für Meeresschaum gehalten.
 

Genug gelabert. Ich hoffe, es gefällt euch.
 

***
 

Kapitel 1: Taur
 

Zwei Menschen standen am Strand und sahen zu, wie die Flut hereinkam, ein Mann und eine Frau. Sie trug Gewänder in Brauntönen, er eine blaue Robe und einen spitzen Hut.

"Warum wolltest du wieder herkommen?" fragte die Frau.

"Ich habe mich die letzten Monate gefragt, was aus dem Stier geworden ist. Ob er wohl noch im Meer ist? Und wenn nicht, terrorisiert er gerade wieder ein Land?"

"Schmendrick, du machst dir zu viele Sorgen. Wenn es so wäre, hätten wir davon gehört. Darüber haben wir doch schon so oft diskutiert. Der Stier sah aus, als würde er brennen... vielleicht ist seine Flamme erloschen und er ist jetzt ein ganz normales Rindvieh... vielleicht sogar ein ganz normales Steak..."

Er musste lachen. "Molly... so einfach kann es doch nicht sein."

"Wieso nicht? Komm, gehen wir, hier gibt es nichts."

Er wandte sich um, und gemeinsam gingen sie zu den Pferden. "Du hast Recht. Trotzdem... ich habe das Gefühl, dass wir ihm noch einmal begegnen werden."

Molly schwieg. Schmendrick war nicht mehr nur ein trotteliger Möchtegern-Zauberer, und wenn er so ein Gefühl hatte, musste man das ernst nehmen.

Sie ritten eine Weile in raschem Tempo, um den Ort schnell hinter sich zu lassen. Das Land wirkte längst nicht mehr so öde wie noch vor einem halben Jahr, sondern blühte und grünte, aber sie sahen hier keine Einhörner. Die hielten sich im Moment noch fern von hier. Vielleicht, wenn in Haggarts - jetzt Lírs - Reich irgendwann wieder ein grüner Wald gewachsen war...

Schmendrick und Molly sahen auf ihren Reisen manchmal eines oder mehrere. Sie zeigten sich ihnen, wie zum Dank. Zwar waren damals alle scheinbar gleichgültig an ihnen vorbei gerannt, aber sie wussten schon, wem sie ihre Rettung zu verdanken hatten. Nur "ihr" Einhorn hatten sie nicht mehr wieder gesehen. Aber wenn selbst der Rote Stier es nie gefunden hatte, wie sollte das dann einem Zauberer und einer Räuberbraut gelingen?
 

***
 

Lír ging hinter der Theke in Deckung. Neben ihm hockte der Wirt, während im Schankraum das Chaos tobte.

"Wollt Ihr Eurem Freund nicht helfen?" erkundigte sich der Gasthausbesitzer mit stoischer Gelassenheit. Schlägereien waren bei ihm an der Tagesordnung.

Lír schüttelte den Kopf. "Ich wäre ihm nur im Weg."

"Ich dachte, er ist blind!" gab der Wirt nun doch zu bedenken.

Lír nickte. "Ja, aber er sieht auf seine Weise. Mit all seinen anderen Sinnen und einem Gespür, das kein Sehender je hatte."

Eine Weile danach hörte der Lärm auf und wich einer Geräuschkulisse aus Stöhnen und Röcheln. Lír und der Wirt trauten sich aus ihrem Versteck. Der Prinz griff lässig nach einem Becher und füllte ihn aus einer Weinkanne, die wie durch ein Wunder heil geblieben war. Der einzige Mann, der sich noch auf den Beinen halten konnte, gesellte sich zu ihm, bediente sich aber aus dem Wasserkrug, den seine tastende Hand fand, während Lír ihm einen Becher reichte. Er hatte schulterlanges, dunkelrotes Haar, das nun ein bisschen zerzaust aussah, und die Reste seines Hemdes bedeckten kräftige, gebräunte Schultern. Seine Augen waren fast schwarz und gaben dem rustikalen, auf seine Art hübschen Gesicht eine bedrohliche Note, wenn er wütend war. Im Moment entspannten sich seine Gesichtszüge, nachdem er sich ausgetobt hatte.

"Taur, das ist jetzt schon die vierte Kneipe in drei Tagen, in der du eine Schlägerei angefangen hast. Kannst du dir das nicht mal abgewöhnen?" beschwerte Lír sich.

Taur schnaubte verächtlich. "Diese Menschen haben angefangen."

"Ja, ja, wie immer. Dein Temperament ist zu hitzig, würde ich sagen." Lír fragte sich wieder einmal, warum er sich mit dem Kerl abgab. Er war schon so oft wild entschlossen gewesen, ihn einfach sich selbst zu überlassen, aber das konnte er der Welt nicht antun. Und es widersprach seiner Moral als Held. Das war wohl sein Schicksal als Erbe König Haggarts. Oder er hatte einfach nur eine Schwäche für Fabelwesen in Menschengestalt. Der Gedanke weckte schmerzliche Erinnerungen in ihm, wie es eigentlich schon allein Taurs Gesellschaft tat. Aber wenn er ihn allein ließ, wer konnte schon sagen, was dann aus ihm wurde - ein blinder Mann, der sich in der Welt nicht wirklich zurechtfand, aber kämpfen konnte, wurde leicht von Räuberbanden angeworben und dann vielleicht von irgendeinem Helden getötet. Lír fragte sich, warum ihn das interessierte, aber er konnte es nicht ändern.

"Ich habe Hunger," verkündete Taur, in Richtung des Wirts gewandt.

"Bringt ihm eine große Portion Haferbrei," schlug Lír vor. "Oder Salat."

Der Wirt runzelte zweifelnd die Stirn. "Wir haben auch Lammbraten... Aber gut, ich sage meiner Frau, dass Ihr Haferbrei wollt."

"Für mich das Lamm," ergänzte Lír.

Taur trank noch mehr Wasser. Eines der Schankmädchen kam aus einem Versteck und füllte seine Karaffe nach. "Starker Mann, willst du nicht einen leckeren Braten essen? Ich hab die Soße selbst abgeschmeckt..."

"Mein Freund ist Vegetarier," bemerkte Lír.

Das Mädchen wandte sich ihm zu. "Wirklich? Das kann ich gar nicht glauben, bei den Muskeln..." Sie hängte sich an Taurs Arm, gerade als der Wirt das Essen brachte.

"Äh, ich will essen, kannst du mich bitte loslassen?" grummelte ihr Angebeteter.

Sie verzog das Gesicht, als ihre Annäherungsversuche derart zunichte gemacht wurden. Beleidigt räumte sie das Feld. Lír grinste. Taur wusste vermutlich gar nicht, was sie von ihm wollte. Sie aßen eine Weile, während hinter ihnen vereinzelt Männer zu sich kamen und eilig die Kneipe verließen.

"Du solltest wirklich ein bisschen Fleisch essen, das ist gut für deine Muskeln und wir müssten nicht immer so viel Zeit mit Beeren suchen verbringen, wenn man viel schneller ein Kaninchen fangen kann," schlug der Prinz vor.

"Wenn ich so menschlich werde, dass ich Fleisch esse, kann kein Zauberer auf der Welt mich zurückverwandeln," meinte Taur.

Lír hob eine Augenbraue. Man mochte seinen Begleiter für einen Schläger ohne Grips halten, aber er war keineswegs dumm. "Wir werden Schmendrik schon finden. Aber möchtest du denn zurückverwandelt werden? Was willst du dann machen? Mein Vater ist tot..."

"Aber Ihr nicht, König Lír."

"Du sollst mich nicht so nennen. "

"Ihr seid nach Haggarts Tod der rechtmäßige König. Jemand muss über das Reich herrschen. Wenn Ihr es nicht tut, wird sich jemand anders zum Herrscher aufschwingen, und wer kann wissen, ob er ein guter König sein wird?"

"Nun, mein Vater war auch nicht gerade ein Musterherrscher, die Leute haben ihn gehasst. Aber warum interessiert dich das auf einmal? Du hast ihm doch treu gedient..."

Taur rührte nachdenklich in seiner Breischüssel. "Vielleicht habt Ihr Recht. Ich mache mir schon zu viele Gedanken, als dass ich je wieder werden könnte, was ich war. Außerdem... vielleicht bin ich der Letzte meiner Art."

"Vielleicht hat ein Einhorn die anderen in einen Wald getrieben."

"Das ist nicht witzig, Hoheit."

"Lír. Nenn mich Lír. Wir sind nicht in meinem Reich."

Taur grummelte irgendetwas. "Wieso hängen eigentlich in jeder Kneipe die Frauen an mir? Einmal wollte eine mich mit in ihr Zimmer nehmen - oder mit in meins kommen."

"Was erwartest du? Du bist ein gut aussehender, starker Mann. Was macht deiner Meinung nach ein Mann mit einer Frau in einem Zimmer?"

"Oh." Taur aß den letzten Löffel seines Haferbreis und rief nach mehr.

Lír zählte ihr Geld. Sie hatten noch genug, um das Zimmer für diese Nacht zu bezahlen, und sie mussten vorher noch ein neues Hemd für den streitlustigeren von ihnen kaufen. Taur verbrauchte Hemden wie andere Leute Brennholz. Es wurde Zeit, dass sie mal wieder eine bezahlte Beschäftigung fanden, eine Stadt von einer Räuberbande befreien oder so. Lír tötete nicht mehr jeden Drachen, seit Taur ihm gezeigt hatte, dass man mit denen reden konnte, wie mit einem Einhorn...
 

Am folgenden Morgen nach einem Besuch beim Schneider waren die beiden Männer wieder unterwegs. Taur tat sich immer noch schwer mit dem Reiten auf einem Pferd, aber er sah ein, dass es schneller ging als zu laufen. Lír hatte ihn geduldig gelehrt, mit einem Pferd umzugehen. Überhaupt hatte er alles, was er wusste, von ihm gelernt. Beispielsweise das Führen eines Schwertes - dafür begeisterte er sich und hatte auch Talent. Und noch eine andere nützliche Fähigkeit, wie sich an diesem Tag mal wieder zeigen sollte.

Sie ritten durch einen dichten Wald, vor dem die Dorfbewohner sie gewarnt hatten, aber das hatte den Helden und seinen Begleiter noch nie aufgehalten. Es hieß, dass es hier Räuber gab und manchmal auch spukte.

"Wir werden verfolgt," meinet Taur ruhig. "Ich kann ihre Pferde riechen und die Hufschläge hören. Etwa acht Männer." Er lächelte in freudiger Erwartung eines kleinen Handgemenges.

Lír seufzte. Sein "Schützling" strotzte vor Kraft und musste sich häufig austoben - hoffentlich ging das nicht ewig so weiter. Gewalt war schließlich keine Lösung.

Auf einer Lichtung schlossen die Räuber zu ihnen auf und umzingelten sie. "Haltet eure Pferde an, Fremde! Wenn ihr absteigt und all eure Wertgegenstände zurücklasst, wird euch nichts geschehen!"

"Und wenn nicht?" Taur zog sein Schwert, das er wie gewöhnlich am Sattelknauf befestigt hatte, und stieg ab. "Wer ist euer Anführer?"

Die Bande lachte grölend. "Hey, der Junge will es auf die harte Tour!"

Einer der Banditen trieb sein Pferd vor die anderen. Der Hengst tänzelte nervös. "Man nennt mich Bruno, der Bär. Dies ist meine gefürchtete Bande. Ergebt euch, damit wir euch nicht verletzen müssen, Fremde."

"Ich heiße Taur," sagte der Dunkelhaarige, die blinden Augen auf die Quelle der Stimme gerichtet. "Und dies ist König Lír."

"Woah, ein König!" freute sich einer von Brunos Leuten. "Vielleicht gibt's für den Lösegeld!"

Taur grinste. "Versucht es doch! Mein König, überlasst diese Bande mir! Sie erscheinen nicht allzu gefährlich."

"Nicht gefährlich?" empörte sich der kräftigste von Brunos Männern.

Taur hielt seine Klinge vor sich. Auf einmal flog sein Haar nach oben, obwohl kein Lüftchen wehte. Es wurde zu rotem Feuer, und dann hüllten die Flammen auch das Schwert ein; die Augen des Mannes glühten dämonisch.

"Grundgütiger! Flieht, Männer, sonst holt uns der Teufel!" schrie Bruno, und zu Taurs Enttäuschung machte die Räuberbande, dass sie auf ihren scheuenden Pferden wegkam.

"Banditen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren," amüsierte Lír sich.

Sein Kumpel stieß wütend das Schwert in den Boden, wobei sein Feuer erlosch. "Verdammt! Erst versetzen sie mich in Kampfstimmung, dann lassen sie mich hier stehen!"

"Du hast ihnen zuviel Angst eingejagt," lachte Lír.

Taur seufzte. "Ich habe keine ernstzunehmenden Gegner, das ist öde. Wann treffen wir den Magier? Ich will wieder sein, was ich war."

"Und was soll dann aus dir werden?" Lirs Stimme klang ehrlich besorgt. "Wo willst du denn hingehen? Du bist in dieser Gestalt besser aufgehoben, würde ich sagen. Ist das denn so schlimm?" Er hatte seine Geliebte verloren, nun wollte er den Freund nicht auf die gleiche Art verlieren. Ja, der ungestüme junge Mann war ihm ein Freund geworden. Warum er so an Taur hing, konnte er nicht sagen. Vielleicht, weil er sonst niemanden hatte. Oder war es nur Beschützerinstinkt gegenüber einem Blinden?

Gegen Mittag fing sich Lír einen Hasen, den Taur nicht essen wollte. Er suchte indessen im Wald nach Beeren, Kräutern und Wurzeln. Es war nicht ganz einfach für ihn, aber so war er immerhin beschäftigt. Er erkannte Pflanzen am Geschmack und durch Berührung, konnte die meisten sogar am Geruch unterscheiden. Sie hatten auch noch Brot und Käse. Im Winter, wenn es keine Beeren mehr gab, würden sie irgendwo bleiben müssen, falls Taur sich nicht doch noch dazu durchringen konnte, Fleisch zu sich zu nehmen.

Der muskulöse Mann war weit in den Wald vorgedrungen und hatte seinen Begleiter hinter sich gelassen, als er von weiter weg Stimmen und die Geräusche von Pferden hörte. Zwei Reiter mit Hunden im Schlepptau ritten durch den Wald, offenbar Jäger. Taur verbarg sich hinter einem mächtigen Baum, indem er sich von den Geräuschen abwandte. Einer der Hunde bemerkte ihn, schnüffelte vorsichtig an ihm und entschied dann, ihn zu ignorieren.
 

"Es scheint in letzter Zeit wieder Einhörner zu geben, gerade als ich dachte, sie wären alle fort... man könnte meinen, das Einhorn in jenem Wald hätte meine Worte gehört und etwas unternommen," sagte der ältere Mann mit dem schwarzen Bart.

Bei ihm war ein junger Rothaariger. Er lachte belustigt. "Du glaubst wirklich daran, was? Ich habe jedenfalls noch nie eines gesehen."

Der andere ließ sein Pferd sehr langsam gehen und sah sich um. "Oh, du solltest den Geschichten der umherziehenden Barden und Landstreicher lauschen, oder den Gerüchten, die sich die Kaufleute erzählen. Demnach soll es wieder Einhörner geben, seit König Haggard in den Trümmern seiner Burg begraben wurde. Offenbar hatte er etwas mit dem Verschwinden dieser Wesen zu tun. Sein legendärer Roter Stier ist seither unauffindbar, sein Sohn soll auf der Suche nach jemandem herumziehen."

"Der Rote Stier? Ich dachte, der wäre nur ein Märchen."

"Es gibt anscheinend nur einen seiner Art. Niemand weiß, woher er kam, wie er geboren wurde. Vielleicht war er nur ein Geist oder eine Legende. Gestaltgewordenes Feuer, oder eine Manifestation böser Magie..."

"Hey, da vorne ist ein Hirsch! Also hier gibt es jedenfalls keine Einhörner, die das Wild verschwinden lassen!" rief der Jüngere begeistert.

Der Schwarzhaarige seufzte nachsichtig. "Du hast Recht. Lass uns jagen, dazu sind wir ja hier." Er sah sich um, konnte jedoch nichts entdecken. Der Reiter wandte sich nach vorn und folgte seinem Gefährten, ohne noch etwas zu dem Thema Fabelwesen zu sagen.
 

Taur trat auf den Weg und wandte sich in die Richtung, in die die Jäger verschwunden waren. "Es gibt keinen anderen Roten Stier? Ich bin der einzige, der existiert?" Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und versuchte, diese Information zu verdauen. "Was wissen die Menschen schon. Nur, weil sie noch nie einen Roten Stier gesehen haben, heißt das doch nicht, dass es keine gibt." Doch er stand eine Weile unschlüssig herum, während er über das Gehörte nachdachte.

"Taur?" Lír war schon auf der Suche nach ihm.

"Ja, ich bin hier." Er nahm sich vor, nicht mehr solchen Blödsinn zu denken. "Mein König... Glaubt Ihr, dass es noch mehr von meiner Art gibt?" fragte er trotzdem.

"Nicht dass ich wüsste," gab Lír zu. "Ich kann mich auch nicht erinnern, wo du herkommst. Seit ich mich erinnern kann, hast du in dieser Höhle unter dem Schloss gelebt und meinem Vater gedient."

"Ich erinnere mich..." murmelte Taur. "Haggard hat mir Unterschlupf unter seinem Schloss gewährt und immer von den Einhörnern gesprochen... und dieser Zauberer, Mabruck, der war auch immer dabei..." Der Rothaarige griff sich an den Kopf. "Ich weiß nicht mehr... er hat ständig vor sich hin gemurmelt, und Haggard... der war ganz begeistert von der Aussicht, die Einhörner zu besitzen..."

"Mach dir keinen Kopf," winkte Lír ab. "Denk lieber darüber nach, was du in Zukunft sein willst. Kommst du?"

Taur nickte. Er war inzwischen auch nicht mehr sicher, was er wollte. Tatsache war, dass ein Roter Stier nicht viele Zukunftsaussichten hatte. Aber wenigstens interessierte es ihn, warum er jetzt diese Gestalt hatte. Vielleicht konnte Schmendrick ihm das sagen.

Sie kehrten zu ihrem Lager zurück, wo bereits der Hase über dem Feuer briet. Offenbar hatte Lír die beiden Jäger eingeladen, denn sie saßen in der Nähe und häuteten gerade ihr Reh. Taur sah sie nicht, spürte jedoch ihre Gegenwart auf seine eigene Art, und er konnte sie riechen und natürlich hören. Er roch auch das Blut des toten Tieres, deshalb entfernte er sich, um sich das zu ersparen.

Statt dessen ging er zu den Pferden. Die Gäste hatten edle Rösser, und er tat so, als würde er sich dafür interessieren. Die vier Jagdhunde behelligten ihn nicht, doch er fühlte ihre neugierigen Blicke auf sich.

"Ja, es gibt wieder Einhörner," sagte Lír gerade. Offenbar hatten sie das alte Thema wieder aufgegriffen. "Ich kenne Leute, die gesehen haben, wie sie aus dem Meer kamen, in dem sie gefangen waren." Er meinte damit nicht sich, denn tot zwischen galoppierenden Einhörnern zu liegen konnte man nicht als sehen bezeichnen. Er hatte es nicht gesehen. "Ich meine den Zauberer Schmendrick und seine Gefährtin Molly Grue. Habt Ihr von ihnen gehört?"

"In der Tat," antwortete der ältere Jäger. "Man hört oft von einem Zauberer, einem Gaukler, der zusammen mit einer Frau durch die Dörfer reist, ein oder zwei Tage bleibt und die Unterkunft und das Essen mit seinen Unterhaltungstricks bezahlt. Jemand wie er lockt Leute an, und nicht selten treffen sie sich anschließend in der Kneipe, was dem Wirt dann immer sehr gefällt."

"Gauklertricks? Schmendrick sollte mehr können," wunderte Lír sich. "Aber erzählt mir doch bitte von dem Einhornwald, den Ihr erwähntet. Vor über einem Jahr, sagt Ihr?"

Taur seufzte. Der König war ganz aufgeregt, kein Wunder. Wenn diese Menschen vor einem Jahr in einem Wald gewesen waren, in dem ein Einhorn lebte, konnte es nur *das* Einhorn gewesen sein. Die anderen waren zu diesem Zeitpunkt noch gefangen gewesen. Wenn Lír es jetzt suchen wollte, konnte er Schmendrick erstmal abhaken.

Naja, ganz schlecht war die Idee vielleicht auch nicht, überlegte Taur. In letzter Zeit hatte er sich hin und wieder dabei erwischt, dass er sich wünschte, seinen Begleiter sehen zu können, dabei machte es sonst keinen Unterschied für ihn, ob er jemanden sah oder nur wahrnahm, wie er es gewohnt war. Und das, nachdem es ihm jahrelang komplett egal gewesen war, was er tat, sein einziger Lebensinhalt das Fangen der Einhörner...

Diese Tiere konnten Tote erwecken, wofür Taur im Nachhinein dankbar war. Dann musste es ein leichtes für sie sein, Blinde zu heilen. Allerdings machte er sich da keine Illusionen. Vermutlich würde jedes Einhorn auf der Welt ihn erkennen und einen weiten Bogen um ihn machen.
 

Lír entging nicht, wie still Taur in Gegenwart der beiden Jäger war. Er war immer etwas zurückhaltend, wenn jemand dabei war, mit dem er sich nicht gerade prügelte, aber das war anders. Der König vermutete, dass er das Gesprächsthema nicht mochte. Und er musste zugeben, dass er ihn verstehen konnte, schließlich hatten sie ursprünglich das Ziel gehabt, Schmendrick zu finden. Das Einhorn lief ihm gewiss nicht weg, sie konnten zuerst nach dem Magier suchen. Andererseits sehnte Lír sich danach, sie wieder zu sehen, und sei es nur, um ihr lebewohl zu sagen. Und vielleicht kam Taur in der Zwischenzeit zu einem Entschluss. Er schlug sich gut als Mensch, warum das ändern? Aber Lír war König und musste deshalb seine persönlichen Bedürfnisse zurückstellen. Es war wirklich kein leichter Job.

Die beiden Jäger blieben noch eine Weile. Es war schön, sich mit ihnen zu unterhalten, Lír erfuhr allerhand Neues, was sie von anderen Reisenden gehört hatten. Ein wenig hatte er ein schlechtes Gewissen, weil Taur sich nicht an dem Gespräch beteiligte und sich von den Fremden fernhielt. Insofern war es ihm dann auch ganz recht, als die beiden sich verabschiedeten. Er hatte ihnen seinen richtigen Namen gesagt und auch, wen er suchte und wo er hingehen wollte. Vielleicht half es ja und Schmendrick hörte irgendwie davon. Jedenfalls hatte Lír eine Entscheidung getroffen.

"Taur, wir werden wie geplant nach Schmendrick suchen und dann weitersehen," teilte er seinem Begleiter mit.

Dieser war inzwischen wieder ans Feuer gekommen und wandte sein Gesicht überrascht in seine Richtung. "Wirklich? Das freut mich, Eure Hoheit."

"Aber ich möchte auch ein Einhorn finden - irgendeins - damit es deine Augen erleuchtet."

"Was? Wieso das?" Taur war maßlos erstaunt, aber zugleich aufgeregt bei dem Gedanken, den König sehen zu können.

"Ich möchte dir so viel zeigen," sinnierte Lír. "Menschen suchen ständig einen Sinn im Leben. Sie können sich nicht damit zufrieden geben, zum Beispiel Einhörner zu bewachen und sonst nichts zu tun. Ich möchte dir all das zeigen, was diese Welt zu bieten hat. Du siehst sie auf deine Weise, aber ich möchte sie dich auch auf meine Weise sehen lassen." Er fuhr sich etwas verlegen mit der Hand durchs Haar. "Oje, was rede ich da... Für solches Zeug hast du sicher nichts übrig..."

"Ich... ich denke, ich möchte auch sehen können," entgegnete Taur.

Lír hob eine Augenbraue. "Tatsächlich? Ich war nicht sicher, ob du Wert darauf legst."

"Früher nicht. Aber vielleicht ist es eine menschliche Eigenschaft... Verdammt, ich werde wirklich schon menschlicher, als gut für mich ist."

"Jedenfalls kannst du schon gut fluchen." Lír setzte sich neben ihn und legte kumpelhaft einen Arm um den größeren Mann. "Lass uns bis zum Abend noch ein Stück reiten. Weiter östlich soll ein kleines, gastfreundliches Dorf sein. Tu mir einen Gefallen und schlag dich nicht wieder."

Taur nickte. "Ich versuch's."

"Und nenn mich nicht Hoheit."

"Äh... Lír."

"Gut."

Die beiden Männer löschten ihr Feuer und ritten gemütlich weiter. Sie konnten das Dorf bequem vor der Dunkelheit erreichen. Sicher würden sie jemanden finden, der sie in der Nacht aufnahm, denn ihr Geld reichte sonst nicht mehr weit. Vielleicht konnte ihnen sogar jemand Informationen zu Schmendrick und Molly geben. Lír freute sich schon auf ein Wiedersehen mit ihnen. Er hätte es begrüßt, wenn die beiden in seinen Diensten verblieben wären. Aber man konnte nicht alles haben, und er war mit Taurs Gesellschaft im Moment ganz zufrieden.

Der kräftige Mann war sehr intelligent. Dem Roten Stier hätte er das gar nicht zugetraut. Alle, einschließlich Lír selbst, hatten ihn immer nur für ein hirnloses Monster gehalten. So konnte man sich irren. Natürlich war Taur weit davon entfernt, die natürliche Grazie eines Einhorns zu besitzen, aber er bewegte sich trotzdem mit einer Wendigkeit und einer gewissen Eleganz, vor der man sich lieber in Acht nehmen sollte - zumindest, wenn man sich auf der falschen Seite seiner Faust befand.

Aber am interessantesten war die Tatsache, dass dieses Fabelwesen in seiner Menschengestalt keineswegs all seine Kräfte eingebüßt hatte. Lady Amalthea hatte ihre Gabe zu heilen mit ihrem Horn verloren. (Lír verbannte ihr Bild aus seinem Kopf, es machte ihn nur traurig.) Taur dagegen hatte diese seltsamen, feurigen Kräfte, die sich in der Gestalt des Roten Stiers in seiner Farbe und in Form der Flammen auf seinem Rücken manifestiert hatten. Er hatte sie gut unter Kontrolle, obwohl er ansonsten eher reizbar war und leicht ausrastete. Das Phänomen war unerklärlich, aber gelegentlich recht nützlich.
 

Sie konnten das Dorf schon von weitem sehen, als Taur plötzlich sein Pferd zügelte. Verwundert ritt Lír zu ihm zurück. "Was ist denn los?"

"Einhorn," murmelte Taur und deutete auf einen kleinen Buchenhain in ihrer Nähe. Er hatte die Augen in Konzentration halb geschlossen. "Und Blut..."

Lír kam sich vor wie mit kaltem Wasser übergossen. "Ist das Einhorn verletzt?" Er wartete nicht auf die Antwort, sondern trieb seinen Braunen an. Taurs Pferd lief von selbst hinter ihm her.

In den Bäumen sangen seltsamerweise keine Vögel, und auch sonst war kein Laut zu hören, gerade so, als trauerte der Ort... Der König stieg vom Pferd und suchte zu Fuß weiter.

Taur war so plötzlich neben ihm, dass man es kaum für möglich hielt, dass er blind war. Aber sein Instinkt war untrüglich, wenn es um Einhörner ging, auch wenn Haggards Befehl keine Gültigkeit mehr hatte. Schließlich blieb er zwischen den Bäumen stehen. Als Lír neben ihn trat, konnte er erst nur etwas Weißes ausmachen. Dann erkannte er das Tier. Es versuchte, auf die Beine zu kommen, aufgescheucht von den beiden Menschen.

"Ich sollte mich lieber zurückziehen," meinte Taur. "Ich kann nicht garantieren, was sonst passiert."

Lír nickte, ehe ihm wieder einfiel, dass sein Begleiter es nicht sah, und fügte ein "Ja" hinzu. Er näherte sich langsam dem Einhorn. Es war männlich, erkennbar an dem Kinnbärtchen. Etwas hatte das Tier verletzt, es blutete aus der linken Schulter. Das Blut lief an seinem Vorderbein herunter, und es hielt sich nur mit Mühe aufrecht. Trotzdem senkte es drohend sein Horn, als Lír sich näherte.

"Ho, Junge, ruhig," sagte der König leise. "Ich will dir helfen. Hab keine Angst. Komm." Er setzte sich in ein paar Schritten Entfernung ins Gras, wie es immer die Jungfrauen taten, wenn sie ein Einhorn anlocken wollten. Fraglich, ob das funktionierte... aber eine bessere Idee hatte er nicht. Er sang leise vor sich hin, ein langsames Lied, von dem er nicht wusste, woher er es hatte. Vielleicht von irgendeinem Barden.

"Du bist der Sohn des verfluchten Königs," stellte das Einhorn sachlich fest, während es sich zögernd näherte. Es hatte eine Stimme wie ein jugendlicher Mann.

Lír war überrascht, dass es zu ihm sprach. "Ich bin jetzt der König," erwiderte er. "Ich teile die Gier meines Vaters nicht. Lass mich nach deiner Wunde sehen. Danach kannst du gehen, wohin du willst."

"Ich werde nirgends mehr hingehen," prophezeite das Einhorn. "Lass mich einfach in Frieden sterben." Es klang nicht verbittert, denn Einhörner empfinden nicht genauso wie Menschen.

"Was hat dich verletzt, dass du bereits mit dem Leben abgeschlossen hast?" erkundigte Lír sich.

"Ich ging zu einem jungen Mädchen, das am Wegesrand sang, gerade so wie du jetzt," erklärte das Tier. "Sie erschrak und schrie. Sie konnte mich nicht sehen und hielt mich für ein wildes Pferd. Ein Mann kam und schlug mit seinem Schwert nach mir. Ich war unvorbereitet und zu schockiert. Die Menschen haben sich verändert in den letzten Jahrzehnten, in denen wir nicht in der Welt waren..."

"Mit Schwertwunden kenne ich mich aus," versicherte Lír. "Ich habe in den letzten Monaten zahlreiche Kämpfe gegen die gefährlichsten Krieger bestritten. Hier, leg dich hin. Ich werde mich darum kümmern." Er stand auf und wandte sich um. Taur stand weiter weg bei den Pferden. "Taur, bring mir bitte das kleine braune Etui aus der linken Satteltasche."

Der Angesprochene tastete sich an Lírs Pferd entlang und fand, was gemeint war - auch wenn er nicht wusste, ob das Ding braun war. "Ich sollte lieber nicht zu Euch kommen," zweifelte er. "Ich würde ihn verjagen."

"Ich brauche das Nähzeug, um die Wunde zu versorgen," beharrte Lír. "Du kannst mir dabei helfen." Er drehte sich wieder zu dem Einhorn um. "Taur wird dir nichts tun. Hab keine Angst."

Das Einhorn stieß einen hohen Laut aus, der entfernt an ein Wiehern erinnerte. "Wovor sollte ich mich fürchten? Ich bin doch schon des Todes. Selbst wenn du mich tötest, ist mir geholfen. Denn wenn ich hier bleibe, in diesem Zustand..." Es unterbrach sich, denn Taur war bis auf wenige Schritte herangekommen. Mit bebenden Nüstern starrte es ihn an. "Ich kenne dich! Aber ich muss mich irren..."

"Du hast mich fünfzig Jahre lang gekannt, nehme ich an," entgegnete der Mann.

Die Augen des Einhorns weiteten sich erstaunt. Sie waren nicht blau, stellte Lír fest, sondern lila. "Was redest du da? In den letzten fünfzig Jahren - waren es fünfzig? - da war ich ein Gefangener, und ich habe gewiss keinen von deiner Art getroffen!"

"Von meiner Art?" Taur war verwirrt. Offenbar erkannte das Einhorn in ihm nicht den Roten Stier, der es ins Meer gejagt hatte. Aber was dann? "Was bin ich deiner Meinung nach?" fragte er gespannt. "Wenn du es weißt, sag es mir!"

"Spotte nicht über mich!" rief das Einhorn. Es taumelte und stürzte beinahe, doch Lír wagte sich den letzten Schritt vor und stützte es. Das Tier war zu schwach, um ihn abzuwehren. "Feuerdämon!" verkündete es. "Er, der die Wälder zu Asche verwandelt!"
 

***

Fortsetzung folgt.

Falls Interesse daran besteht...

Syringa

Im Buch erfährt man, das Schmendrick viel älter ist, als er aussieht. Sein Lehrmeister Nicos hat ihn mit einem Zauber versehen, der ihn unsterblich macht, bis er zu seiner wahren Magie findet. Der Zauber verliert seine Wirkung, als er Lady Amalthea zurückverwandelt.

Die paar Informationen, die Schmendrick über den Stier hat, stammen auch aus dem Buch.
 


 

Kapitel 2: Syringa
 

Lir hatte schon öfters die Wunden seines Pferdes behandelt, wenn er von einer seiner Heldentaten gekommen war. Dazu gehörte auch das Nähen tiefer Kratzer.

Das Einhorn ertrug seine medizinische Zuwendung in stoischem Schweigen. Natürlich war es unter seiner Würde, sich von einem Sterblichen helfen zu lassen, aber es war durch starken Blutverlust zu schwach, um sich zu wehren. Dabei war die Verletzung eigentlich gar nicht so schlimm. Allerdings hatte es sich auch sehr über Taur aufgeregt und war schließlich zusammengebrochen.

Der Mann, der Lír stets nur als der Rote Stier seines Vaters bekannt gewesen war, hockte nicht allzu weit entfernt an einen Baum gelehnt. Die Worte des Einhorns gaben ihm zu denken. Es hatte ihn als Dämon bezeichnet, als Feuerdämon. Wie kam es nur darauf? Erkannte es ihn denn nicht? Vielleicht war es schon im Delirium. Er war doch jetzt ein Mensch - oder? Andererseits würde es Sinn machen, denn er hatte ja noch seine Feuerkräfte. Er hätte sie verlieren müssen, wenn er wirklich ein Mensch geworden wäre.

Lír kam zu ihm, als er schließlich mit seinem Werk fertig war. "Lass uns heute Nacht hier kampieren. Das Einhorn ist sonst eine leichte Beute für Raubtiere."

"Ich bin nicht sicher, ob er auf meinen Schutz Wert legt," entgegnete Taur.

"Du wirst ihn schon nicht fressen, das hat er wohl begriffen."

"Jedenfalls wird kein Einhorn auf der Welt meine Augen heilen, wenn ich wirklich das bin, wofür er mich hält. Davon abgesehen... Vielleicht ist nichts mit meinen Augen, und Feuerdämonen sind von Natur aus blind."

"Das ist nicht fair," murmelte Lír. "Gerade als ich dachte, es wäre eine gute Idee, ein Einhorn darum zu bitten..." Er setzte sich so dicht neben Taur, dass sich ihre Schultern berührten. "Vielleicht kann Schmendrick dir helfen."

"Ich... kann jedenfalls nicht mehr zurück," murmelte Taur. "Diese Gestalt ist nicht das Schlechteste... eigentlich fühlt sie sich sogar ganz gut an. Ich glaube, einige Dinge würde ich vermissen..."

"Haferbrei?" scherzte Lír.

Sein Begleiter lachte auf. "Ja, das wohl auch. Manche machen ihn mit Honig. Lecker."

Der König musste grinsen, da Tauer sich für so einfache Sachen begeistern konnte. Doch er wurde rasch wieder ernst. "Wenn du ein Dämon bist, warum warst du dann ein Stier?"

"Kann ich mir nicht erklären. Aber ich erinnere mich auch nicht daran, was ich gemacht habe, bevor ich zu Haggard kam. Was ist eigentlich mit dem anderen Magier passiert, diesem Mabruck?"

"Weiß nicht. Er ist verschwunden, nachdem Vater an seiner Stelle Schmendrick eingestellt hatte. Meinst du, dass er etwas mit deiner jetzigen Gestalt zu tun hat?"

Taur ließ sich das durch den Kopf gehen. "Er war ein Meister, nicht wahr? Vielleicht... war er noch für ganz andere Dinge verantwortlich..." Der kräftige Mann umschlang seine Beine mit den Armen wie ein Frierender. "Wenn das Einhorn nun Recht hat... Ob Mabruck wohl mächtig genug war, einen Feuerdämon zu bezwingen?"

"Zerbrich dir nicht den Kopf über diese Dämonensache," winkte Lír ab.

"Habt Ihr keine Angst vor einem Feuerdämon?" hakte Taur nach.

Der König hätte fast gelacht, verkniff es sich aber. "Du bist ja ganz friedlich. Und sollte sich das ändern... nun, ich bin ein Held, ich würde mich um das Problem kümmern. Tu mir einen Gefallen und lass es nicht soweit kommen."

"Traut Ihr mir das wirklich zu?"

"Hey, das war ein Scherz. Sei nicht gekränkt. Ich sehe mal nach unserem Patienten."
 

Das Einhorn war wach, konnte sich aber kaum erheben. Lír hinderte es daran, als es Anstalten machte, ihm entkommen zu wollen.

"Warum quälst du mich so? Hättest du mich nicht in Frieden verbluten lassen können?" klagte das Tier ihn an.

"Nun, viel hat ja nicht gefehlt, du bist schon sehr schwach," bemerkte Lír, den Vorwurf ignorierend. "Aber du wirst dich erholen, sicher bleibt nicht einmal eine Narbe zurück. Hast du einen Namen?"

"Was meinst du?"

"Nun, wir Menschen benennen einander, um uns unterscheiden zu können. Zum Beispiel, wenn wir mit anderen über Personen reden, die nicht anwesend sind. Ich heiße Lír."

"Wir brauchen keine Namen, dennoch... Ich war das Einhorn vom Fliederwald." Das Geschöpf ließ traurig den Kopf ins Gras zurücksinken.

Lír hob die Augenbrauen. "Du warst es?"

"Dieser Wald wurde zerstört, während ich fort war. Dort ist jetzt ein Menschendorf mit Kornfeldern und Weiden. Davor lebte ich in einem anderen Wald, doch dieser wurde vor langer Zeit niedergebrannt..."

Nachzufragen erübrigte sich da wohl.

"Ich bin niemand mehr," fuhr das Einhorn fort. "Meine Heimat ist vergangen. Ich hätte hier sterben sollen."

"Deine Augen erinnern auch an Flieder," stellte der König fest. "Ich nenne dich Syringa, ja? Das heißt in einer anderen Sprache *Flieder*."

Das Einhorn seufzte. "Wenn du das möchtest... mir ist es gleich."

"Wir Menschen brauchen Namen, das macht es uns leichter."

"Wie du meinst. Ihr braucht so viel... Häuser, Felder, Viehherden... Es war viel besser, als ihr noch in Höhlen gelebt habt. Ihr zerstört alles, um Platz für eure Bedürfnisse zu schaffen. Und du... du bist der Mann, der bei dem anderen Mann gelebt hat, bei dem, der uns besitzen wollte."

"Diese Diskussion hatten wir schon. Ich bin nicht wie mein Vater," verteidigte Lír sich. "Aber wenn er nicht gewesen wäre, hättest du deine Heimat nicht verloren. Du kannst mit uns kommen, wenn du willst, dann helfen wir dir, einen neuen Wald zu finden. In meinem Reich wird es auch bald wieder Wälder geben, und dann wäre es sicher gut, dort ein Einhorn zu haben. Du kannst mir helfen, das Reich neu aufzubauen."

"Daran habe ich kein Interesse. Du sagst, du bist nicht wie dein Vater, aber schon willst du mich für dein Reich..."

"Du hast mich falsch verstanden!"

"Ihr Menschen seid alle so gierig..."

Inzwischen hatte Taur sich erhoben und verließ sein Versteck. "Du meine Güte, dieses selbstmitleidige Gelaber kann man sich ja nicht mit anhören! Reg dich ab oder ich treib' dich zurück ins Meer!"

"Taur!" Lír starrte ihn entgeistert an. Das waren vielleicht nicht die richtigen Worte in dieser Situation.

"Ist doch wahr," motzte der Rothaarige. "Statt dass er sich freut, dass er gerettet wurde..."

"Wenn Haggard nicht so gierig gewesen wäre, hätte ich nicht gerettet werden müssen," beharrte das Einhorn.

"Keiner von euch hat sich gewehrt," stellte Taur fest. "Ihr könnt mit euren Hörnern Drachen töten, aber gegen mich habt ihr euch nicht gewehrt, obwohl ich allein war und ihr zu Tausenden!"

"Du behauptest also wirklich, der Rote Stier zu sein?" Das Tier musterte ihn. "Ich sehe in dir nur einen Feuerdämon."

"Aber wie kann das sein?" mischte sich nun Lír wieder ein. "Und wieso hat er jetzt diese Gestalt? Ist das seine richtige? Und... sind alle Feuerdämonen blind?"

"Du hast ziemlich viele Fragen, Mensch."

"Mein Name ist Lír."

"Ah, ich vergas. Lír. Und der Feuerdämon heißt Taur."

"Genau, und dich möchte ich Syringa nennen."

Das Einhorn ließ resignierend den Kopf hängen. "Was auch immer... egal."

"Es ist nicht egal!" widersprach Taur hitzig. "Erzähl mir von den Feuerdämonen, die du kennst!"

"Was soll ich von ihnen erzählen?" schnaubte das Einhorn. "Ich lernte sie nie persönlich kennen. Eine Gruppe von ihnen fiel in meinen Wald ein und brannte alles nieder. Man kann sie nicht bekämpfen, wenn sie in ihrer Feuergestalt sind. Dann sind sie nur Flammen, und man kann nicht sehen, wo sie sind und wo es einfach nur brennt. Vielleicht sind sie ja auch ein Waldbrand, wenn sie wollen. Mehr weiß ich nicht. Du musst ein älteres Einhorn fragen, ich bin noch jung. Aber seit jener Zeit habe ich nie wieder einen gesehen. Vielleicht sind sie wie Feuer und sterben, wenn sie keine Nahrung mehr haben."

"Wenn du nur einmal den Feuerdämonen begegnet bist, woher bist du dann so sicher, dass ich einer bin?" begehrte Taur zu erfahren.

"Ich weiß nicht, warum, aber ich bin mir sicher. Ich spüre es."

"Und wieso hast du es nicht gespürt, als du dem Roten Stier gegenübergestanden hast? Falls du ihm jemals gegenübergestanden hast, statt nur wegzulaufen." Taurs Stimme hatte einen leicht spöttischen Unterton angenommen.

Die violetten Augen blitzten trotzig. "Du weißt gar nicht, wie es ist, dem Roten Stier zu begegnen!"

"Das stimmt," musste der rothaarige Mann zugeben. "Muss aber ne recht einschüchternde Erfahrung gewesen sein." Er kam nicht umhin, bei diesen Worten zu grinsen.

König Lir hatte den Austausch schweigend verfolgt. "Wir sollten unser Lager aufschlagen," schlug er nun vor. "Morgen geht es dir sicher wieder gut genug, dass du aufstehen kannst, Syringa. Sieh es mal so, wenn du mit einem Feuerdämon unterwegs bist, tun dir die anderen sicher nichts. Und Taur ist ganz zahm."

"Heute früh habt Ihr noch behauptet, ich wäre zu hitzig!" erwiderte der angebliche Feuerdämon.

"Trotzdem bist du doch ein ganz lieber," fand Lir. Er stand auf und berührte seinen Freund kurz an der Schulter, wie es Freunde untereinander tun. "Warte hier, ich hole die Pferde."

Das tat er, und sie schlugen ihr Schlaflager in der Nähe des verletzten Einhorns auf. Beide fragten sich, ob das Tier wohl am Morgen noch da sein würde.
 

***
 

"Schmendrick, sollten wir nicht bald weiterziehen?" Molly wusste zwar, dass sie noch genug Geld für eine oder zwei weitere Übernachtungen und Essen hatten und gewiss noch mehr bekommen würden, aber sie verdienten besser, wenn sie die Zaubershow nicht zu lange an einem Ort aufführten. Außerdem war sie es nicht gewohnt, lange an einem Ort zu sein.

"Lass uns noch ein oder zwei Tage bleiben, Liebes," sagte Schmendrick lächelnd. "Ich habe das Gefühl, dass es wichtig ist."

"Nun ja... wenn du meinst," gab sie nach. Sie lag schon im Bett, während ihr Gefährte noch aus dem Fenster in die Nacht hinausblickte.

"Ich hab übrigens darüber nachgedacht, ob wir uns nicht einen Wagen kaufen sollten, in dem wir wohnen können, wenn wir unterwegs sind," teilte er ihr mit. "Das wäre doch sicher angenehmer, als die ganze Zeit zu reiten oder zu laufen."

"Nun, ich habe nichts gegen einen Fußmarsch. Aber mit einem Wagen könnten wir mehr Gepäck bei ins haben, Utensilien für die Zaubershow und frische Kleider. Und wir müssten nicht immer in Gasthäusern übernachten."

"Dann ist es abgemacht," entschied er. "Morgen werden wir uns erkundigen, ob jemand einen verkauft."

"Gut, aber wie kommst du auf einmal darauf?"

"Ach, die Idee spukt mir schon länger im Kopf herum." Schmendrik schloss das Fenster und legte sich zu ihr. Sehr dicht zu ihr...

Molly genoss seine Nähe. Körperlich war er jünger als sie, wenn auch älter an Jahren. Er hätte sich ein junges Mädchen suchen können, doch er wollte sie. In ihrem Leben war wieder Frühling. Manchmal dachte sie sogar, dass ihr Abenteuer mit dem Einhorn sie verjüngt hatte, und vielleicht stimmte das sogar. Sie fand sich selbst nicht mehr so unattraktiv wie früher, und auch der Magier versicherte ihr häufig, dass sie sich zu ihrem Vorteil verändert hatte. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie jetzt regelmäßig genug zu Essen hatte und sich neue Kleider kaufen konnte, statt die alten zu flicken.

"Ich frage mich immer noch, was aus dem Stier geworden ist," murmelte er auf einmal. "Es geht mir nicht aus dem Kopf..."

"Möglicherweise werden wir morgen ein Gerücht über ihn hören. Vielleicht ist es das, was dich beunruhigt," meine sie.

"Hm, vielleicht," stimmte er zu. Er küsste zärtlich ihren Hals, doch sie hatten einen anstrengenden Tag hinter sich und waren zu müde, um mehr zu tun als zu kuscheln. Eng beisammen schliefen beide schließlich ein.
 

Am Morgen gab es Haferbrei. Schmendrick kam sich vor, als hätte er sich selbst schon einmal irgendwo sitzen und Haferbrei essen sehen, aber er aß das Zeug schließlich nicht zum ersten Mal. Trotzdem... In Letzter Zeit quälten ihn ständig seltsame Ahnungen, die mit dem Roten Stier zu tun hatten. Aber wo war der Zusammenhang mit Haferbrei? In diesem war sogar Honig drin.

Er hatte Molly natürlich nichts davon gesagt, wie beunruhigt er war, schließlich hatte er keine Erklärung dafür. Vielleicht war es nur eine Anpassung seiner Magie oder sein Unterbewusstsein, das die Ereignisse noch einmal verarbeitete. Allerdings vermutete er, dass Molly etwas merkte, ihn aber nicht darauf ansprach, weil er nicht von selbst damit anfing. Er wusste diese Eigenschaft von ihr sehr zu schätzen. Neben anderen...

Als sie später auf die Straße traten, bemerkten die beiden, dass eine Zirkustruppe in die Stadt gekommen war. Ein Mann im Narrenkostüm lief durch die Stadt und machte Reklame für ihre Show, begleitet von einem Mädchen auf einem Einhorn. Natürlich handelte es sich bei dem Einhorn nur um ein weißes Pferd, dem sie ein Horn an dem bunten Zaumzeug befestigt hatten, aber es sah gut gemacht aus. Schmendrick runzelte die Stirn. War das Zufall, oder sollte ihm das Erscheinen dieses *Einhorns* etwas sagen? Ach, er bildete sich schon Sachen ein...

Einer plötzlichen Eingebung folgend, schlug er vor, zu den Zirkusleuten zu gehen, die außerhalb der Stadt ihr bescheidenes Zelt aufgeschlagen hatten. Es gab nur ein paar Wohnwagen, anscheinend handelte es sich um einen Familienbetrieb. Die Zugpferde waren in einem Extrazelt untergebracht, zusammen mit den Zirkuspferden. Möglicherweise waren die Zugpferde auch zugleich Zirkuspferde.

Schmendrick sah sich alles etwas unbehaglich an. Ihn persönlich erinnerte das alles etwas zu sehr an Mami Fortuna, aber Molly war fasziniert. Sie wollte sich gerne die Vorstellung ansehen. Eigentlich sprach ja nichts dagegen. Doch als sie auf der Suche nach jemandem, bei dem sie die Zeiten der Vorstellung erfahren konnten, um eine Ecke bogen, blieb Molly plötzlich stehen, so dass Schmendrick, der hinter ihr ging, gegen sie stieß.

"Schnell, versteck dich!" zischte sie ihm zu und drängte ihn hinter einen Wagen.

Er stellte keine Fragen, sondern folgte einfach ihrem Blick. An der Vorderseite des Wagens gingen zwei Männer vorbei, die in ein angeregtes Gespräch über die neuesten Attraktionen vertieft waren. Einer von ihnen schien der Chef dieser Truppe zu sein, denn er trug besonders elegante, rote Kleidung. Der andere war offensichtlich der Zauberkünstler unter ihnen. Er trug eine blaue Robe mit gelben Sternen darauf und einen passenden, spitzen Hut, ein alter, gebeugt gehender Mann mit einem langen, weißen Bart.

Schmendrick hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht vor Überraschung - oder Schreck - laut auszurufen, was er dachte. Mabruck! Was tat der denn hier? War dieser Job denn nicht völlig unter seiner Würde? Ganz zu schweigen von diesen kitschigen Klamotten... Sie warteten, bis die Luft rein war, ehe sie ihr Versteck verließen.

"Wir sollten schnell von hier verschwinden!" drängte Molly.

"Aber wenn Mabruck hier ist, muss er einen Grund dafür haben! Lass uns nachsehen, ob wir was entdecken!" entgegnete der Zauberer.

Sie gab zögernd nach, obwohl es ihrer Meinung nach genauso gut sein konnte, dass der Alte nur dringend irgendeinen Unterschlupf gebraucht hatte. Also sahen sie sich um, ohne besonders aufzufallen, denn einige Leute aus der Stadt warn auch schon da. Schmendrick hatte seinen Zaubererhut abgenommen, damit er nicht für Inventar des Zirkus' gehalten wurde.

Sie entdeckten eine Frau, die Hunde dressierte, ein junger Mann hatte einen Papagei. Ansonsten gab es keine weiteren Tiere zu sehen, und die Menschen wirkten auch nicht verdächtig. Anscheinend gab es wirklich nichts zu sehen, das Grund zur Besorgnis wäre. Doch das ungleiche Paar war sich einig, dass sie lieber bald abreisen sollten, zumal der Zirkus der Zaubershow zu sehr Konkurrenz bot. Allerdings wollte Schmendrick zu gerne Mabruck zur Rede stellen, wenn er ihn schon gefunden hatte. Vielleicht war es Schicksal.

Also fragten sie sich durch und wurden schließlich zu einem Wage geschickt, der mit einem dunklen Stoffbanner versehen war, auf dem, umgeben von gelben Sternen, "Der Mysteriöse Magier Magnus!" zu lesen war. Irgendwie war das ihnen vorher gar nicht aufgefallen.

"Was für ein idiotischer Deckname," kommentierte Schmendrick, während er anklopfte.

"Schmendrick, so sehen wir uns wieder!" erklang plötzlich die Stimme des Zauberers hinter ihnen.

Sie fuhren erschreckt herum. "Äh... ja, sieht ganz so aus," antwortete Schmendrick.

"Ich habe gehört, dass ich Recht hatte... Haggard hat wirklich sein Verderben gefunden," bemerkte Mabruck. "Gut, dass ich nicht mehr dort war, andererseits hätte ich das gerne miterlebt."

"Ach, es war total unspektakulär," behauptete Schmendrick. "Aber ich wollte dich etwas fragen, Mabruck. Der Rote Stier ist möglicherweise noch am Leben. Was weißt du über ihn?"

Der Alte hob die buschigen Augenbrauen. "Es überrascht mich sehr, dass dich das interessiert! Was in aller Welt kann das verursacht haben?"

"Nur so ein Gefühl."

"Ah, ein Gefühl! Naja, ich spüre, dass du inzwischen etwas mächtiger geworden bist, mein Junge, vielleicht hat es ja was auf sich mit diesem Gefühl. Aber warum sollte ich dir sagen, was ich weiß?"

"Ähm... weil ich höflich gefragt habe?"

Mabruck lachte heiser. "Ja, das ist vielleicht ein Grund. Du kannst ja nichts dafür, dass Haggard mich nach so vielen Jahren hinausgeworfen hat, es war sicher mein Glück, wer weiß! Also, was genau willst du wissen?"

"Also... alles!" entschied Schmendrick. "Ich habe erfahren, dass er dem gehorcht, der keine Furcht hat. Sein einziger Lebenszweck war es, Haggards Wunsch zu erfüllen. Und er ist sehr alt. Aber wo kam er her? Und was macht er jetzt, da Haggard tot ist?"

Mabruck strich sich nachdenklich durch den Bart. "Was geschah mit dem Stier, weißt du das?"

"Er rannte ins Meer, wodurch die Einhörner befreit wurden," gab der jünger Aussehende Auskunft.

"Dann kann ich mir nicht vorstellen, dass er überlebt hat," meinte Mabruck. "Er war ein Wesen des Feuers, seit langer Zeit eingesperrt in der Gestalt, die ihr gesehen habt. Mein Meister hat ihn mir überlassen, und ich überließ ihn Haggard, als ich in seine Dienste trat. Der Stier war der perfekte Diener, doch er wurde gefügig gemacht durch Magie, bis er selbst nicht mehr wusste, was er war. Möglich, dass es ihm wieder eingefallen ist, nachdem ich nicht mehr da war, um den Bann fortzuführen. Aber wahrscheinlich ist er in den Fluten umgekommen, ohne etwas anderes zu sein als ein williger Diener Haggards."

"Was für ein Wesen des Feuers war er?" hakte Schmendrick nach.

Doch der andere Zauberer schüttelte den Kopf. "Mehr weiß ich nicht."

"Oder willst du nur nichts mehr sagen?" erkundigte Molly sich.

"Ah, die vorlaute Frau hat sich nicht geändert," stellte Mabruck fest. "Was kümmert euch der Stier. Wenn ihr ihn finden solltet, könnt ihr mich ja noch mal fragen, aber ich bezweifle, dass wir ihn je wieder sehen. Ich muss jetzt an die Arbeit." Er drehte sich um und entfernte sich in Richtung Zelt.
 

Molly und Schmendrick verließen die Stadt kurz darauf. Schmendricks Ahnung hatte sich bestätigt, es war etwas geschehen, und damit war er vorerst zufrieden. Dennoch vermutete er, dass es noch nicht alles war. Sie fanden im nächsten Dorf einen Bauern, der ihnen einen alten Planwagen verkaufte, der für ihre Zwecke erst einmal reichte. Sie renovierten das gute Stück ein bisschen und spannten ihre Pferde davor. So reiste es sich recht bequem.

Ihre Reise hatte keinen bestimmten Weg, also fuhren sie einfach dahin, wo es ihnen sinnvoll erschien.
 

***
 

Inzwischen hatten Lír und Taur zusammen mit Syringa das Dorf erreicht, zu dem sie eigentlich unterwegs gewesen waren. Das Einhorn konnte laufen, doch seine Schulterverletzung behinderte es, deshalb kamen sie nur langsam voran. Sie gaben es als einen teuren Zuchthengst aus, den sie fast an Räuber verloren hätten und wegen der dabei erlittenen Verletzung momentan nicht verkaufen konnten. Sie mieteten einen guten Stall für ihre Pferde und Syringa, was das Einhorn stoisch hinnahm.

Taur und Lír quartierten sich im dazugehörigen Gasthaus ein und suchten nach etwas Arbeit, denn ihr Geld reichte nicht wirklich aus. Der Wirt bot ihnen einen Job im Stall an, da sein Stallbursche krank war, außerdem hatte sein Bruder Heu einzufahren. Das war alles keine geeignete Arbeit für einen Blinden, aber Taur und Lír einigten sich mit ihren Arbeitgebern auf einen Gesamtlohn, so dass sie sich Zeit lassen konnten, solange sie brauchten. Der Wirt bot ihnen und ihren Pferden kostenlose Unterkunft an, wenn sie noch ein paar weitere Kleinigkeiten erledigten, vom Reparieren eines Tisches bis zum Spülen in der Küche. Der König und der Blinde arbeiteten den ganzen Tag wie die Sklaven, sahen zwischendurch immer wieder nach Syringa, machten sich abends über ein reichliches (in Taurs Fall vegetarisches) Essen her und fielen dann endlich müde ins Bett. Aber wenigstens *hatten* sie Betten.
 

Es gewitterte und stürmte diese Nacht, und Taur wachte des Öfteren auf, denn er hatte feinere Ohren als Lír. Doch der König war irgendwann auch wach.

"Sollen wir nachsehen, was unser Einhorn macht?" schlug Lír vor.

Taur rollte sich demonstrativ in seine Decke ein. "Er will doch sterben, außerdem ist er alt genug, also wird er schon keine Angst vor dem Gewitter haben. Und die Pferde sind in seiner Gegenwart ganz ruhig, habt Ihr ja vorhin gesehen. Ich bewege mich nicht vom Fleck, hab geschuftet wie ein Stier."

Lír prustete vor Lachen angesichts dieser unbedachten Wortwahl seines Freundes. "In der Tat, das hast du."

"Ihr macht Euch über mich lustig," klagte Taur ihn an.

Doch der König sah seinen Begleiter lächeln. "Du kannst es ab." Auch er kroch wieder unter seine Decke.

Schlafen war jedoch ausgeschlossen, denn es war ein Krach, als hätte die Hölle sich aufgetan. Zum Glück hatten sie die Fensterläden am Abend fest geschlossen. Aber sie hatten ein kleines Zimmer direkt unter dem Dach, weil es das billigste war (auch wenn sie nicht zahlen mussten). Eine Wand hatte eine Dachschräge. Der Regen prasselte darauf und der Wind fing sich heulend in jeder Ritze. Blieb nur zu hoffen, dass das Dach nicht wegflog.

Das tat es nicht, aber nach einer Weile donnerte es, gefolgt von einem Knall, der beide Männer senkrecht in den Betten stehen ließ.

"Äh... in der Nähe muss der Blitz eingeschlagen haben," vermutete Lír erschrocken. "Sollen wir mal nachseh..."

Er kam nicht zum Ende, denn im Nächsten Moment landete etwas auf dem Dach, dann gab ein Teil desselben nach und die Äste einer uralten, knorrigen Eiche bahnten sich ihren Weg in den Raum.

Lir sprang entsetzt von seinem Bett auf. "Waaah! Vorsicht, Taur!"

Der Rothaarige stolperte in die entgegen gesetzte Richtung des Lärms zurück und stieß sich die Schulter an der Wand an. Lír eilte an seine Seite, und sie duckten sich nebeneinander vor nassen Zweigen und Dachteilen und dem hereinbrechenden Sturm.

"Das ist ja wohl nicht wahr," grummelte Taur frustriert.

Lír lag halb auf ihm, und sie konnten sich kaum bewegen, weil sie von Eichenblättern regelrecht gepeitscht wurden. "Anscheinend hat der Blitz sogar *ganz* in der Nähe eingeschlagen..."

"Wir können in dem Fall wohl froh sein, dass es so stark regnet und stürmt, sonst stünde hier alles in Flammen..."

"Wenn du das sagst... laut Syringa kennst du dich ja damit aus."

"Das ist nicht komisch, Lír. Könntet Ihr bitte mein Hemd suchen?"

"Oh nein, nicht schon wieder... wo hast du es gelassen?" Lír versuchte, etwas zu erkennen, aber der Raum war eine einzige Baumkrone. Also betrachtete er lieber ein wenig Taurs muskulösen Oberkörper, der hin und wieder durch die Blitze sichtbar wurde. Es hatte manchmal Vorteile, dass sein Freund blind war...

"Ihr starrt mich an," stellte Taur fest. "Dachtet Ihr, ich merke es nicht?"

"Äh... gar nicht!" Lír fühlte sich ertappt. Und ihm drängte sich die Frage auf, warum. War wohl ganz gut, dass sie beide wenigstens in Hosen schliefen, man konnte ja nie wissen, was einen weckte...
 

Trotz der unerfreulichen Nacht hatte das Ereignis für Taur und Lír auch sein Gutes. Überall im Dorf gab es schwere Sturmschäden, und indem sie bei Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten halfen, sprang so manche freie Malzeit und die ein oder andere weitere Übernachtung für sie raus. Der Schneider schenkte ihnen je einen Satz neue Kleidung, nachdem sie geholfen hatten, seinen Laden in Ordnung zu bringen.

Im Stall war zum Glück nichts passiert. Der Wirt wunderte sich darüber, denn alle anderen Tiere hatten sich losgerissen oder ihre Boxen halb zertrümmert, nicht aber die Pferde, die er beherbergte. Syringa hatte anscheinend so eine Wirkung auf Tiere, die in seiner Nähe waren, aber Lír und Taur taten ganz überrascht, um keinen Verdacht zu erregen. Sie reisten vier Tage später zufrieden wieder ab und hatten ein bisschen mehr Geld in der Tasche als vorher. Das Einhorn folgte ihnen gleichgültig.
 

***

Fortsetzung folgt.

Wenn ihr eine wollt.



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Kommentare zu dieser Fanfic (24)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  FeenjaWesker
2008-10-15T19:43:17+00:00 15.10.2008 21:43
Hey... hab die FF grade gefunden und muss sagen das ich sie super toll finde.
Klasse Idee, klasse Umsetzung, klasse Schreibstil und klasse Charaktere ^^, also alles in allem einfach nur genial.
Taur is wirklich voll interesant, ich würd wirklich gern mehr erfahren aber irgendwie gehts nich weiter kann das sein???
Schade eigendlich, aber ich hoffe das es irgendwann ein neues Kapi geben wird. Hab prompt Lust den Film ein 7. mal zu gucken ^^
Also dann
Hau die Hühner
LG
Feendrache
Von:  Miez
2007-05-20T09:23:51+00:00 20.05.2007 11:23
Normalerweise lese ich keine Gesichten vom letzten Einhorn, aber ich dachte ich versuche es einmal lol
Und es hat sich gelohnt ^^
Taur finde ich wirklich eine sehr interessanten Charakter, nur das Einhorn kommt nicht so gut rüber. Finde ich zumindest...

Vielleicht bekomme ich ja eine ENS wenn das neue Kapitel da ist?
Von:  LammL
2007-04-14T21:31:12+00:00 14.04.2007 23:31
Das ist bis jetzt die beste Shounen-ai Fanfic zu dem Theme (Das Letzte Einhorn) Bitte schreib schnell weiter.
Bye
Von:  LammL
2007-04-14T21:29:44+00:00 14.04.2007 23:29
Die Fanfic ist super! Ich liebe diesen Film! Bitte schreib weiter.
Bye
Von:  Aya-san
2007-03-06T04:27:42+00:00 06.03.2007 05:27
hui die hab ich ja ganz übersehen und das wo ich den film so liebe. und mal ganz nebenbei schu auch ^_~. hoffe du schreibst hier auch noch weiter möchte ja wissen wie es weiter geht und was das gleichgültige einhorn und der menschliche stier mit lir noch so erleben. also bis hoffentlich bald

aya-san
Von:  desertdevil6
2007-02-27T06:09:58+00:00 27.02.2007 07:09
Mir gefällt das Einhorn so wie es ist, es erscheint verbittert und dennoch gleichgültig, eine durchaus akzeptable Mischung für ein solches edles Tier. Zumal mal von Amalzia vielleicht auch nicht auf einen Hengst schließen sollte, immerhin hatte man durch Film und Buch ja wirklich nur Kontakt mit einer weiblichen Vertreterin - und dass die etwas anders agieren, soll ja nicht allzu selten auftreten.
Marbruck ... nunja, ein Kapitel für sich, ich hätte ihn unwirscher erwartet, aber scheinbar ist er entweder nicht nachtragend oder hat die essentiellen Dinge verheimlicht und verfolgt andere Pläne, wer weiß?
Nun, dennoch waren die Wortwechsel gelungen, besonders die Debatte über die Aspekte des Menschen, der alles Mögliche braucht und besitzen will. So moralapostelhaft es wirkt, die Antworten waren ein jedes Mal hieb- und stichfest. Auch wenn mich der Rote Stier zum Lächeln brachte - er hatte etwas für sich durch seine ironische Art.
Ich hoffe, du/ihr werdet hier eines Tages fortsetzen, auch wenn das letzte Erscheinungsdatum im Jahr 2005 angesetzt war. Wenn ja, würde es mich freuen, benachrichtigt zu werden.

Dessi
Von:  desertdevil6
2007-02-27T05:50:25+00:00 27.02.2007 06:50
Das hier war sogar der eigentliche Grund, warum ich auf dich kam - und du sprichst/ihr sprecht es bereits an, es gibt nur sehr wenige fortführende Geschichten in diesem Bereich, was zwar einerseits schade ist, aber gut die Übersichtlichkeit wahrt.

Einige Szenenteile kamen mir bereits aus dem Film bekannt vor, den ich früher Nacht für Nacht und immer wieder sah, man erkennt sofort wieder wer die beiden Jäger sind oder aber Molly und Schmendrick anhand ihrer Ausdrucksweise. Man "hört" sie regelrecht sprechen und auch lächeln, die gesamte Geschichte schwankt zwischen dem nachdenklichen Tonus und einer gewitzten Prise Humors.
Die Idee gefällt mir ebenso, der rote Stier, dessen Verbleib niemand erahnte - dennoch verbleibt natürlich die Frage wie er vom Stier zum Menschen wurde, ich bin mir nicht sicher ob ich es richtig herauslas - suchen sie Schmendrick nur um ihn zurückzuverwandeln oder auch, weil er die Verwandlung vornahm?
Ebenso meine Hochachtung vor Lír, ich hätte mich wohl kaum mit meinem Mörder gut gestellt, gleich welche Motive Schuld waren. Ebenso hoffe ich die ganze Zeit auf ein Wiedersehen mit Amalzia (ich weiß, dass ihr sie anders schreibt, verzeiht) und welche Wirrungen noch folgen.
Auch ob das männliche Einhorn etwas von "ihr" gehört hat ...
Sehr angenehm geschrieben.

Dessi
Von: abgemeldet
2007-01-03T22:41:10+00:00 03.01.2007 23:41
So nun hab ich auch das zweite Kapitel von dir durch ist ehrlich schön freu mich schon auf eine fortsetzung^^.
Wenn du Lust hast kannst du mir ja eine ENS schicken wenn das neue Kappi on ist ansonsten schau ich dann und wann mal vorbei^^
Von: abgemeldet
2007-01-03T22:12:30+00:00 03.01.2007 23:12
hey
ich finde die geschichte total schön ich liebe den film the last unicorn...
die idee mit dem stier finde ich total spitze


*2tes kappi lesen will*
Von:  Sargeras
2006-12-05T20:25:04+00:00 05.12.2006 21:25
So ich habe es jetzt mal geschafft diese wunderbare Geschichte zu lesen und bin ganz begeistert ^^
Die Idee das der Stier eigentlich kein Stier sondern was anderes ist, ist schon eine Tolle sache... *mal seine These äußert* obendrein ist sein Charakter wirklich genial getroffen , besonders das er Vegetarier ist bringt mich echt zum schmunzeln.
Syringa ist so eine sache für sich... ich meine er zeigt etwas zu viele emotionen für ein einhorn somit kommt nicht immer durch das ihm das ganze nur einfach egal ist.
Lír aber hast du ebensogut getroffen wie unseren Stier, Molly und Schmendrig ist ebenfalls gut dagestellt... bin gespannt wann die sich treffen und was es mit den Feuerdämonen auf sich hat ^^


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