Velvet Touch

Velvet Touch

Velvet Touch
 

Ich ließ mich auf die Couch in der hinteren Ecke des Raumes fallen, etwas erschöpft, doch zufrieden und streckte die Beine aus. Eigentlich konnte ich noch immer nicht wirklich glauben, dass ich mich im VIP- Bereich eines der bedeutendsten Dark- Wave- Festivals Europas befand.
 

Als ich durch Zufall von der Verlosung mehrerer VIP- Pässe erfahren hatte, nahm ich, ohne ernste Gewinnerwartungen, nur aus Spaß daran teil, doch nun saß ich hier.

Es war der erste Tag des Festivals, das letzte Konzert hatte vor zwei Stunden geendet und meine Freunde waren bestimmt schon wieder auf dem Camping- Platz, während ich hier die kostenlosen Speisen und Getränke ausgenutzt hatte.

Kurz meldete sich mein schlechtes Gewissen, doch das verdrängte ich erfolgreich. Schließlich hatte ich ihnen nicht verboten, auch an der Verlosung teilzunehmen.
 

Bisher war der Tag wirklich gut verlaufen. Ich hatte die Konzerte mit meinen Freunden angesehen, dazwischen war ich immer mal wieder in den VIP- Bereich gehuscht und hatte für alle Getränke rausgeschmuggelt. Nach dem letzten Konzert siegte jedoch mein Magen über die Freundschaft und ich blieb am Buffet hängen. Dort hatte ich einige nette Menschen kennen gelernt, darunter auch einige der Künstler, die heute aufgetreten waren, und hatte mich gut unterhalten.

Jetzt war ich satt und hätte eigentlich schlafen gehen können, doch dazu war ich noch zu aufgedreht.
 

Mit einem kleinen Lächeln beobachtete ich die Menschen um mich herum, an der Bar und am Buffet, als sich jemand links von mir auf der Couch niederließ. Ich wandte den Kopf zur Seite und erkannte Jyrki 69 von The 69 Eyes.

Wow. Jetzt nur nicht durchdrehen.

"Hi!" sagte er mit einem Blick in meine Augen.

Oh Gott, der sah von Nahem ja genauso scharf aus, wie auf der Bühne.

Besser nicht zu genau hinschauen, sonst fang ich an zu sabbern!

"Hi." antwortete ich und blickte wieder zur Bar.

Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass er sich leicht in meine Richtung drehte und mich musterte. Ich widerstand der Versuchung, ihn anzusehen, und ließ meinen Blick weiter durch den Raum wandern.

Nicht, dass ich es nicht aufregend fand, dass er hier plötzlich neben mir saß, hatte ich mir doch schon oft genug vorgestellt, ihn einmal persönlich zu treffen, doch das musste ich ihm ja nicht gerade auf die Nase binden.

Mit Sicherheit war er sowieso schon ziemlich von sich eingenommen, wie die meisten Stars, und abgesehen davon: das kleine Groupie zu spielen war schlicht unter meiner Würde.

Lieber würde ich meine Selbstbeherrschung auf die Probe stellen.

Ich 'ignorierte' ihn also bis er sagte: "I'm Jyrki from The 69 Eyes."

Nun sah ich ihn wieder kurz an. "I know." erwiderte ich und machte eine kurze Pause bevor ich hinzufügte: "I'm Angel."

"Angel?!?"

"Yes."

Ich wollte mich gerade wieder von ihm abwenden, als er seine Hand ausstreckte. "Nice to meet you, Angel."

Nach kurzem Zögern ergriff ich seine Hand. "As well."

Ich musste mir eingestehen, dass ich seinen Händedruck als überaus angenehm empfand. Mehr als angenehm...

Nein, jetzt nur nicht wuschig werden! Tu dir das nicht an!

Nach einigen Sekunden wurde mir bewusst, dass er meine Hand noch immer hielt. Viel länger, als notwendig. Was sollte das denn werden?

Mit einem kurzen Lächeln entzog ich ihm meine Hand, drehte mich wieder nach vorne und verschränkte die Arme vor der Brust.

Doch so leicht schien er sich nicht entmutigen zu lassen. "You've seen our show?"

"Yes ." erwiderte ich knapp, ohne ihn anzusehen.

"You liked it?"

Verstand dieser Mann keine Körpersprache?

Jeder andere hätte mein Verhalten als höfliches Desinteresse gedeutet und mich in Ruhe gelassen, doch offenbar hatte er ein derart übersteigertes Selbstwertgefühl, dass ihm der Gedanke, ich könnte bei seinem Anblick keine weichen Knie bekommen, gar nicht in den Sinn kam.

Nun gut, damit hatte er auch gar nicht so unrecht.

Aber meine Gesten drückten trotzdem etwas anderes aus und er konnte wohl kaum in meinen Kopf schauen.

Ich spielte kurz mit dem Gedanken, zu verneinen, fand es aber kindisch zu lügen, nur weil er nicht mal einen Wink mit dem Zaunpfahl verstand. Die Show war schließlich wirklich gut gewesen.

"Yes."

Trotzdem könnte er sein Riesen- Ego mal einpacken.
 

Daran dachte er allerdings gar nicht.

"I've noticed you in front of the stage."

Na toll, das erklärte so einiges. Wahrscheinlich hielt er mich wirklich für ein Groupie und dachte, ich wäre leicht rumzukriegen.

Falsch gedacht, mein Guter!

"So what?" fragte ich ihn, nun leicht genervt.

Er zog eine Augenbraue leicht nach oben, was ihm ein unwiderstehliches Aussehen verlieh.

Hammergeil!

Stopp, Angel, du wolltest doch nicht Groupie spielen!

"Well, I just thought, you look nice."

"Nice?"

Er fand dass ich 'nett' aussah? Das war doch wohl nicht sein Ernst?

Gerade hatte er sämtlich Pluspunkte verspielt.

Mein kurzer Fransenschnitt war knallrot gefärbt, mein großzügiges schwarzes Augen- Make-up hätte mir meine Oma nach einer mittelschweren Herzattacke sofort mit einem angespuckten Taschentuch aus dem Gesicht gewischt und meine Kleidung (alles komplett in Schwarz, dazu einige Accessoires, die verwiegend aus Leder und Nieten bestanden) lies normale Menschen die Straßenseite wechseln.

Zugegeben, verglichen mit seinem Outfit hätte ich fast noch als braves Schulmädchen durchgehen können, aber trotzdem...

Jedes andere Wort hätte ich noch irgendwie als Kompliment auffassen können, aber nicht 'nett'.
 

Anscheinend hatte er meinen Gesichtsausdruck dieses Mal richtig gedeutet, denn er beeilte sich zu korrigieren: "Not nice- nice, I meant hot- nice!"
 

Nun war es an mir eine Augenbraue hochzuziehen.

Heiß? Was bezweckte er mit dieser billigen Anmache? Wenn er jemanden fürs Bett suchte, brauchte er nur einen Schritt vor die Tür zu machen und sich eins der Kreischies dort auszusuchen, da hatte er freie Auswahl. Warum also machte er sich die Mühe, jemanden zuzuquatschen, der ganz offensichtlich den Eindruck vollkommenen Desinteresses erwecken wollte?

Na ja... vielleicht fand er mich ja tatsächlich interessant...

Ja, klar Angel. Mister Sexgott persönlich will dich und keine andere. Sicher. Träum weiter!

Viel wahrscheinlicher hatte ich einfach seinen Jagdinstinkt geweckt und nun wollte er sehen, wie weit er kam.

Na warte, dir geb ich's!

"Aha." meinte ich nur in sarkastischem Tonfall und drehte mich wieder zur anderen Seite.

"No, really!" ertönte es neben mir. "You're pretty and I like your style!"

Aha.

Er sucht die Mädchen, die er flachlegen will nach den Klamotten aus.

Diese Info würde im Forum sicher für Aufsehen sorgen.

Allerdings schmeichelte es mir schon ein wenig, dass er mich hübsch fand.

Wach auf, Angel! Das sagt er zu jeder, die er abschleppen will!

Na und? Er wird aber wohl kaum 'nen weiblichen Quasimodo flachlegen wollen.

"And why do you tell me that?"

Stille.

Er war scheinbar sprachlos.

Doch nur für wenige Sekunden, dann fragte er, hörbar erstaunt: "Why not?"

Jetzt konnte ich ein Grinsen nicht mehr unterdrücken.

Wie vielen Frauen vor mir war es wohl gelungen, ihn so zu überraschen, dass ihm die Worte fehlten? Vermutlich nicht allzu vielen.

Ich zuckte mit den Schultern. "Alright. You've told me. And now?"

"Nothing. I just wanted you to know."

Aha. Wie sollte ich das jetzt verstehen? Anscheinend hatte er den Drang immer zu sagen, was er gerade dachte. Ziemlich mitteilungsbedürftig.

"Okay. Now I know it. Something else you have to tell me? Or you want to know?"

"You like to fuck?"
 

Das hatte er jetzt nicht wirklich gesagt!?!

Offenbar doch.

Scheinbar war er in allem sehr direkt.

Nein, Angel, du sagst jetzt nicht, was du denkst! Beruhig dich. Ja, so ist gut.

Der will dich nur aus der Reserve locken.

Nicht mit mir. Ich würde ihn mal schön zappeln lassen.

Mit einem kleinen Lächeln um die Mundwinkel fragte ich ihn daher ganz unschuldig: "You mean in general, or at the moment?"

Er erwiderte meinen Blick mit einem ebenfalls kleinen Lächeln, legte den Kopf leicht schief, wobei ihm eine Strähne ins Gesicht fiel - nein, Angel, nicht sabbern - und meinte: "Well, at first... in general?"

"You know anybody who doesn't like it?"

Gut aus der Affäre gezogen. Bravo, Angel.

Nun musste er lachen. Anscheinend hatte er nicht mit dieser Schlagfertigkeit gerechnet.

Himmel, dieses Lachen! Ich musste mich beherrschen, ihn nicht zu sehr anzustarren und damit meine Tarnung aufliegen zu lassen.

Als er sich etwas beruhigt hatte, sah er mich fragend an. "And at the moment?"

Denkst du, ich mach dir jetzt 'nen unsittlichen Antrag oder was?

"Guess that depends on with who. Well..." Ich blickte demonstrativ quer durch den Raum. "Do you see the blonde at the door?"

Gerade eben war mir das blonde Pärchen an der Tür aufgefallen - ein Mann und eine Frau. Ich sah, wie sein Blick von der Frau zu dem Mann wanderte und zurück und konnte schon beinahe sehen, wie er überlegte, welchen von beiden ich meinte.

Langsam gefiel mir dieses Spiel.

Schließlich blickte er mich wieder an und sagte nur: "I prefer red."
 

Diese Offenheit war geradezu entwaffnend. Ich spürte wie sich mein Herzschlag beschleunigte und meine Abwehr langsam bröckelte.

Nun gut, ich würde ihm ein kleines Stück entgegen kommen. Aber nur ein ganz kleines, mehr nicht!

"I like blond." Kleine Pause, der Wirkung wegen. "But more I like black."
 

Als ich ihn jetzt ansah, hatte er sich ein wenig vorgebeugt und sah mich durchdringend an.

Oh nein, schau nicht so! Hör auf damit!

Obwohl ich saß hatte ich das Gefühl, meine Beine würden unter mir nachgeben.

"So... what's about the moment?"

Okay, Angel, kratz dein letztes bisschen Selbstbeherrschung zusammen.

"Nothing's 'bout the moment."

Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen und ich hätte fast losgelacht.

"I don't have one- night- stands." fügte ich erklärend hinzu. "Never."
 

Eigentlich war es schon beinahe niedlich, wie sich die Enttäuschung kaum merkbar auf seinem Gesicht breit machte und ich bereute meine Entscheidung fast.

Stopp! Nein, Angel, denk nicht mal dran!

Ich hatte mich gerade gefangen, als er mich mit seiner nächsten Frage wieder aus dem Gleichgewicht brachte.
 

"But you kiss, don't you?"

Gott, konnte er es nicht einfach gut sein lassen? Was sollte ich denn jetzt antworten?

Wenn ich verneinte, während mir der Sabber aus dem Mundwinkel lief, würde er mich nur auslachen.

Also schaute ich ihn mit schräg gelegtem Kopf an und grinste. "Sometimes..."
 

Er fing meinen Blick auf und ließ ihn nicht mehr los. Langsam beugte er sich zu mir vor, langsam genug, dass ich hätte ausweichen können.

Tu was, Angel! Na los! Beweg dich!

Zu spät...

Irgendwie schien er mich mit diesem Blick hypnotisiert zu haben.

Ich hörte ein leises "Do you mind..." und spürte, wie seine Hand an meiner linken Wange entlang strich, hinter mein Ohr wanderte und sich seine Finger in mein Haar schoben.

Unwillkürlich lehnte ich meinen Kopf leicht gegen seine Hand.

Das fühlte sich so verdammt richtig an, dass ich gar nicht mehr daran dachte, ihm auszuweichen.

Sein Gesicht kam immer näher und ich schloss automatisch die Augen.

Dann streiften seine Lippen über meine.

Guter Gott!

Nur eine kurze, hauchzarte Berührung, die jedoch eine Gänsehaut auf meinem Rücken auslöste.

Einige Sekunden später fühlte ich wieder seine Lippen auf meinen, diesmal länger, doch immer noch hauchzart. Samtweich fuhr sein Mund an meinem entlang, ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Wange.

Nun mach schon! Küss mich richtig!

Sanft nahm er meine untere Lippe zwischen seine beiden, leckte kurz daran und ließ wieder von ihr ab um wenige Sekunden später das gleiche bei der oberen zu tun.

Als kurz darauf seine Zungenspitze leicht über meine Unterlippe leckte, konnte ich nicht anders, als den Mund langsam zu öffnen um seine Zunge willkommen zu heißen.

Doch stattdessen zog er sich wieder zurück und seine Lippen lösten sich von den meinen.

Nein, nicht aufhören! Wie gemein bist du denn?

Ich wollte ihm mit dem Kopf folgen, doch seine Hand in meinen Haaren verhinderte es.

Er blies leicht über meine feuchten Lippen, was einen wohligen Schauer meinerseits auslöste, dann berührte sein Mund wieder den meinen.

Als ich seiner Zunge diesmal Einlass gewährte, nahm er ihn auch in Anspruch und stieß leicht gegen meine Zungenspitze. Ich erwiderte diese vorsichtige Berührung, woraufhin er weiter in meinen Mund vordrang.

Während unsere Zungen miteinander beschäftigt waren, spürte ich, wie er mit den Fingerspitzen langsam über meine Kopfhaut fuhr.

Großer Gott, ich konnte mich nicht erinnern, jemals von einem Kuss so erregt worden zu sein.

Immer mit der Ruhe Angel, das ist nur ein Kuss!

Ja, aber was für einer...
 

Wieder löste er sich von meinem Mund, diesmal um mit den Lippen langsam über die Seite meines Kinns und dann an meinem Hals entlang zu fahren.

Ich konnte einen kleinen Seufzer nicht unterdrücken und spürte, wie sich seine Lippen an meinem Hals zu einem Lächeln formten.

War es normal, auf einen simplen Kuss derart zu reagieren?

Ich sollte dringend mal einen Psychiater aufsuchen...

Er hauchte mir einen sanften Kuss aufs Schlüsselbein und kehrte langsam wieder nach oben zurück. Dort angekommen umspielte er meine Zunge erneut.

Dann löste er seine Hand aus meinem Nacken und strich er mit der Zungenspitze am äußeren Rand meiner Unterlippe entlang, um danach langsam seine Lippen von den meinen zu lösen.
 

Als ich meine Augen widerstrebend wieder öffnete, befand sich sein Gesicht noch immer nur wenige Zentimeter von meinem entfernt.

Er blickte mir in die Augen und fragte mit heiserer Stimme: "Well?"

Ach, scheiß auf Prinzipien

"Hope, you fuck at least half as good, as you kiss..."