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Hard Way To Be Clean

Kapitel 2: Hard Way To Be Clean
 

Joey:
 

Ich schrie. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib, wimmerte, schlug um mich und redete leise vor mich hin, um mich abzulenken.

Es tat weh. Es zeriss mich fast. Meine Glieder schmerzten, mein Kopf brachte mich fast um.

Mein ganzer Körper zitterte und ich schwitzte.

Meine Hand verkrampfte sich in dem Bettlaken und ich warf mich unruhig hin und her.

Ich lag schon eine Nacht lang in der Psychiatrie, war fast am abkratzen, hatte das Gefühl nicht mehr zu können.

Ich weinte schon seit Stunden, war allein, fühlte mich allein und wünschte mich nicht nur einmal, zurück auf das Dach um dem ein Ende zu bereiten.

Ich konnte nicht einschlafen. Stundenlang lag ich wach, zitterte, wimmerte vor Schmerz.

Es war unbeschreiblich…diese Leere in mir, dieses Verlangen, mich erneut aus der Realität zu entziehen und einzutauchen in ein anderes Leben, in eine andere Welt.

Warum musste ich nur so blöd sein, und auf diesen scheiß Bullen hören?

Warum hat er mich nicht losgelassen?

Ja…dieser scheiß Bulle. Meine Gedanken streiften immer wieder zu ihm, zu seinem schönen Gesicht, seine beeindruckende Art, mit der er mit mir umgegangen war. Dieses sanfte Lächeln, die marinefarbenen Augen.

Er geisterte in meinem Kopf, ließ mich nicht mehr los.

Ich klammerte mich gedanklich an ihm fest, an diesem einen Gedanken, an diese eine Person, die mir mit ihrem wunderschönen Lächeln so viel halt geschenkt hatte, dass ich, sobald es mir wieder für einige Minuten besser ging, immer mehr den Drang entwickelte, nicht aufzuhören.

Die Radikale Entzugstherapie, die sie hier einsetzten, brachte mich schier um den Verstand.

Ich lehnte jegliche Schmerzmittel ab, da ich wusste, dass ich nur von einer Abhängigkeit in die Nächste geraten würde. Sie setzten mich nicht langsam von den Drogen ab, wie ich es wahrscheinlich gemacht hätte, sondern setzten mich radikal ab, ließen mich Nüchtern werden. Zwangen meinen Körper, sich wieder umzustellen.

Wieder durchzuckte mich ein Schmerz.

Ich litt. Doch irgendwo in meinem inneren, wollte ich es so!

Irgendwann in den frühen Morgenstunden, fiel ich in einen leichten, traumlosen Schlaf.
 

Als ich erwachte, zitterte ich noch immer, doch es ging schon besser. Ich fühlte mich nicht mehr ganz so schrecklich, die schmerzen hatten nachgelassen.

Sie wurden erträglicher.

Eine Schwester kam herein, und brachte etwas zu essen mit. Es war leichte Kost und sie lächelte mich an, als sie merkte, dass ich wach war.

Ob sie jeden so anlächelte? Es war nur ein aufgesetztes Lächeln, es wirkte falsch.

Nicht so wie Sams…Sam…warum dachte ich dauernd an diesen blöden Bullen? Immerhin hatte er mir die ganze Sache hier eingebrockt.

Ich verdrängte meine Gedanken, da es ja doch nichts brachte, darüber nachzusinnen.

Trotzdem fragte ich mich, ob er mich wirklich noch mal besuchen kommen würde…

Gesagt hatte er es, doch wollte ich ihn jetzt, in meinem Zustand überhaupt sehen?

Nein…ehrlich gesagt, wäre es mir lieber, er käme erst in ein paar tagen, sobald ich nicht mehr so schrecklich aussah.

Die geröteten, geschwollenen Augen, die dunklen Augenringe, die mein Gesicht krönten, die abheilende Wunde an meiner Wange, die bleiche Haut, die strähnigen Haare und der abgemagerte Körper, der zitternd und zuckend sich zusammengekrümmt auf dem Bett befand. Ich sah schrecklich aus. Mein Erscheinungsbild widerte mich selbst an, doch ich konnte nichts tun, konnte nicht aufstehen und unter die Dusche gehen, konnte mir nicht die Haare waschen oder die Zähne putzen. Ich schaffte es nicht mal bis zum Klo, so sehr zitterte ich, so schwach war ich.

Mein Leben bestand im Moment nur darin, diese Scheiß Entzugserscheinungen zu bekämpfen, sie niederzuringen und sie auszuhalten.

Um dann endlich einen Neuanfang zu starten, sobald sie mich aus dieser Scheiß Klinik rauslassen.

Verdammt, ich will hier weg.

Alles schrie in mir nach Freiheit, nach Luft. Ich spürte, wie sich meine Luftröhre zusammenzog und atmete schwer. Die Krankenschwester sprach mich an, fragte was los war, doch ich antwortete nicht, konnte sie nicht hören.

Stattdessen driftete ich langsam ab und wanderte rüber in die Welt der Dunkelheit, die Welt des Schlafens und des Träumens.
 

Ich träumte wirres Zeug. Meine Mutter kam vor, der letzte Freier den ich um Geld angebettelt hatte, Sam, der mich sanft anlächelte und die Ärzte, mit denen ich bisher zu tun gehabt hatte.

Mit meinen dreiundzwanzig Jahren, hatte ich das mit dem Schmerzmittel selbst entscheiden können. Sie hatten ein Beratungsgespräch mit mir geführt, und ich hatte mich für die harte Tour entschieden, weil diese Schneller und Effektiver ist.

Nach diesen Schmerzen, würde ich nie wieder Drogen anfassen wollen, das schwor ich mir jetzt.

Als ich erwachte fühlte ich mich immer noch schrecklich, aber wieder ein Stückchen besser als vorher. Ein Arzt hatte sich über mich gebeugt, fühlte meine Stirn, schob mir das Fieberthermometer in den Mund und fühlte meinen Puls.

Ich ließ alles klaglos über mich ergehen, versuchte krampfhaft mein Zittern zu unterdrücken, scheiterte natürlich kläglich, und fragte schließlich den Arzt: „Wie lange noch?“

Er verstand was ich meinte und sah mich abschätzend an.

„Schwer zu sagen. Ein zwei Tage. Dann bist du Clean!“

Ich nickte, bereute meine Frage. Ich hätte sie nicht stellen sollen. Jetzt fühlte ich mich noch Elender.

Ich hatte gerade mal einen Tag hinter mich gebracht. Wenn noch zwei weitere Folgen sollten, traute ich mir zu, den Arzt doch noch anzubetteln, er solle mir irgendwas in die Venen schießen, Hauptsache diese schreckliche, verzerrende Kälte in meinen Gliedern und der Druck in meiner Brust verschwand.

Doch ich tat es nicht. Ich wollte es diesen blöden Weißkitteln zeigen, ihnen beweisen, dass ich es schaffen konnte, ohne ihre Scheiß Drogen, die sie mir verabreichen würden, um mich von einer Abhängigkeit in die nächste zu schicken.

Ich wollte stark sein!
 

Als es abends wurde, ich schließlich wieder allein war, und einsam in meinem Bett lag, mich fast nicht Rühren konnte, und mich nach Gesellschaft sehnte, gab ich auf.

Ich gab innerlich auf, wollte die Spritze, wollte nicht mehr einen auf Stark machen.

Stattdessen wollte ich lieber schmerzlos überwechseln in die Abhängigkeit an Schmerzmitteln. Diese Idee fand ich wesentlich angenehmer, als hier, alleine, einsam und voller Schmerz liegen zu müssen, Zittern zu müssen und es fast nicht aushalten zu können.

Doch ich war zu schwach, konnte meinen Arm nicht mal bis zum Hilfeknopf bewegen. Ich war wie gelähmt, schaffte es gerade noch, mich ab und zu von einer Seite zur anderen zu wälzen. Der Hilfeknopf war zu weit weg, stellte für mich eine wahre Herausforderung da.

Also ließ ich es, wimmerte die Nacht durch, versuchte mich in den Schlaf zu weinen.

Doch ich konnte es nicht. Ich konnte nicht schlafen, geschweige denn mich ausruhen.

Stattdessen lag ich wach und versuchte die Schmerzen auszuhalten, die meinen Körper durchzuckten, wie scharfe Blitze. Mein Körper schrie nach den Drogen, er schrie nach einem Schuss. Ich versuchte es zu ignorieren, wärmte mich mit dem Gedanken an meinen Lebensretter, stellte mir vor, wie ich ihm mit der Faust ins Gesicht schlug und ihn Anschrie und verfluchte für seine tolle Aktion, mit der er mir nun dieses Leid eingebracht hatte.

Ich verfluchte mich selbst, für meine tollkühne Idee, auch mal ein paar Drogen auszuprobieren, verfluchte mich selbst für zwei Jahre Abhängigkeit, verfluchte mich dafür, dass ich dem Drang, immer mehr zu nehmen nicht hatte ausweichen können.

Ich hasste mich.

Ich hasste Sam, ich hasste meine Mutter… Ich hasste diese Scheiß Weißkittel um mich herum, die sich wahrscheinlich hinter meinem Rücken den Arsch ablachten. Sie lachten wahrscheinlich über die Stärke die ich zeigen wollte, lachten über mein gezwungenes Gesicht, meinen gescheiterten Selbstmordversuch. Sie lachten bestimmt über die vielen kleinen Wunden, die ich mir selbst zugefügt hatte, die Narben, die alle eine Geschichte erzählten.

Sie lachten über mich…Ich war mir sicher…und ergötzte mich bei der Vorstellung sie alle zu vermöbeln, sobald es mir besser ging, und sie nicht auf den Gedanken kamen, mich in eine Zwangsjacke zu stecken.

Wie sehr wünschte ich mir ein Messer. Hätte ich eines gehabt, und hätte ich die nötige Kraft mobilisieren können, hätte ich gleich mit den Pulsadern weiter gemacht. Oder ich hätte mir das Messer gleich ins Herz gerammt, dann wäre es noch schneller gegangen.

Sich dabei zuzusehen, wie man verblutete, fand ich doch etwas zu crazy.

Zu springen, hatte seinen Reiz gehabt. Die wenigen Augenblicke in der Luft, das Gefühl fliegen zu können.

Bis zum Aufprall…Vor dem hätte ich Angst gehabt. Was wäre gewesen, wenn ich auf einen der kleinen Menschen gefallen wäre, die unter mir vorbei gelaufen sind? Hätte ich ihn umgebracht und mit in den Tod gerissen? Das hätte ich nicht gewollt. Ich wollte nicht zum Mörder werden. Ich wollte höchstens bei mir selbst zu einem werden. Doch andere zu töten war nicht meine Absicht.

Weshalb ich auch wollte, dass Sam dieser Idiot mich los ließ. Was wäre gewesen, wenn sein Partner nicht dabei gewesen wäre. Wäre er mit in die Tiefe gestürzt? Oder hätte er mich losgelassen?

Sein Gesicht war so ernst gewesen. Es hatte mich beeindruckt, wie er mit mir geredet hatte. Er hatte mich nicht wie ein Kleinkind behandelt…sondern wie einen vollwertigen Menschen. Er hatte mir das Gefühl gegeben, wichtig zu sein.

Das Gefühl einen Sinn zu haben. Das Gefühl, dass es jemanden gab, dem etwas an mir lag. Dabei kannte mich Sam doch gar nicht.

Er hatte keine Ahnung was für ein Mensch ich war. Außer das ich in meinem Leben schon an einen Punkt angelangt war, in dem für mich alles zu ende war.
 

Die ganze Nacht über lag ich wach. Schließlich schaffte ich es doch noch, einzuschlafen. Irgendwann in der Früh war ich endlich weg.
 

Trotzdem schlief ich nicht lange. Ich wachte schon bald wieder auf, hatte Krämpfe in den Muskeln, fühlte mich schwach und zittrig.

Wieder tauchte die Krankenschwester auf, stellte mir ein Tablett neben das Bett. Ich rührte es nicht an. Allein der Gedanke an Essen brachte mich zum würgen.

Sie hatte wieder dieses falsche Lächeln aufgesetzt, dass mich erschaudern ließ. Sind alle Menschen hier wie Marionetten?

Als sie wieder weg war, musste ich nicht lange warten, und der Arzt kam herein. Wie am Vortag fühlte er meinen Puls, leuchtete mir in die Augen, was mich schrecklich blendete und mich zusammenzucken ließ, steckte mir das Fieberthermometer in den Mund und sah mich besorgt an.

Schließlich ging er kurz aus dem Raum, kam dann wieder mit einer Spritze in der rechten Hand.

Erstaunt sah ich ihn an.

„Was soll der scheiß?“ fragte ich ihn aufgebracht.

Er schob mir das T-shirt auf der Seite hoch und wollte mir die Flüssigkeit in den Arm jagen, doch ich riss mich los und schlug nach ihm.

„Verpissen sie sich! Ich will kein so n scheiß ding.“, schrie ich ihn an und versuchte auszuweichen, als er sich erneut meinem Arm nähern wollte.

„Das ist nur ein Schlafmittel. Du quälst dich, Jeffrey. Du machst dich nur selbst fertig.“

Ich schüttelte wild mit dem Kopf und schlug seine Hand weg.

„Labern sie keinen Scheiß und lassen sie mich in ruhe, mit ihren scheiß Drogen. Ich will das verdammt noch mal nicht.“

Er drückte auf einen Knopf direkt neben dem Bett und zwei Krankenpfleger stürmten hinein.

„Ich gebe dir jetzt dieses Schlafmittel und dann schläfst du ein paar Stunden durch. Wenn du aufwachst wirst du froh sein, dass ich dir das Zeug gegeben habe. Es wird dir besser gehen.“

„Verdammt!“, schrie ich aus und schlug nach dem Krankenpfleger der mich festhalten wollte.

Er wich mir mühelos aus, packte meine Arme und presste sie tief in das Kissen. Ich konnte mich nicht wehren, war ohnehin zu schwach, durch die Entzugserscheinungen.

Der andere packte mich an den Beinen und sie hielten mich ruhig.

Ich schrie wie am Spieß wollte mich immer noch wehren, doch der Arzt jagte mir mühelos das Zeug in den Arm und gebot den Krankenpflegern, mich wieder loszulassen.

Sie ließen von mir ab und ich wollte erneut den Arm heben, um diesen Typen zu schlagen, doch ich war zu schwach.

Langsam driftete ich ab, spürte die Müdigkeit noch mehr als vorher, schloss schließlich die Augen und schlief ein.
 

Als ich erwachte, ging es mir tatsächlich besser. Die Schmerzen hatten nachgelassen und ich sah alles wieder etwas klarer. Mein Puls jagte immer noch, und ich zitterte noch leicht, doch es war nicht mehr so schlimm. Zu meinem Erschrecken musste ich feststellen, dass sie meine Arme an den Seiten des Bettes festgebunden hatten.

Verdammt…was sollte der Scheiß?

Ein mir unbekannter Mann saß neben meinem Bett und lächelte mich an.

Ich sah ihn verwirrt an, stellte schließlich fest, dass er ebenfalls einer der Weißkittel war. Zu welcher Kategorie konnte ich noch nicht sagen.

Als er zu Sprechen anfing, bemerkte ich es sofort.

Seelenklempner. Hatten sie also endlich einen für mich engagiert.

Klasse!

Ich lauschte seiner ruhigen, offenen Stimme, schüttelte allerdings nachdrücklich mit dem Kopf, als er fragte, ob ich Lust hätte mit ihm zu reden.

Im leben nicht.

Doch nicht mit so nem Psychoheini, der allem Anschein nach selber einen an der Klatsche hatte, wenn er an so einem Ort, freiwillig arbeitete.

„Es ist wichtig, Jeffrey, dass du mit uns sprichst. Wir können dir helfen, erstens. Wieder Boden unter den Füßen zu erlangen und zweitens: Deine Freiheit wiederzuerlangen.“

„Ich denke nicht, dass das nur halb so wichtig ist, wie sie denken. Mein Leben geht in diesem Gebäude nur eine Person etwas an, und die bin ich. Falls sie sich fragen, ob ich in unmittelbarer Zeit, erneut versuchen sollte, mich umzubringen, dann hier meine Antwort: Nein! Doch ich werde weder über mich reden, noch über meine Kindheit, oder über die Sache vom Dach. Kein Interesse. Ganz ehrlich, ich will einfach nur schnell wieder hier raus.“

Meine Stimme war leise, fast nur ein flüstern. Ich war etwas heißer, vom vielen Schreien der letzten zwei Nächte, fühlte mich immer noch erschlagen und immer noch ziemlich scheiße. Auch musste ich mich erst an das Gefühl gewöhnen, dauerhaft nicht auf einem Trip zu sein, sondern das Leben in vollen Zügen mitzubekommen. Es war ungewohnt, aber bis jetzt mal noch nicht vollkommen ungewollt.

„Um hier schnell rauskommen zu können, wirst du mit uns kooperieren müssen. Dazu zählt auch, dass wir ergründen müssen, was deine Psychische Verfassung angeht. Deine Körperliche dazu. Du bist unterernährt, wiegst viel zu wenig. Was ist wenn du hier raus kommst? Was machst du dann?

Erneut so lange scheiße Bauen, bis du wieder auf einem Dach stehst?“

Ich schüttelte entschieden mit dem Kopf.

„Ich suche mir einen Job, werde versuchen mein Leben in den griff zu kriegen, und vielleicht in eine andere Stadt ziehen. Dann werde ich mir eine Freundin suchen und mein Leben genießen.“

„Das hört sich gut an, aber denkst du, es ist so einfach, wie du es dir vorstellst?“

„Nein, natürlich nicht. Doch ich werde das hinkriegen. Ich hab es jemandem versprochen.“

„Wem?“

„Mir selbst.“

Ich lächelte leicht.

„Du denkst, dass das reicht?“

Verwundert sah ich ihn an. „Klar. Wenn ich an mich selbst glaube, dann reicht das.“

Er sah mich abschätzend an. Sonderlich überzeugend fand er meine Worte wohl nicht…

Ich zuckte leicht mit den Schultern, was etwas schwierig war, durch die Fesseln.

„Weshalb wurde ich gefesselt?“ fragte ich müde.

„Du bist ausgerastet, also hat dein Arzt entschieden, dich vorerst festzumachen. Zur Sicherheit, für dich und für die Angestellten.“

Ich lachte leise und zynisch auf.

„Was denkt er? Dass ich mich selbst schlage?“

„Ja…Sieh deine Arme an. Es ist eindeutig, was du getan hast. Du hast viele Narben an deinem Körper. Alle zeugen davon, dass du dir selbst schmerzen zugefügt hast.“

„Und selbst wenn. Das ist ja wohl nicht strafbar oder?“

Langsam machte mich dieser blöde Heini wütend. Was sollte der Scheiß? Sie sperrten mich an, weil ich ein paar Narben an den Armen hatte.

Was geht ab?

„Nein ist es nicht. Aber es ist gefährlich für dich.“

Ich lachte hysterisch.

„Für mich gefährlich? Es gibt schlimmeres.“

„Was denn zum Beispiel?“

Ich schwieg…mir fiel nichts ein.

Ich war zu müde…zu kaputt. Ich wollte schlafen und mich nicht mit so einem dämlichen Hirndoktor unterhalten.

„Machen sie sich aus dem Staub. Tun sie mir den gefallen, und verschwinden sie.“

Verwundert sah er mich an.

Dann lächelte er leicht und stand auf.

Tatsächlich ging er zur Tür und verschwand.

Beruhigt versuchte ich mich zu entspannen und schloss die Augen.
 

Als ich erwachte, hatten sie meine Fesseln gelöst. Erleichtert sah ich mich um. Ich entdeckte eine Videokamera und grinste leicht.

Von einer Überwachung zur nächsten.

Keine schlechte Idee.

Zum ersten Mal fühlte ich mich relativ gut. Die Kopfschmerzen waren zwar nicht weg, doch ich zitterte nicht mehr am ganzen Leib. Auch dieses leere, drückende Gefühl ihm Magen war fast abgeklungen. Meine Augen schmerzten leicht, doch es war auszuhalten. Gesamt gesehen, fühlte ich mich relativ gut.

Es war eigenartig. Meine Denkkapazität war so groß, wie schon seit Wochen nicht mehr. Ich fühlte mich eigenartig frei, auf der anderen Seite fühlte ich mich eingeengt. Hatte nicht mehr das Gefühl abheben zu können.

Vor allem jedoch fühlte ich mich ausgelaugt und einsam. Ich war schrecklich einsam…

Ich sah zum Tisch und entdeckte ein Tablett. Leichte Kost.

Seit Tagen hatte ich nichts gegessen. Auch jetzt verspürte ich nicht den Drang, etwas zu mir zu nehmen. Wann die Ärzte wohl darauf aufmerksam werden würden…

Ob sie mich zum Essen zwingen werden?

Ruhig blieb ich liegen, als sich die Tür öffnete und mein Arzt den Raum betrat.

„Na, hast dich wieder beruhigt?“ fragte er leise, kontrollierte Puls und Temperatur und sah kurz zu dem Tablett.

„Du isst nichts, wie ich sehe. Wann hast du das letzte mal richtig gegessen?“

Ich überlegte ernsthaft, ob ich den Tag noch wusste…nein…ich hatte es vergessen.

„Weiß nicht mehr.“, flüsterte ich und drehte mich von ihm weg, auf die andere Seite.

„Was macht der Entzug.“

„Mir geht’s gut.“

„Dann iss etwas.“

Ich schüttelte leicht mit dem Kopf und schloss die Augen. Ich wollte wieder schlafen.

„Hast du den Drang, nach einem Schuss?“ fragte er weiter.

Ich überlegte kurz, schüttelte dann erneut mit dem Kopf

„Gut…ich lass dich jetzt in Ruhe. Wenn du morgen wieder nicht isst, werde ich mir überlegen, dich an einen Tropf zu hängen.“

Ich sagte nichts, ignorierte ihn einfach.

Schließlich hörte ich, wie die Tür ins Schloss fiel und entspannte mich wieder leicht.

Morgen also…
 

Ich versuchte zu schlafen, konnte es aber nicht. Langsam wurde ich noch verrückt. Warum konnte ich nicht einfach die Augen zu machen und wegtreten?

Mir fiel auf, dass ich sonst immer kurz nach einem Schuss weggetreten war. Wann war ich das letzte Mal von ganz allein eingeschlafen, ohne Hilfe, durch Tabletten, Alkohol oder einen Schuss?

Ich wusste es nicht mehr.

Mein Gott, Joey, was hast du die letzten Monate eigentlich getan? Mein Leben war ein einziger Trümmerhaufen.

Und du willst an dich glauben? Tadelte ich mich in Gedanken.

So ein dämlicher Spruch…

Es reicht wenn ich an mich glaube…pff…das war eindeutig nur Wunschdenken.

Plötzlich öffnete sich die Tür. Kurz überlegte ich, aufzusehen, um festzustellen wer jetzt schon wieder kam von diesen Blöden Heinis, entschied mich dann dagegen. Der Aufwand war mir zu groß. Ich wollte meinen Kopf nicht übermäßig belasten…ich genoss es, ausnahmsweise mal zu liegen, ohne vor Schmerzen fast umzukommen.

Die Person, die mein Zimmer betreten hatte, kam näher und setzte sich auf den Stuhl, direkt neben meinem Bett. Ich hörte, wie etwas auf den Tisch gestellt wurde und überlegte, um was es sich handeln könnte.

„Schläfst du, Kleiner?“ ertönte plötzlich eine sanfte, ruhige und angenehme Stimme in meinem Rücken.

Verwundert riss ich die Augen wieder auf und drehte mich ungläubig um.

Tatsächlich.

Sam.
 

Sam:
 

Langsam machte er sich auf den Weg, zu der Zimmernummer, die ihm die Frau an der Rezeption zugewiesen hatte. Er sparte sich, zu klopfen und trat ein.

Das Zimmer war nicht sonderlich groß. Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl und ein Waschbecken. Eine Tür führte zu einem kleinen Bad, mit einer Dusche und einer Toilette. Die Tür stand offen, doch Sam zollte dem Bad nicht mehr Beachtung, sondern wandte sich zum Bett, auf dem eine abgemagerte, fast schon zierlich wirkende Person lag, dem Zimmer den Rücken gewandt.

Sam trat näher an das Bett, stellte die Blumen auf den kleinen Tisch und setzte sich auf den Stuhl.

Er rückte näher an das Bett heran und sah auf den unterernährten, kleineren Körper, der in einem Weißen Schlafanzug steckte.

Auch der Rest des Zimmers war in weiß gehalten. Die Wände, der Linoleumboden, die Lampe, der Tisch, der Stuhl, das Bettlaken.

Alles weiß.

Joey schenkte ihm keine Beachtung. Ob er schlief?

Seine Atmung war relativ ruhig und gleichmäßig, er zitterte nicht.

Ob er den Entzug schon überstanden hatte?

„Schläfst du, Kleiner?“ fragte er schließlich leise.

Joey bewegte sich etwas, drehte sich dann zu ihm um, und sah ihn aus großen, ungläubigen Augen an.

„Sam.“ Stellte er fest und lächelte ihn an.

Er drehte sich nun vollends zu ihm um und sah ihn an. Sam betrachtete das Gesicht seines Gegenübers und stellte beruhigt fest, dass dieser besser aussah, als noch vor zwei Tagen.

Sam war schon vor zwei Tagen kurz hier gewesen, doch sein kleiner Junky hatte geschlafen.

Joeys Haut wirkte nicht mehr so bleich, die Augenringe waren nicht mehr so extrem, und die Augen waren nicht mehr ganz so gerötet.

Sam lächelte ebenfalls und deutete auf die Blumen.

„Hab dir Blumen mitgebracht. Ich dachte mir, so sieht es hier nicht mehr ganz so trostlos weiß aus.“

Joey nickte etwas perplex und starrte kurz zu den Blumen, die in einer kleinen Porzelanvase standen.
 

Joey:
 

Ich freute mich riesig. Dass Sam wirklich gekommen war, bedeutete mir unendlich viel.

Jetzt saß er schweigend und etwas unbeholfen auf dem Stuhl und sah mich an.

Ich spürte seinen Blick im Gesicht und auf meinem Körper.

Er schien mich genau zu analysieren und meinte schließlich: „Joey, wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?“

Ich stöhnte leise und drehte meinen Kopf für einen Moment weg.

„Keine Ahnung. Muss mich jeder damit nerven?“, ich strich mir mit dem Arm kurz über die Stirn, und spürte plötzlich eine Hand, die sich um mein Handgelenk schloss.

Sam zog meinen Arm zu sich und besah sich meine abheilenden Einschnitte auf dem Unterarm. Ich sah ihn nicht an, spürte seinen Blick genau, wollte aber nicht darüber reden.

Schließlich wurde sein Griff lockerer und ich befreite mich.

Ich wandte meine Augen wieder zu ihm und er lächelte mich leicht an.

„Wie geht’s dir?“ fragte er leise.

Ich nickte vage.

„Es geht. Den Umständen entsprechend.“

„Hast du den Entzug gut überstanden?“ fragte er leicht besorgt weiter.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ich hab gedacht, ich würde es nicht schaffen. Aber nachdem der Arzt mir ne Schlaftablette gegeben hatte, hab ich geschlafen wie ein Stein, und bin schließlich halbwegs ruhig aufgewacht heute Morgen.“

Er nickte.

„Hast du noch Schmerzen?“

Ich schüttelte leicht mit dem Kopf.

„Nein, fast keine. Alles relativ okay.“

„Dann bin ich ja beruhig.“

Ich lächelte ihn leicht an und nickte.

Wieder schwiegen wir kurz. Es war komisch, eigentlich kannten wir uns nicht, doch ich hatte trotzdem das Gefühl, mit ihm schon sehr vertraut zu sein.

Er schien sich ähnlich zu fühlen.

„Dein Arzt hat gesagt, du willst nicht mit dem Psychiater reden?“ fragte er leise.

„Nein, will ich nicht.“

„Woran liegt das?“

„Ich möchte nicht, dass er alles erfährt…aus meinem bisherigen leben.“

„Aber er möchte dir doch nur helfen.“

„Das sagen sie doch alle. Lass uns über was anderes reden, ja? Ich will nicht, dass du mir jetzt auch noch Vorhaltungen machst.“

Meine Stimme war immer noch müde. Ich klang erschöpft und ausgelaugt.

Sam merkte das und nickte schließlich.

„Hast du eigentlich eine Freundin?“ fragte ich ihn und lächelte leicht.

„Nein. Und wenn ich eine Beziehung hätte, dann sicher nicht zu einer Frau.“

Erstaunt sah ich ihn an.

„Bist du ein Mönch?“ fragte ich ihn verwundert.

Er lachte leise und schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Schwul!“

Ich grinste breit. „Achso…ich dachte schon.“

Etwas unsicher grinste er zurück.

„Kein Problem damit?“

Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. „Warum sollte ich? Ist doch okay.“

Er nickte etwas erleichtert und wir redeten ein bisschen über das Wetter, die Klinik, die Stadt…

Eigentlich war es eher so, dass er redete und ich ihm zuhörte. Ab und zu meine Meinung sagte, doch die meiste Zeit schwieg.

Ich war zu müde, zu kaputt. Wollte erst mal wieder richtig auf die Beine kommen, bevor ich mich durchs Reden noch verausgabte.

Sam schien das nichts auszumachen. Er redete gerne und viel, erzählte ein bisschen was von sich, und half mir damit ungemein.

Als er zwei Stunden später ging, fühlte ich mich auch seelisch gut.

Dass er gekommen war, hatte mir total geholfen. Ich hatte das Gefühl, zum ersten Mal seit zwei Jahren, ohne Drogen wieder ein bisschen glücklich zu sein.

Sam hatte versprochen wiederzukommen.

Ich freute mich jetzt schon auf seinen Besuch.

Hoffentlich durfte ich bald hier raus.
 

Meine Hoffnung schwand bald. Mein Arzt sagte mir am nächsten Tag, er würde mich frühestens in drei Wochen entlassen. Mein Psychologe sagte, ich käme gar nicht hier raus, wenn ich nicht mit ihm redete. Meine Krankenschwester traute sich nicht, mir ein Messer neben das Besteck zu legen.

Und die Videokamera lief Tag und Nacht, beobachtete mich, so dass ich mich nicht mal umziehen wollte.

Man hatte das Gefühl, die ganze Welt sah einem dabei zu, wie man sich langsam das Hemd überstreift.

Whaaah. Keine schöne Vorstellung.
 

Trotz der immer noch leichten Schmerzen, stand ich schließlich an meinem vierten Aufenthaltstag auf, und tappte unsicher zum Bad.

Ich klingelte nach keiner Schwester, wollte das alleine schaffen.

Als ich fertig war, ging ich langsam wieder zurück und setzte mich in mein Bett. Ich zog die Beine an, und schlang die Arme drum herum. Dann legte ich meinen Kopf auf die Knie und schloss die Augen.

„Essen, Joey…komm schon…Essen.“, ging es mir durch den Kopf.

Schließlich sah ich auf, beugte mich ein Stück vor und griff nach dem Apfel, der auf dem Tablett lag.

Langsam führte ich ihn zum Mund und biss einmal ab.

Ich kaute kurz und würgte den Bissen dann runter.

Okay…es ging. Dann noch mal…dachte ich.
 

Ich schaffte den halben Apfel runterzuwürgen, dann wurde es mir zu viel. Bevor ich das Gefühl hatte, mir käme das Ding wieder hoch, legte ich ihn zurück auf das Tablett.

So…nun konnte der Arzt sich wirklich nicht bei mir beschweren. Ich hatte mich echt angestrengt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
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Von:  Dayce
2008-04-23T17:06:21+00:00 23.04.2008 19:06
So nun habe ich weitergelesen und ich bin immer noch begeistert. Das mit dem Entzug war hart, aber gut beschrieben. Joey`s Gedanken waren sehr gut nachvollziehbar, und auch der innere Konflikt mit sich selbst kommt sehr gut rüber. Den man liesst raus das er eigentlich nicht sterben will, oder zuviel Angst hat sich umzubringen. Auf der anderen Seite weiss er aber nicht wie es weitergehen soll, oder was sein Leben noch bringen kann.
Das mit dem Arzt nun gut, einfach so gegen den Willen ihm eine Spritze zu geben, ist so ne Sache aber nachvollziehbar.
Mit Sam das ist wohl schon sowas wie ne Seelenverwandschaft, und das Gespräch war niedlich. Joey hat sich sehr über die Aufmerksamkeit gefreut, und das mit der Freundin bzw. das er Schwul ist war kurz zum schmunzeln.
Aber ich gehe jetzt mal zum nächsten, bis den!
Von: abgemeldet
2006-07-08T08:59:13+00:00 08.07.2006 10:59
soooooooooo...gibs zu..du brauchst mein kommi..ohne mich würdest du nie wieder schreiben können*lach*neee..joke..lach..ich frag mich jedes mal wie du auf diese ideen kommst*seufz*
das ist unglaublich..wag es ja nicht uns so lange warten zu lassen auf das nächste pitel..klar!*daumendrück*


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