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Ausblick auf die Zukunft

Der ganz alltägliche Wahnsinn
von

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Eine Situationsbeschreibung

Seine grünbraunen Augen sind nicht auf mich gerichtet. Er ist in irgendetwas vertieft, das er jeden Tag tut. Er ist in irgendetwas vertieft, das jeden Tag getan werden muss. Seine Augen sind nicht auf mich gerichtet, und doch spüre ich seine Blicke. Er hatte mal gefragt: „Du bist ganz schön sparsam mit Gefühlen, oder?“ Das war damals völlig zusammenhangslos. Ist jemand sparsam mit Emotionen, der eben jene für sich behält statt andere damit zu belasten? Keine Ahnung, wusste er auch nicht, noch ein bisschen herumgedruckst, das war’s. Inzwischen hat sich der Wind ein wenig gedreht. Ich bin in einer Situation, der er nicht traut, obwohl die Beteiligten auch für ihn viel gutes gebracht hatten. Er will es leider nur nicht wahrhaben. Er misstraut der Situation und das scheint auch Grund genug für ihn zu sein, auch mir das Vertrauen zu entziehen. Er sollte es besser wissen.
 

„Ist was?“ Seine grünbraunen Augen schauen mich über die zwischen uns stehende Mauer aus Flachbildschirmen an und seine Stimme ist zwar freundlich wie immer, aber irritiert. Hab ich ihn angestarrt? Das passiert in letzter Zeit immer häufiger, nur merkt er es sonst nicht. Ich schüttele also gewohnheitsgemäß den Kopf. Was soll schon sein, außer dass ich es schade finde um vergangene Phasen der Freundschaft? Nein, denn so wie er manchmal schaut, denkt er genauso und geht davon aus, dass es mir ebenso geht. Wozu bestätigen? Wir beide wissen, dass es schade ist. Wir beide wissen, dass irgendetwas passiert ist, das kein Zurück gestattet. Es war nicht greifbar, aber wir haben beide mit vereinten Kräften den Fluchtweg verschüttet. Was aber ist passiert? Der Eindruck, der sich bei mir mehr und mehr manifestiert, ist jener, dass er mich gern mehr in seiner Hand hätte. Immer wieder versucht er, mich zu manipulieren, in wie weit ich dann auf die gewünschte Art und Weise reagiere. Nur bei Kleinigkeiten, versteht sich. Doch der tiefere Sinn seines Spielchens ist mir bislang verborgen geblieben. So lasse ich mir auf diese Weise auch nicht viel von ihm sagen, auch wenn ich merke, dass ihn das wenig freut. Ich gehe meinen Weg, sollte ich einen Wegweiser benötigen, melde ich mich schon. Bislang hat sich diese Vorgehensweise noch immer bewährt, auch wenn viele den Weg nicht einsehen können und zu kurzfristig zu denken scheinen. Bis er jedoch die se kleinen Manipulationsversuche aufgegeben hatte, war er ein guter Freund. Ab und an packt es ihn erneut und er probiert es wieder, aber die kleinen Lenkversuche sind vergeblich. Er könnte auch versuchen, einer Mauer tanzen beizubringen. Früher wie heute konterte ich diese Aktionen mit zumeist charmanter Enttarnung derselben, so blieb es ausgeglichen. Doch zuletzt wurde er distanzierter - auch seltsamer, wie andere von sich aus mit ihren Aussagen unbewusst bestätigten – und machte sich zunehmend Gedanken um seine Zukunft hinter diesem Flachbildschirm. So traf er Vorkehrungen, die überhaupt noch nicht notwendig oder wenigstens sinnvoll in dem Moment waren und wie es schien schloss mich soweit er konnte aus seinem Leben aus.
 

Seine grünbraunen Katzenaugen sind wieder auf den Bildschirm vor sich gerichtet. Wir sollten mehr unternehmen, fällt mir in dem Moment ein. Vielleicht ist der Fluchtweg aus der Kälte doch noch nicht ganz verschüttet. Und dann drängt sich die Frage auf, ob das mühselige Freischaufeln überhaupt so klug wäre. Könnte ich ihm gegenüber so sein wie immer, obwohl ich schon von seinem drohenden Ende weiß? Er selbst weiß es nicht, soviel ist sicher. Würde er es ahnen oder gar wissen, würde er mich wieder ausfragen über Dinge, über die ich nicht sprechen darf, schon gar nicht mit ihm. Er würde es versuchen, ebenso wie er die Manipulationsversuche wiederaufnehmen würde. Nur dass es dieses Mal nicht mehr nur um Kleinigkeiten ginge. Und so würde er abprallen und schmollen und seine Gedanken führten in eine völlig falsche, aber ebenso unschöne Richtung. So kann ich es ihm nicht sagen, es betrifft ihn zu stark und erzählte ich es doch, wäre meine Zeit noch vor der seinen abgelaufen. Außerdem würde er mich hassen und bagatellisieren, wo er nur könnte, ich bin schließlich diejenige, die allein durch ihre Anwesenheit sein Ende überhaupt erst ermöglicht. Dabei konnte ich nicht einmal etwas dagegen oder dafür tun, stattdessen werde ich bald seine und meine Nachfolger anzüchten müssen. Mein Verschwinden aus jener Umgebung war von vornherein nur eine Frage der Zeit gewesen war. Ich wusste das. Ich war nur vorübergehend geplant, Wissen sammeln und an unsere Nachfolger weitergeben, das war der Grund, warum ich überhaupt in seinem Umfeld bin. Er weiß das ebenfalls. Nur glaubt er sogar noch an eine Verbesserung seiner Situation, obwohl er sich mehr und mehr demontiert, Steine in den Weg legt, statt sie zum Brückenbauen zu verwenden. Die letzten paar Brücken, die er noch hat, werden auch bald einreißen, es ist absehbar. Auch das schmerzt. Ich bewundere Ärzte, die ihren Patienten beibringen können, dass diese an einer tödlichen, äußerst schmerzhaften Krankheit leiden und daran selbst schuld sind. Meine Helden darunter sind jene Mediziner, deren Schützlinge nicht in ein schwarzes Loch fallen oder dem Arzt Vorwürfe an den Kopf werfen und trotzdem realistisch mit der Situation umgehen und das Leben noch genießen können. Ich könnte es wohl nicht. Und so sitzen wir zwei Meter voneinander entfernt gegenüber und schauen durch uns hindurch.



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