Doubtful 2/7
Kapitel 62:
Doubtful
Samstags - gegen 14:20h
Namis Sicht
Mit klopfendem Herzen setzte ich mich auf die Parkbank und schnaufte einmal durch. Das Wetter war
mild und es kamen regelmäßig Leute an mir vorbei. In Klauen war ich schon immer eine Expertin
gewesen, aber da mein ’Opfer’ dieses Mal Sanji war, fand ich nicht so prickelnd. Aber was hätte ich
andres tun sollen, denn von sich aus hätte er mir nie etwas von sich erzählt. Solange ich das Buch
rechtzeitig zurück in Sanjis Wohnung schmuggelte, war es ja okay. Ich griff auf solche Mittel zurück, da
ich keinen anderen Weg gesehen hatte, und ich würde es jetzt schnell lesen, dann zurückbringen, bevor
er es merkte. Mit dem Gedanken, was er nicht wusste, konnte ihn auch nicht heiß machen, konnte ich
mein schlechtes Gewissen befriedigen. Ich holte das Buch raus und legte es auf meinen Schoß. Das eine
Foto, was ich schon mal zu Gesicht bekommen hatte, hing halb unten raus, das lag wohl total lose drin.
Ich holte mir die Pinzette aus dem Geldbeutel und nahm mir das blöde Schloss vor. Ich drehte einige
Zeit daran rum, bis irgendwann das siegreiche Geräusch ertönte und das Buch zum Öffnen nur noch
aufgeschlagen werden musste.
Also schlug ich neugierig die erste Seite auf, doch da war alles ganz schön verschmiert. Mit Bleistift war
öfters etwas vorgeschrieben und wieder wegradiert worden, aber was da gestanden hat, wusste ich
nicht. Ich blätterte die nächste Seite um, wo auch schon Bilder zu sehen waren, auf allen vieren war
Seulgi drauf. Hatte er ein Fotoalbum von ihr angelegt? Auf dem einen Bild war sie mit Sanjis Mutter zu
sehen und beide hatten ihren Arm um die Schulter des anderen gelegt, auf dem Foto daneben saß sie
am Computer, sah jedoch lächelnd in die Kamera, auf einem trug sie einen Bademantel und saß auf
dem Bett, auf dem Letzten schnitt sie eine lustige Grimasse. In der Hoffnung, auf der nächsten Seite
andere Bilder zu sehen, blätterte ich um, doch schon wieder waren ausschließlich Bilder von seiner
Stiefschwester zu sehen. Noch mehr Fotos, wo sie im Bademantel Sitzposen machte, und so langsam
fragte ich mich echt, was das sollte! Wieder blätterte ich um, da war ein Bild, wo man ihre Augen ganz
nahe sah und dann einige Bilder, wo sie in einem schönen Sommerkleid vor Kindern in der Hocke saß
und sich um sie kümmerte. Dann Bilder, wo sie mit Winterjacke in der Stadt rumlief, dann welche in
einem Herbstwald beim Spaziergang, auf keinem Bild, bis auf dem ersten, sah ich eine andere
erwachsene Person, geschweige denn den großen, blondhaarigen, alten Mann vom Krankenhaus. Also
hatte er die ganzen Fotos so gemacht, dass sie niemand zu sehen gekriegt hatte. Und da Sanji auf
keinem Bild zu sehen war, hatte er sie geschossen und logischerweise ins Buch hier reingeklebt. Aber
was verdammt noch mal sollte das!? Wenn ein Junge so ein Buch anlegte, dann nur für seine Freundin
oder heimliche Liebe, oder als Äußerstes noch als Geschenk, aber nicht einfach so als Tagebuch. Und
wenn es ein Geschenk gewesen wäre, wäre es doch nicht mehr in seinem Besitz, oder? Oder konnte er
es Seulgi nicht mehr geben, weil sie sowieso blind war? Mir kam das alles ziemlich unwirklich vor und
ein flaues Gefühl breitete sich in mir aus. Okay, ich verstand, wieso er es mir nicht zeigen wollte, aber
was hatte das nur zu bedeuten? Wenn ich nicht wüsste, dass die beiden stiefverwandt sind, hätte ich
klipp und klar gesagt, dass er in sie verliebt war... wobei das doch möglich war... aber das traute ich
ihm gar nicht zu. Nein, so war Sanji nicht drauf, seit ich ihn kannte war er immer auf alle möglichen
Mädels fixiert und erst durch mich treu geworden. Oder?
Wieso konnte mir nicht einfach einer sagen was los war? Ich wusste nicht, von wem ich hätte Auskunft
kriegen sollen und seufzte wegen meinem gescheiterten Versuch. Ich würde das Buch zurück zu Sanji
bringen, bei ihm klingeln und sagen, ich hätte etwas bei ihm vergessen und falls er kurz weggegangen
sein sollte, würde ich den Schlüssel nehmen und mir selbst aufschließen. Ein ganz einfacher Plan. Ich
wollte mich schon auf den Weg zu ihm machen, doch dann kam mir erneut eine Idee. Ich könnte zu
Seulgi gehen, vielleicht war ihr Vater ja dieses Mal nicht da, und würde genau das machen, was ich mir
schon das letzte Mal vorgenommen hatte. Mit neu gefasstem Mut machte ich auf der Stelle kehrt, lief
zur Bushaltestelle und erstmal im Bus drinnen, sah ich mir die ganzen Fotos noch mal an. Schon
seltsam, dass Sanji so etwas gemacht hatte, es stand nicht mal Text oder so dabei, wann und wo die
Bilder aufgenommen wurden. Aber sie sah da noch jünger aus, also war es schon eine Weile her. Sie
musste da so um die sechzehn gewesen sein, auf älter schätzte ich sie nicht. Hoffentlich war sie auch
so nett, wie sie mir auf den Fotos erschien, und irgendwie mischte sich wieder eine Eifersucht in mir
auf. Sanji hatte von mir gar keine Bilder, ich sollte ihm mal Passfotos geben, damit er mich auch immer
bei sich hatte. Ob er für mich auch so ein Buch anlegen würde? Aber darauf ansprechen konnte ich ihn
ja schlecht, das musste er wenn schon von sich aus machen. Aber das fand ich eher für
unwahrscheinlich, aber na ja. Ich verstand das Fotobuch nicht, mir war das noch zu zweideutig und
bevor ich voreilige, falsche Schlüsse zog, wollte ich mir bei dem Fotomodell persönlich Aufklärung
holen, falls sie überhaupt etwas von dem Buch wusste.
gegen 15.10h
Sanjis Sicht
Aufgewühlt schlüpfte ich in meine Schuhe und ging aus dem Haus. Toll, heute war Samstag und die
Busverbindungen nicht so ideal, und an der Haltestelle sah ich, dass meiner gerade erst abgefahren ist
und ich rund eine halbe Stunde zu warten hatte. Na super! Resignierend und ungeduldig setzte ich
mich hin und wartete. Vielleicht war es ja auch bloße Einbildung von mir und es wäre alles nur halb so
schlimm. Bei meiner blühenden Fantasie konnte es gut sein, dass ich mir nur das Schlimmste vorstellte,
und in Wirklichkeit war alles in bester Ordnung. Aber allein schon die Möglichkeit, dass Nami zu Seulgi
gehen könnte, nagte an mir und ich brauchte Bestätigung. Seulgi einfach anrufen ging nicht, denn in
der Mittagsruhe von 12-15h wurden keine Telefonate durchgestellt, also doppelter Mist. Ich tippte mit
meinen Fingern auf meinem Oberschenkel herum, sah mürrisch die Straße hinab, aus welcher der
nächste Bus kommen sollte. Jetzt hätte ich eine Zigarette gut brauchen können, um mir die Zeit zu
vertreiben. Warum nur hatte ich keine in meinen Taschen dabei?
erstellt am 03.05.2007
4Kolibris,
Elena