The Threat
"Freut mich, dass dir dein Urlaub so gut gefallen hat." Hikari ging neben ihrer Freundin den Schulgang entlang. Die meisten Schüler waren noch damit beschäftigt ihre Bücher in den Spinden unterzubringen. Den ersten Tag hatten sie mehr oder weniger erfolgreich überlebt. Sora lächelte. "Noch besser wäre es natürlich gewesen, wenn du auch dabei gewesen wärst." Sie stupste die Jüngere liebevoll in die Seite. Kari quälte sich zu einem kleinen Lächeln. Gerade als Sora fragen wollte, es denn mit ihr los sei, sah sie Davis auf der anderen Seite des Ganges. Auch er sah nicht gerade glücklich aus. "Hast du jetzt eigentlich die Sache mit Davis geklärt?", fragte sie neugierig. "Mh..? Wie? Was?" Es schien, als wäre die Dunkelhaarige gerade aus ihren Gedanken gerissen worden. "Ob du die Sache mit Davis geklärt hast..?" Sora blickte wieder nach vorne und erkannte, dass der genannte Junge zögerlich stehen blieb. "Nein.", war die kurze Antwort. Sora runzelte die Stirn. Was war denn bloß mit Kari los? Mittlerweile waren sie auf der Höhe von Davis angekommen. Dieser starrte Kari gerade zu an. "Hi... Hikari..." Die Angesprochene blickte kurz zu ihm auf und murmelte dann: "Sorry Davis, ich hab keine Zeit. Muss dringend nach Hause. Wir sehen uns morgen Sora." Und weg war sie. Verwirrt schaute die junge Frau ihrer Freundin hinterher und sah dann fragend zu Davis. Dieser wirkte niedergeschlagen. "Was ist denn bloß mit euch?" "Ich weiß es nicht..." In seiner Stimme schwang etwas Verzweiflung mit. "War denn irgendwas in den Ferien?" "Nein.. es war nichts. Überhaupt nichts."
Kichernd beugte sie sich über ihn und blickte ihm dabei tief in seine braunen Augen. Sie liebte diese Augen einfach. Seine Hände strichen zärtlich über ihren Rücken. Im Hintergrund spielte leise, angenehme Musik. "Tai, ich..." "Schsch...", sachte legte er einen Finger auf ihre Lippen. "Sag jetzt nichts..", flüsterte er und drückte sie an sich. Es fühlte sich an, wie in einem Traum. Sie und er. Endlich ungestört. Nicht mehr beobachtet durch eine missgelaunte Bedienung und umgeben von einer grauen Landschaft. Nein, sie und er hier in ihrem Zimmer. In ihrem rosafarbenen Zimmer, welches einen angenehmen Rosenduft und Wärme miteinander vereinte. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust, schloss die Augen und atmete tief seinen Geruch ein. Ihr Herz klopfte ihr fast bis zum Hals, während er ihr weiter liebevoll über den Rücken strich.
Warum konnte es nicht immer so zwischen ihnen sein? Er war so liebevoll, wenn sie beide alleine waren. In der Schule war davon leider nichts zu bemerken. Man konnte eher sagen, dass sie komplett von ihm ignoriert wurde. Aber das interessierte jetzt in diesem Moment nicht. Es zählte nur der Augenblick, nur seine Nähe. Vorsichtig legte sie ihre Lippen auf seine. Es fühlte sich wunderbar an.
Er erwiderte den Kuss und spürte ein Kribbeln in seinem Körper. Dies wurde jedoch nicht allein von ihr ausgelöst. War ihm jemand gefolgt? Hatte jemand gesehen, dass er ihr Haus betreten hatte? Was war los mit ihm? Er erkannte sich selbst nicht wirklich. Warum tauschte er Liebkosungen mit einem Mädchen aus? War er überhaupt in diesem Moment er selbst? War sie überhaupt sie selbst? Beide fühlten sich ganz anders, wenn sie unter sich waren. Sie benahmen sich auch anders. Er drückte sie wieder leicht an sich. Auf jeden Fall genoss er diese Zeit mit ihr beinahe mehr als alles andere, auch wenn er sich selbst dafür verachtete. Seine Hand wanderte durch ihr schönes, volles Haar. Es fühlte sich gut an. Sowohl er, als auch sie, hatten das Gefühl, dass sie noch nie einem anderen Menschen so vertraut waren. Diese Wärme, die sie durchströmte, ließ alte Erinnerungen in ihnen wach werden. Schon lange hatte keiner mehr von ihnen jemanden so nah an sich heran gelassen.
Ein schrilles Klingeln ließ beide hochschrecken. Schnell griff er in seine Hosentasche und zog sein kleines Mobiltelefon hervor. Sie setzte sich auf die Bettkante und schaute etwas enttäuscht zu ihm.
Sora stand vor dem Haus der Yagamis. Nach kurzer Zeit wurde ihr die Tür von Frau Yagami geöffnete. "Ach hallo Sora." Erfreut lächelte sie das Mädchen an. "Guten Tag Frau Yagami. Darf ich reinkommen?" "Natürlich. Gerne. Aber.. Kari ist leider nicht Zuhause.." Die ältere Frau trat beiseite und ließ Sora hineinkommen. "Oh.. das macht nichts. Ich wollte sowieso zu ihrem Sohn." Frau Yagami runzelte die Stirn. "Tatsächlich? Der ist aber leider auch nicht da. Komm doch mit ins Wohnzimmer." Sie ging voraus und setzte sich auf die Couch. Sora folgte ihr. "Wissen Sie, wann er wiederkommt?" "Nein, er redet so gut wie gar nicht mehr mit mir. Er kommt und geht wann er will." Ein Seufzer entrann ihr. "Ich kann machen was ich will.." Sie blickte zu Boden. "Als Mutter habe ich versagt..", flüsterte sie leise. Sora sah Frau Yagami erschrocken an. "Sagen sie doch so was nicht.." "Doch doch, Sora." Tränen füllten die Augen der verzweifelten Mutter. Hilflos saß die Rothaarige neben ihr. "Ich hab versagt. Ich habe es nicht geschafft meinen Sohn vernünftig großzuziehen. Er entgleitet mir immer mehr..." Die Tränen bahnten sich nun nach und nach einen Weg über ihre Wangen. Vorsichtig legte Sora ihrem Arm um die Frau. Was war aus der sonst so lebensfrohen Frau Yagami geworden? Wusste Tai, was er seiner Mutter antat? Wut staute sich in ihr an. Wer oder was gab ihm das Recht so mit anderen Menschen umzuspringen? Seine Mutter litt unter seinem Verhalten, seine kleine Schwester hatte er geschlagen, seine ehemalige beste Freundin auch, sein Fußballteam ritt er ins Verderben und wer wusste schon, wem er sonst noch alles schadete? Nein, so konnte das nicht weitergehen!
"Ja hallo?" Nervös strich er sich durch seine wuscheligen Haare mit seiner freien Hand.
Sie blickte ihn weiterhin an. Wie gerne würde sie jetzt über seinen Arm streicheln, aber sie wusste, sie durfte es nicht. Nicht während er telefonierte oder jemand anders sie sehen könnte. Das war so etwas wie eine stille Abmachung zwischen ihnen. Sie hörte, wie der Gesprächspartner ruhig und sachlich sprach. Leider konnte sie nicht einmal Wortfetzen erkennen.
"Das.. stimmt nicht!" Sein Blick glitt unruhig durchs Zimmer. Und seine Stimme klang aufgebracht. Er stand auf und schritt zum Fenster. Vorsichtig lugte er durch die Gardinen. Verunsichert beobachtete sie ihn. Irgendwie verhielt er sich so anders als sonst.
"Natürlich kann ich mich noch an die Abmachung erinnern." Nun lief er einige Schritte hin und her. Irgendetwas stimmte hier nicht. "Ich besorg dir das Zeug schon gleich, okay?" Und dann legte er auf. "Süße..." Er schaute sie mit seinen braunen Augen an. "Ich muss gehen." "Was.. aber?" Sie stand auf und ging zu ihm hinüber. "Es war doch gerade so schön..." Sanft legte sie ihre Hände an seine Brust. Ein kleines Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Ich weiß, aber ich muss wirklich los. Wir sehen uns bald wieder, okay?" Einige Sekunden lang hielt sie ihn noch fest, dann nickte sie leicht. Er löste sich von ihr und ging auf die Tür zu. "Ich bring doch noch hinaus.." Eilig kam sie hinter ihm her. "Nein!", entfuhr es ihm bestimmt. "Nein... ich finde den Weg schon alleine." Schnell gab er ihr noch einen Kuss und verschwand dann.
Gerade in diesem Augenblick fühlte sie sich einsamer denn je und viele Zweifel kamen wieder in ihr auf. Wo musste er immer so plötzlich hin? Zu einer anderen? Was verbarg er vor ihr? Sie begab sich wieder zu ihrem Bett und griff unters Kissen. Er hatte ihr einmal bei einem ihrer Treffen etwas Wertvolles geschenkt. Sie umfasste es mit ihrer Hand, drückte es ganz nah an ihre Brust und schloss die Augen. Eigentlich war sie sich sicher, dass sie keinen Grund für diese Zweifel hatte. Er musste einfach viel für sie empfinden, sonst hätte er es ihr niemals gegeben. Wie oft musste er sie noch so zurücklassen, wann endlich würde das aufhören...? Langsam öffnete sie ihre Hand und blickte hoffnungsvoll auf sein Geschenk: das Wappen des Mutes.
Während Mimi also auf ihrem Bett lag, verließ Taichi vorsichtig das Haus. Verunsichert blickte er sich ständig um. Sie konnten doch nicht wirklich hier sein, oder? Nein, das war nicht möglich. Hastig lief er die Straße entlang. Wieso hatte er bloß schon wieder die Zeit vergessen? Das durfte ihm nicht noch einmal passieren. Das nahmen ihm seine Kumpels wirklich übel, wenn er zu spät kam. Gerade blieb er an einer Ecke stehen, um sich ein Kaugummi aus der Hosentasche zu nehmen, als er von zwei kräftigen Gestalten gepackt und in die Gasse gezogen wurde. Er versuchte sich loszureißen, aber sie hatten ihn fest im Griff. Es war dunkel und er konnte außer den Autos, die auf der Hauptstraße fuhren, nichts erkennen. Brutal wurde ihm ein Handtuch quer durch den Mund gezogen, damit er nicht schreien konnte oder ähnliches. Der andere Kerl drehte ihm seine Hände auf den Rücken. "Hör mir zu Freundchen. Das ist das letzte Mal, dass eine solche Verspätung vorkommt. Haben wir uns verstanden?" Taichi nickte. Er hatte das Gefühl, dass der andere Kerl ihm gerade einige Gefäße abklemmte. "Gut..." Man konnte das zufriedene Grinsen erahnen. "Denn wenn nicht.. wir wissen jetzt wo deine Kleine wohnt." Er hörte, wie etwas aus einer Jackentasche gezogen wurde. Der Sprecher kam noch ein bisschen näher und hielt eine Messerklinge vor Tais Augen. "Und können ihr ganz leicht mal Angst einjagen.."