Die Wahrheit
Wir haben uns geliebt. Leidenschaftlich, wild, zügellos und doch heimlich. Es war auch nur eine Nacht. Dunkel, heiß, bedeutungslos, man kennt das ja. Ein verbotenes Spiel, nur der Mond war Zeuge, vielleicht noch der feine Sand auf unserer Haut.
Ich bin gegangen, direkt am nächsten Tag. Habe dich nicht geweckt, konnte es nicht als ich dich so liegen sah in deiner Hängematte. Süß sahst du aus und wenn ich es mir recht überlege, war kein Anzeichen von Anspannung auf deinem sonst so mürrischen Gesicht zu erkennen. Ich ging also. Ruffy’s Ziel war erreicht, Nami kritzelte noch an ihrer letzten Karte, was sollte ich hier? Sanji beim Tauchen nach besonderen Fischarten im Allblue helfen? Ich als Nichtschwimmer? Lysop’s Heldengeschichte, die ausnahmsweise mal der Wahrheit entsprach, zumindest größtenteils, zuhören? Nein. Chopper, du und ich, unser Weg lag noch vor uns, unsere Träume. Da wollte ich nicht stören. So ließ ich dich zurück, auch wenn mein Herz schrie vor Schmerz, aber es gab keinen Platz an deiner Seite für mich. Der war für deine Schwerter reserviert, nicht für eine Frau. Eine Frau, wie ich es bin.
Ich zog umher, suchte nach der Wahrheit, der einzigen Wahrheit, die doch die ganze Zeit in mir war, bloß ich wollte sie nicht sehen. Jetzt habe ich die Folgen zu tragen. Ich allein. Dabei kannte ich doch das Rezept. Ein feines Fäßchen Rum, zwei einsame Herzen, endloser weißer Sandstrand, das Rauschen des Meeres…Verliebtheit…Naivität…Sehnsucht…ein Blick in deine Augen. Ich war willenlos in deinen Armen, gab mich dir hin, wie es mein Herz mir befahl, mein Körper ersehnte. An die Details kann ich mich kaum erinnern, nicht wie wir uns auszogen, wie du mir meinen Verstand genommen hast, oder wie es endete. Zurück blieb nur eins, die Wahrheit.
Mein Rücken schmerzt, ich schwitze, aber bei diesem Wetter kein Wunder. Die Sonne scheint erbarmungslos vom azurblauen Himmel, kaum ein Lüftchen weht in dieser Talsenke, in der ich schon seit Wochen hocke. Aber wann bekomme ich je wieder die Gelegenheit eine Ausgrabung vorzunehmen? So schnell bestimmt nicht. Würde mich das aber traurig stimmen? Nicht mehr auf Knien durch den Staub zu rutschen, die Hände blutig vom graben, Einsamkeit. Die Wahrheit ist wie ein Fluch, jetzt, da ich sie kenne, mir ihrer bewußt bin. Und was habe ich davon? Nichts! Was nützt einem Menschen Erkenntnis, wenn er nicht weiß wie mit umzugehen? Mein Studium, das viele Lernen, all die Bücher, die ich gelesen habe, kostbare Zeit, die für mein Wissen vergangen ist. Sinnlos.
Wütend ramme ich die kleine Spitzhacke in den Boden, reiße die Erde auf, lasse meinem Frust freien Lauf, aber es hilft mir nicht. „Verdammt!“ Meine Bewegungen werden schneller, verbissener, doch der Zorn auf mich selbst nimmt nicht ab. Ich Idiot! Hornochse! Dumme Gans! Unkoordiniert hacke ich auf dem Erdklumpen vor mir rum, sehe nur verschwommen, versperren mir doch zu viele Tränen die Sicht. Ich bin so dumm!
„Gib das her.“ Sanft wie ein Hauch ist die Stimme, tief und weich. Aber ich kann niemanden sehen! Von der Angst gepackt will ich aufspringen, doch ich pralle mit dem Rücken gegen einen harten Oberkörper, der sich über mich gebeugt hat. Die Spitzhacke landet unweit im Gras, sehe ihr nach, als wäre sie ein Vogel, der vom Himmel gefallen ist. Starke Arme schließen sich um meine Taille, ziehen mich mit sich, bis ich auf dem Schoß eines grinsenden jungen Mannes sitze.
„Äh….“ „Sehr einfallsreich deine Begrüßung, das muß ich schon sagen.“ „Ich…wieso…?“ Aus seinem Lächeln wird ein Schmunzeln, während er mich näher an sich drückt und in mein Ohr flüstert: „Weil ich dich vermißt habe, du dummes Ding. Außerdem habe ich den Eindruck, daß du bald meine Hilfe gebrauchen könntest.“ Seine Hand wandert zu meinem Bauch, streichelt sanft über die Erhebung, die in den letzten Monaten doch um einiges größer geworden ist.
„Es ist nicht von dir!“ herrsche ich ihn an, will ich ihm doch nur nicht zeigen, wie sehr er mir gefehlt hat, nur weil ich so dumm war. Hastig erhebe ich mich, klopfe beschäftigt den Staub aus meiner Kleidung, spiele die Unnahbare. „Natürlich nicht, schließlich bist du schon immer für deine wilden Bettgeschichten bekannt gewesen. Dir war jeder recht.“ „Das ist nicht wahr! Ich habe nie…!“ Erschrocken beende ich meinen Satz, hat mich dieser grünhaarige Mistkerl doch einfach so in fünf Sekunden überrumpelt!
„Jetzt gibt es nur ein Problem. Wenn dein Baby nicht von mir ist, du aber auch keine Affären hattest, wovon bist du dann schwanger geworden? Oder ist es seit neustem modern ein Kissen unter dem Shirt zu verstecken?“ Wieder kommt er näher, faßt mir diesmal sogar unter mein Oberteil, doch ich bin wie gelähmt. Oder ist es nicht eher so, daß ich seine Nähe genieße und einfach nicht von ihm weg möchte? „Fühlt sich aber meines Erachtens nach echt an.“ Er zieht mich in seine Arme, schenkt mir Nähe und Geborgenheit, die ich so sehr vermißt habe.
„Und, hast du deine Wahrheit gefunden?“ „Wieso denn meine Wahrheit?“ Was treibt er jetzt schon wieder für ein Spiel? „Na dieses Porneglyph, das du gesucht hast. Du hast es doch gefunden.“ „Ja, aber woher weißt du davon?“ „Ich bin deinem Weg gefolgt. Gut, als ich diese merkwürdigen Schriftzeichen gesehen habe konnte ich nichts damit anfangen, aber ich habe deine Schrift erkannt, mit der du etwas daneben geschrieben hast. Sah ziemlich energisch aus. Folglich warst du entweder erfreut, oder aber zornig. Wenn ich dich jetzt so ansehe, dann wohl eher letzteres.“
„Es tut mir leid, ich wollte dich nicht-“ „Schön hier bleiben.“ Seine Umarmung wird fester, aber auch liebevoller zugleich. „Du bist an deine Grenzen gestoßen, nicht wahr?“ „Kannst du Gedanken lesen?“ „Nein, aber es ist die einzig logische Erklärung. Du dachtest, das Porneglyph würde dir neue geistige Möglichkeiten eröffnen, aber statt dessen hat es dich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Uns allen erging es so. Ruffy fand das One Piece, das Band der Freundschaft, aber es war klar, daß wir zwar weiterhin alle befreundet sein würden, aber nicht mehr zusammen über das Meer segeln würden. Jeder muß früher oder später seinen eigenen Weg gehen. Sanji kann jedes Fischgericht kochen, das ihm in den Sinn kommt, aber wer soll das alles essen? Ein Restaurant kann noch so gut sein, aber wenn es an einem unbekannten Ort steht, geht dennoch keiner hin. Lysop mag ein Held sein, aber es werden neue Helden kommen, mit noch unglaublicheren Geschichten. Wer redet dann noch von Captain Langnase? Chopper ist mit Sicherheit ein toller Arzt, der beste bestimmt, aber dem Tod ist niemand gewachsen, egal wie sehr er sich anstrengen wird, irgendwann ist jeder dran. Nami war so stolz, als sie ihre letzte Karte fertig gezeichnet hat. Und dann? In der Zeitung stand etwas von einem Erdbeben, das Teile von Little Garden im Meer versinken ließ. Die Erde lebt, ständig bricht ein Stück ab, entsteht eine neue Insel oder gibt es Verschiebungen. Eine Karte ist nur solange perfekt, wie nichts geschieht. Und ich? Falkenauge ist tot, habe ihn besiegt in einem fairen Kampf. Und? Bin ich jetzt unbesiegbar? Nein. Und kann ich mich über meinen Sieg freuen? Bedingt, denn es war niemand da, der sich mit mir gefreut hat. Gut Chopper, aber das war nicht das selbe, als wenn du bei mir gewesen wärst.“ „Ich bin so ein Narr…“
Fest drücke ich mich an ihn, weine dicke Tränen, teils wegen meiner eigenen Blödheit, teils aus Erleichterung, weil er mich nicht aufgegeben hat. „Verzeihst du mir?“ „Ich war nie böse auf dich, denn ich wußte, daß du nicht eher ruhen würdest, bis du dein Ziel erreicht hast, so wie wir alle.“ Sanft küßt er meine Stirn, daß ich meine Augen schließe und den Kopf ein wenig in den Nacken lege.
„Die Liebe zu dir ist meine Wahrheit,“ haucht er auf meine Haut, daß ich die Augen wieder öffne und ihn überrascht mustere. „Wieso entspricht deine Wahrheit auch meiner eigenen?“ „Weil eine Tatsache erst dann wahr wird, wenn es jemanden gibt, der sie bestätigt. Man selbst kann sich viel einreden, aber ob das auch wirklich alles so stimmt weiß man doch erst, wenn man eine Bestätigung dafür erhält, oder?“
„Wieso weißt du das alles und ich mußte erst mein halbes Leben lang durch die Welt ziehen, um das zu kapieren? Du bist so viel jünger als ich.“ „Ich wiederhole nur das, was du mir in der Vergangenheit geantwortet hast, wenn ich wieder einmal frech zu dir war.“ „Ich wußte die Antwort also bereits…“ „So sieht es aus, deshalb warst du auch enttäuscht, als du das Porneglyph gefunden hattest. Aber jetzt laß uns in deine Hütte gehen, Chopper wartet sicherlich schon auf seine Patientin. Eine Schwangere hat er schließlich noch nicht betreut.“
Die Wahrheit. Die Wahrheit ist, daß ich endlich gefunden habe, wonach ich all die Jahre gesucht habe, wobei es die ganze Zeit bei mir war, es aber erst verlieren mußte, um das zu erkennen. Doch eines steht fest. Egal was noch passieren mag, die Wahrheit ist stets in jedem von uns, wir müssen sie bloß sehen wollen.
~Fin~
